Zum Inhalt springen

ADB:Camerarius, Joachim

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Camerarius I., Joachim“ von Adalbert Horawitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 720–724, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Camerarius,_Joachim&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 15:04 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Camerarius, Heinrich
Nächster>>>
Camerarius, Ludwig
Band 3 (1876), S. 720–724 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Joachim Camerarius der Ältere in der Wikipedia
Joachim Camerarius der Ältere in Wikidata
GND-Nummer 118518569
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|3|720|724|Camerarius I., Joachim|Adalbert Horawitz|ADB:Camerarius, Joachim}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118518569}}    

Camerarius: Joachim C. I., Philolog, geb. 12. April 1500 zu Bamberg, † 17. April 1574 zu Leipzig, entstammte einem alten fränkischen Geschlechte, das seine Ahnen in Kaiser Heinrichs II. Zeit setzte, ursprünglich den Namen Liebhard führte, sich später aber nach dem in der Familie erblichen Amte eines Kämmerers Kammermeister nannte, bis der berühmteste Sproß die letztere Bezeichnung latinisirte. Camerarius’ Vater Johannes war Rathsherr zu Bamberg, wo er im Alter von 82 Jahren 1527 starb; von ihm erbte Joachim den kraftvollen Körper, von der Mutter Martha (geb. Wetzel aus Steinfurt), die 1522 aus diesem Leben schied, die kluge vorsichtige Haltung und innige Frömmigkeit. Von der Mutter hatte er, wie die meisten großen Männer, die geistige Anlage; „acumen ingenii“ rühmt ihr wol nach Joachims Aeußerungen ein Zeitgenosse nach. Den ersten Unterricht erhielt er in der Vaterstadt; wenngleich er als Knabe häufig kränkelte, so brachte er es doch rasch soweit, daß sein Lehrer offen gestand, er könne ihn nicht weiter unterrichten. So führte denn die Mutter den Dreizehnjährigen im April 1513 nach Leipzig in das Haus des tüchtigen Präceptor Georg Helt aus Forchheim, der ihn mit der innigsten Liebe pflegte und unterrichtete und ihm ein zweiter Vater ward. Unter andern war hier der Fürst von Anhalt sein Mitschüler. Schon im September desselben Jahres wurde C. der Ehre des Baccalaureats für würdig befunden, 1516 begann er auch unter dem berühmten Richard Croke und dem Grammatiker Johannes Metzler das Studium des Griechischen, worin er bald solche Fortschritte machte, daß er statt seines Lehrers in dessen Abwesenheit seinen Collegen die Autoren commentiren durfte. Im folgenden Jahre wurde Peter Mosellanus sein Lehrer; der Lieblingsautor Camerarius’ war damals Herodot, an ihm vornehmlich bildete er sich. Frühzeitig schon nahm er Stellung zu den wichtigsten Fragen; es wurde ihm klar, daß er im Lehramte dem Staate am besten dienen könne, ebenso stieß ihn Tezel’s Ablaßhandel ab und er wandte sich mit solcher Bewunderung Luther zu, daß ihn die sorgsame Mutter vor allzugroßem Vertrauen zu warnen für nothwendig hielt. Damals schloß er auch jene Lebensfreundschaft mit dem heitern Eoban Hesse, den er mit Euricius Cordus in Leipzig kennen lernte. Ihre Einladung wol hat ihn nach Erfurt, dem damals blühenden, gezogen, wie oft hat er nachmals – noch in seiner letzten Zeit – von jenen herrlichen Tagen des knospenden Humanismus gekündet und dem Freundschaftsverhältnisse mit dem Kreise Mutian’s und Hesse’s in seinen classischen Briefsammlungen ein ihn und die Erfurter gleich ehrendes Andenken geweiht! Im Sommer 1518 kommt er dahin, nicht als ein Unbekannter, der Ruf seiner griechischen Kenntnisse sammelt um den Schüler Croke’s und Mosellanus’ die strebsamsten Jünglinge, bald tritt der Vielgeehrte als Lehrer des Griechischen öffentlich auf, in den heiteren Symposien Hesse’s ist er der Schatzmeister und ungemein beliebt, sein Wappen prangt 1531 in der Wappentafel der Universität, in diesem Jahre unter dem Rectorate des Crotus ist er daselbst Magister geworden. Eine Reise nach Frankreich, um auch dort die Universitäten kennen zu lernen, mußte der Pest wegen unterbleiben, dagegen begab sich C. im August 1521 nach Wittenberg. Außerordentlich rasch gewannen seine Kenntnisse und Bescheidenheit Melanchthon’s Herz, schon dessen erster Brief spricht sich völlig überschwänglich [721] über den Jüngling aus. Auch zu Wittenberg hat C. gelesen und zwar über Quintilian, mußte aber bald in seine Heimath zurück, da seine Mutter gestorben. In dieser Epoche bis 1524 ist Melanchthon sein sorgsamster Freund und Berather, er mahnt ihn zum Gottvertrauen und tröstet ihn bei den mannigfachen Schicksalsschlägen, die ihn betrafen. 1524 machte auch C. die übliche Wallfahrt zu Erasmus nach Basel; freundlich aufgenommen ahnte er wol nicht, daß er berufen sein werde, dem großen Meister in der Herrschaft der Philologie zu folgen. Die unruhige Zeit des Bauernkrieges bringt er in Preußen zu, wo man ihn umsonst festzuhalten sucht; nach einem Aufenthalt in seiner Heimath ward er endlich 1526 auf Melanchthon’s Empfehlung zum Director und Lehrer des Griechischen an die „hohe Schule“ zu Nürnberg berufen. Hier wirkte er, sehr gut besoldet, im Verein mit seinem Eoban Hesse, mit M. Roting, Joh. Schoner mit solchem Erfolge, daß auch Rathsherren die Schule besuchten, man ihn sogar zum Secretär der Stadt machen wollte, was er aber ablehnte. Auch an Freunden außerhalb des Schulkreises fehlte es ihm nicht, vor allem war es Dürer, dessen Werke er übersetzte, herausgab und von dem er uns eine so classische Schilderung hinterlassen. 1527 heirathete er Anna v. Truchseß-Grünsberg, sollte aber mit Albrecht v. Mansfeld an den kaiserlichen Hof nach Spanien reisen, welches Project jedoch nicht zu Stande kam. Das Jahr seiner Verheirathung brachte viel Herbes: den Tod des Vaters, das Unglück des Bruders, eigene Kränklichkeit. Auch sonst waren die nächsten Jahre sorgenvolle und außer dem eigenen Kummer lastete auf C. auch die Theilnahme an den Bedrängnissen Melanchthon’s, mit dem er auf dem Augsburger Tage war und überhaupt oft zusammentraf. Gewiß ist die 1535 erfolgende Berufung Camerarius’ nach Tübingen, wo er den höchsten Gehalt, den es dort überhaupt gab, bezog, auf den Einfluß Melanchthon’s zurückzuführen, der ja die Reformation dieser Universität begann. Hier war C. völlig an seinem Platze; sein gewaltiges organisatorisches Talent schien, wie man richtig bemerkt hat, zur Herstellung der Wissenschaften in Deutschland bestimmt gewesen zu sein – Nürnberg, Tübingen, Leipzig sind Stationen auf seinem Siegeslaufe zur Neubegründung von Wohnstätten der classischen Studien! Unter den nach Tübingen Berufenen – es sind bekanntlich ausgezeichnete Kräfte, Volmar, Fuchs, Sichard u. a. – war denn auch C. Und was hat er für Tübingens Universität geleistet! Er las über römische Autoren, ebenso über Homer, Sophokles, Herodot, Thukydides, Demosthenes und Isokrates und arbeitete schneller als sein Drucker (Morhard) drucken lassen konnte. Vor allem aber ist sein höchst fördernder und anregender Einfluß auf die Schüler hervorzuheben; an Matthias Garbitius, Bruschius u. a. erzog er sich bedeutende Talente, die Exercitationes rhetoricae Tubing. wurden bald berühmt. Aber seines Bleibens an dieser Hochschule sollte nicht zu lange sein; Melanchthon, der Herzog Heinrich Vorschläge zur Hebung der sehr gesunkenen Leipziger Universität machte, dachte auch hierbei wieder des Freundes, den er in seiner Nähe haben wollte und gewiß mit vollem Rechte für den richtigen Mann zur Einführung guter Zucht und nachhaltiger Anregung hielt. Glänzend war der Gehalt, den er außer sonstigen Erleichterungen z. B. der Accisefreiheit bekam. So zog denn C. im Herbst 1541 nach Leipzig, für dessen Aufschwung unter zahllosen Anfechtungen und schweren Kämpfen er und C. Borner wol das Meiste gethan. Charakteristisch ist schon die Art, wie er sich einführte. Es gemahnt an Croke’s Rede zu Cambridge, wenn C. als Vorwurf für seine Antrittsrede die Verherrlichung der schönen Wissenschaften wählt. Durchaus religiös beginnt er; seine Studien sollen den Zweck haben, zum Ruhme Gottes zu dienen, der Kirche und dem Staate sollen sie nicht minder nutzbringend sein. Entschieden, aber maßvoll wendet er sich dann gegen die Verächter jener Studien, die [722] meist nur der Unverstand dazu antreibe, rühmt die hohe Formvollendung wie den reichen Inhalt der classischen Sprachen, spricht über die Schicksale des Humanismus, vergleicht die Griechen und Römer mit andern Völkern und versichert zuletzt, daß er nicht so weit gehe – wie R. Agricola – alles Alte abthun zu wollen, ihm käme es nur darauf an, das gegenwärtige Gute zu wahren, das Fehlerhafte zu verbessern. C. verspricht schließlich seinen Schülern jedwede Förderung, und drückt sodann die Hoffnung aus, die Universität bald ruhmvoller und bedeutender sehen zu können. Wie rasch und entschieden ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen! Bald war Leipzig die zweite Universität Deutschlands, nach Melanchthon’s Tode wol die erste! Und zwar vor allem durch seine unermüdliche Thätigkeit als Lehrer, Schriftsteller und Würdenträger der Universität. Die Jahre, in denen er als Decan und Rector wirkte, gehören zu den besten dieser trefflichen Hochschule! Kein Zweifel, daß er auch auf die Reform der Gymnasien und Fürstenschulen einwirkte und durch ihn der philologische Unterricht in ganz Sachsen gehoben ward. Durch Klugheit, Besonnenheit, Mäßigung und vor allem durch beispiellosen Fleiß hat er hier durchgesetzt, was weder Busch noch Rhagius u. a. gelungen, an weit und tiefgehender Wirksamkeit hat er seine Lehrer Croke und Mosellanus übertroffen, bald gewinnt er eine ungemeine Bedeutung im Collegium; wäre er ein rücksichtsloser Charakter gewesen, er hätte eine völlig autokratische Stellung erlangt, doch er war nur dazu angethan, durch die trefflichen Eigenschaften seines Wesens als Mensch und Gelehrter zu wirken und so hat er sich denn auch die 33 Jahre seiner Leipziger Lehrthätigkeit hindurch nur durch seine geistige und sittliche Ueberlegenheit Geltung verschafft, und zwar nicht blos in Leipzig und Deutschland, sondern überhaupt bei den Gelehrten Europa’s, die miteinander wetteifern ihn mit ehrenvollen Attributen zu schmücken. Vor allem aber war es Melanchthon, der in neidloser Bewunderung ihn stets über sich erhob, dessen Hingang denn auch eine unausfüllbare Lücke in dem Leben des großen Leipziger Philologen hinterließ. – 1568 versuchte Kaiser Maximilian II., der C. zu den Einigungsverhandlungen der christlichen Confessionen nach Wien berufen hatte, den Gelehrten daselbst festzuhalten, doch dieser nahm das Anerbieten nicht an und blieb so der Leipziger Hochschule erhalten, an der ihm freilich wenig Freuden mehr erblühten. Denn wenn auch sein Ruhm allgemein war und ihm im Kreise seiner Familie durch die Begabung seiner fünf Söhne und die glückliche Verheirathung seiner Töchter viel Angenehmes erwuchs, so fehlte es auch nicht an Widerwärtigkeiten aller Art. Seine Kränklichkeit, vielfach die Folge seiner aufopfernden und überangestrengten Thätigkeit, Kummer über die zunehmende Barbarei und Geistlosigkeit, der Verlust aller älteren Freunde, die Verfolgungen fanatischer Theologen, die Kühlheit der heraufkommenden Generation, die ihn am Ende seiner Tage, wie später u. a. Wolff, zu den Todten warf, drückten ihn schwer, vor allem aber die Zerklüftung und der Niedergang des deutschen Reiches, für dessen Ruf und Ehre er warm fühlte. Dazu kam als entscheidender, vernichtender Schlag der Tod seiner Gattin (am 15. Juli 1573), die ihm in glücklicher sechsundvierzigjähriger Ehe neun Kinder geboren, und die er nicht lange zu überleben vermochte. Am 17. April 1574 erlöste ihn der Tod von schweren psychischen und körperlichen Leiden, die er mit Geduld und in christlicher Gesinnung ertragen hatte. Er ward an demselben Tage begraben, an dem 1524 Mosellanus, 1560 Melanchthon gestorben.

Camerarius’ Bedeutung ist über allen Zweifel erhaben, er gehört mit zu den würdigsten Ahnherren deutscher Wissenschaft. Still und bescheiden, einfach und ehrlich, ein frommer tiefgläubiger Mann, ein trefflicher Familienvater, treuer Freund, sicherer Führer seiner Schüler, ein guter Patriot und vor allem ein begeisterter Verehrer und Sucher der Wahrheit hat er nur der Pflichterfüllung [723] und dem Dienste der Wissenschaft gelebt. Es ist keine leidenschaftliche Natur, die uns in ihm entgentritt; nichts von dem Scharfen und Herausfordernden seines Vorgängers Erasmus finden wir bei ihm; jede tüchtige Leistung bereitwillig anerkennend, war er immer bestrebt zu mildern, zu versöhnen, zu vereinen; nur gegen das absolut Schlechte und Gemeine ist er mit nie fehlenden Waffen zu Felde gezogen, und hat es mit der Wucht seiner Gelehrsamkeit niedergeschmettert. Nach äußeren Ehren hat er nie gegeizt, mit klarer Selbstkenntniß hat er sich in dem Kreise erhalten, in dem er am meisten wirken konnte. So war er, eine echte reine Gelehrtennatur, voll Hoheit und Adel der Seele! –

Was sein beispielloser Fleiß geleistet, was er als Gelehrter geschaffen, zeigen seine – nun freilich selten gewordenen und selten genug gelesenen Werke, deren beiläufig 153 zu nennen wären. Ihre Titel sind aufgezählt in J. A. Fabricii Bibl. Graeca XIII. p. 493–532. Man ersieht aus diesem Verzeichnisse schon, daß es die Philologie war, der er den größten Theil seiner Arbeit widmete; als Emendator und Herausgeber, als Uebersetzer und Commentator hat er sich unvergänglichen Ruhm erworben; aber nicht minder war er für die Grammatik der alten Sprachen thätig. Seine Uebersetzungen des Homer, Herodot, Demosthenes, Xenophon, Theokrit, Euklid, Sophokles und Lukian, Aesop, Thukydides, Plutarch wurden von allen Fachgenossen gepriesen, die Eleganz seiner Verse, wie die Treue der Uebertragung rühmend hervorgehoben, Xenophon’s ῾Ιπποχομιχός übersetzte er mit besonderer Vorliebe, denn wie G. Hermann war auch er ein großer Pferdeliebhaber. Nicht geringer waren seine Leistungen als Erklärer, dafür zeugen seine Commentare zu Homer und Sophokles, Cicero u. a.; der zu Sophokles trug ihm in Rom große Anerkennung ein, die Commentare zu den Tusculanen sind von einer staunenswerthen Gelehrsamkeit. Auch in der Textkritik war er ein Meister, seine Plautusausgabe z. B. überraschte u. a. Scaliger so sehr, daß er ihn „unicum Plauti Aesculapum“ genannt. Seine „Commentarii utriusque linguae“, 1551, dienten lange Zeit als Wörterbuch, Melanchthon’s Grammatiken und Varennius’ Syntaxis graeca hat er herausgegeben, die letztere mit gelehrten Anmerkungen, die griechische Grammatik Melanchthon’s mit einer höchst lesenswerthen Einleitung über Stellung, Entwicklung und Bedeutung der Grammatik. Zahlreich sind auch die Sammlungen griechischer Schriftsteller, die er veranstaltete, wie die Abhandlungen über Alterthümer u. dgl. (z. B. seine Arbeit „Historiola rei nummariae … Graecorum et Latinorum“). Neben dieser philologischen Thätigkeit, die hier nicht einmal recht angedeutet werden kann und die nur der zu würdigen vermag, der alle diese Arbeiten selbst gelesen, geprüft und auf sich wirken ließ, war es für C. eine Herzenssache wichtige Abschnitte der Vergangenheit in historischer Darstellung vorzuführen. In lateinischer und griechischer Sprache hat er so die Geschichte des schmalkaldischen Krieges, die Geschichte des nikänischen Concils, der böhmischen Brüder, für die er lebhafte Sympathien hegte u. a. geschrieben – in seinen letzten Lebensjahren begann er auch die Geschichte der Türken zu behandeln, mitten in der Arbeit ereilte ihn der Tod; sein Sohn Joachim gab das vorliegende heraus. Aber sein Hauptverdienst als Historiker liegt in seinen biographischen Leistungen, u. a. in seinen herrlichen Biographien Melanchthon’s und Eoban Hesse’s. Von den Freunden hat er hier zu erzählen, von den schönsten Zeiten des Humanismus, von Tagen lachender Lebensfreude und voller Werdelust! Und wie hat er dies gethan! In welch anmuthiger eleganter Form! Wie plastisch und farbenreich! Und mit welcher Innigkeit und Pietät! Wenn er auch nicht überall völlig verläßlich ist – denn er überträgt z. B. bei der Schilderung der Erfurter Verhältnisse vieles was er vorfand auch auf die früheren Zeiten – so hat es doch jeder Bearbeiter der Geschichte der Reformation und des Humanismus dankbar anerkannt, daß ohne seine Schilderungen [724] und seine nicht minder werthvollen Briefsammlungen aus jener Zeit weder die Geschichte des Praeceptor Germaniae, noch auch die Mutian’s, Hesse’s und der Erfurter Universität in der reichen Fülle und Klarheit möglich wäre, der wir uns jetzt erfreuen. In treffender Weise hat er aber auch erkannt, worin das Wesen rechter Geschichtschreibung liege, und mit entschiedener Strenge gegen die beliebten historischen Romane, Komödien und Tragödien geeifert; auf Wahrheit, ungeschminkte einfache Darstellung komme es an („Hist. Narratio de fratribus orth. f. in Bohemia“). Wie er aber gerne Excurse in die Geschichte der christlichen Kirche unternimmt, so hat er denn auch eine Geschichte Jesu Christi und der Apostel verfaßt, die von seiner Gläubigkeit und seinem frommen Sinne ein neues Zeugniß gibt. Diese Arbeit führt zur Betrachtung seiner Bedeutung als Theologe. Wenn es auch zweifellos ist, daß er bei den vielen kirchlichen Angelegenheiten, bei denen Melanchthon seinen Rath, seine Meinung beanspruchte, diesem entscheidend an die Seite getreten, so liegt doch das Hauptgewicht seiner theologischen Bemühungen einerseits in den Verhandlungen über das Interim, den osiandrischen Streitigkeiten und verschiedenen Religionsgesprächen, andererseits in theologischen Vorlesungen und Werken exegetischen („Sententiae Jesu Siracidae“, „Notatio figurarum“), systematischen („Catechesis christiana“) und praktischen („Homiliae“) Inhalts. Sehr werthvolle pädagogische Weisungen gibt er in dem hochinteressanten Büchlein „Praecepta morum ac vitae accomodata aetati puerili soluta oratione et versibus quoque exposita“, 1544. Daß C. außerdem ein höchst fruchtbarer und eleganter Dichter und ein scharfsinniger gründlicher Mathematiker gewesen, mag hier nur kurz bemerkt werden, ebenso daß er außerdem auch viele Werke anderer herausgegeben und nach der Sitte der Zeit mit Vorreden und Briefen versah.

Dieser kurze Ueberblick über seine litterarische Thätigkeit wird schon gezeigt haben, daß C. den Namen eines Polyhistors im besten Sinne verdient, daß sein Wissen wie bei Conring und Leibnitz nicht blos ein tiefes und gründliches sondern auch ein außerordentlich weites und vielseitiges gewesen. Wol haben die Fremden seinen Werth gewürdigt; Casaubonus u. a. nennt ihn nominis Germanici decus singulare, wir selbst haben unserm großen Philologen noch immer nicht in einer seiner würdigen Biographie den Tribut unserer Dankbarkeit gebracht (1674 und 1774 hat man sich seiner in Deutschland erinnert, kleine Gelegenheitsschriften erschienen da; 1874 hat man ihn, wie es scheint, vergessen), es soll Aufgabe des Unterzeichneten sein, diese Schuld einzulösen.

Die älteren kleinen Arbeiten und Artikel alle aus Adami Vitae Germ. phil. und Freyhuber Oratio in obitum J. C. 1574 entnommen, meist ohne alle Kenntnisse seiner Werke und Briefe. Werthvolles bringen: Kümmel, Camerarius in Nürnberg (Progr. des Zittauer Gymnasiums 1862), Nürnberger Programme von Heerwagen 1860, 1867, 1868; Kampschulte, Geschichte der Erfurter Universität (passim); Schneider in Schmid, Encykl. über Camerarius als Pädagogen und vor allem die vortrefflichen Arbeiten von K. Halm über die Collectio Camerariana in München (in den Sitzungsberichten der königl. Akademie zu München und dem Handschriftenkatalog der Hofbibliothek daselbst.)