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ADB:Cordus, Euricius

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Artikel „Cordus, Euricius“ von Adalbert Horawitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 476–479, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Cordus,_Euricius&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 12:43 Uhr UTC)
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Cordus: Euricius C., Dichter und Arzt, geb. um 1486 zu Simshausen in Oberhessen als jüngster Sohn eines wohlhabenden braven Bauern, erhielt [477] gemeinsam mit Eoban Hesse durch Jakob Horläus Unterricht zu Frankenberg. In diese Zeit fallen der Beginn seiner innigen Freundschaft mit Hesse und die ersten Versuche in der Dichtkunst. Von hier begibt sich C. an die Erfurter Universität. Auch hier ist er dichterisch thätig; seine „Threnodia“ auf den Tod Wilhelms II. von Hessen, seine bukolischen Gedichte sind die ersten uns erhaltenen Werke, ihnen folgen eine Reihe von Gelegenheitspoëmen, das heftigste Libell war gegen einen Erfurter Dichter (Thiloninus) gerichtet, zum größten Aerger Mutianus’, der aber bald eben so wie Joachim Camerarius innige Freundschaft mit dem genialen Satiriker schloß. Dieser begab sich um 1514 nach Leipzig, wo er über seine „Bukolika“ las, aber es ihm nicht besonders gefallen haben mußte, weil er schon am Ende dieses Jahres wieder in Erfurt erscheint. Freilich blieb er hier nicht lange; er wird als Rector an die gelehrte Schule zu Cassel berufen, ein Amt, das er 1517 oder 1518 mit einem ähnlichen Amte in seinem geliebten Erfurt vertauscht. Hier las er über Persius und später durch Luther angeregt, zum Aerger des Theologen Lupus, über das neue Testament. Es ist dies die angeregteste Zeit für C., er treibt mit allen Strömungen des geistigen Lebens, nach einander feiert er in seinen Epigrammen die Führer der litterarischen, humanistischen und reformatorischen Bewegung, vor allem natürlich die Leuchte und Zierde der Wissenschaft – Erasmus, den er in seiner „Palinodia, quod mortuum Erasmum scripserat“ aufs höchste rühmt, dann aber auch Mutian, dessen schöne Zurückgezogenheit er in dem „Expiatorium Hessiaticorum fontium“ beschrieben, nicht minder den „König“ des Dichterbundes Eoban Hesse, der ihn die zweite Hoffnung des Hessenlandes nennt. Es fehlt auch nicht an Angriffen gegen die Verächter der schönen Wissenschaften, gegen die unwissenden Mönche und Sophisten, so bekommt auch hier der Beleidiger des Erasmus, Lee, seine Abfertigung; jeder der Freunde aber wird mit zierlichen Versen bedacht. Es sind wahrhaft classische Epigramme, voll Humor und Satire; die Natur des Cordus’ war durch Geist und Schärfe dazu angethan, die Blößen der Gegner zu erspähen und mit starken Hieben gerade die wunden Stellen zu treffen. Wie Lessing diese köstlichen Sinnsprüche benutzte, wurde schon im vorigen Jahrhundert (durch Haug in Wieland’s N. T. Mercur[WS 1] 1793, St. 11. Nov.) dargelegt, ihre Wirkung war einerseits für C. eine günstige, da sie seinen Dichterberuf bewiesen und seinen Ruhm vermehrten, andererseits erzeugten sie ihm zahlreiche Feinde, was er selbst am besten wußte, er spricht dies wol so aus: Blandiri nescis nec verum Corde tacere Et mirare tuos displicuisse libros! Und anderswo (in der Schrift „De urinis“) bezeichnet er sich als ein „auffrichtiges, offenliches, u. einfachiges Gemüth, das nye liegen, noch triegen, noch heucheln gelernt“. Wie mußte einem solchen Charakter Luther’s Wesen geistesverwandt sein, wie mußte er sich zu dem Wittenberger Bahnbrecher hingezogen fühlen! Er pries ihn denn auch nicht blos in zahlreichen Epigrammen, kämpfte gegen seine Gegner (besonders gegen Eck und Emser), sondern wie beinahe der ganze Humanistenkreis Erfurts erkennt er in ihm den Bannerträger der Zeit; das Bild des Erasmus erblaßt neben des Gewaltigen Erscheinung! Auch C. war unter den Tausenden zu Worms, die Luther Glück und Segen wünschten. Doch nicht lange mehr verblieb er danach in Deutschland. Durch Noth getrieben sucht er einen productiveren Beruf, als der des Poeten war; mit seinem Gönner, dem großherzigen Arzte Georg Sturz zieht er nach Italien, um dort Medicin und zwar aus den Griechen zu studiren. In Ferrara ward er von dem trefflichen Nicolaus Leonicenus in das Studium des Galenus und Hippokrates eingeführt. Aber so viel er auch von diesem, wie von Johannes Manardus, Coelius Calcagninus lernte, und so sehr er sie pries; die Sehnsucht nach der Heimath, nach Frau und Kindern ward in ihm übermächtig, Klima und Landesart, wie die Sitten der „Wälschen“ schärften in ihm den Wunsch, [478] zurückzukehren; in vielen Epigrammen des IV. Buches, das meist in Ferrara entstand, drückt sich der schroffe Gegensatz, den er gegen die italienische Art empfand, entschieden aus. Dennoch mußte er bis zur Promotion zum Doctor (durch Leonicenus) in Italien verbleiben; 1521 kehrt er mit Sturz zurück. Aber er findet nicht mehr das friedliche, sondern das durch Seuchen und das Pfaffenstürmen verheerte und beunruhigte Erfurt vor, rasch eilt er mit seiner Familie nach Fritzlar und Goslar. Nach seiner Rückkehr nach Erfurt trat er wie früher gegen Luther’s Gegner auf, unter anderen in den Gedichten „Antilutheromastix“ (1522, 2. Aufl. 1525). So half denn auch er zur Ausbreitung der Reformation mit. Das freilich hatte er nicht erwartet, daß nun statt der Mönche ebenso ungebildete Prädicanten der Wissenschaft den Krieg machen würden. So wurde auch ihm, wie den Meisten der Erfurter Aufenthalt verleidet, wider den Rath seiner Freunde nimmt er 1523 die Stellung als Arzt zu Braunschweig an, woselbst er bis 1527 trotz höchst unleidlicher Verhältnisse verblieb. In diese Zeit fällt sein Bruch mit Erasmus, dessen Stellung Luther und Hutten gegenüber ihm die meisten Humanisten entfremdete. – Kräftig trat C. nun für Luther ein in der Schrift „Ad invictissimum imperatorem Carolum V. aliosque Germaniae proceres, ut ueram tandem religionem agnoscant“ (Wittenberg 1525 u. Marburg 1527). Freilich war es eine echtdeutsche Naivität, zu glauben, Karl V. werde sich durch circa 1600 wohlgefügte, ziemlich derbe Hexameter für Luther gewinnen lassen, aber rühmenswerth ist ebenso die edle Begeisterung für die durch ihn vertretene Sache, wie die tüchtige Kenntniß, mit der er seine Sätze belegt. Die Schrift ist Philipp von Hessen gewidmet, der nun auch durch zahlreiche Epigramme gefeiert wird. Bald trat C. zu diesem Fürsten in ein näheres Verhältniß, da er durch ihn an die neubegründete Marburger Universität berufen ward. Hier verblieb er als Arzt und Professor von 1527–34, reich beschäftigt durch die Praxis und im anregenden Verkehr mit seinen Collegen H. v. d. Busche, Schnepf, Lonicerus, mit Niger und Nigidius u. a. Sie alle hat er in seinen Gedichten gepriesen. Hier vornehmlich trieb er seine mit Anlegung eines Gartens und Excursionen verbundenen botanischen Studien, die ihm sogar die Abfassung eines großen Werkes über Pflanzenkunde nahelegten, ein Plan, der nur durch das Erscheinen des Brunfels’schen Buches unterblieb. Hier schrieb er auch 1529 aus Anlaß einer Seuche seine Schrift, „Wie man sich vor der neuen Plage, der Englische Schwaiß[WS 2] genannt, bewaren und so man damit ergriffen wirt, darinnen halten soll“. – So angenehm der Anfang seines Marburger Aufenthaltes gewesen, so wenig erfreulich waren die Erfahrungen der letzten Jahre für C. Weiterungen mit Collegen, Streitigkeiten mit den Aerzten des alten sog. arabischen Systems, die den Hippokratiker haßten und verspotteten, verbitterten seine Tage, die auch noch durch Kränklichkeit getrübt wurden; seine überreizte Natur sah überall Intriguen und vergalt die wirklichen oder auch bloß vermutheten mit den stachlichsten Versen. So ließ ihn denn auch der Hof fallen, als er um seine Entlassung bat. – Und aufs neue macht er sich nun auf die Wanderung nach – Bremen, wohin man ihn als Stadtarzt und Lehrer am Gymnasium berief. Hier fand der Vielgeprüfte endlich einen sicheren Hafen: gute Einkünfte und freundliche Gönner, aber nur kurze Zeit kam ihm diese späte Gunst des Schicksals zu Statten, denn schon 1535 starb er, noch nicht 50 Jahre alt.

Als Humanist steht C. als ein Gleicher unter Vielen, er hat als tapferer Soldat all die Schlachten gegen die Dunkelmänner redlich mitgekämpft, der Führer freilich ist er keiner gewesen; als Dichter steht er durch Geist und Schärfe, Phantasie und Form unter den Ersten. Am bedeutendsten scheint er mir aber als Mediciner und Botaniker. In dieser Richtung sind außer seinem „Libellus de Pseudotheriaca“, dem Buche „De abusu uroscopiae“, der metrischen Uebersetzung [479] von Nikander’s „Theriaca“ und „Alexipharmaca“, vor allem das zu Köln 1534 erschienene „Botanologicon“ und das wichtige oft übersehene Buch „De urinis“ (revisus a Joh. Dryandro, Frkf. 1543, auch deutsch) zu nennen. Das erstere enthält ein außerordentlich anziehendes Gespräch zwischen C. und einigen Freunden über beiläufig 350 Pflanzen; an der Hand des Dioscorides werden zahlreiche landläufige Irrthümer aufgedeckt. Das „Botanologicon“ ist der „erste Versuch zu einer von streng kritischen Grundsätzen geleiteten Bearbeitung der Pflanzenkunde in Deutschland“ und sollte deshalb in der Geschichte der botanischen Wissenschaft nicht übergangen werden. Sein Sohn Valerius hat des Vaters Anregungen auf diesem Gebiete verfolgt. Besonders eingreifend wirkte aber C. als Mediciner gegen Aberglauben, Schwindel und Unkenntniß. Aerzte und Curpfuscher, Apotheker und Patienten kommen in seinen Schriften gleich übel weg. Freilich die medicinische Wissenschaft begann damals erst in Deutschland ihre ersten Keime zu zeigen, trotzdem ist leider vieles auf die Betrügerei gewisser alles versprechender ärztlicher Schwindler und die Leichtgläubigkeit und Dummheit des Publicums bezügliche auch jetzt noch völlig zutreffend. Namentlich in der Schrift „De urinis“ macht C. auf Hippokrates und Galenus gestützt, den unwissenden Aerzten und Quacksalbern aufs glücklichste den Krieg. In der derbsten Weise werden die „Barbierer, die Pfaffen, der Frauen liebste Aerzte und vornehmlich die Juden“, von denen er ergötzliche Reclame- und Betrugsgeschichten erzählt („überaus listige buben und unverschempte trugner … die keinem christen guts günnen“) mitgenommen. Drei Dinge, sagt C., müsse der Arzt wissen: den Leib, die Krankheit und das „damit man arztet“, C. denkt hoch vom Berufe des Arztes, „der Arzt soll nicht großsprechen und nicht leichtlich thun", er vertheidigt denn auch die Hoheit seines Berufes gegen die, welche ihn schänden. „Wie kompts, ruft er da wol aus, „falsche Münzer, die doch das Volk allein umbs schnöde Gelt betriegen, verbrennt man. Diser Buben aber so leut beyde umb das Gelt und leben bringen, lest man nicht allein frei handtlen … halt sie in groß Ehren u. s. w.“. So eifert er denn auch gegen die Vermengung der Astrologie und Magie mit der Medicin und seufzt über das Volk, das stets betrogen sein wolle. – Ein tiefes Gefühl für die Wahrheit, ein heiliger Zorn gegen die Lüge, den Betrug, die Heuchelei und den Aberglauben, eine reine Begeisterung für Vaterland und Wissenschaft erfüllt alle Schriften Cordus’; sie werden trotz des der Zeit eigenen Cultus des Grobianus und trotz aller Uebertreibungen nicht verfehlen, uns für seine Persönlichkeit einzunehmen und das entschuldigende Urtheil seines Freundes J. Camerarius (Vita Eobani p. 18) auch zu dem unsrigen machen. Die gesammelten poetischen Werke des Euricius C. erschienen unter dem Titel: „„E. Cordi Simesusii Germani, Poetae lepidissimi opera poetica omnia“ 8°. s. l. e. a. und wiederum von H. Meibom u. d. T.: „Euricii Cordi Simesusii, Hessi, opera poetica quotquot exstant, antehac ab auctore, nunc vero postquam diu a multis desiderata fuere, denuo luci data cura Henrici Meibomii, poetae et historici. Qui et vitam Cordi praefixit.“ Helmaestadii 1616.

Vgl. C. Krause, Euricius Cordus im Programme des Gymnasiums zu Hanau. Hanau 1863. Kampschulte, Univ. Erfurt. Trier 1858.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. lies: Neuem Teutschen Mercur
  2. Englischer Schweiß, bis heute rätselhafte, meist tödlich verlaufende Epidemie in England