ADB:Lonicerus, Johannes

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Artikel „Lonicerus, Johannes“ von Adalbert Horawitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 158–163, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lonicerus,_Johannes&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 16:32 Uhr UTC)
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Lonicerus: Johannes L., Philolog und Theolog, war um 1499 zu Artern im Mansfeldschen geboren. Sein Stiefvater wollte einen Handwerker aus ihm machen, doch L. begab sich nach Eisleben, um daselbst, ohne auf elterliche Unterstützung Anspruch zu machen, zu studiren. Durch Noth, Kummer und Beschwerden aller Art rang sich der Jüngling hindurch, er zog nach Erfurt, von da nach Wittenberg, wo er Augustiner wurde und an Luther und Melanchthon warme Gönner fand. Der letztere und Joach. Camerarius verwendeten ihn auch als Collaborator bei ihren griechischen Editionen. Am 24. Januar 1521 wurde er Magister zu Wittenberg. Durch Thomas Blaurer an Philipp Engentinus empfohlen, erlangte er wirklich durch diesen die Möglichkeit, an der Freiburger Universität hebräisch lehren zu können. Doch wurde er daselbst in kurzer Zeit verdächtig, einen beleidigenden Anschlag gegen die Franziscaner an die Münsterthüre angeheftet zu haben, der Stadtrath war darüber so erregt, daß er sich äußerte: Wenn wir den Schuldigen kennten, würden wir ihn verbrennen, selbst wenn er ein Doctor wäre. L. wich also nach Eßlingen und begab sich später (1523) nach Straßburg, wo er vier Jahre verblieb. Besonders war es Gerbel, mit dem er hier verkehrte; sowol in Schurers Officin wurde er beschäftigt, als er auch thätig war, Versionen der lutherischen Schriften in die lateinische Sprache vorzunehmen, um die Lectüre derselben in Frankreich zu ermöglichen. – Aber auch in Köpfel’s Officin hat er gearbeitet und daneben wissenschaftliche Vorlesungen gehalten, dort besorgte er die Handausgabe der alexandrinischen Uebersetzung des Alten Testaments. 1524 heirathete er daselbst die Tochter eines Bürgers und folgte dem Rufe Landgrafs Philipp von Hessen, der ihn als Professor an die 1527 (April) eröffnete Universität Marburg und zwar für die griechische Sprache berief. 1536, nach Sebastian Nautzenus Tode, erhielt [159] er auch die Professur des Hebräischen. Berufungen nach Lüneburg und Mansfeld schlug er aus, weil seine finanziellen Verhältnisse in Marburg sich gebessert hatten, 1564 (15. Mai) erhielt er die theologische Doctorwürde. Am 20. Juni 1569 starb er und hinterließ fünf Söhne (Adam, Philipp, Prediger zu Friedberg, Heinrich Theophilus, Thrasybulus, Johannes). Adam wurde Botaniker, von ihm hat das Geißblatt (Lonicera) den Namen. Johann L. wendete sich, wie der Vater, zur Poesie; auch er hat, wie der Vater, ein Trauergedicht auf den Tod Eoban Hesse’s geschrieben, der sich einst als Lonicerus’ Verbleib in Marburg in Frage stand, für diesen eingesetzt hatte. (L. blieb mit Luther in steter Verbindung, wovon mehrere Briefe Zeugniß geben.) Die „Historia de morte et cruce“, welche (Frankfurt, Egenolph, 1552) erschien und im elegischen Versmaß behandelt ist, gehört nicht dem Vater, sondern Johannes dem Sohne an, der Vater spendete dazu nur eine Ode Sapphica in Christi Dei Nativitatis gloriam. 1520 schon polemisirte L. – wie Justus Jonas gegen Faber – auf Geheiß Luther’s, der sich mit dem „Esel“ nicht befassen wollte, wie der Titel des Schriftchens näher besagt „Contra Romanistam fratrem Augustinum Alveldensem, Franciscanum Lipsicum Canonis Biblici publicum lictorem et tortorem eiusdem“. Auf dem Titelblatte nennt sich L. Augustinianus. Das Büchlein hat die Datirung Wittenbergae apud Collegium Novum, ist dem Prior der Augustiner, Caspar Guttell gewidmet, und zeigt, daß L. im Mai 1520 noch Augustiner in Wittenberg war; er nennt auch Luther ausdrücklich seinen Lehrer. In dem Vorworte an die frommen Leser erklärt er seine Kühnheit, die es gewagt, daß er, ein Jüngling gegen einen Mann, er, der Diacon gegen einen Priester, er, der Hörer des Psalter, gegen einen Professor geschrieben mit den Worten: „Quis … aut infans aut balbus puer tam ineptissimo non audeat autori respondere“. Im Verlaufe verspottet er den Autor, der weder Grammatik noch Theologie verstehe und rechnet ihn fortwährend geißelnd zu den „Magistri nostri“, welche nach dem Mammotrectus „sciunt componere“. In einer eigenen „Protestatio“ verwahrt er sich dagegen, als ob er damit Stadt und Universität Leipzig angreifen wollte, es wäre ihm lieber gewesen, wenn Luther die Bestie angegriffen hätte, aber der habe mit Eck zu thun. Die Ausfälle, die nun gegen diesen und Emser folgen, sind im Stile des damaligen Litteraturpatrons des h. Grobianus gehalten, dabei liebt er es, in Wortspielen sich zu versuchen (z. B. furias chori = furias cordis). Er verwahrt sich auch dagegen, als ob er gegen den Franciscanerorden etwas vorhabe, dessen ehrwürdiges Mitglied Konrad Pellicanus in Basel Luther sehr freundlich gesinnt sei, nur mit dem einen Ischariot, dem Alveld, habe er es zu thun. – Der junge Kämpe focht mit „seines“ Luther’s Waffen, hier und da prunkt er auch mit classischer Gelehrsamkeit, ungefüge Grobheit und treffender Witz wechseln mit einander in der Weise, wie man damals Controversen führte; in dialogischer, dramatisch belebter Form geht auch diese frische Schrift einher. Daß Huß Unrecht geschehen und das Constanzer Concil in manchem geirrt, spricht L. mit Entschiedenheit aus. – Später in Straßburg nahm L. aufs neue die theologische Schriftstellerei auf. Er ließ u. a. bei Wolf Cephalaeus (Köpflin) 1526 ein, wie es scheint, vielbegehrtes Buch erscheinen, das den Titel führt: „ΤΗΣ ΘΕΙΑΣ ΓΡΑΦΗΣ ΠΑΛΑΙΑΣ ΔΗΛΑΔΗ ΚΑΙ ΝΕΑΣ ΑΠΑΝΤΑ: Divinae scripturae veteris novaeque omnia.“ Die Praefatio an den christlichen Leser ist ein lebhafter Panegyricus auf das Gotteswort; er vergleicht darin Pindar und Homer mit der hl. Schrift, die Alles weitaus überträfe. In der Eintheilung und Anordnung sei er Luther gefolgt, „unum illum et praestantissimum sacrarum literarum PHOENICEM.“ Die Apokryphen gibt [160] er am Schlusse; er hat übrigens auch die Aldina herangezogen und bemerkt: ex vetustissimis in Graecia scriptis biblis ἰωσίππου liber de Machabaeis, qui hactenus non est excusus. – Immer mehr tritt bei L. die Lust am Uebersetzen hervor; von seinen Versionen wird eine Reihe genannt und näher besprochen werden. Die um 1528 (Basel, Cratander) erschienene Pindarübersetzung ist dem hessischen Hofprediger M. Adamus gewidmet; mit der prosaischen Version des so „keuschen und frommen Poeten“ verband er ästhetische und ethische Zwecke, sie war vornehmlich für die Jugend bestimmt. Auch der bedeutendste Theologe, meinte L., könne diesen Dichter lesen. Er läßt es nicht an Lob für seinen geliebten „vates“ fehlen; daß er ihn in Prosa übertragen, entschuldigt er mit dem Vorgange Valla’s und Volaterranus’ bei ihrer Homerübersetzung. Schließlich macht er Aussicht auf Pindarscholien, durch die er Alles erklären werde. Er hält viel auf diesen Poeten: ut enim semper de diis, heroibus, principibus, victoribus canit, ita gravibus verbis antiquisque sententiis undique abundat, ut plane grandiloquentiae exemplum nobis in propatulo per ipsum exhibeatur. Am Rande gab L. schon in dieser Ausgabe einzelne kleine erklärende Bemerkungen über Eigennamen, Wort- und Sacherklärungen. Vom Isokrates erschien die lateinische Uebersetzung Lonicers 1529 bei Cratander in Basel unter dem Titel „I. Atheniensis …. Orationes. Ejusdem vita ex Plutarcho, Philostrato et Dionysio Halicarnaseo“. Es sind 21 Reden mit einem stattlichen Index und einer Dedication an Philipp, Landgrafen von Hessen, in der dieser in würdiger Weise für die Gründung der Marburger Universität gerühmt wird. Am Schlusse findet es L. nöthig, sich deshalb zu rechtfertigen, daß er einem christlichen Fürsten einen heidnischen Schriftsteller widme. In der Bibel sagt er, suchen wir Christus, „extremos mores adeoque Reipublicae administrationem vel ἐκ τῶν ἀπίστων sumi posse nemo inficias ibit. Atque utinam plerique Christianorum Isocraticas plerasque praeceptiones memoria tenerent, moribus exprimerent“. Nicander’s Veteris poetae et medici Theriaca et Alexipharmaca cum scholiis (Coloniae opera Joan. Soteris 1531) sind dem Kanzler des Landgrafen von Hessen, Johann Ficinus von Liechtenau, dem Patron der Marburger Universität gewidmet. Auf Wunsch Soter’s hat L. die Uebertragung begonnen, er ruft des Kanzlers Mäcenatenthum an, und fügt Aussprüche und Verse der Alten (auch ex Suda!) über Nicander hinzu. Er selbst bewundert den Inhalt, der in die Natur so einblicken läßt, aber auch die Ausschmückungen: „Atque ista omnia dii boni quam insignibus tum historicis tum fabulis saepe dilatat amplificat exornat“. Es wird Allen gefallen, (qui naturae arcana tam graphice depicta in Nicandro perspicient. Auch für Theologen ist das Buch von Bedeutung, das wol über den Dioscorides zu setzen ist. Eben aus diesem und dem Plinius, Oribasius, Apulejus von Madaura, Homer, Theokrit und Pindar hat er Noten hinzugefügt. L. spricht es sodann aus, der Zeitersparniß wegen habe er den Dichter prosaisch übertragen, ein Dichter solle dies einmal poetisch thun. Mitten unter den Alexipharmaca findet sich ein Gedicht des Euricius Cordus, des Aesculap und Chiron von Marburg (S. 87), wie auch eines von R. Hadamar ad Lectorem vorausgeht. 1533 erschien bei Herwagen in Basel seine Uebersetzung des Ajax sammt Hymnen des Callimachus und Cyrenäus. Das Sophokleische Stück bietet Text und gegenüberstehende lateinische Uebersetzung, die allerdings nicht hochpoetisch genannt werden kann. Es ist dem Abte von Fulda, Johann Grafen von Henneberg, gewidmet, dem er in beweglicher Weise den Verfall der schönen Studien und das Ueberhandnehmen amusischer Menschen, die Rohheit des Adels klagt. Die auffallende Widmung des Evangelischen an einen katholischen Kirchenfürsten erklärt L. durch die Angabe, sein [161] College Nicolaus Asclepius habe ihm die ausgezeichnete Liebe des Abtes zu den schönen Wissenschaften geschildert; sei der Stoff seiner Version auch ein profaner, so enthalte er doch gar fromme Sprüche und gute Lehren für die Jugend. Die Hymnen sammt einem „Genethliacon divo Vilhelmo iuniori Cattorum principi“ sind Jacob Lersner gewidmet. Das letztere (in Distichen) ist nicht besser und schlechter, als alle diese Lesefrüchte von gelehrten Männern, die ohne Dichter zu sein, classische Reminiscenzen und Phrasen in mehr oder minder correctem Metrum zusammenfügen. Panegyrisch wird neben dem Fürstengeschlechte auch Marburg gepriesen. – In das J. 1534 fällt: „Theophylacti Bulgariae Archiepiscopi in Habacuc etc. enarrationes, iam primum in lucem aeditae, interprete J. L.“ bei M. Eisengrein und J. Bebel. In der Dedicationsepistel an Ludwig Hörlen, Pfarrer in Frankenberg, liefert L. Angaben über Theophylactus und lobt den Bibliothekar Angelo von Lucca in Venedig, der nicht so wie andere Bibliothekare diesen Schatz verheimlicht und mit Nacht bedeckt habe. Auch auf dem Gebiete der grammatischen Litteratur versuchte sich L. 1536 erschien bei Egenolf in Marburg „Graecae Grammaticae methodus“, die 1540 und 1551 abermals Auflagen erlebte. Die zweite Auflage berücksichtigt besonders die Syntax. Der Panegyriker des Werkes, Reinhard Hadamar, wies auf die große Anzahl der Grammatiken hin, von denen die einen zu knapp, die anderen zu ausführlich seien, aus ihnen habe nun L. einen Auszug zu keinem anderen Zwecke, als zum Nutzen der studirenden Jugend gemacht. Das Werk wird dann durch einen in griechischen Distichen gehaltenen Dialog zwischen dem Anagnostes (Leser) und Leontonikes (L.) eingeleitet, in dem derselbe Gedanke, den er auch in der Dedication an seinen Freund, den Jur. Dr., et homo trilinguis Sebastian Augustus, den Professor des Hebräischen, ausspricht, wiederkehrt. Knappere Zusammenfassung und klare Auseinandersetzungen lassen sich dem Lehrbuche des L. nicht bestreiten, besonders das Verbum ist eingehend behandelt, die Syntax mit reichlichen Beispielen aus Prosaikern (Thukydides, Plato, Demosthenes etc.) und Poeten (Homer und die Tragiker) versehen. Am Schlusse der Syntax verweist er auf Gaza und Constantin Laskaris, „obwol es für den Tiro dieser Sprache genügen könne“ und spricht das vortreffliche Wort aus: „Cetera enim bonorum autorem lectione, cum usu tum exercitatione potius discuntur, quam adeo prolixis Grammaticorum regulis“. Es folgen sodann einige Lesestücke, die bekannten consecratio mensae, gratiarum actio und ein Brief des Gregor an Celeusius. 1537 erschien zu Basel bei Robert Winter „Veteris cuiuspiam Theologi Graeci succincta in D. Pauli ad Romanos epistolam Exegesis“ in der durch Oporinus veranlaßten lateinischen Uebersetzung Lonicerus’ mit einer Widmung an Gerhard Noviomagus. Es ist ein ungemein notenreiches Buch, die Anmerkungen überwiegen den Text. Von Lonicerus’ theologischen Uebersetzungen hielt übrigens Bucer nicht viel; er bestritt ihm das rechte Verständniß. Eine lateinische Uebersetzung erschien 1537 unter dem Titel „Demosthenis Oratio de Classibus“ etc. sammt griechischem Text (Basel, bei Robert Winter). Sie ist dem Peter Nigidius, dem Rector des Marburger Gymnasiums, gewidmet, aus Vorlesungen entstanden und mit Marginalnoten versehen. Die Version war wegen der vielen Ausdrücke, die sich auf Krieg und Seewesen beziehen, ziemlich schwierig. L. meint aber, dasselbe thun zu dürfen, was andere gethan, die erst wenig Zeit dem Griechischen gewidmet. Zwischen Uebersetzung und Text ist ein weitläufiges „Philosophiae Encomium“ eingefügt, das er bei der Zutheilung des Magisteriums an Jodocus Chimerinus, Antonius Corvinus und Johannes Kymäus gehalten, wobei es an Citaten und panegyrischen Bemerkungen für die Philosophie nicht fehlt, auch biographische Daten über die Genannten gegeben werden. 1540 erschien [162] zu Marburg bei Christ. Egenolf : „Librorum Aristotelis de Physica auscultatione, de Generatione et corruptione, de longitudine et brevitate vitae, de vita et morte animalium, de anima Compendium“ mit dem Motto: πάντα ἀνθρώπινα πράγματα κύκλος. Es war dem Professor der Dialektik und Decan der artistischen Facultät zu Marburg, Caspar Rudolph, gewidmet, der diese aus Vorlesungen an der Universität (1536) entstandene Arbeit publicirt wünschte. Sein Werk soll, wie er in der Dedicationsepistel sagt, den schwer zu beschaffenden griechischen Aristoteles ersetzen, der übrigens ja auch allzu weitläufig ist. Denn so sehr L. die hohe propädeutische Bedeutung der Philosophie für alle Berufsfächer (in Iatrice, Nomice vel Theologice) betont, bemerkt er doch, die Jugend habe nicht die Zeit, viele Jahre der Physik zu widmen … alius scopus, alius finis est, nimirum Christus et Evangelium, cui sunt addicti. Freilich versteht sich auch die Vorbereitung in den schönen Wissenschaften von selbst, si enim Grammatices, Dialectices, Rhetorices, Philosophiae ignara sit, quid obsecro in sacris adsequetur? Durch seine Schrift will er den griechischen Aristoteles nicht aus den Händen der Jugend nehmen, sondern bewirken, „ut hac veluti Isagoge Aristotelis physiologicos libros melius intelligere discat“. L. eröffnet sein Werk mit einem „Encomium Philosophiae Naturalis“, in dessen Eingang er über den Mangel an Theilnahme an der Philosophie klagt, wie er sich bei den Studierenden zeige. Hierauf wendet er sich ziemlich breitspurig zum Lobe der Philosophie, deren Begriff er mit Cicero’s Ausdruck divinarum et humanarum rerum cognitio bestimmt, deren Eintheilung und Geschichte er bespricht. Dabei rühmt er vorzüglich die Naturphilosophie (φυσιολογίαν), die Sokrates durch seine Ethik abgeschwächt habe, „ut non adeo in precio fuerit“, die aber von Aristoteles wieder hergestellt und gestärkt worden sei. Gut ist die Bemerkung, die Philosophie sei dem Menschen so eingeboren, daß schon Adam der erste Philosoph gewesen sei. Und zwar der erste Naturphilosoph, das habe er erwiesen durch die Unterscheidung und Benennung aller Wesen. Wir stehen darin Adam nach, die wir nichts definiren und beurtheilen können, „cuius idea iam antea menti nostrae impressa non fuerit“. Die Physiologie aber hat göttlichen Ursprung, deshalb sollen die Schüler sie eifrigst betreiben, aber auch wegen ihrer Wirkungen auf Charakter und Wissen. Seitenhiebe fallen dabei ab auf Gesandte, Verächter der schönen Künste auf „purpuratum aliquem avarum legisperitum vel amusum negotiatorem“. L. faßt die Physik im allerweitesten Sinne als Naturlehre, zu der auch die Medicin gehöre. Lebhaft betont er den Nutzen, der sich aus dem griechischen Texte des Aristoteles für dessen Verständniß ergebe und kennt genau den Unterschied zwischen der Auffassung und Benützung desselben in den „barbara secula“ und seiner Zeit, wobei er die treffende Bemerkung macht, früher habe man trotz des verderbten Textes den großen Philosophen nicht ohne Nutzen studirt, „nostra vero iuventus, quum possit optimorum praeceptorum beneficio hodie plurimum assequi, torpet, hiat, ignava est“ etc. Ganz hübsch ist die Betrachtung des Verhältnisses, in dem die Physik zur Ethik steht, vortrefflich aber die wahrhaft große Erfassung der Einheit aller Wissenschaft und die Aufforderung an die Pfleger aller Disciplinen einander brüderlich zu unterstützen. Auch die Lehren, in denen er schließlich der Jugend die Wege weist, sind didaktisch nicht unbedeutend, selbstverständlich soll auch die Beschäftigung mit der Philosophie das Eine, das noth thut, erzeugen: die Liebe zu Gott. – Die Bearbeitung ist sehr frei, mitten drinnen finden sich Erklärungen, historische Notizen, auch Gedichte, z. B. des Euricius Cordus. – 1540 erschien die sogen. Nikomachische Ethik in ähnlicher Bearbeitung, die er mit einer griechisch geschriebenen Dedicationsepistel eröffnete, in der er erklärt, daß er nur um den Nutzen der Jugend dieser Arbeit sich unterzogen habe. Aus [163] demselben Jahre stammt „Theophylacti Bulgariae Archiepiscopi in omnes divi Pauli Apostoli Enarrationes iam recens ex vetustissimo archetypo Graeco per D. J. L. fidelissime in Latinum conversae“. „Ad haec eiusdem Theophylacti in aliquot Prophetas minores compendiaria explanatio eodem J. L. interprete. Cum Indice copiosissimo“. Basileae, Cratander, fol. Das Werk ist dem König Christian von Dänemark gewidmet; in der 1538 datirten Dedicationsepistel meint er versichern zu können, daß sein Vorgänger in der Uebersetzung der „Enarrationes in Pauli epistolas“, Porsena aus Rom Vieles ausgelassen und falsch übersetzt habe, was ein jeder bemerken müsse, der jene Version mit dem griechischen Original zusammenhalte; in der Uebersetzung der „Explanatio in prophetas quatuor“ sei er wol der Erste, der dies Werk gewagt. Diese Uebersetzung erschien ohne Dedication 1548 (in Duodez) in Paris (de Marnes). 1543 lieferte L. für die bei Egenolf in Marburg erscheinende Ruellische Version des Dioscorides von Walter Ryff Scholien „cum nomenclaturis Graecis Latinis Hebraicis et Germanicis“. Die sehr umfangreiche Schrift ist dem Verleger gewidmet, mit dem er schon in Straßburg befreundet war. Im Hinblick auf den Augeiasstall der medicinischen Litteratur, der durch die barbarischen Interpreten der Araber entstanden sei, verweist L. auf Hippokrates, Galenus und den von letzterem so sehr gelobten Dioscorides. In der Vorrede spricht sich L. auch gegen die Emendationen aus, die ohne Zugrundelegung neuer Handschriften am Texte des Dioscorides gemacht würden. 1548 schloß er das zu Basel erschienene Büchlein „Lycurgi adversus Leocratem Oratio, nunc primum in lucem edita J. L. interprete“ ab, das er dem Grafen Reinhard von Isenburg, einem tüchtigen Gräcisten und Bibliophilen widmete. Er habe diese Rede „plenam priscae eloquentiae, fidei et masculae virtutis“ vor zwei Jahren auf Antrieb des Justinus Gobler (der die Rede des Demosthenes vom Frieden dieser Edition beifügte) übersetzt. Charakteristisch sind folgende Bemerkungen: „Neque enim hic vel gloriolae fumum aucupor, sed quidam in plateis publicis gloriosuli Thrasones, neque predae inhio, ut nonnulli vultures. Quod si Musae meae Charites tuae arriserint, factus sum compos voti“. „Erotemata in Galeni de usu partium in Hominis corpore ll. XVII.“ edirte L. bei Egenolf in Frankfurt um 1550. L. geht von der richtigen Ansicht aus, daß jeder Mensch über seinen Körper belehrt sein sollte, nennt die Aerzte Naturphilosophen und behauptet, daß er nur die Naturphilosophen nennen könne, welche auch Aerzte seien. Ueber die Anlage seines Buches sagt er: „Quod quum Galenus in his libris absolutissime tradat, visum est mihi eos in Erotemata redigere, in quibus praecipua attingerem, quae in hisce teraderentur“. L. findet in Galen mehr solide Philosophie, als in des Aristoteles Büchern über Naturlehre. Aber auch Gottes Größe könne man daraus recht erkennen lernen; kurz in beinahe überschwenglicher Weise wird Galen anempfohlen und gepriesen. Darauf folgen Index, eine kurze „Vita G.“, griechische Verse Lonicerus’. Als Anhang zu dieser lateinischen Schrift sind vier Bücher de Meteoris gegeben, ein Gegenstand, den L. schon einmal (1537) bei einem akademischen Festact erwähnte. Die Schrift ist dem Candidaten der Medicin Johann Lebenstein (Löwenstein?) gewidmet, auch diese Arbeit ist die Frucht von Vorlesungen und eine Zusammenstellung von Stellen aus Aristoteles, Plinius und Pontanus. Ein griechisches und ein lateinisches Gedicht Lonicerus’ führen das instructiv angelegte Buch ein.

Ueber Lonicerus vgl. Strieder, Hessische Gelehrtengeschichte, in welcher ein Verzeichniß der Schriften Lonicerus’ gegeben ist. Die Correspondenz mit Luther siehe bei De Wette. Ein unbedeutender griechischer Brief Lonicerus’ an Johann Lange befindet sich in der Camerariana in München.