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ADB:Nägeli, Carl von

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Artikel „Nägeli, Karl Wilhelm von“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 573–582, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:N%C3%A4geli,_Carl_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:43 Uhr UTC)
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Nägeli: Karl Wilhelm von N., Botaniker, geboren am 27. März 1817 zu Kilchberg bei Zürich, † zu München am 10. Mai 1891. – Nägeli’s Vater, Caspar, Landarzt und später Erziehungs- und Regierungsrath, war Mitbegründer einer Privatelementarschule, auf welcher der Sohn den ersten Unterricht empfing, den er dann auf dem Züricher Gymnasium fortsetzte. Ostern 1836 bezog Wilhelm N. die neugegründete Universität Zürich, um dem väterlichen Wunsche folgend zunächst Medicin zu studiren. Aber schon während der ersten Studienjahre reifte in ihm der Entschluß, sich ganz den Naturwissenschaften zu widmen und so ging N. im Frühjahr 1839 nach Genf, um vor allem A. Pyr. Dekandolle zu hören. Er wandte sich mit Eifer der theoretischen und praktischen Botanik zu und erlangte auf Grund seiner Promotionsschrift: „Die Cirsien der Schweiz“, die er seinem Lehrer Oswald Heer gewidmet hatte, am 8. Mai 1840 die Würde eines Dr. phil. Das Wirken Hegel’s zog ihn im folgenden Sommer nach Berlin. Aber dem Geistesfluge dieses Philosophen vermochte er nicht zu folgen. Wie er selbst angibt, konnte er „in den vorgetragenen Abstraktionen mit dem besten Willen nichts Verständliches und Vernünftiges finden“, denn es versagte ihm „ein strenger Realismus, der eine Verallgemeinerung nur dann begriff, wenn sie an concreten Beispielen klar gemacht werden konnte, jedes Verständniß für metaphysische Dinge“. Daher ging N. nach Jena, um unter Schleiden’s Leitung praktische Mikroscopie zu treiben. Hier blieb er anderthalb Jahre, ohne indessen für seine wissenschaftliche Vertiefung viel zu gewinnen, da seine strenge Methodik der weniger ernsten Lehrweise seines Lehrers bald überlegen wurde. Doch gab der Aufenthalt in Jena die Veranlassung zur Gründung der von ihm und Schleiden später herausgegebenen „Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik“. Eine im Frühjahr 1842 mit seinem Freunde Köllicker[WS 1], dem späteren Würzburger Anatomen, unternommene Reise nach Italien schloß Nägeli’s eigentliche Studienzeit ab. In demselben Jahre habilitirte er sich in Zürich als Privatdocent und wurde Lehrer an der dortigen Thierarzneischule. Nach seiner Verheirathung im J. 1845 besuchte er die Südwestküste Englands, von wo er reiches Material für seine späteren algologischen Arbeiten heimbrachte. Nach Ablehnung einer Berufung nach Gießen wurde N. 1848 außerordentlicher Professor in Zürich, übernahm aber schon vier Jahre später das Ordinariat für Botanik an der Universität Freiburg i. Br., deren medicinische Facultät ihn am 5. December 1854 zu ihrem Ehrendoctor ernannte. Die Zeit des Freiburger Aufenthaltes war für N. nach der wissenschaftlichen wie der rein menschlichen Seite hin eine der erfreulichsten seines Lebens. Es fallen in dieselbe ein großer Theil der Arbeiten, die er später in den mit Cramer zusammen herausgegebenen „Pflanzenphysiologischen Untersuchungen“ veröffentlichte, sowie die Vorstudien zu dem großen Werke über die Stärkekörner. [574] Außerdem trug die landschaftliche Schönheit der Gegend und eine angenehme Geselligkeit wesentlich zur Behaglichkeit seines Daseins bei. Doch nur drei Jahre währte sein Aufenthalt daselbst. Schon 1855 folgte er dem Rufe seines Heimathlandes als ordentlicher Professor der Botanik an das neugegründete Polytechnikum in Zürich. Unter ungünstigen Auspicien erfolgte seine Uebersiedlung dahin. An demselben Tage, an dem sie stattfand, starb seine ihm überaus theure Mutter und später zwang ihn ein schweres Augenleiden, für einige Zeit seine wissenschaftliche Thätigkeit ganz einzustellen. Glücklicherweise wurde es ohne bleibenden Nachtheil für ihn in nicht zu langer Zeit gehoben.

Im Sommer 1857 erfolgte Nägeli’s Berufung nach München, wo er von nun an bis an sein Lebensende in reich gesegneter Wirksamkeit verblieb. Nach einiger Zeit der Unruhe, veranlaßt durch Reisen nach Petersburg und Paris, die er im Auftrage der Regierung behufs Organisation eines neuen botanischen Instituts unternahm, folgte eine gegen dreißig Jahre währende Periode ungestörten wissenschaftlichen Wirkens, für das ihm auch die Anerkennung nicht versagt geblieben ist. In der Verleihung des Adelstitels, in seiner Berufung zum Mitgliede und Ehrenmitgliede der bedeutendsten wissenschaftlichen Körperschaften, sowie in der Uebertragung seines Namens auf einige Pflanzengattungen fand dieselbe ein äußeres Zeichen ihrer Bethätigung. Abgesehen von regelmäßigen Ausflügen in die Alpen während der Herbstferien, hat N. auf längere Zeit hin München wol kaum verlassen. Ueberdies nöthigte ihn sein schwächlicher Gesundheitszustand zu manchen Einschränkungen in der Lebensweise. Doch hielt er sich bei zäher Willenskraft leidlich kräftig bis zu seinem 60. Lebensjahre. Da stellten sich Störungen im Nervensystem ein, die ihn zwar nur zeitweise von seiner angestrengten Thätigkeit abhielten, dennoch aber infolge wiederholten Auftretens gegen Ende der 80er Jahre zum vollen Verzicht auf seine Lehrthätigkeit zwangen. Ein Influenzaanfall im Winter 1889/90 zehrte vollends die Kräfte auf und veranlaßte ihn zu einem Aufenthalte an der Riviera während des folgenden Winters. Scheinbar gekräftigt kehrte er im April 1891 nach München zurück; allein kurz nachdem ihm aus Anlaß seines fünfzigjährigen Doctorjubiläums von der gelehrten Welt großartige Huldigungen zu Theil geworden waren, überfiel ihn eine neue Erkrankung, die ihn schon nach wenigen Tagen im 74. Lebensjahre dahinraffte.

Ein schlichtes, nach außen hin geräuschlos verlaufenes Gelehrtenleben fand damit seinen Abschluß. Tief aber waren die Spuren, die seine geistige Wirksamkeit in der Wissenschaft hinterließ. N. gehörte zu den führenden Geistern in der Botanik. Durch die Vielseitigkeit seines Wissens, die strenge Forschungsmethode und sein kritisches Urtheil steht er unter den Naturforschern des 19. Jahrhunderts in erster Reihe. Ein berufener Beurtheiler der geistigen Eigenart Nägeli’s, sein Schüler und späterer Assistent Prof. Schwendener[WS 2] in Berlin, hebt in einem seinem Lehrer gewidmeten Nachruf (siehe Litteratur) folgende charakteristische Seiten in seinen Schriften hervor: den streng mathematischen Zug, die logische Schärfe des Gedankenganges und die Neigung zu naturphilosophischer Speculation. In der That muthet es sonderbar an, in botanischen Schriften, wie beispielsweise in Nägeli’s Buch über die Stärkekörner, in seinen Aufsätzen über Scheitelwachsthum, über Bastardirung u. a. einer solchen Fülle von algebraischen Formeln zu begegnen. Er empfand eben das Bedürfniß, alle Dinge nach Maß und Zahl und nach ihrer Lage im Raum zu begreifen und darzustellen. Natürlich kam es ihm dabei zunächst auf sichere Erkennung des Thatsächlichen an als Grundlage für seine Rechnung. [575] Selbst ein Meister in der Handhabung des Mikroscops, verstand er es, auch bei seinen Schülern den Sinn zu schärfen und sie zu selbstthätiger Fragestellung an das Object zu veranlassen. Die logische Verknüpfung der thatsächlichen Vorgänge verleihen allen Schriften Nägeli’s die überzeugende Kraft, die sie auf den Leser ausüben, wie sie sich in seinem großen Werke über die Theorie der Abstammung, sowie in seiner Gärungstheorie besonders deutlich ausspricht. Allen Forschungsfragen voran aber stellte N. diejenige über das Causalitätsgesetz in den Erscheinungen der natürlichen Welt. Darin liegt der philosophische Zug, der vielen seiner Arbeiten eine universelle wissenschaftliche Bedeutung verleiht. Dem Gelehrten und Forscher gegenüber trat der Lehrer in N. etwas zurück. Zwar mangelte ihm keineswegs die Lehrgabe, denn sein Vortrag war stets klar durchdacht, fesselnd und gehaltvoll. Dennoch war die Originalität Nägeli’s nicht für Jedermann erreichbar und eine Schule im gewöhnlichen Sinne hat er trotz seines einschneidenden Einflusses auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Botanik nicht herangebildet. Dazu war schon das von ihm beherrschte Gebiet zu vielseitig und seine Anhänger zersplitterten sich auf einzelne Specialfächer. Bei dieser Vielseitigkeit des litterarischen Schaffens ist es schwer, Nägeli’s Bedeutung in einer zusammenfassenden Uebersicht der von ihm für die Wissenschaft neu gewonnenen Auffassungen und Ergebnisse zu schildern. Es mag genügen, die Hauptresultate seiner Forschung aus den gruppenweise geordneten wichtigsten Schriften hervorzuheben. Eine vollständige Uebersicht über sämmtliche Arbeiten Nägeli’s findet sich in der in der Fußnote an erster Stelle angeführten biographischen Quelle.

Eine erste Gruppe von Schriften behandelt die Entwicklungsgeschichte der Organe und Gewebe.

Während in dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die inductive Untersuchungsmethode nur auf dem Gebiete der Physik und Chemie zur Herrschaft gelangt war, wandte sie sich mit den vierziger Jahren auch dem Studium des organischen Lebens zu. N. war es, der hier Allen voranging. In einem Aufsatze vom Jahre 1844: „Ueber die gegenwärtige Aufgabe der Naturgeschichte, insbesondere der Botanik“ (Zeitschrift f. wiss. Botanik von Schleiden und Nägeli. I. Bd. 1. Heft S. 1–33; 2. Heft, 1845, S. 1–45) sprach er den Grundsatz aus, daß es nicht genüge, aus den beobachteten Erscheinungen Begriffe und Naturgesetze abzuleiten, sondern es müsse jedesmal zugleich das Ziel festgestellt werden, zu welchem die inductive Forschung hinführen soll. Da in der Natur alles Bewegung ist, wie sie im organischen Leben die Entwicklungsgeschichte darstellt, so müsse mit letzterer begonnen werden. Von dieser Anschauung aus gelangte N. zu einer neuen Theorie der Zellenbildung, welche die ältere Auffassung Schleiden’s beseitigte. Einer gründlichen Arbeit: „Zur Entwicklungsgeschichte des Pollens bei den Phanerogamen“ (Zürich 1842, 3 Tafeln), worin er zuerst den Begriff der Specialmutterzellen in die Wissenschaft einführte, folgten kleinere Abhandlungen über Hautdrüsenzellen und Spaltöffnungen von Lebermoosen, Zellenbildung an der Wurzelspitze und Bildung von Pilzsporen (Linnaea XVI, 1842, S. 237–285). Die Hauptpunkte seiner Zellenlehre aber sind enthalten in der umfangreichen Schrift: „Zellenkerne, Zellenbildung und Zellenwachsthum bei den Pflanzen“ (Zeitschr. f. wiss. Bot., I. Bd., 2. Heft, S. 34–133; 3. u. 4. Heft 1846, S. 22–93). Hierin wies N. zuerst die hervorragende Bedeutung des Protoplasmas für die Zellbildung, sowie seine stickstoffhaltige Beschaffenheit nach und gelangte zu dem Resultat, daß die Zellvermehrung im Pflanzenreich sich auf zwei verschiedenen Wegen vollziehe. Während die Reproductionszellen der meisten Pflanzen durch „freie Zellbildung“ entstehen, ist die vegetative [576] Zellbildung aller pflanzlichen Organe und bei manchen Algen und Pilzen auch die reproductive eine „wandständige“, welche heute allgemeiner als „Zelltheilung“ bezeichnet wird. Sodann zeigte N., daß die Zellhaut durch Ausscheidung stickstofffreier Moleküle aus dem Protoplasma hervorgehe. Er erkannte ferner die Gesetzmäßigkeit in dem Auftreten der Theilungswände, insofern er die Existenz der Scheitelzelle und die Hauptformen feststellte, unter denen die Segmentirung der letzteren sich vollzieht. Jene Resultate sind niedergelegt in den Arbeiten: „Caulerpa prolifera Ag“ (Zeitschr. f. wiss. Bot. 1. Heft, S. 134–167); „Wachsthumsgeschichte von „Delesseria Hypoglossum“ (ebenda 2. Heft, S. 121–137) und: „Wachsthumsgeschichte der Laub- und Lebermoose“ (ebenda S. 138–210). Das Studium der Zelle führte N. auf das der Zellcomplexe und Gewebesysteme. Unter dem Titel: „Ueber das Wachsthum des Gefäßstammes“ (ebenda 4. Heft, S. 129–152) und: „Ueber das Wachsthum und den Begriff des Blattes“ (ebenda S. 153–187) hatte N. bereits 1847 zwei Arbeiten erscheinen lassen, im Anschluß an welche er 1858 eine umfangreichere Darstellung: „Das Wachsthum des Stammes und der Wurzel bei den Gefäßkryptogamen und die Anordnung der Gefäßstränge im Stengel“ (Beiträge z. wiss. Bot. I. Heft, 19 Tafeln) veröffentlichte. Hier stellte N. eine Classifikation der Gewebeformen nach rein morphologischen Gesichtspunkten auf. Die bisher als Gefäßbündel bezeichneten Gewebestränge nannte er, da sie durchaus nicht bloß Gefäße enthalten, Fibrovasalstränge und stellte die Arten ihres Verlaufes fest. Auch die anatomische Structur der Wurzeln untersuchte N. als einer der ersten aufs eingehendste in einer mit H. Leitgeb zusammen verfaßten, 1868 publicirten Arbeit (Beitr. z. wiss. Bot. IV. Heft). Durch alle diese Arbeiten hat N. die Grundlagen geschaffen, auf welchen heute mit der damals unbekannten Färbetechnik und wesentlich besseren optischen Hülfsmitteln weiter gebaut wird, so daß in der Erforschung der Vorgänge pflanzlichen Wachsthums die morphologisch-anatomische Seite gegenwärtig als die am besten durchgearbeitete gelten kann.

In einer zweiten Gruppe seien die Arbeiten Nägeli’s über das Wachsthum der Stärke durch Intussusception und die von ihm begründete Micellartheorie zusammengefaßt. Eine Folge schwieriger und lang ausgedehnter Untersuchungen war das 1858 unter Beigabe von 16 Tafeln herausgekommene Buch: „Die Stärkekörner; morphologische, physiologische, chemisch-physikalische und systematisch-botanische Monographie, unter Mitwirkung von Dr. C. Cramer und Dr. B. Wartmann“ (Pflanzenphys. Untersuchungen von Nägeli u. Cramer, Bd. II), das zu Nägeli’s bedeutendsten Leistungen gehört. Er verfolgt darin den Gegenstand seiner Untersuchungen nach drei Hauptrichtungen: erstens in Hinsicht des Baues und Wachsthums, sodann inbezug auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften, und endlich betreffs des Vorkommens der Stärkekörner. Während die beiden letzten Abschnitte nur erst als Studien aus noch nicht abgeschlossenen Versuchen hingestellt werden, haben die Verfasser über Bau und Wachsthum der Stärke eine in ihren Hauptzügen fertige, für die Wissenschaft neue Lehre aufgestellt, die an Wichtigkeit dadurch gewinnt, daß sie in ihrer Ausdehnung auf andere geschichtete Gebilde, vor allem auf die Zellmembranen zu weitgehenden Consequenzen geführt hat. N. gelangte hierbei zu der Vorstellung, daß die gesammte Substanz eines Stärkekorns aus unsichtbar kleinen, polyedrisch geformten Molekülgruppen – Micellen – bestehe, die von krystallinischer Beschaffenheit sind, wie Krystalle wachsen und die im imbibirten Zustande an der ganzen Oberfläche sich mit Wasser benetzen, indem sie bis auf eine geringe Entfernung eine größere Anziehung zu Wasser, darüber hinaus aber eine größere Anziehung zu Substanz geltend machen. [577] Das Wachsthum des Stärkekorns geht allgemein durch Einlagerung oder Intussusception vor sich, d. h. dadurch, daß immer neue Micellen zwischen die vorhandenen sich einschieben. Die Stärkemicellen sind aus Molekülgruppen verschiedener chemischer Natur zusammengesetzt. Indem nun N. seine Micellartheorie auf alle organisirten Körper ausdehnte, steckte er seiner Lehre das Ziel, das Wachsthum und die innere Structur der Organismen überhaupt auf physikalisch-chemische und mechanische Vorgänge zurückzuführen. Zunächst übertrug er seine Anschauung auf das Wachsthum der Zellmembran. Auch hier nahm er Intussusception an und suchte nachzuweisen, daß die Structurverschiedenheit, welche in der Flächenansicht der Zellhaut gewöhnlich als doppelte, gekreuzte Streifung auftritt, die ganze Dicke einer geschichteten Zellhaut durchsetze. Er verglich die Structur der Membran mit der eines nach drei Richtungen spaltbaren Krystalls. Diese Vorstellung vom Bau der Zellhaut sprach N. zuerst 1862 aus (Sitzungsbericht der Münchener Akademie vom 8. März 1862), um sie dann 1864 in seinem Aufsatze: „Ueber den inneren Bau der vegetabilischen Zellmembranen“ (ebenda 7. Mai und 9. Juli 1864) weiter zu begründen.

Im J. 1863 erschien eine auf langwierigen Studien beruhende Arbeit: „Die Anwendung des Polarisationsmikroscops auf die Untersuchung der organischen Elementartheile“ (Beiträge z. wiss. Bot. III. Heft, 7 Tafeln), während schon ein Jahr früher eine Reihe von Einzelergebnissen publicirt wurde, denen die genannte Untersuchungsmethode zu Grunde lag (Sitzber. d. Münch. Akad. 1862). Auch nach dem Erscheinen seines großes Werkes über die Stärkekörner hat N. seine auf den nämlichen Gegenstand bezüglichen Untersuchungen nicht ruhen lassen und namentlich das chemische Verhalten der Stärke nach allen Richtungen aufzuhellen versucht. Die sich mit dergleichen Fragen beschäftigenden Aufsätze füllen das zweite Heft der „Botanischen Mittheilungen“ vom Jahre 1863. Im Anschluß an diese Arbeiten sei gleich eines auch in praktischer Hinsicht werthvollen Werkes gedacht, nämlich des zusammen mit S. Schwendener in erster Auflage 1867 herausgegebenen Buches: „Das Mikroscop. Theorie und Anwendung desselben“. Das Werk reicht in seiner Bedeutung weit über die Grenzen der Botanik hinaus. Der erste theoretische Theil bespricht in der Einleitung die optischen Verhältnisse; in weiteren Abschnitten behandeln die Verfasser alsdann die mechanische Einrichtung des Mikroscops, seine Prüfung, die Theorie der mikroscopischen Wahrnehmung und zum Schluß das einfache und das Bildmikroscop. Umfangreicher noch ist der zweite Theil. Er umfaßt die ganze mikroscopische Technik, die Polarisationserscheinungen, Mikrophysik und Mikrochemie und schließt mit der Anwendung des Mikroscops zur Deutung botanischer Präparate aus allen Gebieten der Morphologie und Anatomie. Eine zweite, durch werthvolle Zusätze vermehrte Auflage des Werkes erschien 1877.

An dritter Stelle mögen Nägeli’s Schriften zur Kryptogamenkunde Erwähnung finden. Seine Ergebnisse über die Zelle und Zellbildung hatte N. vorzugsweise aus dem Studium der niederen Gewächse gewonnen. Daneben aber kamen auch wichtige Entdeckungen über die damals noch unbekannten sexuellen Vorgänge innerhalb der kryptogamen Pflanzengruppen zu Tage. Er entdeckte zuerst die Spermatozoiden an dem Vorkeim der Farne und bei den Rhizocarpeen, deren Keimungsgeschichte er aufklärte, und gab über die Entwicklung der niederen Algen die wichtigsten Aufschlüsse. Auf die beiden erstgenannten Entdeckungen beziehen sich die Arbeiten: „Bewegliche Spiralfaden (Samenfaden?) an Farren“ (Zeitschr. f. wiss. Bot. von Schleiden u. Nägeli, [578] 2. Heft, 1845, S. 168–188) und: „Ueber die Fortpflanzung der Rhizocarpeen“ (ebenda 3. u. 4. Heft, 1847). Zum ersten Male wird in diesen Arbeiten der genaue Bau und die Entwicklung der Farrn-Antheridien angegeben, die Bewegung der Spermatozoiden erkannt und auf die Zellenreaction in der Substanz der letzteren aufmerksam gemacht. N. zeigte die Aehnlichkeit dieser Körper mit den entsprechenden Gebilden bei Moosen, Charen und den Thieren, wenngleich ihm ihr Charakter als das befruchtende Element noch entgangen war. Bezüglich der Rhizocarpeen beseitigte N. den Schleiden’schen Irrthum hinsichtlich der Mikrosporen dieser Pflanzen, die Schleiden für Phanerogamen hielt und deren kleine Sporen er als Pollenkörner deutete. N. fand nunmehr außer den Spermatozoiden auch den Vorkeim und die Archegonien der Wurzelfarne. Den Algen widmete er auf Grund eines umfangreichen Materials eine sehr eingehende Arbeit: „Die neueren Algensysteme und Versuch zur Begründung eines eigenen Systems der Algen und Florideen“ (1847). Er gab hier zuerst genaue Rechenschaft über das Wachsthum der vegetativen Organe, das er bis zur Entstehung der Scheitelzelle verfolgte, besprach das Auftreten verschiedener Farbstoffe und verwerthete die gewonnenen Resultate als Classifikationsprincip. Neben den Algenformen des Meeres erfuhren auch die Süßwasseralgen durch N. eine gleich sorgfältige Behandlung. Sie bilden den Hauptgegenstand seines 1849 veröffentlichten Werkes: „Gattungen einzelliger Algen“. Endlich führten ihn seine Studien über die Zellenfolge auch zu Untersuchungen über die Moose und Gefäßkryptogamen (Pflanzenphys. Untersuchungen von Nägeli u. Cramer, 1855, 1. Heft). Ueber Entstehung und Wachsthum der Wurzeln bei letzteren liegt eine, zusammen mit Leitgeb verfaßte mustergültige Arbeit vor (Sitzber. d. Münch. Akademie 1866).

Einen erheblichen Umfang nehmen Nägeli’s systematische Schriften ein.

Seine erste wissenschaftliche Arbeit, die schon erwähnte Promotionsschrift vom Jahre 1840: „Die Cirsien der Schweiz“ war vorwiegend descriptiver Art und noch in der üblichen Weise systematischer Schriften verfaßt. Doch tritt schon in dieser Jugendschrift der Charakter hervor, den seine späteren systematischen Arbeiten zeigen. Sie sind in letzter Linie auf die Beantwortung der Fragen nach dem Zusammenhange der Pflanzenspezies und der Entstehung der Art gerichtet. Am 28. März 1865 hielt N. in der Münchener Akademie einen Vortrag: „Entstehung und Begriff der naturhistorischen Art“, worin er diese Frage im Lichte der Theorie Darwin’s discutirt. In dem von dem englischen Forscher zuerst entwickelten Moment der natürlichen Zuchtwahl glaubt er jedoch eine ausreichende Erklärung für die Entwicklung der Art nicht finden zu können, meint vielmehr, daß jede Variation eine im voraus bestimmte Richtung haben müsse und zwar im Sinne der größeren Complicirtheit und Vervollkommnung des Organismus. Er nimmt die spontane Erzeugung in gewissen Epochen zu Hülfe und erklärt damit die gleichzeitige Existenz höherer und niederer Pflanzenformen nebeneinander. Diese Gedanken Nägeli’s wiederholen sich in einer Reihe von Vorträgen, welche er in den sechziger Jahren in der Münchener Akademie der Wissenschaften gehalten hat. Sie sind auch in dem Sammelwerke „Botanische Mittheilungen“ gesondert abgedruckt. Die erste dieser Schriften ist betitelt: „Ueber den Einfluß der äußeren Verhältnisse auf die Varietätenbildung im Pflanzenreich“ (Bot. Mitth. II, S. 103–158). Das Resultat, zu dem N. hierbei gelangt, ist folgendes: Die Bildung der mehr oder weniger constanten Varietäten oder Rassen ist nicht die Folge äußerer Agentien, sondern wird durch innere Ursachen bedingt. Diese finden ihren Ausdruck in Verschiedenheiten der Molekularconstitution, [579] der chemisch-physikalischen Beschaffenheit, der inneren Structur und der äußeren Form. Selbstverständlich, fügt N. hinzu, existirt daneben eine ursprüngliche Abhängigkeit der „inneren Ursachen“ von äußeren Einflüssen höherer Ordnung. Inhaltlich zusammenhängend mit dieser Schrift ist eine zweite: „Ueber die Bedingungen des Vorkommens von Arten und Varietäten innerhalb ihres Verbreitungsbezirkes“ (Bot. Mitth. II, S. 159–187). Weder der physikalischen noch der chemischen Bodenbeschaffenheit räumt N. einen ausschlagsgebenden Einfluß auf das Vorkommen der Gewächse ein. Zwei Momente müssen als wesentlich mitbestimmend noch hinzutreten: die Mitbewerbung verschiedener Pflanzen um den gleichen Standort und das Wanderungsstadium, in welchem eine jede Art sich befindet. Drei fernere Abhandlungen Nägeli’s in den „Botanischen Mittheilungen“ beschäftigen sich mit der Frage der Hybridisation im Pflanzenreich. Die erste: „Die Bastardbildung im Pflanzenreich“ (Bot. Mitth. II, S. 187–235) enthält die Hauptresultate seiner Untersuchungen, die übrigens nur aus künstlichen Bastardirungsversuchen gewonnen wurden, zusammengefaßt und durch gesperrten Druck auch äußerlich gekennzeichnet. In der zweiten Arbeit: „Ueber abgeleitete Pflanzenbastarde“ (Bot. Mitth. II, S. 237–259) macht N. Vorschläge zur Feststellung der Bezeichnungsweise, der Erbschaftsformel, des Bastardirungsäquivalentes der abgeleiteten Bastarde und gibt Mittheilungen über deren Fruchtbarkeit. Die letzte Abhandlung endlich: „Die Theorie der Bastardbildung“ (Bot. Mitth. II, S. 259–293) wendet sich vornehmlich gegen Wichura’s Auffassung. Während dieser Forscher die Fähigkeit, Abänderungen hervorzubringen, hauptsächlich in die Geschlechtszelle verlegt, will N. dieselbe allen Zellen eines Individuums zugesprochen sehen. Mehr rein systematischer Natur, aber zeitlich und inhaltlich mit den soeben erwähnten Schriften Nägeli’s zusammenhängend, sind folgende, als Vorarbeiten zu seiner Monographie der Hieracien anzusehenden Aufsätze: „Die Zwischenformen zwischen den Pflanzenarten“ (Botan. Mitth. II, S. 294–339), „Die systematische Behandlung der Hieracien rücksichtlich der Mittelformen und des Umfangs der Spezies“ (ebenda S. 340-369; 393–428) und „Synonyme und Litteratur der Hieracien“ (ebenda S. 449–470).

Endlich, nach zwanzigjährigen Vorarbeiten erschien 1885 Nägeli’s großes Werk über die Hieracien, bei dessen Abfassung er in den letzten Jahren sich der Mithülfe seines Schülers, des Prof. A. Peter zu erfreuen hatte, unter dem Titel: „Die Hieracien Mitteleuropas. Monographische Bearbeitung der Piloselloiden mit besonderer Berücksichtigung der mitteleuropäischen Sippen“, I. Band. Das Werk zerfällt in 15 Abschnitte; den 16. bildet der Index. Das umfangreiche, der Arbeit zu Grunde liegende Material resultirt theils aus wildwachsenden Exemplaren besonders des Alpengebietes, theils aus Herbariumpflanzen der größten Sammlungen, theils aus den durch Culturversuche im Münchener botanischen Garten gewonnenen Arten, bei denen mehr als 2000 Sätze von Pilosellen zur Beobachtung kamen. Das vollständige Manuscript enthielt die ausführlichen Beschreibungen von gegen 3000 constanten Varietäten. In dem gedruckten Werke wurde das Material beschränkt auf die weiter verbreiteten oder morphologisch und phylogenetisch wichtigsten Gattungen. Ueber die Wahl der Hieracien als Object der Bearbeitung und das erstrebte Ziel äußert sich N. in der Vorrede folgendermaßen: „Der Verlauf der natürlichen Descendenz erfolgt so langsam, daß er sich der Beobachtung und dem Experiment völlig entzieht und daß er nur durch Vergleichung von verschiedenen Sippen, die sich in ungleichen Stadien der Speziesbildung befinden, sich erschließen [580] läßt. Nun ist aber keine der polymorphen Pflanzengattungen so geeignet und bietet so schöne Anfänge der Speziesbildung, wie die Gattung Hieracium“. Nägeli’s Absicht, die Monographie der Archihieracien folgen zu lassen, kam bei seinen Lebzeiten nicht zur Ausführung. Prof. Peter unternahm sie in einem zweiten Bande.

Die Summe seiner reichen Erfahrungen, gleichsam die Quintessenz seines geistigen Schaffens, bildet das letzte große Werk Nägeli’s, das er sieben Jahre vor seinem Tode veröffentlichte: „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre“ (1884). Veranlaßt wurde das Werk durch einen schon im J. 1877 anläßlich der 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in München gehaltenen Vortrag: „Die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntniß“. Derselbe richtete sich gegen die über das nämliche Thema und bei ähnlicher Veranlassung 1872 in Leipzig von E. Dubois-Reymond gehaltene Rede, die seiner Zeit berechtigtes Aufsehen erregte und in den Schlußworten gipfelte: Ignoramus et ignorabimus. N. untersuchte dagegen in seinem Vortrage dieselbe Frage nicht nur nach der negativen Seite hin; vielmehr bemühte er sich als positives Ergebniß festzustellen, in welchem Umfange und bis zu welcher Grenze ein Naturerkennen überhaupt möglich sei. Seine mit großer Geistesschärfe entwickelten Anschauungen gipfeln in folgenden Sätzen: Können wir zwar nur das Endliche erkennen, so können wir aber auch alles Endliche erkennen, sofern es in den Bereich unserer sinnlichen Wahrnehmungen fällt. Grundsätzlich geschiedene Gebiete kommen in der endlichen Natur nicht vor; namentlich besteht zwischen der unorganischen und organischen oder zwischen der materiellen und geistigen Natur keine unüberschreitbare Grenze. Zur weiteren Ausführung der in dem Vortrage kurz angedeuteten Gedanken schrieb N. das große, oben erwähnte Werk. Da er für jede naturwissenschaftliche Forschung die mathematische exacte Methode fordert, so sucht er dieselbe in dem Schlußcapitel seines Werkes: „Kräfte und Gestaltungen im molekularen Gebiet“ zur Erklärung der chemischen und physikalischen Erscheinungen auf der Grundlage einer neuen „Atomistik“ anzuwenden. Indessen bezeichnet er selbst die von ihm aufgestellte Lehre als einen theoretischen Versuch. Der Zweck der „Theorie der Abstammungslehre“ ist, zu ermitteln, ob und inwiefern in den sicher ermittelten Thatsachen bereits mechanisch-physiologische Principien zur Anwendung zu gelangen vermögen. Denn auch die Abstammung beruht auf dem Kausalgesetze. Das zusammengesetzte Organische kann nur aus dem einfacheren Organischen hervorgehen. Das mechanische Princip zur Erklärung dieser Erscheinung hat zuerst Darwin gegeben, aber nicht in ausreichender Weise. N. sucht für die Bildung des Formenreichthums das mechanische Moment in der Vervollkommnung und Anpassung; das Wort „Vervollkommnung“ im Sinne einer zusammengesetzteren Organisation genommen, die rein mechanischer Natur ist. Er setzt dafür auch gelegentlich das Wort „Progression“. Eine solche Progression ist aber nicht, wie Darwin annimmt, richtungslos, nur bedingt durch die äußeren Einflüsse der Nahrung, Temperatur, Schwerkraft, des Lichtes und der Elektricität, sondern die Ursachen der Veränderung sind innere, in der Beschaffenheit der Substanz liegende. Soll eine Mechanik des organischen Lebens aufgebaut werden, so muß sie erklärt werden aus der molekularen Bewegung der kleinsten Theilchen dieser Substanz. Eine solche Erklärung versucht die Arbeit in sieben Hauptcapiteln, deren Inhalt jedoch im Rahmen eines biographischen Abrisses auch nur andeutungsweise nicht wiedergegeben werden kann.

Eine letzte Gruppe der Nägeli’schen Schriften behandelt die Gärungstheorie und die Bakterienfrage.

[581] Das Bestreben, in der Erklärung natürlicher Vorgänge auf ein mechanisches Princip zurückzukommen, ließ N. in den letzten Jahren seiner wissenschaftlichen Thätigkeit auch an das Problem der Gärungserscheinungen mit der an ihm gewohnten Gründlichkeit herantreten. Die Endresultate seiner Forschungen legte er in dem 1879 erschienenen Werke nieder: „Theorie der Gärung. Ein Beitrag zur Molekularphysiologie“. Nach N. ist Gärung nichts weiter als die Uebertragung von Bewegungszuständen der Moleküle, Atomgruppen und Atome verschiedener, das lebende Plasma zusammensetzender Verbindungen auf das Gärmaterial, wodurch das Gleichgewicht in dessen Molekulen gestört und diese zum Zerfall gebracht werden. Mit dieser rein mechanischen Erklärungsweise weicht N. von allen vor ihm aufgestellten Gärungstheorien nicht unwesentlich ab. Sie ist daher auch nicht ohne Widerspruch geblieben; doch ist freilich eine allseitig befriedigende Lösung dieses verwickelten Problems auch bis heute noch nicht gefunden worden. Ein eingehendes Studium widmete N. der Frage nach der Ernährung der Pilze. Seitdem Pasteur die frühere Ansicht, daß den Pilzen bloß eiweißartige Stoffe als Nahrung dienen können, widerlegt hat, sind von verschiedenen Autoren neue Thatsachen über die biologisch-chemischen Vorgänge bei niederen Pilzen festgestellt worden. Auch N. hat sich an derartigen Versuchen betheiligt, die er 1867 begann, dann mit seinem Sohne Walter und zuletzt unter Mithülfe von Oskar Loew fortsetzte. Seine Ergebnisse veröffentlichte er in den Abhandlungen: „Ernährung der niederen Pilze durch Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen“ (Bot. Mitth. S. 395–485), „Ernährung der niederen Pilze durch Mineralstoffe“ (ebenda) und „Gärung außerhalb der Hefezellen“ (Zeitschrift f. Biologie 1882, Bd. XVIII, Heft 3). Nägeli’s Studium der Gärungspilze führte ihn auf das nahe liegende Gebiet der pathogenen Mikroorganismen, deren in das praktische Leben tief einschneidende Bedeutung er zu einer Zeit erkannte, als jene Fragen eben erst das Interesse der Biologen zu erwecken anfingen. In einer für einen weiteren Leserkreis bestimmten, daher in mehr populärer Form gehaltenen Schrift: „Die niederen Pilze und ihre Beziehungen zu den Infektionskrankheiten und der Gesundheitspflege“ (1877) brachte er seine, von der heute herrschenden Ansicht der Fachmänner theilweise abweichenden Anschauungen zum Ausdruck. Die wichtigsten Resultate der Schrift wurden bereits von Januar bis März 1877 in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München vorgetragen und zur Orientirung in „Vorläufigen Sätzen über die niederen Pilze“ zusammengefaßt. Indem N. die Constanz der Formen bei Spaltpilzen und demnach die Möglichkeit der Aufstellung specifischer Formenkreise bestreitet, vielmehr dem Substrat die Hauptrolle bei den Formenveränderungen zuschreibt, setzte er sich allerdings in einen irrthümlichen Gegensatz zu den von Robert Koch gefundenen neueren Thatsachen. Dennoch hat N. wichtige physiologische Punkte, wie beispielsweise die Veränderlichkeit in der Virulenz gewisser Spaltpilzformen, wie sie in seinem Laboratorium zuerst am Milzbrandbacillus nachgewiesen wurde, mit voller Klarheit in ihrer universellen Bedeutung erkannt.

Neben den theoretischen Erörterungen nehmen einen breiten Raum praktische Fragen über die gesundheitsschädlichen Wirkungen der niederen Pilze und die Infektionsstoffe ein und es gelangt N. auf Grund seiner Ansichten über die Natur der Infektionsträger zu bestimmten Vorstellungen über die hygienischen Eigenschaften des Wassers, der Luft und des Bodengrundes. Die üblen Gerüche der Luft, durch Gase bedingt, sind zwar unangenehm aber nicht schädlich. An und für sich ist vielmehr die inficirte Luft geruchlos. Eine faulende Substanz wird erst dann gefährlich, wenn sie trocken geworden und [582] den Geruch verloren hat. Der Satz, daß unsere Sinne, insofern sie uns Wohl- oder Mißbehagen empfinden lassen, Wächter unserer Gesundheit, d. h. des uns Zuträglichen oder Schädlichen sind, ist nach N. nur bedingt richtig. Sie sind zwar nützliche Instincte, die sich während der langen Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts unter einfachen Verhältnissen durch Anpassung ausgebildet haben, die aber für unsere durch die Cultur complicirten Verhältnisse nicht mehr ausreichen, ja in manchen Beziehungen mit denselben geradezu in Widerspruch gerathen sind. Die Schlußcapitel des Buches behandeln allgemein praktische Regeln über Desinfection, Abfuhr der Auswurfstoffe, Bestattung der Leichen und die Gesunderhaltung der menschlichen Wohnungen, welche in ihren Grundzügen von den Lehren der heutigen Hygiene kaum in nennenswerther Weise abweichen.

E. Wunschmann, Carl Wilhelm v. Nägeli. Wissenschaftl. Beilage z. Progr. d. Charlottenschule. Berlin 1893. – Nekrologe: S. Schwendener, Berichte d. deutschen Botan. Gesellsch. IX, 1892. – A. Zander, Deutsche Medizin. Wochenschrift 1891, Nr. 28. – William G. Farlow, American Academy of arts and sciences, 1891. – K. Prantl, Hedwigia XXXI, Heft 1/2, 1892. – C. D. H. Scott, Nature vom 15. October 1891. – K. Cramer, Actes de la Société Helvétique des sciences naturelles à Fribourg 1892. – Neue Züricher Zeitung 16. Mai 1891. – Züricher Post 15. Mai 1891.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rudolf Albert Ritter von Koelliker (1817–1905), Professor für Physiologie und vergleichende Anatomie in Zürich, dann Würzburg.
  2. Simon Schwendener (1829-1919), Schweizer Botaniker, Professor in Basel, Tübingen und Berlin.