Zum Inhalt springen

ADB:Du Bois-Reymond, Emil

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Du Bois, Emil“ von Paul von Grützner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 118–126, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Du_Bois-Reymond,_Emil&oldid=- (Version vom 15. Dezember 2024, 18:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Drugulin, Wilhelm
Band 48 (1904), S. 118–126 (Quelle).
Emil du Bois-Reymond bei Wikisource
Emil du Bois-Reymond in der Wikipedia
Emil du Bois-Reymond in Wikidata
GND-Nummer 118527665
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|48|118|126|Du Bois, Emil|Paul von Grützner|ADB:Du Bois-Reymond, Emil}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118527665}}    

Du Bois: Emil Heinrich D. (Aemilius du Bois nennt er sich in seiner Dissertation von 1843), später stets Emil Du Bois-Reymond genannt, wurde am 7. November 1818 in Berlin geboren. Sein Vater, Felix Henri D.-R., war offenbar ein Mann von seltener Begabung und Thatkraft. 1782 in einem Dörfchen in der Nähe von dem damals preußischen Neuenburg (Neufchatel in der Schweiz) geboren, betrieb er in seiner Heimath das Uhrmacherhandwerk, kam aber, nachdem er sich durch eigene Kraft eine nicht zu unterschätzende allgemeine Bildung angeeignet hatte, nach Berlin, lernte hier die deutsche Sprache und wurde, nachdem er kurze Zeit Medicin studirt hatte, Lehrer am Kadettenhause. Er beschäftigte sich vornehmlich mit sprachwissenschaftlichen Studien, und sein Buch „Kadmus oder allgemeine Alphabetik“, 1862, in welchem eine Menge sorgfältiger und feiner Beobachtungen über die Verschiedenheit und Bildung gewisser Laute, z. B. des Gaumen-K, niedergelegt sind, ist als Frucht dieser Studien zu bezeichnen. In den napoleonischen Kriegen ist er als Hauptmann in dem Generalstabe von Bernadotte thätig, kehrt hierauf wieder nach Berlin zurück und erhält hierselbst eine Stellung im Auswärtigen Ministerium in der Abtheilung für die Neuenburger Angelegenheiten. In dieser Stellung vermählte er sich mit Minette Henry, der ältesten Tochter des Predigers der französischen Gemeinde in Berlin, der selbst mit Susanne Chodowiecki, einer Tochter des bekannten Zeichners und Malers Daniel Chodowiecki verheirathet war. Germanisches (denn die Neufchateler zählten im allgemeinen zu den Germanen), keltisch-romanisches und slavisches Blut floß also in den Adern seiner 5 Kinder (3 Knaben, 2 Mädchen). Er bekleidete dann von 1830–39 die Civiladjutantenstelle des Statthalters in Neuenburg, General Pfuel, wurde, nach Berlin zurückgekehrt, bis 1858 unter dem Titel eines Geheimen Regierungsrathes Director der Neuenburger Angelegenheiten und starb, nachdem in diesem Jahre Neuenburg der Schweiz zugefallen war und seine Verwaltungsthätigkeit hiermit ein Ende erreicht hatte, im Jahre 1865 in Berlin.

[119] Emil D.-R. besuchte zunächst das französische Gymnasium seiner Vaterstadt, dann fast ein Jahr lang dasjenige zu Neuenburg und beendete seine Gymnasialstudien auf dem erstgenannten Gymnasium in Berlin im Frühjahr 1837. Er ward Mitglied der vielumfassenden philosophischen Facultät und hörte, unschlüssig welcher Thätigkeit er sich zuwenden sollte, die ersten zwei Semester die verschiedenartigsten Vorlesungen, wie bei Steffens Psychologie und Anthropologie, bei Mitscherlich Experimentalchemie und bei Neander Kirchengeschichte. Dann geht er nach Bonn, hört bei Fichte Anthropologie und Psychologie, bei Treviranus Botanik und bei Nöggerath Geologie und Mineralogie, dann nach Berlin zurückgekehrt bei Steiner synthetische Methoden, bei Werder Logik und Metaphysik, bei Ritter allgemeine Geographie, bei Dove Meteorologie und bei C. E. Mitscherlich Materia medica, also wie man sieht, recht schöne, aber auch recht mannigfaltige Dinge, die ihn in eine peinlich zerrissene Lage versetzen. Erst Winter 1839 findet er den richtigen Weg, er wird Mediciner; wie man sagt, wesentlich angeregt durch eine Vorlesung des Chemikers Mitscherlich, wohl aber hauptsächlich bestimmt durch den näheren Umgang mit dem Mediciner Hallmann, dem Assistenten von Johannes Müller, dessen „reife und sichere Persönlichkeit sich seiner bemächtigte“. Hallmann ertheilte ihm auch „den ersten Unterricht in der Osteologie und auf Streifzügen in der Umgegend Berlins, deren Armseligkeit ein poetisch jugendlicher Sinn verklärte, in der Botanik“. Von 1840 an tritt er in nahe Beziehung zu dem gewaltigen Joh. Müller, wird dessen Assistent und beginnt seine Lebensarbeit, nämlich die Bearbeitung eines nahezu neuen Gebietes in unserer Wissenschaft, der thierischen Elektricität.

„Im Frühling 1841 nämlich“, wie er in dem Vorwort zu seinen „Untersuchungen über thierische Elektricität“ erzählt, „übergab mir Herr Johannes Müller Matteucci’s Essai sur les phénomènes électriques des animaux, Paris 1840, mit der Aufforderung, die darin enthaltenen Versuche über den Froschstrom zu wiederholen und womöglich weiter fortzuführen.“ Nach mühsamen experimentellen Vorarbeiten und litterarischen Studien begann die eigentliche Arbeit allerdings erst Frühling 1842; aber schon im nächsten Jahre werden von dem jugendlichen Forscher eine Menge Thatsachen, ja eigentlich das ganze Gerippe der späteren umfangreichen Untersuchungen, veröffentlicht. In Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie Bd. 58, S. 1, 1843, erscheint ein „vorläufiger Abriß seiner Untersuchungen über den sogenannten Froschstrom und über die elektromotorischen Fische“, und im selben Jahre seine Dissertation „Quae apud veteres de piscibus electricis exstant argumenta“. Im Sommer 1846 habilitirte er sich als Privatdocent in Berlin, begann jedoch seine eigentliche Lehrthätigkeit, weil allzusehr mit seiner Lebensaufgabe beschäftigt, erst im J. 1854, indem er in Gemeinschaft mit Joh. Müller physiologische Uebungen abhielt. Um diesen bedeutenden Mann sammelten sich, gleich wie um den Magneten die Eisenstücke, ähnliche bedeutende Männer als seine Schüler, ich nenne nur Henle, Schwann, Virchow, Brücke, Helmholtz. Namentlich mit Helmholtz trat D.-R. in ein nahes freundschaftliches Verhältniß und es war gewissermaßen seine letzte That, daß er diesem Freunde seiner Jugend und seiner Arbeit, der etwa zwei Jahre vor ihm starb, die Gedächtnißrede in der Akademie hielt, die erst nach seinem Tode gedruckt wurde. Acht Jahre hindurch, von 1848 an, lehrte D.-R. ferner Anatomie an der Akademie der Künste, welcher 100 Jahre vorher sein Urgroßvater Chodowiecki vorstand. Als 33jähriger Mann wurde er auf Empfehlung von Joh. Müller und Alexander v. Humboldt, welcher die Mühe nicht scheute, sich die Entdeckungen seines Schützlings in dessen hoch gelegenem, kleinem Experimentirstübchen vorweisen zu lassen, in die [120] Akademie aufgenommen, deren Secretär er von 1867 an war. Als im J. 1858 Joh. Müller plötzlich dahinstarb, wurde D.-R. sein Nachfolger in der Physiologie, Reichert derjenige in der Anatomie. Seit dem Jahre 1877 war er Vorstand des nach seinen Plänen erbauten großartigen physiologischen Institutes, in welchem er auch ohne nennenswerth krank zu sein, den 26. December 1896 wohl an Alterserkrankung der Gefäße verschied.

Er war verheirathet mit Jeanette Claude, die so wie er aus der französischen Colonie in Berlin stammte und so wie er ein Urenkelkind von Chodowiecki war. D.-R. hatte sie als Kind in Berlin gesehen. Dann ging sie mit ihren Eltern nach Chile und nach dem Tode ihres Vaters mit ihrer Mutter nach Ambleside in Nordengland. Von da kam sie zum Besuche nach Berlin und 1853 reiste D.-R. nach England, um sie zu heirathen. Vier Söhne und fünf Töchter, auf welche sich die Gaben der Eltern übertragen haben, entsprossen aus dieser Ehe.

D.-R. war mittelgroß, von gedrungenem Körperbau und hervorragender körperlicher Gewandtheit, die er unter anderm im Turnen und Schlittschuhlaufen bethätigte. Man hätte ihn nach seinem Aeußeren auf den ersten Blick für einen Mann eines schweren Handwerks gehalten; freilich das etwas tief in den Schultern sitzende gewaltige Haupt mit den lebhaft glänzenden Augen und gar das lebhafte Mienenspiel seines ausdrucksvollen Gesichtes beim Sprechen zeigten, daß man es mit einem Manne zu thun hatte, der, wenn nöthig, mit körperlicher Kraft und Ausdauer schwerste und anstrengendste geistige Arbeit zu verrichten gewohnt war. –

Was hat die Wissenschaft, was hat die Menschheit D.-R. zu danken? Seine Verdienste um beide sind mannigfaltig und vielseitig. Wie schon oben angedeutet, wurde ihm, dem 22jährigen, von Joh. Müller die Aufgabe gestellt, die Angaben Matteucci’s über thierische Elektricität nachzuprüfen und womöglich zu erweitern und in der Vorrede zu seinen „Gesammelten Abhandlungen“ aus dem Jahre 1875 sagt D.-R., daß ihm das Loos beschieden gewesen sei, seine Forscherarbeit beinah ausschließlich einem einzigen, scheinbar ganz beschränkten Gegenstande zu widmen und nach 34 Jahren sei er noch damit beschäftigt, die Antwort auf diese Frage zu suchen.

Billig wird da mancher fragen, worin liegt denn da seine gewaltige wissenschaftliche Bedeutung, wenn er nach seinem eigenen Geständniß nur ein ganz beschränktes Gebiet der Physiologie bearbeitet und dasselbe in keiner Weise abgeschlossen hat? Die große Menge urtheilt allerdings bloß nach dem Erfolg, der nüchterne Beurtheiler aber schätzt neben dem Erfolge einer That, der zu oft vom Glück abhängt, vor allem auch die in jener That steckende Arbeit und Leistungsfähigkeit, und diese sind es wesentlich, welche D.-R. – ganz abgesehen von seinen andern hervorragenden Eigenschaften als Schriftsteller und Lehrer – zu einem der bedeutendsten und einflußreichsten Naturforscher unserer Zeit gemacht haben. Die Richtigkeit dieser Auffassung geht unter anderem wohl am einfachsten daraus hervor, daß sein 1843 erschienener Abriß, welcher bereits alles Wesentliche seiner Entdeckungen enthielt, verhältnißmäßig sehr wenig Eindruck auf die Mehrzahl der damaligen Forscher gemacht hat. Nicht die gefundenen Thatsachen an und für sich, sondern der Weg, auf welchem sie gefunden wurden, haben D.-R. zu dem weltberühmten Manne gemacht. Es war die ganze Art des Denkens und Forschens, es war die Methode, welche abweichend von der mehr beschreibenden seines Lehrers Joh. Müller, den Erscheinungen auf den Grund ging und ihre gegenseitige Abhängigkeit, die man sich unter dem den Mathematikern geläufigen Bilde der Functionen und Curven darstellte, zu ergründen suchte.

In dieser Richtung tritt D.-R. als gewaltiger Reformator auf, der, wie [121] es wohl jeder Reformator können muß, auch gewaltig hassen konnte. Wie wäre es sonst verständlich, daß er in seinem bekannten, classisch geschriebenen Vorwort zu seinen „Untersuchungen über thierische Elektricität“ bei der Ablegung seines „Glaubensbekenntnisses“ so grimmig gegen den Vitalismus, gegen die Alles könnende und Alles vermögende Lebenskraft zu Felde zieht? Daß er sich so gewissermaßen gegen seinen von ihm hochverehrten Lehrer Joh. Müller, einen eifrigen und energischen Vertreter des Vitalismus, auflehnt, daß er den Chemiker J. Liebig eine „Geißel Gottes“ nennt, welche über die Physiologen jener Tage verhängt wurde, weil Liebig das ungeheure Verbrechen begangen hatte, von einer Lebenskraft zu sprechen, die man zur Erklärung gewisser Vorgänge im Organismus heranziehen müsse?

Der Kampf, den D.-R. gegen diese Richtung in der Naturforschung kämpft, ist leicht begreiflich; denn einem den Ursachen der Dinge und Erscheinungen nachstrebenden Kopfe muß es im höchsten Maaße widerwärtig sein, wenn er, gleich einem Wanderer in einem schönen Park, alle Augenblicke auf Anschlagstafeln stößt, welche ihm diesen oder jenen schönen Weg verbieten. So wie auf diesen verbotenen Wegen nur bevorzugte Personen wandeln dürfen, so herrscht in jenen Gebieten, denen sich der Forscher mit heißem Bemühen zu nähern bestrebt ist, die Lebenskraft. Ihr kann er sich nicht nähern; denn sie ist allmächtig und unbegreiflich zu gleicher Zeit. Wenn es also sinnlos ist, etwas, was man begreifen will, durch etwas Unbegreifliches erklären zu wollen, so versteht man, daß ein bis an die letzten Grenzen des Denkens vordringender Kopf, wie D.-R. einer war, der damals herrschenden Lehre von der Lebenskraft den Krieg erklären mußte. Woher aber rührt die Erbitterung, mit welcher er jenen Kampf führte? Warum bäumt sich gewissermaßen das ganze innere Wesen von D.-R. gegen diese Lehre auf, wie wenn sie ihn persönlich verletzt hätte? Nun sie war damals die allmächtige und übermüthige Herrscherin in den Naturwissenschaften, und der junge und muthige, aber gefesselte und unterdrückte Kämpfer versucht einen Befreiungskampf aus diesen Banden. Wie stand denn damals die Naturwissenschaft da gegenüber der sogenannten Philosophie, insonderheit der Naturphilosophie?

Wenn der Naturforscher mühselig Tag um Tag, Woche um Woche, ja vielleicht Jahr um Jahr sich mit aller geistigen und oft auch körperlichen Anstrengung abquälte, um irgend welche Eigenschaften oder Vorgänge an einem lebenden oder todten Dinge festzustellen, hatte der Naturphilosoph, „dessen Colleg mit den Metallen anfing und mit dem Abendmahl endigte“, das nicht nöthig, der wußte alles vorher, à priori und construirte sich die Welt am Schreibtisch. Mit souveräner Verachtung sah er auf den Naturforscher wie auf einen im Staube kriechenden Wurm herab, während er stolz erhobenen Hauptes durch Nachdenken die große wie die kleine Welt durchschaute und sich verständlich machte. Gegen diese unberechtigte tyrannische Herrschaft, unter welcher D.-R. geradezu litt, führte er jene gewaltigen, wuchtigen Hiebe und suchte die Lebenskraft aus einer ihrer Verschanzungen, und zwar nicht der am wenigsten hartnäckigen zu vertreiben. Ja, vor wenigen Jahren kam der alte Groll noch einmal bei ihm zum Durchbruch, als einige Forscher seiner Meinung nach die Herrschaft der Lebenskraft wieder zur Geltung bringen wollten. Diesen „Neovitalisten“ hält er entgegen, daß sie ganz wie die alten Vitalisten in den Lebewesen ganz besondere, von den gewöhnlichen physikalischen und chemischen abweichende Kräfte annehmen, deren Vorhandensein sie aber nicht beweisen können.

Die positiven Leistungen Du Bois-Reymond’s in dem Gebiete der Physiologie sind mit wenigen Worten bezeichnet. Er ist der Erbauer des stolzen [122] Gebäudes der thierischen Elektricität, welches er von Grund aus geschaffen und im Aeußern und Innern seiner heutigen Größe nahe gebracht hat.

Nachdem Galvani am Ende des achtzehnten Jahrhunderts seine berühmten Versuche mit den Froschschenkeln angestellt und gezeigt hatte, daß die an den beiden frei präparirten Hüftnerven hängenden Schenkel eines Frosches in starke Zuckungen geriethen, sobald sie mit dem Bogen zweier verschiedenen, aber auch mit dem Bogen eines einzigen Metalles berührt wurden, glaubte man – und namentlich Galvani selber that dies – alle diese Erscheinungen einer in den thierischen Theilen, den Muskeln und Nerven, vorhandenen Elektricität zuschreiben zu müssen, die sich durch den metallischen Bogen ausgliche und die thierischen Theile reizte. Der Physiker Volta, Galvani’s scharfer Gegner, führte zwar alle diese Erscheinungen auf elektrische Ströme zurück, die außerhalb von Muskel und Nerv, lediglich in den Metallen zu Stande kommen, an denen also jene höchst unschuldig sein sollten. Aber ein von Galvani angestellter Versuch, nämlich die sogenannte Zuckung ohne Metalle, schloß diese Erklärung auf das bestimmteste aus; denn hier hatte man nur thierische Theile vor sich, nämlich den Muskel mit seinem frei präparirten Nerv. Brachte man diesen in Berührung mit seinem Muskel, so zuckte der Muskel. War also diese Zuckung, wofür alles zu sprechen schien, eine durch einen elektrischen Strom ausgelöste, so mußte derselbe in den thierischen Theilen und nur in diesen seinen Sitz haben.

Als sich nun die Methoden verfeinerten und als man namentlich schwache elektrische Ströme durch empfindliche Multiplicatoren nachweisen konnte, zeigte Nobili vermittelst des von ihm erfundenen empfindlichen Meßapparates, daß in jedem frisch getödteten und enthäuteten Frosch ein elektrischer Strom nachweisbar sei, welcher in dem Thiere von den Füßen zum Kopf verlief. Auch Matteucci hatte sich von dem Vorhandensein dieses Stromes überzeugt und ihn, ebenfalls wie schon Nobili vor ihm, zu erklären versucht. Schließlich kannte man eine Reihe von Erscheinungen an elektrischen Fischen, namentlich an Torpedo. – Das war im wesentlichen, abgesehen von vielerlei unklaren und verwirrenden Angaben über thierische Ströme, die thierische Elektricität vor D.-R.

Schritt für Schritt mußte das Gebiet erobert werden; denn es fehlte eben fast alles, vor allen Dingen die Methoden. Einem von uns, der die Methoden von D.-R. als etwas gleichsam Gegebenes, Selbstverständliches überkommen hat, schauert es förmlich, wenn man liest, wie damals die lebendigen thierischen Theile behandelt und mit den elektrischen Apparaten in Verbindung gesetzt wurden. Die Zahl der Fehlerquellen war eine geradezu erschreckend große. Als daher D.-R. „die ersten Lanzen mit den Tücken der thierischen Elektricität“ brach und der erdrückenden Fülle wechselvoller und unsicherer Erscheinungen fast zu erliegen drohte, da kann man sich denken, mit welcher Freude er erfüllt wurde, als wenigstens eine Thatsache, gleich dem festen Pol in der Erscheinungen Flucht, mit gleicher Regelmäßigkeit wiederkehrte und mit gleicher Sicherheit hervorgerufen werden konnte, nämlich der Muskel- und Nervenstrom. Dieser elektrische Strom, zugleich die Grundlage seines ganzen späteren Systems, trat nämlich immer in ganz bestimmter Richtung und Stärke auf und verlief ausnahmslos in ausgeschnittenen, regelmäßig gebauten Muskeln (oder Nerven) von der Längsoberfläche dieser Gebilde (in dem abgeleiteten Bogen) zu deren Querschnitt. Er wurde schwächer, sobald die Organe in Thätigkeit geriethen. Es trat die sogenannte „negative Schwankung“ ein. Des weiteren konnte er in einem, von einem elektrischen Strom der Länge nach durchsetzten Nerven, eigenartige Ausbreitungen dieses Stromes nachweisen, die er als Elektrotonus [123] bezeichnete. Alle diese elektrischen Erscheinungen, was von großer Wichtigkeit war, konnten nur an lebenden, niemals aber an völlig abgestorbenen Organen nachgewiesen werden. Da nun diese elektrischen Eigenschaften auch den kleinsten, eben herstellbaren Stückchen von Muskeln (bez. Nerven) zukamen, gleich wie die kleinen Stücke eines zerbrochenen Magneten immer noch bestimmte magnetische Eigenschaften besitzen, so glaubte D.-R., daß, ähnlich wie der Magnetismus in den kleinsten Theilchen eines Magneten, so diese elektrischen Ströme in kleinsten Theilchen von Muskeln und Nerven innerhalb des thierischen Körpers ihren Sitz haben. Fortwährend sollten durch Muskeln und Nerven auch in ihrer Ruhe diese Ströme kreisen. Obwohl diese Anschauung, der namentlich L. Hermann erfolgreich entgegengetreten ist, heut zu Tage nicht mehr viel Anhänger unter den Physiologen haben dürfte, indem man diese „Ruheströme“ als künstlich, durch die Schädigung der Organe erzeugte, ansieht, bildete sie doch ein wichtiges Glied in der Kette von Du Bois-Reymond’s Arbeiten und führte, immer von neuem geprüft und von ihm und andern auf ihre Richtigkeit befragt, zu einer Menge scharfsinniger Versuche und neuen interessanten Funden.

Aus der übergroßen Fülle der in seinen „Untersuchungen“ und „Gesammelten Abhandlungen“ niedergelegten Thatsachen seien hier noch folgende besonders hervorgehoben. Daß der elektrische Strom eines der bequemsten und verhältnißmäßig unschädlichsten Reizmittel für Nerv und Muskel war, das wußte man längst und hatte, indem man wesentlich den zum Muskel führenden Nerv untersuchte, bei dessen Reizung sich sein Muskel zusammenzog, verschiedene sogenannte Zuckungsgesetze festgestellt. Auch D.-R. hat ein derartiges Gesetz ausgesprochen und sich um die Technik der elektrischen Reizung einmal durch Erfindung der unpolarisirbaren Elektroden, d. h. solcher Elektroden, die an und für sich keinen entgegengesetzten Polarisationsstrom entstehen lassen, wenn durch sie ein Strom hindurchgeleitet wird, sowie namentlich durch diejenige des sogenannten „Schlittenapparates“ ein unsterbliches Verdienst erworben. Was etwa der Bunsen’sche Brenner für ein chemisches Laboratorium ist, das ist jener Schlittenapparat für alle medicinisch-wissenschaftlichen Institute. Es ist dies bekanntlich ein elektrischer Reizapparat, in welchem in schneller Folge viele kurz dauernde elektrische Inductionsströme erzeugt werden können, welche man auf einfachste Weise, nämlich durch Verschiebung einer Drahtrolle auf einem Schlitten – daher der Name – von der geringsten, kaum fühlbaren Stärke, bis zu unerträglicher Heftigkeit steigern kann. Daß dieser Apparat auch in der ärztlichen Praxis die größte Wichtigkeit erlangt und demgemäß Verbreitung gefunden hat, darauf sei hier nur flüchtig hingewiesen.

Von höchstem, namentlich theoretischem Interesse sind dann die Untersuchungen Du Bois-Reymond’s über die künstliche Uebertragung der Erregung von Muskel auf Nerv. Er fand die Ursache jener von Matteucci entdeckten, sogenannten inducirten Zuckung, welche beobachtet wird, wenn auf einen zuckenden Muskel der Nerv eines zweiten Muskels gelegt wird. Zuckt nämlich der erste Muskel, so zuckt der zweite auch und zwar wie von ihm unzweifelhaft festgestellt wird, weil die bei der Thätigkeit des ersten Muskels entstehende elektrische Stromesschwankung sich durch den Nerven des zweiten Muskels theilweise abgleicht und ihn ausreichend stark reizt. Wird diese Abgleichung im Nerven in zweckmäßiger Weise, z. B. durch Zwischenlegen nicht leitenden oder sehr gut leitenden Materials verhindert, so kommt auch niemals die inducirte, oder wie D.-R. sagte, secundäre Zuckung zu Stande. Noch interessanter ist dann die Thatsache, daß, wenn der erste Muskel durch rasch aufeinanderfolgende, seinen Nerven treffende Reize in andauernde Zusammenziehung versetzt, wenn er, wie der seitdem gebräuchliche Ausdruck lautet, tetanisirt [124] wird, dann unter denselben Bedingungen der zweite Muskel ebenfalls in Tetanus verfällt. Hieraus entnahm D.-R. mit Recht, daß bei scheinbar ruhiger, gleichmäßig andauernder Zusammenziehung eines Muskels in demselben ein fortwährendes Auf und Nieder von elektrischen Strömen, so zu sagen ein elektrisches Schwingen oder Schwirren statthaben muß. Im allerhöchsten Maaße Aufsehen erregte schließlich ein Versuch, der sich im zweiten Theil der „Untersuchungen“ beschrieben findet. Brachte nämlich D.-R. seine beiden Hände in leitende Verbindung mit einem Multiplicator, so zeigte derselbe durch seinen Ausschlag einen im bestimmten Sinne durch die Arme kreisenden Strom an, sobald die Muskeln des einen Armes angespannt wurden, ja sogar sobald man sie nur anspannen wollte. Es hatte also der Wille, wie es schien, beziehungsweise die in den Muskeln durch den Willen vor ihrer Thätigkeit gesetzten, aber weder fühl- noch erkennbaren Veränderungen einen unmittelbaren Einfluß auf die Magnetnadel. Ergänzend sei hinzugefügt, daß die Deutung dieses Stromes als eines von den thätigen Muskeln herrührenden Stromes späteren Untersuchungen nicht hat Stand halten können. Vielmehr ist diese Erscheinung ein Drüsenstrom, der durch die Thätigkeit der Hautdrüsen erzeugt wird, welche von D.-R. ebenfalls, namentlich beim Frosch, als elektrisch wirksame Organe erkannt worden sind. Schließlich seien Du Bois-Reymond’s Untersuchungen über die elektrischen Fische erwähnt. Wenn es bei den bisher erwähnten in Muskeln, Nerven und Drüsen vorhandenen elektrischen Strömen feiner messender Methoden bedarf, vermittelst deren diese Ströme nur nachgewiesen werden können, so handelt es sich hier um gewaltige elektrische Entladungen, deren sich jene Thiere im Kampfe um’s Dasein mit furchtbaren Erfolgen bedienen. Dort haben wir ein kaum merkliches Fünkchen aus einer geriebenen Siegellackstange, hier ein mächtiges Gewitter. Schon in seinem „Abriß“, aus dem Jahre 1843, erklärt er die Gallertscheibchen der elektrischen Organe als elektromotorisch wirksam, sobald ein bestimmter Nerveneinfluß sie treffe. Des Weiteren wird, ohne daß hier auf alle die interessanten Einzelheiten eingegangen werden kann, durch sinnreiche und mannichfache Versuche auseinander gesetzt, wann und in welcher Art die Fische ihre Batterien entladen – ein in den Stromkreis zweckmäßig eingeschalteter Nerv eines Frosches mit zugehörigem Muskel versetzt z. B. letzteren in Zusammenziehung und läßt, wenn der Fisch schlägt, eine Glocke erklingen –, wie sie selbst sich gegen ihre elektrischen Schläge verhalten, welche durch ihren eigenen Körper hindurchgehen. Wenn Menschen von diesen elektrischen Schlägen „wie mit der Axt gefällt“ zu Boden stürzen, oder wie es Sachs erging, dem ein großer Zitteraal über seine beiden durchnäßten Füße fiel, „laut aufschreiend vor Schmerz, durch den Schreck wie versteinert dastehen, ohne sich des Thieres entledigen zu können“, warum werden denn die elektrischen Fische von dieser furchtbaren Waffe nicht selbst getroffen oder zum mindesten durch sie belästigt, da doch ihre Muskeln und Nerven durch elektrische Schläge gereizt werden können? Warum sind sie immun gegen ihre eigenen Schläge? Eine Ursache hiervon ist neben ihrer verhältnißmäßigen Unempfindlichkeit gegenüber gewöhnlichen elektrischen Schlägen vielleicht auch die Art der Entladung, die sich aus schnell aufeinander folgenden elektrischen Stößen zusammensetzt, sowie die Art und Richtung, in welcher die Organe des elektrischen Fisches durchströmt werden.

Wenn der Physiologe D.-R. die Lehre von der thierischen Elektricität geschaffen hat, so war dies nur dadurch möglich, daß ihm der Mechaniker und Physiker D.-R. dabei die Wege wiesen und erfolgreich unterstützten. In wie hohem Maaße dies der Fall war, geht unter anderem daraus hervor, daß, als der von ihm gebrauchte Multiplicator zu seinen Untersuchungen nicht genügte, [125] er sich selbst auf der Drehbank einen Multiplicator von 24160 Windungen wickelte, indem er Lage für Lage sorgfältig isolirte. Die von ihm für seinen speciellen Zweck erfundenen Methoden und Apparate – ich erinnere nur an diejenigen zum Nachweis und zur Messung elektrischer Ströme vermittelst besonderer Multiplicatoren – gehören durchaus der Physik an, so daß er auch diese befreundete Nachbarwissenschaft durch werthvolle Arbeiten bereichert hat.

Das Lebensbild, welches bis jetzt von jenem seltenen Manne gegeben wurde, bliebe aber im höchsten Maaße unvollständig, wenn nicht noch seine litterarische und seine künstlerische Bedeutung in gebührendem Maaße ans Licht gestellt würde. Aeußerst selten nur wird man diese beiden Eigenschaften, diejenige des geistvollen, rastlosen, körperlich und geistig schaffenskräftigen Forschers, sowie die des glänzenden Schriftstellers, vollendeten Redners und anziehenden Lehrers, mit einem Worte des Gelehrten und des Künstlers in dieser Vollendung in einer Person vereinigt finden. Als ständiger Secretär der Akademie, sowie auch bei anderen Gelegenheiten, wie bei Uebernahme des Rectorates der Universität, auf Naturforscher-Versammlungen und ähnlichen Veranstaltungen trat er als Redner auf, und die Zahl dieser seiner gesammelten Reden füllt zwei stattliche Bände. Wer wollte sie alle aufzählen und besprechen? Sie beziehen sich auf die verschiedensten Gegenstände. Theils behandeln sie bedeutende Persönlichkeiten, wie die ihm besonders vertrauten Encyklopädisten und Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts. Gleich einer Bildsäule aus weißem Marmor vor dunkelgrünem Laub, so heben sich in ihnen jene Persönlichkeiten vor dem Hintergrunde ihrer Zeit ab. Hier sind zu nennen: Voltaire als Naturforscher, Leibnizische Gedanken in der neuen Naturwissenschaft, Zu Diderots Gedächtniß, La Mettrie, Joh. Müller, Helmholtz. Theils haben sie mehr philosophische Probleme zum Gegenstande, wie die Erkenntniß und Begreiflichkeit der Natur und ihrer Lebewesen, so die bekannten: Ueber die Gränzen des Naturerkennens, Die sieben Welträthsel, Darwin versus Galiani, Ueber die Lebenskraft, oder sind mehr politisch-geschichtlichen, namentlich culturgeschichtlichen Inhalts, wie über: Das Nationalgefühl, Der deutsche Krieg, Göthe und kein Ende, Ueber die wissenschaftlichen Zustände der Gegenwart.

So verschieden und mannichfach der Inhalt dieser Reden, Eines ist ihnen allen gemeinsam, das ist die glanzvolle Sprache und die erstaunliche Fülle und Vielseitigkeit des Wissens, die Einem auf jeder Seite in überraschender Weise entgegentritt. Ein glänzendes, allumfassendes Gedächtniß ermöglichte D.-R. neben vielseitiger Sprachkenntniß auch diese Leistungen.

Es ist selbstverständlich, daß diese glänzenden Eigenschaften anziehend wirken mußten auf Jedermann, in erster Linie auf die studirende Jugend und seine Schüler. Was war das immer für eine Fülle von Jung und Alt, die sich erwartungsvoll, als gälte es ein interessantes Schauspiel zu sehen, in dem damals größten Hörsaal der Berliner Universität zusammendrängte und stehend und sitzend auf D.-R. wartete, der hier über allgemein interessante, naturwissenschaftliche Gegenstände sogenannte „öffentliche“ Vorlesungen hielt! Aehnlich war es in seinen gewöhnlichen, alltäglichen Vorlesungen über Physiologie, in denen er nicht bloß die nackten Thatsachen aufzählte, sondern auch den Weg zeigte, auf welchem man sie gefunden hatte, und die sich außerdem noch durch Versuche und durch Vorweisung zahlreicher Abbildungen auszeichneten. Diese seine Persönlichkeit war es denn auch, welche aus den engen Räumen seines ersten sogenannten physiologischen Institutes „Schlag auf Schlag Lehrer der Physiologie hervorgehen“ ließ, wie Pflüger (Bonn), Rosenthal (Erlangen), Heidenhain † (Breslau), Kühne † (Heidelberg), Hermann (Königsberg), Preyer[126] (Jena), v. Bezold † (Würzburg) und viele andere, die außerhalb Deutschlands thätig sind.

Auch künstlerisch war D.-R. beanlagt, wie ja auch Künstlerblut von Chodowiecki her in ihm floß. Die Zeichnungen in seinen Werken und viele für den Unterricht bestimmte Zeichnungen waren von seiner Hand gefertigt. Auch mochte der anatomische Unterricht in der Kunstakademie bildend und anregend nach dieser Richtung auf ihn gewirkt haben.

Du Bois-Reymond’s Arbeiten finden sich außer in seinen „Untersuchungen über thierische Elektricität“ und in seinen „Gesammelten Abhandlungen und Reden“ niedergelegt in dem von ihm und Reichert herausgegebenen Archiv für Anatomie und Physiologie und in Dr. Carl Sachs’ Untersuchungen am Zitteraal, nach dessen Tode bearbeitet von E. D. B.-R.

Ueber seine Persönlichkeit schrieben J. Rosenthal in Nord und Süd, Bd. 6, 1878, S. 153, P. Schultz in der Deutschen Rundschau, Bd. 53, 1897, S. 296, J. Rosenthal im Archiv für (Anat. u.) Physiol. 1897, S. I, J. Munk in der Deutsch. med. Wochenschr. 1897, S. 17, J. Bernstein in der Naturw. Rundschau 1897, S. 87, C. A. Ewald in der Berliner kl. Wochenschr. 1897, S. 1, J. Gad in d. Prager Wochenschr. Bd. 22, 1897, S. 1, J. Nikolaides in Τόμος τῆς Ἀθήνας (neugriechisch) und Th. W. Engelmann in den Abhandl. d. Berl. Akadem. 1898, S. 1.