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ADB:Helmholtz, Hermann von

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Artikel „Helmholtz, Hermann“ von Adolph Paalzow in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 461–472, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Helmholtz,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:49 Uhr UTC)
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Helmholtz *): Hermann Ludwig Ferdinand H. wurde am 31. August 1821 in Potsdam geboren. Seine Eltern waren begabte Persönlichkeiten. Der Vater, Professor am Gymnasium zu Potsdam, war ein beliebter Lehrer, Philosoph und classischer Philologe. Die Mutter, Tochter eines hannöverschen Officiers Penne, der in männlicher Linie von dem Gründer der englischen Colonie Pennsylvanien abstammte, war eine einfache, feinfühlige, mit divinatorischem Urtheil begabte Frau. Der Erstgeborene von den sechs Kindern, unser Hermann, wurde als Kind für wenig schön gehalten, die Mutter sah in ihm aber gleich das Wunderkind voll Geist und Verstand. Er lernte, im wahrsten Sinne des Wortes, spielend. Als seine Lehrer in der Volksschule ihn mit den elementaren Sätzen der Geometrie bekannt machen wollten, fanden sie dieselben, zu ihrem Erstaunen, bei ihm schon vor, da er sich beim Spielen mit dem Baukasten dieselben angeeignet hatte.

Nach der Volksschule in Potsdam besuchte er das Gymnasium daselbst. Hier interessirte ihn am meisten der Unterricht von Professor Meyer in der Physik und Mathematik, während er wol in den Stunden über Cicero und Virgil den Durchgang der Lichtstrahlen durch selbst angefertigte optische Apparate studirte. Er erzählt, daß er schon in dieser Gymnasialzeit fest davon überzeugt war, daß die Kenntniß der Naturgesetze nicht bloß die geistige Beherrschung [462] der Natur liefert, sondern auch die materielle Macht über dieselbe verleiht.

Siebzehn Jahre alt, verläßt er das Gymnasium mit einem glänzenden Zeugniß. Anerkannt wird sein bescheidenes, anständiges Betragen und seine außerordentliche Begabung.

H. wünschte sich, Naturwissenschaften, namentlich Physik zu studiren. Der Vater konnte diesen Wunsch bei seinem bescheidenen Einkommen und den großen Kosten dieses Studiums nur dann bewilligen, wenn er an dem Friedrich-Wilhelms-Institut die Medicin studiren würde. Der Sohn war damit einverstanden.

Infolge seiner guten Zeugnisse wurde er 1838 als Eleve dieses berühmten Institutes aufgenommen, wodurch dem Vater allerdings die Kosten für das Studium des Sohnes bedeutend erleichtert wurden, dieser mußte sich dafür aber verpflichten, nach vollendetem Studium eine Reihe von Jahren dem Staate als Mediciner zu dienen. Für die Welt mag es ja ein Glück gewesen sein, daß sich H. dem medicinischen Studium widmen mußte, da durch die Kenntnisse, die er sich von der organischen Natur erwarb, sein Forschungsgebiet wesentlich erweitert wurde. Er kam aber sehr bald in die Lage, nach seinem innersten Berufe arbeiten zu können.

Trotz der akademischen Freiheit widmete sich H. nur dem Studium und kam deshalb bald mit dem damaligen Meister der Physiologie Johannes Müller in Berührung und zugleich mit dessen ausgezeichneten Schülern Du Bois-Reymond, Brücke und Ludwig. Diese Phalanx machte nun unter Führung ihres Meisters den Versuch, auch die physiologischen Veränderungen nicht durch die Annahme einer besonderen Lebenskraft zu erklären, sondern sie zurückzuführen auf die bekannten physikalischen und chemischen Gesetze. Zur weiteren Ausbildung in der Medicin kam H. als Chirurg in die Charité, ein großer Vortheil für die Eleven des Friedrich-Wilhelms-Instituts. Er promovirte bald zum Doctor mit einer physiologischen Arbeit, zu dem ihm J. Müller die Anregung gegeben hatte und die für die Physiologie von großer Bedeutung geworden ist.

Nach fünfjährigem Studium wurde H. als Escadronchirurg nach Potsdam commandirt und diente zuerst bei den Gardehusaren und dann bei dem königlichen Regiment der Gardes du Corps. Inzwischen besteht er auch das Examen als Arzt und Wundarzt in vorzüglicher Weise.

H. war nicht allein der strenge Gelehrte, sondern hatte auch Herz und Gemüth. Die Wittwe des Oberstabsarztes v. Velten (Sohn des Cornet Velten, der nach der Schlacht bei Kunersdorf Friedrich den Großen rettete) war mit ihren zwei Töchtern nach Potsdam gezogen, und H. wurde bald in dies angenehme Haus eingeführt. Hier zeigte sich der sonst so gemessene, unnahbare Escadronchirurg als ein liebenswürdiger Gesellschafter, der den jungen Damen Gedichte widmete und beim Theaterspiel fast künstlerisch mitwirkte. Besondere Aufmerksamkeit erwies er der Tochter Olga und verlobte sich mit ihr 1847, ein Ereigniß, welches seine wissenschaftliche Thätigkeit in keiner Weise störte, denn in demselben Jahre noch hielt er seinen epochemachenden Vortrag über „Die Constanz der Kraft“.

Wir begleiten nun den einfachen Escadronchirurg auf seinem Siegeszuge von Potsdam nach Berlin, Königsberg, Bonn, Heidelberg, wieder nach Berlin und zuletzt in die Reichsanstalt.

Im J. 1848 trat eine bedeutende Wendung im Leben unseres H. ein. Er hätte eigentlich, seiner Verpflichtung gemäß, noch drei Jahre der Armee dienen müssen. Die Militärbehörde war jedoch gütig genug, den schon [463] berühmten Gelehrten freizugeben, so daß er in Berlin als Nachfolger von Brücke die Stelle eines Lehrers der Anatomie und zugleich die eines Assistenten an der anatomisch-zootomischen Sammlung annehmen konnte.

Schon im nächsten Jahre 1849 erhielt er den Ruf zum außerordentlichen Professor der Physiologie nach Königsberg. Diese Stellung gestattete es ihm, seine Braut, Olga v. Velten, als Frau nach Königsberg heimzuführen. Sie wurde ihm in jeder Beziehung eine Stütze, half ihm auch bei seinen Arbeiten. Die Hochzeit wurde in Dahlem, im Hause der verheiratheten Schwester der Frau, gefeiert. 1851 erhielt er in Königsberg die ordentliche Professur für Physiologie. Zu dem Eheglück gesellten sich die Vaterfreuden an den Kindern Käthe und Richard. Nehmen wir dazu den angenehmen geselligen Verkehr mit den Collegen, so hätte ihn sein Aufenthalt in Königsberg vollständig befriedigen können. Leider übte das rauhe Klima einen nachtheiligen Einfluß auf die Gesundheit seiner zarten Frau.

Die wissenschaftliche Ausbeute seiner freien Zeit war eine recht bedeutende. Er erfand den Augenspiegel, das Myographion und das Ophthalmometer. Solche Instrumente pflegte er erst selbst mit den einfachsten Mitteln herzustellen, um sie dann, nachdem er sich von der Wirksamkeit und Brauchbarkeit überzeugt hatte, den besten Mechanikern zur definitiven Ausführung zu übergeben.

Zur Erholung von den körperlichen und geistigen Anstrengungen seines Berufes benutzte er die Ferien zu Reisen nach der Schweiz, Oesterreich und England.

Willkommen ist ihm der Ruf als Professor der Anatomie und Physiologie nach Bonn; namentlich auch in Rücksicht auf seine Frau, da zu erwarten war, daß die schöne Rheinluft sie heilen und kräftigen werde. In Bonn ist er drei Jahre thätig; die neue Vorlesung über Anatomie nimmt ihn sehr in Anspruch, was ihn jedoch nicht hindert, seine eigenen wissenschaftlichen Forschungen zu fördern. Früchte dieser Thätigkeit sind unter anderen die Construction des Telestereoscopes und des Vocalapparates, zu dem ihm der König von Baiern die nöthigen Gelder zur Disposition gestellt hatte.

Auch in Bonn war sein Privatleben, bis auf die Sorgen für seine leidende Frau, ein ungetrübtes. Die Kinder wuchsen prächtig heran und sein geselliger Verkehr war ein sehr angenehmer. Darüber berichtet die Frau des Chirurgen Busch, geborene Mitscherlich: „H. war meist heiter und theilnehmend, ja auch schalkhaft und hatte große Freude an Leseabenden mit vertheilten Rollen, bei welchen er mit Vorliebe in Shakespeare’schen oder anderen classischen Stücken Charakterrollen übernahm“.

In den Ferien suchte er Kräftigung und Erholung am liebsten in der Schweiz.

Der badischen Regierung gelingt es, H. für die Heidelberger Universität als Professor der Physiologie zu gewinnen. Mit Jubel wird er dort empfangen, und unter dem Dreigestirn Bunsen, Kirchhoff, Helmholtz blüht die Universität; Scharen in- und ausländischer Jünger strömen zu dieser sprudelnden Quelle der Wissenschaft.

Reiche wissenschaftliche Früchte bringt die zwölfjährige Heidelberger Arbeitsperiode, unter anderen die „physiologische Optik“, „die Lehre von den Tonempfindungen“, die Herstellung eines Vibrations-Mikroscopes und eines neuen Stereoscopes.

Im Familienleben wechselt Leid und Freud. Im J. 1859 stirbt sein Vater. In demselben seine Frau, mit der er das reinste und höchste Glück genossen, das die Ehe bieten kann.

[464] Um diese große, ihn schwer treffende Lücke auszufüllen, heirathet er 1861 Anna v. Mohl, die Tochter des Staatsmannes und Staatsrechtslehrers an der Heidelberger Universität. Aus dieser Ehe entsprießen zwei Söhne, Robert und Friedrich, und eine Tochter, Ellen. Der gesellige Verkehr im Helmholtzschen Hause war wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen gewidmet.

Im Kriegsjahre 1870 ist H. in Lazarethangelegenheiten thätig und schreibt darüber an Du Bois: „Bin auch einmal mit einer Deputation von jüngeren Aerzten vor Wörth gewesen und habe die Schauer eines Schlachtfeldes nach der Schlacht kennen gelernt“. Sein Sohn Richard rückte als 17jähriger Freiwilliger mit ins Feld. In der Schlacht an der Lisaine wurde er leicht verwundet.

Zu Helmholtz’ Erholungsreisen gehörte auch der Besuch des ophthalmometrischen Congresses in Paris 1867. Bei diesem wurde auf ihn ein Toast von Critchett ausgebracht: „L’ophthalmologie était dans les tenèbres, Dieu parla que Helmholtz naquit – Et la lumière est faite“.

Die Lebensgeschichte von H. liefert ein schönes Beispiel, daß der beharrliche Mann sein erstes Ideal schließlich doch erreicht. H. wollte Physik studiren, arbeitete auch fortwährend in derselben, konnte das aber nur in der freien Zeit, welche ihm die anstrengenden Berufsgeschäfte übrig ließen. Voll und ganz konnte er sich der Physik erst widmen, als er eine Professur für diese Wissenschaft erhielt; das geschah im J. 1871. Durch den Tod von Magnus 1870 wurde diese Professur an der Berliner Universität frei. Die Fakultät schlug H. als Nachfolger vor, und das Ministerium war damit einverstanden. 1877 wurde er auch zum Professor der Physik am Friedrich-Wilhelm-Institut ernannt, womit der frühere Eleve von der Schulbank zum Katheder gelangte.

Neben seiner Thätigkeit an der Universität und der Akademie, zu deren ordentlichem Mitglied er 1871 ernannt war, arbeitet er fleißig für die Wissenschaft, construirte eine magnetische Waage 1883 und eine elektrodynamische 1886. Zahlreiche Praktikanten arbeiten unter ihm im physikalischen Laboratorium, so auch „Heinrich Hertz“, der 1880 sein Assistent wird. Experimentell wies derselbe die elektrischen Schwingungen nach und legte damit das Fundament für die Telegraphie ohne Draht.

Helmholtz’ geselliger Verkehr in Berlin gestaltete sich ganz nach dem ihm vorschwebenden Ideal von Verkehr, das er in folgenden Worten schildert: „Ich habe mich mein Leben lang gegen ein niedriges Niveau von Umgang gewehrt und, wo er mir nicht octroirt ward, auch ferngehalten. Gute Lebensformen und einen geistigen Inhalt, der mir nach irgend einer Richtung hin überlegen oder doch interessant ist, habe ich als erstes Erforderniß zum Verkehr stets empfunden. Hierin darf man nicht bescheiden sein, wenn man nicht in der Mittelmäßigkeit untergehen will.“ Als Familienereignisse sind zu erwähnen die Heirath seiner Tochter Käthe mit dem Dr. Branko 1871 und seiner Tochter Ellen mit Arnold v. Siemens 1884. Sein Sohn Richard erhielt als tüchtiger Ingenieur bei der Locomotivfabrik von Krauß in München eine einflußreiche Stellung. Ferienreisen unternahm H. jedes Jahr. Als Verehrer Wagner’s zu den Festspielen nach Bayreuth und 1880 durch Spanien bis nach Tanger. 1882 erhält er den erblichen Adel.

In seinen letzten Lebensjahren von 1888 bis 1894 erhält H. eine neue Lebensaufgabe. Dociren und Examiniren hören auf, dafür tritt ein die Organisation und Leitung eines Reichsinstitutes.

Nach dem Kriege 1870/71 stellte sich beim Generalstabe das Bedürfniß nach tüchtigen Mechanikern heraus, um die mannichfachen Meßinstrumente, die im Kriege arg gelitten hatten, zu repariren. Aber es fehlte an Präcisionsmechanikern. [465] Die heranwachsende Jugend ging lieber in die Industrieanstalten, wo: die Arbeit leichter und einfacher, der Lohn aber höher war, als in die Werkstsatt des strengen Meisters. Deshalb tauchte der Gedanke auf, den Staat zu veranlassen, die Präcisionsmechanik zu unterstützen. Nach mannichfachen Anregungen kam die Angelegenheit doch erst in Fluß durch das energische Eingreifen von Werner v. Siemens. Dieser Gelehrte und Techniker hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß der Technik überhaupt nur gründlich geholfen werden könne, wenn nicht zuvor die Wissenschaft die Gesetze der Kräfte, welche die Technik ausnutzen will, festgestellt. Ohne die Vorarbeiten der Physiker Ohm, Kirchhoff, Faraday etc. hätte z. B. die Elektrotechnik unmöglich so rasche Fortschritte machen können: die französische Regierung hat einst der ganzen Welt einen großen Dienst geleistet dadurch, daß sie dem berühmten Physiker Regnault großartige Mittel zur Disposition stellte, um die bei der Construction der Dampfmaschinen wichtigen Daten festzustellen – eine Aufgabe, die dieser Gelehrte glänzend und mustergültig löste.

Der mächtig fortschreitenden Technik genügen solche sporadischen Unterstützungen nicht mehr. Siemens hatte daher die Idee, das ganze Deutsche Reich müsse ein Institut gründen zur Förderung der Physik und der Technik. Er bot der Reichsregierung eine Summe von einer halben Million theils in Grundstücken, die er in Charlottenburg besaß, theils in Capital an zur Gründung einer physikalisch-technischen Reichsanstalt.

Reichstag und Reichsregierung waren mit dem Plane einverstanden, gründeten dieses neue Reichsinstitut und bewilligten die dazu nöthigen Geldmittel.

H., der zum Präsidenten der Anstalt ernannt wurde, organisirte mit Hülfe sehr tüchtiger Beamten in sehr kurzer Zeit dieselbe, und sie functionirte so gut, daß auch das Ausland sich für dieses neue Unternehmen interessirte und Commissionen zur Besichtigung nach Charlottenburg entsandte.

Dem Präsidenten der Reichsanstalt steht zur Seite ein Curatorium mit eigenem Präsidenten. Die Mitglieder des Curatoriums werden aus allen Bundesstaaten gewählt und werden vom Kaiser ernannt. Diese Mitglieder vertreten die Physik, Chemie, Astronomie, Meteorologie, Geodäsie, die Armee und Marine, die Industrie und Mechanik, Gebiete, welchen die Reichsanstalt mit ihren Arbeiten helfen soll. Deshalb versammelt sich das Curatorium alle Jahre auf einige Tage. Es wird ihm mitgetheilt, welche Arbeiten ausgeführt und welche in Aussicht genommen sind. Damit der Präsident der Reichsanstalt erfährt, wo die Hülfe des Staates am nöthigsten ist, stellen die Curatoriumsmitglieder Anträge auf neue Aufgaben. Die Verhandlungen über die Nothwendigkeit und Dringlichkeit dieser neuen Aufgaben waren höchst interessant, da es sich ja um den Fortschritt in Wissenschaft und Technik handelte. H. verstand es nun meisterhaft diese Verhandlungen zu leiten, die richtige Auswahl unter den Vorschlägen zu treffen und übertriebene Forderungen zurückzuweisen.

Die zusagende Thätigkeit, sein geselliger Verkehr konnten H. nur erfreuen. Getrübt aber wurde sein Leben durch zahlreiche Todesfälle. 1889 stirbt sein hoffnungsvoller Sohn Robert, 1892 Werner v. Siemens und 1894 Heinrich Hertz und Kundt. Aber es fehlte auch nicht an Lichtblicken, die zugleich zeigten, wie hoch die Verehrung war, welche ihm allseitig gezollt wurde.

Glänzend verläuft die Feier seines 70. Geburtstages. Kaiser Wilhelm II. ernennt ihn zum Wirklichen Geheimen Rath mit dem Titel Excellenz. Das kaiserliche Schreiben enthält die Worte: „Sie haben, Ihr ganzes Leben zum Wohle der Menschheit einsetzend, eine reiche Anzahl von herrlichen Entdeckungen [466] vollbracht. Ihr stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist ließ in seinem hohen Fluge alles Getriebe von Politik und der damit verbundenen Parteiungen hinter sich zurück. Ich und Mein Volk sind stolz darauf, einen solch bedeutenden Mann ‚unser‘ nennen zu können“. Orden wurden ihm zahlreich zu Theil, inländische und ausländische Gesellschaften ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede oder Ehrenpräsidenten, die Berliner Akademie der Wissenschaften überreicht ihm die Urkunde einer Stiftung, die seinen Namen trägt, und nach welcher von Zeit zu Zeit den Forschern, welche sich Verdienste im Helmholtz’schen Forschungsgebiete erworben haben, eine Medaille verliehen wird mit dem Namen und Bildnisse von H. Fernere Spenden bestanden in seiner Büste und seinem Bilde, radirt von Jacobi.

Im engsten Familienkreise feiert er am 2. November 1892 sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Der Kaiser sendet telegraphischen Glückwunsch: „Dem großen Forscher und treuen Patrioten sende Ich zu dem heutigen Ehrentage die herzlichsten Glückwünsche, Mir vorbehaltend, zum Andenken Ihnen Mein Bildniß zu verleihen“. Außerdem treffen viele Adressen und Glückwünsche bei ihm ein.

Seinen Urlaub benutzt H., wie früher seine Ferien, zu Reisen, besonders nach seinem Lieblingsaufenthalt Pontresina. Unglücklich endete seine Reise nach Chicago 1893, zu der er sich erst entschloß, nachdem seine vorgesetzte Behörde ihn als Delegirten zum dortigen Elektrischen Congreß entsandte und seine Reisekosten derart feststellte, daß seine Frau ihn begleiten konnte. H. schreibt über diese Reise: „sie war höchst interessant, mehr interessant als schön und angenehm. Das Schöne ist durch unendlich trostlose Einöden getrennt und muß schwer erkauft werden durch unendliche Langeweile, Hitze und Staub“.

Auf der Rückfahrt am 7. October mit der „Saale“, als er sich zur Ruhe begeben wollte und die Cajütentreppe herabstieg, erlitt er wahrscheinlich einen Ohnmachtsanfall, die sich öfter bei ihm eingestellt hatten, auch auf der Reise nach Spanien. Man trug ihn in die Cabine des Schiffsarztes. Er hatte beim Fall sich das Gesicht verletzt und blutete sehr stark aus Stirn und Nase. Der Blutverlust hatte ihn so geschwächt, daß er nach der Ankunft in Bremen noch acht Tage daselbst verbleiben mußte. Erst am 20. November konnte er seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen und arbeitete, nicht ganz mit der Frische wie früher, rüstig weiter.

Am 12. Juni 1894, beim Gang über den Hausflur seines Hauses, konnte er nicht mehr vorwärts kommen, sein Diener springt herbei und trägt ihn auf das Sopha seines Zimmers. Zuerst ist sein Bewußtsein noch klar, bald aber stellen sich wirre Zustände ein. Noch einmal erholt er sich so weit, daß sein Geburtstag gefeiert werden kann. Bald aber ergreift ihn allmähliches Siechthum, und am 8. September Nachmittags 1 Uhr 11 Minuten wird uns der große Gelehrte vom schonungslosen, unerbittlichen Tode entrissen.

Was vergangen, kehrt nicht wieder,
Ging es aber leuchtend nieder,
Leuchtet’s lange noch zurück.

Helmholtz’ Leistungen und seine Werke. – Der geniale, unermüdliche Forscher v. H. hat der Nachwelt nicht allein reife Früchte hinterlassen, sondern auch, wie ein Pfadfinder, neue Gebiete eröffnet, die auch späteren Forschern in denselben Aussicht auf lohnende Arbeit bieten, wie dies auch die Stiftung der Helmholtz-Medaille beweist.

Seine Hauptwerke sind: „Handbuch der physiologischen Optik“, 1886, 2. Aufl.; „Lehre von den Tonempfindungen“, 1877, 4. Aufl.; „Wissenschaftliche [467] Abhandlungen“, 1882; „Vorlesungen über theoretische Physik“. Herausgegeben von seinen Schülern in den Jahren von 1897–1903; „Ueber die Erhaltung der Kraft“, 1847; „Der Augenspiegel“, 1851.

Außerdem mannichfaltige Aufsätze über Elektricität, Akustik, Optik, über Nerven und Muskeln etc. in Müller’s Archiv, Virchow’s Archiv, Crelle’s Journal, Poggendorff’s und Wiedemann’s Annalen etc. Dem Laien können wir angelegentlich empfehlen das Studium seiner „Vorträge und Reden“, 1896, 4. Aufl.

Aus der Fülle der Arbeiten heben wir mit kurzen Erläuterungen die wichtigsten hervor, von denen wir voraussetzen können, daß sie den großen Leserkreis der „Allgemeinen deutschen Biographie“ interessiren.

v. Helmholtz war Philosoph, Mathematiker, Physiker und Physiologe.

Beginnen wir mit seiner Stellung zur Philosophie. Nach seiner Ansicht ist die Aufgabe der Philosophie, „das Erkenntnißvermögen der Menschen in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit zu untersuchen“. Er selbst schließt sich der Kant’schen Philosophie an, d. h. er ist Empiriker, der durch die Erfahrung die Erkenntniß der Welt gewinnen will. Er bekämpft die Metaphysik, deren Schlüsse entweder Trug- oder versteckte Erfahrungsschlüsse seien. Er theilte ferner die Ansicht von Kant, daß Raum und Zeit angeborene, vor aller Erfahrung mitgebrachte transscendentale Anschauungen unseres Geistes sind. Gegen Kant beweist er aber, daß die Euklidischen Grundsätze der Geometrie aus der Erfahrung gewonnen werden, da man auch ohne Annahme dieser Axiome zu einer widerspruchslosen Geometrie gelangen könne.

Es ist ja natürlich, daß der Mediciner v. H. bei seinen Arbeiten die Physiologie bevorzugte. Besonders interessirten ihn die Veränderungen der gereizten Muskeln und Nerven, die Leistungen von Auge und Ohr.

„Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung“, 1850; „Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaktion“, 1845; „Ueber die Wärmeentwickelung bei der Muskelaktion“, 1847.

Zum Studium der gereizten Nerven und Muskeln richtete er sich zweckentsprechend Galvanometer und Pendel zur Messung kleiner Zeiten ein. Er erfand, um sowol Stärke als auch Zeitdauer zu messen, daß für die Physiologie so wichtig gewordene Myographion. Die Versuche ergaben ein sehr merkwürdiges ungeahntes Resultat, nämlich, daß die Nervenerregung sich in einer meßbaren Zeit fortpflanzt. Man hatte vermuthet, diese Fortpflanzungsgeschwindigkeit sei der des Lichtes (300 000 Kilometer in der Secunde) ähnlich, H. findet einen Werth von 30 Meter in der Secunde, sowol beim Frosch wie auch beim lebenden Menschen. Beim thätigen Muskel wird Stoffverbrauch und die Erzeugung von Wärme nachgewiesen.

In seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit, seiner Dissertation (1842) „de Fabrica Systematis nervosi Evertebratorum“, liefert er bei wirbellosen Thieren den Nachweis der von J. Müller postulirten Verbindung der Nervenfasern mit den Ganglienkugeln.

„Ueber Fäulniß und Gährung“, 1843. Die Arbeit liefert das Resultat, daß die Fäulniß kein rein chemischer Vorgang ist, sondern daß Mikroorganismen dabei eine wichtige Rolle spielen.

„Ueber die Bewegung des Brustkastens“, 1856; sie erklärt sich nach H. dadurch, daß der Thorax, der mit einem Korbe aus elastischen Stäben zu vergleichen ist, bei Inspiration durch Muskelzug erweitert wird, bei Exspiration die elastischen Stäbe in ihre Gleichgewichtslage zurückspringen.

„Die Wirkungen der Muskeln des Armes“, 1887. Diese Mittheilung [468] gibt ihm die Veranlassung, auf die bisher nicht beobachtete Rotation der Phalangen (erste Fingerglieder) aufmerksam zu machen.

„Versuche über das Muskelgeräusch“, 1864. Der leise Ton des schon von Grimaldi, Wollaston und Erman beobachteten Muskelgeräusches erklärt sich daraus, daß das Rückenmark dem Muskel, der sich zusammenzieht, in einer Secunde 18–20 Reize ertheilt. Von dem dadurch entstehenden Tone kann nur der Oberton gehört werden.

„Ueber das Heufieber“, 1869. Bei einem Anfall von Heufieber, an dem auch H. litt, konnte er auf seiner Nasenschleimhaut kleine pathogene Organismen nachweisen, die sich durch Chinin bekämpfen ließen.

„Ueber eine bisher unbekannte Veränderung am menschlichen Auge bei veränderter Accomodation“, 1853. H. mißt mit dem von ihm erfundenen Ophthalmometer die Größe der Spiegelbilder der Außenwelt auf der vorderen und hinteren Fläche der Krystallinse. Aus der Größe derselben läßt sich die Brennweite der Linse beim Sehen in die Ferne und in der Nähe berechnen. Es findet sich, daß bei Accomodation für die Nähe die Brennweite kleiner wird.

„Ueber die Form des Horopters“, 1862. Unter Horopter versteht man den Theil des Gesichtsfeldes, in welchem beim Sehen mit zwei Augen nur ein Bild zum Bewußtsein kommt, obgleich jedes einzelne Auge auf seiner Netzhaut ein etwas verschiedenes Bild erhält. Die Feststellung dieses Horopters bildet ein viel bearbeitetes Problem. H. findet das wichtige Resultat, daß bei aufrechter Körperstellung und bei Accomodation für die Ferne der Fußboden die Horopterfläche bildet.

„Beschreibung eines Augenspiegels zur Untersuchung der Netzhaut im lebenden Auge“, 1851. Aeußerst einfach ist dieser für die Augenheilkunde so wichtig gewordene Apparat. Durch einen in der Mitte durchlochten Hohlspiegel wird von einer zur Seite des zu Untersuchenden befindlichen Lichtquelle (Lampe) Licht in das Auge geworfen. Die hierdurch erleuchteten Gegenstände im Innern des Auges, namentlich der Netzhaut, können nun von dem mit passenden Brillenglase bewaffnetem geübten Arzte deutlich gesehen und etwaige Fehler und Mängel entdeckt werden.

„Das Telestereoscop“, 1857. Die stereoscopischen Bilder werden durch die photographische Kammer gewonnen, indem der Aufnahmepunkt dieser Kammer um die Distanz der beiden Augen geändert wird; dadurch erhält jedes Auge ein etwas anderes Bild. Durch das Stereoscop gesehen, kommt dann ein reliefartiges Bild zum Bewußtsein. Die Verschiedenheit der beiden Bilder verschwindet aber, wenn der abzubildende Gegenstand von den Augen weit entfernt ist. In diesem Falle muß der Abstand der Aufnahmepunkte vergrößert werden. H. erreicht dies mit Hülfe zweier Paare von Spiegeln, von denen der eine möglichst weit, der andere sich dicht vor dem Auge befindet. Den fruchtbaren Gedanken, der der Construction des Apparates zu Grunde liegt, benutzt die Technik zur Herstellung von Relief-Fernröhren, welche die Details des fernen Gegenstandes besser geben, als bei der Betrachtung mit einem Auge und einem Fernrohre.

„Ueber die Empfindlichkeit der Netzhaut für die benachbarten Strahlen des Sonnenlichtes“, 1855. Entwirft man vom Sonnenlicht ein Spectrum, so sieht man nur die Strahlen vom Roth bis zum Violett. Aber schon die photographische Platte zeigte, daß über das Violett hinaus noch Strahlen existiren, die photographisch wirken. Man nennt diese Strahlen ultraviolette. H. gelang es durch Spectralapparate, die nur Quarzlinsen und Quarzprismen enthielten, dieselbe auch dem Auge sichtbar zu machen. Sein Schüler Esselbach hat die Wellenlängen dieser Strahlen gemessen.

[469] „Ueber die Zusammensetzung von Spectralfarben“, 1855. H. macht zunächst aufmerksam auf einen großen Unterschied der Wahrnehmungen des Auges und des Ohres. Werden dem Auge gleichzeitig mehrere Farben vorgeführt, so kommt zum Bewußtsein nur eine, die „Mischfarbe“, während das Ohr aus einer Menge von Tönen dieselben zerlegt und jeden einzelnen Ton wahrnimmt. H. unterstützt die Hypothese, daß an jeder Stelle der Netzhaut drei verschiedene Nervenfasern existiren, von denen die eine nur Roth, die zweite nur Grün und die dritte nur Violett empfindet. Die Mischfarbe, welche das Auge sieht, ändert sich nach Art und Stärke der einwirkenden Farben. Ein wesentlicher Unterschied wird beobachtet beim Mischen von Spectralfarben unter sich und Pigmentfarben unter sich. Zum Beispiel gibt spectrales Gelb mit spectralem Indigo „Weiß“, während beim Mischen von den Pigmenten Gummi-Gutti und Ultramarin „Grün“ gesehen wird. Um alle möglichen Spectralfarben zu mischen, ersinnt H. mannichfache Methoden. Am besten eignet sich dazu der von ihm ersonnene „Farbenmischapparat“, der ihm in sorgfältiger Ausführung zu seinem 70. Geburtstage von der Firma Franz Schmidt & Haensch verehrt wurde.

Die neuen Thatsachen, mit welchen H. die Akustik bereichert hat, finden sich in der „Lehre von den Tonempfindungen“. Wir entnehmen daraus: „Die Doppelsirene“. Cagniard la Tour verdanken wir eine akustische Sirene, mit der bewiesen werden kann, daß die Höhe eines Tones abhängt von der Anzahl der Schwingungen eines tönenden Körpers, in einer Secunde für den Menschen 30–32 000. Mit der Dove’schen Sirene kann der experimentelle Nachweis geliefert werden, daß die Harmonie der Töne von dem Verhältniß der Schwingungen abhängt, daß z. B. die Octave doppelt so viel Schwingungen ausführt wie der Grundton. Diese Sirenen genügten H. nicht. Er ließ eine Doppelsirene anfertigen, mit der er alle Intervalle von der Octave bis zum Gleichklang, Phasendifferenzen[WS 1] und Veränderungen der Tonhöhe herstellen konnte.

„Der Resonator“. Ein kugelförmiges Hohlgefäß aus Metall[WS 2] mit kurzer kugelförmiger Röhre zum Einstecken in den Gehörgang und mit scharfrandiger kreisförmiger Oeffnung. Die Luft in dem Hohlraum ist auf einen bestimmten Ton abgestimmt. Ist dieser Ton in einem Gemisch von Tönen enthalten, so tönt die Luft im Resonator durch Resonanz mit. Bewaffnet man daher das eine Ohr mit diesem Resonator und schließt das andere, so wird man taub gegen alle andere Töne, die dem Resonatorton nicht entsprechen. H. erfand das Instrument, um aus einer Fülle von Tönen nur einen herauszusuchen.

„Der Klang“. Mit Hülfe des Resonators gelingt es, den Unterschied von einfachen Tönen und Klängen festzustellen. Bei einem Klange ist der Grundton begleitet von einer Reihe von Obertönen, deren Schwingungszahlen zunehmen nach der einfachen Zahlenreihe 1 : 2 : 3 : 4 etc. Man nennt diese Begleittöne „Obertöne“ oder „Partialtöne“. Die Verschiedenheit des Klanges der musikalischen Instrumente, z. B. der Violine und der Flöte, hängt nur ab von der Zahl und der Stärke dieser den Grundton begleitenden Obertöne.

„Das Vibrations-Mikroscop“, auch von H. erfunden, dient ihm dazu, die Schwingungsform tönender Saiten festzustellen und aus derselben die Stärke und die Art der Obertöne zu berechnen.

„Der Vocalapparat“. Von den Klängen der musikalischen Instrumente ist wesentlich verschieden der Klang der Vocale, indem beim Sprechen oder Singen eines Vocales mit dem Grundton ganz bestimmte andere Töne mitklingen. Z. B. beim Sprechen oder Singen des Vocales „U“ klingt immer [470] der Ton f mit . In einfachster, von Jedermann leicht zu wiederholender Weise weist es v. H. nach, indem er in einen offenen Flügel bei fortgenommenem Dämpfer auf denselben Grundton die Vocale A, E, I, O, U hineinsingt; der Flügel gibt dann die Vocale deutlich wieder. Er construirte später den Vocalapparat. Mit elektromagnetisch erregten Stimmgabeln und Resonatoren wurden die Vocalklänge nachgebildet.

„Hypothese über die Wahrnehmung des Schalles“. Nach derselben befinden sich im Labyrinth des Ohres abgestimmte Fasern, die durch Resonanz vom Tone der Außenwelt erregt werden. Mit den Fasern der membrana basilaris sind die Fäden des Gehörnerves verbunden. „Wird dem Ohre ein einfacher Ton zugeleitet, so müssen diejenigen Fasern, die mit ihm im Gleichklang sind, stark angeregt werden. Es wird also jeder bestimmte Ton nur durch gewisse Nervenfasern empfunden werden, und verschieden hohe Töne werden verschiedene Nervenfasern erregen.“

„Harmonie und Disharmonie“ werden auf die Schwebungen zurückgeführt, die bei disharmonischen Intervallen kein ruhiges Schwingen der Fasern der membrana basilaris gestatten, sondern das Ohr in unruhiger Weise reizen, wie flackerndes Licht das Auge.

Das Resultat der in der „Lehre von den Tonempfindungen“ enthaltenen Forschungen zieht H. mit den Worten: „Wir sind im Stande gewesen, das gesammte System von Regeln, die die Lehre vom Generalbaß bilden, herzuleiten aus dem Bestreben, eine deutlich zu empfindende Verbindung in die Reihe der Töne, welche das Musikstück bilden, hineinzubringen“. Nach seiner Ansicht geben diese Regeln aber nur das Verständniß der Musik, dem schöpferischen Tondichter nur das Baumaterial, aus welchem er vernunftgemäß das Kunstwerk bildet.

Von den Arbeiten in der „Experimentalphysik“ erwähnen wir folgende: „Princip bei der Construction von Tangentenboussolen“, 1849; „Elektrodynamische Waage“, 1881; „Bestimmungen magnetischer Momente durch die Waage“, 1883. Die drei genannten Instrumente dienen dazu, Stromstärken zu messen. Die zwei zuletzt genannten haben vor ähnlichen Meßapparaten den Vorzug, daß ihre Angaben von der veränderlichen Größe des Erdmagnetismus unabhängig sind.

„Elektrolyse des Wassers“, 1887. Geht der Strom eines Daniell’schen Elementes mittelst Platinelektroden durch Wasser, so stellt sich ein lang andauernder Strom ein. Diese Thatsache steht im Widerspruch mit dem Princip von der Erhaltung der Kraft. H. zeigt nun, daß, wenn die Platinelektroden und das Wasser ganz frei von Luft und Gasen sind, kein dauernder Strom beobachtet wird.

„Versuch, um die Cohäsion von Flüssigkeiten zu zeigen“, 1887. Ueber dem Quecksilber eines Barometers befindet sich in der Torricelli’schen Leere etwas Wasser. Bringt man dieses Wasser mit der Glaswand des Barometers in Berührung, so haftet nicht allein das Wasser am Glase, sondern auch das Quecksilber am Wasser auch dann noch, wenn man die Luft im offenen Schenkel so weit wie möglich verdünnt.

Helmholtz’ Leistungen auf dem Gebiete der theoretischen Physik (von M. Planck): Im ganzen Bereich der theoretischen Physik gibt es kaum ein Gebiet (die Krystallphysik vielleicht ausgenommen), in welchem H. nicht unvergängliche Spuren eingreifender Forscherarbeit zurückgelassen hätte. Um eine anschauliche Uebersicht hierüber zu gewinnen, wird es nützlich [471] sein, die verschiedenen Publicationen nicht nach der Zeit ihres Entstehens, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet zu betrachten. Natürlich kann hier nur ganz kurz von dem Hauptinhalt der allerwichtigsten berichtet werden. Ein vollständiges Verzeichniß sämmtlicher Publicationen, von Arthur König gesammelt, findet sich am Schluß des dritten Bandes der „Wissenschaftlichen Abhandlungen“. Hierzu kommen noch die von H. an der Universität Berlin gehaltenen, nach seinem Tode herausgegebenen Vorlesungen über alle Einzelgebiete der mathematischen Physik.

Gleich in seiner ersten physikalischen Abhandlung, über die Erhaltung der Kraft (vorgetragen am 23. Juli 1847 vor der Berliner physikalischen[WS 3] Gesellschaft) gab H. gewissermaßen ein Arbeitsprogramm aus, auf welches er in seinen späteren Forschungen immer wieder zurückgegriffen hat. Wenn man dasjenige, was in dieser berühmten Abhandlung an Neuem und Verdienstvollem geleistet ist, kurz charakterisiren will, so darf man nicht von einer „Entdeckung“ des Princips der Erhaltung der Energie reden, insofern als ob der Gedanke hier zum ersten Mal ausgesprochen wird. Denn in diesem Punkte hatte sowol H. als auch der neben ihm besonders oft genannte J. R. Mayer eine ganze Anzahl Vorgänger. Das Neue in jener Abhandlung war vielmehr, daß H. als der Erste zeigte, was oben genanntes Princip, das damals in Physikerkreisen noch so gut wie unbekannt war, für jede einzelne physikalische Erscheinung bedeutet, zu welchen zahlenmäßigen Consequenzen es überall führt, und wie alle diese verschiedenartigen Consequenzen auf den verschiedensten Gebieten der Physik, die zu übersehen damals ungleich schwieriger war als heute, nach Maßgabe der vorliegenden Erfahrungen sich bewährt haben.

Das Lehrgebäude der Mechanik hat H. hauptsächlich durch seine hydrodynamischen und akustischen Untersuchungen bereichert. Bahnbrechend wirkte seine Entdeckung der Gesetze der Wirbelbewegungen (1858). Deren wichtigstes besagt, daß in einer reibungslosen Flüssigkeit, in welcher der Druck lediglich von der Dichtigkeit abhängt, die einmal in drehender Bewegung begriffenen Flüssigkeitstheilchen beständig in dieser verharren müssen, ganz unabhängig von ihrer sonstigen Fortbewegung im Raume, daß also die wirbelnden Theilchen gewissermaßen Individuen mit unveränderlichen Eigenschaften darstellen. Besonderes Interesse brachte H. dem Studium der an der Grenze zweier verschiedener Flüssigkeiten, den Discontinuitätsflächen, auftretenden charakteristischen Vorgängen entgegen. Dies führte ihn einerseits zur Aufstellung der ersten Beispiele für freie Flüssigkeitsstrahlen (1868), andrerseits zu einer für die Meteorologie bedeutungsvollen Theorie der Wellen (1886–1890), in welcher er u. a. den großartigen Vergleich zwischen den gewöhnlichen Wasserwellen, an der Grenze von Wasser und Luft, und den Luftwogen an der Grenze zweier verschieden dichter Schichten der Atmosphäre rechnungsmäßig durchführte. Unter seinen akustischen Arbeiten, deren Bedeutung im übrigen mehr auf dem Gebiete der Experimentalphysik und der Physiologie liegt, ist in mathematisch-physikalischer Hinsicht die wichtigste die Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit offenen Enden (1859), in welcher die bis dahin stets nur in naher Annäherung berücksichtigten Grenzbedingungen an der Röhrenmündung genau befriedigt sind, wodurch denn auch eine viel bessere Uebereinstimmung der theoretisch berechneten mit der experimentell bestimmten Tonhöhe einer Pfeife erzielt wird.

Als H. sich näher mit der Elektrodynamik zu beschäftigen begann, standen sich in Deutschland besonders die Theorieen von Franz Neumann und von Wilhelm Weber gegenüber, während die Maxwell’sche Theorie, deren Sieg erst viel später durch Heinrich Hertz entschieden wurde, sich nur allmählich [472] von England her auf dem Continent verbreitete. Helmholtz’s Leistungen auf diesem Gebiet lassen sich dahin zusammenfassen, daß er eine Theorie der Elektrodynamik entwickelte, welche alle bis dahin bekannten Theorieen, einschließlich die Maxwell’sche, als Specialfälle umfaßt, und daß er hierdurch die charakteristischen Unterschiede der Einzeltheorieen, deren Kenntniß allein eine Entscheidung zwischen ihnen ermöglicht, in das rechte Licht setzte. Während sich in diesen Untersuchungen das Streben nach möglichster Allgemeinheit, möglichstem Umfassen aller nur denkbaren Anschauungen zeigt, entwickelte H. in seiner „Faraday Lecture“ (1881), seiner Zeit weit vorauseilend, zum ersten Male den Gedanken einer kühnen Specialisirung, der sich später als enorm fruchtbar erwiesen hat: die Hypothese einer atomistischen Constitution der Elektricität.

Die Optik behandelte H. hauptsächlich vom physiologischen und vom physikalisch-technischen Standpunkt aus, indem er einerseits die Vorgänge im Auge, andererseits die Wirkungsweise und die Leistungsfähigkeit der optischen Instrumente einer genauen Analyse unterwarf. Der mathematischen Physik gehört seine Theorie der Dispersion (Farbenzerstreuung) an, welche er im Anschluß an das Resonanzprincip von Sellmeier und Ketteler zuerst auf rein mechanischer, später auf elektrodynamischer Grundlage aufbaute.

Verhältnißmäßig spät wandte sich H. den complicirtesten unter allen Gesetzen der mathematischen Physik, den Principien der Thermodynamik, zu, die er sogleich in voller Allgemeinheit entwickelte und besonders auf galvanische und auf chemische Vorgänge anwandte. Dabei zeigte er insbesondere, wie sich die elektromotorische Kraft galvanischer Elemente in gewissen Fällen auf theoretischem Wege vorausberechnen läßt. Die weitere Verfolgung des Gedankens, daß die Erklärung aller Gesetze der Wärmelehre in der Mechanik zu suchen ist, führt ihn (1884) zu den Studien über die Statik cyklischer Systeme, d. h. solcher Körper oder Körpercomplexe, in denen gewisse schnelle, in sich zurücklaufende und daher direct nicht sichtbare Bewegungen stattfinden, wie bei einem in schneller Rotation befindlichen Kreisel, bei dem nur die verhältnißmäßig langsamen Aenderungen seiner Achsenrichtung und seines Standortes zur directen Wahrnehmung kommen.

Von hier gelangte H. zu dem Problem, welches ihn bis zu seinem Lebensende unausgesetzt gefesselt hat: der Frage nach dem „Princip der kleinsten Wirkung“ und seiner Bedeutung für die gesammte Physik. Nach allen Richtungen: historisch, kritisch, berichtigend und ergänzend, hat er die verschiedenen Formulirungen dieses Princips durchforscht und namentlich nachgewiesen, daß das Princip nicht nur für Bewegungsvorgänge, auf die es ursprünglich allein bezogen wurde, sondern, falls ihm eine hinreichend allgemeine Fassung gegeben wird, für sämmtliche genauer bekannten physikalischen Vorgänge Bedeutung besitzt, ebenso wie das beim Princip der Erhaltung der Energie der Fall ist. Aber das Princip der kleinsten Wirkung besagt noch mehr als das Energieprincip; denn es gestattet einen eindeutigen Schluß auf alle Einzelheiten des zeitlichen Verlaufes eines physikalischen Vorganges, falls der Anfangszustand und die Grenzbedingungen genau bekannt sind. Durch diese Forschungen hat H. den Weg zu einer einheitlichen Auffassung aller Naturkräfte vorgezeichnet. Die Durchführung seiner Ideen muß die Zukunft bringen.


[461] *) Zu Bd. L, S. 182.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage:Phasendifferanzen
  2. Vorlage: Matall
  3. Vorlage: phykalischen