ADB:Hertz, Heinrich

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Artikel „Hertz, Heinrich“ von Robert Knott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 256–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hertz,_Heinrich&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 11:59 Uhr UTC)
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Hertz: Heinrich Rudolf H., geboren am 22. Februar 1857 in Hamburg als ältester Sohn des Rechtsanwalts, späteren Senators und Chefs der Justizverwaltung Gustav H., trat nach Vorbereitung in einer Bürgerschule und im elterlichen Hause zu Ostern 1874 in die Oberprima der Gelehrtenschule, des Johanneums, ein. Schon als Knabe zeigte er neben einem erstaunlichen Gedächtniß vielseitige Anlagen, namentlich nach der naturwissenschaftlichen und technischen Seite hin. Eine Lieblingsbeschäftigung war ihm, an der Hobelbank oder der Drehbank, die er als Eigenthum im elterlichen Hause besaß, zu arbeiten, wo er sich allerlei Instrumente zum Privatgebrauch anfertigte, z. B. ein vollständiges Spektroscop. Daneben zeichnete und malte er gern, trieb auch etwas Botanik. Aber nicht nur die Realien, auch die philologischen Fächer betrieb er mit großem Eifer. Er konnte noch in späteren Jahren Seiten lang den Homer und die griechischen Tragiker recitiren. Sogar mit Sanskrit und Arabisch beschäftigte er sich privatim, sodaß einer seiner Lehrer den Vater zu bereden versuchte, ihn Philologie studiren zu lassen. Ostern 1875 verließ er das Gymnasium mit dem Zeugniß der Reife. Er zweifelte damals an seiner Befähigung für die reine Wissenschaft, und so widmete er sich zunächst dem Ingenieurfach. Ein Jahr lang arbeitete er praktisch in Frankfurt am Main, dem Geburtsort seiner Mutter. Hier wurde er als Volontär beim städtischen Bauamt beim Bau der neuen Mainbrücke beschäftigt. Während des Sommersemesters 1876 studirte er am Polytechnikum [257] in Dresden. Alsdann diente er sein Jahr als Einjährig-Freiwilliger in Berlin beim Eisenbahnregiment ab. Im October 1877 bezog er die Universität München und entschied sich nun dafür, sich den reinen Naturwissenschaften zu widmen. Ein Brief an seine Eltern (datirt München, 1. November 1877) zeigt, mit welcher Klarheit der zwanzigjährige junge Mann seine Berufswahl traf. Er blieb ein Jahr lang in München. Das Wintersemester 1877–78 widmete er in aller Zurückgezogenheit dem Studium der Mathematik und Mechanik, wobei er meist zu den Originalwerken griff, wie die von Laplace und Lagrange. Im darauf folgenden Sommersemester verlegte er sich hauptsächlich auf die praktischen Uebungen im physikalischen Laboratorium, sowol an der Universität, wie an der technischen Hochschule in den von v. Jolly und v. Bezold geleiteten Instituten. Im October 1878 zog H. nach Berlin, um v. Helmholtz’ und Kirchhoff’s Schüler zu werden. Als er die Anschläge am schwarzen Brett in der Universität musterte, fiel sein Blick auch auf die Ankündigung einer Preisfrage der philosophischen Facultät nach der „Trägheit bewegter Elektricität“. Er beschloß sich an ihrer Bearbeitung zu versuchen. Zahlreiche Briefe an seine Eltern geben uns über den Fortgang der Arbeit Aufschluß. Helmholtz hatte ihm Anleitungen gegeben; es wurde ihm ein eigenes Laboratoriumszimmer eingeräumt; am 31. Januar 1879 kann er den Eltern berichten: „Mit meiner Arbeit bin ich jetzt eigentlich ganz fertig“. Die Ausarbeitung geschah dann während einer militärischen Uebung zu Freiburg. Seine Arbeit gewann den Preis; am 4. August 1879 berichtet er den Eltern: „Für mich war der Erfolg ein günstiger, ich habe nicht nur den Preis erhalten, sondern das Urtheil der Facultät war so lobend abgefaßt, daß mir dies den Werth des Preises fast auf das Doppelte erhöht“. Im März 1880 wurde er auf Grund einer theoretischen Dissertation über die Induction in rotirenden leitenden Kugeln oder Hohlkugeln zwischen Magneten nach einem glänzend bestandenen Examen magna cum laude zum Doctor promovirt. Im October 1880 wurde H. Assistent bei v. Helmholtz. Es entstand nun eine Reihe von Arbeiten, zunächst eine theoretische Untersuchung „Ueber die Berührung fester elastischer Körper“, dann eine Abhandlung „Ueber die Härte“, ferner „Ueber die Verdunstung der Flüssigkeiten, insbesondere des Quecksilbers im luftleeren Raume“, „Ueber den Druck des gesättigten Quecksilberdampfes“; besonders hervorzuheben aber ist die Abhandlung „Versuche über die Glimmentladung“, mit der er wieder das Gebiet betrat, auf dem er dann seine großartigsten Triumphe feiern sollte. Diese Arbeit trug ihm auch ein besonderes Anerkennungsschreiben Helmholtz’ ein. Allen diesen Arbeiten ist, wie Planck anmerkt, besonders nachzurühmen die besonnene Selbstkritik ihres Verfassers. Bemerkenswerth ist, daß viele der von ihm erhaltenen Sätze eine negative Form haben: „Es gibt keine lebendige Kraft der bewegten Elektricität“, „Die Glimmentladung ist nicht immer diskontinuirlich“, „Die Kathodenstrahlen bezeichnen nicht den Gang des Stromes“, u. s. w. Es zeigt dies, daß es ihm zunächst durchaus nicht darauf ankam, durch Aufdeckung neuer überraschender Thatsachen äußere Erfolge zu erringen, sondern vielmehr darauf, sich selber durch einwurfsfreie Methoden die nöthige Klarheit von dem Wesen der betreffenden Vorgänge zu verschaffen.

Im J. 1883 habilitirte sich H. an der Universität Kiel; er erhielt dort einen Lehrauftrag für theoretische Physik. Wohl mit die Lage des neuen Wohnortes führte ihn zu meteorologischen Untersuchungen, sowie zu Studien über das Gleichgewicht einer schwimmenden elastischen Platte, z. B. einer Eisscholle, auf dem Wasser. Dort begann er alsbald sich auch wieder mit der [258] Elektrodynamik zu beschäftigen, ein Gebiet, das er dann nicht wieder verließ. In Wiedemann’s Annalen der Physik und Chemie veröffentlichte er 1884 eine Abhandlung: „Ueber die Beziehungen zwischen den Maxwell’schen elektrodynamischen Grundgleichungen und den Grundgleichungen der gegnerischen [d. h. der Weber’schen und Neumann’schen] Elektrodynamik“. Seine Thätigkeit in Kiel befriedigte indeß H. wenig; er war zu sehr Experimentalphysiker; mit eigenen Mitteln schuf er sich in seiner Wohnung ein kleines Laboratorium, und eben wollte er sich daran machen, mit Erlaubniß und Unterstützung des Directors des Kieler physikalischen Instituts, Gustav Karsten, thermoelektrische Versuche anzustellen, als ihn ein ehrenvoller Ruf selber an die Spitze eines solchen Instituts, nämlich am Polytechnikum in Karlsruhe, stellte, wohin er nun im Frühjahr 1885 übersiedelte. Hier lernte er auch seine zukünftige Gemahlin, Elisabeth Doll, die Tochter des bekannten Geodäten Doll, kennen. Es begann nun die Reihe von Arbeiten über die elektrischen Schwingungen, die seinen Namen unsterblich gemacht haben. Sie sind im zweiten Bande seiner gesammelten Werke als „Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft“ zusammengefaßt; sie sind bekanntlich nicht nur für die Praxis von größter Tragweite geworden, sondern auch von allergrößtem theoretischen Interesse, insofern durch sie die lange geahnte Identität zwischen Licht und Elektricität erwiesen wird. Im J. 1889 wurde H. auf den Lehrstuhl von Clausius nach Bonn berufen. Hier hatte er sich u. a. als Organisator zu bethätigen. Das physikalische Institut mußte erweitert, die Räume mußten neu ausgestattet, der Arbeitsplan der Praktikanten geändert werden. Daß er auch dieses Auftrags sich mit Umsicht entledigte, beweisen die mancherlei guten Arbeiten, die unter seiner Leitung und auf seine Anregung aus dem Institut während jener Zeit hervorgegangen sind. Hauptsächlich beschäftigte er sich in Bonn aber nunmehr mit dem theoretischen Ausbau der Maxwellschen Theorie, wozu ihm ein Colleg, das er über denselben Gegenstand las, willkommene Anregung bot. Diese Untersuchungen führten ihn dann zu den letzten und schwierigsten Fragen über die ponderable Materie und den Aether und deren gegenseitiges Verhalten. Es zeigte sich, daß die Theorie hier zu einer völlig befriedigenden Lösung aller Fragen doch nicht ausreichte, nämlich nicht für die Classe der elektrochemischen Erscheinungen. Diese Forschungen und das Bedürfniß, einen noch höheren Standpunkt für seine Naturauffassung zu gewinnen, drängten ihn dann zur Beschäftigung mit den allgemeinen Principien der Mechanik; dieses Werk vollendete er kurz vor seinem Tode. Es erschien mit einer Einleitung von v. Helmholtz. Den elektrischen und magnetischen Erscheinungen, so schloß H., müssen Bewegungen im Aether zu Grunde liegen, verborgene Bewegungen, in gewissem Sinne der Wärmebewegung der Atome vergleichbar. Helmholtz hatte gezeigt, wie man über solche unbekannten Bewegungen gewisse Aussagen machen könne, anknüpfend an das Princip der kleinsten Wirkung. Hertz’ Arbeit war nun darauf gerichtet, die Betrachtungsweise der ganzen theoretischen Mechanik so umzugestalten, daß eine Verallgemeinerung jenes Princips als erstes und einziges an ihre Spitze trat. Aber auch hierbei blieb er nicht stehen. Er plante wieder neue Experimente, diesmal mit Strömen von außerordentlich hoher Spannung, sodaß die Seinen schon besorgt wurden wegen der damit verbundenen Gefahr. Er sollte zu diesen Versuchen nicht mehr kommen. Im Sommer 1892 zeigten sich bei ihm, der sich bis dahin einer guten Gesundheit zu erfreuen hatte, eigenthümliche Krankheitserscheinungen, bestehend aus Anschwellungen der Nase und Schmerzen im Ohr, nach seiner eigenen Ansicht veranlaßt durch einen cariös gewordenen Zahn. Das Leiden wurde zunächst als ein harmloses behandelt; [259] die Beschwerden steigerten sich indeß mit der Zeit derartig, daß schließlich eine Operation hinter dem Ohre nöthig wurde, welche zur Beseitigung einer im Felsenbein entstandenen Eiteransammlung führte. Ein Aufenthalt an der Riviera im Frühjahr und zu Reichenhall im Herbst des Jahres 1893 besserte sein Befinden; leider nicht auf die Dauer. Am 7. December mußte er seine bis dahin mit dem größten Energieaufwand fortgesetzten Vorlesungen unterbrechen; die letzten Wochen brachte er unter steigenden, zuletzt unsäglichen Schmerzen und immer bei klarem Bewußtsein hin, bis ihn endlich am 1. Januar 1894 der Tod von seinen Leiden erlöste. Er hinterließ eine Wittwe mit zwei Kindern.

Seine Abhandlungen finden sich in Crelle’s Journal für Mathematik, Schlömilch’s Zeitschrift für Mathematik, Wiedemann’s Annalen und sind als „Gesammelte Werke“ herausgegeben (Leipzig, Joh. Ambr. Barth).

Gesammelte Werke von Heinrich Hertz. – Heinrich Rudolf Hertz. Rede zu seinem Gedächtniß von Max Planck. – Chronik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Jahrgang 19. 1894.