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ADB:Oemler, Christian Wilhelm

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Artikel „Oemler, Christian Wilhelm“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 349–351, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oemler,_Christian_Wilhelm&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 02:44 Uhr UTC)
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Oemler: Christian Wilhelm Oe., Consistorialrath, Superintendent und Oberpfarrer in Jena, geboren in Denstädt, einem Dorfe bei Weimar, wo sein Vater Pfarrer war, am 20. September 1728. Er besuchte das Gymnasium in Weimar, wo ihn der Wolffianer Jacob Carpov (s. A. D. B. IV, 8) nicht bloß in die Philosophie, sondern auch in die syrische Sprache einführte, dergestalt, daß er in letzterer seine Abschiedsrede halten konnte. 1747 bezog er die Universität Jena, wo er mit Vorliebe die theologischen Wolffianer Polz und Reusch hörte. Dem letzteren, welcher gegenüber den Freigeistern die Wahrheit des Christenthums aus der ihm allein zukommenden sufficientia ad beatitudinem obtinendam [350] bewies und die Harmonie der Dogmen mit den Wahrheiten der gesunden Vernunft verkündete, verdankte er seine theologische Ueberzeugung. „Wer bei Reusch mit Nutzen gehört hat, ist weder Nachbeter der Neuern noch blinder Anhänger der Alten.“ Oe. hatte Lust, sich vorzüglich der Philosophie zu widmen, aber seine beiden genannten Lehrer riethen ihm zum Predigtamte. Nachdem er die praktischen Fächer unter Hallbauer, Walch und Köcher absolvirt und unter Polz noch eine Disputation „De praescientia divina apagogice et ostensive demonstrata“ gehalten, endigte er 1752 seine Studien und nahm eine Hofmeisterstelle in Gera an. 1755 wurde er, vom Geheimrath v. Lynker berufen, Pfarrer seines Geburtsortes. Den hier mit Plünderung, Wetterschaden und Viehseuche Heimgesuchten entschädigte die Herzogin Amalie durch Berufung zum Oberpfarrer und Adjuncten in Neumark (1764). 1766 berief ihn der Stadtrath von Jena zum Archidiakonat. Ein Jahr darauf erhielt er Erlaubniß, praktische Collegia zu lesen. Er nahm sich besonders der Schuljugend an, ertheilte ihr selbst Unterricht in seinem Auditorium, und gründete 1768 eine Freischule für arme Kinder. Da aber seine pädagogische Thätigkeit für ihn mancherlei Verdruß und Feindschaft im Gefolge hatte, war er geneigt, 1771 einem an ihn ergangenen Ruf nach Erfurt Folge zu leisten. Gnadenbeweise seiner Landesfürstin hielten ihn zurück. Er wurde an Hirt’s (s. A. D. B. XII, 481) Stelle 1776 Oberpfarrer und Superintendent, als welcher er besonderes für die Hebung des Schulwesens in seiner Diöcese mit Eifer thätig war und starb am 2. Juni 1802 mit dem Ruhme eines gewissenhaften, thätigen und das Gute herzlich wollenden Mannes. Er wurde, wie sein Lehrer Reusch, zu den orthodoxen Theologen gerechnet. Bahrdt’s Ketzeralmanach schreibt ihm eine stroherne Dogmatik zu und meint, in allen seinen Predigten, Liedern und Gebeten liege die Vernunft unter dem Gehorsam des Kirchenglaubens gar willig gefangen. Wenn er aber von einem Buchmacher nicht lange vor seinem Tode ein in der Ketzerjagd ergrauter Pfaffe gescholten wurde, so hatte das der Mann nicht verdient, der auch seinerseits die Aufklärung, nur nicht die unbändige Neuerungssucht eines Bahrdt und Consorten, wollte, der als orthodoxer Wolffianer eine Antinomie zwischen Vernunft und Offenbarung nicht kannte, und den an der alten Lehrform irre gewordenen Predigern den Rath ertheilte, sich an die allgemeinen wesentlichen Wahrheiten des Christenthums zu halten, welche aus der Bibel durch eine richtige Auslegung bewiesen werden können. Seine Schriften, an welchen die Weitschweifigkeit allgemein getadelt wurde, zerfallen in zwei Classen: ascetische und pastoral-theologische. Zu den ersteren gehören seine Andachtsbücher, zumeist unter damaligen Modetiteln erschienen, als: „Der Christ in seiner Hoheit“ (1758), „Der Christ ein Nachfolger Jesu“ (1764), „Der wahre Christ in seinen Empfindungen in der Stille“ (1767), „Der wahre Christ an der Gnadentafel“ (1768). Als Pastoraltheolog ist er einer der fruchtbarsten Casuisten der evangelischen Kirche gewesen. Nicht bloß, daß er fast alle Theile der Pastoraltheologie in besonderen Schriften behandelt hat – z. B. „Der Prediger an dem Krankenbette seiner Zuhörer“ (5 Th. 1770–83), „Der Prediger bei den Betrübten und Angefochtenen in seiner Gemeinde“ (1771), „Der Prediger im Beichtstuhle“ (1772), „Der Prediger im Strafamte“ (1773), „Der Prediger bei Delinquenten und Missethätern“ (1775), „Der Prediger bei Denen, die zur Ablegung eines Eides vor Gericht sollen zubereitet werden“ (1778), „Der Prediger gegen seinen Kirchenpatron“ (1779) – er hat das Alles und noch vieles Andere, darein der Prediger gerathen kann, auch wieder in einem vierbändigen „Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik“ (1786–1789) zusammengefaßt und überdem noch „Beiträge“ (2 Th., 1783) und „Letzte Beiträge (1800) zur Pastoraltheologie und Casuistik“, „Beispiele der Pastoralklugheit für angehende Landgeistliche“ [351] (1784), „Freundschaftliche und brüderliche Winke für Stadt- und Landprediger“ (1790), „Gedanken über die Nutzbarkeit des Predigtamtes auf dem Lande“ (1775–1780, die ausführlichste Entgegnung auf Spalding’s Schrift über die Nutzbarkeit des Predigtamtes), endlich die „Resultate seiner Amtsführung (1796) für seine jüngern Amtsbrüder, die nachdenken wollen“, erscheinen lassen. An eine zu sehr ins Detail getriebene Casuistik hängt sich leicht eine unbeabsichtigte Komik. So wirft Oe. die seltsame Frage auf: „Kann der Prediger allen Aufruhr und alle Empörung allein stillen?“ da doch noch Niemand eine solche Zumuthung dem geistlichen Stande gemacht hat, noch in Zukunft machen wird. Jean Paul läßt einen Pfarrer, dessen Sohn seinen Gegner im Duell getödtet hat, eiligst in Oemler’s „Repertorium“ den Artikel nachschlagen: „Wie sich ein Pfarrer zu benehmen habe, dessen Sohn gehenkt werden soll.“ Aber sein heiliges Amt ist ihm ernst und heilig gewesen, und er hat es in keinen Schriften, denen es wohl an Geschmack und Präcision, aber nicht an herzlicher Liebe und Eifer gebricht, seinen jüngeren Amtsbrüdern heilig zu machen gesucht, dieselben unter väterlichen Thränen ermahnend: „Werdet nicht niederträchtige Brotdiener, die ihr heiliges Amt führen, um gefüttert zu werden.“

J. R. G. Beyer, Allgem. Magazin für Prediger, Bd. IV, St. 2, S. 216–224. – H. Doering, Die deutschen Kanzelredner, S. 284 ff. – G. Frank, Die Jenaische Theol., S. 98 f.