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ADB:Otto, Marcus

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Artikel „Otto, Marcus“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 787–789, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Otto,_Marcus&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Otto*): Marcus O., oder wie er sich selbst gewöhnlich nennt, Marx Ott, wohl der bedeutendste Straßburger Diplomat im 17. Jahrhundert, wurde zu Ulm am 20. October 1600 geboren. Einer, wie es scheint, wenig wohlhabenden, jedoch angesehenen Bürgersfamilie angehörig, besuchte er zunächst das Gymnasium seiner Vaterstadt. Im J. 1619 bezog er die Straßburger Universität. Hier hörte er bis in den Sommer 1621 hinein philosophische und philologische Collegien, wurde im Frühjahr 1620 mit Auszeichnung zum magister liberalium artium creirt und wandte sich dann mit voller Energie dem Studium der Jurisprudenz zu. Mit Hülfe fremder Unterstützungen wurde es ihm möglich, demselben bis zum Schluß des Jahres 1622 in Straßburg obzuliegen und ernstlich an eine größere Reise für seine weitere Ausbildung zu denken. Da entriß dem in die Heimath Zurückgekehrten im März 1623 der Tod den Vater und die Sorge um seiner Mutter Existenz und seine eigne Zukunft hielt ihn fast ein volles Jahr gefangen. Mit der Berufung in eine Hofmeisterstellung und dem Auftrag, den Zögling nach Straßburg zu geleiten, bekam sein Geschick eine unverhofft günstige Wendung. Schon im October 1624 erlangte er von der Straßburger juristischen Facultät die Erlaubniß, Privatcollegien, Disputationen und Repetitorien zu halten, auch lernte er eine Reihe fremder Universitäten kennen, nicht nur die nächstgelegenen Basel, Freiburg und Tübingen, auch Wien, Prag, Leipzig, Wittenberg und Jena. Nachdem er im Sommer 1629 das juristische Doctorexamen abgelegt und seine Inauguraldisputation „de repressaliis“ gehalten, begann er am Reichskammergericht zu Speyer sich in die advocatorische Praxis einzuarbeiten. In der Führung eines ihm von der Stadt Offenburg anvertrauten Processes, den diese gegen den Landvogt der Ortenau angestrengt hatte, war O. auch längere Zeit am kaiserlichen Hofe zu Wien thätig und fand Gelegenheit, hier seiner Vaterstadt wie der Stadt Straßburg ersprießliche Dienste zu leisten. Jedenfalls in Anerkennung derselben wurde er von der letztern im November 1630 in die städtische Verwaltung berufen und zunächst als Extraordinarius für das Archiv in Bestallung genommen. [788] 1632 zum geheimen Secretarius sowie zum Adjuncten des Stadtschreibers, 1633 zum Referendar beim großen Rath befördert, wurde er bald mit wichtigen diplomatischen Missionen beauftragt. So führte er in den Jahren 1635 und 1636 die Unterhandlungen der Stadt mit dem Markgrafen Wilhelm von Baden, dem Kurfürsten von Sachsen und dem Landgrafen von Hessen, die sich um die Frage drehten, ob Straßburg, vom kaiserlichen General Gallas bedrängt, dem Prager Frieden beitreten, sich von dem schwedischen Bündniß lösen und dem Kaiser nähern sollte. Als dieselben sich zerschlagen hatten, erschien den Straßburgern die Neutralität um jeden Preis als der einzige Rettungsweg aus ihrer von den Franzosen, Schweden und den Oesterreichern bedrohten, in der That sehr exponirten politischen Lage. In diesem Sinne vertrat Marcus O. die Stadt auf dem die Friedensverhandlungen einleitenden Regensburger Reichstage 1641, zu dem sie übrigens vom Kaiser nicht einberufen war und von dessen Verhandlungen sie auch ausgeschlossen blieb. Für diese Mission war er kurz vorher, am 30. November 1640, zum Rath und Advocat der Stadt ernannt worden. Er muß dem schwierigen Auftrag, der ein besonderes diplomatisches Geschick erforderte, zur vollen Zufriedenheit seiner Oberen gerecht geworden sein, durch diese und andere Dienste, sowie durch seine 1637 geschlossene Ehe mit Margarethe Saladin, der Tochter eines Straßburger Apothekers. hatte er sich jedenfalls auch in den Herzen seiner Mitbürger das volle Straßburger Bürgerrecht erworben, kurz, er wurde allgemein, als der Friedenscongreß von Münster und Osnabrück eröffnet werden sollte, als der Vertrauensmann der Stadt bezeichnet, der sie allein würdig an dem europäischen Areopag vertreten könnte.

Am 15. März 1645 trat er seine Reise nach Osnabrück an, am 31. Januar 1649 kehrte er zurück. Diese vier Jahre bezeichnen unstreitig den Höhepunkt in Otto’s Leben. Seine Berichte, deren er zum mindesten in der Woche einen, oft zwei an die Straßburger Regierung sandte, liegen uns bis zum Schluß des Jahres 1647 vollständig erhalten vor. Sie sind rein sachlich gehalten und informiren vortrefflich über den Verlauf der einzelnen großen Streitfragen, welche den Congreß bewegten. Im Vordergrund stehen die Gravamina der Reichsstände, die religiösen Fragen, die Amnestie, die Restitution u. s. w., die Verhandlungen der katholischen und der evangelischen Stände. Besonderes Interesse erregen noch heute die Mittheilungen über die Forderungen der Kronen Frankreich und Schweden, vor Allem über die satisfactio Gallica. Vom ersten Augenblicke ab, wo die Vorschläge Frankreichs bekannt werden, vom October 1645 ab zeigen sich der Straßburger Rath wie sein Gesandter von untilgbarem Mißtrauen gegen die Absichten dieser Macht erfüllt, das sich am besten in dem oft ausgesprochenen Worte verdichtet: „Francum amicum habeas non vicinum“. Die weiterzielenden Pläne der Franzosen entschleiern sich den Straßburgern sehr bald, sie sind sich bewußt, daß sie gegenüber den andern elsässischen Reichsstädten keinen andern Vortheil hätten als das „beneficium Ulissis von dem Polyphemo“. Gegen die bekannte zweideutige Clausel „ita tamen etc.“ im § 87 des Friedensinstruments verwahren sie sich bestimmt; indeß bei allen Bestrebungen, sich gegen die gefährliche Nachbarschaft zu sichern, so laut sie auch ihre Reichsangehörigkeit betonen, für die sie bei den schwedischen Gesandten vor allem Rückhalt suchen, niemals wagen sie die Freundschaft Frankreichs geradezu zu verscherzen. Nur einmal ertheilt O. dem französischen Botschafter, dem Grafen d’Avaux, den klaren Bescheid: „wir seyen Teutsche und reden Teutsch.“ Einen durchschlagenden Erfolg konnte die Straßburger Neutralitätspolitik natürlich auf diesem Boden erst recht nicht erringen, weder konnte O. die unklare Fassung des Friedensvertrages bezüglich der elsässischen Abtretungen verhindern, noch die Garantie der politischen und [789] religiösen Rechte der reichsunmittelbaren Stände im Elsaß zur An- und Aufnahme bringen.

Auf dem Regensburger Reichstage des Jahres 1653, der die Ausführung der Bestimmungen des Westfälischen Friedens für das Reich regeln sollte, der aber nur die Proceßordnung des Reichskammergerichts erledigte, hat O. noch einmal die Stadt Straßburg vertreten. Von da ab scheint er zu größeren politischen Missionen nicht mehr verwandt worden zu sein. Sein Einfluß und seine Bedeutung scheinen sich aber eher noch gesteigert zu haben, wenn wir erfahren, daß im J. 1664 der Straßburger Bischof Franz Egon von Fürstenberg O. bei dem Rathe beschuldigte, er habe die Unterthanen des Schwarzwaldthales Harmersbach zur Auflehnung gegen die bischöfliche Herrschaft bewogen, sie mit dem Gewicht seiner juristischen Rathschläge unterstützt. Der Abend seines Lebens blieb von Betrübniß nicht frei. Wenigstens erzählt uns der Straßburger Chronist Reisseissen, daß die Schmähschriften, welche im Winter 1671 auf 1672 überall in der Stadt verbreitet wurden und als deren Autor der Procurator Georg Obrecht ermittelt und gerichtet wurde, den Ammeister Dietrich und Marcus O. angriffen. Näheres über den Inhalt dieser Pasquille ist nicht bekannt, jedenfalls aber bezichtigten sie beide Männer des Verraths ihrer Vaterstadt. Ein bitterer Undank für treue Dienste mochte sich nicht leicht finden; aber die allgemeine Hochachtung seiner Mitbürger durfte O. trösten. Sie spricht sich in den Trauergedichten und Leichenreden bei seinem Tode, der am 5. November 1674 erfolgte, unverkennbar aus. Wenn ihn eine derselben mit dem großen Straßburger Staatsmann des 16. Jahrhunderts Jakob Sturm in Vergleich setzt, so mag derselbe gelten, wenn man den grundverschiedenen Charakter beider Epochen auch an diesen beiden Männern mißt: dort schöpferische Initiative, große ideale Ziele, hier zähe Beharrlichkeit, Gewandtheit in kleinen Mitteln, nächsterreichbare Zwecke. Aus den erhaltenen Bildern Otto’s spricht Würde, nicht ohne einen Anflug von Steifheit, am anmuthendsten wirken die großen klugen Augen mit den hochgeschwungenen Brauen.


[787] *) Zu Bd. XXIV, S. 761. Das vom Herrn Verfasser richtig eingesandte erste Manuscript dieses Artikels ging leider verloren.