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ADB:Paalzow, Henriette

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Artikel „Paalzow, Henriette“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 35–38, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Paalzow,_Henriette&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 04:47 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 35–38 (Quelle).
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Paalzow: Henriette P. wurde als das jüngste von drei Kindern des Kriegsraths Wach gegen Ende des vorigen Jahrhunderts (1788) zu Berlin [36] geboren. Der Vater war ein tüchtiger Geschäftsmann, dem die Bildung seiner Zeit nicht fehlte, der aber dennoch an manchen Vorurtheilen eigensinnmig festhielt und der Bildung und Erziehung seiner Kinder strenge Grenzen zog. So hielt er für seine beiden Töchter die Unterweisung im Lesen und Schreiben und in den weiblichen Handarbeiten für völlig ausreichend und wies jede Sehnsucht derselben, diese eng gezogenen Grenzen zu durchbrechen, mit aller Entschiedenheit zurück. Nur mit dem Sohne, dem später berühmt gewordenen Maler Wilhelm Wach wurde bald eine Ausnahme gemacht und besonders sein auffallendes Zeichentalent frühe schon durch entsprechenden Unterricht unterstützt. Dieser war es denn auch allein, der durch Mittheilungen aus seinem Verkehr mit der Welt und aus den eifrig gesammelten Geistesschätzen den Gesichtskreis der Schwestern erweiterte. So wuchs Henriette, ein mit natürlichen Anlagen und einer reichen Phantasie begabtes Kind, eigentlich in ihr widerstrebenden Verhältnissen auf, obwohl sie sich dieses Mißverhältnisses erst spät, und ohne dadurch in der Liebe zu ihren Eltern beirrt zu werden, inne ward; und lediglich aus der eigenen Schöpferkraft einer glücklichen Natur bildete sich im Gegensatz zu jenen Verhältnissen die schwärmerisch bewegte Seele eine Welt, in welcher sie bald heimischer wurde, als in der ihr äußerlich gegebenen, und in dieser Richtung ward sie, da die ältere Schwester sich früh verheirathet hatte, von dem Bruder unterstützt. Beide gaben sich in der vollen Kraft der Jugend einem idealen Leben hin, welches sie für immer von der guten alten Zeit emancipirte. Eine besondere Quelle des Glücks entsprang für Henriette aus dem Umstande, daß ihr Bruder durch immer bedeutendere künstlerische Leistungen sich auszeichnend, sich damals im Hause des Vaters ein Atelier gründete. Dadurch erhielt sie Gelegenheit, ihre Liebe zur Kunst zu bilden und zu befestigen, so daß dieselbe als ein nicht mehr zu Entbehrendes in ihr Bewußtsein überging. Immer mehr bildete sich auch aus ihr selbst ein entschiedenes Urtheil heraus, und ihre von einem auffallenden Scharfblick unterstützte feine Combinationsgabe lernte bald das Gute vom Mittelmäßigen und Schlechten mit großer Sicherheit absondern. Um diese Zeit lernte die Prinzessin Wilhelm (die ältere) von Preußen unsere Henriette im Atelier ihres Bruders kennen und wurde so unwiderstehlich von der Erscheinung des jungen Mädchens angezogen, daß sie bei jedesmaligem Besuch um die Gegenwart desselben bat. Die Rückwirkung blieb nicht aus. Begeistert für alles Schöne und Hohe, nährte Henriettens Seele eine glühende Liebe zu dieser edlen Frau – und nach und nach befestigte sich in beiden eine Zuneigung und wahre Freundschaft, die fürs Leben dauerte, und die auf Henriette einen nachzuweisenden Einfluß bis zu ihrem Tode übte. Das Jahr 1813 sprengte den Freundeskreis unserer Dichterin. Nicht dem Bruder allein drückte sie mit Begeisterung die Waffen in die Hand, der Krieg warf auch die ersten frischen Keime zukünftigen Glückes dem jungen Mädchen zerknickt in den Schoß und begrub die Hoffnungen und Träume einer seligen Jugendzeit. Damals griff Henriette oft zur Feder, um ihren Gedanken Form und Ausdruck zu geben. Aber nichts genügte ihr darin, und was entstand, wurde wieder verworfen. Mit wahrer Leidenschaft dagegen erfaßte sie die Musik und, weil ihr da ein guter Lehrer zu Hilfe kam, namentlich das Studium des Generalbasses. Sie machte Fortschritte, componirte ihre Lieblingslieder ganz meisterhaft und bildete ihre schöne, umfangreiche Stimme zu größter Vollkommenheit aus. In ihrem 28. Jahre heirathete Henriette auf Wunsch ihrer Familie den Major Paalzow. Hatte sie es aufgegeben, selbst glücklich zu sein, so hielt sie es in der Selbsttäuschung ihres edlen Herzens wol für möglich, andere noch glücklich zu machen. Indeß erwies sich dieser Schritt nur zu bald als verfehlt, und nachdem sie mit ihrem Gatten fünf Jahre verbunden gewesen war und während dieser Zeit in Westfalen und am Rhein [37] gelebt hatte, löste sie das Band der Ehe und kehrte zu ihrer Mutter nach Berlin zurück. Nach dem Tode der letzteren bezog sie mit ihrem, damals aus Italien zurückgekehrten Bruder Wilhelm ein Haus, und den Geschwistern wurde so ein Traum ihrer ersten Jugend erfüllt: sie konnten ein gemeinsames Leben beginnen und genießen. Die verwandte Richtung ihres Geistes und Geschmacks gab demselben bald einen Reichthum, über welchen die Wünsche dieser beiden Künstlerseelen nicht hinausgingen. Selbständig und frei, wurde auch ihr äußeres Leben immer mehr ein Abdruck ihres Geistes. Vorzugsweise mit ernsteren Studien beschäftigt, suchte Henriette auch in ihren geselligen Verkehr die Vertreter von Kunst und Wissenschaft hineinzuziehen, und besonders der freundschaftliche Umgang mit Wilhelm v. Humboldt und seiner Familie wurde von beiden Geschwistern mit großer Liebe cultivirt. Nicht also in Kampf und Entbehrung, sondern in harmonischer Ruhe wurde Henriettens Dichtertalent geboren; denn um diese Zeit begann sie, einem inneren Drange folgend, zu schreiben, und der Genuß dieses geheimen Schaffens bildete mehr und mehr den Kern ihres damaligen Lebens. Es entstand, von niemand gewußt und geahnt, ihr erster Roman „Godwie Castle. Aus den Papieren der Herzogin von Nottingham“, mit dem sie zugleich ihre schriftstellerische Thätigkeit abzuschließen gedachte. Eine bedenkliche Krankheit, die im Frühjahr 1835 eine schmerzhafte Operation nöthig machte, verschob die Veröffentlichung des Romans bis ins Jahr 1836. Zur Aufhilfe ihrer Gesundheit ging die Verf. im Herbst 1836 nach Köln am Rhein, wo sie fast ein Jahr weilte. Hier versuchte sie sich auch in einem Drama „Maria Nadasti“, das sie nur als eine Probe ansah, die sie ihren Fähigkeiten stellte und daher auch nie für die Oeffentlichkeit bestimmte. Wider ihren Willen erschien es 1845 in Robert Hellers Taschenbuch „Perlen“ abgedruckt. Nach ihrer Heimkehr gestaltete sich ihr äußeres Leben auf das glücklichste. Die Salons der vornehmen Gesellschaft waren ihr geöffnet, und zuweilen sah sie auch größere gesellige Kreise bei sich, die sich aus den hervorragendsten Künstlern, Dichtern und Gelehrten Berlins zusammensetzten. Dies ganze, unendlich anregende Leben eröffnete ihr wieder eine neue Welt, und sie fühlte, daß ihr Talent mit ihrem ersten Werke doch nicht begraben sei. Bald hatte sie neuen Stoffen neues Leben gegeben, und so erschienen 1839 ihr Roman „Sainte-Roche“ und Ende 1842 der Roman „Thomas Thyrnau“. Nach Beendigung des letzteren vergingen Jahre, in denen die Verf. so krank war, daß jeder Sommer einen langen Badeaufenthalt nothwendig machte, und sie nur wenig oder gar nicht zum Schreiben kam. Doch erschien zwischendurch Ende 1844 der Roman „Jakob van der Nees“. Der plötzliche Tod ihres Bruders Wilhelm im Herbste 1845 beugte sie auf das tiefste, und sie fühlte dadurch ihr Leben derartig zerrissen, daß sie meinte, der Schmerz müsse sie vernichten. Dennoch kämpfte ihr Geist noch zwei Jahre gegen die zunehmende Kränklichkeit des Leibes, bis sie endlich am 30. October 1847 im 60. Lebensjahre von dieser Erde schied. – Henriette Paalzow’s Romane haben eine sehr verschiedene, oft einander gerade widersprechende Beurtheilung erfahren, woraus Heinrich Kurz sehr richtig den Schluß zieht, daß die Schriftstellerin weder übermäßiges Lob, noch übermäßigen Tadel verdiene. Sie war weder so genial, wie sie den Einen erschien, noch so talentlos, wie die Andern behaupteten. Diejenigen, welche ihre Romane für historische halten, haben ja recht mit ihrem Vorwurf, daß die Dichterin das geschichtliche Material, das den Romanen zu Grunde liegt, auch nicht annähernd bewältigt habe; aber die Romane der P. sind eben keine historischen, sondern nur Familienromane, da die in ihnen eine Rolle spielenden historischen Persönlichkeiten nur in Beziehung zu Privatverhältnissen erscheinen. Ferner hat die Thatsache, daß die Romane der P. eine besonders bevorzugte Lectüre am preußischen Königshofe bildeten, manchen Kritiker zu dem Urtheile [38] Veranlassung gegeben, daß die Dichterin nur für hocharistokratische Kreise geschrieben habe, daß sie in diesen Kreisen allein eine freie und lebendige Entwickelung des rein Menschlichen finde, und daß sie nur auf der Höhe der Gesellschaft eine Freiheit von aller Roheit und allem niederen Treiben erblicke. Aber nichts lag der Dichterin ferner. Wenn sie als bürgerliche Frau aus bürgerlicher Familie in ihren Romanen die Etikette und Convenienz bis ins kleinste beachtete, so lag dies in ihrer ganzen Erziehung und Charakterbildung; sie hatte eben von Jugend auf nichts anderes gesehen als die strengste Beobachtung der edelsten Formen, und sie hat sich, wie sie selbst bekennt, in den letzteren bewegt, „ohne je zu glauben, daß eine gesellschaftlich höher stehende Klasse dies alles für sich allein beanspruche“. Uebrigens läßt sie ja selbst in manchen vornehmen Personen ihrer Romane die gemeinste Gesinnung in Erscheinung treten, wie z. B. im Roman „Sainte-Roche“, der ganz besonders den Kampf zwischen dem rein menschlichen Leben und seiner Corruption in den höheren Kreisen zum Gegenstande hat. Der Erfolg der Paalzowschen Romane lag in erster Linie in der würdigen Haltung und der sittlichen Größe und Reife, welche die Schriftstellerin in jeder Zeile offenbart. Außerdem besitzt sie die Gabe psychologischer Entwickelung, besonders weiblicher Gemüther; ihre Schilderung der Charaktere ist fast immer eine gelungene; das aristokratische Leben in England zur Zeit der Stuarts (in „Godwie Castle“), die französische vornehme Gesellschaft in Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV. (im „Sainte-Roche“), die Zustände in Böhmen seit dem 30jährigen Kriege (im „Thomas Thyrnau“) sind mit großer Wahrheit aufgefaßt und dargestellt; die Verschlingung der Begebenheiten ist spannend, so daß das Interesse von einer Situation zur andern steigt; die Beschreibung der Aeußerlichkeiten, wie der Costüme, der Toiletten, der Landschaften und besonders auch der Architecturen ist sorgfältig, wenngleich hier oft eine zu große Breite den Eindruck schmälert: alle diese Vorzüge verdecken manche kleinen Mängel und erklären das lange andauernde Interesse, das vom Publicum den Paalzowschen Romanen geschenkt wurde.

Ein Schriftstellerleben. Briefe der Verfasserin von „Godwie Castle“ an ihren Verleger. Breslau 1855.