ADB:Kurz, Heinrich
Ewald in Göttingen“ (Paris 1830) und „Mémoire sur l’état politique et religieux de la Chine, 2300 ans avant notre ère, selon le Chou King“ (Paris 1830). Diese Arbeiten, namentlich die zuletzt genannte, lenkten die Aufmerksamkeit der Kenner auf den jungen Gelehrten und waren die Ursache, daß er in die Redaction des Journal Asiatique berufen und durch die „Asiatische Gesellschaft“ mit der Neubearbeitung des chinesischen Wörterbuches von Basile beauftragt wurde. Um für die letztere Aufgabe die [422] nothwendigen litterarischen Hülfsmittel zu erlangen, ertheilte er, besonders im Deutschen, Privatunterricht und war dabei so glücklich, Männer, wie Jules Michelet, Saint-Marc-Girardin, August Poirson und Paul Dubois, den Redacteur des „Globe“, zu Schülern und Freunden zu gewinnen. Die Julirevolution von 1830 erfüllte ihn mit neuen Hoffnungen für das politische Leben Deutschlands. Er kehrte daher nach München zurück, wo er anfangs als Privatdocent über chinesische Sprache las und hierauf die Redaction der von Dr. Eisenmann gegründeten Zeitschrift „Bayerns Deputirtenkammer“ übernahm. Nach dem Schlusse des Landtages siedelte er nach Augsburg über und gab dort seit dem 1. April 1832 ein oppositionelles Tageblatt, „Die Zeit“, heraus. Am Morgen des 25. Mai wurde er durch das kgl. Kreis- und Stadtgericht plötzlich verhaftet und in die Frohnfeste abgeführt. Es geschah dies wegen eines schon früher erschienenen und bisher unbeachtet gebliebenen Artikels aus einer Schrift von Savogé. Nach einer sechsmonatlichen Untersuchung erfolgte das Urtheil des Münchener Oberappellationsgerichtes, welches den schuldig befundenen K. zu zweijähriger Festungsstrafe nach Wülzburg in Mittelfranken verwies. Die unfreiwillige Muße, zu welcher sich derselbe hier verurtheilt sah, benutzte er zur Uebersetzung einer epischen Dichtung der Chinesen, „Das Blumenblatt“ (1836 in St. Gallen erschienen) und begleitete diese zugleich mit einleitenden Bemerkungen über die chinesische Poesie und mit einer Novelle als Anhang: „Der weibliche und der männliche Bruder“. Nach seiner Entlassung ging er 1834 nach der Schweiz, wo er noch am Ende des gleichen Jahres als Professor der deutschen Sprache und Litteratur an der Kantonsschule in St. Gallen angestellt wurde. Er erwarb das Bürgerrecht von Schwamendingen im Kanton Zürich und verheirathete sich mit einer Schweizerin; gleichwol schützte ihn, den geborenen Deutschen und Protestanten, das erstere nicht vor der Entlassung, welche die Behörde auf Betreiben der ultramontanen Partei 1839 über ihn verhängte. Ein gütiges Geschick fügte es jedoch, daß der vielumgetriebene Mann noch in demselben Jahre einen Ruf für das gleiche Lehramt an der Kantonsschule in Aarau erhielt. Des Wanderns müde, konnte er sich hier endlich der lange ersehnten Ruhe freuen und, umgeben von einem ihn beglückenden Familienkreise, ungehindert seinem Amte und seinen Studien leben. Außer in der Schule war er seit 1844 noch als Stellvertreter des alternden Kantonsbibliothekars F. X. Bronner (Bd. III. S. 361) thätig; zwei Jahre nachher wurde er zu dessen Nachfolger erwählt und blieb bis zu seinem Tode an der Spitze der Bibliothek, während er in Folge eines Brustleidens zu Ostern 1866 mit einem Ruhegehalte von seiner Lehrerstelle zurücktrat. – In Aarau widmete K. den größten Theil seiner freien Zeit der deutschen Litteraturgeschichte und der Herausgabe heimischer Schriftwerke. Den ersten Schritt in dieses neue Gebiet that er mit der „Grammatik der deutschen Sprache nach Becker“ (1839). Auf diese folgten dann das „Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutschen von Haller bis auf die neueste Zeit“ (3 Abth., 1840–42, 3. Aufl. 1857–59) und das „Handbuch der deutschen Prosa von Gottsched bis auf die neueste Zeit“ (3 Abth. 1845–53, Neue Ausgabe 1868), zwei Werke, in denen nicht allein eine reichhaltige kritische Auswahl von Gedichten und prosaischen Stücken, sondern auch ein ausführlicher und gründlicher Commentar enthalten ist. Verwandter Art, doch eines Commentars entbehrend, sind die Sammlungen: „Die Schweiz. Land, Volk und Geschichte in ausgewählten Dichtungen“ (1852), „Aeltere Dichter, Schlacht- und Volkslieder der Schweizer“ (1860; wiederholt 1866), „Blumenlese aus den neueren Schweizerischen Dichtern“ (1860 u. 1866) und „Schweizerische Erzählungen“ (1860 u. 1866). Die bekannteste und ohne Zweifel bedeutendste Leistung von K. ist seine „Geschichte der deutschen Litteratur [423] mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller“, welche von 1853 (oder eigentlich von 1851) bis 1859 in drei Bänden bei B. G. Teubner in Leipzig erschien und bis 1876 in sieben unveränderten stereotypirten Auflagen wiederholt wurde. Sie umfaßt die deutsche Literaturgeschichte von den ersten Anfängen bis zu Goethe’s Tode und fand 1872 ihren Abschluß in einem vierten Bande, welcher den Zeitraum von 1830 bis zur Gegenwart behandelt und 1874 ebenfalls in neuer Auflage herauskam. Der Verfasser wollte, wie er in der Vorrede sagt, eine Literaturgeschichte für das größere Publicum schreiben, nicht in der bisher gebräuchlichen Art, indem er „die gesammte Geschichte der Literatur in einem zusammenhängenden Gemälde vor den Augen des Lesers entfaltete“, sondern vielmehr so, „daß er jede einzelne Erscheinung im Gebiete der Literaturgeschichte gleichsam selbständig behandelte, jeden Schriftsteller einzeln vorführte und ein möglichst getreues Bild seiner Leistungen zu geben suchte“. Dieser nach möglichst lebendiger Anschaulichkeit strebenden Behandlungsweise entspricht es auch, daß nicht nur Holzschnitte, die in Bildnissen der betreffenden Schriftsteller, in Gemälden aus alten Handschriften, in Ansichten ihrer Wohnhäuser etc. bestehen, sondern auch mehr oder weniger reiche Proben von Musterstücken hinzugefügt wurden. Um die Geschichte der Litteratur durch sein Verfahren nicht in eine Menge kleinerer Bilder aufzulösen, hat der Verfasser bei den einzelnen Schriftstellern je nach Erforderniß „ihre Stellung zur Gesammtheit angedeutet oder ausführlicher nachgewiesen“, sowie auch den verschiedenen Zeiträumen und Hauptabschnitten „eine gedrängte, aber doch alle Verhältnisse berührende Darstellung des Entwickelungsganges unserer Literatur vorangestellt.“ – Nach Vollendung dieses großen Werkes bearbeitete K. auch einen Auszug unter dem Titel: „Leitfaden zur Geschichte der deutschen Literatur“ (1860; 5. Aufl., nach des Verfassers Tode überarbeitet und erweitert von G. Emil Barthel, 1878). Um die beiden zuletzt genannten Werke gruppiren sich nun verschiedene litterarhistorische Einzeluntersuchungen und kritische Ausgaben, von denen als die bedeutenderen anzuführen sind: „Niclasens v. Wyle zehnte Translation mit einleitenden Bemerkungen über dessen Leben und Schriften“ (als Programm und besonders: Aarau 1853), „Janus Cäcilius Frey“ (im „Album des literarischen Vereins in Bern“, 1858), „Ueber Walthers von der Vogelweide Herkunft und Heimath“ (Zugabe zum Programm der aargauischen Kantonsschule, 1863), „Deutsche Dichter und Prosaisten von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis auf unsere Zeit nach ihrem Leben und Wirken geschildert“ (1. u. 3. Bd.. 1863–65; neue Ausgabe 1867. Verfasser der beiden anderen Bände ist Fr. Paldamus), 41 mehr oder weniger ausgeführte Darstellungen des Lebens und Wirkens deutscher Classiker aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. „Die deutsche Literatur im Elsaß“, ein Aufsatz, der zuerst in dem Jahrbuch „Fürs deutsche Reich!“ (1. Jahrg. 1873) erschien und 1874 in zwei besonderen Abdrücken wiederholt wurde: „Deutsche Bibliothek. Sammlung seltener Schriften der älteren deutschen Nationalliteratur“ (10 Bde., 1862 bis 1867), auf den ersten Drucken beruhende, mit gründlichen Erläuterungen und kritischen Anmerkungen versehene Ausgaben des „Esopus“ von Burkhard Waldis (2 Thle.), der „Simplicianischen Schriften Hans Jacob Christoffels von Grimmelshausen“ (4 Thle.), des „Rollwagenbüchleins“ von Jörg Wickram (1 Thl.) und der sämmtlichen Dichtungen (3 Thle.) von Johann Fischart; „Bibliothek der deutschen Nationalliteratur“ (35 Bde., 1868–72 und seitdem mit neuem Titel und dem Verlagsort Leipzig mehrfach wiederholt), kritische Ausgaben der Werke Lessing’s (4 Bde.), Goethe’s (12 Bde.), Schiller’s (6 Bde.), Heinrichs v. Kleist (2 Bde.), Chamisso’s (2 Bde.), sowie der ausgewählten Werke Wieland’s (3 Bde.), Herder’s (4 Bde.) und E. T. A. Hoffmann’s; „Schiller’s [424] sämmtliche Werke. Kritische Ausgabe“ (9 Bde, 1868–70), „Goethe’s sämmtliche Gedichte. Kritische Textrevision“ (2 Bde., 1869). An diese erstaunlich zahlreichen Leistungen auf litterarhistorischem und philologisch-kritischem Gebiete schließen sich ferner eine Anzahl von Uebersetzungen. Außer den oben erwähnten aus dem Chinesischen mögen als die wichtigeren aus dem Italienischen und Französischen genannt werden: „Meine Gefangenschaft, von Silvio Pellico“ (1837), „Die deutsche Schweiz und die Besteigung des Mönchs von der Gräfin Dora d’Istria“ (3 Bde., 1858; 2. Originalausgabe 1860; ohne den Namen des Uebersetzers erschienen), „Ausgewählte Correspondenz Napoleons I.“ (3 Bde. 1868) und „Politische Geschichte der Päpste von P. Lanfrey“ (1872, ebenfalls ohne Namen). – Erwähnen wir nun noch der Bearbeitung der Jugendschrift des Berner Pfarrers Joh. David Wyß († 1818): „Schweizerischer Robinson oder der schiffbrüchige Schweizerprediger und seine Familie“ (1841–42), der Abhandlung: „Die französische Conjugation nebst einem Versuche über die Bildungsgesetze der französischen Sprache“ (1843), der Ausgabe: „Thomas Murner’s Gedicht vom großen lutherischen Narren“ (1848), sodann einiger kleineren politischen Schriften, wie „Deutschland und seine Bundesverfassung“ (1848) und der anonym erschienenen „Briefe eines ausgewanderten Deutschen an den Fürsten von Oettingen-Wallerstein“ (1848), sowie zahlreicher Beiträge in Zeitschriften: in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ (1880), in K. Mager’s „Pädagogischer Revue“ (1842), in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ (von 1843 an), in den „Heidelberger Jahrbüchern der Litteratur“ (1858), in der „Internationalen Revue“ (1., 2. und 4. Bd., Wien 1866–68), in dem „Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft“ (1872 bis 1873) etc. und gedenken wir zum Schlusse noch der verdienstvollen bibliothekarischen Publicationen, nämlich des umfangreichen vierbändigen „Katalogs der aargauischen Kantonsbibliothek“ (1857–68) und der leider beim ersten Bande stehengebliebenen „Beiträge zur Geschichte der Literatur, vorzüglich aus den Archiven und Bibliotheken des Kantons Aargau“ (1846), deren Mitherausgeber Placidus Weißenbach war, so haben wir etwa annähernd die umfangreiche schriftstellerische Thätigkeit von K. umschrieben. Dieselbe war nur möglich bei dem bewundernswerthen, jeden Augenblick zu Rathe haltenden Fleiß, durch welchen er sich in so seltenem Grade auszeichnete. Noch trug er sich mit mancherlei Plänen und Entwürfen, als ihn der Tod nach kurzem Krankenlager am 24. Febr. 1873 aus diesem Leben abrief.
Kurz: Heinrich K., Litterarhistoriker, wurde als der Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter am 28. April 1805 zu Paris geboren. Den Vater verlor er bereits 1816, worauf dessen Bruder, der ritterschaftliche Secretär K. in Hof (Baiern), den Knaben zu sich nahm und für seine fernere Erziehung sorgte. In der neuen Heimath besuchte dieser das Gymnasium, dessen Rector, Dr. Lechner, ihn mit lebhafter Neigung für deutsche Sprache und Litteratur erfüllte, und studirte sodann in Leipzig Theologie, ohne für diese Wissenschaft besonders eingenommen zu sein. In die burschenschaftlichen Bewegungen jener Zeit verwickelt und deshalb zur Untersuchung gezogen, mußte er diese Hochschule infolge der über ihn verhängten Relegation verlassen und begab sich nun nach München, wo er sich ausschließlich den orientalischen Sprachen zuwandte. Nachdem er die philosophische Doctorwürde erlangt hatte, ging er 1827 zu seiner weiteren Ausbildung nach Paris. Von dem bekannten Gelehrten Abel-Rémusat für das Studium des Chinesischen gewonnen, veröffentlichte er schon vom nächsten Jahre an eine Reihe hierauf bezüglicher Abhandlungen und Uebersetzungen, wie „Ueber die älteste Poesie in China“, „Buchdruckerei und Buchhandel in China“, „Ueber des chinesischen Philosophen Laodsö Leben und Schriften“, „Khungtse und seine Moralphilosophie“, „Ueber den chinesischen Philosophen Tschuangtse und seine Schriften“, „Ueber die neuere Poesie der Chinesen“, in den Cotta’schen Zeitschriften Ausland und Morgenblatt und gab daneben noch in selbständiger Form heraus: „Yun tseu mo lo. Tableau des Elémens vocaux de l’Ecriture Chinoise“ (Paris 1829 – gemeinsam mit J. C. Levasseur), „Ueber einige der neuesten Leistungen in der Chinesischen Literatur. Sendschreiben an Hrn. Prof.- Illustrirte Zeitung (Leipz., J. J. Weber), Nr. 1477 vom 21. Octbr. 1871, S. 303c u. 306a. (Von Herm. Neumann. Mit Bildniß von Kurz auf S. 301.) – Fürs deutsche Reich! Jahrbuch deutscher Dichter und Gelehrten. 1. Jahrg. 1873, Berlin, S. XVII–XIX. – Allgem. Zeitung (Augsburg), Beilage Nr. 61 vom 2. März 1878, S. 919b–920a. – Neue Zürcher Zeitung, Nr. 115 vom 4. März 1873, S. 1–2, Feuilleton. – Programm d. aargauischen Kantonsschule, 1873, Aarau 1873, S. 27 bis 30. (Der Nekrolog von Prof. J. Hunziker in Aarau, das Schriftenverzeichniß von Prof. L. Hirzel in Bern.) – Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Neue Folge. 9. Jahrg., 1. Hälfte, Leipzig 1873, S. 424 (von Rud. v. Gottschall). – Schweizer Grenzpost (Basel), Nr. 62 vom 14. März 1874, 1. Blatt, S. 1 u. Nr. 63 vom 16. März 1874; 1. Blatt, S. 1, Feuilleton. (Von Arnold Niggli in Aarau.) – Egb. Fr. v. Mülinen, Prodromus einer schweizer. Historiographie, Bern 1874, S. 47–48. Ausführl. Schriftenverzeichniß gab der unterzeichnete in Petzholdt’s N. Anz. f. Bibliogr. etc. 1881 S. 371 ff., 1882 S. 8 ff.