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ADB:Ewald, Heinrich von

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Artikel „Ewald, Heinrich“ von August Dillmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 438–442, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ewald,_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:27 Uhr UTC)
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Band 6 (1877), S. 438–442 (Quelle).
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Ewald: Georg Heinrich August E., im Gebiet der biblischen und orientalischen Wissenschaft einer der größten Gelehrten des 19. Jahrhunderts, geboren 16. November 1803 zu Göttingen, ebenda † 4. Mai 1875. Sohn eines unbemittelten Wollenwebers, erhielt er durch Vermittlung einiger Professoren, die seine ungemeine Begabung erkannten, seine Vorbildung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, studirte auf der dortigen Universität 1820–22 und wurde Dr. phil. am 16. Januar 1823. Vom December 1822 bis Ostern 1824 Collaborator am Gymnasium zu Wolfenbüttel, dann Repetent bei der theologischen Facultät in Göttingen, am 25. Mai 1827 außerordentlicher, am 20. Juli 1831 ordentlicher Professor in der philosophischen Facultät daselbst, 1833 ordentliches Mitglied der k. Societät der Wissenschaften, 1835 Th. Ch. Tychsen’s Nachfolger in der Nominalprofessur der orientalischen Sprachen, 1836 beim Jubelfest der Kopenhagener Universität von dieser zum Dr. theol. honoris causa promovirt, wurde er am 16. December 1837 mit sechs anderen Professoren wegen ihres gegen die Aufhebung des hannöver’schen Staatsgrundgesetzes eingereichten Protestes seines Amtes entsetzt, aber schon im Frühjahr 1838 von der würtembergischen Regierung an die Universität Tübingen berufen, wo er zuerst in der philosophischen, von 1841 an in der theologischen Facultät 10½ Jahre wirkte. Nach dem politischen Umschwung in Hannover im J. 1848 erging an ihn die Einladung zur Rückkehr auf seine frühere Stelle in Göttingen, welcher er um so lieber folgte, als er in Tübingen mit den Universitätsverhältnissen sich nie recht befreunden konnte, auch damals mit seinem Collegen F. Ch. Baur in theologischen Zwist gerathen war. Zum zweiten Mal entfaltete er jetzt in Göttingen, vom September 1848 an, durch fast 20 Jahre hindurch, eine sehr umfangreiche und fruchtbare Thätigkeit, bis er im J. 1867 wegen Verweigerung des Huldigungseides an den neuen Landesherrn aus dem Staatsdienst, übrigens unter Belassung des Gehaltes, entlassen, und ihm aus politischen Gründen im [439] October 1868 auch das Recht, Universitätsvorlesungen zu halten, entzogen wurde. Von da an wirkte er wissenschaftlich nur noch als Schriftsteller, sowie als Mitglied der königl. Societät der Wissenschaften. Daneben vertrat er vom J. 1869 an bis zu seinem Tod die Stadt Hannover im norddeutschen und deutschen Reichstag. Er erfreute sich einer unerschütterlich scheinenden Gesundheit und Arbeitskraft; erst im letzten Lebensjahr entwickelte sich bei ihm eine Herzerweiterung, der er erlag. Seine wissenschaftliche Productionskraft hatte und benützte er bis zu seinem letzten Tag. Verheirathet war er in erster Ehe mit einer Tochter des großen Mathematikers Gauß, in zweiter mit einer Tochter des Geheimeraths A. A. E. Schleiermacher in Darmstadt.

Man kann nicht sagen, daß E. aus einer bestimmten Schule hervorgegangen sei, wie er auch sein ganzes Leben lang keiner der mancherlei Schulen, Richtungen und Parteien sich anschloß. Er ging durchaus und oft nur zu sehr seine eigenen Wege. Was er wurde und leistete, war die Frucht selbständiger rastloser Arbeit und geschöpft aus seiner eigenen eminenten Geisteskraft. Nur der Wissenschaft wollte er dienen; von ihrer Würde hatte er die höchsten strengsten Begriffe, zum Theil genährt durch die guten Traditionen seiner Landesuniversität. Gegen jede blos schulmäßige oder überlieferte Betrachtung der Dinge verhielt er sich kritisch; von allem, was er anfaßte, wollte er selbständig das ursprüngliche Wesen, die letzten Ursachen und Zusammenhänge, die Gesetze seines geschichtlichen Werdens ergründen. Ein weiter, umfassender Geist, wunderbar feine Beobachtungsgabe, gepaart mit einer idealen Denkweise und edler Begeisterung für die Wahrheit, tiefgehende Denkkraft, unermüdete, auch vor den mühsamsten Studien und kleinlichsten Stoffen nicht zurückschreckende Arbeitslust kamen ihm dabei zu Hülfe. Aber beim schärfsten Blick aufs Einzelnste und Eigenthümliche jeder Sache blieb er nie an diesem haften und verlor nie die großen und allgemeinen Gesichtspunkte aus dem Auge. Dieser im besten Sinne wissenschaftliche Geist zeichnet alle seine Arbeiten aus. Alle durchzieht auch das Streben nach innerer künstlerischer Abrundung und strenger Denkfolge in Gruppirung des Stoffs. Die vielgetadelte Breite, auch Schwülstigkeit der Darstellung, namentlich in seinen späteren Schriften, hängt theils mit einem gewissen Mangel an philosophischer Bildung, theils mit seinem deutschen Purismus, theils mit dem Pathos seiner Empfindung zusammen. – Mit diesem Sinn und Geist arbeitend hat E. schon in jungen Jahren sich den Ruf eines der ersten Sprach-, Alterthums- und Bibelkenner seiner Zeit errungen; von überall her, vom In- und Ausland (zumal von England) suchten auch seine Vorlesungen Hörer auf. Schon in seinen frühesten, rasch sich folgenden Schriften, von denen seine Studentenarbeit über die „Genesis“ 1823 nur ein unreifer Vorläufer gewesen war, über sehr mannigfaltige Gegenstände, wie „De metris carminum Arabicis“, 1825, über die älteren Sanskritmetra, 1827, das Hohelied, 1826, die „Kritische Grammatik der hebräischen Sprache“, 1827, „Commentarius in Apocalypsin Joannis“, 1828, „Abhandlungen zur biblischen und orientalischen Litteratur“, 1832, „Grammatica linguae Arabicae“, 1831–33, zeigte er sich als bahnbrechenden, Licht verbreitenden, originellen Forscher. Es waren zumeist philologisch-kritische Arbeiten, denen er damals oblag. Aber nicht Textausgaben und Sammelwerke machte er: so sehr er jedes auf solche gerichtete Unternehmen förderte und anerkannte, so trieb doch seine Begabung ihn vielmehr zu der Sprache als solcher hin. Gegenüber von der empirisch-verständigen Behandlungsweise, wie sie durch Gesenius und seine Schule im Gebiet der semitischen Sprachen betrieben wurde, suchte er alle Spracherscheinungen aus dem Wesen des sprachbildenden Geistes und der geschichtlichen Entwicklung der Sprache zu begreifen, und wurde so der eigentliche Begründer der modernen semitischen Linguistik, [440] wie Grimm im Germanischen. Die Durchführung seiner Principien hat er zwar schriftstellerisch nur am Hebräischen und Arabischen vollzogen, aber auch an den anderen semitischen Sprachen ebenso wie am Sanskrit, Persischen, Armenischen, Türkischen, Koptischen mündlich gelehrt oder in zerstreuten Aufsätzen, zuletzt in seinen „Sprachwissenschaftlichen Abhandlungen“, 1861 ff., skizzirt, auch bis zu seinem Tod die ganze Menge der handschriftlichen und inschriftlichen Entdeckungen der Neuzeit mit regster Theilnahme verfolgt und für seine Zwecke verwerthet. Dem Fortschritt der Wissenschaft gemäß fortgeführt und in immer neuen Umarbeitungen bis zur 8. Auflage 1870 erweitert und vervollkommnet hat er nur das „Lehrbuch der hebräischen Sprache“, sein linguistisches Haupt- und Lebenswerk. Neben den Sprachen waren es aber auch die Geschichte, die Religionen und Litteraturen der alten und neuen Völker des Morgenlandes, die ihn viel beschäftigten: manche Abhandlungen in der von ihm gegründeten „Zeitschrift für die Kunde des Morgenlands“, 1837 ff., in den „G. G. Nachrichten“, der „Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft“ u. a. enthalten trefflichs Beiträge zu ihrer Kenntniß; zu anderen hat er seine Schüler angeregt. Zumeist aber war es die Bibel und das Alterthum des israelitischen Volks, dem er seine Kraft widmete, anfangs getheilt, später immer ausschließlicher. Nicht blos die Richtung seines Geistes auf das Ewige und Göttliche, ein warmer und reiner christlicher Sinn, der mit zunehmenden Jahren stärker hervortrat, und die Einsicht in die Bedeutung dieses Religionsbuches für die Bildung der Menschheit, sondern auch seine Tübinger Berufsstellung und seine dort und weiterhin gemachten Erfahrungen von der Mangelhaftigkeit oder Verderblichkeit der älteren und neueren theologischen Schulen bannten ihn immer mehr auf diesem Arbeitsfeld fest, und hielt er es für seine eigentliche Lebensaufgabe, mit der ganzen Macht seines Geistes diesen falschen Richtungen sich entgegenzustemmen und gegenüber von der absterbenden alten Theologie eine „biblische Wissenschaft“ zu gründen, welche regenerirend auf die Kirche wirken sollte. Er ging vom Alten Testament aus. Seine „Dichter des Alten Bundes“, 2 Theile in 3 Bänden zuerst 1835, in 3. Ausgabe 1866–67, und seine „Propheten des Alten Bundes“, 2 Bände 1840, in 2. Ausgabe, 3 Bände, 1867–68, sind Erklärungsschriften, nicht in glossatorischer Form, die er verschmähte, sondern in frei reproducirender Weise. Geniale, oft freilich nur divinatorische geschichtliche Kritik, freisinnige Auffassung und warme lebensvolle Darlegung des Gefühls-, Anschauungs- und Gedankenkreises der Schriftsteller, treffende Beobachtungen, geistvolles Eindringen in Gang und Abzweckung der Schriftstücke zeichnen diese wie alle seine exegetischen Arbeiten aus. Auch sämmtliche neutestamentliche Schriften hat er der Reihe nach von 1850–72 in ähnlicher Weise bearbeitet, hier mit dem besonderen Zweck, gegenüber von der Baur’schen Schule eine geschichtlich richtigere Schätzung der biblischen Urkunden anzubahnen. Außerdem hat er viele der außerbiblischen Schriften aus dem alten jüdisch-christlichen Litteraturkreis durch besondere werthvolle Abhandlungen aufgehellt. Sein wichtigstes und in diesem Gebiet Epoche machendes Werk aber war seine 1843 begonnene, 1868 in 3. Ausgabe vollendete „Geschichte des Volkes Israel“, in 7 Bänden, mit einem 8. „Die Alterthümer“ enthaltenden, worin er unter Anwendung streng historischer Methode, auf Grund genauester Durchforschung der Quellen und feiner Combination aller darin enthaltenen Nachrichten und Andeutungen nicht blos die äußere und politische Geschichte dieses einzigartigen Volkes bis zum J. 135 n. Ch. beschrieb, sondern zugleich die schrittweise Entwicklung der „wahren Religion“ bis auf ihren Vollender Christus und die Gründung der christlichen Kirche durch die Apostel in einer von der bisherigen supranaturalen und rationalen weit genug abweichenden wissenschaftlichen Auffassung zum Verständniß und (man darf wol sagen) in [441] weiten Kreisen zur Anerkennung brachte. Eine systematisch angelegte Darstellung seiner theologischen Gesammtanschauung von der biblischen Religion gab er von 1871 an in seiner „Theologie des Alten und Neuen Bundes“, deren 4. Band, in seiner letzten Krankheit geschrieben, erst nach seinem Tode herauskam. Von der ungemeinen Fruchtbarkeit seines Geistes macht man sich aber erst einen vollen Begriff, wenn man zu den schon genannten Werken die zahllose Menge von Aufsätzen und Bücherbeurtheilungen in den „G. G. A.“, 1823–75, und in seinen 12 Bändchen „Jahrbücher der biblischen wissenschaft“, 1849–65, hinzunimmt, in welchen er über alle neuen Erscheinungen auf dem Gebiet der orientalischen alten Sprachen, Religionen und Geschichte berichtete oder sich mit seinen Gegnern auseinandersetzte. Bei alle dem kam er seinem akademischen Amt im vollsten Sinne und weit über die Pflicht hinaus nach, und wirkte auch als Lehrer ebenso anregend wie als Schriftsteller: viele bedeutende Gelehrte der verschiedensten Fächer und Richtungen sind aus seiner Schule hervorgegangen; auch der Masse der Hörer wußte er durch seine halbprophetische Begeisterung von den Herrlichkeiten des Alterthums, in das er sich versenkt hatte, einen Eindruck zu geben.

Aber obwol vorwiegend Mann der Wissenschaft erachtete er es, hierin unähnlich den meisten Gelehrten und als ein ganzer charaktervoller Mann sich bewährend, als seine Pflicht, für die höchsten Güter, für Wahrheit und Recht, Wissenschaft und Christenthum auch praktisch einzutreten, muthvoll und aufopferungsbereit mitzureden und mitzuhandeln, wo sie gefährdet schienen. Gegen Nachäffung der Franzosen und Ultramontanismus, gegen politischen Umsturz von unten und von oben hat er sein Leben lang geeifert; jeden Eingriff des Staats oder der Kirche in die Unabhängigkeit der Wissenschaft wies er sofort öffentlich zurück (so 1842 ff. in Tübingen, 1864 ff. in der Baumgarten’schen Sache[WS 1]); für freiheitlichen Ausbau der evangelischen Kirchenverfassung und zur Bekämpfung alles hierarchischen Wesens ließ er sich 1863 in die hannöver’sche Vorsynode wählen und betheiligte sich 1863 ff. einige Jahre lang sehr eifrig am Protestantenverein. Wie 1837, so war er auch 1866–67 sofort bereit, lieber Amt und Stellung daranzugeben, als in der Eigenschaft eines Beamten einem Staat zu dienen, dessen Rechtsbestand er nicht anerkannte. Der Gedanke der Erfolglosigkeit seiner Bemühung war für ihn nie bestimmend; in vielen Broschüren (1869 und 70), in Zeitungen, Volks- und Wählerversammlungen, im Reichstag führte er, auch durch mehrfache Preßprocesse nicht eingeschüchtert, einen erbitterten Kampf gegen das Unrecht, welches nach seiner Ueberzeugung seinem engeren Vaterland Hannover durch die neue Gestaltung Deutschlands geschehen war.

Daß ein Mann von solcher unabhängigen Geistesart und solchem schneidigen Wahrheitseifer in einer von Parteiungen aller Art zerrissenen und von vielen schlimmen Trieben durchgohrenen Zeit nicht durch das Leben schreiten konnte, ohne Gegner in Menge gegen sich wachzurufen, ist begreiflich genug und ist eher ein Zeichen für die tiefgreifende Wirkung, die er übte. Es gibt wol keine Schule oder Parteirichtung, mit welcher er nicht gekämpft hätte: in den Vorreden seiner Bücher, in seinen Jahrbüchern und Recensionen lassen sich diese Kämpfe verfolgen. Aber daß diese Kämpfe theilweise sich so erbittert gestalteten und viele selbst seiner hervorragenden Zeit- und Fachgenossen frostig oder hämisch sich von ihm abwandten, davon trägt doch er selbst den größeren Theil der Schuld. So rein und edel seine Absicht überall war, so groß war sein Selbstgefühl im Bewußtsein seiner Kraft und seiner Leistungen. Ueberzeugt von der Wahrheit dessen, was er fand und lehrte, den Verhältnissen des realen Lebens entfremdet und an Verkehr mit Menschen wenig gewöhnt, unfähig oder nicht gewillt, sich [442] sachlich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen, führte er seine Streite oft genug in beleidigendem Tone und herrischer Vornehmheit, zumal wo er die Ebenbürtigkeit oder gar Ueberlegenheit eines Gegners hätte anerkennen sollen. Eine mit den Jahren zunehmende Empfindlichkeit isolirte ihn immer mehr unter den Fachgenossen, die doch alle viel, zum Theil sehr viel von ihm gelernt hatten. Als dann vollends die seiner stark ausgeprägten hannöver’schen Eigenart gänzlich zuwiderlaufende Neugestaltung des deutschen Reiches vor sich ging, verzehrte er sich in nutzlosem Kampf dagegen, rief eine Menge neuer Feinde gegen sich auf, wurde immer vereinsamter und ging des Genusses der dankbaren Anerkennung verlustig, welche die Mitwelt für seine großen Verdienste ihm schuldete. Tragisch genug war dieser Schluß des arbeitsvollen Lebens eines so reichen Geistes, von dessen Ertrag noch die fernere Nachwelt zehren wird. Doch hatte er den Trost, nie gegen sein Gewissen gehandelt zu haben, und die Ruhe eines schon in das Ewige versenkten Geistes verklärte sein Ende. – Seine Autobiographie ist noch nicht gedruckt.

A. Dillmann in der Wochenschrift Im neuen Reich, 1875, Nr. 20, S. 778–786. Protestantische Kirchenzeitung, 1875, Nr. 21 S. 481–485. Göttinger Gelehrte Nachrichten, 1875, S. 340–344.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Michael Baumgarten (1812–1889), protestantischer Theologe, der als Gegner des Staatskirchentums seines Amtes enthoben wurde. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.