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ADB:Dillmann, August

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Artikel „Dillmann, August“ von Rudolf Kittel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 699–702, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dillmann,_August&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:20 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 699–702 (Quelle).
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Dillmann: Christian Friedrich August D. war der Sohn eines württembergischen Volkschullehrers (damals noch officiell „Schulmeister“ genannt). Er ist geboren in Illingen, unfern der badischen Grenze bei Pforzheim, am 25. April 1823, † am 4. Juli 1894. An seinem Geburtsort erhielt er auch die erste Unterweisung durch den Vater, einen um seiner Tüchtigkeit im Amte, wie um seiner strengen Gewissenhaftigkeit willen hochgeachteten Mann. Die fromme Mutter hatte ihn früh zum Theologen bestimmt, und so kam er zunächst, von seinem 9. Lebensjahre an, zu dem Pfarrer des nahen Dorfes Dürrmenz bei Mühlacker, um in die alten Sprachen eingeführt zu werden, sodann zur [700] Vorbereitung auf das sogen. „Landexamen“ für ein Jahr nach Stuttgart. Nach bestandenem Examen bezog er nach der hergebrachten Weise der württembergischen jungen Theologen zuerst das niedere Seminar (im Kloster Schönthal an der Jagst), sodann im Herbst 1840, mit 17 Jahren, das höhere theologische Seminar („Stift“) in Tübingen.

In Tübingen lehrte seit 1838 Heinrich Ewald; D. wurde bald sein vertrauter Schüler. Ein enges persönliches Band hat ihn bis zu Ewald’s Lebensende mit dem genialen Meister der orientalischen Sprachen und der alttestamentlichen Studien verbunden. Auch zu Ferd. Chr. Baur’s Füßen saß er mit Interesse und lebhafter Theilnahme, wenn er auch dem engeren Kreise der Schule des großen „Tübingers“ nicht näher trat. Seine nüchterne Natur sowohl als sein Verhältniß zu Ewald und das Vorwiegen seiner orientalisch-alttestamentlichen Interessen hinderten ihn daran. Bei allem Fleiße und einem gewissen trockenen Ernste war er doch studentischer Fröhlichkeit nicht abgeneigt. Mit Rudolf Roth und dem eben erst (1899) heimgegangenen Karl Weizsäcker zusammen war er Mitglied und, irre ich nicht, Mitbegründer (1842) einer jetzt noch blühenden, durch frische Burschenheiterkeit ausgezeichneten Studentenverbindung, der Königsgesellschaft („Roigel“).

In die letzte Zeit seines Tübinger Aufenthaltes fällt Dillmann’s erstes Mitarbeiten an größeren wissenschaftlichen Fragen. Ewald hatte gerade im Blick auf ihn eine Preisaufgabe gestellt; D. hat das Vertrauen des Meisters in vollem Maaße gerechtfertigt. Im Spätjahr 1845 wurde seine Arbeit über den Schluß des alttestamentlichen Kanons mit dem Preise bedacht. Das wurde ihm der Ansporn zu weiterer wissenschaftlicher Arbeit. Dillmann’s Leben gehörte nun, eine halbjährige Thätigkeit als Pfarrvicar in Sersheim (in der Nähe seines Geburtsortes gelegen) abgerechnet, der Wissenschaft. Wenige haben ihr so treu gedient wie er. Jede nebenhergehende Thätigkeit schien ihm ein Raub an der Wissenschaft, und manches, was anderen, sei es werthvoll, sei es als Pflicht erschien, war für ihn durch die Rücksicht auf die wissenschaftliche Arbeit ausgeschlossen. Noch in spätern Jahren konnte er nicht verstehen, wie Männer der Wissenschaft auch an praktischen Aufgaben Antheil nehmen mochten. Die Wissenschaft schien ihm für den Professor nicht nur das Erste, sondern das Einzige; anderes erklärte er gerne für „Zeitverlust“. Mag diese Stellung einseitig erscheinen – sie setzt Dillmann’s Liebe und Begeisterung für die Wissenschaft und seinen geschlossenen Charakter ins hellste L. Etwas halb zu thun, widersprach seinem innersten Wesen. Er war ein ganzer Mann, und was er that, dem wollte er ganz gehören. Als nächste Aufgabe nach dem Abschluß seiner akademischen Studien setzte er sich die Bereicherung seines Wissens auf dem Gebiete der orientalischen Sprachen durch den Einblick in die Schätze großer Bibliotheken. Vor allem reizten ihn die äthiopischen Handschriften. In Paris, London und Oxford gehörte fast sein ausschließliches Interesse ihnen. Er wird gewahr, daß es hier gilt, ein lange vernachlässigtes, von den Gelehrten fast vergessenes Gebiet der Wissenschaft zu pflegen, und so wird er der Erneuerer der äthiopischen Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert. Zunächst (1847 und 1848) gab D. die Kataloge der äthiopischen Handschriften des Britischen Museums und der Bodlejana in Oxford heraus. Wahrscheinlich aber ist von Anfang an, seit er durch Studien über das Buch Henoch auf die äthiopische Sprache und Litteratur geführt war, die damals in Gefahr war, der Vergessenheit anheimzufallen, seine Absicht auf die Herausgabe der äthiopischen Bibel gerichtet gewesen. Mit planmäßiger Sicherheit bahnt er sich langsam den Weg zu jenem Ziele.

Im J. 1848, in die Heimath zurückgekehrt, wurde er Repetent am theologischen [701] Stift in Tübingen. Mit der Venia docendi ausgerüstet, hielt er Vorlesungen über Gegenstände aus dem Gebiete des Alten Testamentes und der orientalischen Sprachen. Schon jetzt tritt in seinen Veröffentlichungen die Frucht seiner Reise zu Tage. Sie gelten dem äthiopischen Buch der Jubiläen, dem äthiopischen Henochbuche und verwandten Stoffen. 1851 wird D. Privatdocent, 1853 außerordentlicher Professor in Tübingen, 1854 folgt er einem Rufe der philosophischen Facultät in Kiel, wo er erst als außerordentlicher, später als ordentlicher Professor wirkte, 1864 einem Rufe als ordentlicher Professor in die theologische Facultät zu Gießen. Während der Kieler Zeit erfolgte die Fertigstellung einer großen, schon in Tübingen begonnenen Arbeit. Es war der erste Theil der äthiopischen Bibel: „Octateuchus Aethiopicus“ (1853–55). Wenige Jahre darauf gab D. (1857) seine heute noch unübertroffen dastehende „Grammatik der äthiopischen Sprache“ heraus. Ihr folgte 1859 das „Buch der Jubiläen“, 1861 und 1871 ein weiteres Stück der äthiopischen Bibel (libri Regum), 1865 Dillmann’s großes Lexikon der äthiopischen Sprache und 1866 die äthiopische Chrestomathie.

Obwol von Hause aus und dem Zug seines Herzens nach durchaus Theologe, war D. durch die großen Aufgaben, die sich ihm Schritt für Schritt auf dem Gebiete des Aethiopischen entgegenstellten, wenig zu theologischen Arbeiten gekommen. Es liegen bis zu seiner Gießener Zeit nur einzelne Artikel und Abhandlungen über Theologisches von ihm vor. Der Eintritt in die theologische Facultät (1864) bot ihm die willkommene Nöthigung zur Rückkehr zu seinem eigentlichen Berufe, der Bibelforschung, in deren Dienst er ja freilich auch seine bisherige Arbeit gestellt hatte. Auf einige Gießener Reden über theologische Themata (den „Ursprung der alttestamentlichen Religion“, 1865, und die „Propheten des Alten Bundes nach ihrer politischen Wirksamkeit“, 1868) folgte 1869 mit dem Commentar zum Hiob der erste größere Beitrag Dillmann’s zur biblischen Exegese (4. Aufl. 1891).

Sofort mit seinem ersten Commentare, dem in der nächsten Zeit eine Anzahl weiterer folgen sollten, trat D. in die vorderste Reihe der alttestamentlichen Exegeten ein. Alle Vorzüge seiner Exegese, wie sie dann besonders in seinem Commentar zur Genesis zu einer gewissen classischen Vollendung gediehen sind, treten uns hier schon sprechend entgegen, wenngleich seine wahre Meisterschaft sich erst bei den folgenden Commentaren entfaltete. Was ihn vor allem auszeichnet, ist solide Gelehrsamkeit, erschöpfende Gründlichkeit, absolute Zuverlässigkeit – alle drei verbunden mit sicherem exegetischem Takte und nüchterner, allem Phantastischen und jeder Art gewagter Hypothesen abholder Verständigkeit. In der Knappheit der Darstellung war er Meister, weniger in der Eleganz derselben. Angeborene Nüchternheit und das in Handbüchern gebotene Streben nach Kürze ließen je und dann die Gefälligkeit der Darstellung missen. Eine gewisse Herbheit seines Wesens spiegelt sich auch in Dillmann’s Stil.

Von jetzt an gehört Dillmann’s Lebensarbeit in erster Linie dem Alten Testamente. Nach nur fünfjährigem Aufenthalte in Gießen siedelte er 1869 nach Berlin über als Nachfolger Hengstenberg’s. Hier hat er 25 Jahre hindurch bis zu seinem Tode (1894) gewirkt, seit 1877 auch als Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Hier in Berlin sind seine wichtigsten Commentare entstanden (Genesis, 1875, als 3. Aufl. des „kurzgefaßten exegetischen Handbuchs“, 6. Aufl. 1892; Exodus und Leviticus, 1880, als 2. Aufl., in 3. Aufl. nach seinem Tode von Ryssel[WS 1] herausgeben, 1897; Numeri, Deuteronomium und Josua, nebst einer Schlußabhandlung über die Entstehung des Hexateuch, 1886, als 2. Aufl. im kurzgefaßten exegetischen Handbuch; [702] Jesaja, 1890 als 5. Auflage desselben Werkes, 1898 in 6., aber theilweise umgearbeiteter Auflage, herausgegeben von dem Unterzeichneten. Hier hat er eine große Anzahl von Artikeln über alttest. Gegenstände in Schenkel’s Bibellexikon, sowie in Brockhaus’ Conversationslexikon und mehrere in Herzog’s Realencyklopädie (2. Aufl. 1878 ff.) und in den Arbeiten der Berliner Akademie der Wissenschaften veröffentlicht. Hier hat er endlich eine nach Tausenden zählende große Schar von jungen Theologen um sein Katheder versammelt und durch seine klaren, verständigen, bei aller Nüchternheit doch immer von einem Hauch warmer religiöser Empfindung und ernster persönlicher Frömmigkeit durchwehten Vorträge für die wissenschaftliche Betrachtung des Alten Testamentes wie für die Beugung unter seine religiöse Hoheit gewonnen. Ein Zeugniß für die Art seines akademischen Wirkens sind die nach seinem Tode von dem Unterzeichneten herausgegebenen Vorlesungen über Theologie des Alten Testamentes (1895).

Neben dem Alten Testamente blieb auch jetzt noch sein Interesse und seine Liebe der äthiopischen Sprache, Litteratur und Geschichte zugewandt. Vor allem bot ihm die Akademie der Wissenschaften die willkommene Gelegenheit, sich je und dann über einzelne Fragen aus diesem Gebiete auszusprechen. Außerdem hatte er sich längst für seinen Lebensabend die Rückkehr zur äthiopischen Bibelausgabe, die immer noch der Vollendung harrte, vorbehalten. Leider sollte er dieses Ziel nicht erreichen. Während eben die Herausgabe der Apokryphen nahe bevorstand, raffte ihn am 4. Juli 1894 eine raschverlaufende Krankheit mitten aus seiner Arbeit weg.

Als Sprachforscher ist D. der Erneuerer der äthiopischen Sprach- und Litteraturkunde und derjenige, der ihr das Rüstzeug in Grammatik, Lexikon und Textausgaben an die Hand gegeben hat. Als Theologe ist er, der Schüler Ewald’s auf Hengstenberg’s Katheder, der traditionellen Auffassung vom Alten Testamente gegenüber der muthige und unbeugsame Verfechter geschichtlicher Untersuchung gewesen; ebenso aber auch gegenüber einer Richtung der Kritik, die ihm nicht ohne ernste Bedenken schien, der behutsame Kritiker, der es für seinen Beruf hielt, immer wieder zum Einhalten des Maaßes zu mahnen. An Widerspruch hat es ihm in beiden Stücken nicht gefehlt, aber auch nicht an vielfacher freudiger Zustimmung. Als Mensch war D. durchaus nicht ohne weiteres dasjenige, was man heute kurzweg „liebenswürdig“ nennt. Er hatte zeitlebens etwas Zugeknöpftes, an die Formen unserer Väter Erinnerndes an sich und konnte zuweilen recht spröde und steif sein, auch in der Polemik gelegentlich herb und schroff werden. Aber er war ein Muster lauteren Wesens; in ihm war nichts Gemachtes, und allem Gezierten war er feind; wer sein Wort hatte, konnte sich auf ihn verlassen, und seine Gewissenhaftigkeit hatte nur an seiner kindlich reinen und geraden Gesinnung ihresgleichen. Er war ein Mann in jedem Stück seines Wesens.

Vgl. besonders: v. Baudissin[WS 2], August Dillmann, Leipzig 1895, sowie in der Realencyklopädie für protest. Theologie u. Kirche, IV3, 662 ff., woselbst auch sämmtliche Schriften Dillmann’s aufgezählt sind, ferner die Schrift seines mittlerweile ebenfalls verstorbenen Bruders „Der Schulmeister von Illingen“, die (mir nicht zu Gesicht gekommen) eine vortreffliche Schilderung von Heimath und Elternhaus Dillmann’s enthalten soll.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Viktor Ryssel (1849–1905, alternative Schreibweise: Carl Victor Ryssel), protestantischer Theologe (Alttestamentler und Altorientalist); Professor in Leipzig und Zürich (Schweiz).
  2. Wolf Wilhelm Graf von Baudissin (1847–1926), deutscher Theologe; Professor in Straßburg, Marburg und seit 1900 in Berlin. Siehe den Artikel in der Wikipedia.