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ADB:Roth, Rudolph von

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Artikel „Roth, (Walter) Rudolf (von)“ von Richard von Garbe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 549–564, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roth,_Rudolph_von&oldid=- (Version vom 9. November 2024, 13:33 Uhr UTC)
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Band 53 (1907), S. 549–564 (Quelle).
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Roth: (Walter) Rudolf (von) R., Sanskritist, ist als Sohn des Oberrevisors Christoph Wilhelm Roth in Stuttgart am 3. April 1821 geboren. Er entstammte einer alten württembergischen Familie, die seit drei Jahrhunderten eine große Anzahl von Beamten, namentlich Geistlichen und Lehrern, hervorgebracht hatte, an denen die gemeinsamen Charakterzüge der Pflichttreue, der Energie, des Fleißes und der Strenge bemerkenswerth waren. Diese ererbten Familieneigenschaften bildeten den Grundzug in dem Wesen Rudolf Roth’s, des bedeutendsten Sohnes dieses kernigen und kraftvollen Geschlechts. Daß er seine Mutter (Caroline Regine, geb. Walther) schon im Alter von vier, seinen Vater im Alter von dreizehn Jahren verlor, mußte dazu beitragen, seinen Charakter frühzeitig zu stählen und schon dem Knaben ein ungewöhnliches Maß von Selbständigkeit zu verleihen, wohl auch seine angeborene Abneigung gegen Gefühlsäußerungen zu verstärken. Doch ist der elternlose Knabe nicht in eigentlicher Verlassenheit aufgewachsen; er hat mit seiner Stiefmutter Friederike Wilhelmine Roth, einer Cousine seines Vaters, die von diesem einige Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau geheirathet wurde und später (1838) noch eine zweite Ehe mit einem Kaufmann Brauer in Kiel einging und dort 1870 starb, stets in nahen Beziehungen gestanden. Auch haben sich die hochangesehenen Brüder seines Vaters des alleinstehenden Neffen angenommen: der bairische Consistorialpräsident, Reichs- und Staatsrath Karl Johann Friedrich Roth (1780–1852) und der Prälat Karl Ludwig Roth (1790–1868), der als pädagogischer Schriftsteller in Württemberg weithin bekannt war und noch nach seiner Pensionirung im Alter von 69 Jahren als Privatdocent in Tübingen mit seinem Neffen zusammen wirkte.

Rudolf R. besuchte zuerst das Gymnasium in Stuttgart, dann das niedere Seminar in Urach, dessen Lehrcursus den 4 obersten Gymnasialclassen entspricht, und bezog mit 17 Jahren die Universität Tübingen, wo er als Student der Theologie in das evangelische Seminar (das sogenannte Stift) eintrat. Er empfing dort die umfassende philosophische und historische Bildung, die an dieser altbewährten Anstalt als Grundlage des Studiums der Theologie obligatorisch ist, und trieb außerdem philologische Studien. Entscheidend für sein ganzes Leben wurde die Anregung, die er von G. H. A. Ewald [550] empfing, dem berühmten Bibelforscher und Semitisten, der in jener Zeit Mitglied der philosophischen (seit 1841 der theologischen) Facultät in Tübingen war und dessen ausgebreitete Gelehrsamkeit auch das umfaßte, was damals vom Indischen und Iranischen bekannt war. R. hörte bei Ewald theologische Vorlesungen und von seinem siebenten Semester an vier Vorlesungen über Sanskrit und zwei über Persisch. Dadurch wurde sein Interesse für die Erforschung der Litteraturen der beiden arischen Völker in einer Weise angeregt, daß er in ihr seine Lebensaufgabe erkannte. Wer Roth’s vornehme Ruhe und Zurückhaltung in seinem späteren Leben kennen gelernt hat, der wird sich nicht wundern zu erfahren, daß R. als Student nicht hervorgetreten ist und Aufsehen erregt hat. Alle äußeren Mittel, sich zur Geltung zu bringen, sind ihm von jeher verhaßt gewesen. Doch erkannten seine Lehrer bald (wie der Berichterstatter des Schwäbischen Merkur vom 10. Juli 1895 mittheilt), „daß man es mit einem jungen Manne von klarem und reifem Urtheil, von ausdauerndem und zweckmäßig angewandtem Fleiße zu thun hatte“. Und schon damals wurde die klare und schöne Rede an dem späteren Meister des Stils bemerkt, der in seiner knappen, markigen und geschmackvollen Ausdrucksweise immer den Nagel auf den Kopf zu treffen wußte.

Im J. 1842 bestand R. das theologische Staatsexamen und erwarb am 24. August 1843 – so lange währte damals in Tübingen das Sommersemester – den philosophischen Doctorgrad mit einer Dissertation aus dem Gebiet der semitischen Philologie: „Quid de fragmentis Sanchuniathonianis atque de libro isto Sanchuniathonis nomen prae se ferente sit statuendum“. Diese Dissertation ist nicht gedruckt worden; sie war aus einer Preisarbeit hervorgegangen, mit der R. 1840, schon in seinem zweiten Studienjahre, den Preis der philosophischen Facultät gewonnen hatte. Seine Kenntniß des Sanskrit hatte R. durch eine Beschäftigung mit der kleinen Sammlung von Sanskrithandschriften vertieft, die der württembergische Missionar Dr. Johann Häberlin nach zwölfjähriger Wirksamkeit in Indien im J. 1838 der Tübinger Universitätsbibliothek geschenkt hatte und die den Grundstock des großartigen Bestandes indischer Handschriften bildet, der sich im Laufe der Zeit in Tübingen durch Schenkungen und Ankäufe angesammelt hat. Gegen Ende des Jahres 1843 trat R. mit staatlicher Unterstützung eine wissenschaftliche Reise an, von der er den reichsten Gewinn nach Hause bringen sollte. Er begab sich zuerst nach Paris, dem damaligen Mittelpunkt der orientalistischen Studien, wo er (ebenso wie zwei Jahre später Max Müller[WS 1]) Schüler des großen Indologen und Iranisten Eugène Burnouf[WS 2] wurde und zu Julius Mohl in nahe Beziehung trat. Aus dieser Zeit stammt auch Roth’s Vorliebe für die französische Sprache, die er bis in sein Alter mit Eleganz zu handhaben wußte. Von Paris ging R. nach England, um in der Bibliothek des damaligen East-India-House in London und in der Bodleian Library in Oxford die handschriftlichen Schätze zu sichten und Abschriften von den vedischen Texten zu nehmen, auf die das große Werk seines Lebens gegründet ist. Der Förderung, die er in England durch H. H. Wilson[WS 3] fand, hat er eine dankbare Erinnerung bewahrt und dies durch die hochachtungsvolle Widmung seiner Erstlingsschrift zum Ausdruck gebracht.

Wer heutzutage an das Studium des Veda herantritt, findet fast alle Texte dieser umfangreichen alten Litteratur in zuverlässigen Ausgaben und zum Theil in Uebersetzungen vor, dazu lexikalische Hülfsmittel, genaue Indices zu mehreren Texten und eine schon schwer zu übersehende Litteratur über alle Fragen der Vedengrammatik und Exegese, der altindischen Mythologie, Litteratur-, Cultur- und Religionsgeschichte. Von allen diesen Arbeiten existirten nur zwei, [551] als R. sich mit kühnem Muthe entschloß, die altindische Welt der Wissenschaft zu erschließen, zu einer Zeit, als das Verständniß für die grundlegende Bedeutung solcher Aufgaben durchaus noch nicht allgemein verbreitet war. Die erste dieser beiden Arbeiten war der Aufsatz, den H. T. Colebrooke[WS 4], der eigentliche Begründer des Sanskritstudiums, der mit erstaunlicher Gelehrsamkeit fast alle Gebiete der späteren indischen Litteratur umfaßte, unter dem Titel „On the Veda or sacred writings of the Hindoos“ schon im J. 1805 veröffentlicht hatte. Aber wie lautete das Urtheil Colebrooke’s über den Veda! Nachdem er kurze Mittheilungen über die vedischen Schulen, Aeußerlichkeiten der Ueberlieferung, Eintheilungen des Rigveda, Inhalt der Texte u. s. w. gemacht, ohne die alten Hymnensammlungen von den späteren Werken liturgischen und speculativen Inhalts zu unterscheiden, schließt er mit der Bemerkung, daß diese Litteratur wohl verdiene, gelegentlich von den Orientalisten zu Rathe gezogen zu werden; aber die Vedas seien zu umfänglich für eine vollständige Uebersetzung des Ganzen, und was sie enthielten, würde schwerlich die Arbeit des Lesers und noch weniger die des Uebersetzers lohnen. Wie muß man da den sicheren historischen Blick des 22jährigen Jünglings bewundern, der sich durch dieses uns heute ganz unbegreifliche Urtheil des damals berühmtesten Sanskritforschers nicht beirren ließ, sondern in der genauen Erforschung des Veda eine Hauptaufgabe der gesammten Alterthumskunde erkannte! Das zweite der eben erwähnten Werke war der Anfang einer Ausgabe und lateinischen Uebersetzung des Rigveda von der Hand unseres Landsmannes Friedrich Rosen, der Professor der orientalischen Litteratur an der Londoner Universität war. Die Ausgabe, die das erste Achtel des Rigveda umfaßt, brach ab mit dem vorzeitigen Tod des 32jährigen verdienten Mannes; sie erschien 1838, ein Jahr nach dem Ableben Rosen’s, von der Asiatischen Gesellschaft publicirt, unter dem Titel „Rigveda-Sanhita, liber primus, sanscrite et latine“. Die Uebersetzung fußt fast durchaus auf den Erläuterungen des großen einheimischen Commentators, verdient aber trotz dieser Unselbständigkeit hohe Anerkennung als der erste Versuch, einen vedischen Text zu bearbeiten.

Das war alles, was von Arbeiten über den Veda existirte, als R. begann, den Weg in das Dickicht dieser Litteratur zu bahnen.

Im October 1845 war R. nach zweijähriger Abwesenheit nach Tübingen zurückgekehrt, und im nächsten Jahre erschien als erste Frucht der Quellenstudien, die er in Paris, London und Oxford gemacht, sein Buch „Zur Litteratur und Geschichte des Weda“, drei Abhandlungen über die Hymnensammlungen, die älteste Wedengrammatik oder die Prâtiçâkhyasûtren und Geschichtliches im Rigweda, eine Arbeit, die damals epochemachend wirkte und noch heute nicht veraltet ist. Hier stellt R. den zeitlichen und sachlichen Abstand zwischen den alten Liedersammlungen und den liturgischen Werken der vedischen Litteratur fest sowie die Verschiedenheiten in den Lebensverhältnissen, dem Volksscharakter und der ganzen Anschauungswelt, welche die Zeiten des ältesten Indiens von den späteren unterscheiden. Daneben wird die Frage nach dem Werthe der einheimischen Tradition aufgeworfen, der R. von Anfang an mit selbständigem Urtheil gegenübertrat. Diese Frage muß weiter unten noch etwas eingehender behandelt werden, um Roth’s Standpunkt im Verhältniß zu den Anschauungen der Gegenwart zu kennzeichnen. Hier sei nur darauf hingewiesen, wie R. schon in seiner Erstlingsschrift zu der indischen Erklärungslitteratur, namentlich zu dem bedeutendsten und ausführlichsten Vedencommentator Sâyaṇa (aus dem 14. Jahrhundert nach Chr.) Stellung nahm. R. sagt zwar S. 24, daß Sâyaṇa’s Commentar für uns immer sowohl die hauptsächlichste Quelle für Vedenerklärung als eine Fundgrube für [552] die Geschichte der Litteratur überhaupt bleiben werde; aber er fügt doch gleich hinzu, daß Sâyaṇa einer Zeit angehört, in welcher vedisches Studium erst künstlich wieder erweckt wurde und deren Gesichtskreis jene alte Litteratur so ferne lag, daß wir ein sicheres Verständniß derselben bei Sâyaṇa nicht zu finden erwarten könnten. Immerhin meint R., daß für die Beförderung vedischer Studien nichts angelegentlicher zu wünschen sei, als eine vollständige Bekanntmachung der Sanhitâ des Rigveda und ihres wortreichen Commentators; und daran knüpft er die Ankündigung, daß dieses Werk in England vorbereitet werde: die große Ausgabe solle unter Wilson’s Oberleitung von Dr. Trithen[WS 5] in London, Dr. Rieu[WS 6] aus Genf und ihm selbst besorgt werden. Dieser Plan hat sich zerschlagen und ist später bekanntlich von Max Müller in vorzüglicher Weise zur Ausführung gebracht worden. Daß Roth’s Arbeitskraft dadurch für die Aufgabe frei wurde, deren Erfüllung ihm unvergänglichen Ruhm eintragen sollte und damals von keinem Anderen mit dem gleichen Erfolge hätte geleistet werden können, dürfen wir als ein Glück für die Wissenschaft bezeichnen.

Schon vor Ablauf des Jahres 1845 hatte sich R. in Tübingen als Privatdocent der morgenländischen Sprachen habilitirt. In seinen auf dem kgl. Universitätsamt zu Tübingen aufbewahrten Personalacten ist Ende des Jahres 1847 mehrfach von dem Anerbieten einer festeren Stellung an einer auswärtigen Universität die Rede; aber es läßt sich nicht ermitteln, um welche Universität und um was für eine Stellung es sich gehandelt hat. Dieses Anerbieten gab der philosophischen Facultät und dem akademischen Senat in Tübingen Gelegenheit, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie R., in dem man bereits eine hervorragende Lehrkraft erkannt hatte, an der Tübinger Universität festzuhalten sei, ob man seine Ernennung zum außerordentlichen Professor mit einem Gehalt von 600 Gulden oder die Gewährung eines „Wartegelds“ von 400 Gulden bei dem Ministerium beantragen solle. Der Senat entscheidet sich aus Rücksicht auf Roth’s Jugend für das letztere; aber die Regierung in Stuttgart ist großmüthiger und ernennt R. zu Anfang des Jahres 1848 gleich zum Extraordinarius mit 600 Gulden Gehalt. 1856 folgt die Beförderung zum ordentlichen Professor. In demselben Jahre wurde R. auch das Amt des Oberbibliothekars an der Tübinger Universitätsbibliothek übertragen, das er neben seiner Professur nahezu 40 Jahre bis an sein Lebensende bekleidet hat. Als junger Privatdocent begann er eine vielseitige Lehrthätigkeit auszuüben, indem er nicht nur über Sanskritgrammatik, Veda und Avesta, Neupersisch, indische Archäologie und Mythologie, philosophische Systeme des Morgenlandes, sondern auch über vergleichende Grammatik und selbst über Hebräisch und theologische Gegenstände las. Man war damals noch von der Vertiefung und Spezialisirung der einzelnen Fächer weit entfernt und an breitere Arbeitsgebiete gewöhnt. Die Semitica überließ R. später seinem Collegen Ernst Meier, der an demselben Tage, an dem R. zum ersten Ordinarius des Sanskrit in Tübingen befördert wurde, die ordentliche Professur der semitischen Philologie erhielt. Dafür trat R. bald mit einer Vorlesung hervor, die lange Zeit die einzige ihrer Art an deutschen Universitäten geblieben und weithin über Deutschlands Grenzen hinaus berühmt geworden ist; es war das große Colleg über allgemeine Religionsgeschichte, das R. mehrere Jahrzehnte hindurch in jedem Sommer, in den letzten Lebensjahren in jedem zweiten Sommer gelesen hat. Wie R. bei der Erforschung des Veda und des Avesta wesentlich durch religionsgeschichtliche Interessen geleitet wurde – er hat die theologische Grundlage seiner geistigen Entwicklung nie verleugnet –, so erkannte er auch nicht nur, von welcher Bedeutung ein Ueberblick über die Religionen der gesammten [553] Menschheit für jeden Theologen ist, sondern auch, daß der Indologe der berufene Vertreter dieses weitverzweigten Wissensgebietes ist, weil die mehrtausendjährige Entwicklung des religiösen Lebens in Indien mit seinem unerschöpflichen Reichthum an Glaubensformen geradezu ein religionsgeschichtliches Muster ist, wie geschaffen zur Schulung des Religionshistorikers. Seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist kaum ein württembergischer Theologe ins Leben hinausgetreten, ohne die Vorlesung über allgemeine Religionsgeschichte gehört und dadurch seinen Blick erweitert und die Kenntnisse erworben zu haben, die für eine gründliche theologische Ausbildung schon längst unerläßlich sind.

Trotz seiner ausgedehnten Lehrthätigkeit und der gewaltigen wissenschaftlichen Arbeit, die R. bis an sein Lebensende geleistet hat und die wir weiter unten zu würdigen haben werden, ist er keineswegs ein weltfremder Gelehrter gewesen. Er hat immer die Zeit dazu gefunden, die politischen Verhältnisse seines engeren und weiteren Vaterlandes sowie die Angelegenheiten der Tübinger Universität und die der Kirche – die letzten als ein religiöser aber durchaus freisinniger Mann – genau zu verfolgen. Zwanzig Jahre lang hat er als „Stiftsinspektor“, d. h. als Mitglied der Aufsichtsbehörde des evangelischen Seminars, gewirkt. Zweimal durch das Vertrauen seiner Collegen berufen, das Rectorat der Universität zu übernehmen, hat er auch zu anderen Zeiten ihre Interessen mit der ihm eigenen Willenskraft nachdrücklich zu fördern gewußt. Er war mit den Tübinger Verhältnissen so eng verwachsen, und ist sein ganzes Leben lang in Sprache, Umgangsformen und Lebensweise ein so echter Schwabe geblieben, daß er sich zu einem Wechsel des Wohnorts und Wirkungskreises nicht entschließen konnte. Einen Ruf an die neugegründete Universität in Straßburg hat er nach kurzem Bedenken abgelehnt. Aber nichts lag ihm ferner als süddeutscher Particulariesmus und die noch heute in Württemberg weitverbreitete Engherzigkeit, welche die Professuren in Tübingen am liebsten ausschließlich mit Landeskindern besetzt zu sehen wünscht. R. hat bei Vacanzen stets seine Stimme dafür erhoben, daß man den besten für Tübingen erreichbaren Vertreter des Fachs aus welchem Theile Deutschlands auch immer zu gewinnen streben müsse. Die Einigung Deutschlands begrüßte er nicht nur als wahrer Patriot, sondern bemühte sich auch, sie an seinem Theile in Württemberg zu fördern. Im Jahre 1871 zog er von Ort zu Ort, um breiten Schichten der Landbevölkerung den Werth der neuen politischen Ordnung klar zu machen, und gewann durch volksthümliche und eindringliche Rede zahlreiche Herzen für die nationale Idee.

Ein Verzeichniß von Roth’s Schriften hat der Verfasser dieses Artikels im Anschluß an einen Nekrolog in Bezzenbergers Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen XXII, 147–152, XXIV, 323 veröffentlicht.*) Es sind über 70 Nummern. Davon können natürlich hier nur die Hauptwerke zur Besprechung kommen. Die erste größere Publication Roth’s war eine Ausgabe von Yâska’s Nirukta sammt den Nighaṇṭavas, mit Erläuterungen, aus [554] dem Jahre 1852. Es handelt sich hier um die ältesten uns erhaltenen Werke der einheimischen Vedaerklärung und Grammatik. Die Nighaṇṭavas sind ein vedisches Vocabular, das hauptsächlich synonymische Zusammenstellungen, aber auch Aufzählungen dunkler Wörter und der vedischen Gottheiten enthält. Zu diesem alten Verzeichniß hat Yâska, den man in das 5. Jahrhundert v. Chr. zu versetzen pflegt, sein Nirukta (d. h. Commentar) verfaßt, ein Werk, das nicht nur für die Vedaerklärung, sondern auch durch seine Einleitung für die Geschichte der Sprachwissenschaft von hoher Bedeutung ist. R. gab seiner Ausgabe ausführliche Erläuterungen bei, die – umfänglicher als die edirten Texte selbst – lange Zeit eines der wichtigsten Hülfsmittel zum Verständniß schwieriger Vedastellen gebildet haben.

Roth’s nächste Arbeitspläne waren auf die altindische Mythologie und Archäologie gerichtet; da erhielt er von Otto Böhtlingk[WS 7] in einem vom 1. Januar 1852 datirten Briefe die Aufforderung, sich mit ihm zur Abfassung eines von der Petersburger Akademie herauszugebenden Sanskrit-Wörterbuchs zu vereinigen und dabei die Bearbeitung des vedischen Wortschatzes und einiger anderer Litteraturgebiete zu übernehmen. Nach einigem Zögern ging R. auf den Vorschlag ein, zunächst unter der Bedingung, daß Theodor Aufrecht[WS 8] zu seiner Unterstützung gewonnen werde; denn die Arbeit so anzulegen, wie sie später von ihm wirklich geleistet wurde, unter Zugrundelegung umfassender Sammlungen, erschien R. zu Anfang mit seinem Lehramt und den anderen von ihm ins Auge gefaßten Arbeitsplänen unvereinbar. Aber die Mitwirkung Aufrecht’s, der inzwischen nach Oxford übergesiedelt war, um Max Müller bei der Herausgabe des Rigveda mit Sâyaṇa’s Commentar als Amanuensis zu dienen, endete schon bei dem dritten Bogen des ersten Bandes. Damit stellte sich für R. die Nothwendigkeit ein, den vedischen Theil ganz auf sich zu nehmen, was er selbst später als die ohne Zweifel einzig richtige Lösung bezeichnet hat. Zwar hat es Böhtlingk und R. nicht an der Mitarbeit mehrerer bedeutender Fachgelehrten gefehlt: Stenzler lieferte Beiträge aus den Gebieten des indischen Rechts, der Dramen und der Kunstpoesie, Weber[WS 9] beutete für das Wörterbuch die ihm allein in den Berliner Handschriften zugängliche, lexikalisch sehr ergiebige rituelle Litteratur aus, Whitney[WS 10] half aus Amerika mit einem vollständigen Index zum Atharvaveda, H. Kern[WS 11] in Leiden wurde dankbar unter denjenigen genannt, die am meisten beigesteuert haben, Graßmann und A. Schiefner[WS 12] erwiesen sich hülfreich und nützlich. Aber doch war es eine Riesenarbeit, die von den beiden Herausgebern des Petersburger Wörterbuchs allein geleistet werden mußte. Das zuerst auf zwei Quartbände berechnete Werk wuchs in den 22 Jahren seines Werdens ohne jede Stockung zu den sieben großen Bänden an, die den Wortschatz des Sanskrit in der damals erreichbaren Vollständigkeit enthielten und die Grundlage für die fruchtbare Entwicklung aller Zweige der Indologie bildeten. Das Werk gilt mit Recht wegen seiner Anordnung, der zufolge die oft zahlreichen Bedeutungen eines Worts in ihrer historischen Entwicklung festgestellt worden sind, als ein Muster der Lexikographie überhaupt.

Böhtlingk hatte als seinen Antheil die Ausbeutung der sogenannten classischen Sanskritlitteratur und damit eine an Umfang erheblich größere Aufgabe als R. übernommen; aber die geringere Masse des von R. zu bewältigenden Stoffes bot sehr viel größere Schwierigkeiten. Die classische Sanskritlitteratur war damals zum großen Theil schon durch Ausgaben zugänglich gemacht; man besaß die bedeutendsten einheimischen Grammatiken und Wörterbücher, die großen Epen, mehrere Legendensammlungen (Purâṇa), viele Dramen, Kunstgedichte, Fabelsammlungen, Rechtsbücher, philosophische [555] Texte u. s. w., und über die Wortbedeutungen in allen diesen Litteraturgattungen bestand in der Hauptsache kein Zweifel. Dagegen war R. fast die ganze vedische Litteratur nur erst in Handschriften, resp. in den von ihm gemachten Abschriften, zugänglich, und die Bedeutungen der einzelnen Worte mußten von ihm in unablässigem Kampf mit den einheimischen Commentaren mühsam auf etymologischem Wege und durch Zusammenstellung aller nach Sinn und Form verwandten Stellen ermittelt werden. Diese Arbeit Roth’s muß, so manches auch im Einzelnen durch spätere Forschung verbessert worden ist und verbessert werden wird, als eine philologische Leistung allerersten Ranges bezeichnet werden. Nur ein Mann von Roth’s Scharfsinn, Klarheit und intuitivem Blick für das Richtige konnte sie in solcher Vollkommenheit leisten.

R. selbst hat über die Entstehung des großen Werkes kurz vor seinem Abschluß auf der Innsbrucker Philologenversammlung 1874 einen interessanten Vortrag „Zur Geschichte des Sanskrit-Wörterbuchs“ gehalten, der in den Mélanges Asiatiques tirés du bulletin de l’Académie Impériale des sciences de St.-Pétersbourg, Tome VII (1876), abgedruckt ist. R. spricht sich in diesem Vortrag besonders über seinen Antheil an dem Wörterbuch aus, über seine Arbeitsweise und über die Schwierigkeiten, die von ihm zu überwinden waren. Mit berechtigtem Stolz nimmt R. (S. 613) für den vedischen Theil des Wörterbuchs das Verdienst in Anspruch, geleistet zu haben, „was auf den ersten Anlauf zu leisten war, was in einer Zeit zu leisten war, wo der Lexikograph anstatt, wie sonst, der Sammler dessen zu sein, was die Exegeten liefern, selbst als Exeget vorangehen, Erklärer und Sammler zugleich sein mußte.“ So schwer sonst R. von der Unrichtigkeit einer Anschauung zu überzeugen war, ist er doch gerade auf seinem ureigensten Forschungsgebiet, dem der vedischen Worterklärung, nichts weniger als rechthaberisch gewesen. Wohl ein jeder seiner Schüler, der in das Vedacolleg eintrat und als Anfänger ans Ziel gelangt zu sein glaubte, wenn er eine schwierigere Vedastelle so verstand, wie das Petersburger Wörterbuch sie verstehen lehrte, hat mit Ueberraschung erfahren, für wie wenig abschließend R. die von ihm im Wörterbuch gegebenen Erklärungen ansah, wie viele neue Möglichkeiten der Auffassung er erwog und mit welcher Bereitwilligkeit er auf abweichende Ansichten der gereifteren Schüler einging. Er behandelte seinen Antheil am Wörterbuch stets als einen Entwurf, an dem er und Andere zu bessern hatten. In diesem Sinne hatte er auch in der Vorrede zum ersten Bande gesagt: „Dieser Theil des Wörterbuchs wird, wie er der neueste ist, so auch am ersten veralten; denn die vereinigte Arbeit vieler tüchtiger Kräfte, welche sich auf den Veda richten, wird das Verständniß desselben sehr rasch fördern und vieles wahrer und genauer bestimmen, als uns beim ersten Anlauf gelingen wollte.“ R. war stolz in dem Bewußtsein, den Grund gelegt zu haben, aber er freute sich jedes wirklichen Fortschritts der Erkenntniß, der von Anderen ausging.

Auch an zwei Gebieten der späteren indischen Litteratur, deren Ausbeutung R. noch für das Wörterbuch übernommen, hat er in dem eben erwähnten Vortrag (S. 599 ff.) gezeigt, wie außerordentlich mangelhaft das ihm zu Gebote stehende Quellenmaterial noch damals war und wie viel Ergänzungen des Wortschatzes späterer Arbeit überlassen bleiben mußten: an der indischen Medicin und Botanik. Von der ganzen großen medicinischen Litteratur war R. zuerst nichts anderes zugänglich als die 1836/37 in Calcutta gedruckte Ausgabe des Suśruta, ohne einen Commentar oder ein sonstiges Hülfsmittel zum Verständniß. Und doch bietet gerade diese Litteratur mit ihrem Reichthum an technischen Ausdrücken und Namen für Werkzeuge, Heilmittel, Pflanzen, [556] Speisen, Getränke u. s. w. für ein Sanskritwörterbuch ein großes und wichtiges Material. „In diesen Schriftenkreis gehört auch – um R. (S. 601) selbst reden zu lassen – eine Anzahl von Vokabularien – meist Nighaṇṭu genannt, wie das bekannte alte vedische Vokabular – in welchen nach gewissen Rubriken die Namen von Pflanzen, Gewürzen, Wohlgerüchen, Metallen, Salzen, Tieren, Speisen u. s. w. aufgezählt werden.“ Von allen diesen Büchern war damals noch keines bearbeitet und in Europa gedruckt; nur eines war in Benares lithographirt worden. „Diese Schriften sind aber für ein Sanskritwörterbuch, das vollständig sein will, unentbehrlich. Die Benennungen der zahlreichen Gewächse Indiens, von welchen fast jedem irgend eine medicinische Wirkung zugeschrieben wird, gehen in die Tausende, weil jeder wichtigere Baum, Strauch oder Kraut neben seinem Hauptnamen eine Menge von Synonymen führt. Die indische Phantasie hat hier zu viel des Guten gethan. So führt z. B. in einem dieser Nighaṇṭu der Ricinus communis in einer weißen Species 12, in einer roten 15 Namen, die Cocospalme, die nur an der Malabar- und Coromandelküste wächst, 15 Bezeichnungen. Aus den Pflanzennamen allein und was noch sonst zur Materia medica gehört, ließe sich also ein voluminöses Vokabular zusammenstellen.“ Für alle diese Dinge hatte R. damals noch so gut wie nichts von den Originalquellen und mußte sich mit einer in vielfacher Hinsicht mangelhaften Encyklopädie behelfen, die ein gelehrter Inder, Râjâ Râdhâkânt Dev unter dem Titel Śabdakalpadruma in sieben Quartbänden Calcutta 1821–57 herausgegeben hatte.

Für die zuletzt erwähnten Gebiete kam R. seine praktische Kenntniß der Realien, sein lebhafter Sinn für Landwirthschaft, Botanik, Blumen und Obstcultur außerordentlich zu statten. Mit allem dem war er auf das engste vertraut. B. Delbrück[WS 13] erzählt in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 49, 559: „Als ich R. gelegentlich ein Compliment darüber machte, wie sachverständig er die verschiedenen indischen Ausdrücke für Milch, Butter und Käse übersetzt habe, nahm er das mit großem Wohlgefallen auf, strich sich, wie es seine Art war, das Kinn und meinte: Ja, so etwas können sie in Berlin nicht.“ So hat R. auch immer, wenn es sich bei der Vedalectüre um das Leben der Natur in Feld und Wald oder um die Geräthe und Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens handelte, im Colleg darauf hingewiesen, daß man auf das Land und zu den Handwerkern gehen müsse, um diese Dinge kennen zu lernen.

Das Sanskritwörterbuch füllte Roth’s wissenschaftliche Thätigkeit nicht aus; in die Zeit seines Erscheinens fällt eine ganze Reihe von anderen Publicationen, unter denen vor allen Dingen die mit Whitney gemeinsam besorgte Ausgabe des Atharvaveda aus dem Jahre 1856 zu nennen ist. Diesem Veda, der mit seinen Zauber- und Beschwörungsliedern einen viel volksthümlicheren Charakter trägt als die anderen vedischen Sammlungen, der uns Einblicke in alle Vorkommnisse und Sorgen des täglichen Lebens bei den alten Indern gewährt, hat R. stets ein ganz besonderes Interesse geschenkt. Einer Abhandlung über den Atharvaveda (1856) folgen später (1875 und 1881) die Aufsehen erregenden Mittheilungen über eine in Kaschmir erhaltene von der Vulgata wesentlich verschiedene Recension dieses Veda, die nur in einer einzigen Handschrift auf Birkenrinde noch existirt. Es war R. nicht nur gelungen, von Tübingen aus durch seine guten Beziehungen zu einflußreichen Engländern diese Handschrift in der Bibliothek des Mahârâja von Kaschmir aufzuspüren, sondern auch zuerst eine Abschrift dieses Codex und bald darauf das unschätzbare Original selbst in seinen Besitz zu bringen. Dieses Unikum bildet jetzt den größten Schatz der Tübinger Universitätsbibliothek, da R. seine ganze werthvolle Sammlung [557] orientalischer Manuscripte der so lange von ihm geleiteten Anstalt vermacht hat, und ist vor einigen Jahren durch eine Facsimileausgabe in drei starken Foliobänden der allgemeinen Benutzung zugänglich gemacht worden.

In diesem Zusammenhange sei auch erwähnt, daß sich in Roth’s Nachlaß eine vollständige Uebersetzung des Atharvaveda gefunden hat, die gleichfalls der Tübinger Universitätsbibliothek überwiesen worden ist. Diese von Anmerkungen begleitete Uebersetzung – wohl die größte Arbeit Roth’s nächst seinem Antheil am Sanskritwörterbuch – ist nahezu druckfertig, aber sie hat nach einer auf alles Handschriftliche sich beziehenden testamentarischen Verfügung Roth’s nicht veröffentlicht werden dürfen. Trotzdem ist sie der wissenschaftlichen Welt nicht verloren gegangen; denn sie ist in Whitney’s Händen gewesen und von diesem für seine englische Uebersetzung des Atharvaveda benutzt worden, die nach Whitney’s Tode von seinem Schüler Lanman[WS 14] vervollkommnet und 1905 in zwei starken Bänden herausgegeben worden ist.

Während der 20 Jahre, die R. nach dem Abschluß des Wörterbuchs noch geschenkt waren, hat er eine reiche litterarische Thätigkeit entfaltet. In einer großen Zahl meist kleinerer aber inhaltsreicher Abhandlungen, die in knapper, formvollendeter Sprache, in vornehmem Ton, unter fast völliger Vermeidung von Polemik abgefaßt sind und den Stempel der reifsten Ueberlegung tragen, hat er die verschiedensten Gegenstände aus dem Gebiete der Veda- und Avestaforschung sowie der altindischen und iranischen Mythologie, Religions- und Culturgeschichte behandelt, auch manche geschmackvolle Uebersetzungen in metrischer Form geliefert. R. vertrat den Grundsatz, über dessen Richtigkeit sich allerdings streiten läßt, die metrische Uebersetzung habe den Vorzug, daß sie, weil unmöglich immer Wort und Wortstellung in einfachem Abdruck sich wiedergeben lassen, desto mehr gehalten sei, den wirklichen Wert des Gedankens zu fassen und das richtige Aequivalent dafür zu suchen (Einleitung zur Uebersetzung der Siebenzig Lieder des Rigveda, p. VI). Die kleineren Arbeiten Roth’s sind in verschiedenen Zeitschriften, namentlich in denen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, zum Theil auch in Tübinger Universitätsschriften veröffentlicht.

Aus der gesammten Masse der Roth’schen Abhandlungen seien die folgenden als die wichtigsten angeführt: „Brahma und die Brahmanen“ (ZDMG. Bd. 1). „Ueber das Würfelspiel bei den Indern“ (Bd. 2), „Die höchsten Götter der arischen Völker“ (Bd. 6), „Die Todtenbestattung im indischen Alterthum“ (Bd. 8), „Ueber gelehrte Tradition im Alterthume, besonders in Indien“ (B. 21), „Der Kalender des Avesta und die sogenannten Gahanbâr (Bd. 34), „Ueber den Soma“ (Bd. 35), „Der Adler mit dem Soma“ (Bd. 36), „Wo wächst der Soma?“ (Bd. 38), „Wergeld im Veda“ (Bd. 41), „Indischer Feuerzeug“ (Bd. 43), „Rechtschreibung im Veda“ (Bd. 48), „Ueber Yaçna 31“ (Tübingen 1876), „Ueber gewisse Kürzungen des Wortendes im Veda“ (Verhandlungen des VII. internationalen Orientalisten-Congresses, Wien 1888).

Besondere Erwähnung verdienen ferner die Beiträge, die R. zu den „Siebenzig Liedern des Rigveda, übersetzt von Karl Geldner[WS 15] und Adolf Kaegi[WS 16]“ (Tübingen 1875) geliefert hat, und namentlich die massenhaften Ergänzungen, mit denen von ihm Böhtlingk’s „Sanskritwörterbuch in kürzerer Fassung“ (St. Petersburg 1879–89) bereichert worden ist. Kaum war das große Petersburger Wörterbuch glücklich zu Ende geführt, so begann Böhtlingk diese neue lexikographische Arbeit unter Weglassung aller in dem großen Werke angeführten Belegstellen, aber unter Hinzufügung von Tausenden neuer Wörter und Belege. Der Umfang dieses kleineren Wörterbuchs, das ebenfalls in sieben Theilen erschienen ist, kommt nahezu der Hälfte des großen gleich.

Mit welcher Sicherheit sich R. auch auf ganz anders gearteten Gebieten [558] bewegte, zeigen die Arbeiten, die er bei besonderen Gelegenheiten (1867, 1877, 1880, 1888) zur Geschichte der Universität Tübingen, ihrer Bibliothek und des Büchergewerbes in Tübingen verfaßt hat. Den stattlichen Band „Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550“ (743 Seiten) hat er auf dem Titelblatt nicht einmal mit seinem Namen versehen, sondern nur die Vorrede mit R unterzeichnet, – ein deutlicher Beweis dafür, wie wenig ihm an litterarischem Ruhm gelegen war.

Dieser kurze Ueberblick über Roth’s litterarische Thätigkeit ist zur Würdigung seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit nicht ausreichend; dazu ist noch eine Charakteristik und Kritik des Standpunktes erforderlich, den R. auf seinen drei hauptsächlichsten Forschungsgebieten vertreten hat, in der Erklärung des Veda, in der des Avesta und in der Religionsgeschichte.

Auf den beiden ersten Gebieten handelt es sich hauptsächlich um Roth’s Bewerthung der einheimischen Tradition. Was die Vedaexegese betrifft, so hatte R., wie wir oben gesehen haben, schon in seinem Erstlingswerk den indischen Commentatoren gegenüber eine etwas ablehnende Haltung eingenommen. Später hat er ihnen noch weniger Bedeutung für das wahre Verständniß der alten Texte zugeschrieben. Diesen Standpunkt hat R. mit voller Entschiedenheit und Klarheit in dem vorher erwähnten Aufsatz im 21. Bande der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, in der Vorrede zum ersten Bande des Petersburger Wörterbuchs und in dem Vortrag „Zur Geschichte des Sanskrit-Wörterbuchs“ dargelegt und begründet. R. erklärt die indischen Commentatoren für vortreffliche Führer auf dem Gebiete der späteren vedischen Litteratur, der Werke über Theologie und Cultus, welche die Namen Brâhmaṇa und Sûtra führen. Mit allen den unzähligen Einzelheiten des Rituals und der Symbolik des Cultus seien die Commentatoren auf das Engste vertraut, in ihrer Erklärung also vollkommen zuverlässig. Aber ganz anders verhalte es sich mit den alten Liedersammlungen, hauptsächlich mit dem Rigveda, der nicht zu liturgischen Zwecken zusammengestellt sei. Die alte vedische Poesie war für R. nicht eine Schöpfung theologischer Speculation, sondern zum größten Theil der Ausdruck unmittelbarer, natürlicher Empfindung und an Familien oder Kasten eben so wenig gebunden als die Darbringung des täglichen Opfers und Gebets in jenen ältesten Zeiten. Für diese vedischen Lieder gebe es überhaupt keine wirkliche Tradition, d. h. keine Continuität des Verständnisses von dem Verfasser oder seiner Zeit an; alles was wir an Commentaren zum Veda haben, sei nur gelehrte Arbeit, nur Versuch zum Verständniß zu gelangen, mit denselben Mitteln, die auch wir haben und besser zu handhaben im Stande seien. Mit Freiheit des Urtheils, einer größeren Weite des Gesichtskreises und der geschichtlichen Anschauungen müsse es uns bei richtiger Handhabung der philologischen Methode gelingen, den Veda besser zu verstehen als alle indischen Commentatoren, die historisch befangen gewesen seien und von den Zuständen und Anschauungen ihrer Zeit aus auf die Jahrtausende hinter ihnen liegende Vergangenheit geschlossen, auch geringere etymologische Einsicht besessen hätten als wir.

Von diesem Standpunkt aus hat R. für die Erklärung des Veda Glänzendes geleistet und oft mit wunderbarem Scharfsinn an Stelle des Verschwommenen und Halbwahren, das die Commentatoren bieten, das Klare und Richtige gesetzt. Aber doch läßt sich heute nicht mehr verkennen, daß R. zu großes Vertrauen auf seinen eigenen Scharfsinn gesetzt hat. Wer in der Wissenschaft einen neuen Standpunkt gewinnt und durch mannichfache Erprobung als fruchtbar erkennt, pflegt immer mehr oder weniger über das Ziel hinauszuschießen, und diese Gefahr ist besonders groß bei Männern von ungewöhnlicher Energie. Unzweifelhaft [559] war R. im Recht mit dem Satze, daß die Schriften Sâyaṇa’s und der anderen Commentatoren nicht als Richtschnur des Vedaerklärers gelten dürfen, sondern nur als eines der Hülfsmittel, deren er sich bei der Lösung seiner Aufgabe zu bedienen habe; aber ebenso unzweifelhaft hat R. die Bedeutung der Commentare zu gering eingeschätzt. Sie enthalten mehr richtige Wort- und Sacherklärungen, als R. erkannt hat. Die vedische Poesie ist in Wirklichkeit nicht so naturwüchsig und rein menschlich, wie sie in Roth’s Auffassung erscheint, sondern sie ist zum größten Theil priesterlichen Ursprungs und für die Zwecke eines Rituals bestimmt, das sich zwar nicht mit dem Ritual der späteren Litteratur deckt und noch lange nicht so complicirt als dieses, aber ihm doch schon sehr ähnlich ist. Wohl besteht in mannichfachen Hinsichten, in Gemeindeordnung, Lebensverhältnissen und Volkscharakter eine Kluft zwischen der vedischen und der Folgezeit, aber trotzdem führen mehr Verbindungswege vom Veda zur classischen Sanskritlitteratur, ja selbst zum heutigen Indien, als R. annahm. Er hat die Alterthümlichkeit der vedischen Cultur überschätzt, die in Wirklichkeit nicht so einfach und primitiv, sondern in bestimmten Richtungen ziemlich weit vorgeschritten war und in einigen Auswüchsen schon echt indischen Charakter trug. Das ist besonders durch die „Vedischen Studien“ von Pischel[WS 17] und Geldner erwiesen worden, von denen seit 1889 bis jetzt drei Bände vorliegen.

Ueber das Maaß der Berücksichtigung, das die indische Tradition und überhaupt die spätere Sanskritlitteratur bei der Vedaerklärung verdient, und über eine Unmenge von Einzelfragen gehen die Meinungen heutzutage noch weit auseinander; und „man hat das Gefühl – wie unlängst H. Oldenberg[WS 18], Vedaforschung S. 5, 7 gesagt hat – daß noch heute, wenn die wissenschaftlichen Gegensätze der jetzigen Generation aufeinander stoßen, Roth’s mächtiger Schatten mitkämpft … Man darf sagen, daß auch seine Schwächen der Wissenschaft zur Förderung gereicht haben. Nur so, wie er war, konnte er thun, was nicht leicht ihm Jemand nachthun mochte. Seine Irrthümer verbessern, die Lücken ausfüllen konnten wir anderen.“

Mit derselben Entschlossenheit wie bei der Erklärung des Veda hat R. auch bei der des Avesta die einheimische Tradition bei Seite geschoben; auch hier ging er darauf aus, die alten Texte durch sich selbst zu erklären und ihnen einen einfachen und natürlichen Sinn abzugewinnen. Auch auf diesem Gebiete hat R. bahnbrechend gewirkt und mit seinem scharfen Blick durch den Nebel der priesterlichen Tradition die Formen und Umrisse des iranischen Alterthums klar erkannt. Als das wichtigste Hülfsmittel zum Verständniß des Avesta betrachtet R. den Veda, dessen Sprache und Culturverhältnisse denen des Avesta außerordentlich ähnlich sind. So glänzende Resultate nun aber durch die Benutzung dieses Hülfsmittels erzielt worden sind, so hat sich doch auch in der iranischen Philologie neuerdings die Erkenntniß durchgesetzt, daß man sich bei der Erklärung des Avesta nicht ausschließlich auf die Hülfe des vedischen Sanskrit verlassen und die einheimische Tradition, besonders die Pehlevî-Uebersetzung des Avesta nicht so ignoriren dürfe, wie R. es gethan hat. Seitdem das Pehlevî selbst durch ausgezeichnete Gelehrte genauer erforscht ist, hat der Standpunkt der Wissenschaft auf dem Gebiete der Avesta-Forschung die nämlichen Wandlungen durchgemacht, wie auf dem der Veda-Forschung. Die Mängel der isolirenden Betrachtungsweise sind auch hier erkannt worden. Namentlich hat die Avesta-Uebersetzung des hochverdienten Franzosen Darmesteter[WS 19], der für sein großes Werk nicht nur die einheimischen Uebersetzungen, sondern die gesammte spätere an das Avesta sich anschließende Litteratur, die Anschauungen und Gebräuche der heutigen Parsen und das ganze iranische Sprachmaterial zu Rathe gezogen hat, den Streit zwischen den [560] Anhängern und Verächtern der Tradition, der ein halbes Jahrhundert lang gewährt hat, zu einem gewissen Abschluß gebracht. Dieser Fortschritt der Erkenntniß aber verringert nicht die großen Verdienste, die R. sich um die Erforschung des Avesta erworben hat. Einer der competentesten Beurtheiler dieser Dinge, K. F. Geldner, spricht sich in dem Grundriß der iranischen Philologie II, 44 dahin aus: „Roth wollte das Avesta in erster Linie aus und durch sich selbst erklären, durch Aufsuchen und Vergleichen der Parallelen, ähnlicher Wortfügungen und verwandter Ideen, und er ist in dieser Hinsicht weit mehr in die Tiefe gedrungen, als die unbedingten Anhänger der Tradition …. In der Theorie haben die Verfechter der einheimischen Tradition mehr Recht gehabt; in der Methode und praktischen Durchführung seines Princips war Roth seinen Gegnern überlegen.“

Auf dem Gebiete der allgemeinen Religionsgeschichte ist R. den Lehren der Ethnologie, die in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts den großen Umschwung der Grundanschauungen herbeigeführt haben, unzugänglich gewesen. Roth’s Blicke waren vorzugsweise auf den sittlichen Gehalt der Religionen gerichtet; er hat sich deshalb auch immer mehr für die höhere Mythologie interessirt als für die niedere, die für das geschichtliche Verständniß doch von so großer Bedeutung ist. Er vertrat die Meinung, daß, je weiter wir die Religionen zu ihren Anfängen zurückverfolgen, desto edlere und erhabenere Vorstellungen uns entgegentreten. „Die wirkliche Geschichte – sagt R., Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft VI, 67, 68 – bietet überall, wo sie uns redende Zeugnisse von dem Geistesleben einer hohen Vorzeit erhalten hat, klare Umrisse und einfache und edle Formen. Das höchste Alterthum kennt die Geheimthuerei nicht, … sein Glaube ist kindlich und zutraulich, bis priesterliche Weisheit dessen Lenkung übernimmt und das Erhabene in die Schauer des Geheimnisses, in überwältigende Maaße und Zahlen kleidet. Umsomehr haben wir das gütige Geschick zu preisen, welches wenigstens bei einem unserer Brudervölker den Weg zu den Ursprüngen, den wir suchen, vollständig offen gelassen hat.“ Daß diese Ursprünglichkeit, die R. in den religiösen Anschauungen des Veda zu finden glaubte, in der That schon einen ganz ungeheuren Fortschritt gegenüber den wirklichen, sehr viel roheren Ursprüngen darstellt, die in nebelhafter Zeitenferne hinter dem Veda liegen, davon hat R. sich nie überzeugen lassen. Auch hielt er die Zauberei nicht für älter als den Gottesdienst, sondern für einen später auftretenden Mißbrauch des vermeintlichen Einflusses auf die Himmlischen; der Zauberspruch galt ihm als eine herabgesunkene Abart des Gebetes.

Seitdem die allgemeine Religionsgeschichte im Zeichen der Entwicklungsgeschichte steht, weiß man, daß alle Religionen des Alterthums von Anfängen ausgegangen sind, die ein getreues Abbild in dem religiösen Wesen der heutigen wilden Völker haben. Als eine der Wurzeln, aus denen im letzten Grunde jede Religion erwachsen ist, hat man den Seelencult erkannt, d. h. die vorzugsweise unter Furcht und Grauen geübte Verehrung der abgeschiedenen Seelen, von denen alle Naturvölker glauben, daß sie nach dem Tode in ein höheres, machtvolleres Dasein eintreten. Wie die Vorstellungen, die diesen Seelenglauben umgeben und gewöhnlich unter der Bezeichnung Animismus zusammengefaßt werden, sich bei dem Fortschritt von Cultur und Religion theilweise im Ahnencult und im Dämonen- und Götterglauben zu höheren Anschauungen entwickelt haben, theilweise aber auch in naturwüchsiger Rohheit unverändert bestehen geblieben sind und in viel höhere Entwicklungsstufen der Religion, ja bis in die Gegenwart hineinragen, – das findet man längst in allen wissenschaftlichen Werken über Religionsgeschichte geschildert. Freilich läßt sich der Ursprung [561] der Religion nicht – wie manche Religionshistoriker gewollt haben – allein aus dem Animismus ableiten, sondern es kommen noch zwei weitere Factoren in Betracht, die bei der Entstehung der Religion ebenso wirksam gewesen sind und sich ebenso frühzeitig bethätigt haben, wie der Seelencult: nämlich erstens die Personification und Verehrung der Naturgewalten und Naturerscheinungen, und zweitens der Glaube an ein höchstes gutes Wesen, ein Glaube, der in vollkommener Unabhängigkeit von den beiden anderen Religionswurzeln sich allerorts auf Erden bei den auf der niedrigsten Culturstufe stehenden Völkern nachweisen läßt. Je nachdem nun die eine oder andere dieser drei Wurzeln der Religion sich besonders kräftig entwickelt, unterscheidet sich Wesen und Charakter der Religionen in historischer Zeit. Die Personification und religiöse Verehrung sittlicher Begriffe ist im Vergleich mit jenen drei Religionswurzeln seit lange als eine sehr viel jüngere Phase der Religionsbildung erkannt worden.

Für die Auffassung des geschichtlichen Werdens der Religionen ist nun keine andere Idee fruchtbarer gewesen, als die Erkenntniß der Bedeutung des primitiven animistischen Vorstellungskreises. Dieser Erkenntniß verdankt man die Feststellung der animistischen Ueberlebsel in den höher entwickelten Religionen. Aber R. waren alle diese Beobachtungen ein Greuel. In dem Festgruß an Böhtlingk vom Jahre 1888 handelt er S. 97, 98 von Irrlichtern, die an einer Stelle des Atharvaveda erwähnt sind, und schließt mit den Worten: „Es ist erfreulich, daß sie hier, wenn auch ein Spuk, wenigstens nicht irrende Seelen Gestorbener sind, die uns in neuesten Interpretationen der Mythen sonst auf Schritt und Tritt verfolgen.“ Daß R. sich auf dem Gebiet der allgemeinen Religionsgeschichte gegen die wohlbegründeten Anschauungen einer neuen Zeit ablehnend verhalten hat, durfte auch die Pietät des dankbaren Schülers und Nachfolgers im Interesse einer möglichst objectiven Werthung der Persönlichkeit nicht verschweigen. Aber es sei daran erinnert, wie schwer es ist, im reiferen Alter mit lange gehegten Ueberzeugungen zu brechen, und wie doppelt schwer das Umlernen einem Manne wird, der sich als Pfadfinder fühlen darf.

Diese Bemerkungen werden genügen, um Roth’s Stellung und Standpunkt in der Wissenschaft zu kennzeichnen; es erübrigt nun noch eine Schilderung des Lehrers und des Menschen.

Als akademischer Lehrer verschmähte R. alle rhetorischen Mittel; er sprach stets gleichmäßig ruhig und klar und wußte dabei ein so intensives Interesse für die Sache zu erwecken, daß seine näheren Schüler wohl stets zu den arbeitsamsten Studenten in Tübingen gehört haben. Am anregendsten wirkte er in den Vorlesungen über Veda und Avesta, die vielfach auch von Ausländern besucht wurden: hier lernten die Zuhörer Roth’s Forschungsmethode und Auffassungsweise kennen und bewunderten in jeder Stunde aufs neue die Kraft seines Geistes. Die anders gearteten Methoden und Leistungen der Mitforscher schätzte R. gering und machte in seinen Vorlesungen aus dieser Geringschätzung kein Hehl. Trotz der ungeheuren Arbeit, die R. auf sich genommen und die ihm Lebensbedürfniß war, hatte er doch immer Zeit für seine Schüler, wenn sie kamen, ihn bei ihren ersten selbständigen Arbeiten um Rath und Beistand zu bitten. Wie viele für die Wissenschaft hochbedeutsamen Werke sind nicht auf Roth’s Anregung und unter seiner Beihülfe aus den Händen seiner Schüler hervorgegangen! Es genügt hier, L. v. Schroeder’s[WS 20] Ausgabe der Maitrâyaṇî Saṁhitâ und Geldner’s Ausgabe des Avesta zu nennen.

R. lud seine Schüler oft in sein Haus und unternahm mlt ihnen gern [562] große, gewöhnlich den ganzen Tag ausfüllende Spaziergänge, auf denen die Theilnehmer vielseitige geistige Anregung empfingen und Beziehungen anknüpften, aus denen zum Theil Freundschaften für das Leben geworden sind. Wenn solche Spaziergänge in das Dorf Thalheim bei Mössingen führten, so durfte bei der Bowle, die R. gern bei solchen Gelegenheiten anrichtete, ein alter Bauer nicht fehlen, der schon vor 1866 in seinem Heimathsort dem Anschluß an Preußen das Wort geredet hatte, und R. erwartete von seinen Schülern, daß sie dieser „Stütze der nationalen Idee“ mit großem Respect begegneten.

Die Zahl derjenigen Schüler Roth’s, die zu wissenschaftlicher Bedeutung und zu angesehenen Stellungen gelangt sind, ist in Anbetracht des entlegenen Faches sehr beträchtlich. An erster Stelle seien zwei vor ihrem Lehrer Dahingeschiedene genannt: der große amerikanische Gelehrte W. D. Whitney und Martin Haug[WS 21]. Der Letztere hatte freilich auf Grund irgend welcher Mißverständnisse einen heftigen Groll gegen R. gefaßt und bis zu seinem Tode gehegt (s. Bezzenberger’s[WS 22] Beiträge zur Kunde der indogermanischen Sprachen I, 74, 175, 176), aber trotzdem niemals den Einfluß verleugnet, den R. auf ihn ausgeübt hatte; denn Haug hat sich in seinen Arbeiten ausschließlich auf den Gebieten bewegt, auf die er durch Roth’s Unterricht hingewiesen war. Der nächste hervorragende Schüler Roth’s war Julius Grill[WS 23]; ihm folgten Ernst Kuhn[WS 24], H. Hübschmann[WS 25], H. Osthoff, Eduard Müller, Lawrence H. Mills, Hermann Fischer, K. Geldner, Wsewolod Miller, L. v. Schroeder, H. Zimmer[WS 26], Charles R. Lanman, A. Kaegi, Bruno Lindner[WS 27], der Verfasser dieses Artikels[WS 28], P. v. Bradke, B. Perrin, E. D. Perry, A. Macdonell, Th. Baunack, Fr. Knauer, H. Wenzel, Paul Vetter, Chr. Seybold, Wilhelm Schmid, E. V. Arnold, M. Aurel Stein, K. Bohnenberger[WS 29] u. A. m. In dieser Liste sind einige Gelehrte aufgezählt, die nicht Indologen von Fach geworden sind, aber doch unter Roth’s Leitung gründliche Studien gemacht haben.

R. war eine imponirende Erscheinung, von hoher Statur und außerordentlich kräftigem Körperbau. Der erste Blick auf seinen prachtvollen Gelehrtenkopf mit den klugen, durchdringenden Augen lehrte, daß man es mit einem Manne von ungewöhnlicher Bedeutung zu thun hatte. Es war – wie der Geistliche an seinem Grabe sagte – etwas auf seinem Angesicht wie von dem Wort des alten Weisen: „Störet mir meine Kreise nicht.“ Mit wuchtigen Schritten ging er einher, wie Jemand, der sich seines Zieles immer bewußt ist; Niemand wird R. je unentschlossen, aber ebensowenig übereilt gesehen haben. An Collegen und Schüler stellte er große Anforderungen; er war streng in seinem Urtheil, namentlich da, wo er Trägheit, Unzuverlässigkeit, einen Mangel an Wahrhaftigkeit und Streberthum zu erkennen glaubte. Aber er gehörte auch zu den Männern, die streng sein dürfen; denn er war am strengsten gegen sich selbst. Die Festigkeit seines Wesens, die auf eiserner Willenskraft beruhte, äußerte sich oft genug in schroffer Weise, wenn er für seine Ueberzeugung eintrat. Damit hat er sich in seinem Kreise manche Sympathien verscherzt; aber die Besten und Bedeutendsten seiner Collegen haben treu zu ihm gehalten.

R. ist zwei Mal verheirathet gewesen; 1853 starb seine erste Gattin, geb. Klotz[WS 30], 1881 seine zweite, geb. Otto[WS 31]. Auch verlor er sein einziges Kind aus erster Ehe, einen Sohn[WS 32], der Ingenieur geworden war und im 26. Lebensjahre im Hause des Vaters an der Schwindsucht starb. Aus seiner zweiten Ehe hatte R. zwei Töchter. Nach deren Verheirathung an die Tübinger Professoren der Medicin H. Vierordt[WS 33] und G. Schleich[WS 34] hat er sich in seinem Haus und Garten am Neckar vereinsamt gefühlt. Seine näheren Bekannten haben wohl gemerkt, wie sehr er an allem, was seine Kinder und Kindeskinder [563] betraf, Antheil nahm und wie viel milder er in vorgerücktem Alter in seinem Wesen geworden war. R. ist nach dem äußeren Anschein nicht selten für eine kalte, gefühlsarme Natur gehalten worden. Wer wie der Schreiber dieser Zeilen vier Jahre sein Schüler gewesen ist und dann achtzehn Jahre lang mit ihm in ununterbrochenem brieflichen Verkehr gestanden hat, darf das Recht in Anspruch nehmen, dieses Urtheil für falsch zu erklären. Wie viele kraftvolle Naturen verschloß R. seine Empfindungen in sich und schlug nur bei ganz besonderen Gelegenheiten einen wärmeren Ton an. Selbst in den Stunden des größten Schmerzes unterbrach er nicht den geregelten Gang seiner Thätigkeit. Im Sommer des Jahres 1875 starb sein einziger Sohn. Das Veda-Colleg folgte unmittelbar auf die Beerdigung, und wie R. während dieser nicht mit der Wimper gezuckt hatte, so wies er auch das Ersuchen seiner Schüler, die Vorlesung an dem Tage ausfallen zu lassen, kurz zurück und docirte mit einer Frische und Unbefangenheit, als ob ihn innerlich nichts bewegte. Und doch konnte, wer es wissen wollte, erfahren, wie sehr R. seinen Sohn vom zartesten Alter an geliebt hatte. Trotz der anscheinenden Kälte hatte R. ein warmes Herz nicht nur für seine Angehörigen, sondern auch für seine Freunde und Schüler und deren Familien, wenn nur die Schüler selbst Werth darauf legten, in engerem Zusammenhang mit ihm zu bleiben. In dieser Hinsicht sind ihm Enttäuschungen nicht erspart geblieben.

So stark Roth’s Abneigung gegen die berufsmäßige Wohlthätigkeit war, so bereitwillig war er, Bedürftigen in aller Stille zu helfen; er that es aber nie infolge einer augenblicklichen Regung, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der Würdigkeit. Im April des Jahres 1888, als die großen Ueberschwemmungen viel Unglück über die Provinzen Ost- und Westpreußen gebracht hatten, erbot sich R., dem Verfasser dieses Artikels, der damals an der Königsberger Universität wirkte, eine größere Geldsumme zur Verfügung zu stellen unter der Bedingung, daß sie zur Unterstützung von persönlich bekannten Beschädigten verwendet, aber nicht einer der öffentlichen Sammelstellen überwiesen würde.

Der großen Geselligkeit war R. abhold, zumal wenn sie die Nachtstunden in Anspruch nahm; denn er pflegte seine Arbeit in den frühesten Morgenstunden zu beginnen. In kleineren Zirkeln aber war er ein außerordentlich guter, zu kräftigem Humor geneigter Gesellschafter, der sich als den Mittelpunkt des ihn umgebenden Kreises fühlen durfte. Seine Erholungszeiten verlebte R. entweder in der Schweiz oder im Schwarzwald; größere Reisen hat er seit der wissenschaftlichen Reise, die ihn in jungen Jahren nach Frankreich und England geführt hatte, nicht unternommen, obwohl er – wie es in den alten Tübinger Urkunden heißt – ad pinguiorem fortunam gelangt war. Fremde Länder und Völker reizten ihn nicht, nach neuen Eindrücken hatte er kein Bedürfniß. Nur zum Besuche wissenschaftlicher Congresse entschloß er sich zu den Fahrten nach Innsbruck, Florenz, Wien und Leiden.

In der Festschrift, die R. am 24. August 1893 bei der Feier seines 50jährigen Doctorjubiläums von seinen Freunden und Schülern dargebracht wurde – es ist eine Sammlung von 44 Abhandlungen, zu der außer deutschen, österreichischen und schweizer Gelehrten auch solche aus England, Holland, Rußland, Italien und Amerika Beiträge geliefert haben – ist in den einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß der Name der Universität seines Heimathlandes durch ihn in fernen Welttheilen bekannt gemacht worden ist. An Dank dafür hat es R. in Württemberg nicht gefehlt. Ehren und Auszeichnungen sind ihm von nah und fern in reichem Maaße zu Theil geworden. Er machte [564] zwar nach Außen hin von ihnen keinen Gebrauch; aber er freute sich doch der verdienten Anerkennung. R. war Ehrendoctor der theologischen Facultät in Tübingen (1877) und der juristischen in Edinburgh (1889), auswärtiges oder Ehrenmitglied der folgenden Akademien und gelehrten Gesellschaften: der Berliner, Münchner, Wiener und Petersburger Akademie (der letzten schon seit 1855), der französischen Akademie der Inschriften, der Göttingischen und der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, der deutschen morgenländischen Gesellschaft, der kgl. asiatischen Gesellschaft von Großbritannien und Irland, der asiatischen Gesellschaft von Bengalen, der amerikanischen orientalischen Gesellschaft, der italienischen asiatischen Gesellschaft und der Wladimir-Universität in Kiew. Außerdem besaß R. eine Anzahl hoher in- und ausländischer Orden.

Vor Pfingsten des Jahres 1895 erkrankte R. an einer leichten Rippenfellentzündung, erholte sich aber anscheinend rasch und verbrachte die Pfingstferien zusammen mit seinem Schwiegersohn Prof. H. Vierordt in dem Badeorte Liebenzell im württembergischen Schwarzwald. Nach der Rückkehr konnte er seine Vorlesungen wieder aufnehmen; aber bald stellten sich große Beschwerden ein, die Folgen einer Herzdegeneration, die in ihren Anfängen weit zurückreichte und in den letzten Jahren merkliche Fortschritte gemacht hatte. Am 19. Juni las er zum letzten Male Colleg; es war ihm schon fast unmöglich, den gewohnten Weg die Neckarhalde hinauf zurückzulegen. In den folgenden Tagen war er meistens ohne Bewußtsein, sodaß er von der hinzutretenden Wassersucht zum Glück nicht lange zu leiden hatte. Am Morgen des 23. Juni wurde er, 74 Jahre alt, von der Stelle, an der er ein halbes Jahrhundert lang als ein Vorbild echten deutschen Gelehrtenthums gestanden hatte, abberufen.

Hermann Fischer, Nachruf für R. v. Roth, gesprochen bei der Beerdigung, Tübingen 1895. – B. Delbrück, Rudolf Roth, Vortrag, gehalten in der Sitzung der deutschen morgenländischen Gesellschaft am 20. October 1895 (abgedruckt in der Zeitschrift dieser Gesellschaft 49, 550–559). – Sitzungsberichte der Berliner Akademie 39 (19. October 1893), 823–825. – W. v. Christ, Sitzungsberichte der Münchner Akademie 1896, S. 149 ff. (vgl. Beilage Allg. Zeitg. 1896, 63, S. 6 ff.). – Almanach der Wiener Akademie 1896, S. 244. – Arthur A. Macdonell, Obituary Notices, Professor von Roth, Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland for 1895, 906–911, und Academy 48, p. 55 ff. – Athenaeum 1895, July 27, p. 130. – G. A. Grierson, Proceedings, Asiatic Society of Bengal 1895, p. 142 ff. – R. Garbe, Rudolf Roth (Nachruf), Bezzenberger’s Beiträge zur Kunde der indogermanischen Sprachen 22, 139 ff. – Lucian Scherman, Rudolf v. Roth. Zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum: Münchner Neueste Nachrichten 1893, Nr. 382. – Ueber Land und Meer, 70, 995. – Staatsanzeiger für Württemberg, 1893, 31. August, 1442–43; 15. September, 1519; 25. October, 1732–33; 1895, 24. Juni, 1088. – Schwäbischer Merkur, 1893, 23. August, 1759; 1895, 10. Juli, 1403. – Beilage Allg. Ztg., 1893, 192, S. 7; 250, S. 7; 270, S. 6 ff.; 1895, 146, S. 6 ff. (aus dem Schwabischen Merkur).

[553] *) Dieses Verzeichniß wird auf Vollständigkeit Anspruch machen können, wenn es durch die folgenden drei Artikel ergänzt wird:
  • Anzeige von E. Röth, Geschichte unserer abendländischen Philosophie, in Fichte’s Zeitschrift für Philosophie, Neue Folge, Bd. 17 (1847), S. 243–257.
  • Der Rigveda. Anzeige von M. Langlois’[WS 35] Uebersetzung des Rigveda und von H. H. Wilson’s Uebersetzung des ersten Ashṭaka des RV., in der Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur (Halle) 1851, S. 79–92.
  • Anzeige von: Konrad Schwenck, Die Mythologie der Asiatischen Völker, 5. Band: Die Mythologie der Perser, in der Allgem. Monatsschrift f. Wiss. u. Lit. 1852, S. 247, 248.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Max Müller (1823–1900), deutscher Indologe; Professur für vergleichende Religionswissenschaft in Oxford (England). Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  2. Eugène Burnouf (1801–1852), französischer Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  3. Horace Haymen Wilson (1784–1860), englischer Indologe; Professor für Sanskrit an der Universität Oxford.
  4. Henry Thomas Colebrooke (1765–1835), englischer Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der englischen Wikipedia.
  5. Franz Heinrich Trithen (1820–1854), schweizer Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der englischen Wikipedia.
  6. Charles Rieu (1820–1902), schweizer Orientalist; Kurator am British Museum in London, zuletzt Adams Professor of Arabic in Cambridge. Siehe den Artikel über ihn in der englischen Wikipedia.
  7. Otto Nicolaus von Böhtlingk (1815–1904), deutscher Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  8. Theodor Aufrecht (1822–1907), deutscher Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  9. Albrecht Weber (1825–1901), deutscher Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  10. William Dwight Whitney (1827–1894), US-amerikanischer Sprachforscher und Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  11. Hendryk Kern (1833–1917), niederländischer Sprachforscher und Orientalist; Professor für Sanskrit und vergleichende Sprachforschung in Leiden. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  12. Franz Anton Schiefner (1817–1879), deutschbaltischer Orientologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia, Quellentexte in Wikisource.
  13. Berthold Delbrück (1842–1922), deutscher Sprachwissenschaftler. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  14. Charles Rockwell Lanman (1850–1941), US-amerikanischer Philologe und Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der englischen Wikipedia.
  15. Karl Friedrich Geldner (1852–1929), deutscher Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  16. Adolf Kaegi (1849–1923), schweizer Indologe und Gräzist. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  17. Richard Pischel (1849–1908), deutscher Indologe; 1885 bis 1902 ordentlicher Professor für Vergleichende Sprachwissenschaft und Indologie an der Universität Halle. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  18. Hermann Oldenberg (1854–1920), deutscher Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  19. James Darmesteter (1849–1894), französischer Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  20. Leopold von Schroeder (1851–1920), deutscher Indologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  21. Martin Haug (1827–1876), deutscher Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der englischen Wikipedia.
  22. Adalbert Bezzenberger (1827–1876), deutscher Philologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  23. Julius Grill (1840–1930), deutscher Theologe und Orientalist, Alttestamentler und Sinologe.
  24. Ernst Kuhn (1846–1920), deutscher Orientalist.
  25. Heinrich Hübschmann (1848–1908), deutscher Orientalist. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  26. Heinrich Zimmer (1851–1910), deutscher Indologe und Keltologe. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.
  27. Bruno Lindner (1853–1930), deutscher Religionswissenschaftler.
  28. Richard von Garbe (1857–1927), deutscher Orientalist. 1895 Nachfolger auf dem Tübinger Lehrstuhl seines Lehrers Roth.
  29. Karl Bohnenberger (1863–1951), deutscher Germanist.
  30. Christiane Karoline Wilhelmine Klotz (1822–1853).
  31. Sophie Friederike Otto (1830–1881).
  32. Rudolf Roth (1849–1875).
  33. Hermann Vierordt (1853–1943), deutscher Mediziner; Honorarprofessor in Tübingen, seit 1888 verheiratet mit Anna Roth (1862–1944).
  34. Gustav Schleich (1851–1928), deutscher Mediziner; dritter Ordinarius für Augenheilkunde in Tübingen, verheiratet mit der zweiten Tochter Sophie Roth (*1864).
  35. Alexandre Langlois (1788–1844), französischer Rhetorik-Professor und Indologe. Erst-Übersetzer von Rigveda aus dem Sanskrit ins Französische: Rig-véda, ou livre des hymnes, Dupont, Paris 1851 (2ème édition, 1872).