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ADB:Roth, Paul von

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Artikel „Roth, Paul von“ von Karl von Amira in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 538–549, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roth,_Paul_von&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 02:45 Uhr UTC)
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Roth: Paul Rudolf von R., Rechtslehrer, geboren am 11. Juli 1820 zu Nürnberg, † am 28. März 1892 zu München. Er hat drei größere, darunter zwei „große“ Werke geschrieben, die ihm wohl für die Dauer einen angesehenen Platz in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft sichern, – das Beneficialwesen, das bairische Civilrecht und das System des deutschen Privatrechts. Mit dem ersten ist er der Erforschung der deutschen Verfassungsgeschichte, mit den beiden anderen der dogmatisch-praktischen Jurisprudenz auf neuen Wegen vorangegangen.

Paul R. war der Sohn jenes K. J. F. v. Roth, der als Präsident des bairischen Oberconsistoriums und Staatsrath im J. 1852 zu München starb (dessen Lebensbild in dieser Sammlung A. D. B. XXIX, 317–333) und von dem der Rechtshistoriker Johannes Merkel sagt: Hujus viri studio et amore ductus historiae praesertim interiora adire licebat. Wie Merkel, sein nur wenig älterer Vetter, so scheint denn auch der junge R. frühzeitig unter dem Einfluß dieses hochgebildeten Mannes Neigung zu geschichtlichen, insbesondere rechtsgeschichtlichen Studien gefaßt zu haben. Im Durcharbeiten der „Acta Sanctorum“ in der Bolland’schen und in der Mabillon’schen Sammlung, das [539] ihm so glänzende Früchte tragen sollte, hatte ihm der Vater als Muster vorangeleuchtet.

Als Paul R. eben sein sechzehntes Jahr zurückgelegt, verließ er das „alte Gymnasium“ zu München, um die dortige Universität zu beziehen. Von den Gelehrten, die während seiner Studienzeit (1836–1840) dort wirkten, hat schwerlich einer seine spätere wissenschaftliche Richtung bestimmt. Die bekannteren Namen unter den Juristen waren damals Hieron. Bayer, der als Lehrer sich mit Recht eines bedeutenden Ansehens erfreute, Georg Philipps, Ernst v. Moy, Friedr. L. v. Bernhard. Von den Nichtjuristen dürfte Friedr. W. Thiersch derjenige gewesen sein, dessen Einfluß sich R. am wenigsten entzog, zumal da Thiersch mit seinem Vater in nahem Verkehr stand. Das Meiste hat er als Jurist wohl von Bayer gehabt, dem er mit der noch zu erwähnenden Festschrift dankte, und von dem damals freilich noch in seinen Anfängen stehenden, aber fast um zehn Jahre älteren C. F. Dollmann (s. A. D. B. V, 318–321), der nachmals sein Schwager wurde. Der Germanist Philipps hingegen regte durch seine phantastische Romantik in dem jungen R. höchstens den Widerspruchsgeist an, dem dieser in seinen Schriften mehrmals gerade mit Bezug auf Philipps einen ziemlich sarcastischen Ausdruck gegeben hat. Die Hochschule verließ er denn auch nicht in der Absicht, als Lehrer zu ihr zurückzukehren. Er trat zunächst in die Vorbereitungspraxis für den bairischen Justizdienst, bestand im October 1842 mit der Note der „ausgezeichneten Befähigung“ die „praktische Concursprüfung für Staatsdienstaspiranten“ und blieb auch nachher noch mehrere Jahre in praktischer Thätigkeit.

Dem Lehrberuf wandte er sich erst zu, als der Druck, der ein Jahrzehnt hindurch auf den bairischen Universitäten gelastet hatte, zu weichen schien. Am 2. Februar 1848 erwarb er sich zu Erlangen eximia cum laude den juristischen Doctorgrad. Seine Dissertation handelte „Ueber die Entstehung der Lex Bajuvariorum“. Mit diesem Thema und der kritischen Art, wie er es bearbeitete, treffen wir ihn ganz im Geleise seine Vetters, Alters- und Studiengenossen Joh. Merkel (s. A. D. B. XXI, 439–444), der, eben von seinem iter Italicum zurückgekehrt, im nämlichen Jahre und über den nämlichen Gegenstand seine erste Abhandlung veröffentlichte (in der Zeitschr. für deutsches Recht, Bd. XII). Für Roth’s Berufswahl dürfte das Beispiel Merkel’s, der sich 1847 ebenfalls zu Erlangen den Doctortitel geholt hatte und 1848 in Berlin seine Lehrthätigkeit begann, schwerlich bedeutungslos gewesen sein. Aber die Arbeiten der beiden Freunde über die Lex Bajuvariorum gingen dem Anscheine nach unabhängig nebeneinander her. Sie stimmten miteinander darin überein, daß nicht wie Savigny u. A. angenommen, die Lex Bajuvariorum Quelle der Lex Wisigotorum, sondern daß in beiden Gesetzbüchern ein älterer westgotischer Text benützt sei, von dem Bruchstücke in dem Corbie-Pariser Palimpsesten vorliegen und den sie mit seinem Herausgeber Fr. Bluhme für ein „Gesetzbuch Reccared’s I.“ hielten. Es ist hier von durchaus nebensächlichem Belang, daß die neuere Forschung in jenen Bruchstücken die Ueberbleibsel eines Gesetzbuches nicht von Reccared I. (586–601), sondern von K. Eurich (466–485) erkannt hat. Das Hauptergebniß von R. und Merkel über die westgotischen Beziehungen der Lex Bajuvariorum gehört zu den sicheren Besitzthümern der deutschrechtlichen Quellengeschichte. Es erregte damals die Aufmerksamkeit der Sachkenner in so hohem Grade, daß noch vor dem Druck der Roth’schen Dissertation Föringer in einer Sitzung der Münchener Akademie der Wissenschaften über die einschlägigen mündlichen Mittheilungen des angehenden Gelehrten Bericht erstattete. Nicht dasselbe Glück hatte R. [540] mit seiner weiteren Annahme, daß von dem ursprünglichen Text des Baiernrechts, der etwa dem 7. Jahrhundert angehören möge, drei mehr oder weniger umfangreiche „Zusätze“ des 8. Jahrhunderts zu unterscheiden seien. Zwar E. Th. Gaupp (1849) und G. Waitz (1850), die gleich in ihren Recensionen von Roth’s Abhandlung sich gegen ihn ausgesprochen, machten sich ihre Sache vorläufig noch allzu leicht, als daß sie ihm ernstlich hätten beikommen können. Aber die gründlichere Nachprüfung in der späteren Litteratur, worunter auch wieder Beiträge von Waitz, hat doch mit der Hypothese der „Zusätze“, wie es scheint, endgültig aufgeräumt.

Ein Vierteljahr nach seiner Promotion, am 6. Mai 1848, erlangte R. bei der Münchener Juristenfacultät die Venia legendi. Seine Habilitationsschrift handelte von den „Krongutsverleihungen unter den Merowingern“. Sie und eine im nämlichen Jahre veröffentlichte Besprechung der „deutschen Verfassungsgeschichte“ von Waitz, Bd. I u. II, verrathen schon die Absichten, die der Verfasser zwei Jahre später in seinem rechtshistorischen Hauptwerk, „Geschichte des Beneficialwesens“ (1850) verwirklichte. Die Erörterungen der Habilitationsschrift kehren denn auch vervollkommnet in diesem Buche wieder. Er wollte, wie er selbst später einmal sagte, „der bis dahin alleinherrschenden Auffassung einer einflußreichen rechtshistorischen Schule“ entgegentreten, „wonach das fränkische Staatswesen auf einem aus dem Gefolgeverhältniß abgeleiteten oder demselben nachgebildeten Verband beruhte“, und zeigen, daß vielmehr auch noch in der merowingischen Monarchie ebenso wie im deutschen Staat vor der Völkerwanderung „das Princip der Verfassung ausschließlich im Unterthanenverband“ gegeben, dagegen der „Vorläufer des Lehenswesens, das Beneficialwesen in seinen beiden Factoren, der Beneficienverleihung und dem Seniorat, erst unter der carolingischen Familie entstanden sei“. Er wollte so eine Auffassung durchführen, welche „die Anfänge der Feudalität nicht in einer allmählichen, gleichsam von selbst sich ergebenden Entwicklung, sondern in einer Veränderung sucht, deren gewaltsamer nicht durch Uebergänge vermittelter Charakter in der großen Säcularisation des 8. Jahrhunderts angedeutet ist“. Zwei Vorzüge springen an dem Buche sofort in die Augen, wenn man es mit dem vergleicht, was damals an verfassungsgeschichtlichen Arbeiten gang und gäbe war, juristische Schärfe im Erfassen der Einzelfragen und eine erstaunliche Herrschaft über das gesammte weitschichtige Quellenmaterial, dem der Verfasser, wie schon in seiner Recension des Waitz’schen Werkes, eigene kritische Excurse widmete. Gewiß haben sich nicht alle Thesen, auf die er den Nachdruck legte, als stichhaltig erwiesen, am wenigsten die von dem „gewaltsamen“ Charakter der Einführung der „Feudalität“; gewiß waren ferner die von ihm vertretenen Ansichten nicht ganz und gar so neu, – auch nicht G. Waitz gegenüber –, wie R. wohl glaubte. Insbesondere aber eine erschöpfende Lösung der Frage nach der Entstehung des Feodalismus hatte er sich schon dadurch unmöglich gemacht, daß er nur ein Theilproblem, die Entstehung des Lehenwesens, herausgegriffen hatte, obgleich der Feodalismus doch keineswegs in diesem aufgeht. Die Immunität hätte der Verfasser nicht unberücksichtigt lassen dürfen, nicht etwa wie Waitz meinte, als ob sie mit dem von R. sogen. „Seniorat“ identisch gewesen wäre, sondern weil sie das älteste und in der von ihm behandelten Zeit vielleicht auch das stärkste Element des Feodalismus war. Ebensowenig hätte er sich endlich den Blick vor den verwandten Phänomenen außerfränkischer Rechte der germanischen Welt verschließen dürfen. Dies alles kann man rügen, ohne doch zu verkennen, daß man eigentlich erst an seinem „Beneficialwesen“ gelernt hat, deutsche Verfassungsgeschichte zu bearbeiten. Wenn die Zeit vorbei ist, wo ein Rechtshistoriker auf diesem Gebiet [541] statt das für den Juristen Faßbare und Bestimmbare zu formuliren seine Leser mit verschwommenen und oft widerspruchsvollen Redensarten abspeisen durfte, so ist sie es seit jenem Buche. Heute möchte man freilich meinen, es sei eine Binsenwahrheit, daß sich die Rechtsgeschichte mit juristischen Fragen befaßt und sie folglich auch juristisch beantworten muß, daß, wie H. Brunner sagt, für sie „todtliegender Stoff bleibt, was sie dogmatisch nicht erfassen kann“. Zu Roth’s Zeit ging selbst einem so berühmten Verfassungshistoriker wie G. Waitz das Verständniß für diese einfachen Wahrheiten ab, und dies war auch die Hauptursache der wissenschaftlichen Streitigkeiten, die nunmehr zwischen Waitz und R. begannen und nicht ohne Zunahme an Schärfe der Form andauerten, bis R. sich von der rechtsgeschichtlichen Forschung zurückzog. Dieser Streit war längst zum Austrag gebracht und jeder der beiden Kämpen war vom Schauplatz abgetreten, als ein anderer Historiker, dem Waitz Einsicht in das Geschichtliche gewiß nicht absprechen würde, K. A. Cornelius, an die Erwähnung von Roth’s „Beneficialwesen“, „dieser reifen Frucht einer überaus arbeitsamen Jugend“, die Worte knüpfte: „Die große Wandlung, die unsere Erkenntniß der mittelalterlichen deutschen Geschichte im Laufe des 19. Jahrhunderts erlebt hat, ist zum großen, vielleicht zum größten Theile das Werk der deutschen Rechtshistoriker gewesen, und wenn wir der glänzenden Reihe dieser Männer von Eichhorn bis auf unsere Tage Dank und Ehre darbringen, so werden wir auch nie der gründlichen, scharfsinnigen und originalen Forschung vergessen, mit welcher unser College damals in jener Reihe Platz genommen hat“.

Noch bevor das „Beneficialwesen“ erschien, im Juli 1850, hatte R. einen Ruf auf eine außerordentliche Professur in Marburg erhalten, dem er im Herbst Folge leistete. Die dortige Thätigkeit aber wurde für die künftige Wahl seines Arbeitsgebietes bestimmend. Sie leitete die allmähliche Abkehr von rein rechtshistorischen Forschungen ein, die den Betrachter dieses Gelehrtenlebens um so auffälliger berührt, je lebendiger er sich die Mühen zum Bewußtsein bringt, die R. auf die Aneignung eines ungeheuren frühgeschichtlichen Stoffes verwendet hatte. Daß ihn diese nicht hinderte, auch sehr modernen Dingen seine Aufmerksamkeit zu schenken, hatte er schon bethätigt, als er in Gemeinschaft mit dem Stadtgerichtsaccesisten G. Merck eine „Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht seit 1848“ begann, von der 1850 der erste, 1852 der zweite Band erschien, und worin man zuerst die authentischen Verhandlungen des Bundestages vom März bis zum 12. Juli 1848 kennen lernte. Die Lehrthätigkeit erweckte nun in ihm das Interesse für das geltende Privatrecht des Landes, worin er lebte. Sein Scharfblick erkannte, daß eine in Wahrheit unhistorische Richtung innerhalb der historischen Schule Savigny’s eine „Scheidung von Theorie und Praxis mit sich gebracht hatte, „welche … in der römischrechtlichen Jurisprudenz nachtheilig wirkte, … die deutschrechtliche Jurisprudenz völlig zu zerstören, die Theoretiker zu Antiquaren zu machen, die Praxis in Schlendrian aufzulösen drohte“. Diesem Uebel konnte seiner Meinung nach nur eine systematisch wissenschaftliche Bearbeitung der Landesrechte in ihrer Totalität und im Zusammenhang mit dem gemeinen Recht abhelfen. Sie mußte bei gleichmäßiger Rücksicht auf die Praxis wie auf das Gesetz feststellen, inwieweit das gemeine Recht römischen Ursprungs und was vom deutschen Recht wirklich anwendbar war, feststellen, zu welchen praktisch-dogmatischen Ergebnissen die gegenseitige Assimilation der beiden Rechtsmassen geführt hatte. Werke, die derartigen Aufgaben auch nur einigermaßen entsprachen, waren damals nur für wenige Particularrechtsgebiete unternommen. P. R. verband sich mit einem Praktiker, V. v. Meibom, zu einer systematischen [542] Darstellung des „kurhessischen Privatrechts“. Für dieses allein war ihm in seiner damaligen Stellung das gesammte Material vollständig zugänglich, und außerdem eignete sich gerade das Recht in Kurhessen infolge seines Entwicklungsganges zu einem vorzüglichen Paradigma des Gesammtbildes eines deutschen Landesrechts in dem vorhin umschriebenen Sinne. Leider sind die Absichten der Herausgeber nicht vollständig zur Ausführung gelangt. Von Anfang an hinderlich war ihr die zweimalige Verlegung von Roth’s Lehrthätigkeit nach anderen Universitäten, nach Rostock, wo er im April 1853, und nach Kiel, wo er im Herbst 1857 eine ordentliche Professur erhielt. So konnte der erste Band des „kurhessischen Privatrechts erst 1857/58 in Lieferungen erscheinen. In Rostock scheint für R. das Interesse am mecklenburgischen Landesrecht überwogen zu haben und diesem Umstand wohl neben dem Antritt der Kieler Professur mag es zuzuschreiben sein, wenn R. und v. Meibom es bei jenem ersten Band kurhessischen Privatrechts bewenden ließen. Der Torso reichte jedoch hin, um für alle späteren Unternehmungen dieser Art vorbildlich zu werden. Von ihm rühmte im J. 1863 K. Maurer in dem Referat, das er wegen Roth’s Berufung nach München erstattete: „Es wird schwer halten, in der neueren privatrechtlichen Litteratur ein zweites Werk aufzuweisen, welches in Bezug auf Reichthum des gesammelten Stoffes, Umsicht und Gründlichkeit in dessen Verarbeitung, endlich Prägnanz und Schärfe der Darstellung dem letztgenannten an die Seite gesetzt werden dürfte“. Von diesem Lob entfällt allerdings ein beträchtlicher Antheil auf V. v. Meibom, der die allgemeinen und personenrechtlichen Abschnitte des Buches allein und den eherechtlichen gemeinsam mit R. ausgearbeitet hatte. Roth’s alleiniges Werk waren bloß die Capitel über das Eltern- und Kindesrecht, die Vormundschaft und die Rechtsverhältnisse aus dem außerehelichen Geschlechtsumgang. Sein Beitrag zu den eherechtlichen Lehren betraf der Hauptsache nach wahrscheinlich das Vermögensrecht der Ehegatten. Denn außer einer Abhandlung „Ueber Stiftungen“ (1857) veröffentlichte er noch im J. 1858 einen Aufsatz „Ueber particuläre Gütergemeinschaft nach kurhessischem Recht“, den wir zweifellos als einen Ausläufer jener Arbeiten zu betrachten haben. Während auf die Rostocker Anregungen nur sein Buch über „Mecklenburgisches Lehenrecht“ (1858) zurückgeht, verfolgt er nun die Fragen des ehelichen Güterrechts unter allgemeineren Gesichtspunkten. Das Jahr 1859 bringt die berühmte Abhandlung „Ueber Gütereinheit und Gütergemeinschaft“, worin er gegenüber den älteren Lehren und insbesondere gegen C. F. v. Gerber nachwies, daß es ein gemeines eheliches Güterrecht deutschen Ursprungs nicht gebe, schon im Mittelalter nicht gegeben habe, daß es überhaupt nicht angehe, das deutsche Recht vor der Reception des römischen vornehmlich mit Hülfe der ostfälisch-sächsischen Quellen zu reconstruiren, wie man es am Vermögensrecht der Ehegatten versucht hatte. Trotz mancher Irrthümer, die dem Verfasser auch hier nicht erspart geblieben sind, wurde diese Abhandlung doch der Ausgangspunkt fast aller späteren Forschungen über denselben Gegenstand, sodaß sie von O. Stobbe und R. Schröder mit Fug „bahnbrechend“ genannt werden durfte. Für R. selbst blieb das „eheliche Güterrecht“ ein Lieblingsthema, worauf er nicht nur in seinen großen systematischen Werken, sondern auch in verschiedenen Abhandlungen und Recensionen während der beiden folgenden Jahrzehnte zurückkam. Wie fest er sich aber zugleich in den Gedankenkreis einspann, woraus das „kurhessische Privatrecht“ erwachsen war, zeigt der erste von drei geplanten Artikeln „Ueber Codification des Privatrechts“ (1860). Darin schien ihm „eine gemeinsame Codification des Civilrechts weder erforderlich, noch nützlich, noch ausführbar“, wogegen er sich noch alle Besserung der privatrechtlichen Zustände von umfassenden [543] Gesammtdarstellungen der Landesrechte versprach. Er ahnte nicht, daß auch für ihn noch die Zeit kommen sollte, seine Ansichten über diesen Punkt zu ändern.

Den Fachgenossen galt er während seiner Kieler Jahre doch noch mehr als Rechtshistoriker denn als praktisch-dogmatischer Jurist. Als im J. 1861 die „Zeitschrift für Rechtsgeschichte“ ins Leben trat, gehörte er neben Merkel und Böhlau zur germanistischen Gruppe ihrer Herausgeber, und ihm fiel die Aufgabe zu, ihren programmatischen Artikel über „Die rechtsgeschichtlichen Forschungen seit Eichhorn“, zu schreiben, – eine stolze Aufgabe, die aber eine ziemlich bescheidene Lösung fand. Dem Verfasser ist die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte nur gut für exoterische, insbesondere für praktische Zwecke: sie lehrt „durch Hinweisung auf die Vergangenheit den Blick auf eine bessere Zukunft zu richten“, sie hilft uns zum „Verständniß unserer Geschichte, deren wesentlichste Momente bis in das Mittelalter eben in der Verfassungsgeschichte beruhen“ (!), sie ist „unentbehrlich zur richtigen Erkenntniß der meisten Institute unseres öffentlichen und Privatrechts“, sie gibt „Richtung für die erforderlichen Umgestaltungen des öffentlichen und Privatrechts“. Dagegen nicht ein Wort von ihrem rein scientifischen Werth als Geschichtswissenschaft, und darum auch die Begrenzung ihres Stoffes auf das Recht im alten deutschen Reich und nicht die Spur eines Verständnisses für die wissenschaftliche Bedeutung der Rechtsgeschichte von germanischen Stämmen außerhalb dieser Grenzen. Diese werde, meint er, für uns erst „dann belehrend, wenn wir durch Beobachtung der ‚Unterschiede‘ und ihrer Folgen die richtige Erkenntniß unserer eigenen Einrichtungen befördern“. Darum gelten ihm jetzt als vordringlich „locale Forschungen“ in der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Specialforschungen über die Geschichte einzelner Institute des Privatrechts, und Ausgaben der Stadtrechtsdenkmäler. Seine ehedem so warme und lebendige Theilnahme an der Pflege der Rechtsgeschichte war eben im Erlöschen begriffen. Er hat sich seit jener Zeit mit ihr nur noch beschäftigt, wenn ihn seine großen systematischen Arbeiten dazu nöthigten oder wenn ihn der Widerspruch eines angesehenen Gegners dazu reizte, allenfalls auch, wenn es galt, ein ihm sympathisches Buch anzuzeigen. Zu der Zeitschrift für Rechtsgeschichte steuerte er außer etlichen belanglosen Anzeigen (1863, 1864) und außer einer Notiz über „Die Hausbriefe des Augsburger und Regensburger Rechts“ (1872) den Aufsatz über „Pseudo-Isidor“ (1866) bei. Jene war durch des Verfassers damalige Studien über das Sachenrecht in Baiern, dieser durch die Ausgabe der pseudo-isidorischen Decretalen von Hinschius veranlaßt. Nur der Polemik, worin sich seit 1856 Waitz als patentirter Historiker gegenüber der „juristischen“ Forschung des „Beneficialwesens“ gefiel, verdanken wir Roth’s Buch über „Feudalität und Unterthanenverband“ (1863), seine letzte größere rechtsgeschichtliche Arbeit. Noch einmal die alte rechtsgeschichtliche Energie zusammenraffend, hat er hier seine früheren Aufstellungen präcisirt und vertheidigt. Der fortgesetzte Widerspruch von Waitz entlockte ihm 1865 den Aufsatz über „Die Säcularisation des Kirchengutes unter den Carolingern“, worin er zum zweiten Male ein wesentliches Stück im Aufbau seines „Beneficialwesens“ stützte und ergänzte. Die von den seinigen abweichenden Ansichten Petigny’s sowohl als Merkel’s Ausgabe der Lex Bajuvariorum gaben ihm das Thema für eine Festschrift, womit im J. 1869 die Münchener Juristenfacultät ihren Senior Hieron. v. Bayer zu seinem goldenen Professorenjubiläum begrüßte: „Zur Geschichte des bairischen Volksrechts“, – eine Abhandlung, worin er sich bei weitem nicht mehr auf der ehemaligen Höhe seines quellenkritischen Könnens zeigt, weil er unbedenklich mit den vermeintlichen Ergebnissen von [544] Merkel’s Edition der Lex Alamannorum operirt, um seine alte Lehre von den drei Zusätzen wiederholen zu können, und weil es ihm nicht gelingt, die richtige Einsicht in den compilatorischen Charakter des ganzen Denkmals zu gewinnen.

Sein wirkliches Interesse gehörte um diese Zeit längst einem neuen großen Unternehmen im Bereich der Darstellung eines modernen Landesrechts. R. war am 1. April 1863 auf den Lehrstuhl für deutsches Recht, bairisches Landrecht und Staatsrecht in München berufen worden, den bis dahin Bluntschli inne gehabt hatte. Auch die Münchener Akademie der Wissenschaften, deren correspondirendes Mitglied er schon seit 1852 war, wählte ihn 1863 zum ordentlichen Mitglied ihrer historischen Classe. Seinem neuen Lehrauftrag aber entnahm er bald den Antrieb, für das geltende Privatrecht in Baiern auszuführen, was er in Marburg für das Privatrecht von Kurhessen begonnen hatte. Obgleich der Stoff bei der großen Zahl von Particularrechten und der Verschiedenheit der Rechtsentwicklung in den Hauptgebieten viel schwerer zu bewältigen war, ging er doch diesmal ohne eigentlichen Mitarbeiter ans Werk. Nur beim Sammeln des Materials soll er sich fremder Beihülfe bedient haben; wenigstens werden gewisse Ungenauigkeiten in Quellenangaben hierauf zurückgeführt. Zu Statten kam ihm, daß er seit 1866 als Oberbibliothekar die Münchener Universitätsbibliothek leitete und also die nöthigen litterarischen Hülfsmittel beständig zur Hand hatte. Dennoch erregte es begreifliches Erstaunen, als in rascher Folge 1871–75 die drei Bände seines „Bairischen Civilrechts“ ans Licht traten, nachdem noch das Erscheinen des zweiten Bandes durch eine längere Krankheit des Verfassers aufgehalten worden war. Es war die erste umfassende systematische Darstellung des Privatrechts in Baiern. Ausgeschlossen blieben das französische Recht des linksrheinischen Staatsgebiets und das nur in kleinen rechtsrheinischen Landestheilen erhaltene österreichische und württembergische Recht, – von den behandelten Materien das Obligationenrecht, weil für dieses die „Reichsgesetzgebung competent“ war, und wahrscheinlich aus dem gleichen Grunde das Urheberrecht, obwohl gerade seiner Entwicklung in Baiern besondere Wichtigkeit zukam. Trotzdem hat das Werk bei den Zeitgenossen, und zwar nicht nur in Baiern, eine bedeutende Wirkung hervorgebracht, nicht sowohl wegen seiner historischen Abschnitte, die nicht sehr in die Tiefe gingen und von denen in Stobbe’s Handbuch des deutschen Privatrechts übertroffen wurden, als weil es mit einer bisher unbekannten Vollständigkeit, Uebersichtlichkeit und Deutlichkeit das Verhältniß einer Menge von Particularrechten unter sich und zur Gesetzgebung des Gesammtgebietes wie zum subsidiären Recht veranschaulichte. Ein so zuständiger Beurtheiler wie G. Mandry bekannte, ihm sei „kaum je einmal klarer vor Augen getreten, auf wie schwachen Fundamenten die Theorie des gemeinen Civilrechts – solches als praktisch anwendbares Recht betrachtet – vielfach steht, und wie mannichfache Förderung sie durch Werke zu erhalten vermag, welche die aus dem römischen Rechte nach Deutschland herübergekommenen Institute in der concreten Gestaltung darstellen, die sie durch Gesetzgebung und Rechtspflege eines bestimmten deutschen Landes bezw. einer Anzahl deutscher Territorien erhalten haben“.

Roth’s „bairisches Civilrecht“ fiel in die Zeit, als schon die Bewegung zu Gunsten einer reichsrechtlichen Codification des bürgerlichen Rechts im Gange war. Er hatte, wie wir noch sehen werden, die Gründung des Deutschen Reiches mit Begeisterung begrüßt. Die Erwartungen jedoch, die man damals in den weitesten Kreisen von dem künftigen Reichsgesetzbuch hegte, vermochte er nicht zu theilen. In einem Aufsatze „Ueber Unification und Codification“, den er 1872 schrieb, erklärt er noch – ähnlich wie in dem früheren von [545] 1860 – „die sofortige Inangriffnahme einer Codification des ganzen bürgerlichen Rechts für das ganze Reichsgebiet weder für wünschenswerth noch für ausführbar; die auf Herstellung der Reichseinheit gerichtete Thätigkeit könne zunächst nur von den Landesgesetzgebungen ausgehen.“ Für möglich und wünschenswerth hielt er einstweilen nur die reichsgesetzliche Regelung gewisser einzelner Materien des Privatrechts. Der Codification dagegen müsse erst durch eine „Enquête“ über den gesammten Rechtszustand Deutschlands und durch gesetzgeberische „Unification“ der Particularrechte, eine Art Regionalsystem, vorgearbeitet werden. Ein solches Regionalsystem empfahl er insbesondere für das eheliche Güterrecht noch in einem „Gutachten“ an den deutschen Juristentag 1874, als das Reichsgesetzbuch schon beschlossene Sache war.

Um so auffälliger erscheint die Schwenkung, die er jetzt in seinem Verhalten zu dem großen gesetzgeberischen Unternehmen vollzog. Er trat noch im J. 1874 in die Commission ein, welche der Bundesrath am 2. Juli zur Ausarbeitung des bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Nebengesetze berufen hatte. Vielleicht hoffte er, durch Theilnahme an ihren Arbeiten sie von zu weitgehenden centralistischen Schritten zurückhalten und unbeschadet der formellen Einheit des Gesetzbuchs doch sein Regionalsystem in dieses hineinbringen zu können. Immerhin war er zur Codification bekehrt, – eine Bekehrung, die freilich durch die Beschlüsse der Vorcommission über die der Landesgesetzgebung vorzubehaltenden Gegenstände wesentlich erleichtert war. In der Commission selbst trat R. wenig hervor, obgleich er ihr bis zu ihrer Auflösung (1888) angehörte, ja sogar in der Zwischenzeit an ihren Sitz nach Berlin übergesiedelt war. Auch dürfte ihre Schöpfung kaum allen seinen Wünschen entsprochen haben. Doch zeitigten seine Beziehungen zu ihr ein neues großes litterarisches Werk, sein „System des deutschen Privatrechts“. „Die Codification – sagt er – hat den gegenwärtigen Rechtszustand als Ausgangspunkt zu nehmen und bedarf daher einer ins Einzelne gehenden Darstellung desselben“, – einer Darstellung des in Deutschland geltenden Civilrechts, wie es sich aus den Landesrechten und den subsidiären Rechten entwickelt hat“, – einer Zusammenfassung alles dessen, „was bisher getrennt als römisches (gemeines) Recht, deutsches Privatrecht und Landesrecht dargestellt wurde“, – einer Verarbeitung alles dessen, „was sich von dem älteren Recht unverändert oder mit Modificationen erhalten hat mit der neueren Gesetzgebung zu einer Einheit“. Man hat dem Werke seine „statistische Methode“ zum Vorwurf gemacht, ohne zu bedenken, daß sein Zweck sie erforderte. Es kam in der That auf möglichst vollständige Zusammenstellung des gesammten positiven Materials an, wobei es übrigens der Verfasser doch nicht bewenden ließ. Die Classification der Materialien in scharf charakterisirte Gruppen, wie sie ihm schon in seinem bairischen Civilrecht meisterlich gelungen war, erstrebte er auch bei diesem größeren Unternehmen mit gleichem Erfolg. Darum leistet sein „System“ auch jetzt noch, wie er selbst gehofft hatte, sobald es sich um die Anwendung eines Rechts aus der Zeit vor dem bürgerlichen Gesetzbuch handelt, treffliche Dienste. Rügen kann man nur einen gewissen Mangel an Folgerichtigkeit in der Gesammtanlage. Denn während der Verfasser das neuere österreichische und das französische Recht ziemlich eingehend berücksichtigte, schloß er die schweizerischen und alle sonstigen deutschen Rechte, wofern ihre Gebiete außerhalb des deutschen Reichs lagen, aus. Während er sich ferner bemühte, den durch die neueste Landesgesetzgebung geschaffenen Zustand zu veranschaulichen, ließ er das sogenannte „Reichscivilrecht“ so gut wie außer Betracht, sodaß sein [546] „System“ doch kein erschöpfendes Bild des ganzen in Deutschland geltenden Privatrechts seiner Zeit geben konnte. R. war bei diesem Unternehmen nicht von dem gleichen Glück begleitet wie bei seinem bairischen Civilrecht. Er konnte es nicht zum Abschluß bringen. Nur drei Bände erschienen (1880, 1881, 1886). Sie umfassen außer der Einleitung nur drei von den geplanten fünf Theilen, die allgemeine Lehre von den „Rechtsverhältnissen“ (Personen, Sachen), das „Familienrecht“ und das „Sachenrecht“; ein „Erbrecht“ und ein „Obligationenrecht“ hätten noch folgen sollen. Aber R. kehrte im J. 1888 kränkelnd nach München zurück, sodaß er für das Sommersemester 1889 um Beurlaubung nachsuchen mußte, die dann für das folgende Wintersemester erneuert wurde. Seine Kraft war gebrochen. Siebzigjährig wurde er am 14. August 1890 seines Lehrauftrags enthoben. Es folgten Schlaganfälle und schweres Siechthum, von dem ihn im Frühjahre 1892 der Tod erlöste.

R. verfügte über ein ungewöhnliches organisatorisches Talent. Ohne dieses würde er so ungeheure Stoffsammlungen, wie sie seinen Schriften zu Grunde liegen, niemals zusammengebracht haben. Zum Zweck der Bearbeitung seines Materials organisirte er aber auch an sich selbst. Es gehörte zu seiner Arbeitsmethode, nichts zu schreiben, worüber er nicht vorher in mündlicher Rede gelehrt hatte. Daher beschränkte er seine Vorlesungen nicht auf die gewöhnlichen Stammcollegien, wozu ihn seine germanistischen und staatsrechtlichen Lehraufträge verpflichteten, auch nicht auf gelegentliche rechtsgeschichtliche Publica im Anfang seiner Lehrthätigkeit. Seinem kurhessischen Privatrecht ging in Marburg eine Vorlesung über das „Statutarrecht“ des Landes, seinem mecklenburgischen Lehenrecht in Rostock eine drei Mal abgehaltene über eben diesen Gegenstand voraus. In München trug er seit 1868 mehrmals „Bairisches Civilrecht“ vor. Daneben las er noch über „Deutsches Hypothekenrecht“, „Vergleichendes Erbrecht“, „Bergrecht“, „deutsches eheliches Güterrecht“, „deutsches Familienrecht“ u. dgl. m. Dies Alles, obwohl ihn der äußere Lehrerfolg nichts weniger als ermuthigen konnte. Denn R. war nicht mit den Gaben ausgestattet, die den Docenten machen. Seine großen systematischen Vorlesungen genügten ihrer Aufgabe schon darum nicht, weil sie in Wirklichkeit nur ausgewählte Bruchstücke zur Darstellung brachten, im übrigen auf Bücher verwiesen. Im Handelsrecht kümmerte er sich nicht um das Seerecht, obschon er es mit ankündigte, im deutschen Privatrecht nicht um das Urheberrecht. Seinen freien Vortrag pflegte er durch rasende Dictate zu unterbrechen, welche die Hörer zum Verzweifeln brachten. Und welch ein freier Vortrag! In einer Ecke der Lehrkanzel zusammengekauert ließ er mehr seinen breiten Rücken und etwa noch seinen gewaltigen Schädel, aber nur nicht seine Mienen sehen, sondern unverwandten Blickes auf sein Heft starrend, worin er mechanisch blätterte, erging er sich eintönig und mit einem fast unverständlichen Sprechorgan über das, was er dictirt hatte oder dictiren wollte. Wem es aber gelang aufzumerken, der hatte immerhin seinen Nutzen von diesen Vorträgen. Man konnte da doch Dinge lernen, die man sonst nirgend zu hören bekam. Die oben angeführte Aeußerung von Mandry paßt vollkommen auch auf den Eindruck, den nicht nur der Unterzeichnete, sondern auch andere seiner Studiengenossen in Roth’s Collegien empfingen, wenn man inne wurde, daß das kurz zuvor von B. Windscheid mit soviel Wichtigthuerei vorgetragene Pandektenrecht großentheils gar kein geltendes Recht war. Und mehr als einer von uns ließ sich zum ersten Mal bei Roth zu germanistischen Studien anregen. Der Macht seines energischen Arbeitens konnten sich Studenten, die sich nur einigermaßen über das landläufige Mittelmaß erhoben, eben doch nicht entziehen. [547] So mag es sich auch erklären, daß man ihm noch 1872 einen Lehrstuhl in Berlin anbot – ein Ruf, den er jedoch ablehnte.

Energie war der Grundzug seines Charakters. Sie war seine Tugend und in ihren Excessen sein Laster. Das verrieth sich schon in den rauhen Formen seines Umgangs. Die Grazien haben wohl seine Wiege gemieden, und wer ihn kannte, versteht leicht, warum er niemals verheirathet war. Seine Energie riß ihn zu Uebertreibungen in seinen Lehrsätzen, zu Einseitigkeiten in seinem Berufsleben fort. Es war z. B. eine geradezu abenteuerliche Uebertreibung, wenn er seit seinen Aufsätzen über das eheliche Güterrecht hartnäckig behauptete, es habe im mittelalterlichen Deutschland schlechterdings kein gemeines Recht gegeben. Auf Uebertreibungen zumeist beruhen die Schwächen seines „Beneficialwesens“. Alles, womit er sich einmal beschäftigte, das nahm seine ganze Persönlichkeit gefangen. Alles andere verlor damit das Interesse für ihn. Darum seit seiner Berufung nach München die Abwendung von dem Wissenschaftsfeld, worauf er den ersten Kranz seines Ruhmes gewonnen. Die Rechtsgeschichte galt ihm seitdem als ein untergeordnetes Fach. Er vertrat sie in seiner Lehrthätigkeit nach dem Wintersemester 1865/66 nur noch einmal, im Winter 1870/71, obwohl auch K. Maurer um jene Zeit aufgehört hatte, sich mit ihr zu befassen, und R. sich sagen mußte, daß er sie nun in durchaus unberufene Hände gerathen ließ. Eine sehr merkliche Ueberhandnahme des Banausenthums in der kgl. bairischen Juristenwelt war die Folge davon. Seine große rechtsgeschichtliche Bibliothek verkaufte R. an die neu gegründete Universität Czernowitz. Aber auch lange vorher, als bei ihm rechtshistorische Interessen noch vorhanden waren, hatten sie doch schon eine sehr einseitige Richtung genommen. Da es ihm an jeglicher germanistisch-philologischen Bildung gebrach, so verschloß er sich das Verständniß für alle diejenigen rechtsgeschichtlichen Studien, wozu man ihrer benöthigte. Seine Geringschätzung für diese übertrug er sogar auf ihre Betreiber. Gegen K. Maurer z. B., dem er doch seine Münchener Professur hauptsächlich verdankte, beseelte ihn eine intime Abneigung, und den unterzeichneten Biographen schnaubte er mehr als einmal gar grimmig an, als er ihn auf skandinavistischen, angelsächsischen und friesischen Wegen gewahrte. Das war in jenem besonderen Falle nicht einmal gar so übel gemeint, als es klang. Aber das gegebene Beispiel färbte zuweilen auch wohl ab auf Leute, die sich bemühten, in seine Fußtapfen zu treten. Ihnen gegenüber konnte er sich zu völliger Kritiklosigkeit erniedrigen. Etwas kritikloseres z. B. als seine Recension von Sohm’s „altdeutscher Reichs- und Gerichtsverfassung“ ist nie geschrieben worden. Unter der Einseitigkeit seiner Interessen litt denn auch seine Bibliotheksverwaltung. Er kümmerte sich fast nur um solche Anschaffungen, die in das gerade von ihm litterarisch gepflegte Fach einschlugen. Andere Abtheilungen ließ er veröden, der Art, daß er sogar den Fortbezug wichtiger naturwissenschaftlicher Zeitschriften einstellte. Ein hastiges Zufahren, das sich bis zur Unbedachtsamkeit steigern konnte, lag überhaupt leicht in seinem Thun. So erklärt sich wenigstens zum Theil die Schnelligkeit, womit er seine schweren Bücher fertig brachte, und die Frische, mitunter sogar Lustigkeit seiner Schreibart, aber auch die Sorglosigkeit seines Stils und die Oberflächlichkeit, welche die constructive Seite seiner Jurisprudenz beeinträchtigte. Neue constructive Probleme waren nicht seine Sache. Mit den hergebrachten scholastischen Begriffen wollte er Haus halten. Daher drang er, so oft er auch die merovingischen Krongutsverleihungen erörterte, doch nie zum Wesen der germanischen Schenkung vor. Phänomene, wie die Gesammthand und die Gemeinderschaft oder die hypothekarischen [548] Verhältnisse hat er zwar in Monographien beschrieben, doch niemals ihren Principien nach erfaßt.

Cyklopisch wie er in seinem Auftreten war, mit seiner plumpen Gestalt, seinem starren Blick, seiner vorgebeugten schiefen Haltung beim Gehen, schien er ein ἄμουσος. Und doch gab es in ihm eine poetische Ader, die in einem Augenblick seines jähen Enthusiasmus zu Tage trat. Als am 16. Juli 1871 der deutsche Kronprinz die bairischen Truppen durch das Münchener Siegesthor herein und an der Universität vorbeiführte, veranstaltete R. oben in den Räumen der Bibliothek für die zuschauenden Collegen und Colleginnen ein feierliches Sektfrühstück, das er mit einem langen als Manuscript gedruckten Gedichte „Der Frühling“ verzierte.

Schriften. 1848: „Ueber Entstehung der Lex Bajuvariorum“ (München); „Die Krongutsverleihungen der Merovinger“ (ebd.); Recension von G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I, II in den Münchener Gelehrten Anzeigen XXVII, Nrn. 144–152. 1850: „Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert“ (Erlangen); „Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht seit 1848“, Bd. I (München [gemeinschaftlich mit H. Merck herausgegeben]). 1852: „Quellensammlung etc.“, Bd. II (ebd.). 1857: „Ueber Stiftungen“ (in Gerber und Ihering’s Jahrbüchern für die Dogmatik des … Privatrechts I). 1857/58 (gemeinsam mit V. v. Meibom) „Kurhessisches Privatrecht“, Bd. I (Marburg). 1858: „Die partikuläre Gütergemeinschaft nach kurhessischem Recht“ (im Archiv f. prakt. Rechtswissenschaft, Bd. V); „Mecklenburgisches Lehnrecht“ (Rostock). 1859: „Ueber Gütereinheit und Gütergemeinschaft“ (im Jahrbuch des gemeinen Rechts, Bd. III, S. 313 bis 358). 1860: „Ueber Codification des Privatrechts“ (Archiv f. prakt. Rechtswissenschaft, Bd. VIII, S. 303–347). 1861: „Die rechtsgeschichtlichen Forschungen seit Eichhorn“ (in Zeitschr. f. Rechtsgesch., Bd. I, S. 7–27); „Du Tillet’s Ausgabe der Volksrechte“ (ebd. S. 248 f.). 1863: „Feudalität und Unterthanenverband“ (Weimar); „Uebersicht über die Literatur der deutschen Rechtsgeschichte“ (in Zeitschr. f. Rechtsgesch., Bd. III, S. 336–339); „Ueber die neue Ausgabe der Formeln von Rozière“ (ebd. S. 326 f.). 1864: „Uebersicht der Literatur der deutschen Rechtsgeschichte“ (ebd. Bd. IV, S. 175–178); Anzeigen (in Schletter’s Jahrbüchern d. deut. Rechtswissensch., Bd. X, S. 200–209). 1865: „Die Säcularisation des Kirchenguts unter den Karolingern“ (im Münchener Histor. Jahrbuch, S. 277–298); Anzeigen (in Schletter’s Jahrb., Bd. XI, S. 19–27, 225–237). 1866: „Pseudoisidor“ (in Zeitschr. f. Rechtsgesch., Bd. V, S. 1–27); Anzeigen (in Schletter’s Jahrb., Bd. XII, S. 227 f.). 1868: „Das eheliche Güterrecht des Weißenburger Stadtrechts“ (in d. Blättern für Rechtsanwendung, Bd. XXXIII, Nr. 9); „Die allgemeine Gütergemeinschaft in den bayerischen Statuten“ (ebd. Nr. 15–17); „Gütereinheit und Gütergemeinschaft“ [Anzeigen] (in Krit. Vierteljahrsschr. f. Gesetzgebung u. Rechtswissensch., Bd. X, S. 169–186). 1869: „Zur Geschichte des bayrischen Volksrechts“, Festschrift (München). 1870: „Gütereinheit und Gütergemeinschaft“ [Anzeigen] (in Krit. Vierteljschr. f. Gesetzgebg., Bd. XII, S. 597–600). 1871: „Bayrisches Civilrecht“, Bd. I (Tübingen); „Der Frühling, eine Vision“. 1872: „Bayrisches Civilrecht“, Bd. II (Tübingen); „Die Hausbriefe des Augsburger und Regensburger Rechts“ (in Zeitschr. f. Rechtsgesch., Bd. X, S. 354 bis 357. 1873: „Unification und Codification“ (in Hauser’s Zeitschr. für Reichs- u. Landesrecht, Bd. I, S. 1–27); Anzeigen (in Krit. Vierteljschr. f. Gesetzgbg., Bd. XV, 283–293). 1874: „Gutachten über die Gesetzgebungsfrage: Ist es ausführbar, das ehel. Güterrecht durch ein einheitl. Gesetz für [549] ganz Deutschland zu codificiren?“ (in d. Verhandlungen des deut. Juristentags 1874, Bd. I, S. 276–284); „Die Literatur über die fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung“ (in Krit. Vierteljschr. f. Gesetzgebg., Bd. XVI, S. 192 bis 220). 1875: „Bayrisches Civilrecht“, Bd. III (Tübingen). 1876: „Zur Lehre von der Genossenschaft, Rechtsgutachten“. 1878: „Das deutsche eheliche Güterrecht“ (in Zeitschr. f. vergleich. Rechtswissensch., Bd. I). 1879: „Die hypothekarische Succession und die Hypothek des Eigenthümers“ (im Archiv f. civilist. Praxis, Bd. LXII, S. 1–52); „Zur Literatur des neueren Hypothekenrechts“ (in Krit. Vierteljschr. f. Gesetzgebg., Bd. XXI, S. 15–28). 1880: „System des deut. Privatrechts“, Bd. I (Tübingen). 1881: „System des deut. Privatrechts“, Bd. II (Tübingen); „Bayr. Civilrecht“, Bd. I, 2. Aufl. 1886: „System des deut. Privatrechts“, Bd. III (Tübingen).

Nekrologe: Kl(einfeller) im Jurist. Literaturblatt, Jahrg. IV 1892, S. 82 f. – S(chröder) in Zeitschr. der Savignystiftung für Rechtsgesch., Bd. XIII, 1892, S. 150–254. – Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München für das Jahr 1891/92, S. 13–15. – C. A. Cornelius in den Sitzungsberichten der philos.-philol. und der histor. Classe d. kgl. bair. Akademie d. Wiss. zu München, 1893, S. 241–243.