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ADB:Bluntschli, Johann Caspar

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Artikel „Bluntschli, Johann Kaspar“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 29–39, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bluntschli,_Johann_Caspar&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 14:20 Uhr UTC)
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Bluntschli: Johann Kaspar B., Jurist, Historiker, Politiker, geboren zu Zürich am 7. März 1808, † zu Karlsruhe am 21. October 1881. B. entstammt einem seit dem 15. Jahrhundert in Zürich verbürgerten Geschlechte, von dem einzelne Glieder in Tagen des Krieges wie des Friedens namhaft, von jener Zeit an, hervortraten. Ein Zunftmeister Johannes wurde während des inneren Krieges zwischen Zürich und den Eidgenossen 1444 das Opfer seiner eidgenössischen Gesinnung, da man ihm und seinen Mitgesandten bei der Rückkehr von einem Vermittlungsversuch den Vorwurf entgegenbrachte, sie hätten auf diesem Tage den Vortheil Zürichs nicht gewahrt, was die Unschuldigen in wildem Lärm zur Hinrichtung führte. Der Berner Chronist Anshelm benutzte wohl eine 1529 genannte von einem Meister Fridli B. geschriebene Chronik. Die in drei Auflagen, zuletzt 1742, erschienenen Memorabilia Tigurina des Hans Heinrich B. sind ein fleißig zusammengetragenes alphabetisches Nachschlagewerk. Johann Kaspar’s Vater war der durch eigenen Fleiß wohlhabend gewordene Inhaber einer Kerzen- und Seifenfabrik.

B. durchlief die zürcherischen Schulen in der Gestalt, wie sie vor ihrer durch das Jahr 1830 herbeigeführten Verjüngung sich darboten, erklärte aber bei der Schlußprüfung, nach der er in die anfangs in Aussicht genommenen theologischen Studien hätte eintreten sollen, daß er sich hiefür nicht berufen fühle, sondern der Rechtswissenschaft sich zuwenden wolle. So besuchte er das sogenannte politische Institut (s. A. D. B. XXI, 623), und er selbst sprach sich später in diesem Werke, Bd. XV, S. 571–574, in eingehender Charakteristik Friedrich Ludwig Keller’s über den äußerst förderlichen Einfluß aus, den hier die wissenschaftliche und die persönliche Berührung mit diesem seinem Lehrer des römischen Rechtes auf ihn ausgeübt habe. Von 1827 bis 1829 setzte B. seine Studien in Berlin und in Bonn fort. Dort gewann ihn Savigny für die schon durch Keller ihm vertraut gewordene historische Rechtsschule, und ebenso gab er sich den von Schleiermacher ihm gegebenen Anregungen hin, und hier löste er auch eine aus dem römischen Recht gestellte akademische Preisaufgabe, die er dann nachher – 1829 – in Bonn in deutscher Bearbeitung bei der [30] Promotion als Dissertation herausgab: „Entwicklung der Erbfolge gegen den letzten Willen nach römischem Rechte mit besonderer Rücksicht auf die Novelle 115“. In Bonn hörte er vorzüglich neben dem Romanisten Hasse (s. A. D. B. X, 759) Niebuhr’s Vorlesungen über römische Geschichte und über die französische Revolution, die einen großen Eindruck auf ihn machten. Nach einem Aufenthalt in Paris folgte im Frühjahr 1830 die Rückkehr nach Zürich, wo B. sich alsbald mit seiner Jugendgeliebten – nach einem Jahre wurde die Ehe geschlossen – verlobte.

Gerade zur Zeit der Rückkehr Bluntschli’s nach Zürich bereitete sich die durchgreifende praktische Umgestaltung vor, zu der er alsbald Stellung nahm. Zunächst freilich trat er noch unter dem seit 1814 bestehenden Regierungssystem in das praktische Leben ein, als Auditor im Amtsgerichte in Zürich, dann als Zugelassener, bald aber als Regierungssekretär bei der Commission des Inneren, insbesondere der Commission für administrative Streitigkeiten; daneben übernahm er Vorträge am politischen Institut. Als die Julirevolution auch in die Schweiz die Bewegung hineintrug, fühlte sich B. gleichfalls vom „frischen Winde“ berührt: „Ich freute mich des gesteigerten Lebens; aber ich war auch mißtrauisch gegen radicale Ueberspannung der Reformanträge“, und so mißtraute er auch der „kalt selbstsüchtigen Art“ Keller’s, so sehr er mit diesem seinem Lehrer das Ideal, nach Erringung einer wissenschaftlichen und unabhängigen Rechtspflege hinzukämpfen, theilte. Innerlich fühlte B. sich mehr mit einem anderen früheren Lehrer, Ferdinand Meyer (s. A. D. B. XXI, 569–571), der die Dinge vom historischen Standpunkte aus verfolgte, aber gleichfalls einen ruhigen Fortschritt anstrebte, verbunden. Im September 1830 forderte B. in der Schrift: „Ueber die Verfassung des Standes Zürich“ vornehmlich eine der Bevölkerung außerhalb der Hauptstadt billig entgegenkommende Theilung der Repräsentation im Großen Rathe in gleichen Hälften zwischen Stadt und Land. Aber nun kam es zu rascher Entwicklung der Dinge, seit November infolge der Volksversammlung zu Uster (s. A. D. B. XI, 277), und die „Revolution des Kantons Zürich“ begann, die B. selbst 1832 in einer Abhandlung in Ranke’s „Historisch-politischer Zeitschrift“, Bd. I, S. 593 ff., unter diesem Titel, schilderte. Er kennzeichnete darin auch seine eigene Stellung zu den vorliegenden Fragen, seine Bekämpfung des „Souveränetäts-Schwindels der Menge“, und die gleiche Auffassung sprach er in der 1831 herausgegebenen Schrift: „Das Volk und der Souverän im Allgemeinen betrachtet und mit besonderer Rücksicht auf die schweizerischen Verhältnisse“ offen aus; ebenso trat er in derselben für die repräsentative Staatsform, zumal in der Republik, ein und empfahl für die Schweiz die bundesstaatliche Gestaltung, auch mit Anstalten für die Wissenschaftspflege, einer schweizerischen Akademie, einer schweizerischen Hochschule. Aber er selbst war nun inzwischen durch die neue 1831 angenommene Staatsverfassung, bei der Neubildung der Behörden, in das Amt eines Gerichtsschreibers für das neue Bezirksgericht Zürich, dazu in dasjenige des städtischen Notare, eingetreten. Doch als 1832 innerhalb der Reformpartei, bei der Schärfung der Gegensätze, eine Spaltung eintrat (s. A. D. B. VIII, 266), schied sich B. vollends von der extremen radicalen Partei, wobei er sich innerlich auch von Keller lossagte, und es war ihm erwünscht, an der infolge der Umgestaltung des ganzen Unterrichtswesens neubegründeten Zürcher Universität 1833, zunächst als Extraordinarius, ein Lehramt anzutreten, das ihm ermöglichte, sich einem wissenschaftlichen Berufe zu widmen, wenn er auch daneben die Thätigkeit eines Rechtsconsulenten der Stadt Zürich, sowie eines Rechtsrathes des kaufmännischen Directoriums übernahm. Vom römischen Rechte wandte sich B. als Docent bald mehr dem deutschen Rechte zu, auf welches er zumal auch durch die Beschäftigung mit dem [31] zürcherischen Rechte, wie es ihm in der praktischen Wirksamkeit nahe gelegt worden war, gebracht wurde. Dabei erwuchs aus der Erforschung der Quellen des heimischen Rechtes, auf einem bisher fast unangebauten Felde, die bedeutendste wissenschaftliche Arbeit Bluntschli’s, die zweibändige „Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft Zürich“, 1838 und 1839 (1856 erschien eine zweite Auflage), neben Savigny Eichhorn, als dem „Begründer der deutschen Rechtsgeschichte“, gewidmet; das entsprach dem Umstande, daß hier die Lehren der historischen Schule auf ein Specialgebiet innerhalb der Schweiz zur Anwendung gelangten und daß dadurch die Anregung zu weiteren Arbeiten geboten wurde, wie denn beispielsweise Blumer (s. o. S. 26) seine „Staats- und Rechtsgeschichte der schweizerischen Demokratien“ (1848) nur als eine „Ergänzung“ zu Bluntschli’s Werk betrachtet wissen wollte. Indessen näherte sich B. gerade zu dieser Zeit auch der philosophischen Richtung innerhalb der Rechtswissenschaft, und er suchte in Abhandlungen, die er zuerst 1839 in Ruge’s „Hallische Jahrbücher“ gab, die dann 1848 (und erweitert 1862) auch als besondere Schrift erschienen: „Die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen“, für eine Verbindung der beiden Richtungen, zumal auf dem Boden des öffentlichen Rechtes, zu wirken. Nach der Ablehnung einer Berufung nach Brüssel war B. auch 1836 zum Ordinariate befördert worden.

Inzwischen aber war B. seit seiner Wahl in den Großen Rath, 1837, auch in den immer lebhafteren Kampf der politischen Parteien innerhalb des Kantons Zürich neu eingetreten. Mit Keller, dem geistigen Führer des entgegengesetzten Lagers, der von seinem juristischen Standpunkte aus den Staat zu beherrschen suchte, war B., trotz der von einander abweichenden Bahnen, in gewisser Verbindung stets geblieben, und in offenen Aeußerungen suchten sie sich gegenseitig zu verstehen, sich wieder einander zu nähern. Keller legte sogar 1837 seine Stelle als Präsident und als Mitglied des Obergerichtes nieder, aus Verdruß über eine B. nicht berücksichtigende Wahlentscheidung; weil nämlich dieser gerade damals gegen den Seminardirector Thomas Scherr (s. A. D. B. XXXI, 123 u. 124), als gegen den Führer der radical denkenden Zürcher Lehrerschaft, scharf aufgetreten war, hatte der Große Rath bei einer Wahl für das Obergericht, die Keller auf B. hatte lenken wollen. diesen übergangen. Aber die aus der Berufung von David Friedrich Strauß an die Zürcher Universität 1839 sich ergebenden Streitigkeiten, in denen sich der ganze Gegensatz zwischen den rücksichtslosen und den gemäßigten Anhängern der Umgestaltung von 1830 aussprach, führten B. vollends in die Reihen der Gegner Keller’s, nachdem dieser jene Berufung mit seinem ganzen Einfluß gefördert hatte, hinüber. Doch zählte B., so nahe er auch den Führern der Bewegung stand, nicht zu den eigentlichen Urhebern des Angriffes gegen die zürcherische Regierung, der am 6. September des Jahres das radicale System zu Boden warf. Immerhin hatte er sich im Verlaufe der Kämpfe im Großen Rathe, wie gegen die Berufung, so gegen die ganz frivol aus dem Schooße der radicalen Partei vorgebrachte Empfehlung einer Aufhebung der Hochschule, in Uebereinstimmung mit seinem theologischen Freunde Alexander Schweizer (s. A. D. B. XXXIV, 773), selbst ausgesprochen. Nach der Revolution wurde der Große Rath, mit fast völligem Ausschluß radicaler Elemente, neugewählt, und bei der Zusammensetzung der neuen Regierung berief dieser, am 2. October, auch B. in die neugebildete oberste Behörde, und ebenso wurde er gleich als dritter Vertreter Zürichs in die eben jetzt in Zürich versammelte Tagsatzung abgeordnet. B. unterzog sich, „schweren Herzens“, wie er selbst sich äußerte, der Wahl, behielt aber daneben, in der Stellung eines Extraordinarius, doch unter Weiterführung des Titels eines Ordinarius, sein Lehramt bei, wie er denn auch beispielsweise für Jacob Grimm’s Sammlung schweizerische [32] Weisthümer sammelte und einsandte. Innerhalb der neuen Regierung gehörte B. zu dem „wissenschaftlichen Elemente, in welchem die conservativen Regierungen mit liberalen Ideen noch in ungeklärter Mischung verbunden waren“; seine persönliche Begabung kam in der Erfüllung des Auftrags, ein neues Vormundschaftsgesetz für den Kanton Zürich zu schaffen, zur Bethätigung. Aber von einer Wahlperiode zur andern wurde jetzt die Lage der 1839 gewählten obersten Behörde schwieriger. Die seit dem September-Sturm zurückgeschobene radicale Partei erholte sich von ihrer Niederlage, und schon nach den Maiwahlen von 1842 standen sich die beiden Gruppen im neu zusammengesetzten Großen Rathe fast in gleicher Stärke gegenüber. Dazu wurde es für B., für Zürich und für die durch B. in der Eidgenossenschaft überhaupt gegründete liberal-conservative Partei verhängnißvoll, daß sich die bedeutendste intellectuelle Kraft im Zürcher Regierungsrathe, eben B., von Einflüssen abhängig machte, die geeignet waren, seine Sache im ganzen zu discreditiren. Als 1841 Friedrich Rohmer (s. A. D. B. XXIX, 57 u. 58) nach Zürich kam, gab sich B. alsbald dessen mystisch-pantheistischer philosophischer Richtung, mit ihrer Forderung einer Uebertragung auf das politische praktische Leben, hin, gleich seinen jüngeren publicistisch thätigen Freunden, dem feinsinnigen Heinrich v. Orelli (geb. 1815, † 1880 in Berlin), den Fontane in seinem Buche über den Dichter Scherenberg so verständnißvoll, mit lebhafter Sympathie, charakterisirt hat, und dem späteren Schöpfer des „Europäischen Geschichtskalenders“ Heinrich Schultheß (s. A. D. B. XXXII, 694–696). 1844 suchte B. geradezu Rohmer’s Psychologie auf die Staatslehre anzuwenden, indem er in der Schrift „Psychologische Studien über Staat und Kirche“ die von Rohmer entdeckten „XVI Grundkräfte der Seele“ klarzulegen sich bemühte. Ein jüngerer Gesinnungsgenosse Bluntschli’s, der sich aber den auch ihm entgegengebrachten Lockungen besonnen entzog, Georg v. Wyß (s. A. D. B. XLIV, 418), sprach sich in äußerst bezeichnender Weise gleich 1841 und wieder 1842 in Briefen über diese eigenthümlichen Irrwege, auf die B. gerieth, aus. Er schrieb schon alsbald nach Rohmer’s Eintreffen: „Heftig und leicht beweglich, wie B. ist, und offen für alle neuen Ideen, namentlich leicht ergriffen von jedem Systeme, das ihm die gesammte Politik unter einen zusammenhängenden und an Consequenzen im Detail reichen Gesichtspunkt stellt, machte er sich gleich zu einem decidirten Anhänger der Brüder Rohmer, übergab ihnen sein Blatt „Beobachter aus der östlichen Schweiz“, erklärte sich darin öffentlich als ihren Freund und Anhänger der Philosophie und zog uns so in die fatale Stellung einer einzig und allein durch die Rohmer und die Rohmerschen Principien repräsentirten Partei hinein; denn B. ist ohne alle Ausnahme der erste und tüchtigste Kämpfer auf conservativer Seite, unser Führer und Leiter, und Alles, was von ihm ausgeht, gilt als von uns solidarisch verbürgt. Das war nun sehr schlimm; denn einmal wollte uns dieses Voranstellen fremder unbekannter Leute als Vorfechter an und für sich nicht gefallen, und zweitens standen unsere festesten Ueberzeugungen, unsere Bestrebungen auf religiösem und kirchlichem Gebiete in allerdirectestem Gegensatz zu den lächerlichen Anmaßungen Friedrich Rohmer’scher Allwissenheit; drittens sahen wir unter der glänzenden Hülle der neuen Apostel bedenkliche Erscheinungen sich regen“. Ein Jahr später hieß es in einem anderen Briefe: „Gott weiß, wie die Sache enden mag. Ich fürchte, B. sei der Betrogene im Spiel; diese Leute leben auf seine Kosten, und was noch schlimmer ist, ich fürchte, die liebenswürdige Aufrichtigkeit, Wahrheit und Treue seines Herzens leide in diesem Umgang“. Wirklich hatte inzwischen Bluntschli’s Ansehen in dem theilweise mit pamphletarischen Mitteln geführten Kampfe journalistisch hochbegabter, rücksichtsloser Gegner, Ludwig Snell’s (siehe A. D. B. XXXIV, 508–512), in dessen Blatte „Der schweizerische Republikaner“, [33] Julius Fröbel’s, mit dem Rohmer nach seiner Ankunft sich zuerst eingelassen hatte, nicht wenig gelitten. Doch auch in einem anderen Falle bewies B. keine große Menschenkenntniß. Einem Gesinnungsgenossen in Bern, Eduard v. Müller, der die Allgemeine Schweizer Zeitung leitete, empfahl er einen galizischen Rabbiner Birkenthal, so daß dieser bei einer kurzen Abwesenheit des Redactors zur Mitbesorgung des Blattes aufgefordert wurde; nun aber brachte Birkenthal ohne dessen Vorwissen in den ersten Decembertagen 1845 einen so tactlosen Leitartikel in die Zeitung, daß darüber ein gänzlicher Sturm in der eigenen Partei des Blattes losbrach und v. Müller schrieb: „Das Resultat des Geniestreichs war, daß ich nicht mehr auf einen festen Anhang zählen konnte“. Zwar verschwand jetzt Birkenthal aus Bern; aber mit Jahresschluß ging die Zeitung ein. Dennoch glaubte B., als er Ende 1842 in Postangelegenheiten zu Verhandlungen nach Wien abgeordnet wurde, aus Gesprächen mit dem Fürsten Metternich schließen zu können, daß dieser ihn als eine maßgebende Persönlichkeit ansehe. Aber obschon nun B. 1844 mit seinem gegen die communistischen Umtriebe des propagandistischen Agitators Weitling (siehe A. D. B. XLI, 624 u. 625) gerichteten Regierungscommissionsgutachten „Ueber die Communisten in der Schweiz“ völlig durchgedrungen war, erlag er doch in der Wahl als Bürgermeister im December des Jahres, eine Niederlage, an der der Genugthuung enthaltende Ersatz, die alsbald folgende Erwählung als Präsident des Großen Rathes, nur wenig änderte. Das Programm, auf dem die von B. begründete Mittelpartei beruhte, gegen Radicalismus und Ultramontanismus zugleich Abwehr zu leisten, verlor in den confessionell gefärbten eidgenössischen Wirren, seit der Aufhebung der aargauischen Klöster 1841, immer mehr den notwendigen Boden, und als vollends die Freischaarenzüge gegen Luzern, infolge der Berufung von Jesuiten an die dortige Lehranstalt, die Leidenschaften noch mehr erhitzten (s. A. D. B. XVIII, 470 u. 471), erkannte B., daß sein weiteres Verbleiben im zürcherischen Regierungsrathe eine Unmöglichkeit geworden sei. Am 3. April 1845, in den Tagen, als nach Zurückweisung des zweiten Freischaarenzuges die Parteiwuth auch in Zürich immer heftigere Formen annahm, erbat B. für sich die Entlassung, die ihm in ehrenvollen Ausdrücken gewährt wurde, und ebenso blieb ihm der ertheilte Auftrag, den zu erfüllen er schon begonnen hatte, ein privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich zu bearbeiten. B. trat jetzt wieder in die Professur für deutsches Recht, mit Aushülfe im römischen Rechte, zurück. Ebenso schrieb er 1846 „für das Zürchervolk“, ohne Anspruch auf gelehrte neue Forschungen, die zwei Bände seiner „Geschichte der Republik Zürich“, denen Hottinger (s. A. D. B. XIII, 201) den dritten, von Zwingli’s Tode an, 1856 folgen ließ; gewisse Abschnitte sind durch B. mit besonderer Vorliebe behandelt, und man hat beispielsweise bei Durchlesung der – eine wesentliche Ueberschätzung des als „großer Mann“ aufgefaßten Bürgermeisters in sich schließenden – Erzählung von Waldmann (siehe A. D. B. XL, 711–715) das Gefühl, als ob B. bei der Vorführung des Sturzes dieses Politikers an sein eigenes kürzlich erlittenes Geschick gedacht habe. Weiter beschäftigte sich B., wie er denn auch 1846, als Mitglied der von ihm mitbegründeten allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz, dem „Archiv“ derselben, Bd. IV, die Abhandlung: „Der Tag zu Stanz um Weihnachten 1481“ schenkte, mit der Entstehung der eidgenössischen Bünde und dem schweizerischen Bundesrechte, woraus bis 1849 die „Geschichte des schweizerischen Bundesrechtes“ (mit einem Bande „Urkunden“, 1852 – 1875 erschien eine zweite Auflage –) erwuchs. Je mehr nun die Gefahr eines inneren Krieges in der Schweiz heranrücktc, um so eifriger suchte B. diesem Ereignisse vorzubeugen. In Artikeln der von Heinrich Schultheß redigirten, in Zürich erscheinenden [34] „Eidgenössischen Zeitung“ – „Die Urkantone und die ultramontane Partei“ – suchte er die Urschweiz aus der verderblichen Führung durch Siegwart-Müller (A. D. B. XXXIV, 206–212) zu lösen, und noch bei Pius IX. selbst bestrebte er sich, durch den zur Zeit in Rom sich aufhaltenden Rohmerianer, Otto Schultheß, den Bruder Heinrich’s, in einer Denkschrift, die Zurückrufung der Jesuiten aus Luzern zu erreichen. Aber alles war vergeblich; im November 1847 entschieden die Waffen gegen Luzern und für eine Neugestaltung der Eidgenossenschaft. Jetzt, als jede Hoffnung für seine Partei verschwunden war, entschloß sich B., in Deutschland eine Wirksamkeit zu suchen. Aber er schied von der Schweiz mit Vorschlägen für eine neue Gestaltung der Eidgenossenschaft und für eine neue Verfassung des Kantons Zürich, auf Grund der repräsentativen Demokratie. Die 1847 anonym erschienene Schrift: „Stimme eines Schweizers für und über die Bundesreform“ traf in der Betonung des Gedankens des Zweikammersystems für die Bundesversammlung von vornherein den richtigen 1848 bei der Neuschöpfung zu Grunde gelegten Plan *).

B. hatte zuerst sein Augenmerk auf Berlin gelenkt. Aber der Umstand, daß Friedrich Rohmer in München seinen Sitz aufgeschlagen hatte, hielt B. in Baiern fest. Zugleich mit einer für B. in München zu schaffenden Stellung sollte auch für Rohmer da eine Anerkennung in sich schließende Form des Lebens gefunden werden, und nach Unterredungen mit König Ludwig I. und dem Ministerpräsidenten Fürsten Wallerstein glaubte B. im Januar 1848 beruhigt nach Zürich zurückzukehren, so daß er jetzt seine Entlassung als Professor in Zürich nahm, die ihm am 23. Februar ertheilt wurde, mit der privaten Mittheilung, auf alle Fälle werde ihm seine Stelle einstweilen offen behalten. Ebenso sicherte ihm sein politischer Gegner, Bürgermeister Furrer (s. A. D. B. VIII, 209 u. 210), beim Weggang von Zürich zu, daß die Fortsetzung des zürcherischen bürgerlichen Gesetzbuches seinen Händen anvertraut bleibe. In München fand nun freilich B., als er am 3. März dort eintraf, die Verhältnisse zunächst recht ungünstig für sich umgewandelt. Rohmer hatte sich in ganz unberechenbarer Weise gezeigt, Bluntschli’s Interesse nicht im Auge behalten, so daß zwischen ihm und B. bald eine längere gänzliche Entfremdung eintrat. Dazu stand in München alles in Verwirrung. Die Entlassung des Ministeriums Wallerstein, Ludwig’s I. Abdankung als König bedrohten auch die B. vorher gemachten Zusagen; allerdings wurde es diesem möglich, in Unterredungen, auch mit dem Nachfolger, König Maximilian II., Rathschläge zu bringen, aber in einer Weise, daß er, indem er immer wieder auch Rohmer, der sich stets mehr unmöglich machte, zu empfehlen suchte, vielleicht sich selbst schadete. So dauerte es, unter steten Verschleppungen, bis zum 8. November, ehe B. seine Ernennung als Professor für deutsches Privatrecht und für Staatsrecht unterzeichnet erhielt und seine Vorlesungen ankündigen konnte. Daß B. in diesem Bewegungsjahre 1848 auch an den Fragen, die in Frankfurt verhandelt wurden, lebhaften Antheil nahm, war selbstverständlich. Schon im April hatte er dem Könige eine Denkschrift über die Gestaltung des Deutschen Bundes eingereicht, und eine von B. herausgegebene Zeitschrift „Blätter für politische Kritik“, die sich freilich nicht lange hielt, sollte den Ereignissen und den litterarischen Erscheinungen folgen. Ganz besonders aber arbeitete B. jetzt sein „Allgemeines Staatsrecht“ aus, das zuerst 1851 und 1852 erschien, und daran schloß sich später, von [35] 1857 an, in elf Bänden das „Deutsche Staatswörterbuch, in Verbindung mit deutschen Gelehrten herausgegeben von Bluntschli und Brater (s. A. D. B. III, 261–263)“. B. bezeichnete später selbst als charakteristische Züge seines Werkes die Verbindung der historischen mit der philosophischen Methode, weiter die Hervorhebung der modernen Entwicklung im Gegensatz zum mittelalterlichen und zum antiken Staate, die psychologische Erklärung des Staatswillens aus dem Gemeinbewußtsein der Rasse, die Betonung der organischen Durchbildung des Staatskörpers, der Relativität alles Staatsrechtes im Gegensatze zu allem Absolutismus, endlich die unmittelbare Beziehung der Staatswissenschaft auf das naturgemäße Staatsleben. Von anderer Seite wird an der Arbeit, die bahnbrechend für die Entwicklung des Staatsrechtes in Deutschland gewesen sei, die umfassende Kenntniß der Einrichtungen und Zustände verschiedener Länder, eine klare, lichtvolle Darstellung, maßvolle und umsichtige Erörterung der politischen und legislativen Fragen, sodaß auch die erste Grundlage für eine vergleichende Darstellung des modernen Staatsrechtes hier gelegt erscheine, rühmend hervorgehoben. In dem 1853 in seiner ersten Auflage folgenden Lehrbuche „Deutsches Privatrecht“ wollte B. „den nationalen, deutschen und modernen Charakter der Rechtsbildung im Gegensatz zu einem fremdartigen Romanismus und einer antiquarischen Gelehrsamkeit“ scharf betonen, und er sprach dieses Bekenntniß, wenn auch im Gefühle, ziemlich isolirt zu stehen, in einer „geharnischten Vorrede“ aus; man vermißte in dem Werke eine scharfe Formulirung der juristischen Begriffe. Weit fruchtbarer war die im gleichen Jahre im Verein mit seinen Collegen Arndts und Pözl geschehene Begründung der Zeitschrift „Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“, die später, von 1859 an, als „Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ fortgesetzt wurde. Daneben gedieh bis 1855 das zürcherische Gesetzbuch zu Ende, dessen Entwürfe in den einzelnen vier Theilen einer Commission von Sachverständigen in Zürich vorgelegt worden waren, und die Edition desselben mit Erläuterungen Bluntschli’s folgte. Der Redactor des nach dreißig Jahren nothwendig gewordenen neuen privatrechtlichen Gesetzbuches, Professor Albert Schneider, urtheilte 1887 über Bluntschli’s Werk, daß dessen Versuch, die im Kanton Zürich hergebrachten Anschauungen mit den Ideen und Anforderungen des modernen Verkehrs zu verbinden und jedem dieser beiden Elemente sein Recht zu Theil werden zu lassen, für die Zeit jener Gesetzgebung auf das glücklichste gelungen sei, sodaß das Gesetzbuch, zumal in dem das Obligationenrecht behandelnden Theile, vielfach zum Muster anderer Codificationen in der Schweiz und außerhalb derselben gedient habe. Vorübergehend schien auch, 1853, für B. die Aufgabe einer Redaction eines bairischen Civilgesetzbuchs erwachsen zu können, bis dann der Auftrag anderweitig zugetheilt wurde. Dagegen war B., ebenfalls 1853, einer der ersten Empfänger des neu vom Könige gestifteten Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst. Eine andere ehrende Anerkennung, die B. zu Theil wurde, war im August 1861 die Wahl als Präsident des zweiten in Dresden versammelten deutschen Juristentages.

Indessen fiel diese Function schon in die letzte Zeit der Münchener Thätigkeit. B. war in der bairischen Hauptstadt, wie er glaubte, durchaus festgewachsen; er hatte 1859 sein neu gebautes Haus bezogen. In dem Kreise seiner Collegen, zumal unter den anderen nicht Indigenen, die König Maximilian II. nach München gezogen hatte, im Verkehr mit Künstlern, besonders mit Kaulbach, gewann er vielfache Anregungen; der König zog ihn, zeitweise regelmäßig, zu den Symposien seiner vertrauten Umgebung. Allein die schärferen Reibungen zwischen den sich bekämpfenden Richtungen, im Zusammenhang mit den nach Abschluß des österreichischen Concordates dem Könige nähergebrachten confessionellen Zumuthungen, mit der seit 1859 immer lebhafter erörterten Frage der [36] Gestaltung Deutschlands, mit den dagegen erhobenen Ansprüchen der particularistisch bairischen Auffassung, erschwerten auch B. die Stellung. Gegen eine Rectoratsrede von Ringseis, 1855, sprach sich B. in zwei zwar nicht unterzeichneten Artikeln der „Neuesten Nachrichten“ – „Ueber Vernunft und Glauben“, „Ueber die Moral der Rede“ – in liberalem Sinne aus; ähnliche Auffassungen äußerte er in Vorträgen, die er in den von Liebig angeregten Cyclen vor gemischtem Publicum hielt, von denen einige beispielsweise nachher in den „Gesammelten kleinen Schriften“ gedruckt wurden, so in der „Unterschied der mittelalterlichen und der modernen Staatsidee“ betitelten Rede, oder er that das in eigenen Schriften, 1857 in der anonymen Broschüre: „Der Kampf der liberalen und der katholischen Partei in Belgien, eine Warnung für Deutschland; Briefe eines Belgiers an einen Süddeutschen“; die in Gemeinschaft mit seinem Freunde und Mitarbeiter Brater 1859 ins Leben gerufene „Süddeutsche Zeitung“, als Organ für eine zugleich liberale und nationale deutsche Entwicklung, war eine weitere Kundgebung, zumal in der Bekämpfung der damals ganz unter österreichischem Einfluß stehenden Augsburger „Allgemeinen Zeitung“. So war, als v. Sybel von München nach Bonn berufen wurde und der König ihn nicht zurückhielt, des Bleibens in München auch für B. nicht mehr. Er schrieb damals in sein Tagebuch: „Nach Zürich und der Schweiz ist mir auch Baiern zu klein und zu beschränkt, um mich hinzugeben. Mehr zieht mich Deutschland an. Ja sogar Deutschland, so groß es ist, erfüllt und hält mich nicht ganz. Mein letztes Ziel ist doch, Mensch zu werden und den Menschen zu leben“. So nahm B., ehe ein anderer Ruf, in die Professur Stahl’s nach Berlin, zur Durchführung kommen konnte, die Berufung nach Heidelberg, auf Robert v. Mohl’s Lehrstuhl, an und siedelte im October 1861 nach Baden über. Ganz besonders durch den Freiherrn v. Roggenbach war Bluntschli’s Anstellung in dem 1860, nach Kündigung des Concordates, in Karlsruhe neu bestellten Ministerium Stabel-Lamey betrieben worden.

B. kam in der Zeit einer Vorbereitung großer Dinge in ein Land, unter ein Volk, die er selbst als „ein Versuchsfeld deutschen Staatslebens und als Avantgarde deutscher Volksbewegung schon seit langer Zeit“ bezeichnete, und daß er nun in den Umfang seiner Vorlesungen neben dem allgemeinen Staatsrecht auch die Politik hineinzog, war ein Beweis dafür, daß er sich auf einem freieren Boden fühlte. Ebenso nahm er da von Anfang an, als durch den Großherzog Friedrich ernanntes Mitglied der Ersten Kammer, am politischen Leben regen Antheil, und zwar von Anbeginn mit Betonung einer deutschen Entwicklung in einer Bundesreform ohne Oesterreich. Von wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichte B. 1864 zunächst die „Geschichte des allgemeinen Staatsrechtes und der Politik“ in der „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit“, von welchem Sammelwerk damit zugleich das erste Stück zu Tage trat, in Erfüllung einer schon in München von der Historischen Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften übernommenen Aufgabe. Nach einem einleitenden Blicke auf die Staatslehre im Mittelalter führte B. den Faden von den Anfängen der neueren Staatswissenschaften bis auf die eigene Zeit herab, mit dem Streben, „das staatliche Bewußtsein des deutschen Volkes anzuregen, von Vorurtheilen zu reinigen und geistig zu heben“. Aber auch sonst war B. in Heidelberg fortgesetzt, zum Theil auf neuen Gebieten, litterarisch thätig. So wandte er seine Aufmerksamkeit dem Völkerrecht zu und gab zuerst 1866 das „Moderne Kriegsrecht der civilisirten Staaten als Rechtsbuch dargestellt“ heraus, worauf 1868 „Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten als Rechtsbuch dargestellt“ erschien, das drei Auflagen erlebte und mehrfach übersetzt wurde. Die Formulirung als „Rechtsbuch“, mit Anmerkungen zu den einzelnen Sätzen, war dabei das Neue. Der Gedanke des Verfassers, für die Vervollkommnung [37] des Völkerrechtes zu wirken, wurde anerkannt, dabei aber diese wissenschaftliche Gestaltung, in der B. einen der wesentlichsten Culturfortschritte der Menschheit auszuprägen gedachte, mehr als ein Völkerrecht der Zukunft, denn als ein solches der Gegenwart, charakterisirt. Weiter wurde das „Allgemeine Staatsrecht“ als „Lehre vom modernen Staat“, in zwei Theilen: „Allgemeine Staatslehre“ und „Allgemeines Staatsrecht“, mit einem neuen Bande „Politik“, umgearbeitet veröffentlicht, und 1874 folgte eine „Deutsche Staatslehre für Gebildete“. Außerdem überwachte B. von 1869 an die in drei Bänden geschehende, von Löning bearbeitete Ausgabe des verkürzten „Staatswörterbuches“, und 1879 und 1881 stellte er in den schon erwähnten „Gesammelten kleinen Schriften“ kürzere Artikel, Abhandlungen, von ihm gehaltene populäre Vorträge zusammen. Als 1873 in Gent das Institut de droit international als freie völkerrechtliche Akademie in das Leben trat, war B. einer der Gründer, und er nahm in der Stellung eines Vicepräsidenten fortwährend an den Verhandlungen regen Antheil. Außerdem interessirten ihn schon seit der Zürcher Zeit, wo er 1838 der Loge beigetreten war, freimaurerische Fragen.

Aber einen äußerst wesentlichen Theil der Wirksamkeit Bluntschli’s in seinen letzten zwanzig Lebensjahren bildet seine lebhafte praktisch politische Bethätigung für das Großherzogthum Baden und für allgemeine deutsche Angelegenheiten, besonders auch auf dem Felde der kirchlichen Dinge. Als Berichterstatter über wichtige Gesetzentwürfe, über eine Gerichtsverfassung, über die Reorganisation der Verwaltungsbehörden, zeigte B. schon gleich vom December 1861 im badischen Landtage seinen Eifer für die von dem neuen Ministerium in das Werk gesetzte Reformgesetzgebung des Großherzogthums. Alsbald begann er aber auch in die im Fluß liegenden Erörterungen über die deutsche Frage einzugreifen. Zwar war B. in München, so sehr er mit der Sache sympathisirte, dem 1859 organisirten Nationalverein noch nicht beigetreten. Dagegen betheiligte er sich jetzt 1862 an der Einladung zu einem allgemeinen Abgeordnetentag der liberalen Partei und wurde dabei schon in den Vorberathungen als Vorsitzender bezeichnet; zugleich siedelte sein Gesinnungsgenosse Brater als Redactor der „Süddeutschen Zeitung“ nach Frankfurt über. Doch bald entstanden Meinungsverschiedenheiten gegenüber den Deutsch-Oesterreichern; ohne großen Erfolg suchte B. selbst 1862 auf dem Wiener Juristentag eine Annäherung hierüber zu erzielen, und schon auf dem hernach in Weimar gehaltenen Abgeordnetentage blieben die Oesterreicher aus. B. gehörte weiter auch dem für die Vorbereitung ähnlicher künftiger Versammlungen bestellten Sechsunddreißiger Ausschusse an, und auf das lebhafteste nahm ihn seit Herbst 1863 die Angelegenheit der Herzogthümer Schleswig und Holstein in Anspruch. An derselben betonte er von Anfang an, ebenso als Berichterstatter der ersten Kammer über die Adresse an den Großherzog, die national deutsche Seite, unter Zurückschiebung der dynastischen Frage. Eben jetzt trat aber B. ferner auch in die kirchlichen Angelegenheiten, unter eifriger Betheiligung seinerseits, ein. Nach einem auf der „evangelischen Conferenz“ zu Durlach vorgelegten Referate, in dem er sich mit der Absicht der Versammlung, eine freie mit der modernen Cultur harmonische kirchliche Entwicklung anzustreben, einverstanden erklärte, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses der Kirche zur Schule, half er nachdrücklich bei der Gründung des deutschen Protestantenvereins. Als Vorsitzender einer das Statut der Vereinigung entwerfenden Versammlung zu Frankfurt, am 30. Septbr. 1863, hatte er hieran den wesentlichsten Antheil, und Vorträge, die er darauf im December zu Karlsruhe hielt und die nachher als „Geschichte des Rechtes der religiösen Bekenntnißfreiheit“ im Drucke erschienen, waren ein Zeugniß dieser seiner Auffassung. 1865, als, zunächst über die Frage der Einrichtung der Volksschule, die Einheit des badischen Ministeriums sich löste und Roggenbach aus demselben [38] ausschied, trat nun auch ein erstes Mal die Erwägung in den Vordergrund, ob B. sein akademisches Lehramt mit einer Stelle im Ministerium vertausche. Aber statt dessen ging die Leitung der Geschicke des Staates in die Hand des Ministeriums Edelsheim über, und damit war angedeutet, daß in der bevorstehenden deutschen Krisis Baden sich an die Seite Oesterreichs stellen werde. B. nahm davon den Anlaß, am 14. Mai 1866 in der Ersten Kammer in Form einer Interpellation über die Haltung des Großherzogthums seine Ueberzeugung offen auszusprechen, es sei Pflicht der Regierung, vornehmlich auch in der Abstimmung des Bundestages, auf die Aufrechterhaltung des Friedens und auf die Unterstützung des Bismarck’schen Vorschlages der Berufung eines deutschen Parlamentes hinzuarbeiten. Hierüber heftig geschmäht und angegriffen, hatte B. die Genugthuung, alsbald durch den Gang der großen Ereignisse ganz gerechtfertigt zu erscheinen. Freilich kam auch jetzt wieder, als am 24. Juli das Ministerium Edelsheim zurückgetreten war, eine Berufung Bluntschli’s nicht zu Stande. Ebensowenig kam der vorübergehend auftauchende, an Bluntschli’s anonym im September 1866 veröffentlichte Schrift: „Die Neugestaltung Deutschlands und der Schweiz“ anknüpfende Gedanke zur Ausführung, daß B. in der neu einzurichtenden schweizerischen Gesandtschaft beim norddeutschen Bunde (siehe A. D. B. XI, 237) sein Vaterland in Berlin vertrete. Dagegen wurde er jetzt, 1867, Präsident der badischen evangelischen Generalsynode, wo nunmehr die Richtung des Protestantenvereins entschieden siegte. Auch nach dem Tode Mathy’s und der Entlassung Stabel’s im Februar 1868 wurde kein Platz im Ministerium für B. eröffnet; ein Ersatz war dafür, daß ihn die Volkswahl in das Zollparlament nach Berlin abordnete, wo er zu den beachteten Rednern zählte und auch, am 30. April, eine längere private Unterredung mit Bismarck hielt. Neue Anlässe hervorzutreten brachte hernach für B. die Verschärfung des confessionellen Gegensatzes infolge der Einberufung des vaticanischen Concils. In seine Eröffnungsrede für den vierten Protestantentag in Berlin, 1869, flocht er, wegen der Versagung eines kirchlichen Locales für die Verhandlungen, eine scharfe Erklärung der Versammlung gegen die oberen Kirchenbehörden der Stadt ein. Als von der Universität Heidelberg erwähltes Mitglied der Ersten Kammer nahm B. seit 1869 an den Sitzungen des badischen Landtages fortwährend Theil, und nach den freudig von ihm begrüßten Siegen der deutschen Waffen geschah im December 1870 auf seine Berichterstattung hin die einstimmige Annahme der durch die Versailler Verträge festgestellten Gestaltung des Deutschen Reiches. Ein Mandat für den deutschen Reichstag lehnte B. hingegen ab. Eine öffentliche Erklärung gegen den römischen Katholicismus gab B., im Monat nach dem in München abgehaltenen ersten Altkatholikencongresse, auf dem Darmstädter Protestantentage im October 1871 ab, indem er dessen Resolution gegen die Gesellschaft Jesu begründete, und so war es um so mehr bezeichnend, daß er sich 1873 durch den katholischen Wahlbezirk Villingen als Abgeordneter in die Zweite Kammer wählen ließ, nachdem er 1871 bei der Wahl zur Ersten Kammer durch seine Universität unterlegen war. In dieser erneuten parlamentarischen Thätigkeit fühlte er sich äußerst wohl; er schrieb in dieser Zeit die Worte nieder: „Der Vogel in der Luft, der Fisch im Wasser und der Politiker in der Kammer“. Daneben vergaß er niemals, seine Aufmerksamkeit auch der Schweiz zu widmen. Unter dem Titel „Die schweizerische Nationalität“ antwortete er 1875 in einer politischen Studie auf die Behauptung des Berner Professors Hilty, in dessen „Vorlesungen über die Politik der Eidgenossenschaft“) von der Existenz einer eigenartigen Schweizernationalität; hinwider brachte der Inhaber seines früheren Lehrstuhles an der Zürcher Hochschule, Aloys v. Orelli, 1879 die gehaltvolle Festschrift „Rechtsschulen und Rechtsliteratur in der Schweiz bis zur Gründung der Universitäten Zürich und [39] Bern zu dem allseitig gefeierten Doctorjubiläum nach Heidelberg; andererseits wieder ließ sich B. auffordern, an den Arbeiten der eidgenössischen Commission für die Redaction des schweizerischen Obligationenrechtes theilzunehmen. In solcher Weise verflossen die letzten Lebensjahre Bluntschli’s in einer hier nur kurz anzudeutenden unausgesetzt hingebenden vielfachen Bethätigung nach verschiedenen Seiten theoretischen, praktischen Wirkens – für die Universität, deren Prorector er 1877 nochmals war, auch für die städtischen Interessen Heidelbergs, für das badische Land, in dessen Erste Kammer er 1879 wieder eintrat, für die internationalen Fragen, deren Anhandnahme er angeregt hatte –, und dazu schrieb er fleißig schon seit 1872 an einer Selbstbiographie, die er bis 1870 fortzusetzen vermochte, der Hauptquelle für die Kenntniß dieses Lebens, die 1884 als „Denkwürdiges aus meinem Leben“, in drei Bänden, „auf Veranlassung der Familie durchgesehen und veröffentlicht durch Dr. Rudolf Seyerlen“, in der Weise erschien, daß der Rest des Lebens, von 1871 an, aus Tagebüchern und der Correspondenz nachgetragen wurde, immerhin so, daß im Interesse Bluntschli’s selbst mitunter – vgl. Bd. III, S. 484 – kleine Verkürzungen zu wünschen gewesen wären. In ganz merkwürdiger Weise tritt dabei zu Tage, in einem wie hohen Grade B. fortwährend im Banne der Rohmer’schen Ideen verharrte, obschon Friedrich Rohmer schon 1856 verstorben war. Er hielt es für seine Pflicht, als Apostel Rohmer’s aus dessen Nachlaß die Schriften herauszugeben, auch Friedrich Rohmers Biographie und die „Geschichte der Rohmer’schen Wissenschaft“. So war 1869 in Bluntschli’s „Politik“ die „Parteienlehre“ ganz im Rohmer’schen Sinne verfaßt, und 1879 schrieb B. in sein Tagebuch nach Aufzählung der ganz besonders Friedrich Rohmer’s Andenken zu widmenden Arbeiten: „Das ist die Hauptaufgabe meiner nächsten Lebensjahre und wohl die letzte“. Ebenso äußerte er sich noch kurz vor seinem Tode im engsten Familienkreise: „Man schätzt mich als Lehrer des Staatsrechtes. Was aber das Bedeutendste in mir ist, das kennt die Welt nicht, und das ist, daß ich Friedrich Rohmer und seine Lehre verstanden habe“. Anderentheils war in B., auch nachdem er in die Ordnung monarchischer Staaten eingetreten war und die da ihm entgegengebrachten Ehren, ohne sich zu weigern, angenommen hatte, etwas schweizerisch Republikanisches geblieben. Als 1864 die von ihm vorgebrachten Anträge für eine Reform der Ersten badischen Kammer von deren Mitgliedern, mit geringen Abänderungen der Motion, einstimmig als Adresse an den Großherzog angenommen wurden, schrieb er in sein Tagebuch: „Das Wunder ist geschehen. Eine aristokratische Körperschaft reformirt sich selbst, ohne alle Nöthigung von außen. Ist das auch schon dagewesen in der Geschichte?“

B. starb einen schönen Tod. Noch während des Jahres 1881 war er politisch sehr thätig gewesen. Die im August neu zusammengesetzte badische Generalsynode hatte ihn wieder als Präsidenten gewählt, und die Ende September begonnene Session war unter seiner Leitung glücklich und friedlich zu Ende geführt. Er hatte in kerniger Weise die letzte Sitzung geschlossen und wollte sich ins großherzogliche Schloß begeben, um dem fürstlichen Paare die nachträglichen Glückwünsche der Synode zur Feier der silbernen Hochzeit auszusprechen. Da sank er auf dem Wege plötzlich zusammen und war nach einer Stunde eine Leiche. Drei Tage später, am 24. October, fand in Heidelberg die feierliche Bestattung statt.


[34] *) Da schon zur Zeit des Erscheinens, nicht ohne boshafte Absicht da und dort, und auch etwa neuerdings aus Irrthum ein Buch eines ganz anderen J(onas) C(arl) Bluntschli, eines Convertiten, der allerdings auch ein Zürcher und mit B. fast gleichaltrig war, B. zugeschrieben worden ist, so sei dem hier nachdrücklich entgegengetreten. Dieses Buch heißt: „Der Sieg des Radicalismus über die katholische Kirche und die Schweiz im allgemeinen“ (Schaffhausen, Hurter, 1850).