Zum Inhalt springen

ADB:Scherr, Thomas

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Scherr, Ignaz Thomas“ von Binder. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 123–124, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scherr,_Thomas&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:10 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Scherr, Johannes
Band 31 (1890), S. 123–124 (Quelle).
Ignaz Thomas Scherr bei Wikisource
Ignaz Thomas Scherr in der Wikipedia
Ignaz Thomas Scherr in Wikidata
GND-Nummer 118834126
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|31|123|124|Scherr, Ignaz Thomas|Binder.|ADB:Scherr, Thomas}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118834126}}    

Scherr: Ignaz Thomas S., namhafter Schulmann der Schweiz, geboren am 15. December 1801 zu Hohenrechberg in Württemberg, † am 10. März 1870 zu Zürich, war der Sohn eines Lehrers und widmete sich aus Neigung ebenfalls dem Lehrberuf und zwar seit 1818 vorzugsweise der Taubstummenbildung. Nach kurzer Wirksamkeit als Elementarlehrer wurde S. 1821 zu Gmünd als Taubstummen- und Blindenlehrer angestellt. In dieser Zeit trat er zum Zwecke seiner weiteren Ausbildung auf dem Gebiete des Taubstummenunterrichts in persönliche Beziehung zu dem um die Hebung der Methode der Taubstummenbildung verdienten Regierungs- und Schulrath Johann Baptist Graser in Baireuth, wohin er eine Reise unternahm. 1825 erhielt S. einen Ruf nach Zürich, um als Director die Leitung des dortigen Blindeninstituts zu übernehmen; er gründete daselbst nun auch eine Taubstummenanstalt, die er mit dem Blindeninstitut verband; beide Anstalten zeigten unter seiner geschickten Führung bedeutende Erfolge. Neben dieser seiner praktischen Wirksamkeit als Leiter und Lehrer zweier umfänglicher Institute beschäftigte sich sein strebsamer Geist auch mit den allgemeinen Fragen der Pädagogik und mit der Reform der Volksschule. Einige Arbeiten auf diesem Gebiete, Lehrbücher und Lehrpläne, die er 1830 veröffentlichte, machten seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt. Schon im nächsten Jahre wurde er in den Erziehungsrath des Kantons gewählt, wo er sich in hervorragender Weise an dem Werke der Volksschulreform beteiligte; auch wurde ihm hierbei insbesondere die Ausarbeitung eines neuen Volksschulgesetzes übertragen. Scherr’s reformatorische Thätigkeit gewann noch an Umfang und Einfluß, seitdem er 1832 zum Seminardirector in Küßnacht ernannt worden war. In dieser Stellung, die er bis 1839 bekleidete, leitete und reformirte er fast [124] unumschränkt und allein das ihm unterstellte Volksschulwesen; sein Hauptaugenmerk richtete er hiebei auf die Bildung des Lehrerstandes und auf die Hebung der materiellen und socialen Stellung desselben. Ein gegen Ende der dreißiger Jahre eintretender Umschwung in den politischen Verhältnissen und Anschauungen setzte Scherr’s Ideen und deren Durchführung in Gegensatz zu den nunmehr ihn umgebenden, zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten gelangten Kreise. Der sogenannte 1839 erfolgte Septemberputsch, veranlaßt durch die Berufung von David Fr. Strauß auf den Lehrstuhl der Dogmatik an der Hochschule Zürich, gab der conservativen Partei die Handhabe zum Sturze der dortigen Regierung und zur Verdrängung der liberalen Elemente; auch S. erhielt infolge seiner radicalen Anschauungen, die er in dem von ihm redigirten „Pädagogischen Beobachter“ bekundete, seine sofortige Entlassung aus seinem Amte. Nun zog sich S. nach Sonnenberg bei Winterthur zurück, wo er nachher eine kleine Erziehungsanstalt leitete, dann siedelte er 1843 einige Jahre auf sein Landgut zur oberen Hochstraße im Thurgau über. Hier war ihm wiederum von 1852 bis 1855 als Präsident des Erziehungsrathes im Thurgau Gelegenheit zu einer einflußreichen Thätigkeit im dortigen Unterrichtswesen gegeben, welche Stelle er aber dann infolge eingetretener Schwerhörigkeit bei seiner Wiederwahl ablehnen mußte. Inzwischen hatten sich in Zürich die Verhältnisse zu Gunsten einer freieren Richtung hinsichtlich der Verwaltung und des Unterrichtswesens geändert. Scherr’s Gesinnungsgenossen gelangten wieder zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, was S. zur Rückkehr nach Zürich bestimmte; hier war es ihm nun noch vergönnt, an seinem lang unterbrochenen Werke weiter zu bauen und bis zu seinem Tode an der Verwirklichung seiner pädagogischen Ideen mit Erfolg zu arbeiten. S. war neben seiner praktischen Wirksamkeit als Schulmann auch litterarisch auf pädagogischem Felde thätig; abgesehen von seiner erwähnten Redaction des „Pädagogischen Beobachters“ in Zürich sind von seinen Schriften zu erwähnen: „Elementarsprachbildungslehre“, Zürich 1831; dann „Schweizerischer Bildungsfreund, ein republikanisches Lesebuch für Haus und Schule“, 1835, 2 Theile; eine 7. und 8. Auflage besorgte Keller, Zürich 1876, 1877. In dem Zeitraum von 1839–46 folgte das „Handbuch der Pädagogik“, 3 Bde. 1840 veröffentlichte S. zur Beleuchtung der Züricher Verhältnisse und seiner Entlassung aus dem Amte die zu St. Gallen erschienene Schrift „Meine Beobachtungen, Bestrebungen und Schicksale“ u. s. w.; von 1857 an gab er noch sein „Pädagogisches Bilderbuch“ heraus. Die eben angeführten Schriften umfassen jedoch nicht die ganze schriftstellerische Thätigkeit Scherr’s; noch eine bedeutende Zahl kleinerer Arbeiten flossen aus seiner Feder, die über einzelne Fragen der Schulorganisation, verschiedene Unterrichtsfächer, besonders auch über die Bedeutung des Sprachunterrichts als grundlegendes Bildungsmittel sich verbreiten. Eine unermüdliche Thätigkeit als Lehrer, eine umsichtige geschäftige Gewandtheit als Vorstand der ihm unterstellten Anstalten, eine scharfe Auffassungs- und Beurtheilungsgabe bezüglich der ihn umgebenden Verhältnisse, ein klares Erkennen der vorliegenden Ziele sowie Muth und Ausdauer in der Durchführung der von ihm als richtig erkannten Principien zeichneten nach dem Urtheil nahestehender Kreise Scherr’s Persönlichkeit aus. Erwähnt mag hier noch sein, daß er nicht gar lange nach seiner 1825 erfolgten Ubersiedelung nach Zürich von der katholischen zur reformirten Kirche übertrat und hier sich der freisinnigen Richtung anschloß. S. war ein Bruder des bekannten Cultur- und Litteraturhistorikers Johannes S.

Vgl. Heindl, Galerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner u. s. w. aus der Gegenwart. 2 Bände. – Bönninger, Der Schulreformator Thomas Scherr. Zürich 1871.
Binder.