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ADB:Walther von der Vogelweide

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Artikel „Walther von der Vogelweide“ von Konrad Burdach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 35–92, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Walther_von_der_Vogelweide&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 17:11 Uhr UTC)
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Band 41 (1896), S. 35–92 (Quelle).
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Walther von der Vogelweide, Minnesänger und Spruchdichter, neben Wolfram von Eschenbach der größte Poet des deutschen Mittelalters. Seinen Namen nennt eine einzige urkundliche Notiz: die Reiserechnungen des Passauer Bischofs Wolfger von Ellenbrechtskirchen. Sie verzeichnen, daß Walthero cantori de Vogelweide zu Zeiselmauer an der Donau in Niederösterreich vom Bischof fünf Solidi für einen Pelzrock geschenkt wurden. Es war, wie nähere Untersuchung festgestellt hat, am 12. November des Jahres 1203. Die gleichzeitigen Dichter Gottfried von Straßburg, Wolfram von Eschenbach, Thomasin von Zirclaria erwähnen Walther und bezeugen das Ansehen seiner Poesie für das erste und zweite Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Jüngere Kunstgenossen rühmen ihn als ihren Meister. Ueber sein Leben und seine Person unterrichtet allein seine eigene Dichtung. Sie enthüllt ein bewegtes Dasein, eine reiche, [36] leidenschaftliche, singuläre Individualität, die Ursprünglichkeit und Größe des Genies.

Die Zeit seiner Geburt und seines Todes läßt sich nur durch Combinationen und nur annähernd bestimmen. In dem Liede Ir reinen wîp, ir werden man (Lachmann’s Ausgabe 66, 21) sagt Walther, er habe vierzig Jahre lang oder mehr von Minne in der rechten Weise gesungen. Es nöthigt kein Grund, dieses Gedicht, wie Rieger und vorübergehend Wilmanns versucht haben, vor Walther’s letzte Lebenszeit zu setzen (v. Karajan, Ueber zwei Gedichte Walther’s v. d. V., S. 5: Sitzungsb. d. Wien. Akad., Phil.-hist. Cl. 1851, Bd. 7; Burdach, Reinmar und Walther, S. 6 f.). Die späteste sichere Spur in Walther’s Leben weist nun aber in den Ausgang des dritten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts, in die Zeit des Kreuzzugs, den Kaiser Friedrich II. nach langen Vorbereitungen und wiederholtem Aufschub endlich auf eigene Hand, vom Papste gebannt, im Frühling und Sommer 1228 zur Ausführung brachte.

Die sogenannte Elegie Owê war sint verswunden (124, 1) entstand nach der Bannung des Kaisers (Anfang October 1227), auf welche die unsenfte brieve her von Rôme (V. 26) anspielen, und vor dem eigentlichen Kreuzzug, d. h. vor dem 28. Juni 1228. Die Versuche, dies Gedicht mit früheren Kreuzzugsgedanken und Kreuzzugsunternehmungen in Zusammenhang zu bringen, sind gezwungen und werden jetzt wol fast allgemein von der Forschung abgelehnt. Man darf demnach das Lied Ir reinen wîp, ir werden man spätestens ins Jahr 1228 setzen und erhält, wenn man von da vierzig Jahre zurückrechnet, als Anfangszeit von Walther’s Dichten etwa 1187. Gibt man ihm für den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn ein Alter von zwanzig Jahren, so wäre er 1167 geboren.

Sicherheit ist in dieser Berechnung nicht, und man könnte auf ein Jahrzehnt früher oder später dabei kein Gewicht legen. Sie würde ganz in der Luft schweben, liehe ihr nicht die Erwägung der Geschichte des Minnesangs eine Stütze. Die neueren Forschungen, an denen namentlich Scherer, Wilmanns und ich selbst betheiligt sind, haben die innere Chronologie der mittelhochdeutschen Lyrik klargestellt. Wir vermögen die allmähliche Ausbildung des Minnesangs von seinen primitivsten Anfängen ziemlich genau stufenweise zu verfolgen. Walther steht in künstlerischer Beziehung, durch Stil und poetische Technik, so weit ab von den ältesten höfischen Minnesängern, Heinrich von Veldeke (s. A. D. B. XXXIX, 565 ff.) und Friedrich von Hausen (s. A. D. B. XI, 86 f.), daß zwischen ihm und jenen ein nicht zu kleiner Zeitraum sich ausdehnen muß, und dies um so mehr, als er in Oesterreich seinem eigenen Zeugniß nach seine dichterische Schulung gewann, in demjenigen Lande, das am spätesten von dem Strom der höfischen, aus dem Westen kommenden Cultur und Poesie erreicht wurde. Der Einwand Nagele’s, Walther habe lange Zeit vor 1190 zu dichten angefangen, es sei aus dieser Frühzeit uns nur nichts von seinen Liedern erhalten, ist zwar nicht strict zu widerlegen, aber dafür auch wenig glaublich. Nicht viel vor 1190 darf man den Anfang von Walther’s Dichten setzen.

Mit dem Jahr 1228 verschwindet Walther aus unsern Augen. Hat er wirklich den Kreuzzug dieses Jahres mitgemacht und selbst das heilige Land gesehen, wie sein Kreuzlied (14, 38), das man am besten auf die Fahrt Friedrich’s II. und keine frühere bezieht, ausspricht? Oder gibt er nur ein Phantasiebild der geweihten Stätte? Je nachdem man in diesem Lied dem Dichter mit Lachmann, Pfeiffer, Wilmanns eine Fiction zutraut oder mit Simrock, Wackernagel, Rieger, Paul sie ausschließt, muß man jene Frage beantworten. Schwerlich aber wird man annehmen dürfen, daß Walther das Jahr 1228 lange überlebt habe.

[37] Name und Stand des Dichters erregen vielfachen Zweifel. Völlig feststehend und keinerlei schwankender Auffassung ausgesetzt ist nur, daß er von vornherein Walther geheißen hat. Wiederholt nennt er sich selbst so in seinen Gedichten: er läßt sich vom Hof zu Wien (24, 34) und von Frau Welt (100, 33) mit diesem Namen anreden und in einem freilich angezweifelten, aber wahrscheinlich echten Spruch (150, 89) führt er sich selbst als ich Walther ein. In zwei polemischen Gedichten gegen feindliche Rivalen in der Kunst (18, 6. 82, 12) gibt er sich das Prädicat hêr bez. hêrre, welches nach der gewöhnlichen Meinung nur Männern ritterlichen Standes zukam.

Walther’s Kunstgenossen spendeten ihm, wo sie ihn erwähnen, nur theilweise dies ehrende Beiwort: Wolfram Parzival 297, 24 hêr Walther, Willehalm 286, 19 hêr Vogelweide; ebenso hêr der Marner (Strauch’s Ausgabe XIV, 18, S. 113, 274), der Wartburgkrieg, Albrecht im jüngeren Titurel, Hugo von Trimberg in seinem Renner. Andere wie ein Anonymus in Lachmann’s Waltherausgabe (119, 11), Ulrich von Singenberg (ebd. 108, 7), Rubin (von der Hagen, Minnesinger IV, 871), Reinmar von Brennenberg (ebd. 871) brauchen in poetisch-vertraulicher Anrede den einfachen Personennamen ohne weiteren Zusatz.

Der Titel her erscheint nur, wo man den Namen des Dichters mit einer gewissen Förmlichkeit nennt. Lästigen und verächtlichen Widersachern gegenüber gibt er ihn sich selbst, seine gesellschaftliche Stellung damit hervorzuheben. Wo man seiner höflich, aber ohne besondere Wärme gedenkt, muß das ehrende Wort sich gleichfalls einfinden. Aber sonst kann es auch fehlen. Es ist nichts weiter als ein Epitheton, das jedes Mitglied der ritterlichen Societät beanspruchen darf. Ja es kann schwerlich bezweifelt werden, daß man in jener Zeit auch Männer, die nicht wirklich die Ritterweihe empfangen hatten, ja nicht einmal ritterlicher Geburt waren, her nannte. Schulte hat (Zeitschr. f. d. Alterthum 39, 210, 213) gezeigt, daß in den Urkunden des 13. Jahrhunderts höhere, oft auch niedere Cleriker die Titulatur her bez. dominus führen und seit der Mitte des Jahrhunderts in Zürich wenigstens auch nichtritterliche Bürger. Jeder vollends, der nach ritterlicher Art im Hof- und Herrendienst lebte, erhielt den Ehrennamen her aus Höflichkeit, ohne daß eine Ahnenprobe angestellt oder nach seiner Ritterweihe gefragt wurde. Zwar haben die 1156 erlassenen Bestimmungen der Constitutio de pace tenenda zum Schutz und zur Abschließung des legitimen Ritterstandes, die 1187 oder 1188 in der Constitutio contra incendiarios wiederholt wurden (Zallinger, Ministeriales und Milites, S. 87; Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts 1, 172; Roth von Schreckenstein, Ritterwürde, S. 149 ff.), den Begriff der Ritterbürtigkeit und den Nachweis derselben durch vier Ahnen zur Grundlage des Standes zu machen gesucht. Aber sie haben nie ganz verhütet, daß auch Nachkommen unebenbürtiger Väter oder Großväter die Vorrechte ritterlichen Lebens und die damit verbundenen Ehrentitel sich gewannen, und mochte zuweilen das ein kaiserlicher Dispens erwirken, über den des Petrus de Vineis Formelbuch Auskunft gibt (Roth v. Schreckenstein a. a. O., S. 197), oder ein besonderes königliches Privileg (z. B. für die Bürger Basels: Heusler a. a. O. 1, 181 Anm. 17), so geschah es doch gewiß nicht selten auch ohne solche ausdrückliche Ermächtigung. Nur so begreift man Wirnt’s von Grafenberg (Wigalois 63, 29 ff.) Zorn über die illegitimen Ritter und die Verleihung des Schwertes an Unwürdige, durch Geburt und Leben von Rechtswegen Unritterliche. Erwägt man nun ferner, daß erfahrungsmäßig die Titulaturen die Tendenz haben das reale Standesverhältniß zu erhöhen, der emporstrebenden socialen Entwicklung voranzueilen, so wird man aus der Thatsache, daß unsere großen Sammelhandschriften Walther überwiegend den Namen her geben, nichts Sicheres über seinen Stand zu entnehmen wagen.

[38] Wichtiger ist seine Stellung in der genau abstufend nach Ständen ordnenden (Schulte, Zeitschr. f. d. Alterth. 39, 185 ff.) großen Heidelberger Liederhandschrift: hier steht er in der dritten Gruppe, welche die Ministerialen und den unfreien Landadel umfaßt. Aber auch daraus folgt noch nicht unzweifelhaft, daß seine Familie bereits ritterlichen Standes war. Jedenfalls läßt sich Walther’s Ritterbürtigkeit nicht beweisen.

Aus der Angabe einer handschriftlichen Eisenacher Chronik des 15. Jahrhunderts (Berol. mss. germ. 4: Nr. 252), die den Wartburgkrieg erzählt und dabei Walther ritterslaht nennt, hat Winkelmann (Geschichte Kaiser Friedrich’s II. und seiner Reiche, Bd. 1, S. 72 Anm.) mit Unrecht für Walther’s Herkunft Schlüsse gezogen. Ebensowenig darf des Johannes Rote jener Chronik nah verwandter Bericht vom Wartburgkrieg (von der Hagen IV, 878a), wonach Walther und die übrigen Theilnehmer an dem Dichterwettstreit rittermessige man und gestrenge weppener gewesen seien, als historisches Document benutzt werden. Denn all diesen thüringischen Geschichtsdarstellungen liegen bekanntlich stark fabulos ausgeschmückte Quellen zu Grunde. Anderseits gibt es doch auch kein directes Zeugniß für eine nicht ritterliche Abkunft Walther’s. Wenn ihn gleichzeitige und jüngere Dichter meister nennen, so wollen sie damit, wie der Zusammenhang dieser Erwähnungen unzweifelhaft lehrt, nur seine künstlerische Trefflichkeit und Ueberlegenheit bezeichnen, nicht aber etwa auf seinen bürgerlichen Stand hinweisen, wie Heinrich Kurz seltsamer Weise glaubte.

Es gibt indessen gewisse innere Gründe, die für rittermäßige Abstammung des Dichters sprechen. Seine Gedichte zeigen, daß er sich als ein Mitglied der guten d. h. der höfischen Gesellschaft sicher und mit vollkommener Beherrschung der ritterlichen Formen bewegte. Bei jeder Gelegenheit gibt er sich als Kenner des wahren höfischen Tons, der echten ritterlichen Sitte, der edeln Poesie. Er blickt verachtungsvoll auf jede litterarische Roheit in Hofkreisen herab und sondert ritterliche Poesie scharf von der, die er als bäurische verächtlich macht (65, 31). Danach muß man Bedenken hegen, ihn als einen völlig standeslosen Mann zu betrachten. Wenn er schließlich vom König belehnt wird (27, 7; 28, 31), so spricht dies noch keineswegs dafür, daß er ritterbürtig gewesen; denn rechte Lehen konnten nach Lehenrecht zwar nur Ritterbürtige empfangen, Dienstlehen dagegen auch ein jeder, der rittermäßig Waffendienst that (Ficker, Vom Heerschild, S. 174 ff.; Zallinger, Ministeriales und Milites, 41 ff.; Roth v. Schreckenstein, Ritterwürde, S. 190, 192; R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 383; v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirthschaftsgeschichte 2, 57 f., 183 ff.; Heusler, Institutionen 1, 171 ff.). Mit allem Nachdruck aber ist als durchaus irreführend der Satz Schönbach’s zurückzuweisen (Walther, S. 40): „so sicher es ist, daß Walther einem edlen Geschlechte angehörte.“ Aus einem „edlen“ Geschlechte, worunter man im Sinne der mittelalterlichen Standesverhältnisse zunächst nur ein wirklich altadliches, freies Geschlecht, eine Familie von freien Herren (Freiherren) verstehen kann, ist Walther jedenfalls nicht hervorgegangen. Wir müssen – dafür wird sich noch später (unten S. 44) ein besonderer Grund ergeben – seine Familie im unansehnlichsten Theil der Ritterbürtigen suchen, im Kreise der niedersten Ministerialen, der sogenannten Milites, der Dienstmannen von freien Herren oder Ministerialen, die in unsern Quellen auf das bestimmteste von den höher geachteten Ministeriales, den Dienstmannen der Reichsfürsten, Grafen und Prälaten gesondert werden.

Selbst um eines rechten Lehns würdig zu sein, bedurfte man nicht der förmlichen Ritterweihe. Auch ritterbürtige Knappen waren lehnsfähig. Und man kann, wie schon 1822 Uhland gethan hat (Schriften z. Gesch. d. Dicht. und [39] Sage 5, 14), sehr zweifeln, ob Walther wirklich die Ritterweihe empfangen habe und dadurch formell selbst Ritter geworden sei. Das Prädicat her, welches ihm von verschiedenen Seiten beigelegt wird, vermag hierfür gar nichts zu beweisen, denn auch nach der herrschenden Beurtheilung könnte es höchstens für seine Abstammung in Betracht kommen. Auch als ritterbürtiger Knappe konnte er sich, konnten andere ihn so nennen. Wenn aber in den beiden Botenliedern (113, 1 und MSF. 214, 36, vgl. Wilmanns², S. 437 ff.), deren zweites schwerlich Walther gehört, und in dem Frauenmonolog (113, 31) von einem Ritter die Rede ist, so kann auch das nichts entscheiden: hier handelt es sich um die conventionelle Darstellung eines typischen Verhältnisses der hohen Minne; hier redet der Schüler Reinmar’s; und nichts kann veranlassen, darin eine Photographie persönlicher Erlebnisse nicht nur, sondern sogar persönlicher äußerer Lebensverhältnisse zu suchen. Es ist ein wunderlicher Mißgriff, in einer poetischen Gattung, wo vor allem Realen Maske und Schleier hängen und jeder die Person verrathende, das Geheimniß verletzende individuelle Zug sorgfältig verdeckt wird, urkundliche Genauigkeit, sozusagen standesamtliche Akribie für die Personalien des Dichters zu erwarten! Warum nennt sich Walther denn niemals Ritter in seinen Sprüchen, die sich so viel realer und so viel persönlicher geben? Die Reiserechnungen Wolfger’s gewähren ihm, obwol sie ihn zwei Mal erwähnen, weder ein dominus noch ein miles. Gewiß, hier kann Flüchtigkeit oder die in Urkunden nicht seltene Nachlässigkeit in der Anwendung der Titulaturen vorliegen. Schwerlich aber darf man dagegen die um anderthalb Jahrhunderte jüngere und für diese Dinge kaum noch authentische Notiz im Manuale des Michael de Leone (gegen 1354) milite Walthero dicto de Vogelweide ausspielen. Freilich kann man anderseits auch nicht den Titel der guote kneht, den Thomasin im Welschen Gast Walther voll zürnender Bewunderung beilegt, dafür geltend machen, Walther sei nur ritterbürtiger Knappe gewesen (Wackernagel bei Simrock 2, 118), noch weniger aber mit Wilmanns (Leben Walther’s, S. 300, Anm. 24) annehmen, Thomasin habe das Wort gewählt, weil Walther damals noch kein ritterliches Gut besaß. Denn einmal konnte kneht (servus) jeden Ministerialen, nicht bloß den mit keinem Beneficium belehnten bezeichnen (Waitz, D. Verfassungsgeschichte² 5, S. 333 Anm. 2, S. 347), außerdem aber wird der Ausdruck der guote kneht formelhaft gerade von Rittern jeder Art, auch Fürsten, gebraucht, nur um sie als tapfere und ehrenhafte Männer zu charakterisiren (Hildebrand, D. Wb. V, 1382 f.), und diesen Sinn wollte wol auch Thomasin damit verknüpfen.

Wol aber ist mit Uhland und Anderen Gewicht zu legen auf eine Aeußerung Walther’s selbst in seiner Elegie (125, 1 ff.): dort stellt er sich den Rittern, den Besitzern der gewîhten swert, gegenüber und mahnt sie, sich von ihnen sondernd, an eine Aufgabe, die ihnen zustehe, die Kreuzfahrt. Warum dieses daran gedenket ritter, ez ist iuwer dinc, wenn er sich selbst zu ihnen rechnete? warum die Betonung ihrer Standeszeichen, wenn er sie selbst gleichfalls besaß? War der Grund, weshalb er die Ritter von sich trennte, sein hohes Alter, das ihn kampfunfähig machte, so hätte er das deutlich gesagt: er hätte dann nicht die Ritter insgemein, sondern die jungen Ritter an ihre Pflicht erinnert; er hätte nicht den Wunsch aussprechen können, der sigenünfte wert zu sein (125, 4), sondern vielmehr nur die zu ihr erforderliche Rüstigkeit sich ersehnt. Lachmann hat zu 14, 38 richtig bemerkt, daß Walther hier „sich der Ehre, an der lieben reise über See theilzunehmen allzu gering achtet“. Was ihm fehlt, deutet er an, wenn er sich mit allerdings doppelsinnigem Ausdruck nôtic man nennt (125, 5) d. h. bedürftig in eigentlichem und in geistlichem Sinn; es enthüllt sich völlig in den etwa gleichzeitigen, durch Stimmung und das refrainartige Owê der Elegie aufs nächste verwandten Kreuzsprüchen Owê [40] was êren sich ellendet tiuschen landen (13, 5–31): manheit, darzuo silber und daz golt (13, 6) gebricht dem Dichter; dieser Mangel hindert ihn an der Fahrt. Friedrich II. hatte im Vertrag von S. Germano (25. Juli 1225) sich verpflichtet, im August 1227 mit tausend Rittern antreten und für zweitausend Ritter und ihre Begleitung Pferde und Schiffe bereit halten zu wollen. Die früheren demokratischen Bestimmungen Innocenz’ III. in seinen Kreuzzugsbullen der Jahre 1213 und 1215, welche die Theilnahme am Kreuzzug jedem ohne Rücksicht auf Stand und Besitz als Pflicht auferlegten, die man jedoch durch Geldzahlung oder einen Stellvertreter ablösen konnte, hatte Honorius Anfangs beibehalten, dann aber durch die Kreuzprediger und die übrigen Geistlichen nur solchen Personen das Kreuz anzuheften gestattet, welche durch körperliche Tüchtigkeit und materielle Selbständigkeit dazu geeignet schienen (Emo Chronicon Mon. Germ. Script. XXIII, 499, Z. 19 ff.). Damit war auf die älteren Kreuzzugsordnungen Kaiser Friedrich’s I. und der Curie zurückgegriffen worden, die zur Kreuzfahrt keinen zuließen, der nicht ein Jahr oder zwei Jahre sich selbst erhalten konnte und völlig kriegsfähig war. Bei dem Kreuzzug des Jahres 1227 herrschte gleichwol über die Bedingungen zur Theilnahme eine gewisse Unklarheit. Friedrich II. hatte sich in einem unvorsichtigen Augenblick (Herbst 1226) zu der Erklärung hinreißen lassen, es würden für alle ohne Unterschied Schiffe bereit stehn. Später (Sommer 1227) zeigte sich, daß weder die Transportmittel noch die Vorbereitungen zur Verpflegung ausreichten, und der Papst konnte hier mit seinen Anklagen gegen den Kaiser einsetzen. Aus Deutschland zogen indessen zu dieser ganzen Fahrt überwiegend reiche und angesehene Pilger aus, sodaß dieser Kreuzzug auch expeditio nobilium et divitum genannt ward (Röhricht, Beiträge 1, 18 Anm. 103). Als dann die Kreuzfahrt durch die Krankheit des Kaisers unterbrochen war und nachher trotz der Bannung im Frühling 1228 wieder aufgenommen wurde, bestimmte Friedrich, daß 8 Lehen zusammen je einen Ritter stellen sollten. Der Zuzug aus Deutschland blieb gering und war durch das kriegerische Verhalten der Veroneser und Mailänder erschwert. Das neue Kreuzheer, das am 28. Juni 1228 mit dem Kaiser in Brindisi sich einschiffte, war nicht stark. Danach wird Walther’s Elegie, die aus dem Winter 1227 stammt, verständlich. Er muß die säumigen Ritter antreiben und fühlt sich selbst weder durch sein Vermögen, noch durch seinen Stand legitimirt, mitzuziehn; er besaß nicht die Abzeichen der ritterlichen Würde; er verfügte trotz seinem Lehngut nicht über ausreichende Geldmittel, um an dieser expeditio nobilium et divitum sich zu betheiligen.

Wiederum können allein innere Gründe eine annähernde Gewißheit bringen. Walther hat sich niemals als Ritter von Beruf gefühlt. Zwar er besaß, mindestens zu Zeiten in Thüringen, einen eigenen Knappen Dietrich, der zu Hof reitet (82, 11); zwar erschien ihm, der zu Pferde in ritterlicher Weise einherzog (24, 20; 28, 8; 53, 18; 84, 15), wie übrigens auch der fahrende Meister Sigeher (MSH. II, 361b), der sicherlich nicht ritterbürtig und nicht Ritter war, auch nicht rittermäßig lebte, am Stab zu Fuß zu gehn als der äußerste denkbare Grund der Erniedrigung (66, 33). Aber stolz ist er nur auf seine Kunst. Wenn er sich rühmt, wenn er Anspruch auf Anerkennung und Ehre erhebt, immer führt er seine dichterischen Thaten als Rechtstitel. Er weiß sich den Stümpern und halben Talenten überlegen: selbst einem Reinmar, der doch sein Lehrer war; wie viel mehr der ganzen Schar genannter (Stolle, Wicman) und ungenannter mittelmäßiger Rivalen bis zu den snarrenzaeren (80, 33)! Gegen alle richtet er die Waffen seines Spotts, seines Zorns, seiner Verachtung und verlangt vor ihnen in der ritterlichen Gesellschaft geehrt zu werden. Aber wenn er überhaupt gegen Leute dieses Schlags so heftig wurde, so deutet das [41] darauf, daß er sich in seiner socialen Position nicht ganz sicher fühlte. Er war und blieb gesellschaftlich ein Fordernder, kein beatus possidens. Er betrachtet sich von jeher als Lehrer wahren höfischen Wesens, echter Adelssitte und rechnet sich darum zu den hovewerden (80, 34, in einem späteren Gedicht freilich). Er wagt, auch dem Kaiser Friedrich II. gegenüber durch seine „reiche Kunst“ (28, 2) sein Recht auf Wohlstand und Besitz zu begründen. Aus vierzigjährigem rechtem Singen von edler Minne, aus der in seiner Dichtung offenbarten unverzagten arebeit, mit der er sein Leben lang nach werdekeit gestrebt (66, 34), leitet er seine des Lohnes werthen Verdienste in der ritterlichen Gesellschaft her (66, 21 ff.). Er hat dagegen nichts von dem vornehmen ritterlichen Standessinn Wirnt’s von Grafenberg, der als freier Herr ihn allerdings weit überragte und im Bewußtsein seiner edlen Geburt gegen die eiferte, welche nicht Ritterbürtigen und zu ritterlichem Leben auf die Dauer nicht Fähigen die Ritterwürde gaben (Wigalois 63, 35 ff.), und auch nichts von dem höhern socialen Stolz seines ihm der Herkunft nach weniger überlegenen großen Zeitgenossen, Wolfram’s von Eschenbach.

Auch dieser war arm gleich Walther und suchte gleich ihm den Schutz der Fürsten, mag vielleicht sogar eine Zeit lang wie Walther ein Wanderleben geführt haben (Parz. 499, 9). Aber ihm steht sein Ritterberuf höher als sein Dichten, zumal höher als sein Minnesang. Sonst könnte er nicht, selbst nicht in einem Augenblick zorniger Uebertreibung, sich rühmen, daß ihm schildes ambet angeboren sei und er nur hierdurch Frauenliebe gewinnen wolle, nicht durch seine Lieder oder sein Märe (Parz. 115, 11), für das er freilich am Ende sūezer worte aus zartem Munde harrt (Parz. 827, 28). In Wolfram lebt die altererbte Abneigung des kriegstüchtigen Adlichen gegen Pergament und Schriftstellerei, insbesondere gegen das Tändeln mit weichen Gefühlen. Seine Erzählung soll ihm keiner für ein Buch halten. Gegen den Minnesänger Reinmar, der nichts ist als Herzenskündiger, schleudert er seine spitzesten Pfeile (Parz. 115, 5). Als mannhafter Ritter fühlt er sich im Vollbesitz der werdekeit, wenn er auch glaubt, daß die verständigen Damen der Gesellschaft ihn nach der Vollendung seines Epos vom Parzival noch werther schätzen werden (Parz. 827, 25).

Walther begehrt nicht Gleichberechtigung von der ritterlichen Gesellschaft; er fordert Beifall des höfischen Publicums nicht wie von Standesgenossen gleich Wolfram; er fühlt sich im lebhaften Bewußtsein seiner Dichtergröße und mit leidenschaftlicher Empfindlichkeit und Eifersucht über ihre Anerkennung wachend als ein andersgeartetes Wesen, aber doch abhängig. Er bezeichnet sich als Zeitvertreiber: der mit werder kunst den liuten (d. h. der Gesellschaft) kürzet langez jâr nennt es eine unter dem Namen Reinmar’s des Fiedler’s überlieferte Strophe (bei Lachmann, S. 165). Er wirbt mit seiner Kunst um Lohn, materiellen und idealeren; er dient sein Leben lang mit seinen Versen und heischt dafür, oft lebhaft und heftig, Entgelt: mîn minnesanc der diene iu dar und iuwer hulde sî mîn teil (66, 31). Von jenen Rittern, die am Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen bei seinem ersten Besuch das Uebergewicht hatten, welche nach alter Weise die eigentlichen ritterlichen Standesgewohnheiten pflegten und in kriegerischer Stählung des Körpers sowie in festem Trunk ihre Lebensaufgabe suchten, sah er sich durch eine Kluft getrennt: kenpfe d. h. Haudegen, Raufbolde schilt er sie scherzend (20, 12) und stellt sie damit in den Kreis unehrlicher Leute, die der Sachsenspiegel (I, 38, § 1. III, 45, § 9) zusammen mit den unehelich Gebornen und den Spielleuten als rechtlos aufzählt: er, der selbst das Gewerbe des Spielmanns, wenn auch auf seine, höhere Weise trieb! Wolfram hingegen, obwol auch er die thüringische Hofgesellschaft scherzend kritisirt (Parz. 297, 16), stand diesen Elementen, denen minnigliches Versemachen [42] unritterlich vorkam, näher und theilte mit ihnen eine gewisse Geringschätzung des Minnesangs, die er in seiner Selbstvertheidigung am Ende des zweiten Buchs des Parzival so unverhohlen aussprach (vgl. Stosch, Zeitschr. f. d. Alterth. 27, 317 ff.), und von der ein wenig selbst in den Späßen durchscheint, mit denen er zwei Mal auf Lieder Walther’s anspielt. Vierzigjährigen Minnesang im Dienst der Hofkreise, worauf Walther so emphatisch seine gesellschaftliche Stellung gründet, würde er nie als Quelle echter werdekeit haben gelten lassen. Ein auf beiderseitiger Sympathie beruhendes Verhältniß der beiden Dichter, wie es Schönbach (Walther, S. 104) sich ausmalt, in dem Wolfram von Walther’s „unmittelbarer Frische und ausdauernder Jugendlichkeit den Ansporn empfing zur Fortsetzung und Vollendung seines unsterblichen Werkes“, läßt sich schlechterdings aus nichts erschließen und es erscheint geradezu undenkbar nach allem, was wir wirklich von Charakter und Lebensstellung der beiden wissen. Walther mag von Wolfram gelernt haben, Wolfram nimmermehr von Walther. Es ist nicht bloß ein landschaftlicher Gegensatz der Bildung, was den in Thüringen eingewurzelten Nordgauer Wolfram von dem in Oesterreich gereiften Walther scheidet: es ist ein litterarischer und Standesgegensatz. Vielleicht Dienstmann (oder Vasall?) der Grafen von Wertheim (Parz. 184, 4) und von ihnen belehnt, Herr eines wenn auch kleinen Gutes, stand Wolfram trotz seiner Armuth den Fürsten und der höfischen Gesellschaft viel freier gegenüber: seine sociale Lage war von vonherein eine unabhängigere. Nicht ohne Sinn bildet die große Heidelberger Liederhandschrift Wolfram in voller, zum Kampf fertiger Rüstung ab, mit geschlossenem Helm, schwertumgürtet, Speer und Schild in den Händen und bereit auf dem gesattelten und gezäumten Roß aufzusitzen, Walther dagegen in der Stellung des Denkers, auf einem Stein sitzend in ernste Betrachtungen versunken, ohne Rüstung, das Schwert zur Seite gelehnt, und in der Weingartner Handschrift fehlt ihm sogar Helm und Schild. Wolfram’s Poesie tönt in jedem Vers das laute, speer- und schwertklirrende, prunkende, abenteuerliche Ritterleben wieder; er sieht die Welt nur mit den Augen des Ritters; er verrittert sie, wie ein feiner Kenner seines Stils, L. Bock, ein bekanntes Wort Goethe’s über Hebel modelnd, treffend bemerkt hat. Walther dagegen steht zwar auch in ritterlichem Wesen und Leben, aber nicht mit der Parteilichkeit des Standesgefühls. Ja aus einer gutmüthig boshaften Polemik Wolfram’s gegen ein Lied Walther’s klingt deutlich der Vorwurf: „Du bist nicht ganz ebenbürtig, nicht voll Ritter!“

In die berühmte Scene, da Parcival vor drei Blutstropfen im Schnee in sehnsüchtige Liebesgedanken an seine verlassene Gemahlin versinkt und selbst durch die Schläge des vorwitzigen Keie nicht aus seinen Träumen geweckt wird, schaltet Wolfram nach seiner Weise einen neckischen Ausfall gegen die Frau Minne ein (Parz. 294, 21). Wie Wilmanns (Leben Walther’s, S. 453) richtig erkannt hat, kriegt bei dieser Gelegenheit Walther einen gelinden Hieb ab. Die Frau Minne, sagt Wolfram, möge sich nur in Acht nehmen, daß man ihr nicht die Schläge, die Parzival empfangen hat, anrechne, denn ein gebûr wenigstens d. h. einer, der nicht selbst gewohnt ist, für erlittenen Schimpf sofort mit den Waffen Vergeltung zu üben, ein Nicht-Ritter spräche gleich: „Meinem Herrn sei das gethan“ d. h. als unfreier Mann fordert er rechtliche Vertretung von seinem Herrn. Der Witz parodirt Walther’s Klageruf an die Frau Minne (40, 26): frowe Minne daz sî iu getân, genau in derselben Art, wie Walther (111, 32) Reinmar’s Bild vom gestohlenen Kuß (Minnesangs Fr. 159, 37 ff.) beim Wort nimmt und durch strenge juristische Folgerung als unschicklich lächerlich macht. Und vielleicht schwebte Wolfram auch Walther’s Hülferuf an die Frau Minne 55, 8 vor, in dem er sich als sinnlos hinstellt und dessen [43] tuon ûf! (V. 34) Parz. 433, 1 wiederklingt. Aber dieser Spott ist nicht so ganz harmlos. Es steckt darin, was Wilmanns nicht hervorhebt, eine kleine Dosis Geringschätzung. Zunächst macht Wolfram sich über die Auffassung lustig, welche den Liebenden als Sklaven der Minne hinstellt, wie er es auch sonst liebt, die überschwängliche Verherrlichung der Minne zu ironisiren. Dann aber vor allem: der Minnesänger, der sich mit Versen wehrt und nährt, nicht schildes ambet treibt, wird, weil nicht voll waffentüchtig, übertreibend den gebûren gleich oder nah gesetzt. Das heißt: Walther war überhaupt nicht Ritter geworden, hatte nicht das Schwert feierlich empfangen. Denn daß hier etwa nur der Stolz spräche des höheren Ministerialen Wolfram, der einen Grafen seinen Herrn nannte, gegen den niedrigeren Ministerialen, den Dienstmatm freier Herren oder gar von Ministerialen, den bloßen miles, wofür wir Walther halten müssen, ist unwahrscheinlich, weil dann die Pointe des Witzes nicht trifft oder dunkel wird. Wolfram repräsentirt Walther gegenüber mehr die alte Lebensanschauung des conservativen, volksthümlichen, aber standesstolzen deutschen Nordens. Da wird das alte Ideal des Mannes, da wird die alte Gliederung der Berufs- und Geburtskreise zäher als in Oberdeutschland festgehalten; da gilt ritterliches Wesen mehr als höfisches, Turnier- und Kriegstüchtigkeit mehr als Bildung des Geistes und Herzens, als hingebender Liebesdienst; da schätzt man wol drastische Epik, aber nicht den zartgestimmten Minnesang.


Ein ritterliches Geschlecht von der Vogelweide ist aus dem 13. Jahrhundert bisher nicht nachgewiesen. Man muß bezweifeln, daß sich, nachdem so lange vergeblich danach gesucht worden ist, ein solches noch wird auffinden lassen. Plätze aber, die den Namen vogelweide (aviarium) führten, gab es im Mittelalter viele. So nannte man Stellen, wo Vögel sich aufhielten oder insbesondere zu Jagdzwecken, also Falken, Sperber, Habichte, gefüttert und zur Beize abgerichtet wurden, demnach auch Vogeljagd stattfand (über die Bedeutung vgl. Richard Müller, Blätter d. Vereins f. Landeskunde von Niederösterreich 1888 N. F. 22, 196 ff. und Lampel ebd. 1892 N. F. 26, 9 ff.). Solche Vogelweiden lagen in der Nähe vieler Burgen, Klöster und Städte. Der Ortsname „Vogelweide“ ist denn auch aus alter Zeit mehrfach nachgewiesen worden und über ein Dutzend stehen zur Auswahl. Nicht weiter hilft die Suche nach einem Familiennamen von der Vogelweide, der wiederholt, aber theils nur bürgerlich, theils zu spät belegt ist, noch die Jagd nach einem Rittersitz dieses Namens. Der Reihe nach hat man die Schweiz, Oesterreich, Franken, Tirol und neuerdings wieder Böhmen als Walther’s Heimath ausgegeben.

Für Tirol glaubte man ein bedeutsames Argument gefunden zu haben, als G. Mairhofer und Franz Pfeiffer 1864 (seine Ausgabe 1. Aufl., S. XIX, 6. Aufl., S. XXV) in einem Urbarbuch aus dem Ende des 13. Jahrhunderts einen Hof und Wald des Namens in der Nähe von Sterzing (s. jetzt Fontes rerum Austriacarum Diplomata, Bd. 45, S. 56), und mehr noch als man im Layener Ried am linken Ufer des Eisack über Waidbruck am Bergeshang des Grödnerthals zwei Gehöfte entdeckte, die noch heute „zur Vogelweide“ heißen und deren eines für uralt gilt. Da dieser Vogelweidhof zugleich durch die auf ihm haftenden, im Katasterbuch von 1774 belegten (Zingerle, Germania 20, 259) Einkünfte an Zehnten sich als alter Rittersitz zu kennzeichnen schien und im 15. Jahrhundert urkundlich als solcher erwiesen ist (Redlich, Mittheilungen d. Instituts f. österreich. Geschichtsforschung, Bd. 13, S. 160 f.), meinte man alles Ernstes, hier die Geburtsstätte des Dichters annehmen zu dürfen, und durch landsmannschaftliche Begeisterung wurde für diese Ansicht lebhaft, ja begeistert Propaganda gemacht.

[44] In Wahrheit ist ein Beweis dafür nicht erbracht, wie Schönbach (Anzeiger f. deutsches Alterthum 4, 5 ff.) für jeden Urtheilsfähigen sattsam dargethan hat. Weder steht es fest, daß jener Hof schon im 12. Jahrhundert ein Rittersitz war – vielmehr wird das jetzt auf Grund urkundlicher Forschung bestritten von Lampel (Blätter des Vereins f. Landeskunde von Niederösterreich N. F. 1892, Bd. 26, 251 ff.) – noch auch darf man überhaupt erwarten, daß Walther einem ritterlichen Geschlecht mit festem Familiennamen angehört hat, da sonst gewiß ein solches auch in Urkunden gelegentlich einmal vorkommen müßte. Mit Ficker, dem ersten Kenner mittelalterlicher Standesverhältnisse und insbesondere österreichischer und tirolischer Urkunden (Germania 20, 271 ff.), rechnen wir Walther zu der niedersten Classe der unfreien Ritter, zu den Dienstmannen der freien Herren oder der Ministerialen, die im Gegensatz zu den höher stehenden Dienstmannen der Fürsten, Grafen oder gefürsteten Prälaten einfach Ritter schlechthin (milites) hießen, in Urkunden selten auftraten und, wo sie erschienen, bloß mit ihren Personennamen angeführt wurden, da sie des festen Familiennamens noch entbehrten.

Völlig verfehlt und grammatisch (Behaghel, Germania 35, 199 f.) wie exegetisch (Vogt, Zeitschr. f. d. Philologie 23, 479 ff.) ganz unzulässig war der Versuch Domanig’s, die Gestalt des alten Klausners in Walther’s Reichston (9, 37) als Maske für den Dichter selbst aufzufassen, dem Wort klôsenaere, wie ähnlich schon früher Zingerle (Germania 20, 267), den Sinn „aus Klausen (in Tirol) stammend“ zu geben und so die gesuchte Heimath nach dieser Stadt zu verlegen.

Auch die neueste Bemühung, der unverbürgten Meistersängertradition aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, Walther sei ein „Landherr in Böhmen“ gewesen, und von der Hagen’s Anknüpfung (Minnesinger IV, 161) an den angeblich Johann von der Vogelweide heißenden Verfasser des Streitgesprächs „Der Ackermann aus Böhmen“ von 1399 urkundliche Stützen zu geben (Hallwich, Mittheilungen des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen 1893, auch separat) verdient durchaus einfache Ablehnung (vgl. Schönbach, Anzeiger für deutsches Alterthum 21, 228 ff.). Der Nachweis eines bürgerlichen Geschlechts Vogelweyder oder von der Vogelweyde zu Dux in Böhmen in den Jahren 1389–1404 und eines Walther von der Vogelweyde (1396 und 1398) besagt für die Frage genau so viel oder so wenig als der urkundliche Walther der Vogelwaid von Velthaim in Oberbaiern vom Jahre 1394 (Monum. Boica 16, 459; Schmeller, Bayerisches Wörterb.², 853) oder der gleichfalls urkundliche Walther von der Vogelwaid in der Steiermark vom Jahre 1368 (Palm, Zeitschr. f. deutsche Phil. 5, 205), bei denen beiden der Stand nicht sicher zu ermitteln ist. Und diese Zeugnisse haben an sich wieder nichts voraus vor jenen theilweise etwas jüngeren, auf welche die Vertheidiger der Tiroler Heimathhypothese sich berufen: 1302 Chonrad Vogelwaider in der Bozener Gegend, 1547 Wörndl Vogelwaider in Ried Inhaber des Untervogelweiderhofs und Wolfgang Vogelwaider Inhaber des Obervogelweiderhofs; 1477 der Arzt Meister von der Vogelwaid; Walther Vogelweider in Riedt im ältesten Laiener Taufbuch von 1575 (Zingerle, Germania 20, S. 260 und Anm., S. 269); und endlich von Lampel (a. a. O. 26, 255) nachgewiesen ein Vogelweide um 1290 zu Egerdach bei Amras.

Auf ein Vogelwaid in Oberösterreich (Bezirksamt Weißenbach) machte Zarncke (Litterarisches Centralbl. 1869, S. 679) aufmerksam. Für Niederösterreich belegte das Wort in der Bedeutung Vogelzucht oder Vogeljagd R. Müller aus einem Eipeldauer Taiding von 1512 (Blätter d. Vereins f. Landesk. von N.-Oesterr. N. F. 22, 197), bei Allentsteig in einem Meissauischen [45] Verzeichniß aus dem 14. Jahrhundert Lampel (ebd. N. F. 26, 9). Vielleicht ist an der zweiten Stelle ein Flurname gemeint. Sonst kommt in Niederösterreich sehr oft vor Vogelsang und Vogelbühel.

Der Stand aller bisher bekannten Namensvettern des Dichters scheint sich mit Sicherheit nicht als ritterlich erweisen zu lassen, aber auch wenn es bei einzelnen der Fall wäre, wie bei jenem Stephlein von Voglwayd gesessen in Layaner pharr, den am 23. December 1431 das gräfliche Brüderpaar Michael und Oswald v. Wolkenstein nach Lehens- und Landrecht mit einem Zehnten belehnte (Redlich a. a. O.), was folgte daraus? Nichts, als daß es eben Vogelweiden und danach genannte ritterliche und nichtritterliche Höfe in und vor vielen Städten gab, daß bis ins 16. Jahrhundert, vielleicht unter meistersängerischem Einfluß, die Erinnerung an den Namen des großen Dichters fortdauerte. In Frankfurt am Main lebte nach Ausweis des ältesten Todtenbuchs im 13. Jahrhundert ein Wolfram Fogelweider, der gar die beiden Häupter der mittelhochdeutschen Dichtung in seinem Namen zusammenfaßte. Und wenn man schon auf das bloße Vorkommen des Namens so viel Werth legen wollte, warum bleibt man nicht stehn bei jener früh bezeugten curia dicta zu der Vogelwaide in Würzburg auf dem Sande von 1323 (Oberthür, die Minne- und Meistersänger aus Franken, Würzburg 1818, S. 30; Reuß, Walther v. d. V. Würzburg 1843, S. 7; Pfeiffer, Germ. 5, 10).

Diese Ueberfülle der Nachweise des Namens entzieht jedem einzelnen die Beweiskraft. Und noch weniger halten die übrigen naiven Argumente jener Patrioten Stich, die um ihre Heimath sich verdient gemacht zu haben glauben, wenn sie Walther zum Landsmann gewinnen.

Seit Uhland (Schr. 5, 102) behauptet hatte, Walther habe die Klage Owê war sint verswunden angestimmt „nachdem er in späteren Jahren in das Land seiner Geburt zurückgekommen“, ist man nicht müde geworden, auf Grund dieser unzulässigen Interpretation, die in das Epimenidesmotiv des durchaus geistlichen Liedes einen schwächlichen, modern-sentimentalen Zug hineinträgt, die kühnsten Vermuthungen aufzubauen. Es hilft nichts, daß schon 1827 Wilhelm Grimm in seiner feinsinnigen und gelehrten Recension der Lachmann’schen Ausgabe (Kl. Schriften 2, 395) die richtige Auffassung angedeutet, daß 1833 Wackernagel in den trefflichen Erläuterungen zu Simrock’s Uebersetzung (2, 194) gegen Simrock gezeigt hatte, es sei hier von keiner wirklichen Heimkehr die Rede, sondern von einem Erwachen aus langem Schlaf, daß Rieger (Leben Walther’s, Gießen 1863, S. 36) und zuletzt – ohne die Vorgänger zu beachten – Zarncke (Beiträge zur Gesch. d. deutschen Sprache und Litteratur 2, 575) in gleichem Sinne gesprochen haben. Immer wieder tauchen Betrachtungen auf wie folgende: Walther’s Heimath müsse entlegen, von seinen sonstigen Reisewegen entfernt gewesen sein, damit es sich begreifen lasse, daß er erst auf der Fahrt nach Italien zum Kreuzzug seit langer Trennung sie zum ersten Mal wiedergesehen habe, oder gar: sie müsse in der Nähe der Heerstraße nach Italien gelegen gewesen sein und dadurch den Dichter zu einem kleinen Abstecher veranlaßt haben. Oder vollends man forscht und sucht, ob man wol an der als Heimath Walther’s in Anspruch genommenen Stelle abgehauenen Wald, verbrannte Felder und ein fließendes Wasser (Walther 124, 10. 11) für die ältere Zeit nachweisen könne, was dann natürlich überall mit derselben Sicherheit regelmäßig geschieht.

Es bleibt nach alledem durchaus bei dem Urtheil, das Wackernagel (Herzog’s Realencyclopädie 21, 470 = Kl. Schr. 2, 369) und Simrock (Ausgabe S. 23) am bestimmtesten ausgesprochen haben: nach seinem Beinamen „von der Vogelweide“ konnte sein Geschlecht überall zu Hause sein, wo es Vogelweiden gab, und die fanden sich in allen deutschen Gauen, manche auch in der Nachbarschaft [46] von Herrensitzen als Höfe, die so hießen, weil sie die Stätte, wo Vögel gehegt wurden, enthielten oder weil der Dienstmann, dem ihre Pflege oblag, sie bewohnte.

Dagegen hat man ein ganz sicheres Zeugniß, das Walther selbst über seine Heimath abgibt, durch unerlaubte Interpretationskünste verdunkelt: in dem Spruch auf den Nürnberger Hoftag des Jahres 1224 oder 1225 schließt er Herzog Leopold von Oesterreich in den Ausdruck unser heimschen fürsten ein (84, 20). Wollte man mit Wackernagel, Pfeiffer und andern hier den „Gast“ genannten Leopold den heimischen Fürsten entgegensetzen, so müßte man folgerecht zu der unmöglichen Auffassung sich bequemen, daß er der einzige Gast des Tages gewesen sei (Scherer, Zeitschr. f. d. österreich. Gymnasien 1866, Bd. 17, S. 316 f. = Kleine Schr. 1, 625 ff.). Mithin ergibt sich: Walther nannte einen österreichischen Herzog seinen heimischen Fürsten, empfand Oesterreich als seine Heimath. Nach eigenem Geständniß lernte er ze Ôsterrîche singen unde sagen (32, 14) und nach dem ganzen Zusammenhang dieser Aeußerung könnte nur gesuchteste Interpretation darin mit Pfeiffer die Absicht wittern, das Land der künstlerischen Ausbildung dem Geburtsland gegenüberzusetzen. Wiederholt spricht aus seinen Gedichten innige Beziehung zu Oesterreich und seinem Fürstenhof, die auf einen besonderen, rein persönlichen Grund hinzuweisen scheint. Durch einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren wird er nicht müde, an den Hof von Wien zu streben, obwol es ihm nicht gelingt, dauernd dort festen Fuß zu fassen. Woher diese Sehnsucht – darf man mit Wilmanns (Leben S. 59) fragen – wenn ihn dorthin nicht das Heimathsgefühl zog? Aber freilich, mochte er Oesterreich als seine Heimath empfinden: Heimath und Geburtsland braucht nicht nothwendig zusammenzufallen. Die einzigen mundartlichen Spuren seiner sonst von jeder localen Färbung freien Sprache deuten auf bairisches Sprachgebiet und nur der Skeptiker wird sie aus längerem Aufenthalt in jenen Gegenden statt aus dem angebornen Dialekt herleiten: es ist dies der österreichische Reim verwarren (st. verworren): pfarren (34, 18); ferner in dem nicht ganz sicher echten Tagelied (88, 12. 18. 26. 27) der überwiegend – nicht ausschließlich, s. W. Grimm, Kl. Schr. 4, 97 – von bairisch-österreichischen Dichtern gebrauchte Reim (Weinhold, Mhd. Gr.² S. 43 f.) lieht: nieht (st. niht); endlich der in Tirol (Schöpf, Tirol. Idiotikon S. 815), Baiern (Schmeller, Bayerisches Wörterbuch² II, 835) und Niederösterreich (Schönbach, Anzeiger 4, 12) verbreitete Idiotismus wich „fett, üppig, ausgelassen, abgeschmackt“ (35, 28). Diese Spuren mundartlicher Sprache sind freilich gering und sie lassen noch einen ziemlich weiten Spielraum für die Bestimmung der Herkunft.

Wiederholt ist die Ansicht geäußert worden, der Name von der Vogelweide sei überhaupt bei Walther gar nicht als wirklicher Familienname, sondern nur als Dichtername zu verstehen. Zuerst behauptete das Lucas („Ueber den Wartburgkrieg“. Histor. und litterarische Abhandlungen der k. deutschen Gesellschaft zu Königsberg, 4. Sammlung, 2. Abtheilung, Königsberg 1838, S. 229, Anm. 190). Er warf die Frage auf, ob der Dichter Walther, der mit Bezug auf den Walther von Aquitanien der Heldensage vor den Merkern seine Geliebte scherzend Hiltegunde nenne (74, 19), von dem Waltharius auceps (Waltharius 421) seinen Namen von der Vogelweide hergenommen habe. Die Frage beantwortete Jacob Grimm sofort zustimmend (Lateinische Gedichte des 10. u. 11. Jahrhunderts, S. 384) und vermuthete, im verlorenen deutschen Liede von Walther sei vielleicht wirklich der Ausdruck vorgekommen. Er hielt für möglich, daß erst nach jener Anspielung der Beiname des Dichters sich überhaupt gebildet habe. Dies ist nun jetzt durch das Zeugniß der gleichzeitigen Reiserechnungen Bischof Wolfger’s von Passau widerlegt: von der Vogelweide hieß Walther bereits 1203 bei seinen Zeitgenossen. Aber in der That etwas Blendendes hat jene Beziehung auf die [47] abenteuerliche Situation des fliehenden Walther der Sage, der um seinen Unterhalt zu gewinnen, im tiefen Wald Vögel fängt. Denn Vogelweide kann sehr wohl „Vogelfang“ bedeuten.

Sollte auch Walther, als er den Wiener Hof verließ und in die ungewisse Ferne zog, flüchtig und heimathlos wie der fliehende Walther von Aquitanien, sich selbst nach der Sitte fahrender Sänger mit bedeutsamer Anspielung auf die allbekannte Sage jenen Namen beigelegt haben? Hundert Jahre später lebte in Oesterreich ein fahrender Sänger, der sich Heinrich der Vogelaere (A. D. B. XL, 787) nannte, der Verfasser des Gedichts von Dietrich’s Flucht (V. 8000): ihm schwebte bei seiner Benennung gewiß der deutsche König Heinrich I. vor, aber sicher doch auch eine Anspielung auf sein Leben als Fahrender. In der Steiermark bedeutet „er kann nun auf die Vögel schießen“ so viel als „er ist brotlos“ (Grion, Ztschr. f. d. Phil. 2, 420). Bei seinem Aufbruch von Oesterreich 1198 konnte auch Walther so von sich sprechen. W. Grimm, der Walther und Freidank für eine Person hielt, sah in dem Beinamen von der Vogelweide gleichfalls einen angenommenen Dichternamen, wie in Freidank selbst, wie in Frauenlob, der Unverzagte, der Freudenleere (Ueber Freidank 1850, Kl. Schr. 4, 5). Und E. H. Meyer in seiner verfehlten, aber im Einzelnen beachtenswerthen Schrift: Schenk Walther von Schipfe identisch mit Walther von der Vogelweide (Bremen 1863) S. 6 f. meinte, der Dichter habe den Beinamen erst im Laufe seines Lebens angenommen, möge er nun bloß als Hehl zum Schutz gegen Verfolgungen wegen seiner kirchenfeindlichen Dichtung dienen oder einen örtlichen bezw. irgend einen andern Bezug in sich tragen. Er dachte dabei wol an das Versteckensspiel, das deutsche Vaganten mit dem Pseudonym Primas, Archipoeta, Golias trieben, um ihre Invectiven gegen Rom ungefährdet verbreiten zu können. Wenn man, wie ich oben schon aussprach, guten Grund hat, anzunehmen, daß Walther derjenigen niedersten Classe des Ministerialenstandes angehört hat, die zu seiner Zeit einen Familiennamen überhaupt noch nicht führte, wenn ein Geschlecht von der Vogelweide aus dem 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts nicht nachgewiesen werden kann, so darf man im Ernst fragen, ob der Beiname nicht ähnlich zu erklären sei wie verwandte Namen fahrender Sänger. Wie die Spielmannsnamen Spervogel (Sperling), Falchelinus (1175 bis 1191 in Oberschwaben, Zeitschr. f. die Gesch. des Oberrheins 29, 15), Der wilde man, Raumslant, Suchenwirt, Velchelinus („Fälklein“, Trient 1253), Hasensprunch (Südtirol 1338 s. Schönach, Zeitschr. f. d. Alterth. 31, 172. 182), Hagedorn, Irregane, Waller, Ellend, Regenbogen die Unbehaustheit und Besitzlosigkeit, das unstäte Wanderleben in mannichfachen Bildern zur Schau bringen, mochte auch der ritterbürtige Walther – vielleicht mit Beziehung auf den historischen Walther Sensaveir (Walther ohne Habe), den berühmten Typus des fahrenden Ritters, vielleicht auf den Vogel fangenden Walther der Heldensage – sich diesen Namen mit stolzem Spott über seine Armuth und sein Wanderleben beilegen. Hatte doch auch der Archipoeta in seiner unvergleichlichen Confessio von seinem Vagantenleben gesungen: feror ego ut per vias aëris vaga fertur avis (Carm. Buran. Nr. 172, S. 67). Und legt doch auch Wolfram, als er auf Walther’s Spruch vom Spießbraten anspielt (Willeh. 286, 19), wenn er den Dichter absichtlich hêr Vogelweid und nicht hêr Walther nennt, einen ähnlichen spöttischen Sinn dem Namen bei: der nur von armseligen Vögeln sich nährt (oder etwa: der Besitzer eines Platzes, da nur die Vögel satt werden und erlegt werden), singt von Braten (d. h. gebratenem Fleisch). Vielleicht nannte auch jene oben (S. 42 f.) besprochene Anspielung Parz. 294, 21 Walther mit deswegen gebûr, weil sein Beiname auf ein Hausen im Walde nach Art des Einödbauers gedeutet werden konnte und selbst der unwillige Fluch Leopold’s, der den unbequemen [48] Sänger in den Wald wünschte (35, 17), mochte wortspielend daran anknüpfen. Daß dann dieser Name auch auf seinem Lehen, als er es nach langem Harren gewann, haftete, wäre nicht befremdlich. Aber es bleibt alles dies eine unbeweisbare Vermuthung und wird manchem unannehmbar erscheinen, wenn auch zwei so verschieden gesinnte Gelehrte wie Zarncke und Scherer, ohne weitere Begründung und ohne zu wagen, dafür öffentlich einzutreten, sie im Stillen gehegt haben.


Walther’s Leben, soweit es sich in seinen Gedichten spiegelt, gliedert sich in drei Hauptabschnitte: die Zeit der Jugend in Oesterreich, die lange Zeit der Wanderung, die Zeit des Wohnsitzes in Würzburg.

In Oesterreich lernte er singen und sagen: der glänzende Hof zu Wien war die Stätte seiner ersten Ausbildung und seiner frühesten litterarischen Thätigkeit. Dort befand sich in der Umgebung des Herzogs Leopold V., des Tugendhaften, der seit 1177 seinem Vater gefolgt war, Reinmar der Alte (s. A. D. B. XXVIII, 93 ff.). In jener Zeit, da der ritterliche Babenberger die deutsche Dichtung als theilnehmender Gönner schirmte, wird sich Walther zuerst hervorgethan haben: von seinem älteren Vorbild Reinmar lernend und bald mit ihm wetteifernd.

Ohne Frage muß Walther in der musikalischen Technik eine schulmäßige Unterweisung genossen haben. Gottfried von Straßburg im Tristan (V. 4799 ff.) preist ihn wegen des Reichthums und der künstlerischen Vollendung seiner Compositionen mit gelehrten Worten aus der mittelalterlichen Kunstmusik, die ich zuerst im Einzelnen gedeutet habe (Reinmar und Walther S. 179 f.). Man darf daraus auf eine hervorragende musikalische Begabung und auf eine ungewöhnliche Ausbildung dieses Talents schließen. Wie weit weltliche, wie weit geistliche Lehrer Walther hierin angeleitet haben, bleibt dunkel. Auch eine gewisse gelehrte Bildung hat Walther wohl besessen. Weniger sprechen dafür die Anspielungen auf die Hauptpersonen der biblischen Geschichte und einzelne Vorgänge aus dem Leben Christi, oder auf Gestalten der profanen Geschichte und Sage (Alexander 17, 9; Helena und Diana 119, 10; Artus 25, 1; Walther und Hildegunde 74, 19). Aber die Art, wie sein Leich dogmatische Kenntnisse verarbeitet, und vor allem die Neigung zur dialektischen Gliederung und Scheidung, zur logischen Betrachtung, die in seinen frühesten Gedichten zumal, aber auch späterhin so oft hervortritt und ihnen manchmal eine leise Kühle, gewöhnlich aber eine bezwingende Klarheit und Wirksamkeit verleiht, begreift man so am besten. Walther mag den Trivial-Unterricht einer Klosterschule empfangen und annähernd den Bildungsgrad erreicht haben, den die schiffbrüchigen Cleriker, die Vaganten, seine nächsten Collegen besaßen. Nach dem Tode Leopold’s (Sylvester 1194) wurde die Herrschaft zwischen seinen Söhnen Friedrich und Leopold VI. (VII.) getheilt: jener erhielt Oesterreich, dieser die Steiermark. Unter Friedrich’s Regierung hat der junge Walther die schönsten Tage seines Lebens gesehen und sich auf der Höhe seiner gesellschaftlichen Stellung gefühlt (19, 29). Allein dies Glück zerrann bald: schon am 15. oder 16. April 1198 starb Herzog Friedrich in Palästina auf einer Kreuzfahrt und sein Nachfolger, sein Bruder Leopold, der nun beide Herzogthümer vereinigte, hegte für den Dichter keine freundliche Gesinnung. Es scheint fast, als ob sein ernster religiöser, selbst zu Askese geneigter Sinn, dem die Erledigung der Regierungsgeschäfte vor allen Ritterspielen ging (Liechtenstein Frauendienst 77, 17 ff.), der weltlich heiteren Poesie überhaupt abhold gewesen und das Leben am Wiener Hof daher seit seinem Regierungsantritt freud- und schmuckloser geworden sei. In seinem [49] Empfindungskreis stand der Schutz der Kirche und des reinen Glaubens, die Ausrottung der Ketzer voran. Doch machte Neidhart von Reuenthal 1217 in seiner Begleitung den Kreuzzug mit und ist ihm vielleicht auch persönlich und mit seiner Dichtung näher getreten. Walther mußte Oesterreich verlassen und sich wie ein fahrender Sänger auf die Wanderschaft begeben, um an einem andern Fürstenhof, wenn ein guter Stern es fügte, Huld und dauernde Aufnahme zu finden.

Aus dieser ersten österreichischen Zeit besitzen wir kein einziges datirbares Gedicht Walther’s. Wohl aber können wir aus inneren Gründen annehmen, daß derjenige Theil seiner Lieder damals entstanden ist, der noch auf den Pfaden der höfischen Reflexionslyrik, der graziösen mit den Empfindungen ein wenig spielenden Gesellschaftspoesie wandelt, wie sie Reinmar der Alte aus Hagenau nach dem Vorgang Friedrich’s v. Hausen virtuos ausgebildet hatte.

Diese Auffassung ist zuerst von mir ausgesprochen und begründet worden in dem Buch „Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide. Ein Beitrag zur Geschichte des Minnesangs. Leipzig 1880.“ Bis dahin hatte man versucht, für die Lieder Walther’s durch rein biographische Deutung eine Chronologie zu gewinnen: zuerst (1854) hatte Weiske (Weimar. Jahrbuch 1, 357 ff.) den Nachweis zu führen sich bemüht, daß alle Liebeslieder Walther’s nur an zwei Frauen gerichtet seien, an ein Mädchen niederen Standes und an eine vornehme Dame; nach seinem Vorgang unternahm man es immer aufs neue, die Liebespoesie Walther’s auf diese beiden Verhältnisse zu vertheilen und die minnigliche Geschichte des Dichters aus den wechselnden Stimmungen seiner Lieder und aus den wenig bestimmten Andeutungen, die sie enthalten, auf gutes Glück durch die Anordnung aufzubauen (Rieger 1862 in s. Ausgabe S. VIII). Wilmanns wollte durch Erwägung der Reihenfolge der Gedichte in den Handschriften die Sicherheit dieser Combinationen vermehren. Er ging dabei von der Annahme aus, daß die Schöpfungen Walther’s in den unseren Handschriften zu Grunde liegenden Liederbüchern chronologisch geordnet waren und daß danach im Allgemeinen sich auch die Lieder derselben Periode in den Handschriften neben einander finden müssen. Er glaubte überdies, daß die Lieder in einem wirklichen Liebesverhältniß entstanden nur reale Erlebnisse wiedergäben (Zeitschrift für deutsches Alterthum 1867 Bd. 13, 268 ff.).

Beide Voraussetzungen sind unhaltbar: weder läßt sich eine chronologische Anordnung der Lieder in den Handschriften erweisen noch beruhen sie, was Zarncke bereits 1869 (Lit. Centralbl. S. 678) bündig zurückwies, durchweg auf völliger Wirklichkeit. Meine eben genannte Schrift verwirft den circulus vitiosus, der darin liegt, daß mit Rücksicht auf einen völlig construirten Verlauf von Walther’s Liebesleben, der aus gewagter, subjectiver Interpretation vieldeutiger Anspielungen seiner Lieder erst erschlossen ist, nun wiederum die Chronologie dieser selben Lieder bestimmt werden soll. Sie betont, daß die Festsetzung nur zweier Liebesverhältnisse willkürlich ist. Sie hebt den conventionellen, den fictiven Charakter der höfischen Minnepoesie hervor. Sie macht Walther’s Wanderleben, sein Singen um Lohn und sein Temperament geltend gegen den Glauben, der Dichter habe lange Jahre hindurch, nach einer kurzen Episode mit einem Mädchen niedern Standes, immer nur einer vornehmen Dame gedient und nur sie in seinen Liedern gefeiert. Sie warnt davor, Vorstellungen, die für die Poesie hochgestellter Dilettanten wie Friedrich’s von Hausen passen, zu übertragen auf die Lieder eines armen Gesellen, der immer nach den Ansprüchen seines Publicums seine Leier stimmen mußte. Sie weist auf die widersprechenden Ergebnisse aller in dieser Richtung angestellten Untersuchungen hin. Sie bestreitet wissenschaftlicher Forschung das Recht, Walther’s Lieder wie reine photographische [50] Augenblicksbilder unmittelbarer Erlebnisse zu betrachten, und behauptet, ohne ihnen die innere, poetische Wahrheit abzusprechen, doch unsere Unfähigkeit, auf Grund biographischer Deutung des Inhalts eine Chronologie zu geben. Das Verhältniß von Wahrheit und Dichtung in Walther’s Liebespoesie ist unbestimmbar. Ueberhaupt dürfte es auch bei einer nicht so conventionellen, nicht so auf die Gesellschaft berechneten Lyrik immer schwer sein, aus ihren schwebenden Andeutungen scharfe historische Linien, aus ihren verhüllenden Schleiern runde plastische Gestalten, aus ihrer schwimmenden Dämmerung klares und festes Licht zu gewinnen. Darum bedarf man für eine methodische Geschichte jeder und insbesondere auch der Walther’schen Liebeslyrik einer anderen Basis.

Man hat auszugehen nicht von dem subjectiven, widersprechendsten Deutungen offen stehenden Inhalt, sondern von dem objectiv Gegebenen, wissenschaftlicher Beobachtung und Beweisführung Zugänglichen: von der künstlerischen Gestalt dieser Lieder, von ihrem Stil im weitesten Sinn des Worts. Am genannten Ort ist darum der unfruchtbare biographische Standpunkt durch einen streng litterarhistorisch-ästhetischen ersetzt und durch Untersuchung der Auswahl des Stoffs, der poetischen Motive, des Stils und der Technik, der Sprache, der metrischen Form eine neue Erkenntniß der dichterischen Entwicklung Walther’s gesichert, damit zugleich aber auch neues Material für seine Lebensgeschichte geliefert. Gleich seinem bewunderten aber nicht geliebten (82, 24 ff.) Vorbild Reinmar ist Walther Anfangs eine Art Hofdichter, ein Interpret des Geschmacks und der Bedürfnisse der Hofgesellschaft. Nach der Mode führt er einen conventionellen Minnedienst in seiner Lyrik durch. Eine geistreiche, dialektische, empfindsame Gedankenpoesie, in der das Innenleben anatomisch zergliedert und mit einer beinahe scholastischen Systematik auseinandergebreitet wird – so erscheinen uns die ältesten Productionen Walther’s. Je mehr seine Lieder von diesem künstlerischen Typus abstehn, je selbständiger und origineller sie sind, desto weiter dürfen wir sie von dem Anfang seines Dichtens abrücken, desto jünger, desto näher der Höhe seines Könnens müssen sie sein. Am meisten entfernen sich von allen frühern Vorbildern, am individuellsten und glänzendsten entfalten die intimsten Eigenheiten der Walther’schen Kunst seine Lieder der sogenannten niedern Minne, die sich an ein einfaches Mädchen wenden. Gerade sie, die man früher auf Grund einer durch mich widerlegten Interpretation von 46, 32 ff. für die allerersten jugendlichen Versuche des Dichters ausgab, müssen der Zeit seiner künstlerischen Reife gehören.

Diese neue Ansicht von Walther’s poetischer Entwicklung hat rasch allgemeine Zustimmung gefunden: Wilmanns und Paul haben den neuen Maßstab für die Chronologie der Liebeslyrik Walther’s anerkannt und ihre Ausgaben ordnen im Großen und Ganzen die Lieder ziemlich übereinstimmend meinen Datirungen entsprechend, soweit das überhaupt erwartet werden kann bei Gedichten, die ihrer Natur nach jeder geschichtlichen Fixirung fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Auch auf andere mittelhochdeutsche Lyriker ist die von mir benutzte Methode mit mehr oder weniger Geschick und Erfolg angewendet worden: auf Reinmar v. Zweter durch G. Roethe (s. A. D. B. XXVIII, 100 f.), auf Neidhart durch R. M. Meyer (s. A. D. B. XXIII, 395 ff.), auf Steinmar (s. A. D. B. XXXV, 746 ff.) durch Meißner (s. A. E. Berger, Zeitschr. f. d. Philologie 20, 121 f.).

Wilmanns hat in seinem Leben Walther’s von der Vogelweide seinen früheren Standpunkt in Hinsicht auf die Glaubwürdigkeit der Minnepoesie ganz verlassen und sich auf den entgegengesetzten gestellt: er neigt nun dazu, in den Liebesliedern anderer Minnesänger sowol als Walther’s planmäßige Erfindung, künstlich Erdachtes und Gemachtes zu erblicken. Er glaubt nachweisen zu können, [51] daß die chronologisch geordneten Liederbücher, welche seiner Ansicht nach unsere Sammelhandschriften enthalten, ihren inhaltlichen Zusammenhang, die scheinbare Verwicklung, Lösung und den förmlichen Abschluß nicht dem zu Grunde liegenden realen Verlauf wirklicher Erlebnisse verdanken, sondern vorüberlegter Composition bei ihrer Abfassung. Er nimmt an, daß insbesondere auch die Lieder Walther’s vielfach von vorn herein eins mit Bezug auf das andere gedichtet, also gleichzeitig oder kurz nach einander entstanden, daß sie mit andern Worten Liedercyclen seien, in denen der sachliche Zusammenhang nicht aus der Einheit eines wirklich bestehenden Liebesverhältnisses beruht, vielmehr ein rein poetischer, vom Dichter erzeugter ist. Diese Hypothese läßt sich indessen nicht glaublich machen und hat auch kaum Beifall erworben (s. meine Recension im Anz. f. d. Alterth. 9, 350 ff.). Schönbach hat sich in seinem allerdings für weitere Leserkreise bestimmten „Walther von der Vogelweide“ (1890) zwar meiner Auffassung der Entwicklungsgeschichte Walther’s angeschlossen. Aber er versucht sich doch wieder in einer directen biographischen Ausbeutung des Inhalts der Lieder. Er bezieht alle Lieder, welche Minnedienst aussprechen, auf eine bestimmte Dame, der Walther ausschließlich gehuldigt habe, und rückt sie zeitlich alle zusammen. Die volksthümlichen Lieder der niedern Minne betrachtet er gleichfalls als Ausdruck einer einzigen Neigung zu einem bestimmten Mädchen niedern Standes und setzt sie insgesammt hinter die Lieder des Minnedienstes. Auch nach den principiellen Erörterungen in den Biographischen Blättern (I, S. 39 ff.) über den biographischen Gehalt des altdeutschen Minnesanges darf man in diesem Verfahren schwerlich einen Fortschritt erblicken (vgl. auch Bielschowsky, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie, 1893, Januar).


Die Lieder der ersten Periode, unter dem Banne der Reinmar’schen Hofpoesie (s. A. D. B. XXVIII, 94) entstanden, bewegen sich in den traditionellen eintönigen Motiven: immer wiederholte Liebesbetheuerungen, Klagen um vergeblichen Dienst, theoretische Erörterungen über das Wesen der Minne, über ihren erziehenden Einfluß, über wahre und falsche Liebe, ein fortwährendes Spiel mit Hoffnungen und Wünschen, ein Rechnen mit Möglichkeiten. Im Einzelnen drängen sich noch Anklänge an Reinmar’s Lieder, sei es dem Wortlaut, sei es nur dem Gedanken nach, vielfach hervor. Eine lebendige Charakteristik der Geliebten fehlt: wir erfahren von ihr nur durch ganz allgemeine Werthurtheile. Diese Lyrik knüpft nirgends an eine bestimmte Situation oder an eine Scene an. Sie entbehrt ganz der Beziehung auf äußere Handlung, jeder epischen und wirklich dramatischen Form. Sie beschränkt sich auf Einblicke in die innere Welt: die äußere, vor allem die Natur, den Wechsel der Jahreszeiten, die doch lyrische Poesie sonst so viel befruchten, läßt sie bei Seite. Das persönliche Element hat an ihr nur geringen Antheil: der Dichter rückt die Geliebte, die er besingt, in eine respectvolle Entfernung; meist spricht er von ihr wie von einer Abwesenden in der dritten Person; auch den Hörern gegenüber hält er sich zurück und redet sie fast niemals direct an. Er bevorzugt dafür, Personificationen abstracter Eigenschaften, z. B. der Minne, der Stäte einzuführen, aber auch das, ohne sie dramatisch in Scene zu setzen, was er später so meisterhaft versteht. Die typische Phraseologie der conventionellen höfischen Minnedichtung ist aus Reinmar und den verwandten Vertretern dieser Gattung ziemlich treu übernommen und wenig bereichert. Der Stil der Darstellung wie der sprachliche Ausdruck ist complicirt und nicht klar: es überwiegen hypothetische Elemente, Wünsche, Fragen, Unterbrechungen (Parenthesen), Einschränkungen, Widerrufe und Selbstberichtigungen, Antithesen, Oxymora, Wortwiederholungen nebst kunstvollen Parallelismen und [52] Responsionen. Ein gelegentlich fast scholastisches Raisonnement, eine etwas spintisirende Betrachtung prägt sich in der Formulirung der einzelnen Gedanken, aber auch in der Composition der ganzen Gedichte aus, die zuweilen etwas Schematisches hat. Unfraglich zeigt sich hierin die dialektische Schulung Walther’s, die er sich in einer Klosterschule angeeignet haben wird. Doch bricht durch diese Schatten der schulmäßigen Gedankendressur schon manchmal hell und strahlend die Sonne seiner genialen Persönlichkeit, wie in dem köstlich epigrammatischen Liedschluß: swer guotes wîbes minne hât der schamt sich aller missetât (93, 17). Die Strophenformen schließen sich zum großen Theil eng an das Muster Reinmar an, ja sie stimmen öfter sogar ganz oder fast ganz mit Strophen Reinmar’s überein. Durchweg zeichnen sie sich gleich ihren Mustern durch einfache Gliederung, durch Verwendung ungefähr gleich langer und gleichartiger Verse, durch Bevorzugung des vierhebigen Verses und stumpfer Ausgänge aus. So gewährt diese älteste Liebeslyrik Walther’s das blasse Bild schwebender Bewegung der Gedanken, ohne einen strafferen Zug, ohne einen kraftvollen Wurf, ohne Leidenschaft und Feuer, ohne charakteristische Gestaltung und ohne lebhaftes Colorit. Ein dämmerndes Halblicht ist darüber gebreitet, in dem alle Linien verschwimmen.

Allmählich, Schritt für Schritt befreit sich Walther’s Liederdichtung von den Gewichten der traditionellen Modepoesie. Sie wird lebendiger, gegenständlicher. Sie bekommt mehr Farbe und stärkere Bewegung. Sie erfüllt sich immer mehr mit dramatischen Elementen. Sie wird immer persönlicher, immer wahrer, immer körperlicher. Der Dichter erlernt die Kunst der Vergegenwärtigung: jetzt wandelt er das einsame lyrische Bekenntniß um in eine dramatische Scene, den kühlen monologischen Gefühls-Erguß in ein blitzartig hin- und herschießendes Gespräch, und vor allem die höfischen Wechselreden, die nichts waren als nebeneinander gestellte Monologe entfernt gedachter Liebender, ersetzt er nun durch wirkliche Dialoge, die ganz und gar das momentane Zusammensein, den sprühenden Verkehr, die liebenswürdige, geistvolle, herzliche Conversation, die vertrauliche, kosende Unterredung des liebenden Paars abbilden. Die Frau, die er liebt, zeigt er uns jetzt ganz nah, er steht im intimsten Verhältniß zu ihr. Und auch die Hörer erhebt er aus ihrer passiven Rolle gleichsam zu Miterlebenden, Mithandelnden, indem er sich auf sie bezieht, beruft, sie zur Theilnahme und Aeußerung auffordert. Auch das Leben der Natur spiegelt jetzt sein Lied wider, und wundervoll gelingt es ihm, Menschenleid und Menschenfreude mit den ewigen Wandlungen, mit Frühling und Herbst, Singen und Verstummen der Vögel, mit Blumenlachen und welker Trauer der winterlichen Heide zu verketten. Alte ererbte heimische Ueberlieferung weiß er neu zu gestalten. Aus dem unerschöpflichen Born volksmäßiger Anschauung, Weisheit und Poesie schöpft er überhaupt hinfort einen Theil seiner besten Kraft, nicht wie andere gleichzeitige Dichter voll eitelen höhnischen Hochmuths der Bildung zu parodistischen oder satirischen Zwecken, sondern um der reinen, vertieften künstlerischen Wirkung willen. Und über seine Lieder leuchtet fortan immer liebenswürdiger, immer siegreicher sein warmer, aus einem lautern und arglosen, hellen Herzen quellender Humor.

Das Leben selbst hat diese Metamorphose der Walther’schen Liebesdichtung befördert: das Leben selbst hat sein Lied aus der dumpfen Atmosphäre der exclusiven Standespoesie, der conventionellen Mode, des künstlichen Spiels hinausgeleitet in die frische Luft des Tages, der Natur, der Wahrheit. Sein Weggang von Oesterreich, die Veränderung seiner Lebensstellung zwang ihn, eine bis dahin von ritterlichen Sängern in deutscher Sprache nicht gepflegte Dichtungsart aufzunehmen und aus der sichern Position eines Hofdichters in die Reihen der fahrenden Sänger einzutreten. Nach dem Vorbild der lateinisch dichtenden [53] Vaganten gestaltet er die deutsche volksmäßige gnomische Dichtung der Spielleute in seiner Weise um. Er wird ein Nachfolger der Spervogel’schen Schule und zugleich des Archipoeta. Das muß auch auf seine Liebespoesie entscheidend einwirken, sie von Grund aus umgestalten. Das Leben, welches den Dichter hart anfaßte und ihn, den Empfindlichen, hineinwarf in die volle Brandung, führte ihn durch lange, an Unbilden reiche Wanderschaft.

Sein Wanderleben reicht von 1198 bis gegen 1220. Doch wird es unterbrochen von wiederholten längeren und kürzeren Rasten. Ueber den Charakter dieses Lebensabschnittes gehen die Ansichten der Forscher nach zwei Richtungen auseinander: auf der einen Seite sieht man die verschiedenen nachweisbaren Aufenthalte Walther’s mehr oder minder als dauernde an, die Wanderungen nur als vorübergehenden Zustand, als gelegentliche Unterbrechungen des festen Wohnens; auf der andern Seite erblickt man umgekehrt in dem Umherziehen das Bleibende, den Grundzustand, in dem die Zeiten des Verweilens an einem Ort nur als Pausen erscheinen. Jene Auffassung schreibt Walther eine verhältnißmäßig hohe sociale Stellung zu, diese setzt ihn völlig in eine Reihe mit den Fahrenden.

Aloys Schulte hat in einem verdienstvollen Aufsatz über die Standesverhältnisse der Minnesänger (Zeitschr. f. d. Alterth. 39, 192) unter Berufung auf eine – übrigens bereits 1874 von G. Waitz (Deutsche Verfassungsgeschichte 5, 335 f., 2. Aufl. von K. Zeumer 1893, S. 375 f.) hervorgehobene – Bestimmung des Kölner Dienstmannenrechts Walther für einen jüngeren Sohn eines Ministerialen erklärt, der, nachdem der ältere Bruder dem Vater im Dienst und im Besitz succedirt, vergeblich sich seinem Herrn zum Treudienst erboten hat, aber verschmäht und so genöthigt worden ist, sich von seinem legitimen Herrn loszusagen, in die Welt zu ziehen, um einen neuen Herrn zu suchen, der seinen Dienst annehme. Walther mochte in der That, nachdem bei dem Tode seines ersten Herrn, Herzogs Friedrich, dem er unbelehnt gedient haben wird, dessen Nachfolger Leopold seinen Dienst nicht annahm, in dieser Weise ein neues Unterkommen haben suchen müssen. Es fragt sich, ob und in welcher Weise er es erhielt.

Nach 19, 36 hat ihn König Philipp an sich genomen, was den ständigen Ausdruck übersetzt für den Eintritt in die Ministerialität: „er ward aufgenommen in die familia“. Allein er erreichte nur die erste Stufe dieses Dienstes: den Dienst ohne beneficium, ohne Lehen. An einen solchen Dienst war der Dienende aber nach den rechtlichen Bestimmungen nur auf eine bestimmte Zeit gebunden, vier Wochen bis zu einem Jahr. Er konnte dann den Dienst kündigen und nach erhaltener Erlaubniß einen neuen Herrn sich suchen. Während der Zeit solchen vorläufigen Dienstes auf Kündigung empfing er – darüber gehen die Rechtsvorschriften auseinander – entweder nur den Lebensunterhalt oder nur Geschenke, etwa am ersten hohen Fest ein Geschenk in Pelzwerk.

Auch Walther von der Vogelweide erhielt offenbar, was man bisher nicht bemerkt hat, wegen dieser dienstrechtlichen Gewohnheit vom Bischof Wolfger von Passau seinen Pelzmantel zum Fest des heiligen Martin (11. November), wenn auch der Geldbetrag erst einen Tag nachher gezahlt und gebucht ward. In einem Liede der Carmina Burana (Schmeller S. 50 f.) klagt der Vagant: meus tenuis nimis est amictus, saepe frigus patior und bittet seinen Gönner, den Sinn des heiligen Martin anzunehmen und ihn zu bekleiden (mentem capite similem Martini). Der Legende nach hat der heilige Martin zur Winterszeit seinen Mantel mit einem friernden Armen getheilt und er war deshalb der Patron aller Bedürftigen. Oftmals wurde sein Leben mit vielen novellistischen Zügen dargestellt: vor allem gehören die Schriften des Sulpicius Severus über ihn (Ebert, Allgem. Gesch. d. Lit. des Mittelalters 1², 331 ff.; [54] Manitius, N. Archiv f. ä. d. Geschichtsforsch. 14, 165 ff.) zu den gelesensten und beliebtesten Werken des ganzen Mittelalters und sind oft nachgeahmt und benutzt worden. Das Leben des gallischen Bischofs ward als Typus bischöflicher Humanität und Leutseligkeit, Milde und Toleranz, die das Volk und die Häretiker in Schutz nimmt, romanhaft ausgebildet. Der Archipoeta spendete seinem Protector, dem Kölner Erzbischof Rainald von Dassel (J. Grimm, Kl. Schr. 3, 65) einen dreifachen Preis: tapfrer als Alexander, freundlicher und beliebter als David, freigebiger als der heilige Martin, und das Ganze schließt mit der greifbaren Nutzanwendung poeta bene meruit mantellum et tunicam. Am Martinstag ward aber auch der neue Wein probirt, der Martinstrunk und der Martinsschmaus gehalten. Es war die richtige Zeit, um einen darbenden, lebenslustigen Sänger für sein fröhliches Lied zu belohnen. Ich sehe keinen Grund, warum man nicht aus dem Martins-Pelzmantel, den Wolfger Walther bewilligte, ein formelles vorläufiges Ministerialitätsverhältniß auf Kündigung erschließen dürfte.

Später ging Walther in den Dienst des Landgrafen Hermann von Thüringen; er nennt sich 35, 7 sein ingesinde, unzweifelhaft auf ein Dienstmannsverhältniß deutet. In einem wahrscheinlich späteren Spruch (18, 15) dankt Walther für eine Kerze, die im Auftrage des Herzogs Ludwig von Baiern ihm der Markgraf Dietrich von Meißen aus Franken überbracht hat: das ist, bleibt uns auch der genauere Zusammenhang immer noch dunkel, offenbar ein Symbol dienstmannschaftlicher Verbindung, vielleicht (Schönbach, Zeitschr. f. d. Alterth. 39, 343) eine Art Einladung zum Hofdienst. Jedenfalls pocht Walther dem Markgrafen Dietrich von Meißen gegenüber auf bewährten dienest (105, 29). Aber er so wenig wie die früheren Herren und so wenig als Kaiser Otto gaben ihm denjenigen Lohn, der das vorübergehende Dienstverhältniß in ein festes, unkündbares verwandelt hätte.

Erst Friedrich II. that das, indem er dem Dichter, der sich 10, 17 seinen armen man nennt und sich dadurch als seinen Ministerial bezeichnet, zunächst ein beneficium zweifelhaften Ertrages (27, 7 ff.), dann ein ordentliches Lehen (28, 31) gewährte und später eine weitere Entschädigung folgen ließ (84, 30 ff.). Walther wurde damals eine Zeit lang wirklich, so scheint es, sein politischer Agent.

Nach dem Gesagten muß man die häufigen Bitten Walther’s und anderer Sänger um Lohn und Geschenke im Zusammenhang mit der ganzen Einrichtung der Dienstmannschaft betrachten, derzufolge jeder Ministerial einen festen Anspruch auf Verpflegung und Ausstattung, auf Geschenke aller Art besaß und die Ausrüstung mit Kleidern zu erbitten durchaus nichts Ehrenrühriges hatte. So verlieren sie den sonst ihnen anhaftenden Charakter der unanständigen Bettelei. Und auch der Uebertritt von einer politischen Partei zu einer neuen, den moderne Augen so gern als einen Verrath der eignen Ueberzeugung auffassen, erscheint im Lichte der mittelalterlichen Rechtsanschauung über die Pflichten der Ministerialen ganz anders. Der unbelehnte Dienstmann darf nach Aufsagung des Dienstes und nach empfangener Erlaubniß seines Herrn von dannen gehen und auch dessen Feind dienen, er darf selbst im neuen Dienst gegen den alten Herrn kämpfen, nur nicht Raub und Brand gegen ihn üben.

Walther trieb somit nicht das Handwerk des gewerbsmäßigen Spielmannes, der nur ums Brot dichtet und von jedem Herrn in beliebigem Wechsel Gabe heischt. Er suchte Dienst wie jeder andere ritterliche Ministeriale ohne Gut, nur daß seine Leier und nicht die Tüchtigkeit im Kriegswerk noch im Hofamt ihn bewähren sollte. So lange er freilich einen unkündbaren, durch ein Beneficium beiderseits festgeknüpften Dienst nicht erlangte, war er stets aufs neue gezwungen, [55] seinen Weg durch die Welt fortzusetzen und insofern sich der Stellung eines Fahrenden zu nähern.

Immer wieder aber muß man sich gegenwärtig halten und nachdrücklich einprägen: von Walther’s äußerem Leben, von seinen Beziehungen zu bedeutenden Personen haben wir nur ganz fragmentarische Kunde. Wer hätte geglaubt, daß die einzige urkundliche Notiz ihn gerade neben dem Bischof Wolfger zeigen würde, dessen Namen seine Gedichte nicht einmal nennen! Und wie wenig wissen wir auch jetzt von der Art und der Dauer seiner Verbindung mit diesem Kirchenfürsten?[WS 1] Was uns Walther’s Dichtung verräth ist nur ein zufälliger Ausschnitt aus der bunten Karte seines stürmisch bewegten Daseins. Sind wir doch nicht einmal im Stande, die allgemeinsten Grenzen, die er selbst (31, 13) für seine Fahrten zieht (Seine, Mur, Po, Trave), an der Hand seiner Poesie zu verfolgen. Darum aber mit Lachmann (zu 14, 38) an der Wahrheit dieser Angaben zu zweifeln, berechtigt uns nichts.

Walther, der im österreichischen Hofdienst bei seinem Herrn, dem Herzog Friedrich, wahrscheinlich nur Liebeslieder in Reinmar’s Art gedichtet, möglicherweise gelegentlich auch die Lieder anderer Sänger vorgetragen hatte, betrat, seitdem er, einen neuen Herrn zu suchen, den Spielleuten ähnlich, umherzieht, den Boden der Lehrdichtung. Er ist der erste ritterliche Sänger, der halb und halb das Leben und die Kunst der Fahrenden, der Vaganten sich aneignet. Aber er veredelt beides. Er erhebt sich über das bloße guot-umb-êre-Nehmen. Er muß wie seine Vorläufer, der Spervogelsche Kreis und die Goliarden, nach der Gunst der Herren streben und seine Poesie in den Dienst der Interessen und Neigungen der Fürsten stellen. Aber er vertritt dabei doch auch eine eigene Weltanschauung. Er wählt sich seinen Stoff überwiegend in der Höhe des nationalen Lebens: die große Politik, die allgemeinen sittlichen und socialen Fragen, die aufregenden Gegensätze der um die Herrschaft über die Zeit ringenden Lebensmächte nimmt er sich zum Gegenstand und in allen Wandlungen der Verhältnisse und Parteien bewahrt er, obwol dadurch berührt und theilweise geleitet, stets eine eigene Ueberzeugung. Er verficht die Meinung, die er ausspricht, nicht als ein Lakai, der dafür seinen Sold erhält, sondern, so abhängig er auch in socialer Beziehung war, als ein freimüthiger, stark empfindender und tief denkender Mann. Seine Spruchdichtung erweitert den bis dahin üblichen beschränkten Gesichtskreis der gnomischen Spielmannspoesie, die in persönlichen Beziehungen, im Landschaftlichen und Temporären, in der begrenzten Sphäre niederer und enger Bedürfnisse wurzelte. Was Walther als Schüler der höfischen adlichen Minnesänger, die er bald als Meister in den Schatten stellte, in technischer Hinsicht gelernt hatte: die souveräne Beherrschung des poetischen Ausdrucks, die Macht der Stimmungsmalerei, ließ er der neuen Art seines Dichtens zu gute kommen, brachte er in ihr zur höchsten Vollendung. Und diese neue Weise seiner Kunst wirkt zurück auf die weiter gepflegte Minnedichtung: auch sie gewinnt nun im Zusammenwachsen mit jener noch volleres, runderes Leben, einfacheren und wirksameren Vortrag, volksthümlichere Farbe und Haltung, stärkere Bewegung, plastischere Gestalt.

Für den ältesten politischen Spruch Walther’s halte ich den berühmten Ich saz ûf eime steine (8, 4). Er bietet keine Anspielung, die eine bestimmte Datirung erzwänge, aber das ergreifende Bild, das er aufstellt: der Sänger in sorgenvollem Grübeln über die Unmöglichkeit, hienieden Ehre, Gut und Gottes Huld zu vereinigen, Wehe rufend über Fried- und Rechtlosigkeit – in welche Zeit paßte das besser als in den Juni 1198, da Walther in dem furchtbaren Wirrsal nach dem Tode des großen Kaisers Heinrich VI. nun auch den Tod seines Gönners, Herzog Friedrich’s, erfuhr, damit den Boden unter den eignen Füßen wanken sah und außer Stande, in Oesterreich Ehre und Besitz zu gewinnen, [56] sich düster auf den Weg ins Elend begab? Möglich indessen auch, daß dieser Spruch nach den beiden anderen desselben Tons gedichtet ward; dann jedoch sicherlich nicht als Abschluß, sondern als wirkungsvolle Einleitung für die Publication, so daß nun alle drei ein sich steigerndes Ganze bildeten.

Das erste fest datirbare Gedicht Walther’s ist der zweite Spruch dieses Tons Ich hôrte ein wazzer diezen (8, 28): Sommer 1198. Verwirrung und Zerrissenheit sind über Deutschland nach dem Tode des mächtigen Kaisers, Heinrich’s VI., hereingebrochen; die Prätendenten Bernhard von Sachsen, Berthold von Zähringen, Otto von Poitou, haben nach einander die Herrschaft erstrebt; zum Regenten und Vormund des dreijährigen Thronerben, Friedrich’s II., bestellt, hat so der Bruder Heinrich’s, Philipp von Schwaben, einen schweren Stand. Im Angesicht dieser Lage, aber nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, noch bevor Otto von seiner Partei zum König proclamirt war (9. Juni 1198), sondern einige Wochen später, ruft Walther Deutschland auf, der Unsicherheit ein Ende zu machen, und Philipp selbst die echte, legitime Königskrone aufzusetzen. Und diesen rein politischen Rath ertheilt er nicht wie aus persönlicher Neigung oder Einsicht, sondern als nothwendiges Ergebniß einer sinnenden Betrachtung des Weltlaufs, der ewigen Natur selbst. Den biblischen Gedanken, daß die ganze Schöpfung ihr Recht und ihre Ordnung hat, nur der Mensch nicht, scheint er als ein nachdenklicher Beobachter selbst aufs neue zu entdecken. Und tiefsinnig nimmt er auch den ewigen Kampf als einen Theil des von Gott gewollten Weltplans hin. Aber das Leben der Menschen, das Vaterland bedarf des festen, einheitlichen Regiments. Nur der Kaiser kann mit starkem Arm dieses Chaos beherrschen.

Das ist der Kern von Walther’s politischer und sittlicher Weltanschauung: aus ihm entspringen seine ältesten Sprüche, aus ihm erwächst seine ganze spätere Spruchdichtung, aus ihm zieht er inmitten aller Parteiungen, aller eigenen Wandlungen die Kraft, die ihn aufrecht hält.

Bald nach diesem ersten Aufruf zu Philipp’s Gunsten, der sicherlich nicht vor einem Fürsten, sondern wahrscheinlich vor einem Publicum von Reichsdienstmannen, den festesten Stützen der staufischen Politik und den eifrigsten Beförderern der Königsmacht Philipp’s, vorgetragen worden ist und ihren Wünschen Ausdruck verliehen hat, ist Walther in nahe Beziehungen zu dem Staufer getreten: er besingt ihn als Träger der alten Krone und der echten Reichsinsignien (18, 29), wahrscheinlich schon bei der Mainzer Krönung (8. September 1198), nach einer anderen, weniger ansprechenden Bestimmung erst auf dem Magdeburger Weihnachtsfest des Jahres 1199, dem Walther sicher als Augenzeuge seinen schönen Spruch 19, 5 weiht, eine wirkungsvolle Verherrlichung Philipp’s und seiner jungen Gemahlin Irene Maria als des legitimen, von Gott erwählten und begnadigten Herrscherpaares. Eine Weile fand Walther am königlichen Hofe eine feste Stellung: der König selbst, jubelte er (19, 36), hatte ihn an seinen Herd genommen; die Zeit des schleichenden Pfauenschritts war vorüber, und überglücklich erhob er wieder sein Haupt mit dem jauchzenden Ruf: wol ûf swer tanzen welle nâch der gîgen! Wenige Jahre später, als der Bürgerkrieg zwischen den beiden gekrönten Königen Philipp und Otto Deutschland zerfleischte und Papst Innocenz alle Mittel aufbot, den legitimen Regenten Philipp, den verhaßten Staufer, zu vernichten, jedenfalls nach der Bannung Philipps und seiner Anhänger durch den päpstlichen Legaten Cardinalbischof Guido von Präneste (3. Juli 1201) erhebt Walther in demselben Ton, dem „Reichston“ nach Simrock’s glücklicher Benennung, wiederum Klage: von Rom leitet er das Uebel des Zwistes her; er läßt einen einsamen Klausner weinen über die Verblendung des jungen Papstes.

Auch hier die ganze politische Ueberzeugung Walther’s: über der hierarchischen, [57] intriganten, hinterlistigen und herrschsüchtigen Verwaltung der kirchlichen Macht steht ihm die echte reine Kirche, die nur den himmlischen Dingen sich widmet und das weltliche Regiment nicht beansprucht. Der Spruch selbst gibt aber im Ganzen nur wieder, was von den fürstlichen Führern der staufischen Reichspartei in den Verhandlungen auf dem glänzenden Bamberger Reichstag, der zur Feier des Krönungstages aus Anlaß des Festes der Erhebung der Gebeine der heiligen Kaiserin Kunigunde mit großem Pomp gefeiert ward, ausgesprochen sein mochte und nachher erneuert wurde. Insbesondere ist er nah verwandt den Gedanken und der Tendenz des Protestes aus Halle vom Januar 1202 (Registrum de negotio Romani imperii Nr. LXI, Baluze, Epist. Innocentii III, 1, 715. Migne, Patrol. lat. Tom. 216, 1063 ff.). Walther’s Verse müssen geradezu als gleichzeitiger poetisch-publicistischer Ausdruck jener Kundgebung gelten. Nur daß der Dichter mit starken Worten der Empörung heraussagt, was die submisse Rhetorik des amtlichen Schriftstücks geschickt verschleiert. Hier wie dort Rom als Quelle der Verwirrung (juris cuiusque turbatio; superstitio), der Lüge und Täuschung (quaesivit opportunitatem, qualiter arbitris absentibus mendacio veritatem et crimine virtutem mutaret); hier wie dort den clericalen Elementen der Partei Otto’s, insbesondere dem Legaten und seinen beiden Gefährten, alle Schuld beigemessen; hier wie dort die Gegenüberstellung der laicalis simplicitas und der Ränke der Pfaffen; hier wie dort betont, daß die Anhänger der Laienpartei d. h. Philipp’s, den Welfischen weitaus an Zahl überlegen seien (quos tenuior compescit numerus: doch wart der leien mêre); hier wie dort aber auch jede directe Anklage des Papstes vermieden. Der einsame Klausner Walther’s spricht wie die vorsichtigen geistlichen Unterzeichner des Hallischen Protestes reden mochten, unter denen Bischof Wolfger von Passau, den Kalkoff ohne Grund für den Verfasser hält, besonders hervorragte. Von ihnen stammte wol die Darstellung, als ob Innocenz nur aus Unerfahrenheit oder Unkenntniß von der Uebermacht verworrener Verhältnisse und böser Rathgeber fortgerissen sei. Walther gibt das in der weiteren Kreisen verständlicheren Fassung: der Papst ist zu jung. In Wirklichkeit war, was die Unterzeichner des Hallischen Protestes und gewiß auch Walther wußten, Innocenz allein und durchaus der zielbewußte Leiter, die feurige Seele des Kampfes gegen Philipp, der eigentliche Urheber des Eingriffs in die fürstlichen Wahlrechte, der sichere Regisseur des ganzen vom Cardinallegaten und seinen beiden Gehülfen, dem päpstlichen Notar Philipp und dem Akolythen Aegidius, aufgeführten Schauspiels der Excommunication und Aufwiegelung. In der Zeit der Bamberger oder der Hallischen Besprechungen, d. h. im September 1201 oder im Januar 1202 konnte Walther’s Gedicht allein seine volle Wirkung ausüben. Bei der Datirung Abel’s (Zeitschr. f. d. Alterth. 9, 141), der es gleich nach der Bannung in den Sommer 1201 legen wollte, schwindet ihm etwas von dieser Frische des Zeitgemäßen, von der Kraft der Unmittelbarkeit, von der Bedeutung als poetisches Manifest zu Gunsten der Reichspartei. Da indessen im Januar 1202 zu Halle wol nur nachträglich formulirt wurde, was schon in Bamberg beschlossen war (Winkelmann 1, 239, 255 Anm. 1) und damals die Partei Philipp’s bereits in ihrem Bestande sich zu lösen, in ihrer Treue zu wanken anfing, wird man Walther’s Spruch noch in den Herbst des Jahres 1201 verlegen. Vielleicht ward er in Bamberg auf dem großen Hoftag selbst vorgetragen, also in Anwesenheit des Landgrafen Hermann von Thüringen und des Markgrafen Dietrich von Meißen, Walther’s späterer Gönner, deren Aufmerksamkeit er hier erregen mochte. Auch Herzog Leopold hatte sowol für den Bamberger als für den Hallischen Tag durch Abgesandte seine Zustimmung erklärt: der Protest von Halle trägt seinen Namen (Winkelmann 1, 238, 255 Anm.). Er stand treu auf der Seite Philipp’s.

[58] In dieselbe Zeit und nicht erst in die Tage, da Otto und Friedrich um die Krone stritten (1211 Abel, Rieger; Ende 1212 Winkelmann 2, 296, Wilmanns Leben Walther’s, S. 444, Anm. 612; 1213 Paul), muß man mit Wackernagel (bei Simrock 1, 116, 144) und Zarncke (Beiträge 7, 599) den Spruch 25, 11 Künc Constantîn der gap sô vil verlegen: die Constantinische Schenkung macht Walther hier verantwortlich für die Verrückung der Grenzen zwischen dem Recht der Kirche und des Staates. Die Klage die pfaffen wellent leien reht verkêren und der höhnische Ausdruck der pfaffen wal stimmen genau zu den Protestgedanken der reichstreuen Fürsten aus dem Bamberger und Hallischen Tage 1201 und 1202 und ihrer Zurückweisung des Eingriffs der Geistlichen in die Wahlprärogative der Fürsten. Kurz nachher, unmittelbar nach der Sonnenfinsterniß vom 27. November 1201 ist, wie Zarncke (a. a. O. 597) erwies, der Spruch 21, 25: Nû wachet uns gêt zuo der tac gedichtet. Doch müssen bestimmte Vorgänge zu Grunde liegen, die man bisher nicht zu deuten versucht hat, wenn Walther im Anschluß an das Evangelium Marcus 13, 12 so voll Abscheu über Untreue, über die Falschheit geistlicher Würdenträger, über gewaltthätige Beugung des Rechtes seinen klagenden Weckruf erschallen läßt. Man muß, was bisher nicht erkannt worden ist, als Anlaß die rechtswidrigen Entscheidungen des päpstlichen Legaten über die Besetzung des Mainzer Bisthums betrachten. Lupold’s von Worms Wahl hatte Guido von Präneste für ungültig erklärt, weil jener ohne päpstliche Ermächtigung sich hatte mit den Regalien belehnen lassen, dagegen Sigfried’s von Eppstein Wahl, der dasselbe gethan hatte und obendrein nur von der Minorität des Domcapitels ohne Zustimmung der Dienstmannen gewählt worden war, bestätigt und ihn am 30. September 1201 geweiht. Der Grund dieser Willkür war mit Händen zu greifen: Lupold hielt zu Philipp und mußte daher Unrecht, Sigfried hielt zu Otto und mußte daher Recht bekommen. Diese Entscheidung Guido’s erschien allgemein als frevelhaft: papa super hac electione fecit non iudicium sed iniuriam sagt Burkard von Ursperg. Gefälschte Briefe des Papstes tauchten auf und wurden für echt gehalten, die ganz anders lauteten als die bisher bekannt gewordenen und den Streit an das Forum deutscher Bischöfe, der Bischöfe von Passau, Freising und Eichstädt wiesen. Diese Fälschung enthüllt die Abneigung der öffentlichen Meinung gegen den fremden, von Rom kommenden Richter. Es entstand der Glaube, als habe der Legat gegen den Willen des Papstes entschieden, und gewiß wurde diese Auffassung geflissentlich von der Reichspartei genährt (Winkelmann 1, 224 ff.). War ja doch auch in dem Hallischen Protest und in Walther’s ihn umschreibendem Spruch 9, 16 der Papst geschont und alle Schuld auf seine ränkevollen Räthe und Diener gewälzt. Der Schluß des vorliegenden Gedichtes (geistlich leben in kappen triuget), der bisher nie richtig erklärt worden ist, zeigt die Beziehung unwiderleglich: er geht direct gegen den Legaten Guido, den als Cardinal die cappa cardinalaris (Du Cange ed. Favre II, 111c) zierte, meint aber vielleicht auch seinen Gefährten, den päpstlichen Notar Magister Philipp mit, der als höherer Weltgeistlicher und Graduirter auch eine Kappe trug (s. Du Cange s. v. Cappa doctoralis), und denkt möglicherweise auch an den Cardinallegaten Octavian von Ostia, der eigentlich Guido’s Mission in Deutschland unterstützen sollte, aber in Frankreich festgehalten wurde durch die Aufgabe, König Philipp August der päpstlichen Politik dienstbar zu machen und hier der leien reht zu verkêren. Walther’s Spruch spielt aber, was gleichfalls noch nicht bemerkt wurde, mit den Worten der bruoder sînem bruoder liuget (V. 35) auch auf ein bestimmtes politisches Ereigniß in Byzanz an, das den König Philipp mit betraf. Im Jahre 1195 hatte dort Alexios III. seinen Bruder Isaac Angelos vom Throne gestürzt, ihn geblendet [59] und mit seinem Sohn Alexios IV. gefangen gesetzt. Im Sommer des Jahres 1201 war es Alexios IV. geglückt, zu entfliehen. Nachdem er vergeblich bei Innocenz Schutz und Hülfe gesucht hatte, wandte er sich im Herbst nach Deutschland, an seinen Schwager Philipp, den Gemahl seiner Schwester Irene. Dort wurde er freundlich aufgenommen und traf zur Weihnachtszeit mit dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat zusammen, der Seele des geplanten Kreuzzugs, dem Führer der französischen Theilnehmer. Damals hat nun Philipp den Gedanken aufgenommen und dem Markgrafen an das Herz gelegt, die Frevelthat des Usurpators gegen den eigenen Bruder zu rächen, dem rechtmäßigen Kaiser Isaac Angelos und seinem Sohn sein Reich wieder zu geben (Winkelmann 1, 524 ff.; Kugler, Gesch. d. Kreuzzüge, S. 269; Hertzberg, Gesch. d. Byzantiner, S. 336, 352). Aus den Stimmungen jener Zeit (Decbr. 1201) entsprang Walther’s Gedicht mit seiner doppelten politischen Spitze: gegen die Entscheidung des Cardinallegaten in der Mainzer Frage und gegen die vom Papst geduldete verrätherische Gewaltthat des byzantinischen Thronräubers. Und wenn Walther an die eben erlebte Sonnenfinsterniß anknüpfend, das Ende der Welt und das letzte Gericht in Aussicht stellt, so befindet er sich im Einklang mit den gleichzeitigen Prophezeiungen der internationalen Kreuzzugspredigt, die den Ablauf des tausendjährigen Reichs, die Ankunft des Antichrists verkündete und sich sogar auf einen eigenhändigen Brief Christi stützte (Roger de Hoveden Chronica ed. Stubbs IV, 162. 167 ff.).

Das nahe Verhältniß Walther’s zu Philipp war nicht von langer Dauer. Der Dichter erhielt für seinen Dienst nicht was er erwarten durfte, ein Lehngut. So mußte er sich denn nach einem anderen Dienst umsehen. Nach den drei Sprüchen, die aus den Gedanken der Bamberger und Hallischen Fürstenversammlungen entsprungen und gegen die Mission des Cardinallegaten gerichtet sind (9, 16; 25, 11; 21, 25), hat Walther seine Leier nicht wieder auf den Ton warmer herzlicher Sympathien für Philipp gestimmt. Er muß die enge Verbindung gelöst, den königlichen Hof verlassen haben. Drei politische Acte hatte seine Dichtung im Dienst Philipp’s verrichtet: die Empfehlung seiner Krönung, die Unterstützung des moralischen Eindrucks seines neu erworbenen Königthums, die Bekämpfung der Machinationen des Cardinallegaten und des Papstes: alles war ohne den Lohn geblieben, den er begehren mußte. Er hatte Grund genug, enttäuscht sich abzuwenden. Aber vielleicht steht, wie sich unten (S. 64 f. 65 f.) zeigen wird, mit der Lösung seiner Beziehungen zum königlichen Hofe sein Verhältniß zu dem Landgrafen Hermann von Thüringen, vielleicht das zu Bischof Wolfger von Passau, vielleicht auch beide in irgend einem ursächlichen Zusammenhang.

Schon in die Zeit, da Walther noch mit dem königlichen Hofe innig verknüpft war, fällt sein erster Aufenthalt in Thüringen. Scherzhaft schildert er ihn 20, 4 (Der in den ôren siech von ungesühte sî) und kleidet seinen Spott in die Strophenform des „ersten Philippstons“, in dem nur Gedichte aus den Anfängen der Regierung Philipp’s verfaßt sind. Es ist darum auch unwahrscheinlich, daß dieser erste Besuch der Wartburg etwa schon vor Walther’s Verbindung mit Philipp stattfand, etwa als eine Episode in einem längeren Wanderleben, wo der heimathlos gewordene Dichter ohne Erfolg an verschiedenen Stellen und vor allem an dem gastfreien Ziel der Sänger, an dem thüringischen Hof angeklopft hätte. Denn schwerlich benutzte Walther zur Feier der bedeutsamen Feste Philipp’s, zur Verherrlichung hochpolitischer Vorgänge einen schon früher in einem Spottgedicht verwendeten Ton. Jener erste Besuch beim Landgrafen Hermann, der Anfangs auf der Seite Otto’s gestanden und erst Mitte August 1199 zu Philipp übergegangen war, wird wohl ein Abstecher gewesen sein vom [60] Hof des Königs. Schon dort aber konnte Walther dem Landgrafen näher getreten sein, denn dieser folgte nach seiner Aussöhnung mit Philipp von Michaelis 1199 bis Ende Januar 1200 dem königlichen Hofe nach Mainz, Magdeburg (Weihnachten!), Hildesheim, Goslar, Allstedt (Knochenhauer, Gesch. Thüringens S. 245). Das nachdrückliche Lob, welches Walther’s Spruch vom Magdeburger Weihnachtsfest dem treuen und zuchtgemäßen Hofdienst der Thüringer spendet, sollte wohl nicht bloß Philipp’s Triumph über den bisherigen Gegner ins Licht stellen, sondern diesem selbst schmeicheln. War hierdurch die Aufnahme an dem Thüringer Hof erleichtert und vorbereitet, so scheint noch ein zweiter Spruch desselben Tons (19, 17 Philippes künec, die nâhe spehenden zîhent dich), der Philipp an das Vorbild des milden Saladin erinnert, nur Aufklärung zu gewinnen, wenn man ihn sich im Interesse des Landgrafen verfaßt denkt: er sollte Philipp bewegen, seinen Dank dem neuen Anhänger dadurch abzustatten, daß er die von Otto früher diesem versprochenen aber nicht ausgeführten Schenkungen von Geld und Reichslehen jetzt seinerseits freigebig gewähre. Der Spruch dürfte ins Ende des Jahres 1201 gehören, dessen Zustände Knochenhauer S. 250, Winkelmann 1, 267 f. schildern, in die Zeit, als Hermann seinen zweifelhaften Verkehr mit dem verrätherischen Kanzler Bischof Konrad von Würzburg begonnen, als die welfische Partei ihn wieder zu gewinnen suchte durch das Erbieten, die seit 1199 rückständigen Gelder auszuzahlen, und gleichzeitig Innocenz in Sachen der zwiespältigen Mainzer Wahl direct auf ihn einwirkte. Aber Philipp folgte dem Rathe Walther’s nicht, sondern mißtrauisch und gereizt durch das Benehmen des Landgrafen forderte er ihm übereilt die übertragenen Reichslehen ab und führte dadurch den vollständigen Bruch herbei. Ist auch Walther in die Folgen der königlichen Ungnade gegen Landgraf Hermann verwickelt worden? Oder haben auf ihn die Anklagen gewirkt, die damals von der thüringischen Partei offen gegen Philipp erhoben wurden, wegen seiner Mitschuld an der Ermordung des doppelzüngigen Kanzlers Konrad von Würzburg, des Vertrauten Hermann’s? Dieser Mann von großartiger Begabung, gleich tüchtig als Hofbeamter wie als Kriegsführer, auf der Universität Paris theologisch gebildet und ein Kenner antiker Litteratur und Sage, über dessen Tod Philipp selbst bittere Thränen vergoß, stand Hermann nahe durch seine Liebe für weltliche Pracht: den Glanz seiner Hofhaltung, die forma secularis seines Lebens heben die historischen Quellen hervor; sie nennen ihn virum delicatum, sericis ornatum (s. A. D. B. XVI, 581 ff.; v. Wegele, Hist. Taschenb. 1884, S. 31 ff.; Münster, Leipz. Dissert. 1890).

Den Schlag weltlich gesinnter, weltlich gebildeter Kirchenfürsten brauchte die ritterlich-höfische Dichtung und Cultur, um zu gedeihen. Und es fällt auf, daß Konrad, der seit dem 20. September 1201 keine königliche Urkunde vollzog, sein Kanzleramt etwa in derselben Zeit aufgab, da Walther zum letzten Mal im unmittelbaren Dienst des Königs ein politisches Gedicht schuf. Aber wir haben keine Kunde über Beziehungen zwischen ihm und dem Dichter. Wir wissen nicht, welche Fäden persönlicher Sympathien und verwandter Bildungsinteressen Walther zu Hermann herüberzogen und ihn später fest an diesen Fürsten knüpften.

Fürs erste scheint Walther in Thüringen noch nicht dauernd Fuß gefaßt zu haben. Vielmehr finden wir ihn bald nach diesen Ereignissen in Oesterreich während der ersten Regierungszeit Leopold’s VI. (VII.), um die Gunst des Herzogs bittend, über Kargheit klagend, dann wieder dankend, als Zeugen verschiedener Festlichkeiten. Wir vermögen aber den Inhalt der 14 Strophen des „Wiener Hoftons“, dem wir dies entnehmen, im Einzelnen nicht zu entwirren. Zwei Strophen (25, 11; 21, 25), die wir schon kennen lernten, haben überhaupt keine sichtbare Beziehung auf den Wiener Hof und sind schwerlich in Wien gedichtet. [61] Die meisten enthalten allgemeine Klagen über den üblen Stand der Welt, über den Mangel an Freude, Treue und Milde, Strafreden gegen die Ueberschätzung des Gutes, gegen die Entartung der Jugend. Die Entwicklung von Walther’s Verhältniß zu Leopold können wir nicht erkennen. Durch eine bestimmte Schuld – folgert man aus 26, 1 – scheint Walther früher den Herzog gegen sich aufgebracht zu haben. Wilmanns vermuthete (Leben S. 88), die Schuld habe Walther im Frühling 1198 durch den Aufruf zur Krönung Philipp’s (9, 15) begangen. Allein das ist unglaublich; Leopold stand 1198 mit seinen Sympathien ohne Zweifel auf Philipp’s Seite (s. jetzt auch Juritsch, Geschichte der Babenberger, Innsbruck 1894, S. 358). Seit Lachmann (zu 25, 29) ist oft ausgesprochen worden, daß Walther die Schwertleite Leopold’s zu Wien (28. Mai 1200), an der übrigens Wolfger Theil nahm (Juritsch S. 364), mitgemacht habe, und man hat Sprüche des Wiener Hoftons damit in Zusammenhang gebracht. Aber die Annahme schwebt ganz in der Luft.

Am 12. November 1203 taucht Walther in dem Gefolge des Bischofs Wolfger von Passau auf zu Zeiselmauer an der Donau unweit Wien und erhält dort das Geld zu seinem Pelzmantel. Er war damals also doch wohl sein Dienstmann (s. o. S. 53 f.). Wolfger mußte ein Mann sein nach Walther’s Herzen, ein staufisch gesinnter kirchlicher Würdenträger, frei von hierarchischen und asketischen Gelüsten, dem Reiche treu und dem Kaiser gehorsam, ein gewandter Politiker der Vermittlung, nach außen schwankend und wankelmüthig, wo der Zweck es verlangte, aber im Kern fest, ein Vertrauensmann der beiden feindlichen Gewalten, ein Typus der weltlicher Bildung geneigten Prälaten des Zeitalters, ein Förderer deutscher und welscher Dichter. Spielleute und Sängerinnen, die ihn schaarenweise umschwirren: vir magnae discrecionis, fidus mediator (Zingerle, Reiserechnungen Wolfger’s, S. XI ff.; Kalkoff, Wolfger von Passau. Weimar 1882; Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation 1, 15 f.). Wolfger hatte schon Kaiser Heinrich VI. nahe gestanden. Er hatte zu Herzog Leopold V. (VI.) von Oesterreich, Reinmar’s Gönner, freundschaftliche Beziehungen gehabt und in seinem Interesse die Verhandlungen über die Auslieferung und Befreiung des von ihm gefangenen Königs Richard Löwenherz von England geführt; er hatte der Beisetzung des von Reinmar Beklagten (s. A. D. B. XXVIII, 97) in Heiligenkreuz (Januar 1195) beigewohnt. Er hatte Walther’s Beschützer Herzog Friedrich von Oesterreich auf seiner Kreuzfahrt begleitet und war bei seinem frühen Tod in Palästina zugegen gewesen. Als der Thronstreit ausbrach, hielt er entschlossen zu Philipp, versuchte durch freundliche Besprechung mit den Gegnern eine Beilegung zu erzielen und war, auch nachdem Innocenz offen auf Otto’s Seite trat, einer der Führer der Reichspartei, ein ständiger Gast am Hoflager Philipp’s, bei allen Protestkundgebungen gegen das welfische Königthum, gegen die päpstlichen Intriguen und Anmaßungen (in Speier 1199, in Bamberg 1201, in Halle 1202) betheiligt. Er, der einst (1195) für Kaiser Heinrich VI. den greisen Papst Cölestin gefügig zu machen gewußt hatte, sah sich jetzt einem jugendlichen, fanatischen Vertreter der kirchlichen Gewalt gegenüber, Innocenz III. Hatte er 1199 sein Widerstreben gegen den neu gegründeten deutschen Ritterorden zu beseitigen und die Sanction für diese Stiftung ihm abzuringen verstanden, so erkannte er bald nachher, wie Innocenz mit unerschütterlicher Consequenz und eiserner Energie die Hegemonie über die weltliche Macht des Staates an sich zu reißen strebte. Fortan wählte Wolfger seinen Platz in nächster Nähe des Kaisers.

Walther, der Wolfger vielleicht schon aus der Zeit, da Herzog Friedrich von Oesterreich noch lebte, kannte, hätte sich keinen besseren Schützer wünschen können als ihn und mag seiner Gunst schon lange sich erfreut haben. Möglich wäre es selbst, daß er es gewesen, der ihn 1198 an den Hof Philipp’s eingeführt [62] hatte. Es war ein unglücklicher dilettantischer Einfall Grion’s (Zeitschrift f. d. Phil. 2, 412), in Wolfger den Archipoeta entdecken zu wollen. Aber ein Gönner und Freund der Vaganten, jener Vorläufer Walther’s, ist Wolfger allerdings gewesen, wie kaum ein zweiter Bischof. Auch Walther wird gewiß sein Herz besessen haben. Wahrscheinlich war Wolfger nach Wien gezogen zur Einsegnung der Vermählung Herzog Leopold’s mit der byzantinischen Prinzessin Theodora Komnena, einer nahen Verwandten der von Walther gefeierten (19, 12) Gattin Philipp’s Irene Maria. Auch Walther hat diesem Fest wahrscheinlich beigewohnt. Schon lange vor dem Bekanntwerden der Reiserechnungen hat Wackernagel (zu Simrock 2, 133), dann auch ausführlicher E. H. Meyer, Schenk Walther von Schipfe, S. 21 f. und nicht erst Wackernell, wie Hoefer (Beiträge 17, 547) meinte, den Spruch 25, 26 Ob ieman spreche der nû lebe einleuchtend auf diese Hochzeit bezogen. Ich möchte glauben, Walther war bereits im Gefolge Wolfger’s nach Wien gekommen und hat sich diesem nicht erst dort für die Weiterreise angeschlossen. Konnte ihm doch Niemand leichter eine Aussöhnung oder Wiederanknüpfung mit Herzog Leopold vermitteln als Wolfger, der alte erprobte Freund der Babenberger. Damals, bei der Rückkehr in die sechs Jahre entbehrte Heimath, könnte er sein hohes Lied vom deutschen Vaterland, von deutschen Frauen und deutscher Tugend (56, 14 Ir sult sprechen willekomen) gesungen haben, falls man nicht wegen der vielen gesehenen Länder (V. 30) eine spätere Entstehung anzunehmen vorzieht.

Wie lange Walther bei Wolfger blieb, wissen wir nicht. Sicherlich dauerte das freundschaftliche Verhältniß zu ihm auch nachdem er 1204 Patriarch von Aquileja geworden war. Denn daran sollte nicht gezweifelt werden, daß unter dem Patriarchen von Aquileja, dessen Hof Walther neben dem Hof Leopold’s und seines Oheims Heinrich von Mödling mit herzlichen Worten nennt (34, 34 Die wîle ich weiz drî hove), nur Wolfger und nicht, was zuerst Uhland (Schriften 5, 62) und dann noch Wilmanns (Leben Walther’s, S. 57, 81) annahm, dessen Nachfolger Berthold von Andechs-Meran verstanden werden muß: nur diese drei, die beiden Babenberger und Wolfger, die mannigfache Bande alter persönlicher Beziehungen zusammenhielten, konnte Walther in einem Gedicht gleichsam als eine Familie von Gönnern feiern, und man verwandelt das Preislied auf die drei befreundeten und Walther freundlichen Höfe aus einem sinnig zusammengefügten harmonischen Kranz in ein willkürliches Conglomerat zufällig aneinandergereihter Lobeserhebungen, wenn man hier den Andechser einschwärzt. Gerade in jenem Jahr, das Walther wieder in seine österreichische Heimath führte, hatte Wolfger mit Heinrich von Mödling, als dem Vertreter der Babenberger Familie, über die Anerkennung früherer Schenkungen zu Göttweih (24. Juni 1203) verhandelt und im Herbst desselben Jahres durch mehrmalige Gesandtschaften und Reisen die für das Haus der Babenberger erwünschte, insbesondere für Leopold’s Vermählung mit der Griechin Theodora nothwendige, legitime Lösung der Verlobung des Herzogs mit der Tochter Ottokar’s von Böhmen und der Enkelin Otto’s von Meißen (Kalkoff, Wolfger, S. 69 ff.) vermittelt. Aus jener Zeit mag Walther’s erste Erinnerung an die nahen Beziehungen der drei ihm wohlgesinnten Männer stammen, die dann in seinem uns nicht genauer bekannten freundlichen Verhältniß zu ihnen fortdauerte und später in dem Spruch auf die drei Höfe einen liebenswürdigen Ausdruck fand.

Im Jahre 1204 oder bald nachher hat Walther auch am Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen längere Zeit gelebt. Sein erster kurzer Besuch, der sich, wie schon oben (S. 59 f.) bemerkt ist, nicht genau datiren läßt, scheint nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufen zu sein (20, 4). Wolfram’s Citat des verlornen Walther’schen Liedes Guoten tac, boes unde guot im 6. Buch des [63] Parzival (297, 25) spricht von dem Sangesgenossen, wie von einem, der am Thüringer Hof allbekannt war, und so, als ob das angeführte Gedicht eben entstanden sei, auch die Anrede in jenem Liedanfange selbst konnte sich nur ein schon heimisch gewordener erlauben, dem die bunt zusammengesetzte Gesellschaft einen vertraulichen Scherz verzieh. Nach der herrschenden Meinung ist das 6. Buch des Parzival nicht viel nach 1203 gedichtet; denn das 7. Buch entstand, wie 379, 18 zeigt, als die Verwüstung der Weingärten Erfurts noch sichtbar war, d. h. da man dabei an die Belagerung Erfurts Pfingsten 1203 zu denken pflegt, spätestens zu Anfang des Jahres 1204 (s. Lachmann zu Walther 20, 4). Uhland (Schriften 5, 32) folgend bemerkte Lachmann, daß ehe der Landgraf sich König Philipp unterwarf (17. Septbr. 1204), Walther gewiß nicht nach Thüringen zu dem geheimen und zuletzt öffentlichen Gegner seines Herrn, des Königs Philipp, gegangen sei. Bezieht sich dieses Bedenken nur auf den ersten Besuch, der 20, 4 zu Grunde liegt, so läßt sich ihm genügen, wenn man jenes erfolglose Anklopfen Walther’s in die Zeit verlegt zwischen dem 15. August 1199, wo Hermann die welfische Partei verließ, dem König Philipp den Treueid schwur, und dem 8. September 1201, wo er noch den Bamberger Protest der staufischen Fürsten gegen die Zumuthungen des Papstes mit unterzeichnete. Gilt dagegen Uhland’s und Lachmann’s Erwägung der Frage, wann Walther’s längerer thüringischer Dienst begonnen habe, so bereitet sie beträchtliche chronologische und sachliche Schwierigkeiten.

Man kann diesen entgehn, indem man die Erwähnung der Walther’schen Verse im Parzival für einen nachträglichen Einschub Wolfram’s erklärt, der erst nach der Abfassung dieses Buchs, etwa bei der späteren Publication, mit Rücksicht auf den nunmehr anwesenden Walther vorgenommen sei, oder indem man die Entstehung des 6. Buches des Parzival später als das 7. setzt, wozu Lachmann (Wolfram S. XIX) geneigt schien, oder indem man Walther’s Verbindung mit Hermann auch ohne Uebereinstimmung der politischen Parteistellung für möglich erklärt, wie Wackernell (Germania 22, 283), ohne daß man allerdings dessen Ansicht zu theilen braucht, Walthern habe „Philipp wahrscheinlich geradezu eine diplomatische Mission anvertraut“ und er sei im Herbst 1203 nach Thüringen gegangen, um den nach den unbefriedigenden Ergebnissen des Sommerfeldzugs enttäuschten Fürsten wieder auf die staufische Seite zu bringen.

Vorzuziehen aber ist eine andere Lösung: man deute die Worte Wolfram’s über die verwüsteten Weingärten Erfurts auf den zweiten thüringischen Feldzug (Juli bis September 1204), der in der Gegend von Weißensee (neun Stunden nördlich von Erfurt) und an der obern Ilm (Stadt-Ilm bis Langenwiesen) seinen Schauplatz hatte und im Lager vor Erfurt endete, nachdem sich am 17. September in dem unweit davon südlich gelegenen Ichtershausen Landgraf Hermann auf Gnade und Ungnade unterworfen hatte. Auch in diesem Jahre wurde das Thüringer Land weit und breit verwüstet, besonders von den Böhmen, aber auch von Philipp’s Heer. Und gewiß ist die Umgebung von Erfurt, das auf Seite Philipp’s stand, nicht verschont geblieben. Jene Parzivalstelle kann daher dem Anfange des Jahres 1205 angehören. Und einige Zeit vorher, also Ende 1204, nach Hermann’s Unterwerfung, hatte das Zusammenleben der beiden größten mittelalterlichen Dichter auf der Wartburg bei dem kunstliebenden Landgrafen Hermann, dem Gönner Heinrich’s von Veldeke, Herbort’s von Fritzlar, Albrecht’s von Halberstadt, begonnen.

Hier hatte Walther einen Handel mit dem 1196 in einer Urkunde des Landgrafen nachgewiesenen Gerhart Atze, der ihm ein Pferd zu Eisenach erschoß und keinen Schadenersatz leisten wollte (82, 11. 104, 7). Hier mußte er gegen Störer des höfischen Sangs (103, 29) und gegen das Unkraut [64] der Hofgesellschaft (103, 13) sich wehren. Seine Kunst ward offenbar in den Thüringer Hofkreisen, wo man mehr für stoffreichere Dichtung, für epische Erzählung und Sittenlehre (Wernher von Elmendorf) Interesse hegte und ein derberes, kampftüchtigeres Dasein liebte als Walther’s Lieder und Sprüche wiedergaben, nicht von allen und nicht ohne Einschränkung gewürdigt. Auch Wolfram, wie oben (S. 41 ff.) gesagt wurde, fühlte sich in einem gewissen Gegensatz dazu. Als Reinmar von Hagenau, der österreichische Hofsänger, einst sein Lehrer, aus dem Leben schied, beklagte Walther in Thüringen seinen Tod mit zwei ergreifenden Strophen (82, 24. 83, 1) voller eigener melancholischer Todesgedanken und richtete von Thüringen hinweg den Blick sehnsüchtig nach der Heimath, in der Hoffnung, am Wiener Hof in die Stelle des Geschiedenen einzutreten (84, 1 ff.), wie es scheint, vergeblich. Er mußte trotz allem in Thüringen ein paar Jahre ausharren; ob ohne Unterbrechung wissen wir nicht. Die thüringischen Chroniken setzen den sagenhaften Sängerkrieg, an dem Walther neben Wolfram Theil genommen haben soll, in das Jahr 1207.

In Thüringen scheint Walther’s früheres herzliches Verhältniß zu Philipp völlig erkaltet und in sein Gegentheil umgeschlagen zu sein. Die persönlichen Motive, die dabei mitwirken mochten, bleiben uns leider verschleiert. Wir gewahren nur, daß etwas von der heimlichen Mißstimmung des Landgrafen und seines Schwiegersohns, des Markgrafen Dietrich von Meißen, gegen Philipp auf Walther übergegangen zu sein scheint.

Hermann hatte von seiner Unterwerfung unter den Staufer nur Demüthigung und Schaden geerntet. Dietrich aber ward verstimmt, als der Beleidiger der Wettinischen Familienehre Ottokar von Böhmen den 1204 geleisteten Schwur, die verstoßene erste Gattin, Adela von Meißen, wieder aufzunehmen und seine zweite Ehe zu lösen, nicht ausführte und so die Bedingung nicht erfüllte, an die Dietrich sein Fallenlassen des böhmischen Prätendenten Theobald, Philipp’s Drängen nachgebend, geknüpft hatte. Er sah sich durch die politische Aussöhnung zwischen Philipp und Ottokar übervortheilt. Geradezu persönlich beleidigt aber fühlte er sich dann 1207 durch die Verlobung der Tochter Philipp’s mit dem Sohn von Ottokar’s zweiter Gemahlin, um derenwillen der Böhmenkönig seine erste Frau, die Schwester Dietrich’s, verstoßen hatte. Die Gereiztheit und das Uebelwollen der Thüringer Hofgesellschaft mochte sich an allem Widerwärtigen, was den König oder seinen engsten Familienkreis traf, weiden und es mit Behagen breit treten.

Solche Stimmung klingt aus jenem höhnischen Spruch vom griechischen Spießbraten (17, 11), der die blutigen byzantinischen Thronwirren der Jahre 1203 und 1204, in denen Philipp’s Schwiegervater Isaac Angelos und Schwager Alexios ihre eben gewonnene Krone und ihr Leben verloren, benutzt, um daran eine böse Lehre für den König zu knüpfen. Wolfram spielt im Willehalm (286, 19), also nach Jahren, auf das Gedicht scherzhaft an: nur wenn es bei seiner Entstehung durch seine politische Spitze gezündet hatte, konnte er so spät darauf wieder zurückgreifen. Lachmann dachte daher (zu 17, 11) daran, dieser Spruch erst habe Walther’s „Umzug nach Thüringen“ veranlaßt. Wilmanns dagegen setzt ihn in den Herbst 1207. Ich glaube, man muß den Spruch vom Spießbraten und dann auch den vorangehenden nah verwandten 16, 36 (Philippe künec hêre) früher datiren: noch in das Ende des Jahres 1204 oder den Anfang 1205. Freilich findet Zarncke (Beitr. 7, 596), daß beide Sprüche noch eine mißliche Lage Philipp’s voraussetzen, was auf die Zeit vor den glücklichen Sommerfeldzug von 1204, der die günstige Entscheidung brachte, hinweise. Allein 16, 36 zeigt unverkennbar: die glückliche Wendung war bereits eingetreten, und offenbar ist diese sanftere Mahnung zur Freigebigkeit der [65] schärferen des Scherzes vom Spießbraten vorangegangen. Ob nun aber diese beiden Sprüche in Thüringen gedichtet sind? Man ist versucht, außer Wolfram’s später Erinnerung daran noch einen besondern Grund hierfür geltend zu machen. Gerade in Thüringen konnte Walther während des Sommers 1205 Kunde von jenen Vorfällen des Ostens empfangen: am 17. August kehrte Bischof Konrad von Halberstadt mit vielen bei der Plünderung Constantinopels erbeuteten Reliquien und Kostbarkeiten in festlichem Triumphzuge hoch gefeiert heim (Mon. Germ. Script. 23, 120). Er hatte als Augenzeuge und thätiger Theilnehmer jene ganze Tragödie durchlebt. Schon im August 1203 war er als Pilger nach Venedig gekommen und hatte sowol damals als nachher im folgenden Winter vor Zara gewiß die Verbindung zwischen dem Kreuzheer und König Philipp unterhalten. Daß Isaac Angelos und sein Sohn Alexios die Hülfe und Freundschaft der Kreuzfahrer, die für sie Constantinopel und den Thron zurückeroberten (18. Juli 1203), verloren, weil sie die vertragsmäßig, eidlich und wiederholt gemachten Zusicherungen von Geld und Belohnungen nicht erfüllten, darin sind alle Berichte einig. Die fränkischen Quellen schieben es meist auf den bösen Willen und den Undank Alexios IV.: so auch die gleich nach September 1208 entstandene Peregrinacio (Valois, Biblioth. de l’École des Chartes 40, 204) der Halberstädter Chronik (Script. 23, 118: ingratus beneficiorum acceptorum). Die byzantinischen Darstellungen lassen erkennen, daß der kaiserliche Schatz von Alexios III., dem Thronräuber, geflüchtet, die Staatscassen erschöpft und die Bevölkerung gegen die Eintreibung der versprochenen Summen für die verhaßten Fremden aufs äußerste erbittert war (der brâte was ze dünne). Die Halberstädter Chronik, die wahrscheinlich Tagebücher Konrad’s benutzt, macht aber auch Philipp mit verantwortlich für den Ausgang, wenn sie erzählt, er selbst habe jene 200 000 Mark durch seinen Gesandten in Zara den Kreuzfahrern versprochen, falls sein Schwiegervater wieder auf den Thron gehoben würde. Theilte Walther diese Auffassung, so gewinnt sein Spruch noch an unmittelbarer Feindseligkeit gegen den König. Jedes Anrühren jener Katastrophe mußte Philipp tief verwunden. Seine Verwandten hatten im Kampf mit Prätendenten und Gegenkönigen wie er das Reich gewonnen, es dann aber verloren, weil sie gemachte Versprechungen nicht halten konnten, und verloren nicht an den berufensten Träger eines neu zu gründenden lateinischen Kaiserthums, den Markgrafen Bonifaz von Montferrat, den Anhänger und Verwandten der Staufer, sondern an den viel untüchtigeren Grafen Balduin von Flandern, den Parteigänger des Welfen Otto.

Viel spricht nach alledem für die Entstehung des Gedichts vom Spießbraten in Thüringen. Aber unleugbar ist auch: nirgends wol konnte Walther früher Kenntniß erlangen von den verhängnißvollen Ereignissen, die über Philipp’s Verwandte in Byzanz hereingebrochen waren, als in der Nähe des Bischofs Wolfger.

Schon am Gründonnerstag 1204 erschien bei Herzog Leopold in Klosterneuburg Bischof Markus von Beirut, höchst wahrscheinlich mit Nachrichten über die byzantinische Verwicklung. Wolfger stand damals im Begriff, auf annehmbare Weise seinen Frieden mit dem Papst zu machen und sich von der Reichspolitik zurückzuziehn. Bereits am 2. October 1202 war er wegen seiner Theilnahme an dem Hallischen Fürstenprotest, dessen Verfasser er übrigens schwerlich gewesen ist, von Innocenz bei Strafe der Suspension auf den Sonntag Laetare nach Rom zur Verantwortung citirt worden. Er war dieser Ladung gefolgt, hatte mit einer ziemlich plumpen Lüge seine Mitverantwortlichkeit für jene Erklärung abgelehnt und das Schlüsselrecht des Papstes anerkannt (Reg. de neg. [66] imp. 110, Migne, Patr. Lat. 216, S. 1114), sich nach seiner Rückkehr aber dann doch wieder an den Hof Philipp’s nach Altenburg begeben (August 1203). Nun aber hatte die Hoffnung auf die Nachfolge in dem zur Erledigung kommenden Patriarchat von Aquileja ihn der Curie gefügiger machen müssen. Im Mai des Jahres 1204 hatte er sich in Rom die Genehmigung seiner Wahl geholt, die ihm durch päpstlichen Consens vom 24. Juni verliehen ward, hatte sich dann zurückgekehrt in Ansbach vom König Philipp belehnen lassen und sich nach Passau begeben, die Wahl seines Nachfolgers zu leiten. Hier empfing er am 19. Juli die Hiobspost aus Constantinopel (Reiserechnungen S. 33). Kaum in Aquileja eingezogen, erhielt er mit dem Pallium zugleich den Befehl des Papstes, binnen Monatsfrist sich schriftlich der Curie zum Gehorsam auch in Reichsangelegenheiten zu verpflichten (Kalkoff, Wolfger S. 30 ff., 96 ff.; Juritsch, Geschichte d. Babenberger S. 379 f.). Fortan waren Wolfger, der sich jetzt fügen mußte, die Hände gebunden. Er zog sich vom König Philipp und der Reichspolitik zunächst völlig zurück.

Bald nach dieser Zeit schwindet auch aus Walther’s Dichtung für eine Reihe von Jahren jede Beziehung auf die Reichspolitik, auf die Person und die Angelegenheiten des Königs, ja sein Lebensweg verliert sich für uns eine Weile überhaupt im Dunkel. Er hat jedes Verhältniß zum König völlig gelöst. Aber wir können nicht sagen, wo er jene beiden unfreundlichen Strophen (16, 36. 17, 11), in denen er sich (1204 oder 1205) zum letzten Mal mit seinem einstigen Herrn befaßte, gedichtet habe.

Der weitere Verlauf von Walther’s Leben läßt sich im Einzelnen durchaus nicht feststellen. Bis zum Frühling des Jahres 1212 bleibt unsere Kenntniß ganz trümmerhaft. Walther stand eine Zeit lang im Dienst des Markgrafen Dietrich von Meißen (105, 29), des Schwiegersohns seines Thüringer Gönners, an dessen Hof auch Heinrich von Morungen (s. A. D. B. XXII, 341) lebte. Ein Einfluß dieses Minnesängers, der neben Walther und Neidhart ohne Frage das ursprünglichste und stärkste lyrische Talent des deutschen Mittelalters war, läßt sich in mehreren Liedern Walther’s erkennen (Wilmanns, Leben S. 278). Schon früher, etwa 1205 (Zarncke, Beiträge 7, 593), hatte der Markgraf Walther, wie es scheint, eine Gefälligkeit erwiesen und ihm eine ehrende Einladung von Herzog Ludwig von Baiern, Hermann’s Schwager, zum Hofdienst überbracht (18, 15, s. oben S. 54). Jetzt aber muß sich ein engeres Band geknüpft haben. Bei Dietrich muß Walther (auch oder noch?) 1210 gewesen sein, als das Kloster Dobrilugk an die Markgrafschaft kam: denn es spielt, wie zuerst Wackernagel 2, 140 Anm. richtig sah, 75, 25 darauf an.

Die Strophen des „zweiten Ottentons“ (nach Simrock’s unpassender Benennung) 31, 13 bis 36, 1 bereiten die größten chronologischen Schwierigkeiten. Sie spiegeln ein bewegtes unruhiges Wanderleben wieder, sie athmen einen tiefen Pessimismus, eine wachsende Gereiztheit und Verbitterung des Dichters. Sie hat er im Auge, wenn er später, in sonnigerer Zeit, zurückblickend sagte: ich was sô volle scheltens daz mîn âten stanc (29, 2). „Unmuthston“ könnte man diesen Ton nennen. Aus 36, 1 (Dô Liupolt spart ûf gotes vart) ergibt sich, daß Walther längere Zeit in Oesterreich bei Herzog Leopold war, bevor er diesen auf seiner Rückkehr vom Kreuzzug (vielleicht 1219) begrüßte (28, 11). In demselben Ton nennt er sich aber auch des milten lantgrâven ingesinde (35, 7), was, wie oben (S. 54) bemerkt wurde, auf ein dauerndes thüringisches Hofdienstverhältniß weist: der im Winter gedichtete Spruch blickt auf mehrmaligen Aufenthalt bei Landgraf Hermann zurück und auf eine mehrjährige Verbindung mit ihm; ob er mit Wilmanns (Leben S. 71) in einen der Winter zwischen 1213 und 1217 zu setzen sei oder ob er einige Jahre später fällt, [67] bleibt zweifelhaft. In demselben Ton behandelt Walther auch Erlebnisse, die ihn in Beziehungen zu Herzog Bernhard von Kärnten (1202–1256) zeigen: er hat oft von ihm Gaben empfangen, aber ein Scheltlied, mit dem er sich rächt, als ihm vom Herzog verheißene Gewänder nicht übergeben sind, bringt Entzweiung (32, 17); Mißgünstige bei Hofe, vielleicht Rivalen, hetzen gegen ihn (32, 27). Wann diese Vorfälle stattfanden, ob am Hof des Herzogs selbst, entzieht sich unserer Kenntniß. Aber bei Walther’s freundschaftlichem Verhältniß zu Wolfger und den babenbergischen Herzogen hat er oft Gelegenheit gehabt nach Kärnten zu kommen, und wenn er in seinem Wanderspruch desselben Tons (31, 13) unter den Grenzen seiner Fahrten die Mur in der Steiermark nennt, so spricht auch das dafür. In dem nämlichen Ton wird der Patriarch von Aquileja und Herzog Heinrich von Mödling gefeiert (34, 36. 35, 4) und Herzog Leopold bald gescholten, bald erhoben. Endlich richten sich zwei Sprüche dieses Ton, die einzigen datirbaren, gegen die Aufstellung des Opferstockes, die Innocenz III. Ostern 1213 befohlen hatte, um Beisteuern zum Kreuzzug zu erhalten (34, 4. 14).

Mit dem Jahre 1212 gewinnt Walther’s Biographie wieder festeren Boden. Es beginnt der dritte Abschnitt seiner politischen Dichtung: der Wiedereintritt in den Dienst der Reichspolitik. Als nach der Ermordung Philipp’s der von Innocenz gekrönte Otto, wegen seiner Angriffe gegen die mittelitalischen Territorien des Papstes und gegen das päpstliche Lehnskönigthum Sicilien gebannt, nach Deutschland zurückkehrte, um dort den inzwischen ausgebrochenen Aufstand der Fürsten niederzuwerfen, tritt ihm Walther auf dem Hoftag zu Frankfurt (18. März 1212) entgegen und ruft ihm in drei großartigen Sprüchen ein feierliches Willkommen, ein begeistertes Glückauf zu für die Verwirklichung der Kaiseridee (11, 30 bis 12, 18). Der ganze Haß des Sängers gegen die Anmaßung der Curie lodert hier in hellen Flammen auf. Gegen die Uebergriffe des Papstes, gegen die Schmälerung der kaiserlichen Macht durch ihn eifert er mit heißem Zorn. Dagegen sucht er die Gefahren, welche dem Kaiserthum aus der Ueberhebung, den Begierden und der Treulosigkeit der Fürsten drohten, zu verdecken und die Schuld der Wankelmüthigen zu verkleinern. Insbesondere verbürgt er sich mit Emphase für die Treue des Meißners, obwol gerade er den hochverrätherischen Umtrieben gegen Otto in dessen Abwesenheit nahe getreten war. Wir sind leider nicht im Stande, Walther’s Verhältniß zu dem Markgrafen zu durchschauen. Hatte dieser ihn veranlaßt, Otto zu begrüßen? Hatte er ihn als Werkzeug benutzt, um die Gnade und Verzeihung des Kaisers wieder zu gewinnen? Man darf dies bejahen. Aber auch Walther selbst konnte hoffen, wenn er jetzt in bedenklicher Lage Dietrich durch sein bedeutungsvolles Wort gegen den Verdacht schützte, zum Dank dafür von ihm bei Gelegenheit auch dem Kaiser empfohlen zu werden.

Wilmanns hat Walther aus diesem Eintreten für Dietrich einen sittlichen Vorwurf gemacht, ihn der bewußten Lüge geziehen (Leben Walther’s S. 110). Aber wie weit Dietrich an der Verschwörung gegen Otto wirklich thätig mitgewirkt hat, steht keineswegs fest. Winkelmann will an seinen Abfall gar nicht glauben (2, 272, 300 Anm. 4). Die Quellen wissen nur von Dietrich’s Besuch der Naumburger Fürstenversammlung, die für allgemeine Reichssachen ausgeschrieben war und auf der die hochverrätherischen Absichten erst ganz versteckt zu Tage traten. Für die beiden folgenden Zusammenkünfte, die heimliche in Bamberg und die öffentliche, auf officielles Ersuchen des Papstes veranstaltete Nürnberger, welche direct die Absetzung des Kaisers bezweckte, ist seine Anwesenheit nicht bezeugt. Jedenfalls hatte Dietrich, wenn er mit den Verräthern getagt hatte, in letzter Stunde sich von ihnen zurückgezogen. Und Walther durfte wol, [68] ein wenig den Mund voll nehmend, seine Treue engelgleich nennen, ohne mehr zu thun, als er im Dienst seines Herrn vor Gott und Welt nach der Anschauung der Zeit verantworten konnte. Und war eine Unwahrheit dabei, so doch gewiß eine, die auch heute der Sittencodex der Politik – und wäre es die ehrlichste! – nicht verbieten würde.

Die ideale Auffassung, welche Walther von dem kaiserlichen Imperium hegte, steht hier auf ihrer Höhe. Und auch sein Dichterstolz spricht hier in mächtigen Accenten. Die Welt ist ihm zwischen Gott und dem Kaiser getheilt. Von der sonst gewöhnlichen Anschauung einer irdischen, von Gott verliehenen Zweiherrschaft des Papstes und des Kaisers finden wir keine Spur. Als Bote Gottes selbst verkehrt der Dichter mit dem Statthalter Christi auf Erden: mit dem Kaiser. Er überbringt ihm die Klage Christi über die Unterjochung seines Landes durch die Heiden. Erst solle der Kaiser den Frieden in Deutschland durch strenges Gericht wieder herstellen, dann aber das Imperium über das Meer ausdehnen und das heilige Land den Heiden entreißen. So malt sich in Walther’s Vorstellung das höchste Ideal der Kaiserherrlichkeit: im Vaterland gebietend und über den Weltkreis den christlichen Geist verbreitend. Diese glänzende Verherrlichung des Kaisergedankens muthet wie eine Antwort an auf die im Herbst 1211 Otto gewidmeten Otia imperialia des Gervasius von Tilbury, in denen die Lehre von der unbedingten Superiorität des Papstes auch in weltlichen Dingen mit maßloser Uebertreibung vorgetragen und dem verirrten Kaiser vorgehalten wird. Imperium tuum non est, sed Christi; non tuum, sed Petri; non a te tibi obvenit, sed a vicario Christi et successore Petri – so hatte Gervasius drohend gerufen. Walther setzt dem mit hohen wuchtigen Worten das großartige Bild entgegen: Gott der Herr hat auf Erden einen unmittelbaren Vertreter, den Kaiser, mit dem er ohne Mittler verkehrt, der seinen Willen ohne einen anderen Auftraggeber vollstreckt.

Den 3 Kaisersprüchen stellte Walther im gleichen Ton 3 Papstsprüche zur Seite (11, 6, 18. 12, 30), die leidenschaftlich, scharf und höhnisch die Wandlung des Papstes in seiner Gesinnung gegen Otto angreifen. Einst habe Innocenz Otto gesegnet, dem er jetzt fluche. Walther denkt dabei, ohne es auszusprechen, auch an die frühere Zeit, da Innocenz für Otto gegen Philipp Partei genommen hatte. Christus habe den Pharisäern auf ihre versuchende Fragen am Zinsgroschen die Rechte des weltlichen Regiments klar gelegt – der Papst verachte diese Lehre. Einmal müsse das Wort der Pfaffen Lüge gewesen sein: entweder als sie Otto empfahlen oder nun, da sie ihn verwerfen.

Als 1213 Innocenz durch eine Kreuzzugsbulle die Aufstellung von Opferstöcken in den Kirchen anordnete, als er selbst von sich und allen Geistlichen Verzicht auf einen Theil aller Einkünfte verlangte, um für die heilige Angelegenheit der Befreiung des Grabes Christi Mittel zu beschaffen, tritt Walther leidenschaftlich auch dem entgegen (34, 4. 14). Er, der ein Jahr vorher selbst den Kaiser zum Kreuzzug ermahnt hatte, erblickt nun in den Vorbereitungen, die der Papst dazu trifft, nur Habgier und Hinterlist der Pfaffen. So groß aber war die Wirkung der Worte Walther’s, daß nach der Klage Thomasin’s im Welschen Gast (V. 11 163 ff.) er tausende dem Papst abtrünnig machte und vielen anderen ein schweres Aergerniß bereitete. Die Klugheit und die Besonnenheit standen damals nicht auf Walther’s Seite. Aber heute ihm einen sittlichen Vorwurf zu machen aus der Maßlosigkeit seines Angriffs, heißt wiederum gegen ihn unbillig sein, heißt weder geschichtlich noch psychologisch urtheilen. Im März des Jahres 1212 suchte Walther nach jedem Mittel die Popularität des rückkehrenden Kaisers zu erhöhen. Es war die Zeit, da die allgemeinste Begeisterung für die Idee des Kreuzzugs herrschte; es waren die Tage des [69] Kinderkreuzzuges, jener seltsamsten Ausgeburt krankhafter Exstase. Ein Jahr danach war eine schwere Ernüchterung und Enttäuschung eingetreten. Der Papst hatte zur Kreuzfahrt gegen die ketzerischen Albigenser in Südfrankreich und ihr Haupt, den Grafen Raimund von Toulouse, gerufen, und Herzog Leopold war mit einem Heer im August 1212 diesem Aufgebot gefolgt. Bevor die Kreuzfahrer auf dem Schauplatz ankamen, hatte sich aber die Situation völlig vevändert: Graf Raimund hatte durch seinen Beschützer König Peter von Arragonien auf dem Wege diplomatischer Verhandlung beim Papst das Verbot des Kampfes und die Berufung einer Synode durchgesetzt. Alle Kreuzfahrer mußten unverrichteter Sache umkehren und fühlten sich in unwürdiger Weise hintergangen. Gegen Ende des Jahres 1212 oder zu Anfang des Jahres 1213 kamen sie nach Deutschland zurück. Ist es ein Wunder, wenn sie Erbitterung und Mißtrauen gegen die redlichen Absichten der Curie verbreiteten? Schien es nicht so, als sei dem Papst bei der Agitation für einen Kreuzzug die Erhebung der Kreuzzugssteuer die Hauptsache und mußte sich nicht, als im April, wenige Monate nach der beschämten Rückkehr der Albigenserstreiter, der Opferstock für einen neuen Kreuzzug aufgestellt ward, der Verdacht regen, auch diese Steuer werde nur den Clerus bereichern, ohne dem idealen Zwecke zu dienen? Und hatte Walther im politischen Kampfe nicht das Recht, dieser Stimmung, diesem Verdacht, die ihn gewiß selbst beherrschten, rückhaltlos Worte zu leihen? Ging er in seinen Anklagen zu weit, so folgte er dem Irrthum einer leidenschaftlichen, aber begreiflichen Ueberzeugung, die viele mit ihm theilten. Leicht übersehen wir heute von der höheren Warte, auf die uns die Entfernung von sechs Jahrhunderten gestellt hat, Schuld und Verdienst der beiden mit einander ringenden Lebensmächte. Wer aber in diesem fürchterlichen Kampf mitten inne stand als Herold und Bannerträger des Streites, den konnte die allgemeine Hitze verblenden, dem mochte die wilde Brandung der entfesselten Triebe, die grauenvolle Zerklüftung die rechte Uebersicht rauben. Walther war ein Dichter, in dem Phantasie und Leidenschaft, nicht abwägendes Urtheil, streng sondernde Ueberlegung die Oberhand besaßen. So schlug er mit Waffen auf den Feind, wie sie ihm gerade tauglich und wirksam dünkten, im Bewußtsein, seiner guten Sache dadurch zu helfen und einer schlechten zu schaden. Das war ja gerade das Entsetzliche jener Zeiten, daß in der haßerfüllten Erbitterung, in dem Ringen der ungezügelten Willenskräfte, in der chaotischen Auflösung aller staatlichen Grundlagen, wo weder die Autorität des Kaisers noch die des Papstes allgemein feststand, die Begriffe Recht und Gerechtigkeit selbst in den Köpfen der Edelsten zu schwanken anfingen.

Des Dichters Zorn wagt sich noch weiter und erhebt sich zu einer tief einschneidenden Kritik der schwersten Gebrechen der Kirche, ja eines wichtigen Theils ihrer Grundlage. Man wähnt die dröhnenden zermalmenden Schwertschläge Martin Luther’s zu vernehmen, wenn man diese Sprüche Walther’s liest: gegen die Simonie (33, 1), gegen die Habgier und Hinterlist der Curie (33, 11), gegen die Fälschung und Verletzung des göttlichen Wortes durch die zu seinem Dienst und zu seiner Verbreitung Berufenen (33, 21), gegen die sittliche Corruption der Pfaffen, insbesondere ihre Unkeuschheit und Schlemmerei (34, 4). Wenn Walther die Schriften, welche aus der Kanzlei der Curie ausgehen, die Satzungen, auf die der Papst seine Beschlüsse stützt, brandmarkt als ein schwarzes, d. h. nigromantisches Buch des Höllenmohrs, wenn er den Nachfolger Petri Judas schilt und dem Zauberer Gerbert (Papst Silvester II.) vergleicht, wenn er ihn, ergrimmt über die vernunftwidrigen Lehren von der Verwaltung der Gnadenmittel durch die Kirche und ihre schamlose Ausnutzung zu hierarchisch-politischen Zwecken, Dieb und Mörder heißt und jammert, der oberste Hirte sei [70] zu einem Wolf unter den Schafen geworden, wenn er höhnisch ausruft, die zum Himmel den Weg weisen wollen, fahren selbst zur Hölle, so fühlen wir uns von der Macht und Ehrlichkeit dieser innersten Entrüstung noch heute tief ergriffen.

Zum zweiten Mal beschwört Walther seinen guten Klausner (34, 33), und wieder sieht er ihn weinend über die Frevel des Papstes und der Pfaffen. Ein Ton dringt durch alle diese Kampfgedichte wie ein Aufschrei aus gequälter Brust und macht unsere Herzen rascher schlagen: die tiefe sittliche Empörung über den Zwiespalt zwischen Worten und Werken der Kirche und ihrer Glieder. Die Liebe zur Wahrheit, welche den Streitschriften des Wittenberger Mönchs wie denen Lessing’s die wuchtigen Accente, die hinreißende Ueberzeugungskraft gab, sie steht auch hinter diesen Sprüchen Walther’s mit flammendem Schwerte. Er mochte im Einzelnen Unrecht haben mit seiner Verdächtigung und Verurtheilung bestimmter Maßnahmen des Papstes: im Ganzen, in der allgemeinen Auflehnung gegen die im Innersten frevelhafte Politik der Curie hatte er unbedingt Recht, sprach er im Namen des heiligen Geistes der Menschheit. Sanftere, zur Vermittlung geneigte Naturen wie Thomasin von Zirclaria freilich mußten sich von dieser schonungslosen Schärfe verletzt fühlen und bedauern, daß gegen das Haupt der Christenheit so ganz ohne Ehrerbietung der schwerste Vorwurf des Teufelsdienstes erhoben wurde (W. Gast 11 140). Von einem menschlich freieren Standpunkt aus darf Walther auch für die Uebertreibungen seines Ausdrucks kein Tadel treffen. Der Kampf politischer und religiöser Gegensätze ist, so lange in der Welt ringende Menschen leben, nur mit schweren, tiefgehenden Hieben geführt, die den Gegner nicht bloß abwehren, sondern niederwerfen sollen: er hat seine eigene Ethik.

Man muß aber außer allem andern auch noch eins beachten: diese leidenschaftlichen Verdächtigungen gegen den rechten Gebrauch der Kreuzzugssteuern waren ein Strafgericht über die schamlose Beraubung der Krone durch die geistlichen Fürsten, die nicht aufgehört hatten, den Thronwechsel auszunutzen und Kirchlehen wie Vogteirechte an sich zu reißen (Winkelmann 2, 337), und zugleich eine Antwort auf die Ausstreuungen der Gegenpartei. Der Hofkanzler Konrad von Speier hatte seit dem Februar des Jahres 1212 (Winkelmann 2, 287 Anm. 1, 293 f., 336) seinem Herrn die Treue gebrochen. Er bezeichnete dann unter eidlicher Bekräftigung als die Ursache seiner Lossagung die Absicht des Kaisers, durch eine umfassende Reduction der Kirchengüter die Geistlichkeit politisch und social um einige Stufen herunterzudrücken, seine eigenen Machtmittel und Einkünfte aber zu vermehren. Es mögen wol in der Umgebung Otto’s wirklich derartige Wünsche nach einer Annexion der Kirchengüter laut geworden sein (Winkelmann 2, 295 Anm. 1). Zu ihrem Sprecher machte sich einigermaßen auch Walther, und seine Sprüche gegen den weltlichen Reichthum der Geistlichkeit und ihre Untreue können geradezu auf den verschwenderischen Hofkanzler gemünzt sein. Der Dichter wollte wol auch den wirklich von Otto gehegten Plan eines Systems neuer Reichssteuern, das die Centralgewalt des Kaisers zu stärken geeignet war (Winkelmann 2, 336) durch seine poetische Agitation gegen die Kirchengüter unterstützen.

Ein tragisches Geschick scheint es nun aber gewollt zu haben, daß Walther durch die Heftigkeit seiner Angriffe den Verleumdungen der Feinde des Kaisers, die er unschädlich machen wollte, gerade neue Unterlagen schuf. In Frankreich verdichteten sie sich in der Philippis des königlichen Historiographen Willelmus Britto (herausgegeben Mon. Germ. Script. XXVI) zu einer ganzen Rede des Kaisers (Lib. X, V. 566 ff.), worin man diesen den Vorsatz aussprechen ließ, dem Clerus Zehnten, freiwillige Gaben der Gläubigen und Grundbesitz fortnehmen zu wollen. Daraus [71] stellte die Gegenpartei dann einen Prosaauszug her und setzte diesen mit der Unterschrift des Kaisers versehen und dadurch scheinbar zur authentischen Urkunde erhoben als aufreizendes Flugblatt in Italien und Deutschland in Umlauf (veröffentlicht von Winkelmann, Sitzungsber. der Münch. Akad. Phil.-hist. Cl. 1876, S. 666 ff.).

Walther hat für diesen Kampf im redlichsten Eifer also selbst den Gegnern Waffen schmieden helfen. Und das ist, wie ich nicht zweifle, für sein weiteres Verhältniß zu Otto verhängnißvoll geworden.

In dieser Zeit, wo Walther’s politische Dichtung ihren Zenith erreicht, gestaltet sich sein äußeres Leben am unfreundlichsten. Er fühlt sich jetzt im Vollbesitz seiner hohen Kunst, aber sein Dichterstolz muß das Bekenntniß der Armuth ablegen (28, 2): auf die Gnade kargender Herren war er angewiesen und zu erniedrigenden Bitten mußte er sich herablassen (28, 33). Freilich verlor er auch jetzt nicht seinen Humor: er gelingt ihm, sein im Grunde trauriges Vagantenleben mit seinen mannichfaltigen Enttäuschungen zur Unterlage für wirksame Scherze zu nehmen, die dem Interesse seiner Gönner dienen und halb auf seine Kosten gehn.

Ich denke dabei an den bisher nicht gedeuteten und nicht datirten tragikomischen Spruch von der verunglückten Bewirthung im Kloster Tegernsee (104, 23). Die Aufklärung gibt eine bisher von den Waltherkennern übersehene Urkunde ohne Datum, die von Pez (Thesaurus Anecdotorum Tom. VI, Cod. diplomat. pars 2, S. 50, Nr. LXXV) aus einer Tegernseer Handschrift herausgegeben, von den Origines Guelficae Tom. III, 820 wiederholt und in die Zeit des Nürnberger Hoftages, d. h. in den Mai 1212 verlegt ist, welcher Bestimmung auch Reg. imp. V, 138 beipflichten. Darin befiehlt Kaiser Otto einem Grafen Otto – nach den Reg. imp. V, Nr. 481 vielleicht ‚von Valai‘ –, die Mönche von Tegernsee wieder in Besitz der ihnen gewaltsam entzogenen Weinberge bei Bozen zu setzen, während dann nachher über die etwaigen Ansprüche an dieselben entschieden werden solle. In der vorübergehenden Weinnoth des gastfreien Klosters Tegernsee findet der Spruch demnach seine scherzhafte Voraussetzung: Walther wirft sich zum Anwalt der Geschädigten auf, indem er fingirt, daß die Mönche ihn hätten ziehen lassen müssen ohne einen guten Trunk nach Tisch, bloß mit dem üblichen Handwasser zur Reinigung nach der Mahlzeit.

Nicht immer konnte Walther sein unstätes Leben so liebenswürdig ironisiren wie in diesem Spruch. Wenn er sich hier ob seiner Wunderlichkeit verspottet (vgl. 104, 26–28), die ihn, der sich selbst nicht verstehe, so viel zu fremden Leuten treibe, so lag dahinter Bitterkeit genug. Denn nicht aus bloßer „Wunderlichkeit“ suchte der Dichter fortwährend fremde Leute auf. Er konnte an Otto’s Hof nicht festen Fuß fassen und auch an andern Höfen fand er damals keine bleibende Stätte. Rührend klingt die Bitte um ein Heim, die der Umhergetriebene, Ruhelose an den Kaiser richtet, daß auch er, statt sich immer als gelittener Gast zu fühlen, endlich einmal das Behagen des Wirthes genieße (31, 23). Otto gab ihm wol Versprechungen, hielt sie aber nicht (26, 23), vielleicht weil er Walther mißtraute wegen seiner früheren Verbindung mit dem Hauptfeinde des Kaisers, dem Landgrafen Hermann, gegen den er vergeblich zu Felde lag, vielleicht aus angeborner Härte und Kargheit, wahrscheinlicher aber weil des Dichters Polemik gegen den Reichthum der Kirche ihm Unbequemlichkeiten hervorrief und seinen Feinden zu ihren Verlästerungen Nahrung gab.

In diesem Augenblick der größten Noth, da der Dichter geradezu vor dem Untergang gestanden zu haben scheint, ist ihm von der gegnerischen Seite Rettung [72] gekommen. Es geschah im J. 1213. Walther entschloß sich, die Partei zu wechseln und fortan Friedrich II. zu dienen.

In einem Gebet an Gott (26, 3) begründet er seinen Abfall offen und ehrlich mit einer Art demüthigen Trotzes gegen die christlichen Gebote unbedingter Nächstenliebe: wie solt ich den geminnen der mir übele tuot? mir muoz der iemer lieber sîn der mir ist guot. Aus den Schlußworten und aus 26, 25 ff. möchte man schließen, die Anregung zu dem Parteiwechsel sei von Friedrich ausgegangen.

Der König mochte, als ein berechnender Politiker, der die Macht der öffentlichen Meinung kannte und zu benutzen strebte, die weithin wirkende Stimme des allbekannten Sängers für sich gewinnen wollen und freier denkend als Otto, dessen Knausern und unfreundliches Wesen die Zeitgenossen vielfach hervorheben, Walther sofort Aussichten auf Belohnung gemacht haben. Walther deutet (26, 27) an, daß Friedrich sich über seine alten sprüche gefreut habe d. h. die Sprüche, welche er einst im Dienst der staufischen Sache für seinen Oheim Philipp gesungen hatte. Aber wir können mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Friedrich, der deutsches Wesen, deutsche Sprache und Dichtung aus eigener Anschauung kaum kannte, von anderer Seite erst auf Walther und seine politische Dichtung hingewiesen worden war. Und wenn nicht alles täuscht, ist es Landgraf Hermann von Thüringen gewesen, Walther’s alter Gönner, der es that.

Hermann war seit November 1210 von Otto abgefallen, hatte gegen seine Heerführer und ihn selbst mit wechselndem Erfolge zu Felde gelegen und Epiphanias 1213 auf dem Hoftag zu Frankfurt offen dem am 5. December 1212 gewählten, am 9. December 1212 gekrönten Friedrich gehuldigt. Dem Landgrafen hatte Walther kurz vorher, im Sommer 1212, durch eine Fürbitte, die er zu seinen Gunsten bei Kaiser Otto einlegte (105, 13), einen Dienst erwiesen, als seine Hoffnung, für seine Sprüche zu Gunsten der kaiserlichen Politik durch Vermittlung des Meißnischen Markgrafen Dietrich von Otto durch Aufnahme in dauernden Dienst und Belehnung belohnt zu werden, zerronnen war, und er sich genöthigt sah, alte Verbindungen wieder anzuknüpfen.

Auf dem Frankfurter Hoftag vom März 1212 hatte Walther sich dem Kaiser gegenüber für Dietrich’s Treue verbürgt. Otto hatte dem Markgrafen in der That Vertrauen geschenkt und am 20. März 1212 mit ihm eine Convention abgeschlossen, worin unter der Verpflichtung des Beistandes gegen den abtrünnigen Landgrafen Hermann und König Ottokar von Böhmen Dietrich die Zusage ertheilt wird, daß sein Neffe Wratislaw, der älteste Sohn Ottokar’s und seiner verstoßenen ersten Gemahlin, der meißnischen Adela, das Königreich Böhmen zu Lehn erhalten solle (Winkelmann 2, 300). Diesen Vertrag hat Walther, wie ich nicht zweifle, im Auge, wenn er bald nachher 105, 27 ff. (Der Mîssenaere solde) zürnend dem Markgrafen sein Lob vorhält und dafür Dank fordert. Die Hyperbel (106, 7), er hätte ihm die Krone erringen können durch seine Rede, wenn er gewollt hätte, enthüllt schwerlich geheime Ansprüche Dietrich’s auf die deutsche Königskrone (Wilmanns, Leben S. 76), sondern bezieht sich auf die böhmische Krone, wie schon Lachmann (zu 11, 6. 12, 3) erkannte. Walther hatte als Entgelt für sein Lob vor dem König seinerseits Lob des Markgrafen verlangt (105, 33). Nicht ohne Wahrscheinlichkeit erklärte Menzel (Leben Walther’s S. 194), unter dem Lobe sei Fürsprache beim Kaiser zu verstehn. Die Rache, welche er dem Markgrafen wegen seiner Undankbarkeit androht, nahm er aber wohl bald danach in der Fürbitte zu Gunsten des Landgrafen Hermann von Thüringen (105, 13): hier wird Hermann’s offener Abfall der feigen versteckten halben Untreue vorgezogen, die nach beiden Seiten Eide schwört und die verrätherischen Genossen nachher angibt. Das ist eine Spitze gegen [73] den Herzog Ludwig von Baiern, der am 20. März 1212 Otto aufs neue Treue geschworen hatte und zu Anfang des December schon zu Friedrich übergegangen war (Winkelmann 2, S. 333) und gegen Herzog Leopold von Oesterreich, der gleich Ludwig im September 1211 auf der Nürnberger Fürstenversammlung die Lossagung von Otto proclamirt, unter Berufung auf den früher geleisteten Eid Friedrich zum König gewählt und durch geheime Botschaft nach Deutschland gerufen hatte, dann im April 1212 aber doch zu Otto übertrat, um schon am 2. Februar 1213 wieder zu Regensburg Friedrich zu huldigen (Juritsch S. 416 f. 423 f.) Besonders eine Spitze aber auch gegen Dietrich von Meißen, der mit der Verschwörung des Jahres 1211 eine Zeit lang sympathisirt, dann sich von ihr zurückgezogen und dem Kaiser Eide geleistet hatte. Im Frühling erfuhr man in Thüringen, daß der Kaiser ein Heer sammle, um den Landgrafen zu züchtigen. Verhandlungen mit den einzelnen Fürsten verzögerten die Heerfahrt bis in den Juli. Unmittelbar vor der Aufnahme der Feindseligkeiten meldete ihm Wolfger von Aquileja, daß Friedrich seit dem 1. Mai in Genua war. Es bestand also die Gefahr, daß er nach Deutschland aufbrechen konnte. Um die schwankenden Anhänger des staufischen Hauses zu fesseln, gab Wolfger den Rath, Otto solle Philipp’s Tochter Beatrix heirathen. Die Vermählung ward auch wirklich sogleich mitten während des Kriegs in Nordhausen vollzogen, während die Belagerung von Weißensee im Gange war.

Wolfger scheint aber auch noch einen zweiten Rath in seiner wohlmeinenden Versöhnlichkeit ertheilt zu haben: dem Landgrafen Hermann die Hand zum Frieden zu bieten. Wenigstens erklärt Otto in seinem Brief an Wolfger vom 30. Juli (Regesta imperii V, S. 140), der die Vermählung anzeigt, er hoffe, Weißensee bald zu erobern und behalte den Boten Wolfger’s, Magister Laurentius, zurück, um durch ihn gleich ein etwaiges Abkommen mit dem Landgrafen zu melden. Otto wollte den Frieden erzwingen, Dietrich von Meißen trieb eine zweideutige Vermittelungspolitik, indem er die Uebergabe der belagerten Stadt unter Bedingungen herbeiführte, die dem Landgrafen unannehmbar waren, sodaß die Besatzung, von ihrem Fürsten zum Widerstand ermuntert, noch nach der Capitulation vom Schloß aus sich tapfer wehrte. Damals, vielleicht während der Hochzeitsfestlichkeit (22. Juli), als der Fall von Weißensee erwartet wurde, suchte Walther, gewiß im Sinne Wolfger’s, vielleicht durch ihn darin bestärkt, Stimmung zu machen für eine völlige Aussöhnung, bei der dem Landgrafen Verzeihung gewährt werden sollte. Damals sang er 105, 13 Nû sol der keiser hêre fürbrechen dur sîn êre des lantgrâven missetât. Der Rath war human und er war politisch, den er dem Kaiser im Augenblick des Waffenerfolges (daher kaiser hêre) gab. Nur durch weitgehendes Entgegenkommen war Hermann zu gewinnen und nur durch den sofortigen Uebertritt dieses zähesten und gefährlichsten Gegners war dem Sieger selbst genützt. Damals also trug Walther seine Bitte vor im Gefühl, sowol des Kaisers als seines Gönners, des Landgrafen, Interesse zu dienen, und gereizt über die damals eben zu Tage tretende Doppelzüngigkeit Dietrich’s, der gegen den Willen seines Schwiegervaters halbe Maßregeln und einen geflickten Frieden herbeizuführen suchte. – Schwerlich dagegen darf man mit Wilmanns (Leben S. 79. 77) bei dem Spruch (105, 13) noch an die Zeit des Frankfurter Reichstages (März 1212) denken, wodurch der Ausfall gegen Dietrich unmittelbar hinter den Lobspruch zu seinen Ehren (12, 3) gerückt würde. Gefruchtet hat Walther’s Bemühung für den Landgrafen nichts, denn Otto ließ sich zur Milde nicht bestimmen und Landgraf Hermann wollte eine Unterwerfung auf Gnade und Ungnade nicht annehmen. So wurde das thüringische Land schonungslos verheert, der Feldzug, ohne Erfolg, fortgesetzt und im nächsten Jahre ohne Glück erneuert. Wir erfahren [74] nicht, daß Walther noch je in ein herzliches Verhältniß zu Otto gekommen ist: als auch sein leidenschaftlicher Kampf gegen den Opferstock, wie oben (S. 70 f.) angenommen ward zum Theil durch seine eigene Schuld, unbelohnt blieb, fand er wahrscheinlich durch Landgraf Hermann den Weg in das Lager des Gegenkönigs. Der Thüringer mochte die Augen des jungen Staufers auf den alten Verfechter der staufischen Reichspolitik gelenkt und dadurch sich für Walther’s Fürbitte im Jahre 1212 erkenntlich gezeigt haben.

Ohne eine Initiative des Königs selbst oder eines Vermittlers würde Spruch 26, 23 Ich wolt hêrn Otten milte nach der lenge mezzen als Zudringlichkeit und der Spaß von 26, 33 ff. plump erscheinen. Friedrich verlieh dem Dichter freilich zunächst, wie es scheint, nur imaginäre Einkünfte, über die der Spruch 27, 7 ff. (Der künec mîn hêrre lêch) nicht ganz verständlich witzelt. Auf dem Frankfurter Reichstag des Jahres 1220 hat Walther dann Friedrich’s Politik durch einen scherzhaften Spruch wirksam unterstützt und hierin sein diplomatisches Meisterstück geleistet (29, 15 Ir fürsten, die des küneges gerne waeren âne).

Es war damals der längst latente Gegensatz zwischen der territorialen Politik der Fürsten und der Politik des Königs in dem Verhältniß zu den Städten hervorgetreten. Wiederholt werden Entscheidungen des Königs zu Gunsten von Städten nachher durch fürstlichen Rechtsspruch wieder rückgängig gemacht (Winkelmann, Kaiser Friedrich 1, 61 f.). Die Fürsten mußten also den mit seinen Interessen in Italien wurzelnden König im Grunde ganz gern über die Alpen und nach Palästina ziehen sehen. Wenn nun Walther ironisch ihnen zurief: „sucht doch, daß ihr ihn los werdet! thut ihm den Willen und krönt seinen Sohn (der als Unmündiger euch wenig stören wird), damit er seine Fahrt antreten kann“, so traf er die geheimen Wünsche der Fürsten ohne Frage wirklich. Und indem er den Willen des Königs und sein Interesse an der Wahl ganz außer Spiel ließ, ja die Wahl sogar als einen Act fürstlichen Strebens nach territorialer Selbständigkeit und Schwächung der königlichen Gewalt hinstellte, kam er dem politischen Kunstgriff Friedrich’s II. entgegen, den Winkelmann (Kaiser Friedrich II. 1, 42) und die Regesta imperii (V, Nr. 1143) genugsam klarstellen. Friedrich führte in seinem Nürnberger Brief an den Papst vom 13. Juli 1220 die Fiction durch, die Wahl seines Sohnes sei ohne sein Wissen in seiner Abwesenheit lediglich durch den Entschluß der Fürsten erfolgt und er habe ihr sogar widersprochen.

Walther erhält von Friedrich zum Lohn für seine Dienste wirklich ein Lehen, vielleicht als Dank für die geschickte Art, wie er Friedrich’s Lieblingswunsch gefördert hatte, also 1220 nach der Wahl Heinrich’s (23. April 1220, s. Reg. imp. Nr. 1112a) kurz vor Friedrich’s Abgang nach Italien. Jubelnd dankt Walther dafür und wenn seine Bitte rührte: lât iuch erbarmen daz man mich bî rîcher kunst lât alsus armen (28, 1), wenn es an das Herz griff, ihn, der über des Lebens Höhe schon hinaus war, so bescheiden um ein warmes Plätzchen flehen zu hören, so treibt dieser Ausbruch kindlicher Dankbarkeit und überschwenglichen Glücksgefühls aus der Seele des großen und reinen Menschen die Thränen in die Augen. Nun war die Zeit des Elends vorüber. Fortan besaß auch er ein eignes Haus und Luft und Wärme. Jetzt fühlte er sich und seinen Sang wieder rein. Er, der von den Nachbarn wie ein Schreckbild angesehen worden war, hatte wieder die Fröhlichkeit und das Zutrauen zu den Menschen gewonnen (29, 3. 28, 37). Den Ausdruck einer fast übermüthigen Stimmung bringt das merkwürdige Gedicht 78, 24 (Der anegenge nie gewan), worin – nach protestantischen Begriffen anstößig – die drei Erzengel ob ihrer Unthätigkeit gegen die Heiden abgekanzelt und mit versteckter Beziehung auf die Friedrich’s [75] politischen Plänen widerstrebenden Fürsten, vielleicht auch auf die kirchlichen Kreise dringend vermahnt werden, endlich ihre Schuldigkeit zu thun. Man glaubt etwas von der Freigeisterei und Ironie des Kaisers, dem bekanntlich das Wort von den drei großen Betrügern Moses, Christus und Muhamed zugeschrieben wurde, in diesen Scherzen zu hören. Waren sie auf die Umgebung des Grafen Diether von Katzenellenbogen († 1245), eines Vasallen der Würzburger Kreise, zugeschnitten, sei es auf dessen eigenen Hof oder auf Würzburger Bischöfe, in denen Diether etwa anwesend war? Daß im selben Ton Sprüche an den Bogner gerichtet sind (80, 27. 35), könnte es nahelegen, ohne es zu beweisen. Wilmanns (Leben S. 142) knüpft das Gedicht an den Frankfurter Reichstag (April 1220) an, wofür auch manches spricht. Jedesfalls hat Walther, dessen tiefe Religiosität so viele geistliche und weltliche Sprüche verkünden, hier der leichten, hart an das Frivole streifenden Weise seinen Tribut entrichtet, in der die Goliarden, seine Vorgänger und Genossen, solche Themata anfaßten und die man nicht mit modernen Augen ansehen darf.

Das Lehen, welches Walther von Kaiser Friedrich empfing, verlegt man jetzt gewöhnlich nach Würzburg und identificirt es mit der dort 1323 nachgewiesenen curia dicta zu der Fogilweide im Sande (Oberthür S. 30; Reuß, W. v. V., Würzb. 1843, S. 7, Anm. 5). Vielleicht thut man aber besser erst eine nochmalige Belehnung, für die 84, 30 dankt, mit jenem Würzburger Hof in Verbindung zu bringen (Wilmanns, Leben S. 120). Jedesfalls besuchte er auch nach 1220 noch Reichstage: am 23. Juli 1224 den Nürnberger Hoftag (84, 14). Er fühlt sich freilich jetzt erhaben über das besitzlose fahrende Volk und stellt sich den auf Gaben Angewiesenen stolz entgegen (84, 18). Vorbei waren jetzt die Tage, wo er boese (geizige) hêrren anflehte (28, 33). Jetzt durfte er sich voll zu den hovewerden rechnen (80, 34), herabblicken auf die Hungerleider, die Musikanten (snarrenzaere) und die Milte der Fürsten preisen, ohne sie am eignen Leibe erproben zu müssen (80, 27). Jetzt scheint er, ohne zu bitten, Geschenke, nicht wie sie Fahrende begehren, Gewänder und dergleichen, sondern einen kostbaren Diamantring, den Schmuck wohlsituirter Leute zu empfangen (80, 35). Auch hier noch die angelegentliche Bemühung um Gunst und Gaben des Grafen, welche für Bedürftigkeit spricht, herauszulesen, wie Paul (Ausgabe S. 11) thut, erscheint gezwungen.

Immer kam er aber noch im Lande weit herum, immer blieb er in bescheidenen Verhältnissen. Jener Spruch auf den Nürnberger Hoftag ward offenbar vor österreichischen Hörern, möglicherweise sogar in der Heimath Oesterreich selbst vorgetragen, und auch nach Thüringen dauerten seine Verbindungen fort, wie eine Warnung an den jungen Landgrafen Ludwig, den Nachfolger seines einstigen Gönners Hermann, zeigt (85, 17). Besonders nah aber trat er dem Erzbischof Engelbert von Köln, den Friedrich während seiner Abwesenheit von Deutschland zum Vormund seines Sohnes und zum Reichsstatthalter eingesetzt hatte. Er wurde Walther, was ihm einst Wolfger von Passau († 1218) gewesen war. Er rühmt ihn, der den Landfrieden mit eiserner Strenge und peinlicher Gerechtigkeit durchführte als Meister der Fürsten, als gewissenhaften Pfleger des jungen Königs (85, 1 ff.) In seinem Auftrag und mit seiner Hilfe will er ein ungehazzet liet zesamene bringen 84, 29: der Ausdruck spielt wohl an auf die Entrüstung, welche Thomasin von Zirclaria im Welschen Gast und dessen Gesinnungsgenossen über Walther’s für Otto gedichtete Papstsprüche geäußert hatten. Für Walther’s Selbstgefühl ist diese Wendung charakteristisch: er sieht sich als den gleichgestellten Mitkämpfer Engelbert’s an. Wilmanns glaubte dies geplante Lied im Kreuzlied 14, 38 Allerêrst lebe ich mir werde entdecken zu dürfen und setzt dies danach ins Jahr 1224. [76] Allein es erscheint undenkbar, daß bevor wenigstens ein Theil des Heeres die Kreuzfahrt angetreten hatte, Walther wie aus eigener Anschauung über das heilige Land sollte geredet haben.

Nachdem Gregor IX. am 29. September 1227 über Kaiser Friedrich wegen der abermaligen Verschiebung des wiederholt gelobten und immer wieder vertagten Kreuzzugs den Bann ausgesprochen und damit seine oft kundgegebene Drohung nun endlich verwirklicht hatte, trat Walther wieder lebhaft in dem Dienst der kaiserlichen Politik hervor. Friedrich betrieb nun, obwol gebannt, mit größtem Eifer die Kreuzfahrt, um so aller Welt zu beweisen, wie ungerecht die vom Papst erhobene Anklage sei, daß er nur nach Vorwänden gesucht habe, das Unternehmen von sich zu wälzen. Authentische und untergeschobene Schreiben suchten damals seine Sache zu vertheidigen und den Papst zu widerlegen. Auch Walther’s Dichtung bewegt sich ganz in diesen Gedanken, dreht sich eine Zeit lang nur um den Kreuzzug. Sieben Strophen in zwei verschiedenen Tönen (13, 5; 124, 1) sprechen in ergreifender Trauer aus, wie dieser neue Zwiespalt zwischen Kaiser und Curie die Gemüther aller Patrioten erschütterte. Zum dritten Mal ruft Walther seinen guten Klausner auf (10, 33), den Typus der nationalgesinnten, reichs- und kaisertreuen Geistlichkeit, der rechten pfaffen (10, 22). Alles Feste schien ihm zu wanken (13, 12); er fühlte in der Luft den Athem des nahenden furchtbaren Sturmes, der alles darniederreißen und nach oft wiederholten Prophezeihungen (Zarncke, Literar. Centralbl. 1869, S. 679, Wilmanns zur Stelle) dem jüngsten Gericht vorangehen sollte. Der Ausdruck schwebt dabei so eigenthümlich zwischen Gegenwart und Zukunft, daß Lachmann’s meist nachgesprochene Beziehung auf den historisch bezeugten Sturm des December 1227 der vollen Sicherheit entbehrt. Der Sinn des Bildes ist klar: nû suln wir fliehen hin ze gotes grabe.

In langhallenden, schmerzlich klagenden Accorden enthüllt des alternden Dichters wehmüthigster Gesang, auf dem die Weihe des Sterbens liegt, tiefsinnig den geheimen Schmerz des menschlichen Daseins (124, 1): vergeblich, vergänglich alles irdische Wirken des Einzelnen, nichts als eitel Stück- und Blendwerk; das Leben wie ein Traum, wie ein langer Schlaf, aus dem man plötzlich erwacht und sich nun nicht zurechtfindet. Jedem ernst angelegten Menschen erscheint dieser vernichtende Augenblick, da die Illusionen zerrinnen, da die Ideale, die so lange täuschend lockten, in unerreichbarer Ferne wie Nebel verschwinden, da die Hülle vor den Augen fällt, da man aufschreckt aus Hoffnung und Liebe und die glänzende farbige Welt ihren innern finstern Kern, die nächtigen Tiefen des Todes aufdeckt. Nun kommt der Dichter sich fremd, nichtig, verlassen, unverstanden vor: rings um ihn haften die Menschen fort in ihrer Dumpfheit, sie begreifen nicht was ihn erschüttert, der in die tragischen Abgründe des menschlichen Lebens wie ein Seher, wie Epimenides hineinblickt und von dem Schauer irdischer Bedürftigkeit geschüttelt wird. Nach oben richtet er, als mittelalterlicher Mensch, als Christ das Antlitz, müde von Leben und Kampf; aufwärts lenkt er die Augen der Hörer. Und zu ihm dringen himmlische Harmonien des Trostes. Aus den Sphären seliger Vollkommenheit ertönt ihm die Gewißheit der Erlösung: die Aufopferung im Dienste des Kreuzzugs kann die ewige Krone gewinnen.

Wann die beiden eigentlichen Kreuzlieder 14, 38 und 76, 22 entstanden sind, läßt sich nicht sicher angeben. Das letztere, für den Zug der Kreuzfahrer als Chorgesang bestimmt, könnte schon bei dem ersten Aufbruch zum Kreuzzug Friedrich’s (Juni 1227) gedichtet sein, an dem unter anderm Landgraf Ludwig von Thüringen mit einem stattlichen Gefolge Theil nahm (Winkelmann, Kaiser Friedrich II. 1, S. 326 f.). Der Kaiser selbst trat dann mit dem Hauptheer [77] die Fahrt im Sommer 1228 an. Dagegen knüpft das Lied G. Wolfram (Zeitschr. f. d. Alterth. 30, 126 ff.) an die Encyclica des Papstes Honorius III. vom December 1216 und verlegt es demnach in den ersten Theil des Jahres 1217, vor den Aufbruch der süddeutschen Theilnehmer, zu denen auch Herzog Leopold von Oesterreich gehörte. Das Lied 14, 38 unterliegt in Bezug auf die Realität seines Inhalts verschiedener Beurtheilung. Ist es wirklich der Herzensausdruck der Empfindungen auf heiliger Erde, gedichtet beim ersten Anblick der ersehnten Stätte, was mir persönlich am glaubhaftesten erscheint und wofür eine richtige Deutung der Elegie manches geltend macht, nahm Walther also wirklich am Kreuzzug Theil, so konnte er bereits im Sommer 1229 wieder nach Deutschland heimgekehrt sein.

Welche Beziehung Walther zu Friedrich’s Sohn, dem jungen König Heinrich besaß, läßt sich nicht ins Reine bringen. Von der unmöglichen Annahme, er sei ihm zum Erzieher beigegeben worden, die man durch den Spruch vom ungerathnen eigenwilligen Kinde (101, 23) begründen wollte, ist natürlich abzusehen. Der Warnung vor übereilter Liebe (102, 1 ff.) könnte des vierzehnjährigen Heinrich’s vorzeitige Ehe mit der fünfundzwanzigjährigen Margarethe von Oesterreich vorschweben. Gegen Engelbert’s Absichten, der andere Vermählungspläne gehegt hatte, 1225 unter dem bösen Vorzeichen seiner Ermordung geschlossen, führte diese Verbindung bald zum Versuch der Trennung (Winkelmann, Kaiser Friedrich 1, 460. 462 Anm. 2, 463; Juritsch, Gesch. der Babenberger, S. 490. 526). Der Spruch 102, 15 ff., welcher über Mißregierung unerfahrener Reicher klagt, kann die Anmaßungen der Ministerialen unter König Heinrich im Sinn haben und beeinflußt sein durch den Verdruß über des Königs Zerwürfniß mit seinem Schwiegervater Leopold und dem Herzog Ludwig von Baiern (Weihnachten 1228, s. Winkelmann, Kaiser Friedrich 1, 517 ff.). Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß diese Sprüche jene Verhältnisse berühren. Doch muß man das selbwahsen kint (101, 23) zunächst allegorisch auf allgemeine Zustände deuten: nicht zwar mit P. Walther (Germania 30, 310 ff.) auf die Jugend, sondern auf die höfische Gesellschaft und höfische Kunst, wie sie sich unter der Theilnahme der jungen Generation, insbesondere wohl des jungen König Heinrich entwickelt hatte. – Andere ähnliche Ereignisse der Zeit erlauben keine so gute Anknüpfung: Die Empörung des österreichischen Prinzen Heinrich gegen seinen Vater Leopold (1227), zu der ihn die Einflüsterungen ränkesüchtiger Menschen bewogen hatten (Juritsch S. 493), die Verstoßung der Gemahlin des Prinzen Friedrich von Oesterreich, Sophia (1229, s. Juritsch S. 507).


Neben der politischen Dichtung Walther’s steht seine gnomische an Glanz und Reichthum etwas zurück. Sie öffnet uns den Einblick in seine sittlich-religiöse Weltanschauung. Und auch in ihr offenbart sich seine ganze herrliche Persönlichkeit, die volle Größe seiner poetischen Kraft. Denn auch diese Lehrdichtung ist durchaus Gelegenheitsdichtung im höheren Sinne, Poesie des persönlichen Erlebnisses, der persönlichen Erfahrung, Stimmungsbild. Nicht abstracte Weisheit, nicht kahle schattenhafte Theorie. Auch hier quillt und wächst alles aus seinem bewegten Herzen, aus seinem lebhaften Temperament, seinem natürlichen Witz, seiner regen Beobachtung, seiner warmen Menschlichkeit. Nur zum Theil freilich sind wir im Stande, das persönliche und zeitgeschichtliche, das momentane Element dieser didaktischen Sprüche ganz herauszufühlen, noch seltener können wir es bestimmt nachweisen.

Die tiefen Fragen nach der Möglichkeit sittlichen Lebens haben Walther [78] nicht ruhen lassen. Der Besitz, das guot, schien ihm die Quelle alles Uebels. Die Ehre bei den Menschen sollte jedem höher stehn, und über allem Gottes Huld. Diese drei Begriffe sieht er vor sich wie drei Mächte in unversöhnlichem, immer erneutem Kampf, und die erschütternde Tragik des menschlichen Lebens erkennt er in diesem nie endenden Ringen (vgl. 8, 20. 20, 20 ff. 22, 25 ff. 31, 15 ff.). In der kriegserfüllten Zeit sieht er sich von den Schrecken der Gewaltthätigkeit und der Laster wie von Wegelagerern umgeben (26, 13). Der arme Schelm, der so lange vergeblich selbst auf ein Stückchen Besitz zum Ausruhen hoffte, hatte der Noth der Zeit, der Habgier und dem Egoismus der Könige und Fürsten, der Kirche, des Adels auf den Grund gesehen, wenn er, seine Weltwanderung überblickend zornig aufschreit: sô wê dir guot! du enbist niht guot: dû habst dich an die schande ein teil ze sêre (31, 21). Und mit Stolz sondert er sich von der großen Menge, die Besitz erwirbt ohne nach dem Wie zu fragen.

Beständigkeit und rechtes Maß, das sind die sittlichen Ideale, welche Walther aufstellt. Nicht Schönheit lobt den Mann, meint er, woraus Schönbach (Leben S. 169) wohl etwas voreilig schließt, er selbst sei nicht schön gewesen, sondern Entschlossenheit, Freigebigkeit und Stäte (35, 27). Er entwirft von dem Untreuen das abschreckende Bild eines Ungeheuers (29, 4). Er betheuert, seinerseits immer einem Hofe treu zu bleiben, wo man ihn wahrhaft hofgemäß d. h. aufrichtig und gütig behandele, und sagt sich von einem treulosen Fürsten (Dietrich von Meißen? Otto?) los (30, 9). Er ruft Gott an, die Falschen, die Aalglatten zu strafen (30, 19). Er klagt über die Treulosigkeit zweier Fürsten (Dietrich von Meißen und Ludwig von Baiern?) gegen ihn (30, 29 bis 31, 12). Er verwünscht den lügnerischen Rathgeber eines Fürsten (des Herzogs von Kärnten?), der seinen Herren verleite, gegebene Versprechungen nicht zu halten (28, 21). Er vermißt in der Welt die alte Treue, Redlichkeit und Freundschaft (38, 10); er rühmt den Segen eines zuverlässigen Freundes und warnt vor den wankelmüthigen, die wie eine Kugel fortrollen (79, 25).

Man kann Angesichts dieser Wiederholungen desselben Gedankens eine Empfindung und eine Frage nicht unterdrücken. Die Empfindung: nichts hat Walther in seinem wechselreichen Leben mehr ergriffen als die immer wieder gemachte schmerzliche Erfahrung der Untreue. Und gewiß gedieh in den unseligen Jahren der doppelten Königswahlen, der Kämpfe zwischen geistlicher und kaiserlicher Gewalt Verrath, Wankelmuth, Hinterlist wie nie zuvor. Aber man muß doch die Frage aufwerfen: hat nicht auch Walther an dieser Krankheit der Zeit Theil genommen? war nicht auch er wankelmüthig? In der That hat man ihm das oft vorgeworfen. Aber schon Lachmann urtheilte (zu 11, 6) im wesentlichen richtig: „Das Schwanken der politischen Ansicht unseres Dichters ist nur scheinbar. Der echte König ist ihm der die Königskrone auf dem Haupte trägt.“ Wenn er Otto verläßt und zu Friedrich übergeht, so muß man bedenken, daß er weder ein persönliches näheres Verhältniß zu Otto hatte, der ihm dem Süddeutschen gewiß als Sachse fremd und anthipatisch blieb, noch an ihn durch wirkliche unkündbare Dienstmannschaft (s. oben S. 53) geknüpft war, daß er Friedrich selbst, dem er sich nun zuwandte, nie bekämpft hatte – denn Spruch 25, 22 ist nicht auf die Wahl Friedrich’s zu beziehen –, daß dem jungen Staufer als Mitglied der legitimen Kaiserfamilie von Anfang an sein Herz zufallen mußte. Doch wird man bei Walther’s Parteinahme in der Reichspolitik mehr als bisher geschehen ist den Einfluß der Fürsten, deren Dienst er gesucht hat, in Anschlag bringen müssen, und, wie oben (S. 54) dargelegt, den Rechtsbegriff des mittelalterlichen Dienstes überhaupt. Walther warnt im Sinne der Moral seiner Zeit und doch wol auch im Sinne jeder auf das Leben gegründeten, gesunden Moral [79] vor Dienst ohne Lohn oder für wohlfeilen Preis (81, 15). Wer will ihn darum anklagen, daß er nach dieser Ueberzeugung gehandelt und sich nicht umsonst hat finden lassen? Er beansprucht in einem andern Gedicht das Recht, unstäten Gönnern nicht die Treue zu halten: wer ihn wie einen Ball aufhebe, dem rolle er davon wie ein Ball, aber Treue erwidere er mit vollwichtiger, festgefügter Treue (79, 33). Zu dem Gebot der christlichen Moral dagegen, auch den Feind zu lieben. bekennt er offen, sich nicht aufschwingen zu können (26, 3).

Wer aber dennoch zweifelt, ob Walther immer auf dem rechten Weg sich gehalten habe, der versetze sich einmal ernsthaft in die Zeit seines Lebens. Welche Gewissensangst bedrängte und verwirrte damals alle tieferen Gemüther, da die höchste Autorität des Staates und der Kirche zwiespältig wurde und in unversöhnlichem Kampfe lag. Hohe Geistliche sehen wir an dem innern Zweifel darüber, wohin die Pflicht sie ruft, förmlich zu Grunde gehen. Bischof Gardolf von Halberstadt ward durch die Verzweiflung über die widersprechenden Gebote seines weltlichen und seines kirchlichen Oberhauptes auf das Krankenbett geworfen und starb an den Qualen seiner Seele (Winkelmann 1, 228). Sein Nachfolger im Bisthum Konrad von Krosigk (s. oben S. 65) konnte, als er wegen seiner staufischen Gesinnung excommunicirt wurde, dies nicht ertragen, entfloh seiner innern Bedrängniß durch eine Pilgerfahrt ins heilige Land und ging später ins Kloster. Erzbischof Johann von Trier bat, als ihm unter Androhung des Bannes befohlen wurde, mit seinen Geistlichen und Dienstmannen zu Otto überzutreten, in der Ueberzeugung, daß jene ihm den Gehorsam verweigern würden, wenn er sie zum Abfall von Philipp auffordern wollte, den Papst um die Enthebung von seinem Amt (Winkelmann 1, 263). Ein Jahrzehnt später, als sich der Streit um die Krone erneute, waren solche Gewissenskämpfe seltener geworden: damals schien „die politische Ehrenhaftigkeit den Großen Deutschlands, wenige ausgenommen, vollständig abhanden gekommen“ (Winkelmann 2, S. 329).

In dem Labyrinth der Parteiwandlungen jener Tage haben sich die Mächtigsten verirrt, den Wegweiser des sittlichen Gefühls verloren. Walther aber, der Abhängige und Gebundene hat sich den Schild seiner politischen Grundsätze rein erhalten: er wechselte die Personen, denen er anhing, aber er verleugnete nicht die Sache, für die er focht.

In den Tagen des ungezügelten Kampfes, der schrankenlosen Leidenschaften entwickelte sich die wunderbare Mischung der Walther’schen Poesie: heiteres Behagen und nervöse Ungeduld; übermüthigste Laune und hellster Optimismus neben tiefster Niedergeschlagenheit, zorniger Unzufriedenheit, düsterster Melancholie; liebenswürdigster neckender Humor, spielende Grazie, unerschöpflicher Witz und flammender Haß, wuchtendes Pathos, glühende Begeisterung. Durch alle diese scheinbaren Widersprüche leuchtet immer des Dichters menschliches Gesicht, sein klares Auge, schlägt sein tapfer ehrliches Herz, athmet die Lebenskraft seiner hohen Seele.

Er ging seinen Weg durch alle Schrecken der äußeren und inneren Untreue, des Verraths und Undanks, der Lüge und Heuchelei, der Habgier und Hinterlist, das Haupt erhoben, die Augen fest auf die ewigen Güter gerichtet. Schwer und leidvoll war dieser Weg für den Mann, der keine andere Macht und kein anderes Gut besaß als seine Worte. Und trübe genug schien ihm, dem Heiteren, oftmals die Zeit, in der er lebte. Wie ungerecht beurtheilen ihn aber die unter den modernen Forschern, welche ihm das Bewußtsein von den Pflichten des Einzelnen gegenüber dem Ganzen absprechen, die ihm vorwerfen, er habe den Eigennutz und die Untreue der Fürsten leicht genommen.

Die so reden, haben wohl niemals mit offenem Sinn und bereitem Herzen jene beweglichen Klagen gelesen, die er, der von Natur gewiß kein Schwarzseher war, über den bösen Zustand der Welt immer aufs neue erhebt, über die Verdrossenheit [80] und den Trübsinn, über die Unehrenhaftigkeit (59, 37), über die Entartung der jungen Generation (23, 11. 26; 24, 3), das Schwinden der alten ritterlichen Sitte (124, 25), des höfischen Sanges (64, 31). Wenn man auch beobachten kann, wie ihn allmählich das Alter und schlimme Erfahrungen verdüstern, so findet sich dergleichen doch auch schon in der Periode seiner Jugend, ja gerade schon in seinen allerältesten Gedichten: 90, 23–38. Und wer allem diesem nicht glaubt, den wird doch der Herzenslaut jener todestraurigen Strophe treffen (58, 21), in der Walther denen, die von ihm neue Lieder heischen, entgegnet: nû mugen si doch bedenken die gemeinen nôt wie al diu welt mit sorgen ringe. Wie das Vöglein des Waldes nicht singen wolle, bevor es Tag wird, so auch der Dichter nicht, ehe nicht die furchtbare Nacht der Schrecken vorüber ging und wieder Sanges Tag anbrach. So redet nur ein von dem sittlichen Elend der Zeit tief verwundetes Gemüth. Das war die Stimmung, die Angesichts der Entsetzen des Zeitalters so viele der Edelsten in die Klöster trieb. Soll man Walther heute es verdenken, daß nicht auch er seine göttliche Begabung in die Einsamkeit des Mönchsdaseins vergrub? Höher, sittlicher war doch wol, daß er hinaustrat in den Kampf der Welt und für die Dinge stritt, an denen sein warmes Herz hing, daß er in diesem Kampf aushielt, trotz aller Zumuthungen an sein Gewissen und aller Opfer, die er seinem Empfinden bringen mußte. Gewiß, er war kein politischer Cato, kein moderner Gesinnungsdoctrinär, kein abstracter Idealist, – nur völlig ungeschichtliche Betrachtung kann sich darüber wundern oder bekümmern – er war eben ein Mensch und zwar ein mittelalterlicher Mensch. Aber es ist eine Blasphemie, wenn Heißsporne der „realistischen“ Geschichtsauffassung, der für Walther den Weg haben brechen zu helfen, ich selbst mich rühmen kann, behaupten: seine Ideale dienten ihm mehr als Werkzeuge für die täglichen Zwecke als daß sie heilige Ueberzeugungen und Ziele waren, die sein Dasein durchdrangen und richteten. Es ist eine kurzsichtige Uebereilung oder der Stumpfsinn eines verhärteten Gefühls, wenn man Walther mit den käuflichen, gewissenlosen Journalisten unserer Tage auf eine Stufe stellen will, die bald nach rechts bald nach links schreiben, je nach Bedarf und Vortheil, und von all den hohen und heiligen Begriffen, die ihres Mundes Rede überfließend verkündet, innerlich nichts glauben. Man begehre nur nicht das Unmögliche, nicht bloß historisch, sondern psychologisch Unmögliche: ein Politiker ist kein Gesetzgeber der Sittlichkeit und ein Dichter ist kein Held consequenter, unwandelbarer Principien. Walther war sowohl Politiker als Dichter – wie sollte er da sich zum moralischen Richter über die Machthaber aufwerfen und seinen Dienst nur denjenigen weihen, deren sittliche Makellosigkeit ihm unzweifelhaft erschien! Er, der in menschlichster Demuth, in echtester Religiosität sich der eigenen Fehlbarkeit, Schwäche und Kleinheit so tief bewußt war (vgl. 24, 18; 26, 3; 10, 1 ff.), und das mit Worten aussprach, die nur leere Gemüther unerschüttert lassen können.

Walther trug von Anfang an in seiner Brust eine hohe ideale Vorstellung von den Aufgaben seiner Kunst. Er war und blieb zeitlebens der Apostel einer vornehmen, sittlichen, weltlichen Bildung. Er glaubte an das Evangelium der wahren höfisch-ritterlichen Cultur, welche im Diesseits wurzelnd und sich bemühend, alle edeln Kräfte des Menschen entwickelnd, neben und außerhalb der kirchlichen Askese ihren eigenen Weg ging, der aufwärts führte zu der Höhe echter Religiosität, in jene überirdischen Regionen, von denen sie ein Abglanz war. Gleich Wolfram (Titurel 51, 2) leuchtete ihm der Stern einer tiefsinnigen Auffassung der Minne: Himmel und Erde schien ihm diese gewaltigste aller Lebensmächte zu durchdringen und mit einander zu verbinden (82, 9. 10).

Walther bekannte sich, so wenig das Schicksal ihn auf eine glänzende Höhe [81] gestellt hatte, nicht zu einer demokratischen Lebensanschauung. Von seinem ersten Auftreten in Wien an, da er sich bestrebte, in der Hofgesellschaft eine gesicherte Stellung zu gewinnen, bis zu den letzten Aufrufen im Dienste des Kreuzzugs, immer will seine Kunst vornehm sein und den höheren und höchsten Gesellschaftskreisen dienen. Er respectirt die Schranken der Standesgliederung wie die Ordnung der Natur als etwas Heiliges: die Mâze verlangt, daß Niemand den ihm einmal verliehenen Posten verlasse, nicht aus der angeborenen Sphäre hinausstrebe. Laien und Pfaffen, Pfaffen und Ritter, Weiber und Männer, Junge und Alte – alle sollen ihrer Art und ihrem Recht treu bleiben und nicht über den Bezirk ihres Wesens hinwegspringen (80, 3–26). Er, der selbst seiner Lyrik den Charakter standesmäßiger Exclusivität abgestreift und sie aus den eingeschränkten Kreisen conventioneller Sitte befreit hatte, der aus der höfischen Manier je länger je mehr zur künstlerischen Freiheit empordrang und immer tiefer aus den Quellen volksthümlicher Anschauung, Bildlichkeit und Dichtung schöpfte, ist weit entfernt von jedem Hochmuth der Engherzigkeit: die Gebote christlicher Humanität leben in seiner Seele; wie ein mittelalterlicher Hamlet fragt er, wer die nackten Gebeine der Herren und der Knechte nach dem Tode scheiden könne; in der Gesinnung seines großen Zeitgenossen, Kaiser Friedrich’s II., verkündet er, daß Christen, Juden und Heiden, die ganze Menschheit ohne Grenze der Religion, dem Herrn alles Wunders, dem Herrn des Lebens dienen (22, 7). Wie weit steht diese Anschauung ab von der Gesinnung eines Herzog Leopold, des „Ketzersieders“ oder auch nur eines Thomasin! Und doch ist und bleibt Walther in seiner Kunst Aristokrat. Stellte Wolfram ein Ideal für Menschenbildung auf, indem er ritterliche Mannhaftigkeit, die Treue, die Beherztheit, die unzerstückelte Einheit der Persönlichkeit in den Vordergrund rückte, so predigt Walther mehr die Pflege der inneren Tugenden und erwartet das Heil von den sanfteren Mächten der Schönheit, der geklärten Form, der geläuterten Sitte, der Bildung des Herzens. Die êre, die werdekeit, die hövescheit, die fuoge sind und bleiben die Gebieterinnen, denen seine Kunst treu nachfolgt, die sie verherrlicht. Wolfram ist mehr der Aristokrat im Sinne einer älteren Lebensauffassung, der sich wahrer Adel allein durch kriegerische Tüchtigkeit darstellt und erprobt. Walther bekennt sich zu einer Aristokratie der Seele. Wolfram entwirft Idealbilder für seine Standesgenossen, für die Ritterbürtigen und ritterlichem Kriegsdienst Ergebenen. Walther redet zu einer großen Gemeinde aller Stände, die ein gemeinsamer Cultus verfeinerter Menschlichkeit verbindet. Der Mittelpunkt dieser Gemeinde sind für Walther die Höfe, und das höfische Leben, wie es sein Poetenauge fortwährend, ganz deutlich, aber in unerreichbarer Ferne vor sich sah, sollte das neue Ideal weltlicher Bildung, das Ideal eines Adels des inneren Menschen verwirklichen. Es waren Träume, gleich denen, die später der unglückliche Tasso träumte, die im Frankreich Ludwig’s XIV. den Besten, die im achtzehnten Jahrhundert den Führern der großen deutschen Geistesbefreiung vorschwebten.

Der einsame Dichter, der sein Leben lang um die äußere Existenz rang, wie konnte er sein hohes Ideal siegreich behaupten gegen eine Welt von Mißverstand, Roheit und Neid!

Am Hof zu Thüringen beschwert ihn das rohe Treiben der ritterlichen Raufbolde (20, 4) und dort wahrscheinlich auch später ein neidischer kritisirender poetischer Concurrent Hêr Wîcman (in C Volcnant), den er mit harter Hohnrede abfertigt (18, 1). In Thüringen läßt ihn, wie er ein ander Mal klagt (103, 29), ein Schwarm lärmender Sänger mit behendem Mundwerk nicht zu Wort kommen, sie ersticken gefüeges mannes doenen mit wüstem Geschrei, das den Kunstverständigen anmuthet wie Mönchsgegröhle auf dem Chor. Man [82] begreift aus dieser stolzen Verachtung des Gesangs der Mönche, warum Gottfried von Straßburg in seinem Tristan so nachdrücklich preisend die musikalische Seite der Lieder Walther’s hervorhebt. Der Hofstaat des Landgrafen erschien Walther wie ein ungejäteter Garten voller Unkraut (103, 13). Am Hofe des Kärntners machen ihm die hovebellen das Leben schwer, jene Klätscher und Neider unter dem Hofgesinde, die seinen Sang verkêren d. h. falsch und böswillig entstellen und auf diese Auslegung Verleumdungen gründen (32, 27). Am Hofe Leopold’s hat sein ‚höfischer Sang‘ viele Feinde und wie es scheint, haben diese sich einen anderen Kunstgenossen, der Stolle hieß, zu ihrem Wortführer erkoren (32, 7, über ihn nicht überzeugend, aber im Einzelnen beachtenswerth Lampel, Blätter d. Vereins f. Landeskunde Niederösterreichs 26, 261 ff., 27, 111 ff.). In der Umgebung des Grafen von Katzenellenbogen bereiten ihm plebejische Sänger üble Laune, die er als snarrenzaere zur Ruhe weist und die, wie es scheint, aus Mittel- oder Norddeutschland stammten, da er sie als Polen und Russen lächerlich macht (80, 30 ff.). Der landschaftliche litterarische Gegensatz zwischen dem höfisch-ritterlichen Süden und den volksthümlich-demokratischen, bürgerlichen, mittleren und nördlichen Gegenden Deutschlands, der im 13. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte (Burdach, Reinmar und Walther, S. 134 ff., Roethe, Reinmar von Zweter, S. 239 ff.), wird hier und in Walther’s Verhältniß zum Thüringer Hof bemerklich.

Schwieriger aber und schmerzlicher war der Kampf, den er für seine Kunst gegen begabte Sänger, nach oben und nach unten hin, zu führen hatte. In Wien hatte er sich gegen die unlebendige Manier, gegen die Saftlosigkeit und Monotonie, gegen die Enge und Leere der modischen Gesellschaftspoesie eines Reinmar zu wehren gehabt; ein Lied des unsympathischen Lehrers und Rivalen überschüttet er mit beißendem Spott (111, 23 ff.); Reinmar wiederum stichelt mehrmals gegen seine angebliche Unzartheit (Wilmanns, Leben, S. 450 f.); und Nachklänge des zwischen beiden Dichtern bestehenden Gegensatzes vernehmen wir noch in Walther’s Nachruf, so warm er die Kunst des älteren Meisters auch rühmt (83, 5). Er selbst hatte den Minnesang aus seinen verstiegenen Bahnen, aus der Welt eines Pseudo-Idealismus in das reale Leben herabzuholen gestrebt. Wegen seiner freieren, menschlicheren Auffassung des geselligen Lebens und seines Widerstandes gegen die Uebertreibungen der höfischen Galanterie mußte er immer wieder Anfechtungen erfahren. Diese Angriffe mußte er pariren, er mußte den Verleumdungen gegenüber, daß er die den Damen schuldige Ehrerbietung verletze, sich auf sein unsterbliches Preislied der deutschen Frau (56, 14) berufen (58, 34). Den Auswüchsen höfischer Cultur widerstrebte sein gerader Sinn und sein einfaches Herz (vgl. 70, 22): er suchte der Natur, der Wahrheit näher zu kommen; er führte der höfischen Dichtung frischeres Blut aus der Sphäre des volksthümlichen Geschmackes zu. Nun aber schritt die Entwicklung, die seinem genialen Anstoß folgte, über ihn hinweg. Aus der übergeistigen Höhe herabsteigend, fiel die deutsche Lyrik nach der andern Seite in Uebertreibung: es erstand als Reaction gegen die Verbildung und Verzärtelung die höfische Dorfpoesie Neidhart’s von Reuenthal (A. D. B. XXIII, 395 ff.) und seiner näheren und entfernteren Schüler, unter denen Gottfried von Neifen (XXIII, 401 ff.), der Tannhäuser (XXXVII, 385 ff.) und Ulrich von Winterstetten (XXXI, 68 ff.), die hervorragendsten sind.

Dieser Strömung setzte sich Walther mit allem Nachdruck entgegen: er wollte keiner dieser Modernen sein; ich bin niht niuwe (kein Neuer) ruft er voll Stolz (Hildebrand, Zeitschr. f. d. Alterth. 38, 5 ff.). Bitter und zornig muß er am Hofe oder in der Umgebung Leopold’s seinen Platz vertheidigen gegen die Störer des höfischen Sanges, gegen die unhöveschen, die nun am Hofe genehmer [83] seien als er (31, 33 ff.). Er klagt über mannichfache Mißhandlung, der er ausgesetzt ist, und droht, sich zurückzuziehen und dadurch allen ein Leid zu bereiten (Lachmann S. 185, 31 ff.); er geißelt die Undankbarkeit und Unberechenbarkeit der Welt, d. h. der Gesellschaft (59, 37. 116, 38. 117, 15 ff.). Und auch mit dem selbwahsen kint, dem er 101, 23 den Dienst aufkündigt wegen seiner Ungefüge, seiner Unbändigkeit und Zuchtlosigkeit, meint er wiederum die entartete Welt, die junge vielleicht, die er 37, 24 unter dem Bilde eines Reiters, der auf wildem Roß mit verhängtem Zügel reitet, dargestellt hatte, die höfische Dichtung und höfische Gesellschaft, wie sie ihm im Kreise des jungen Königs, Heinrich’s VII. schließlich am unerträglichsten entgegentrat. Neidhart selbst aber hat direct gegen Walther’s Dichtung die Waffe des Spottes geschwungen; ob als Angreifer, ob zur Gegenwehr, bleibe dahin gestellt. Er hat (93, 15. 98, 26 ff.) Walther’s Preislied auf Deutschlands edle Frauen und Männer (56, 38) und seine Klage über den Eigennutz (31, 14) travestirt, indem er den Widerspruch zwischen diesen beiden Aeußerungen durch Zusammenkoppelung und Uebertragung in die Welt der Bauernflegel grell beleuchtete. Walther rückt in diesem Kampf einmal ganz deutlich mit der Sprache heraus: ein erregtes Lied (64, 31 Owê hovelîchez singen), das zuerst Uhland in den richtigen Zusammenhang gerückt hat, stößt diesen parodistischen Realismus, diese burleske Ausnutzung volksthümlicher Dichtung zornig und voll Verachtung von sich. Die großen Höfe wünscht Walther wenigstens von jener Modeströmung frei; er denkt wahrscheinlich an den österreichischen Hof, doch wäre, falls das Gedicht, was nicht undenkbar ist, in die späteste Zeit des Dichters (1228–1229) gehört, auch eine Beziehung auf den königlichen Hof des jungen Heinrich, auf den frivolen Kreis Neifen’s nicht ausgeschlossen; den Landjunkern wolle er diese halb bäurische Kunst gönnen, von da sei sie aufgekommen.

Es liegt beinahe etwas Tragisches in diesem leidenschaftlichen und vergeblichen Protest gegen eine litterarische Strömung, die Walther selbst hatte entfesseln helfen und die sein Ideal des schönen Maßes, der künstlerisch gebändigten Wahrheit, der verklärten Natur, das Ideal der gesunden Mitte zertrümmerte. Manier und Sentimentalität einerseits und als Gegenmacht Naturalismus und Parodie anderseits – dazwischen hatte Walther’s Kunst einen schweren Stand, und er mochte wohl mit Grund fürchten, völlig zu erliegen. Und dennoch ist noch lange Zeit nach seinem Tode ein kräftiger Nachwuchs deutscher Lyrik in den Regionen, da sein Dichten wurzelte, herangewachsen.


Walther’s dichterische Kunst in der Zeit seiner Reife eingehend zu würdigen, liegt außerhalb der diesen Blättern gestellten Aufgabe. Einige Grundlinien nur zur Charakteristik seiner Poesie seien hier angedeutet.

Walther war, wie oben (S. 51) betont worden ist, ausgegangen von der höfischen Gesellschaftslyrik im Stil Reinmar’s und Hausen’s. Jede erschöpfende Bestimmung seiner Eigenart muß dem bereits skizzirten Proceß seiner Emancipation aus der Enge dieser Manier nachgehen und eine streng geschichtliche Methode anwenden, was hier nur in sehr beschränktem Maaße geschehen kann.

Walther gewinnt allmählich der sinnlichen Welt in der Lyrik einen Raum, wie es bis dahin im Minnesang nicht erhört war. Er gibt der Darstellung seiner Empfindung und Betrachtung einen festen körperlichen Halt, einen Hintergrund durch bestimmte Situation, Scene, Handlung. Er verführt dabei episch oder dramatisch oder verbindet auch beide Kunstformen. Und er liebt es, von der lyrischen Wirkung der Symbolik, des typischen Bildes den weitesten Gebrauch zu machen. Er wirkt nicht bloß wie ein Dramatiker auf die [84] Anschauung, sondern wie ein Maler; er schafft mit der Phantasie der bildenden Kunst und er schöpft dabei meist aus dem alten Schatz eingebürgerter, volksthümlich gewordener Vorstellungen.

Sein Reichston (8, 4 ff.) bringt das Gefühl über die jammervolle Lage des Vaterlands nicht direct zum Ausdruck, sondern episch eingekleidet und an einen sichtbaren Vorgang der Außenwelt von typischer Bedeutung angelehnt. Er führt sich selbst erzählend ein, wie er sorgenvoll, von der Welt entfernt, auf einem Stein sich in sinnendem Nachdenken niederließ, in der Stellung, die von der bildenden Kunst seit früher Zeit, vielleicht im Anschluß sogar an die antike Plastik, als Typus des trauernden Nachdenkens ausgebildet war und in Sculpturen wie in Miniaturen des deutschen Mittelalters oft begegnet; wie er die Geheimnisse der kämpfenden, aber geordneten Natur gleich einem Seher überschaute; wie er den Ursprung des Thronstreits in Rom belauschte; wie er die Klage des einsamen Klausners aus der Ferne vernahm. Das Bild der beiden großen Liederhandschriften hält die im ersten Spruch bezeichnete Situation fest, aber es illustrirt damit nicht die Worte des Dichters, sondern es schöpft nur ihren bildlichen Gehalt wieder aus, den sie aus malerischen oder bildlichen Vorlagen übernommen haben. Und wenn Walther dann die zerrütteten Zustände verkörperlicht, indem er den mit einander streitenden Lebensmächten menschliche Gestalt leiht und Friede und Recht darstellt, wie sie von Wegelagerern und im Hinterhalt lauernden Räubern, von Untreue und Gewalt bedroht sind, so knüpft er wiederum an die Tradition der bildlichen Kunst an, die auf Grund der Psychomachie des Prudentius immer wieder den Kampf der Tugenden und Laster in der Allegorie kriegsmäßig gerüsteter Frauengestalten vor Augen gestellt hatte. Hier wie dort aber folgt Walther zugleich der Bahn der älteren, volksthümlich gefärbten deutschen Dichtung, der typische Darstellung im Einklang mit den fest geprägten Formen der bildenden Kunst geläufig war. Ein ander Mal erscheint ihm Frau Sälde (43, 1) als eine Fürstin, die Kleider zurechtschneidet und austheilt und sich dabei zu Ungunsten des Sängers vergriffen hat. Die Welt stellt er als Reiterin auf wildem Rosse, ihrem muot, vor, der er zuruft, sie solle den Zaum fester anziehen und um sich blicken, damit sie nicht zu Fall komme (37, 24). In einem seiner letzten Sprüche (102, 15) hüllt er die Trauer über die zerfahrenen Verhältnisse, die durch die Schuld des jungen König Heinrich und seiner Verführer hereingebrochen waren, in die Erzählung, er sei ausgezogen, um Abenteuer und Neues zu erleben, da habe er die Stühle, auf denen früher Weisheit, Adel und Alter saßen, leer gefunden; darum hinke Recht und traure Zucht und sieche Scham. Wiederum ein Bild der Kunst: die Personificationen der Tugenden und das hergebrachte Symbol richterlicher oder königlicher Würde, der Thronstuhl.

Ergebenheit und Dank bezeichnet er durch Verneigung oder durch Beugen des Knies (18, 20. 31, 24. 74, 33. 116, 21; 11, 11. 28, 23); Verschämtheit des jungen Mädchens durch Niederschlagen der Augen (74, 32); höfische Freundlichkeit und Anmuth der Dame durch leichtes Umherblicken (46, 14); Abneigung durch Wangenbieten und Seitwärtsblicken (32, 18. 49, 18; 50, 22; 73, 1); Zorn und Neid durch Schielen (57, 36. 84, 37); Aerger und Unwille durch Verziehen der Augenbrauen (75, 31); Schmerz durch Beißen der Lippen (61, 18); entschuldigende Ablehnung durch Achselzucken (36, 3); Verwunderung durch Zeigen mit dem Finger (120, 2); Trauer und Freude durch Gang und Kopfhaltung (19, 32. 33. 20, 2): auch die Miniaturmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts veranschaulicht seelische Vorgänge durch eine ganz ähnliche typische Geberdensprache, die theils aus der Unfähigkeit, in den Gesichtszügen Gemüthsbewegungen auszudrücken, theils aus langer festgewurzelter, bis ins Alterthum zurückreichender Tradition abzuleiten ist.

[85] Aus der Tradition der bildenden Kunst entlehnt Walther auch manche Züge der Thiersymbolik. Kranich und Pfau braucht er als Bilder des Stolzes und der Niedergeschlagenheit (19, 31); die Thiere im Wappen Kaiser Otto’s, die alle Hörer vor Augen hatten, Aar und Löwe, deutet er allegorisch als Mannheit und Freigebigkeit (12, 24). Sein Schüler, Reinmar von Zweter, hat diese Symbolik dann zur Manier ausgebildet.

Walther objectivirt seine Lyrik, indem er das Bekenntniß der Empfindung an eine bestimmte Situation knüpft. Beim Abschied auf Nimmerwiedersehen – vielleicht wird es ein Abschied auch vom Leben – macht er sein Testament und vertheilt sein Unglück, sein Leid, seine Liebestollheit (60, 34). Sein Wanderleben läßt er in seine Dichtung hineinspielen: er berichtet von seinem erfolglosen Besuch am Thüringer Hof, um andere zu warnen (20, 4); er tritt als Kläger gegen Gerhart Atze in den Kreis der Hörer (104, 7); er gibt, scheinbar durch Fragen der Neugierigen gedrängt, trocken referirend, Auskunft über den Nürnberger Hoftag, um in Wahrheit nur Herzog Leopold’s Kargheit zu strafen (84, 14).

Die frühere höfische Liebeslyrik hatte als reine Gefühlspoesie nur selten Beziehungen auf einen bestimmten Moment, auf einen bestimmten äußeren Vorgang geboten. Walther trägt in den alten Rahmen des Minnedienstes einen farbenreichen, greifbaren Inhalt. Er verherrlicht die Schönheit der Geliebten nicht mehr mit allgemeiner directer Charakteristik wie in der Zeit seiner Anfänge: er zeigt sie uns in einer bestimmten Situation, im feierlichen Aufzug mit ihrem Gefolge (46, 10), oder wie er sie nackt im Bade belauscht (54, 21). Er öffnet uns Einblicke in die kleinen Ereignisse seiner Liebesgeschichte: er war zum Aufgeben des Dienstes entschlossen, da hat ihn ein Halmorakel getröstet und mit neuer Hoffnung erfüllt, das, so oft er nach der Weise der Kinder das Stroh am Finger auf Ja und Nein abmaß, immer mit einem Ja schloß (65, 33). Er wünscht sich, ihr noch so nah zu liegen, daß er ihr Aug’ in Auge sähe und sie ihm erfüllen müsse, was er bitte; da werde er sie fragen: „Willst du mir jemals wieder so weh thun?“ Dann wird sie zur Antwort lächeln (185, 11).

Die äußere Natur, der Wechsel der Jahreszeit spielte in der höfischen Gesellschaftsdichtung Reinmar’s und Hausen’s wie auch in der volksthümlichen ritterlichen Lyrik der Kürenberg-Lieder eine verschwindende Rolle. Walther zieht sie mit unvergleichlicher Kunst als belebenden und stimmungweckenden Hintergrund in seine Poesie hinein. Dadurch nähert er sich in gewisser Hinsicht dem Gebrauch des volksmäßigen Tanzliedes, wie es Neidhart’s Reien am treuesten wiederspiegeln, wo Natur- und Liebesgefühl sich typisch verketten. Aber Walther entfernt sich doch weit von dieser Behandlung des Motivs; über einen bloß typischen Parallelismus oder Contrast zwischen Naturbild und menschlicher Empfindung erhebt er sich hoch und die Vorgänge der natürlichen Welt geben ihm mehr als das bloße Einleitungsmotiv der Begrüßung. Die Natur führt er nirgends als Zustand vor, sondern in Bewegung, und das eigene wie der Hörer Verhältniß zu ihr setzt er in Handlung um. In dem herrlichen Frühlingslied (Sô die bluomen ûz dem grase dringent 45, 37) zeigt er uns den Frühling, wie er sich regt und rührt: Blumen, Sonnenlicht, Vöglein – alles in drängendem Leben und fröhlicher Thätigkeit. Die bewunderte Frau führt er uns vor Augen in dem Moment ihrer Erscheinung, ihrer Wirkung auf die Umgebung, und mit wunderbarem Bilde vergleicht er den alles überstrahlenden Zauber, den sie ausübt beim Hereintreten in den Kreis der versammelten Damen, mit dem Aufgehen der Sonne, vor der am hellen Morgenhimmel die Sterne verblassen. Das Gemälde des Maien und das Gegenbild der Frauenschönheit hilft nur die Gegenwart gleichsam etwas zurückschieben in die richtige Gesichtsweite, in der das Auge sie erst ordentlich vergleichen und prüfen kann: [86] in den Hörern soll dadurch die bewußte Freude an dem Fest des Lenzes, das mit dem Glanz schöner Frauen und den Reizen der blühenden Natur doppelt blendet, erst recht sich steigern, und nachdem ihnen scheinbar eine unmögliche Wahl gestellt ist, für eins oder das andere sich zu entscheiden, sollen sie angelockt werden, nun ohne Unterscheidung beides vereint zu genießen und bei Vogelsang und Sonnenschein den Tanz mit den strahlenden Damen zu beginnen. Der Gedanke: „Maienwonne ist weniger werth als Frauenliebe“ gestaltet sich dramatisch, als eine ungeduldige Absage, die der gleichsam sich anpreisende Mai vom Dichter erhält: „Herr Mai! verwandelt euch meinetwegen in den März! das will ich eher tragen als daß ich meine Herrin fahren ließe“. Die Herrlichkeit des Maien zeigt Walther 51, 13 in Wirkungen: er vergnügt, erfreut, belebt Menschen und Vögel und die Heide, auf der Blumen und Klee mit einander streiten: „Du bist kürzer, ich bin länger.“ Oder in Sehnsucht nach dem Frühling ruft er seine ersten sichern Vorboten: die beginnenden Ballspiele der Mädchen auf der Straße (39, 1). Wenn er Liebesglück mit Naturfreude verknüpft, so läßt er beides sich durchdringen: im Traum sieht er sich mit der Geliebten vereint unter dem Baume, von dem die Blüthen ins Gras niederfallen (75, 17), und dem liebenden Mädchen legt er den naiven Bericht in den Mund über ein heimliches Stelldichein auf der Heide am Waldessaum unter der Linde, auf der die Nachtigall ihr Lied sang, den lieblichen Refrain zu den Freuden süßester Liebe (39, 11). Wie hier die Nachtigall als verschwiegene theilnehmende Mitwisserin, so erscheinen die wilden Waldvögel betrübt durch die Klage der Menschen über das Elend der Zeit (124, 30). Und als die allgemeine Noth frohes Singen verbietet, da sieht der Dichter, wie sich auch ein Vöglein versteckt aus Angst vor der Nacht und klagt: „Ich singe nicht, bevor es tagt“ (58, 21 ff.).

Aus Natur und Menschenseele hört Walther denselben Laut von Trauer und Freude, spürt er denselben Hauch des Lebens. Die Schönheit, die auf den Wangen reiner Frauen leuchtet, ist ihm ein Abglanz der bunten Blumenpracht auf dem Anger des Waldes. Für heimliche Sorge weiß er kein besser Heilmittel, als an edle Frauen zu denken. Wie die Heide im Frühling sich röthet vom blühenden Klee, als schäme sie sich vor dem Wald, der schon ergrünt, ihres winterlichen Kleinmuths, so verscheucht Walther, wenn ihn die Noth der finstern Tage drängt, mit dem Bilde weiblicher Güte allen Trübsinn. Aber er scheint sich selbst zu widerlegen: das Mittel ist gefährlich. Die Gedanken wenden sich der Einen zu und die Wirkung ist überwältigend, unerträglich: lâ stân! dû rüerest mich mitten an daz herze dâ diu liebe liget. Halb abwehrend erstickt das Lied im Jubel des liebenden Herzens (42, 15).

Walther treibt die Objectivirung noch weiter, indem er seine Gedanken und Empfindungen im Namen fremder Personen, aus ihrer Lage heraus, vorträgt. Sich selbst stellt er auf eine höhere Stufe, indem er sich gern einführt als den überlegenen, welt- und menschenkundigen Lehrer und Mahner, als Unterweiser der Jugend, als Sittenprediger, als Rathgeber. Aber er schreitet fort bis zu wirklichen dramatischen Rollen, in denen er auftritt. Als fahrender weltgereister Mann bringt er neue Nachrichten aus der Fremde mit und trägt dann als solche das Lob Deutschlands vor (56, 14). Um dem zurückkehrenden Otto die Huldigung der Fürsten auszudrücken, nimmt er das Amt des Fronboten an sich, der von Gott Botschaft ausrichtet (12, 6).

Dieser Zug zum Dramatischen prägt sich Walther’s Dichtung je länger je mehr ein. In den Liebesliedern behandelt er die Geliebte nun immer als gegenwärtig und wendet sich mit seinen Worten direct an sie. Die Dialoge erhalten den Charakter wirklicher Gespräche mit kunstvoller Verflechtung und graziöser Steigerung der Gedanken (43, 9. 70, 22. 85, 34). Balladenartig componirt [87] ist das Tanzlied: Nemt, frowe, disen kranz 74, 20, das in wirksamster Weise Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Wirklichkeit contrastirt.

Wie er die Geliebte apostrophirt, so auch mit Vorliebe Personificationen: die Frau Minne als Kläger (40, 19) oder Hülfesuchender, der bei der Geliebten Haussuchung verlangt (54, 37); die Frau Mâze als von Liebesleidenschaft Bedrängter (46, 32); die Frau Welt als Strafredner (21, 10. 33, 15. 37, 24. 59, 37. 67, 8). Seine Bitte um Verbesserung seiner eigenen Lage entwickelt er in kleinen dramatischen Scenen, die sich zwischen ihm und dem Glück abspielen. Ein älterer Spruch (20, 31) hält dabei die Einheit der Allegorie nicht streng fest: der Dichter steht vor dem verschlossenen Burgthor der Frau Saelde, wie ein Waisenkind, vergeblich klopfend, im ärgsten Regen – und wird dabei doch nicht naß. Das ist der Witz: der Regen ist nämlich die Freigebigkeit des Fürsten von Oesterreich und trifft ihn nicht; dann aber nennt er ihn eine blühende Heide, von der man schöne Blumen brechen kann, und zerstört damit selbst die Wirkung des ersten Bildes. Weit künstlerischer erscheint dasselbe Motiv in einem späteren Gedicht (55, 35): Frau Sälde theilt ihre Gaben ringsum, wendet aber dem Dichter erbarmungslos den Rücken; vergeblich läuft er fortwährend um sie herum, ihre Vorderseite zu gewinnen; endlich reißt ihm die Geduld und zornig wünscht er ihr die Augen in ihren Nacken, daß sie ihn gegen ihren Willen ansehen müßte. Den Hof von Wien läßt er in einem Monolog zu ihm redend auftreten, und mit wundervoller Plastik wahrt er das Bild: Ritter und Frauen sind davon; Gold, Silber, Rosse und Kleider sind verbraucht; es fehlen die tanzenden Damen; das Dach des Palastes ist baufällig und die Wände stürzen ein (24, 33).

Eine völlig ausgeführte dramatische Allegorie macht den Teufel zum Besitzer eines Wirthshauses, in dem die Welt als lockende Dirne ihr Wesen treibt: Walther hat lange dort gelebt; nun will er, da er seine Rechnung bezahlt hat, von dannen ziehen, nach Hause (100, 24). – Den leblosesten Dingen schenkt Walther’s Phantasie Persönlichkeit, Gestalt, Willen: Frau Bohne verwünscht er mit uns unverständlichen Scherzen (17, 25); den Opferstock fährt er an mit Hêr Stoc und schüttet über ihn zornige Fragen (34, 14); den Herrn Mai degradirt er mit geringschätzigem Wunsch (46, 30). So tritt er auch den Fürsten und Kaisern, den Erzengeln, seinen Rivalen immer unmittelbar mit seiner Person gegenüber, wie seinesgleichen sie direct ansprechend, begrüßend, ermahnend, tadelnd, auch Entfernte vergegenwärtigend. Als er für den in Italien abwesenden Kaiser Friedrich wirken will, fingirt er eine Anrede an einen Boten, dem er einen Auftrag an seinen Herrn einhändigt (10, 17). Er liebt es, wenn er sich auf Handlungen oder Reden anderer Personen bezieht, aus der Erzählung in die leibhafte Vergegenwärtigung überzugehen, an ihrer Stelle sprechend: bei der ersten Einführung des Klausners (9, 39); in dem Gedicht, das Innocenz’ III. widerspruchsvolles Verhalten gegen Otto aufdeckt durch wörtliche Wiederholung seines einstigen Segens (11, 13); in der Wiedergabe des Dialogs zwischen Christus und den Jüngern vom Zinsgroschen (11, 25), der triumphirenden Hohnrede des Papstes nach Aufstellung des Opferstocks (34, 5) und öfter.

Bisweilen steigert sich das Dramatische seiner Poesie bis zum förmlich Mimischen: der Dichter verwandelt sich in einen Schauspieler. Mit Stimme und Gebärden markirte er im Vortrag offenbar das Wechselgespräch zwischen sich und seinem Knappen Dietrich (82, 11), zwischen Wirth und Gast (31, 23); mit komisch wirkenden Gesten gewiß auch den bitter scherzenden Spottspruch auf Otto, dessen Milde er erst nach seiner Länge, dann nach seiner Ehre gemessen: der frühere Riese schrumpfte da zum Zwerg; dagegen, als er dasselbe Maß an den jungen König Friedrich gelegt hat, da wuchs dieser auf [88] in Riesengröße (26, 33). In dem unmittelbar voraufgehenden Spruch (26, 23) bringt Walther es fertig, mit wenigen Worten ein ganzes Schauspielensemble um sich zu sammeln: den Vater, der seinem Sohn Lehren gibt; Herrn Otto; den König Friedrich. Er zwingt den Hörer, alle Personen in der Phantasie sich anwesend, redend, agirend vorzustellen.

Auch das Publicum zieht er mit in die Action und hieraus fließt ein großer Theil seiner besten humoristischen Wirkungen. Insbesondere liebt er es, am Schluß seiner Gedichte auf alle Hörer oder auf einen bestimmten gradzu loszugehen mit einer Frage oder Aufforderung ganz unerwarteter Art. Die neckende Ueberraschung, ein Hauptmittel seines Humors, würzt diese immer höchst anmuthigen Wendungen. Als ihn König Philipp an seinen Hof aufgenommen hat, wirft er unmittelbar gegen die Hörer in den Ausdruck seiner Freude den Zuruf: wol ûf! swer tanzen welle nâch der gîgen (19, 37). In der Beschwerde gegen Gerhart Atze, die er ganz gelassen entwickelt, ruft er zum Schluß plötzlich nach einem Eidsprecher: ist ieman der mir stabe? (104, 22). Die Ritter geben, behauptet der Dichter, den Frauen Schuld an dem traurigen Zustand der Welt; er referirt das ruhig und fragt plötzlich ins Publicum hinein, natürlich besonders zu den Damen gewendet: wer sol rihten? (45, 6). Die Erzählung von dem lieblichen Mädchen, das er früher kennen gelernt und deren Neigung er gewonnen, unterbricht er jäh auf die tanzenden Mädchen zuschreitend, für die das Lied bestimmt ist: „Rückt die Hüte aus dem Gesicht (damit ich euch ansehen kann)! Vielleicht geht die Gesuchte in diesem Reigen“ (75, 5). Er feiert die geliebte Herrin und rühmt das edle Kleid, das sie trägt, ihren reinen Leib; den wolle er, obgleich er sonst niemals sich auf den Standpunkt niederster Spielleute herabgelassen und getragene Gewänder nie genommen habe, für sein Leben gern gewinnen; selbst der Kaiser würde um diesen Preis Spielmann; und nun die durch doppelte Pointe überraschende Wendung an den, wie natürlich vorauszusetzen ist, anwesenden Kaiser (Otto): dâ! keiser spil! nein, herre keiser, anderswâ! (63, 7). Als Friedrich II. ihm ein Lehen von unerreichbaren Einkünften verliehen hat, scherzt er, das Einschätzen der Pfaffen selbst (Schönbach, Zeitschr. f. d. Alterth., 39, 347) würde davon keine greifbaren Renten bei ihm entdecken, und verwandelt dann plötzlich den Einfall scheinbar in Ernst, vielleicht auf Priester im Zuhörerkreis etwa hinweisend, mit Aufforderung und komischem, vielsagendem Wink: nû prüeven her! nû prüeven dar, son habe ich drinne niht! (27, 16).

Walther wird im Laufe seiner Entwicklung im zunehmenden Maße ein Meister der indirecten, der andeutenden Charakteristik. Durch einzelne concrete Züge, die auf die Phantasie und die Stimmung wirken, weiß er Personen und Zustände, Handlungen und Gefühle zu veranschaulichen und nachleben zu lassen. Seinen eigentlich metaphorischen Ausdruck schöpft er aus biblischer, theologischer, volksthümlicher Ueberlieferung. Sein Humor, nicht so urwüchsig aber auch nicht so bizarr als der Wolfram’s, arbeitet mit den Mitteln der Ueberraschung und des Contrastes. Er ist geneigt zu verhüllen und Räthsel aufzugeben, die er nur halb löst. Er ironisirt und übertreibt. Er gestattet sich Wortspiele. Er liebt über alles die im Gelächter platzende Schlußpointe. Der Grundzug dieses Humors ist kindliches Necken, liebenswürdigste Schalkhaftigkeit. Aber, wo das Leben den zartorganisirten Dichter zusammendrückt, da wird dieser Humor auch grimmig, scharf und beißend und schlägt Wunden, aber niemals wird er menschenfeindlich, gehässig, niemals kalt und giftig. Das Temperament Walther’s erscheint als eine Mischung von humoristisch-sanguinischen und cholerisch-melancholischen Elementen, complicirt jedesfalls, wie es reichen und sensibeln Naturen eigen ist. Walther’s Stil im engeren Sinn des Worts, seine Sprache, seine metrische und rhythmische [89] Kunst bewähren ihn bei näherer Untersuchung als den genialsten Beherrscher der poetischen Form, der alle überlieferten Schätze schöpferisch verwerthet und bereichert.

Für den gesammten Minnesang des 13. Jahrhunderts und für den Nachklang des 14. Jahrhunderts hat Walther den Ton angegeben, den Weg gewiesen. Minne- und Spruchdichter, ernste und humotistische Naturen, im Süden wie im Norden, haben von seinem Erbe gezehrt. Den fahrenden bürgerlichen Sängern hat er die Bahn frei gemacht und die Schranke niedergelegt, die nach alter Tradition ihr Repertoire auf lehrhafte Stoffe beschränkte und vom Minnelied ausschloß. Als ein Befreier, als ein Ausgleicher ständischer Gegensätze hat er gewirkt. Seine neue Behandlung des ewigen Themas von Frauenreiz und Naturschönheit, seine lebendige Symbolik und Kunst der Allegorie, der Personification ist von ungezählten geschickten und plumpen Geistern nachgebildet worden. Eine Geschichte des Nachlebens Walther’scher Motive und Walther’scher Technik wäre eine der lohnendsten litterarhistorischen Aufgaben, für die in Lachmann’s und Wilmanns’ Ausgabe sowie in manchen andern Arbeiten zum Minnesang zerstreutes Material geliefert ist, und würde bis über die Mitte des 14. Jahrhunderts hinabführen. Dabei würden nach Zeit und Gegend, nach socialer Stellung und poetischem Talent die mannichfaltigsten Abstufungen der Abhängigkeit sich unterscheiden lassen. Am nächsten steht Walther der Kreis seiner zeitgenössischen, persönlichen Schüler: die Tiroler Rubin (s. A. D. B. XXIX, 432), und Leutold von Seven (XXXIV, 73), der Schweizer Ulrich von Singenberg (XXXIV, 390), demnächst der Steirer Ulrich von Liechtenstein (XVIII, 620), auch der fahrende Schwabe Marner (XX, 396). Aber auch die letzten Spätlinge zeigen oft genaueste Kenntniß des unerreichten Meisters. Auch das Wiederauftauchen des völlig Vergessenen seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts und die allmähliche Wiederentdeckung seiner verschütteten Herrlichkeit lohnte eine monographische Untersuchung.


Man kann alle Dichtung in zwei große Classen scheiden: die eine umfaßt die temporären Werke, die mit und in ihrer Zeit leben, blühen und sterben; die andere jene, die, mit ewiger Daseinskraft und Jugend ausgerüstet, über den Wandel der Epochen dauern. Walther gehört zu der zweiten, der höheren Classe, deren beide Pole Shakespeare und Goethe bezeichnen: jener der unpersönlichste, dieser der subjectivste Dichter; jener der verkörperte Dramatiker, dieser der reinste Typus des Lyrikers; aber beide zusammen offenbaren das gemeinsame Geheimniß dichterischer Größe und ihrer unvergänglichen Wirkung. Beider Kraft fließt aus einer Quelle: aus der Echtheit des dargestellten Lebens. Auch Walther hat ein Recht, in ihren Kreis gerückt zu werden, und zwar näher an Goethe. Seine poetische Bedeutung ruht wie die Goethe’s ganz in dem persönlichen Element seiner Kunst. Gleich Goethe ist er im Goethischen Sinn Gelegenheitsdichter. In seinen Liedern und Sprüchen lebt er selbst mit seiner ganzen Existenz, leibhaft, mit redender Stimme, in Erregung und Bewegung, hörbar, sichtbar. Er theilt mit Goethe die außerordentliche Receptivität, die jeden Eindruck aufsaugt. Er übertrifft ihn durch die Energie und Schlagfertigkeit, mit der er jede poetische Sensation wieder aus sich heraus setzt, sie künstlerisch gestaltet. Gleich Goethe gebietet er über alle Schätze der naiven Sprache; gleich ihm weiß er in seine Verse allen Zauber lebensvoller Bildlichkeit, allen musikalischen Wohllaut und allen rhythmischen Reiz zu bannen. In dem Zeitalter der Gebundenheit, der Allmacht der ständischen Association und der corporativen Gliederung ragt Walther durch eine Fülle und Stärke individuellen Lebens, eigenster Empfindung und [90] Phantasie hervor, daß man ihn mit Recht den einzig modernen unter allen mittelalterlichen Dichtern genannt hat. Und doch beurtheilt man ihn ungerecht und falsch, seine Kunst wie seinen sittlichen Charakter, wenn man im Ernst moderne Maßstäbe an ihn legt. Er wurzelt trotz allem und allem im Mittelalter, in den socialen und litterarischen Zuständen seiner Zeit, die von uns durch Abgründe geschieden sind. Und auch der Vergleich mit Goethe, so treffend er in mancher Hinsicht erscheint, so wenig läßt er sich wirklich durchführen. Goethe ist der große Herzenskündiger: das Seelenleben der Individuen, insbesondere das eigene, gibt ihm sein Thema. Versagt aber war es ihm, das Leben einer Gemeinschaft von Menschen, eines Volkes oder Staates, poetisch zu erfassen. Er war im eminentesten Sinne ein unpolitischer Dichter. Walther hingegen, den allerdings einer der genialsten und ursprünglichsten Lyriker aller Zeiten, Heinrich Heine, in seiner Denkschrift über Börne (Elster 7, 104) den größten deutschen Lyriker genannt hat, besitzt jene geheimnißvolle Grundkraft der echten Lyrik, die das innerste Schwingen und Wogen der Seele hinaustönt, nicht in vollem, jedenfalls nicht im höchsten Maße. Gewiß, er hat Lieder geschaffen, aus denen uns die heimlichste Regung des Gemüths mit der zauberhaften Melodie, in den anschmiegenden Rhythmen der wahren Lyrik unmittelbar ans Herz rauscht, aber meistens stellt er das Reich der Gefühle mehr beobachtend, mehr aus der Ferne, mit phantasievoller Betrachtung dar. Sein eigenster, sein besonderster und köstlichster Besitz, das ist seine Spruchpoesie. Er ist im eminentesten Sinn ein politischer Dichter, vielleicht der größte aller Zeiten und Völker. In seiner politischen Dichtung umfaßt er das ganze Leben seiner Epoche: das staatliche wie das sittliche. Alle bewegenden Fragen und Interessen, alle geistigen Kämpfe, alle großen Ereignisse, alle gesellschaftlichen und litterarischen Strömungen seiner Zeit finden an ihm den theilnehmenden Zuschauer, den gedankenvollen Beurtheiler, den erregten Mitstreiter, den souveränen Darsteller. Die ganze Welt des deutschen Mittelalters spiegelt sich in seiner Poesie: nicht so wie sie in Wirklichkeit war, sondern wie ein warmblütiger Mann, in den adlichen Kreisen der Nation erwachsen, aber über sie hinausblickend, voll hohen Strebens und glühender Vaterlandsliebe, heftig in seinen Neigungen und heftig in seiner Feindschaft, rasch in Entschlüssen und Sympathien, empfindlich und nervös, wechselnd in seinen Stimmungen gleich einem Kinde, aber auch so hell und sonnig und lachlustig wie ein Kind, dabei ein tiefsinniger Kenner menschlicher Natur, im Besitz der feinsten und edelsten Bildung des Zeitalters, aber auch vertraut mit der Weisheit und der Anschauung des Volkes, auf harten verworrenen Wegen des Schicksals gestählt und durch alle Qualen enttäuschter Hoffnungen geläutert, durch alles Glück und alles Leid der Liebe und des Hasses geweiht, aus irdischer Noth und Bedürftigkeit aufwärts schauend zur göttlichen Liebe, immer ringend, immer in Bewegung, unverwüstlich – wie ein solcher Mann die Welt des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts auffaßte. Das Beste aber, was dieses herrliche Menschenbild sein eigen nannte, kam ihm aus den unerforschlichen Urtiefen der Schönheit: es ist der Morgenglanz, der über seinen Schöpfungen webt, die thauige Lebensfrische, die darin athmet, der gesunde Pulsschlag der Jugend, der sich in ihnen regt und das Ebenmaß ihrer mannichfaltigen Rhythmen und Formen durchdringt, die klare Stimme der Natur, die daraus hervorbricht, so voll und so stark wie aus dem blühenden Wald, wenn im Frühling die Vögel jubiliren und die Bäume klingen und die Sonnenlichter spielen.


Die wissenschaftliche Forschung über Walther beginnt mit Uhland’s noch heute nicht entbehrlicher, liebevoller Biographie: Walther von der Vogelweide, [91] ein altdeutsches Dichterleben. Stuttgart und Tübingen 1822 (Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Bd. 5, 1870, S. 1–109). Ihm gewidmet „zum Dank für deutsche Gesinnung, Poesie und Forschung“ erschien 1827 Karl Lachmann’s erste wissenschaftliche Ausgabe der Gedichte Walther’s, die in Einzelheiten der Textherstellung und der chronologischen Bestimmungen längst überholt, doch bis heute die einzige geblieben ist: die alleinige Grundlage aller ernsten Beschäftigung mit dem Dichter. Sie liegt, von Haupt und Müllenhoff berichtigt und ergänzt, gegenwärtig in 6. Auflage vor. Schon das Jahr 1833 brachte eine Uebersetzung von Simrock, mit einem reichhaltigen Commentar, dessen zweiter Theil von Wackernagel herrührt und besonders werthvoll ist. Leider blieb er in den späteren Auflagen fort. – Den vollständigen Wortschatz Walther’s verzeichnet Hornigs Glossarium (Quedlinburg 1844). Alle nach Lachmann erschienenen Ausgaben entbehren des vollständigen handschriftlichen Variantenapparates: zwei commentirte, von Franz Pfeiffer (Leipzig 1864, 6. Aufl. 1884) und W. Wilmanns (Halle 1869, 2. Aufl. 1882, dazu Scherer, Anzeiger f. d. Alterth. 10, 305 ff. [Kl. Schriften 1, 627 ff.]), drei kritische: von Wackernagel und Rieger (Gießen 1862), Karl Simrock (Bonn 1870), Paul (Halle 1882, 2. Aufl. 1895, dazu Beiträge 8, 161 ff.), Wilmanns (Halle 1886). Jede dieser Ausgaben hat ihre besonderen Verdienste, am schwächsten ist die Leistung Simrock’s und Paul’s. Völlig werthlos ist der Text, den von der Hagen’s Minnesinger geben, während seine ungeordnete und ganz unkritische Darstellung von Walther’s Leben (Minnesinger IV, 160 ff.) vereinzeltes brauchbares Material birgt. Beachtung verdient auch die kritisch hergestellte Auswahl in Bartschens deutschen Liederdichtern (Leipzig 1864, 3. Aufl. 1893), in geringerem Maße die Schul-, bez. populären Ausgaben von Bechstein, Hornemann, Pfaff. – Nicht vergessen darf werden Max Rieger’s feinsinniges und selbständiges Leben Walther’s von der Vogelweide (Gießen 1863). – Für die kritische Erkenntniß der Ueberlieferung Walther’s haben Lachmann, Benecke (Beiträge zur Kenntniß der altdeutschen Sprache und Litt. II., Göttingen 1832, S. 301 f.), Wilmanns (Zeitschr. f. d. Alterth. 13, 217 ff.) den Grund gelegt.

Ueber die weitere Forschung bis 1880 unterrichtet W. Leo, Die gesammte Litteratur Walther’s von der Vogelweide (Wien 1880, dazu Nachträge von R. M. Werner, Anzeiger f. d. Alterthum 6, 353 ff.; Löschhorn, Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen 34, 501 ff.; Lit. Centralbl. 1880, Sp. 1424 f.).

Von jüngeren Leistungen seien genannt: K. Burdach, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide. Ein Beitrag zur Geschichte des Minnesangs, Leipzig 1880 (dazu Wilmanns, Anzeiger f. d. Alterth. 7, 258 ff.). – W. Wilmanns, Leben und Dichten Walther’s von der Vogelweide, Bonn 1882 (dazu Burdach, Anzeiger f. d. Alterth. 9, 239 ff.): ein äußerst werthvolles, reichhaltiges und bequemes Handbuch der Waltherforschung. – Eine populäre, anregende Biographie gab A. E. Schönbach (Walther von der Vogelweide, ein Dichterleben. Dresden 1890, 2. Aufl. 1895 mit einem bibliographischen Anhang; dazu exegetische Beiträge, Zeitschr. f. d. Alterth. 39, 337 ff.).

Aus der zum Verständniß der historischen Beziehungen dienenden geschichtlichen Litteratur sind die Werke Winkelmann’s am wichtigsten: sein „Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig“ (Leipzig 1873–78) ist oben einfach nach der Bandzahl ohne weiteren Titel citirt. Andere in Betracht kommende Schriften (von Schirrmacher, Knochenhauer, Krones u. s. w.) verzeichnet Wilmanns in seiner Biographie, doch bleiben außerdem immer noch Abel, König Philipp der Hohenstaufe (Berlin 1852) durch lebendige Auffassung und Darstellung sowie durch reiche Belege aus den Quellen; Hurter, Geschichte Papst Innocenz’ des Dritten und seiner Zeitgenossen (Hamburg 1836–1842) durch eingehende Rücksicht auf das [92] Kirchliche; Langerfeldt, Kaiser Otto der Vierte (Hannover 1872) durch manchen einzelnen Nachweis werthvoll. Auch bedürfen jetzt Winkelmann’s chronologische Bestimmungen schon mehrfach der Berichtigung, die theilweise in neueren Specialuntersuchungen gegeben ist. Am eifrigsten hat die historische Forschung den Streit zwischen der Curie und dem Kaiserthum behandelt: R. Schwemer, Innocenz III. und die deutsche Kirche während des Thronstreites (Straßburg 1882); Lindemann, Krit. Darst. d. Verhandlungen Papst Innocenz’ III. mit den deutschen Gegenkönigen (Magdeburg 1885. Programm Nr. 239). Die politische Seite der Wahlfrage bei Maurenbrecher, Geschichte der deutschen Königswahlen (Leipzig 1889), S. 181 ff.; Rodenberg, Wiederholte deutsche Königswahlen im 13. Jahrhundert (Breslau 1889), sowie in den Dissertationen von Deussen (Münster 1879), Engelmann (Breslau 1886), Doenitz (Halle 1891). – Für Walther’s Beziehungen zu Oesterreich muß man jetzt berücksichtigen: Juritsch, Geschichte der Babenberger (Innsbruck 1894). – Wichtig sind auch die zahlreichen Monographien über die Kirchenfürsten der Zeit: Adolf von Köln, Ludolf von Magdeburg, Konrad von Krosigk, Engelbert von Köln, Wolfger von Passau u. s. w., sowie über die Päpste Honorius III. (Clausen, Bonn 1895) und Gregor IX. (Felten, Freiburg 1886). – Besondere Beachtung verdient die Kreuzzugslitteratur: über Kreuzlied und Kreuzpredigt Wolfram, Zeitschr. f. d. Alterth. 30, 89 ff. (in den Ergebnissen nur zum Theil sicher); sonst die Arbeiten von Röhricht, Hoogeweg, Riant, Streit, Hopf. Ueber all dies geben die bekannten historischen Quellenkunden und Bibliographien näheren Nachweis. Allein nützlicher als die gelehrte Litteratur der modernen Historiker auszuschöpfen bleibt immer noch ein unmittelbares Zurückgehn auf die mittelalterlichen historischen Quellen selbst, nicht bloß auf die authentischen, die unsere moderne Geschichtsforschung berücksichtigt, sondern auch gerade auf die von ihr bei Seite gelassenen unkritischen, befangenen, parteiischen, fabulirenden, soweit sie gleichzeitig sind. Denn gerade diesen steht der Dichter, der Stimmungen bestimmter Kreise seiner Zeit, nicht die objective Wahrheit wiedergibt, oftmals am nächsten. Die trefflichen Regesta Imperii von Boehmer, Ficker, Winkelmann, Meiller’s Regesten der Babenberger und Potthast’s Regesta pontificum eröffnen zu den Nachrichten der Zeitgenossen den bequemsten Zugang. Der vorstehende biographische Abriß, der auf erneuter Durcharbeitung und Nachprüfung der gesammten Forschung über das Leben des Dichters beruht, setzt die von Lachmann eröffneten und weitaus am glänzendsten durchgeführten Bemühungen fort, Walther’s Sprüche zu erklären durch die naiven Stimmen seiner lateinisch schreibenden Zeitgenossen, und sucht darin über die bisherigen Erkenntnisse hinauszukommen.

Vorarbeiten zu einer künftigen erschöpfenden Analyse und Charakteristik der poetischen Kunst Walther’s gaben: P. Wigand, Der Stil Walther’s von der Vogelweide (Marburg 1879); mein Buch über Reinmar und Walther; W. Scherer’s Geschichte der deutschen Litteratur (S. 204–209, dazu seine oben angeführte Recension von Wilmanns’ zweiter Ausgabe); die Biographien von Wilmanns (dazu die Einleitung zur zweiten Bearbeitung seiner Ausgabe) und von Schönbach; E. Hamann, der Humor Walther’s von der Vogelweide (Rostocker Dissertation 1889).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Patriarch von Aquileja (1204–1218) wird Wolfger erwähnt. Vgl. S. 67 und 73.