Zum Inhalt springen

ADB:Maurenbrecher, Wilhelm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Maurenbrecher, Wilhelm“ von Wilhelm Busch (Historiker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 244–248, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maurenbrecher,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Mauch, Carl
Nächster>>>
Maurer, Josef
Band 52 (1906), S. 244–248 (Quelle).
Wilhelm Maurenbrecher bei Wikisource
Wilhelm Maurenbrecher in der Wikipedia
Wilhelm Maurenbrecher in Wikidata
GND-Nummer 116854731
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|244|248|Maurenbrecher, Wilhelm|Wilhelm Busch (Historiker)|ADB:Maurenbrecher, Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116854731}}    

Maurenbrecher: Karl Peter Wilhelm M., Sohn des Staatsrechtslehrers Romeo M. (s. A. D. B. XX, 695–97), wurde geboren in Bonn am 21. December 1838; nach dem frühen Tode des Vaters siedelte die Mutter nach Düsseldorf über, wo die Familie, die Begründerin und Theilhaberin des Bergischen Postwesens, altansässig war (s. A. D. B. XX, 693–95). Im [245] October 1857 wurde M. in Bonn immatrikulirt und hörte bei Dahlmann, Löbell, Ritschl, Jahn, Simrock und Springer, Herbst 1858 ging er auf ein Jahr nach Berlin zu Ranke, aber den stärksten Einfluß übte dann in München Heinrich v. Sybel auf ihn aus. Nicht nur den äußern Gang der Studien und die Gegenstände seiner wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch die ganze wissenschaftliche Persönlichkeit ist von der Art dieses Lehrers mitbestimmt worden, und zwar trotz mancher sonstigen Verschiedenheit ihres Wesens, die später wol zu vorübergehender innerer Entfremdung führte. War aber Sybel der politische Historiker, der zugleich mitten in die politischen Kämpfe des Tages hineintrat, so ist die Neigung zu letzterem nur vorübergehend in M. wach geworden. Er hat an sie und an politische Thätigkeit, sogar an die parlamentarische gedacht, auch gelegentlich an ein publicistisches Arbeiten in Verbindung mit Hermann Baumgarten, dann aber zog er sich mit einer gewissen Gegnerschaft, auch gegenüber der Bethätigung seines Lehrers, von der ganzen Verbindung des Historikers und Politikers zurück, da ihm eine gegenseitige Beeinflussung dabei unvermeidlich schien. Aber politischer Historiker im wissenschaftlichen Sinne blieb er durchaus, und zwar mit starker eigener Betonung dieser Richtung; wir haben ihn zu ihren ausgesprochenen, fast typischen Vertretern zu zählen, deren menschliche und wissenschaftliche Entwicklung in der Zeit der großen politischen Kämpfe in Deutschland lag; allerdings war er dabei, wie er gelegentlich auch nach außen kundthat, ohne jede abschließende Einseitigkeit gegen die Vertreter anderer Richtungen.

Die Gesammtauffassung seines Lehrers Sybel vertrat er in charakteristischer Weise in einer Einzelfrage mit seiner ersten litterarischen Leistung. In der quellenkritischen Doctorarbeit („De historicis decimi seculi scriptoribus, qui res ab Ottone Magno gestas tradiderunt“, Bonnae 1861) und in dem darstellenden Aufsatz über „die Kaiserpolitik Otto’s des Großen“ (Hist. Zeitschr. V, 1861, S. 111–154) tritt er zu der sonst geübten Kritik der Quellen theilweise in Gegensatz, indem er ihre politische Charakterisirung und Bewerthung versucht und die politischen Motive der Handelnden, welche eine einseitige Ueberlieferung verdeckt hat, zu enthüllen strebt. Und da zeigte sich unter dem Einfluß der Grundanschauung Sybel’s auch Maurenbrecher’s Auffassung des Mittelalters beeinflußt von den nationalen Empfindungen und Gegensätzen der Gegenwart, wenn er im ludolfinischen Aufstand gegen Otto die Empörer von bewußt nationalen Bestrebungen gegen den internationalen Imperialismus Otto’s geleitet sieht. Seiner Neigung zu mittelalterlicher Forschung blieb M. in seinen Vorlesungen und Seminarübungen treu, um sich gegen Ende seines Lebens noch einmal litterarisch in ihr zu bethätigen („Die Geschichte der deutschen Königswahlen“, Leipzig 1889), wobei wir in der von den früheren Einseitigkeiten freien, reifen Ausgeglichenheit doch die alte Wesensart wiederfinden.

Sonst war M. schon in München von Sybel auf sein künftiges Arbeitsgebiet hingewiesen worden, den Kampf des Katholicismus gegen den Protestantismus im Zeitalter der Gegenreformation, und zwar von seinem Mittelpunkt, von Spanien aus. Nachdem er in Bonn promovirt hatte, trat er in den Dienst der Münchener historischen Commission zur Herausgabe der wittelsbachischen Correspondenzen seit 1550, folgte aber dann Sybel nach Bonn, wo er sich im März 1862 mit einem Vortrag über Maximilian II. und die deutsche Reformation (Hist. Zeitschr. VII, 1862, S. 351–380) habilitirte. Er trat sein Lehramt noch nicht an, sondern begab sich nach vorbereitenden Studien in London Juli 1862 an das spanische Staatsarchiv in Simancas, an dem sich der zuerst auf drei Monate berechnete Aufenthalt bis September [246] 1863 ausdehnte; ihm folgte noch eine Nachlese in Paris. Man arbeitete in Simancas damals auf fast jungfräulichem Boden, nur wenige Forscher, Heine, Bergenroth, Gachard, Gindely hatten begonnen, einen Theil seiner Schätze zu heben. Bequem war die Thätigkeit an dem öden Orte nicht, das geringe Entgegenkommen der Beamten führte sogar zu scharfen Beschwerden in Madrid, und geistige Anregung bot ihm nur der Verkehr mit Bergenroth; unter den Spaniern, diesen „Virtuosen des Nichtsthuns“, fühlte M. sich wenig wohl.

In einem Jahre angestrengtester Arbeit sammelte er ein Material, von dem er sein Leben hindurch gezehrt hat und zuletzt noch reichlich seinen Schülern abgeben konnte. Sein Arbeitsziel erweiterte sich dabei. Er hatte den im spanischen Archiv geborgenen Stoff für die deutsche Gegenreformation von 1555 bis zum Beginne des 17. Jahrhunderts sammeln wollen, jetzt erwuchs unter dem Einfluß der ihm hier entgegenströmenden Quellen die Aufgabe zu der von Spanien aus überall beeinflußten europäischen Geschichte, zur „Geschichte der Gegenreformation, der von Philipp II. geführten katholischen Reactionspartei, der großen katholischen Offensive gegen das protestantische Europa“ (M. an Sybel 1. X. u. 6. XII. 1862, 29. III. 1863). Den Ausgangspunkt sollte der Uebergang der Herrschaft von Karl V. auf Philipp II. abgeben, Philipp’s Persönlichkeit den Mittelpunkt des Werkes bilden und daneben ein Urkundenbuch spanischer Staatspapiere zur deutschen Geschichte seit 1555 einhergehen.

Aber während er sich mit lebhaften Hoffnungen über die Vollendung eines Theiles schon in der nächsten Zeit trug, sollte in der Erweiterung des Planes eigentlich der Beginn der verhängnißvollen Fügungen liegen, die seine Verwirklichung schließlich verhindert, sie nicht über die Anfänge der Vorgeschichte haben hinauskommen lassen. Ihm trat sofort die Nothwendigkeit entgegen „auch den Ausgang der Regierung Karl’s V. noch einmal zu revidiren“, und so erschien nach einer vorhergegangenen Studie über Don Carlos (Hist. Zeitschr. XI, 1864, S. 277–315) sein erstes größeres Buch über „Karl V. und die deutschen Protestanten 1545–1555“ (Düsseldorf 1865), dessen Inhalt, weiter als der Titel sagt, im Sinn der Fundamentirung seines Hauptwerkes die ganze europäische Stellung Karl’s begreift, mit vielerlei neuen Aufschlüssen über die Gegensätze zwischen Karl und Papst Paul III., gegenüber einer Reform der Kirche, über die Anbahnung und den religiösen Charakter des Schmalkaldischen Krieges, über Moritz von Sachsen, der ihm als der bedeutendste aller Widersacher Karl’s V. erschien. Er hatte seine Auffassung gegen manchen Gegner zu verfechten, ruhiger verlief die Fehde mit Georg Waitz, während die mit August v. Druffel von beiden Seiten in schärfster Form bis zu gegenseitiger Verbitterung geführt wurde.

Seit Herbst 1863 war M. als Docent in Bonn thätig, wo er besonders das engste Freundschaftsband mit Karl v. Noorden knüpfte; der bis zum Tode des Freundes geführte Briefwechsel gibt ein anziehendes Bild aus dem Leben und den Bestrebungen der deutschen Geschichtswissenschaft in den 60er und 70er Jahren. Nachdem er sich im J. 1866 mit seiner Cousine Mary Maurenbrecher vermählt hatte, trat er im Juli 1867, erst achtundzwanzigjährig, sein erstes Lehramt in Dorpat an, zunächst als außerordentlicher, seit October 1868 als ordentlicher Professor. Im Herbst 1869 kam er nach Königsberg, Ostern 1877 nach seiner Heimathstadt Bonn, Herbst 1884 nach Leipzig.

Der Kreis seiner Vorlesungen erweiterte sich von den Gebieten des Mittelalters und der Reformation zu denen der preußischen Geschichte, der französischen Revolution, der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; während seiner [247] Leipziger Zeit führte er sodann als einer der ersten die Darstellung bis zum J. 1871. Von besonderem Werth für den Studenten waren die selbständig neben der Hauptvorlesung einhergehenden Collegien über die Quellen und Bearbeitungen der jeweilig von ihm im Hauptcolleg vorgetragenen Epochen. Sein Lehrerfolg war gleich in Dorpat ein außerordentlicher, vielleicht etwas zu groß für den noch jugendlichen Anfänger; es konnte einige Enttäuschung nicht ausbleiben, als er in Königsberg bei ungünstigen äußeren Verhältnissen nur langsam zur früheren Höhe stieg, um dann freilich in Bonn und in Leipzig seinen Gipfel zu erreichen. Die sorgfältige Ausarbeitung seiner Vorlesungshefte nahm seine Zeit stark in Anspruch, so daß die wissenschaftliche Production stockte. In der politisch so hoch erregten Zeit vor und nach der Reichsgründung zogen auch ihn allgemeine Fragen stärker an, wissenschaftliche und hier zum letzten Mal ihn lockend, die tagespolitischen, er wurde ein eifriger Mitarbeiter an den „Grenzboten“. Ueberall, wo er weilte, suchte er auch die localgeschichtlichen Interessen zu fördern: so wirkte er in Königsberg für die Gründung des Geschichtsvereins für Ost- und Westpreußen, in Bonn hatte er ein Hauptverdienst an der Gründung der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und auch in Leipzig konnte er noch die erst nach seinem Tode erfolgte Bildung der sächsischen Commission für Landesgeschichte mit in die Wege leiten und den ersten Plan entwerfen.

Wegen seines großen wissenschaftlichen Planes stiegen ihm schon in Dorpat Zweifel auf, ob er seine Geschichte Philipp’s unmittelbar werde in Angriff nehmen können und nicht mit einer Geschichte des Trienter Concils sich erst die Grundlage schaffen müßte (an Noorden 9. VIII. 1868). Als er nun, zunächst in einzelnen Aufsätzen, an die weitere Arbeit ging (gesammelt als „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit“, Leipzig 1874), da entfernte er sich mit jedem Schritt mehr vom alten Ziel, er trat vom Zeitalter der Gegenreformation ganz in das der Reformation ein, wandte sich aber hier nicht dem Protestantismus zu, sondern jenen Vorbereitungen für die spätere katholische Offensive, den Versuchen, die Kirche von ihrem eigenen Boden aus zu regeneriren, welche ihm als eine katholische „Reformation“ neben der protestantischen erschienen. Der Name schon sollte hierbei statt wie bisher geschehen das Trennende, gerade das Verwandte der kirchlichen Erneuerungsbestrebungen betonen, und so läßt er in dem 1880 erschienenen ersten Band der „Geschichte der katholischen Reformation“ eine spanische und eine humanistisch-erasmische neben die eigentlich lutherische Reformation treten. Das Werk bezeichnet, auch in der energischen Form der Darstellung, den Höhepunkt von Maurenbrecher’s wissenschaftlichen Leistungen. Es blieb Torso, ein weiterer Band erschien nicht, so daß M. dem letzten Ziel, das er sich als junger Forscher in Simancas gestellt hatte, dauernd fern geblieben ist. Die Freude an dieser Arbeit schien zu erlahmen, ohne daß der eigentliche Grund sichtbar hervortrat, und der Entschluß, sie nicht fortzusetzen, zeigte sich in der Austheilung von Stücken seines Materials an jüngere Freunde und in der Veröffentlichung von Abschnitten seiner bisherigen Forschungen in einzelnen Aufsätzen („Die Lehrjahre Philipps II. von Spanien“, „Beiträge zur deutschen Geschichte 1555–1559“ in der Hist. Zeitschr. 50, „Tridentiner Concil)“. Diese erschienen meist in dem von 1881 bis zu seinem Tode von ihm herausgegebenen „Historischen Taschenbuch“; daneben schrieb er eine Reihe von Artikeln für die Deutsche Biographie, fast alle, außer dem über den Minister Schön, aus dem 16. Jahrhundert. Maurenbrecher’s Darstellungsweise trägt öfter ein rednerisches Gepräge; im Vortrag war er Meister, sowol in der akademischen Vorlesung wie in dem von ihm mit Vorliebe gepflegten populären [248] Vortrag. Er sprach nach ausgearbeitetem Heft, trotzdem aber mit lebendigster Unmittelbarkeit, mit starker Empfindung, besonders wenn die stärkste Seite in seinem Innern, sein Patriotismus, mit angeschlagen wurde. Im Seminar hielt er an der Form der Einzelreferate fest, die immer einen Theilnehmer fast ausschließlich zu Worte kommen läßt; er hatte eine große Abneigung gegen jeden schulmäßigen Zwang, wer nicht aus eigenem Antrieb mitarbeitete, den ließ er gehen. Die größte Wirkung übte er im persönlichen Verkehr auf die Schüler, die sich ihm enger angeschlossen hatten, so große Selbständigkeit er auch jedem absichtlich im Suchen nach seinem Ziele ließ. In diesem Verkehr trat auch die Seite seines Wesens hervor, welche der ferner Stehende kaum in dem energischen, bis zur Derbheit streitbaren Manne vermuthete: ein geradezu weiches inneres Empfinden, gebend und empfangend ein tiefes Bedürfniß nach Liebe und nach Freundschaft.

Weihnachten 1889 befiel M. eine schwere Influenza, im Juni 1890 traten die ersten bedrohlichen Erscheinungen eines Herzleidens hervor. Mit großer Energie wurde er trotzdem den Anforderungen seines Berufes gerecht und bei seiner schon sinkenden Kraft unternahm er es Anfang 1892 den Inhalt seines Collegs über die Zeit der Reichsgründung in einer Reihe öffentlicher Vorträge zusammenzustellen, in deren rednerischer Ausführung noch einmal seine volle, bis zum Leidenschaftlichen gesteigerte Lebhaftigkeit hervorbrach; kurz vor seinem Tode erschienen sie in Buchform („Gründung des Deutschen Reiches 1859 bis 1871“, Leipzig 1872; 3., von befreundeter Hand durchgearbeitete Auflage 1903). Er trug sich in letzter Lebenszeit noch mit dem Plane, eine zusammenfassende deutsche Geschichte in drei Bänden herauszugeben, und hatte auch mit der Bearbeitung der Anfänge begonnen: er blieb bis zuletzt in der Hoffnung des Lebens und Arbeitens, als ihm beider Ziel schon gesteckt war. Noch hatte er die Freude, daß seine Schüler Juli 1892 sein 25jähriges Professorenjubiläum zu einer von Herzen kommenden Kundgebung ihrer Anhänglichkeit benutzen konnten; die Herbstferien brachten keine Erholung mehr, er verschied am 6. November 1892.

Gustav Wolf, Wilhelm Maurenbrecher. Berlin 1893. – W. Busch, Zur Erinnerung an Wilhelm Maurenbrecher, Neue Bonner Zeitung 1893 (in beiden auch vollständige Angabe der von M. verfaßten Schriften). – Benutzt sind M.’s Briefe an Noorden und sein Briefwechsel mit Sybel.