Zum Inhalt springen

ADB:Springer, Anton

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Springer, Anton“ von Paul Clemen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 315–317, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Springer,_Anton&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 02:47 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 35 (1893), S. 315–317 (Quelle).
Anton Springer bei Wikisource
Anton Springer in der Wikipedia
Anton Springer in Wikidata
GND-Nummer 117479373
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|315|317|Springer, Anton|Paul Clemen|ADB:Springer, Anton}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117479373}}    

Springer: Anton Heinrich S., Kunsthistoriker und politischer Schriftsteller, wurde am 13. Juli 1825 zu Prag geboren. Sein Vater war Klosterbräuer im Prämonstratenserstift Strahow, dessen barocke Kunstschätze frühzeitig die lebhafte Phantasie des grüblerischen Knaben fesselten. An der Prager Universität, wo er seit 1841 seine erste Bildung erhielt, hatten der Herbartianer Exner und der Jung-Hegelianer Smetana den mächtigsten Einfluß auf ihn. Die liebevollste Aufnahme fand er im Hause der Frau Czermak, deren Söhne Jaroslaw, der Maler und Hans, der Physiolog, seine treuesten Freunde blieben. Nach einer Kunstreise nach München, Dresden, Berlin übernahm er schon 1846 den Unterricht in der Kunstgeschichte an der Prager Akademie. Der Winter 1846 führte ihn nach Italien.

Das Jahr 1847 brachte er in Tübingen zu, wo er mit Schwegler und vor allem mit Vischer in nähere Berührung trat. Hier promovirte er mit einer Arbeit über die hegelsche Geschichtsanschauung. Nach Prag zurückgekehrt bethätigte er seine junge Kraft zunächst als Journalist und begann im November 1848 an der Prager Universität seine Vorträge über die Geschichte des Revolutionszeitalters, die einen ungeheuren Zulauf hatten – fünfhundert Zuhörer saßen zu seinen Füßen – und den dreiundzwanzigjährigen Privatdocenten mit einem Schlage zu einem populären Manne in Böhmen machten. Es war das erste freie Wort, das in Oesterreich von einem Katheder ertönte.

Im Juli 1849 verließ er aufs neue Prag und durchstreifte Belgien, Frankreich und England, schauend, studirend, genießend. Nach einem Jahr kehrte er wieder zurück nach Prag, um dort die Redaction der föderalistischen Union zu übernehmen, die aber nach kurzer Zeit schon unterdrückt wurde. Angefeindet und verfolgt verließ S. für immer Oesterreich.

Im Winter 1852 habilitirte er sich in Bonn für Kunstgeschichte – hiermit beginnt die zweite und glücklichste Periode seines thatenreichen Lebens. Aeußerlich in gedrückten Verhältnissen, durch die Denunciationen Sacher-Masoch’s bei der preußischen Regierung als Revolutionär verdächtigt, verfolgt vom Minister v. Raumer, der jede Beförderung hintanhielt – erst unter dem Ministerium Bethmann-Hollweg wurde S. Professor – trat er sofort mit den besten und edelsten Geistern der Universität in nahe Berührung, zu Dahlmann, dessen Leben er nach seinem Tode (1860) schrieb, das Musterbild einer gerechten Würdigung des vielseitigen Mannes, wie es Freytag nannte, zu Ritschl, Jahn und dem Curator Beseler. Er entfaltete eine überaus umfangreiche Thätigkeit als Docent wie als Wanderredner in den größeren rheinischen Städten, nur unterbrochen von weiteren Reisen, nach Paris und als Begleiter der Fürstin Wied nach Rumänien. Sein Name gehörte neben denen von Ritschl und Jahn zu den gefeiertsten der Hochschule. In weiten Kreisen bekannt wurde sein Name durch die für ein breiteres Leserpublikum geschriebenen populären Arbeiten, die „Kunsthistorischen Briefe“ (Prag 1852–57), die „Baukunst des christlichen Mittelalters“ (Bonn 1854) und das „Handbuch der Kunstgeschichte“ (Stuttgart 1855).

Eine schwere Brustkrankheit, die er sich im Frühjahr 1868 durch Ueberanstrengung zuzog und die ihn zwang, in Sicilien Heilung zu suchen, machte einen [316] tiefen Einschnitt in sein Leben. Die dritte Periode seines Lebens setzt schon hier ein, die reichste an Lorbeeren – und an Schmerzen. Die lange versagten Anerkennungen trafen jetzt in rascher Folge ein. Im Jahre 1872 wurde er als Prorector an die neugegründete Universität Straßburg berufen und hielt hier am 1. Mai inmitten einer glänzenden Versammlung die Festrede zur Einweihung – Springer’s größter Ehrentag in der Sonnenhöhe seines Lebens – im Jahre 1873 folgte er einem Rufe nach Leipzig. Aber seine Gesundheit blieb gebrochen – im ersten Jahre seines Leipziger Aufenthaltes zeigte sich die tückische Krankheit wieder, die ihn von aller lauten Lebensfreude verbannte. Die letzten beiden Jahrzehnte verbrachte er in größter Zurückgezogenheit als der eremita Lipsiensis, niedergedrückt, aber in unwandelbarer Pflichttreue und mit erstaunlicher Arbeitskraft weiterschaffend, an der Seite seiner treuen und verständnißvollen Pflegerin, seiner Gattin Isabella. Seine letzten und bedeutungsvollsten Werke schrieb er als ein siecher Mann. Erst der Tod, der ihn am 31. Mai 1891 ereilte, nahm ihm die Feder aus der Hand.

S. ward politischer Schriftsteller in überschäumender Begeisterung und blieb es aus Neigung und Noth. Als katholischer Oesterreicher ward er geboren, als protestantischer Deutscher beschloß er sein Leben. Das Metternich’sche Oesterreich bot für ihn keinen Raum. Mit Naturnothwendigkeit entwickelte sich, wuchs, erweiterte sich seine politische Anschauung. Als jugendlicher Journalist war er gegen die Centralisation aufgetreten, hatte als Wortführer der Rechten des Reichstages für die einzelnen Kronländer größere Selbständigkeit verlangt, von einer Staatsregierung geträumt, der ein Staatenparlament einschränkend zur Seite trat. Die Unfähigkeit Oesterreichs, in einem großen Staatenbunde wieder die Hegemonie zu erlangen, hatte er schon in der Flugschrift „Oesterreich, Preußen, Deutschland“ (Leipzig 1851) dargethan. Sechszehn Jahre vor Nikolsburg forderte er den Ausschluß Oesterreichs aus dem deutschen Bunde. Seine größte politische That war die „Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809“ (Leipzig 1865), čechisch von Vaclav Pravada, Dějepis Rakouska od míru Videnského roku (Prag 1867), die er für die Hirzel’sche Staatengeschichte auf Dahlmann’s Veranlassung schrieb. Oesterreichs Schwäche und Unfähigkeit war das Thema, das Werk erschien ein Jahr vor 1866, dem Jahre des reinigenden „großen Unglücks“, das er als einziges Heilmittel mit politischem Weitblick seit Jahren ersehnt. Warme Brusttöne anzuschlagen bei der Schilderung des heroenlosen Leidenskampfes war ihm versagt: nur in leiser Ironie und schmerzlichem Unwillen konnte sein österreichisches Herz sich äußern. Kein Act der Felonie und kein öffentlicher Abfall war das Buch, als das es seine Feinde hinzustellen versuchten, die es ihm nie verzeihen konnten, daß er als Europäer, nicht als Oesterreicher schrieb. Oesterreich blieben seine Sympathien bis an sein Lebensende treu. Die in Prag begonnene Journalistenthätigkeit setzte er in Bonn fort, eifrig für die Selbständigkeit der Balkanstaaten eintretend, als langjähriger Mitarbeiter der Kölnischen und Allgemeinen Zeitung, später in den „Grenzboten“ und „Im neuen Reich“. Was er von dem neuerstandenen Reiche erhoffte, kennzeichnen am besten seine Friedensrede in Bonn und seine Weiherede in Straßburg. –

Als Kunsthistoriker hat er den Kampf um die Wissenschaftlichkeit der Kunstgeschichte siegreich zu Ende geführt und ihr durch seine Persönlichkeit nicht minder als durch sein Wort und seine Schriften das Heimathsrecht an den Universitäten erobert. Erst mit S. hat die Kunstgeschichte aufgehört, Luxuswissenschaft zu sein und ist zur anerkannten und selbständigen historischen Disciplin herangewachsen. Er half seine Wissenschaft abgrenzen nach drei Seiten hin, gegen die flache Culturschilderung, die einseitige, der Weite des Blickes entbehrende Kennerschaft [317] und die Aesthetik. Selbst ein Schüler Vischer’s und von Hegel ausgehend, hat er der Aesthetik langsam den Boden abgegraben und seine Lieblingswissenschaft in die mütterliche Erde verpflanzt, in der er selbst mit beiden Füßen lebenskräftig wurzelte, die Geschichte. Als der letzte der universalen Altmeister stand er an der Pforte einer Periode von sich selbst verleugnender Einzelforschung und führte seine Schüler in sie hinein. Seine wissenschaftliche Hauptthätigkeit war der mittelalterlichen, zumal der frühmittelalterlichen Kunst gewidmet, für die er, erst in den „Ikonographischen Studien“, dann in den „Bildern aus der neueren Kunstgeschichte“, endlich in den unter den Abhandlungen der kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften erschienenen Studien zur Kunst des 5. bis 12. Jahrhunderts neue wegweisende Gesichtspunkte aufstellte, die Bearbeitung der mittelalterlichen Ikonographie den Händen der bisherigen alleinigen Herrscher, der Theologen, entreißend und für die Erklärung der Bildwerke im weitesten Umfange die litterarischen Quellen heranziehend. Sein Hauptwerk auf dem Gebiete der italienischen Kunstgeschichte, zugleich das umfangreichste Werk seines Lebens, war die Doppelbiographie Raphael’s und Michelangelo’s (Leipzig 1879, 1883), in der er die beiden größten Renaissancepersönlichkeiten Italiens mit vollendeter Künstlerschaft plastisch herausmodellitte, der gewaltsamen Wucht des leidenschaftlichen Michelangelo noch besser gerecht werdend, als der stillen Lieblichkeit Raphael’s. Wenn er in seinen letzten Jahren mit der Detailforschung die Fühlung zu verlieren drohte, so war der Grund, daß seine Krankheit ihn zwang, auf Studienreisen und damit auf Autopsie zu verzichten.

S. war einer der gefeiertsten Kathederredner der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Voll von slavischem Pathos, oft bis zu michelangelesker Größe gesteigert, riß er den Hörer unwiderstehlich mit sich fort. Daß er seine ganze große Persönlichkeit bei seinem Vortrag, bei jedem Aufsatze einsetzte, sicherte ihm den breiten und tiefgehenden Erfolg, in seinen jungen Jahren die schöne Lebendigkeit seines starken, sich fröhlich regenden Geistes, und als diese dem Siechthum und dem Alter gewichen war, seine leidenschaftliche Begeisterung und seine starre und unbeugsame Unabhängigkeit.

A. Springer, Aus meinem Leben, Berlin 1892. Als Anhang: Gustav Freytag, Springer als Historiker und Journalist. Hubert Janitschek, Springer als Kunsthistoriker (mit Bibliographie seiner kunsthistor. Arbeiten). Schluß von Jaro Springer. – Nachruf von Hubert Janitschek im Repertorium für Kunstwissenschaft 1891, S. 442. – J. Lessing, Anton Springer in der Zeitschrift für bildende Kunst XX, Nr. 8. – W. v. Seidlitz ebenda N. F. III, Nr. 1. – Const. v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXXVI, S. 268 (mit Bibliographie seiner politischen Arbeiten). – v. Helfert, Die Wiener Journalistik im Jahre 1848 X, S. 182. – Neue Freie Presse 1865, Nr. 383. – [Wiener] Presse 1866, Nr. 285. – [Wiener] Deutsche Allgemeine Zeitung 1865, Nr. 306: Springer und die ungarische Frage 1848. – Litterarische Beilage z. d. Mittheilungen des Vereins f. d. Gesch. der Deutschen in Böhmen 1865, Nr. 16–19: Springer und die čechische Bewegung. – Allgemeine Zeitung 1875, Nr. 178. – Biographie von Jaro Springer als Einleitung zum Lagercatalog Nr. 289, 290 der Bibliothek Springer bei Baer, Frankfurt a. M. 1891. – Fr. Schneider i. d. Frankfurter Zeitung 3. Juni 1891. – J. Bayer i. d. Neuen Freien Presse 9. Juni 1891. – J. Vogel i. d. Wissenschaftl. Beil. d. Leipziger Zeitung 11. Juni 1891. – Fr. Servaes i. d. Freien Bühne für modernes Leben II, S. 615. – A. Fitger i. d. Weser-Zeitung, Wochenausgabe 16. Juni 1891. – H. Friedjung i. d. Beil. zur Münchener Allgemeinen Zeitung 1891, Nr. 150 u. 151. – Kunst für Alle VI, Heft 20, S. 308. – Bohemia 3. Juni 1891.