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ADB:Wegele, Franz Xaver

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Artikel „Wegele, Franz von“ von Richard Graf Du Moulin Eckart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 443–448, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wegele,_Franz_Xaver&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 16:52 Uhr UTC)
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Wegele *): Franz Xaver von W. wurde am 29. October 1823 zu Landshut a. L. in Baiern geboren. Seine Eltern waren einfache Leute, doch hat besonders die Mutter segensreichen Einfluß auf ihn geübt, wie ihr denn W. bis ins Alter ein geradezu rührendes Andenken bewahrt hat. Noch in seinen letzten Lebenstagen sprach er von ihr mit warmer Verehrung und nannte sie eine vortreffliche Frau. Die Eltern ermöglichten es, ihn zum Beginn seiner Studien nach Augsburg an das Stephansgymnasium zu senden. In dieser Anstalt, die zu dem gleichnamigen Benedictinerstifte gehört, herrschte seit der Neubegründung ein Geist echt wissenschaftlichen Strebens und wahrer Duldsamkeit, welcher die Entwicklung des Knaben sicher in jeder Beziehung gefördert hat. Sein Studiengang war denn auch ein vortrefflicher und ziemlich ausgeprägter: einer starken Abneigung gegen Mathematik stand ein warmes und reges Interesse für Geschichte und Litteratur gegenüber. Kurz vor Schluß der Gymnasialzeit starb ihm der Vater (1842). Im Herbste desselben Jahres siedelte er auf die Universität München über. Von bleibenden Eindrücken und Einflüssen aus dieser Zeit erfahren wir nichts. Auch Döllinger ist er erst in späteren Jahren, nachdem er sich bereits einen Namen gemacht hatte, näher getreten. Im Ganzen war sich W., wie es scheinen will, in München über seine Absichten nicht klar geworden. Zunächst hatte ihn wohl die Litteraturgeschichte angezogen und begeistert, und ihr zu Liebe hatte er mit dem Studium der neueren Sprachen begonnen. Das wurde nun in Heidelberg anders. Hier gewannen seine Studien Ziel und Farbe, und er selbst eine Fülle von Eindrücken, die sein Leben und Streben bestimmt haben. Gervinus war vor kurzem aus dem Norden nach Heidelberg zurückgekehrt, um sich mehr denn früher der Politik und der politischen Geschichte zu widmen. Hatte er doch seine Litteraturgeschichte im Jahre 1842 mit einem Appell an die deutsche Nation geschlossen, sie möge ihrer politischen Aufgaben eingedenk sein. Auch seine akademische Lehrthätigkeit hatte er während Wegele’s Anwesenheit in Heidelberg wieder aufgenommen und besonders mit seinen Vorlesungen über Politik großen Eindruck auf die Studentenschaft gemacht. Dazu kam dann noch Schlosser, der auf Wegele’s Geschichtsauffassung entschiedenen Einfluß geübt hat, während Häusser den jungen Baiern gewaltig anzog; und als Häusser’s Schüler mag [444] W. wol gelten. Jener hat den künftigen Collegen auch ferner im Auge behalten. Im Juli 1847 gewann sich dann W. den Doctorgrad.

Die hochgehende politische Erregung, die Gervinus und Häusser in diesen Jahren so mächtig erfaßt hatte, und ihre ganze spätere Thätigkeit beherrschte, hatte sich unter dem Einfluß seiner Lehrer auch Wegele’s bemächtigt und ihn mit starker, politischer Leidenschaft erfüllt. Zeit seines Lebens hat er sich dieselbe zu wahren gewußt, und, wenn er auch politisch niemals als Führer hervorgetreten, so ist er doch dem Gange der Politik mit lebhaftem Interesse gefolgt, hat er die nationalen Ideen mit Begeisterung im Herzen getragen. So mag es denn als die Wirkung der gespannten Heidelberger Atmosphäre gelten, wenn sich W., ehe er daran ging, seinen wissenschaftlichen Weg weiter zu verfolgen, nach Frankfurt begab, um die erste deutsche Nationalversammlung aus unmittelbarer Nähe zu beobachten. Die bewegungsvollen Tage des Jahres 1848 hat er in der alten Krönungsstadt verbracht und dort höchst werthvolle Eindrücke empfangen. Er hat dort, wie er später oft und gerne erzählte, die verschiedenen Clubs besucht und vergleichende Beobachtungen angestellt. Seinen näheren Landsleuten ist er jedoch nicht näher getreten, auch dem Kreise, den Friedrich Böhmer um sich versammelte und in welchem sich Döllinger, Lasaulx, Kriegk, Sepp u. a. zusammenfanden, blieb er fern. Auch Döllinger erwärmte sich erst später wegen der Reinhardsbrunner Annalen für ihn; dann freilich wurde er Wegele’s eifriger Protector.

Bereits im folgenden Jahre (1849) habilitirte sich W. in Jena. Es war der Anfang einer arbeitsreichen, fruchtbaren Zeit, die er immer für die schönste seines Lebens gehalten hat. Zunächst vollendete er ein Buch, das den Charakter seiner litterarisch-historischen Studien in eigenartiger Weise zum Ausdruck brachte: „Dante’s Leben und Werke kulturgeschichtlich dargestellt“ (1852). Die Schrift erregte Aufsehen und erlebte drei Auflagen (3. Auflage 1879). Sie brachte ihn mit der Danteforschung in engere Beziehungen, die ihm freilich auch manche bittere Enttäuschung bereitet haben. Und doch hatte das Buch ganz entschiedene Verdienste. In der ersten Auflage war er darauf ausgegangen, „Dante aus dem Kreise der blos ästhetischen oder bewundernden Betrachtungsart heraus in die Nähe historischer Probleme einzuführen.“ Es war ihm darum zu thun gewesen, „einem der größten und umfassendsten Geister des Mittelalters historisch näher zu kommen und die Stellung anzudeuten, die ihm in der Geschichte des Abendlandes gebührt.“ Es war die neue Betrachtungsweise, die Aufsehen erregte und ihm viele Freunde gewann. Besonders gelungen war die Darstellung von Dante’s Verbannung und seiner Stellung zu dem Römerzuge K. Heinrich’s VII. Das Capitel über Dante’s Politik war erschöpfend. Den Glanzpunkt des Buches bildete die Auslegung der Beziehungen des großen Dichters zu den nationalen Fragen Italiens und zu den reformatorischen Ideen. – Nachdem er mit diesem Buche die Aufmerksamkeit der Gelehrten in so glücklicher Weise auf sich gelenkt hatte, gab er sich um so freudiger den nächsten Eindrücken hin, ließ er den Zauber Thüringens unmittelbar auf sich wirken. Vor allem Weimar zog ihn mächtig an und eine Studie über Karl August (1850) brachte den Jenenser Privatdocenten in Berührung mit dem Hofe, wohin er wohl auch zu einem Vortrag befohlen wurde. Im übrigen legte er hier den Grund zu einem großen Theile seiner späteren Arbeiten. Die thüringische Geschichte interessirte ihn lebhaft und er vertiefte sich immer mehr in dieselbe, ohne daß er sich in das Localhistorische vergraben hätte. Als erste große Frucht dieser Arbeiten erschienen die „Annales Reinhardsbrunnenses“ (1854) und das „Chronicon ecclesiasticum des Nicolaus v. Siegen“ (1855). Mit diesen Studien hängt unmittelbar sein Werk über „Friedrich den Freidigen“ zusammen, das er freilich [445] erst in Würzburg vollendet hat. Im Jahre 1855 veröffentlichte er außerdem eine kleine Arbeit über „Arnold v. Selenhofen“.

Die „Reinhardsbrunner Annalen“, deren Herausgabe ein mühevolles, aber um so dankenswertheres Verdienst war, haben, wie schon erwähnt, die Aufmerksamkeit Döllinger’s auf W. gelenkt, der inzwischen (1851) zum Extraordinarius befördert worden war. Dem hervorragenden Gelehrten verdankte es W. vor allem, daß der edle Freund und Förderer der Geschichtswissenschaft, König Maximilian II. auf ihn aufmerksam wurde und sich lebhaft für ihn interessirte. Dies wird wohl mit Recht auf einen intimen Vorgang bei der königlichen „Tafelrunde“ zurückgeführt. Thatsächlich wurde W. im Jahre 1857 als ordentlicher Professor nach Würzburg berufen, mit der besonderen Weisung, die den persönlichen Intentionen Maximilian’s entsprang, sich vor allem der Erforschung der fränkischen Geschichte zu widmen, eine Aufgabe, die W. Zeit seines Lebens im Auge behalten und der er umfangreiche Studien gewidmet hat. Sofort faßte er den Gedanken, eine „ostfränkische Geschichte“ zu schreiben, und trat noch im Jahre 1857 mit dem fertigen Plane hervor. Dieser fand den vollen Beifall Sybel’s und dessen eifrige Unterstützung: er that alles, um die Aufnahme des Projects unter die Arbeiten der Historischen Commission zu erwirken. Es gelang ihm auch, den König dafür zu gewinnen, so daß er die Angelegenheit bereits für völlig gesichert hielt und in einem Aufsatz über die wissenschaftlichen Unternehmungen des Königs, der für die Allgemeine Zeitung bestimmt war, davon ausdrücklich Notiz nahm. Aber da erhielt er in letzter Stunde einen Bescheid, der zwar W. manche Vortheile sicherte und ihm warme Förderung seines Unternehmens verhieß, aber in der Hauptsache eine empfindliche Ablehnung bedeutete. Es war eine Enttäuschung, die für das Werk nicht von Vortheil war. Mehr Glück hatte W. mit dem historischen Seminar, dessen Errichtung er gleichfalls von Anfang an betrieben, und das er denn auch mit der Zeit auf die Höhe der modernen Einrichtungen gebracht hat. Im Jahre 1858 wurde er in die Historische Commission berufen, zu deren ältesten und eifrigsten Mitgliedern er gezählt hat. Die alljährlichen Sitzungen besuchte er mit großer Freude. Viele Freundschaften wurden hier geknüpft, die erst der Tod gelöst hat, so mit K. Hegel[WS 1], Stälin und vielen anderen. Besonders intim gestaltete sich sein Verhältniß zu G. Waitz, zumal, seitdem er in die Redaction der „Forschungen zur deutschen Geschichte“ mit eingetreten war. Die fränkische Geschichte ruhte indessen keineswegs, wenn auch kein guter Stern darüber waltete. Die umfangreichen Vorarbeiten, die sich in seinem Nachlaß fanden, (jetzt in der Universitätsbibliothek zu Würzburg aufbewahrt) beweisen am besten die Gründlichkeit, mit welcher er an die schwierige Materie herangegangen. Vollständig brach blieben indessen diese Arbeiten nicht liegen. Er veröffentlichte vielmehr im Laufe der Jahre eine Reihe von kleineren Aufsätzen und Vorträgen zur fränkischen Geschichte, die zum Besten gehören, was er überhaupt geschrieben hat. Da erschien zunächst ein damals wohl aufgenommener Artikel über Wilh. von Grumbach (1859), für den er sich auch späterhin lebhaft interessirt hat; ferner eine kleine Studie „Der Hof zum Grafen Eckard zu Würzburg“ (1860). In „Bischof Gerhard von Würzburg und der Städtekrieg“ (1861) hat er zum erstenmale eine interessante und wichtige Epoche der fränkischen Geschichte in ihrer ganzen Bedeutung für die Reichsgeschichte gewürdigt. Die Herausgabe der „Monumenta Eberacensia“ wurde als ein vielversprechender Anfang einer „Franconia sacra“ begrüßt. Hier sei auch gleich die Studie „Zur Litteratur und Kritik der fränkischen Nekrologien“ (1864) erwähnt, der sich 1877 eine ähnliche Anschloß („Corpus Regulae seu Kalendarium Domus S. Kiliani Wirceburgensis“ etc. Abh. d. Münch. Akad. III. Cl. XIII. Bd. 3. Abt. 1877).

[446] Das Jahr 1863 brachte ihm das Rectorat. Mit seiner Festrede „Die Reformation der Universität Würzburg“ wandte er sich einem Arbeitsgebiete zu, das ihn später noch in intensiverer Weise beschäftigen sollte. Indeß hatte er seine Forschungen zur thüringischen Geschichte keineswegs bei Seite gelegt. Bereits im Jahre 1861 war ein lehrreicher Aufsatz über die hl. Elisabeth erschienen, in welchem er mit Glück das Bild der einzigartigen Frau von dem mehr oder minder schönen Schmucke der Legende und mönchischen Tradition befreite. Dann aber brachte das Jahr 1870 sein umfassendes Werk über „Friedrich den Freidigen und die Wettiner seiner Zeit (1247–1325)“. Es war wieder ein Griff ins Volle. W. war es gelungen, in eine der dunkelsten und unsichersten Partieen der deutschen Geschichte des Mittelalters Licht zu bringen und Ordnung in die wirre Masse von dunklen Nachrichten.

So zeigt die erste Periode des Würzburger Aufenthalts ein Bild reicher, fruchtbarer Thätigkeit, die umsomehr anzuerkennen ist, als der Pfad keineswegs dornenlos war. Gerade hier in der schönen Bischofsstadt am Main hatten sich die politischen Gegensätze scharf zugespitzt. Würzburg selbst erschien als eine Vorburg des Particularismus, eine Empfindung, die W. in seinen Lehrjahren völlig abgestreift hatte. In seiner politischen Denkungsart hatte er sich völlig den Gothaern angeschlossen, die sich in Würzburg freilich in der Minderzahl befanden. Doch wurde sein Glaube an Preußens deutsche Aufgabe auch nicht in den schweren Julitagen 1866 erschüttert; im Gegentheil, er bekannte offen seine Ansichten, obwohl es nicht an Drohungen der schlimmsten Art fehlte. Die Rechtfertigung sollte indeß nicht ausbleiben, und er hatte die Genugthuung, im Novbr. 1870 einen Vortrag über „Friedrich Barbarossa“ mit einem warmen Appell an das deutsche Gefühl schließen zu können. Der Vortrag war übrigens die Frucht eingehender Beschäftigung mit dieser Periode, die ihn besonders während eines längeren Aufenthalts in Ulm angezogen hatte. Giesebrecht hat ihn zu dem besten gerechnet, was über diesen Kaiser geschrieben worden ist. Nun aber begann W. eine neue Aufgabe zu locken. Bereits im September 1859 hatte Ranke in der Sitzung der Historischen Commission den Plan einer „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ vorgelegt. Allmählich hatte man die Rollen vertheilt. Nur über der Geschichte der Historiographie schwebte ein eigenartiges Verhängniß. Es wollte sich keiner finden, der sich an den so überaus schwierigen Gegenstand gewagt hätte. Im Jahre 1868, also fast ein Jahrzehnt nach dem Beginne des Unternehmens, drang Ranke endlich in Sybel, die Arbeit zu übernehmen. Aber auch dieser lehnte ab, trotz des Reizes, den, wie er meinte, die Aufgabe für ihn hatte. Um so eifriger aber bemühte er sich, sie W. zuzuwenden, der sich ihm gegenüber bereit erklärt hatte, das Buch zu schreiben (October 1869). Und bald darauf konnte er W. befriedigende Nachricht senden, zugleich mit seinem „herzlichsten Glückauf bei Eröffnung dieses Schachtes“. Bereits am 24. October empfing W. den officiellen Antrag der Commission, den er mit großer Befriedigung annahm. Er ging nicht unvorbereitet an diesen Gegenstand. Bereits in Jena hatte er Historiographie gelesen; aber die unendlichen Schwierigkeiten dieses Unternehmens hatte wohl auch er unterschätzt. Erst zehn Jahre nach dem festgesetzten Termin (1885) konnte er das umfangreiche Werk der Oeffentlichkeit übergeben. Es war mit Ungeduld erwartet worden, denn es sollte und mußte ja ein Hilfsmittel ersten Ranges werden. So erschien von guter Vorbedeutung, was Ranke damals (28. September 1885) darüber in einem Briefe an Giesebrecht sagte, in welchem er seine „lebendige Aufmerksamkeit“ an den allgemeinen Arbeiten der Historischen Commission bekundete. „Hat uns doch“, schreibt er, „ein Mitglied derselben soeben mit einer Geschichte der Historiographie beschenkt, welche das ganze Gebiet umfaßt und für die ich an meinem [447] Theile besonders dankbar sein muß.“ Aber sonst fand das Werk eine wenig freundliche Aufnahme und brachte vor allem W. selbst eine tiefe und bittere Enttäuschung, die er nicht mehr verwunden hat. Seine Schaffenslust war von diesem Augenblicke an wie gelähmt, ein tiefer Mißmuth bemächtigte sich seiner und so suchte er nun Trost in der Lehrthätigkeit an seiner geliebten Universität Würzburg, der er durch so langes Wirken treu verbunden war. Zum Jubiläum der „Alma Julia“ hatte er im Auftrage des akademischen Senats die Geschichte der Universität (2 Bde. 1882) geschrieben, die neben wissenschaftlicher Gründlichkeit viel Farbe und Leben zeigte. Besonders der Abschnitt über die Stiftung und den Stifter war sehr wohl gelungen. Er hatte die Darstellung aus wohlbegreiflichen Gründen mit dem Jahre 1805 abgebrochen, jedoch mit der Absicht, in einem Schlußbande die Fortsetzung zu geben. Leider nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand.

War ihm nun seine Lehrthätigkeit in den letzten Jahren ein Trost, so war sie früher stets sein Stolz und seine Freude gewesen. Schon in Jena hatte er außerordentliche Erfolge erzielt, die sich in Würzburg noch gesteigert haben. Er hat hier als Docent und Lehrer eine im hohen Maaße anregende und segensreiche Wirksamkeit geübt. Seine Vorlesungen waren das Product gründlicher, durchdringender Arbeit. Hier stand ihm auch der charakteristische Ausdruck mehr zur Verfügung als in seinen Schriften. Er versuchte nicht durch die Phrase zu wirken, sondern vor allem durch die Thatsachen selbst, die er aus der Fülle seines reichen Gedächtnisses mit klarem Geiste und warmer Ueberzeugung vortrug. Einen Hauptwerth legte er darauf, die Persönlichkeiten zu charakterisiren und aus ihren Eigenschaften ihre Thaten abzuleiten und zu erklären. „Man fühlte, er hatte ein inneres Verhältniß zu den Gestalten gewonnen, und darum konnte er sie so plastisch vor Augen stellen.“ Er arbeitete rastlos daran weiter und hat noch im Alter die Mühe nicht gescheut, neue Stoffe zu wählen. So las er in den letzten Jahren über Shakespeare, und zwar in so gründlicher und eigenartiger Weise, daß er selbst den Plan faßte, die Vorträge zu veröffentlichen. Er hat über das ganze Gebiet der mittleren und neuen Geschichte gelesen, daneben auch über Historiographie und Politik. „Vieles war mit solcher Sorgfalt vorbereitet, daß Stunde für Stunde wie ein in sich fertiges Kunstwerk der Charakteristik erschien. In dramatischer Gegenwart wußte er die Figuren der Weltbühne agiren zu lassen, weil er ganz bei der Sache war, mit Begeisterung, mit Empörung, ganz wie es die Sache gebot.“ „Jung und Alt wußte er in gleicher Weise hinzureißen durch zündenden Idealismus der Auffassung, im Sinne einer humanen, liberalen, deutschen Entwickelung“ (B. Seuffert). Die Kunst der Charakteristik zeichnet auch seine kleinen Schriften aus, deren Herausgabe ihn noch in den letzten Lebensjahren beschäftigt hat. Er kam nicht mehr dazu; doch sind sie nun nach seinem Tode erschienen. Ich nenne hier noch: „Graf Otto von Hennenberg-Botenlauben und sein Geschlecht“ (1875); „Goethe als Historiker“ (1876); „Aventin“ u. s. w. Einen großen Theil seiner Arbeitskraft aber hat er in den Dienst der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ gestellt, in deren Redaction er gemäß dem Commissionsbeschluß vom 22. October 1873 eingetreten war, um die politische Geschichte und Geschichtsschreibung zu übernehmen. Er hat sich in der langen Zeit seiner Mitarbeiterschaft bleibende Verdienste um das Unternehmen erworben und sich stets als getreuen Arbeitsgenossen bewährt. Daß er sich hierbei mit der Aufgabe als Mitredacteur nicht begnügte, beweist am besten die Thatsache, daß er nicht weniger als 169 Artikel selbst geschrieben hat, darunter viele von hervorragender Bedeutung.

Gegen Ende 1896 begann er zu kränkeln, doch suchte er im Frühling noch einmal sein geliebtes Lichtenthaler Asyl bei Baden-Baden auf, um hier Genesung [448] und neue Kraft zu finden. Hier feierte er sein 50jähriges Doctorjubiläum, zu dem er aus nah und fern die Wünsche und Zeichen liebevoller Verehrung und Hochschätzung empfing. An Ehrungen von Seiten des Staates hatte es ja überhaupt nie gefehlt. Dann aber verfiel er, wieder nach Würzburg heimgekehrt, einer schweren Krankheit, von der ihn am 17. October 1897 der Tod erlöst hat. Er starb, sich selbst getreu und seiner Ueberzeugung.

W. war zwei Mal verheirathet: das erste Mal vermählte er sich in Jena am 12. August 1850 mit Agnes Stark, die er jedoch schon am 19. Februar 1864 durch den Tod verlor. Am 11. September 1866 führte er Mathilde, die Tochter des hervorragenden kurhess. Juristen, Obergerichtsdirector Herm. Kersting (A. D. B. XV, 650 f.) heim, die ihm bis zu seinem Tode treu und theilnahmsvoll zur Seite gestanden und die Freude theilte, die er an den Kindern erlebte. Für seine wissenschaftlichen Bestrebungen hatte er an ihr die warmfühlende, fein empfindende Genossin. W. war eine stark ausgeprägte, feste, goldtreue Natur. Ein Charakter, aus hartem, kernigen Holze geschnitzt, der, selbst lauter und gerecht, ein Feind aller niedrigen und kleinlichen Gesinnung war; dabei aber besaß er einen Schatz von Herzensgüte. Einer seiner treuesten Schüler, B. Seuffert, sagt von ihm mit Recht: „Wegele’s Andenken wird fortleben als das eines echten deutschen Professors. Unermüdlich war er und pflichttreu, anspruchslos für seine Person, Achtung heischend für seinen Beruf, der sein ganzes Wesen einheitlich erfüllte, fest und gerade dem Ideale dienstbar, das ihm in allen Dingen vorschwebte“.

K. v. Hegel, i. d. Beil. zur Allg. Ztg. 1893, Nr. 247. (Zum 70. Geburtstage Wegele’s.) – Henner, Trauerrede (Ms.). – B. Seuffert, Nekrolog (Euphorion Bd. 5). – Vgl. auch die Recensionen über Wegele’s Werke in der Hist. Zeitschrift u. s. w. – Außerdem mündliche und schriftliche Mittheilungen; Correspondenzen, beonders Briefe Wegele’s an K. v. Hegel, Briefe an W. von L. Häusser, R. Freiherrn v. Liliencron, Chr. Fr. Stälin, H. v. Sybel, G. Waitz u. s. w. Vgl. ferner F. Dahn, Erinnerungen IV, 1, 3–197.

[443] *) Zu Bd. XLI, S. 421.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Hegel (1813–1901), ab 1891 Karl Ritter von Hegel, Historiker und Sohn des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Seit 1856 Professor an der Universität Erlangen und Mitglied der 1858 gegründeten Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Siehe den Artikel über ihn in der Wikipedia.