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ADB:Unverzagte, der

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Artikel „Unverzagte, der“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 322–323, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Unverzagte,_der&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:12 Uhr UTC)
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Unverzagte: Der U., ein begabter Spruchdichter aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, dessen Sprüche nur in der Jenaer Handschrift auf uns gekommen sind. Obgleich seiner Sprache nach Mitteldeutscher, verräth er doch in [323] seiner äußerst leichten und gewandten Technik oberdeutsche Anregungen. So handhabt er in seinen drei Strophenformen den Auftact mit seltner Consequenz; so zeigt er Neigung zu geregelterer Verwendung des anaphorischen Schmucks. Gleichfalls auf ein oberdeutsches Vorbild, die bekannte Schelte des Eßlinger Schulmeisters, würde des U. geistreicheres Scheltlob des geizigen Königs Rudolf hinweisen, wenn nicht auch eine verwandte Strophe Stolle’s die Vermittlung hergeben könnte. Der U. macht seinem Beinamen Ehre. Er ist nicht blöde. Kaum ein zweiter hat so unverschämt die gehrenden Leute zum höchsten Tribunal über Tugend und Laster gemacht wie er. Und diese Gehrenden schätzen nur eine Tugend, die Freigebigkeit. Das ist nicht neu. Aber der U. versteht es, das alte bittre Lied mit neuen Pointen auszustaffiren. Dem Geizigen, der nicht Kleider schenkt, wünscht er, daß er in seinem Ehebett eines fremden Mannes Kleider finde: dann ist er reich an Kleidern und an Schande. Oder er vergleicht in einem Bilde, das wie bei Hugo v. Trimberg, so noch bei Hans Sachs und Logau wiederkehrt, den kargen Wucherer dem Mastschweine: beide nützen erst mit dem Tode. Nicht nur gehrend, auch spähend und prüfend zieht er von Hof zu Hofe; er legt Werth darauf, daß der reiche Wirth dem armen Gast gegenüber streng die höfliche Etiquette von Gruß und Frage beobachtet und sitzt ingrimmig über die unmilden Herren zu Gerichte. Die Milden aber die sind ihm lebende Heilige, zu denen er lieber pilgert, als zu irgend einem todten Heiligen in der Ferne! – Sein zweites stehendes Thema sind die Angriffe auf die Concurrenten. Glimpflich kommen noch die Geiger fort, die Vertreter der neuen Instrumentalmusik, über die sich der des Meistersanges Kundige hoch erhebt. Viel schlimmer aber scheinen ihm die ganz Kunstlosen, die ‚Bierlotter‘, die törichte Herren bevorzugen, weil sie billig sind. Die ungeschulten Anfänger mahnt er derb, in Anlehnung an ein bekanntes Sprüchwort, sie sollten im Neste bleiben, bis ihnen die Flügel gewachsen seien. Am meisten aber verdrießen ihn die Schälke, die Kerle am Hofe, die zu Unrecht des Herrn Ohren haben: er möchte der Zwergenkönig Antiloie der Alexandersage sein, um sie nach Herzenslust prügeln zu können. – In diesen Angriffen geht des U. poetische Individualität auf. Was er sonst gedichtet hat, ist sehr wenig und bleibt ganz in den begangensten Bahnen mhd. Lehrdichtung; höchstens sei ein Ausfall gegen die unheilige Kampflust der gelehrten, d. h. geistlichen Fürsten erwähnt. Der U. wird, wo er sich nicht der Haut wehrte und für die Nahrhaftigkeit seines Berufes streiten mußte, Dichtungen Anderer auf seinem Repertoire gehabt haben. Immerhin war er ein recht namhafter Sänger: Raumsland hält ihn dem übermüthigen Singauf als ‚spaehen meister‘ entgegen neben Konrad von Würzburg und dem Meißner, also in recht rühmlicher Gesellschaft.

Minnesänger, hsg. von v. d. Hagen, III, 43–46; IV, 713 f.