Zum Inhalt springen

ADB:Neumann, Hermann Kunibert

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Neumann, Hermann“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 521–523, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neumann,_Hermann_Kunibert&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 11:36 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 23 (1886), S. 521–523 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Hermann Kunibert Neumann in der Wikipedia
Hermann Kunibert Neumann in Wikidata
GND-Nummer 104286083
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|521|523|Neumann, Hermann|Franz Brümmer|ADB:Neumann, Hermann Kunibert}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104286083}}    

Neumann: Hermann Kunibert N. wurde am 12. Novbr. 1808 zu Marienwerder geboren und, weil er körperlich sehr schwächlich war, schon im dritten Lebensjahre einer greisen Oberförsterfamilie übergeben, die mitten in einem Tannenwalde wohnte. Dort blieb er bis zum sechsten Jahre und kam dann zu einem Schullehrer auf dem Lande. Ohne irgend welche Kenntnisse kehrte er im zwölften Jahre nach Hause zurück, erhielt hier vorbereitenden Unterricht und besuchte hierauf das Gymnasium in seiner Vaterstadt, später dasjenige in Elbing. Im J. 1826 trat er in die preußische Armee ein, stand zuerst in Elbing, bald darauf in Wesel und darnach in Düsseldorf, verließ aber 1839 den Militärdienst als Premierlieutenant und trat 1840 zu Düsseldorf in die [522] Militärverwaltung über. Ende 1841 kam er als Vorstand der Garnisonverwaltung nach Wetzlar und 1842 als Oberinspector nach Torgau. Hier zog das zwingende Vertrauen der Bürger den stillen Dichter 1848 in die politische Bewegung hinein: er ward Leiter fast sämmtlicher Vereine der Stadt und des Kreises und von ihnen als Vertreter zum constitutionellen Congreß nach Berlin gesandt; er organisirte die Bürgerwehr und – damit auch die Komik in den Beweisen des Vertrauens nicht fehle – die Torgauer Bäckerinnung ertheilte ihm das Diplom eines Bäckermeisters. Gegen Ende des Jahres 1848 wurde N. zur Uebernahme der Garnisonverwaltung nach Glatz versetzt und hier bald darauf von der durchweg katholischen Bevölkerung der Grafschaft zur Nationalversammlung in Berlin abgeordnet, in der er sich zur Partei Waldeck hielt. Nach Auflösung der Versammlung zog sich N. von der Politik zurück und, seit 1853 als Garnisonverwaltungs-Oberinspector in Neisse wirkend, lebte er in tiefer Zurückgezogenheit nur seinem Amte, seiner zahlreichen Familie und der Poesie, welche ihm eine Trösterin in seinen anhaltenden körperlichen Leiden geworden war. Er starb in Neisse am 8. Novbr. 1875. – N. ist als Dichter von großer Productivität gewesen. Er trat zuerst mit dem Märchen „Irisholdlein und Rosaliebe“ (1835) in die Oeffentlichkeit, das er dann seinen „Dichtungen“ (1838) wieder einfügte. Letztere enthalten außer dem dramatischen Märchen „Die Frühlingsfeier der Elfen“ und dem Trauerspiel „Althäa und Aithone“ vorwiegend epische Poesien, die zwar noch in phantastisch-romantischem Sinne gehalten sind, aber schon des Dichters bedeutende Gestaltungsgabe erkennen lassen. Früher schon waren „Des Dichters Herz“ (1836), ein romantisches Gedicht in drei Gesängen und „Erz und Marmor“ (1837), drei vaterländische Dichtungen erschienen. Dann folgte Neumann’s bedeutendste Dichtung „Nur Jehan. Gedicht in vier Gesängen“ (1843), in welchem er seine Meisterschaft im Bau der italienischen Stanze documentirte. „Die schönen klaren ottave rime dieses Gedichtes athmen einer Zauber, der an Ernst Schulze’s Bezauberte Rose erinnert und sind von anerkennenswerther Vollendung der Form. Auch die einfach-ansprechende und doch spannende Verknüpfung der Begebenheiten, die prächtige Schilderung des Thales von Kaschmir und des Rosenfestes, das Gleichmaß eines lebendigen und nirgends überreizten Stiles lassen einen harmonischen und künstlerischen Eindruck zurück“. Nach einer Abschweifung auf dramatisches Gebiet, welche das Gedicht „Das letzte Menschenpaar“ (1845) zeitigte, in welchem der Dichter seine tiefreligiösen, wenn auch nicht biblisch-gläubigen Ideen über Religion, Christenthum und Liebe zur Darstellung bringt, schrieb N. sein zweites größeres Epos „Jürgen Wullenweber, der kühne Demagoge“ (1846). Es ist zu bedauern, daß der Dichter sein Epos in einzelne, nur durch den Inhalt zusammenhängende Romanzen aufgelöst und dadurch gegen die höchste Anforderung der Kunst, den Stoff in einer künstlerisch abgerundeten Ausführung zu behandeln, verstoßen hat, wenn gleich ja zugestanden werden muß, daß die einzelnen Abtheilungen, für sich betrachtet, von großer Schönheit, voll Kraft und Leben sind. Die „Gesammelten Dichtungen“ (1856) Neumann’s, vorwiegend lyrischer Art, sind bis jetzt noch nicht nach Verdienst gewürdigt worden. Die größere Zahl seiner Lieder ist von echtem Werth; sie blenden zwar nicht durch glänzende Darstellung, bieten aber einen tiefen, gedankenreichen Gehalt. Weit bedeutender noch ist Neumann’s Sonettenkranz „Lazarus. Trost und Rath für Leidende“ (1858). Diese Sonette, 188 an der Zahl, entstanden während einer langen und schmerzhaften Krankheit des Dichters und sind eigentlich nichts anderes, als eine poetische Geschichte der Krankheit, indem der Dichter die mannigfaltigen und wechselnden Stimmungen seiner Seele während derselben in scharfen Zügen darstellt. Nur einem wahren Dichtergeist konnte es gelingen, einem so beschränkten [523] und scheinbar so undankbaren Stoff einen so reichen Inhalt in künstlerischer Form zu geben, daß der Leser bei jedem Sonett neue Anregung empfängt. Auch die „Herzenslieder“ (1870) Neumann’s zeichnen sich durch liebliche Anmuth aus. Den politischen Weltereignissen verdanken wir die Anregung zu den „Geharnischten Sonetten“ (1859), zu den Kanzonen „Krieg dem Kriege“ (1871) und den Zeitgedichten „Deutsches Schwert und Lied“ (1871). Von den beiden noch zu verzeichnenden Epen „In Schleswig-Holstein und Daheim“ (1875) und „Dinonhy. Gedicht in drei Gesängen“ (1865) zeichnet sich das letztere, das gleichfalls in der italienischen Stanze geschrieben ist, durch prächtigen poetischen Farbenschmuck aus und bestätigt das Urtheil der Kritik, daß N. unter den neueren Epikern einen hervorragenden Platz einnimmt.

H. Kurz, Geschichte der deutschen Nationallitteratur, IV. Bd., S. 311 u. 403. – R. Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh., III. Bd., S. 306.