Zum Inhalt springen

ADB:Fischart, Johann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Fischart, Johann“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 31–47, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fischart,_Johann&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 18:00 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Fisch, Johann Georg
Nächster>>>
Fischbach, Johann
Band 7 (1878), S. 31–47 (Quelle).
Johann Fischart bei Wikisource
Johann Fischart in der Wikipedia
Johann Fischart in Wikidata
GND-Nummer 118533185
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|7|31|47|Fischart, Johann|Erich Schmidt|ADB:Fischart, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118533185}}    

Fischart: Johann F., genannt Mentzer, ist um die Mitte der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts in Mainz oder, was wahrscheinlicher, in Straßburg geboren. Welcher von beiden Städten in dem Streit um den genialsten Schriftsteller seiner Zeit der Sieg gebühre, läßt sich nach dem bis jetzt vorliegenden Materiale nicht mit völliger Sicherheit entscheiden. Das selten fehlende „genannt Mentzer“ kann auf einen von Vater oder Großvater her angenommenen Namen gehen und, wenn dem Argentoratensis ein de Moguntiaco, dem Mentzer [32] du Strassbourg von 1567 ein „von Mentz“ entgegensteht, so können auch diese Bezeichnungen leicht über ihn selbst hinausweisen. Das urkundliche Zeugniß des Basler Doctorenbuches Johannes Fischartus Argentoratensis spricht für Straßburg; an zahlreichen Stellen der Werke (schon Nachtrab V. 129. Glückhafft Schiff, Kehrab, Beschreibung der Bündnuß) spricht der „Mentzer“ als guter Straßburger. Er ist mit Mainz in keiner Weise enger verwachsen, so daß jedenfalls als seine wahrhafte Heimath, obgleich vielleicht nicht als Geburtsort, immer Straßburg zu gelten hat.

Ueber Fischart’s Kindheit ist uns gar nichts bekannt. Jedenfalls wurde ihm, so unbemittelt seine Familie sein mochte, eine sorgfältige und vielseitige Erziehung zu Theil, die schon früh seine weit ausgebreitete Polyhistorie und die ungestüm drängende Fülle von Interessen begünstigte. Dieselbe erhielt einen erwünschten Abschluß, indem F. nach Worms zu Caspar Scheidt kam, seinem „lieben Herr Vätter und Preceptor“, dem „besten Reimisten“. Scheidt vereinigt die volksthümliche und meistersingerische Tradition mit französischer Bildung. So hat sich auch in seinem Zögling die Verbindung des Volksmäßigen mit der Kenntniß und Aneignung der modernen Litteraturen einerseits, dem Humanismus andererseits, sehr zeitig vollzogen.

Fischart’s Bildungsgang verlief nicht in der Enge einer Studierstube, sondern auf dem bunten und lauten Markt des Lebens. Vieler Menschen Städte sah er und beobachtete mit klarem Blick ihre Sitten; daher die auch in der kürzesten Anspielung hervortretende Treue und Anschaulichkeit, die ihn selbst bei den grotesksten Darstellungen nie ganz dem Boden des Wirklichen, Erlebten, Beobachteten entrückt und allen seinen Schilderungen eine so hohe culturhistorische Bedeutung verleiht. Auch ihn zog es als Jüngling über die Alpen; vor 1570 war er als Student der Rechte in Siena. Auch Assisi mag er besucht haben. Eine Reihe von Jahren führte er ein unstetes Wanderleben, dessen Stationen sich nur kleinsten Theils mit Sicherheit bestimmen lassen. In Frankfurt, dann in Straßburg sehen wir ihn mit dem strebsamen Buchhändler Bernhard Jobin verbunden, der spätestens Ende 1569 Fischart’s Schwester Anna heirathete. Das Register von St. Thomas zu Straßburg verzeichnet unter dem 8. August 1570 die Taufe eines Söhnleins Tobias, so genannt nach dem bekannten Pathen „Tobias Stimmer, der Maler“. Nicht nur deutsche Gegenden wurden durchstreift; in Flandern (1570?), in England (1572?), in Frankreich hat F., ruhelos im Leben und in der Schriftstellerei, verweilt. Für einen Aufenthalt in Tübingen dürfte neben anderem sprechen, daß F. über Rabs Tübinger Vergangenheit am besten unterrichtet ist. War er schon 1572 einige Zeit in Basel? Wo er sich, um seinen Studien den üblichen Abschluß zu geben, 1574 immatriculiren und a. d. IIII. Id. Aug. zum Dr. jur. promoviren ließ.[1] In dieser blühenden, freiheitlich aufstrebenden Stadt muß F. länger gelebt haben. Dafür zeugen zahlreiche Spuren in seinen Werken, von denen einige der wichtigsten hier entstanden sind. Und freundlich klingt der grüßende Zuruf im „Glückhafft Schiff“: „Basel, du holtselig Stadt!“

In diesen Wanderjahren sammelte F., nicht mühsam in seine Herbarien pflückend, sondern mit der spielenden Leichtigkeit einer genial auffassenden Natur die erstaunliche, unerschöpfliche Kenntniß des deutschen Volksthums nach jeder Seite hin, die nur ihm zu Gebote stand. Er kannte alle Stammessitten, was in Ernst und Schimpf von den einzelnen im Schwange geht, alle sprichwörtlichen Redensarten – man denke etwa an seine deutschen Variationen des Nosce te ipsum, die Sagen, Märchen, Volkslied, Meistergesang, Anecdoten, die Küche, die Weine und Biere, die Trachten, die Spiele, die Dialecte, und was er nicht persönlich beobachtet hat, vermag er kraft der glücklichsten Combination aus fremden Notizen zu gleich frischer Unmittelbarkeit zu rufen. Freilich bleibt zu untersuchen, [33] wie weit F. sich bereits vorhandener Compendien bediente. Er ist aber eben so bewandert in den „herrlich Schriften“ des griechischen und römischen Alterthums. Er ist der französischen, italienischen, niederländischen Sprache mächtig und hat von andern wenigstens allerlei Brocken erhascht. Gleiche Ausdehnung zeigt seine Belesenheit. F. darf sich des Vollbesitzes humanistischer Bildung rühmen, ohne daß ihn das Anhäufen unlebendiger Gelehrsamkeit und eine exclusive rein gelehrte Production, zu der er in keiner Weise geschaffen war, je absorbirt hätte. Philosophische, pädagogische, antiquarische, juristische, theologische, philologische, namentlich etymologische Interessen drücken ihm die Feder in die Hand, er hat sich in den medicinisch-alchymistischen Schriften der Zeit umgethan und einschlägiges herausgegeben, und in keinem Gebiet auf die vaterländischen Werke beschränkt. Nicht minder geläufig als ältere Werke vom Schlage des Brant’schen Narrenschiffs ist ihm die Unterhaltungslitteratur, mag er nun selbst ihr neue Beiträge zuführen, fremde Romane: den Amadis, Ismenius, mit halbem Lobe einleiten, kleine Register der beliebtesten Lectüre nicht ohne Polemik einmengen, oder gelegentlich aus guten Volksbüchern und den letzten Ausläufern altdeutscher Heldensage schöpfen, die er wie keiner seiner Zeitgenossen beherrscht. Hatte er doch in Worms gelernt.

F. war ein warmer Freund und Kenner der Musik. Auch sein kunsthistorisches Wissen und Verständniß nicht oberflächlich. In der Vorrede zu den „biblischen Historien“ („grüntlich von Tobia Stimmer gerissen“) rühmt er die Fürsten, die für Künstler gesorgt, bis herab auf Kaiser Max und Johann Friedrich, der sich „Lucas Granachers“ angenommen. Sucht er auch in der Malerei eine lehrende „gmalt Poesi“ und „gmalt Philosophi“, die „dem gemüt zu weltgescheider Weisheit anlaitung“ schafft, so vergleicht er doch die bildenden Künste dem reichen Frühling, und weiß neben den Einheimischen Italiener wie Giotto, Cimabue, Michel Angelo zu schätzen und hat den Vasari studirt. Vgl. auch die Vorrede zu den Emblemata und Accuratae effigies.

Von 1576 an lebte F. längere Jahre in Straßburg, das ihn nicht zum ersten Mal in seinen Mauern sah. „Es stehet wol rühmlich, viel Stätt besichtigen vnd erkündigen, aber am nutzlichsten, sich inn der fürtrefflichsten vnnd bekömlichsten wonhafft nider lassen“. Seine Existenz sollte und konnte nicht in stiller Arbeit verrinnen. Eine Anstellung als Jurist, die er wol schon 1576 beim Grafen von Hanau – auch dieser ein ehemaliger Basler Student – durch eine ehrerbietige Widmung anstrebte, der zu Liebe später seine unerquicklichen Ausgaben: der „Daemonomania“ 1581, des „Malleus maleficarum“ erschienen, fand sich damals noch nicht. Erst die Dedication der „Daemonomania“ an Eberhard von Rapoltstein, den Vormund des Herrn von Hohenfels-Rixingen, verhalf ihm zum Ziele. F. führte so in Straßburg ein durchaus nicht sorgenfreies Litteratendasein. Viele kleine Werke, besonders die im 16. Jahrhundert so beliebten gereimten Erklärungen, die er dem Schwager, Freund und Arbeitsgeber Jobin zu ernsten und scherzhaften Holzschnitten auf Bestellung lieferte, wurden ums liebe Brot geschrieben; denn mochte er auch nicht ungern die kunstreiche Straßburger Uhr schildern, – die Conterfeis der Päpste mit Geleitversen in die Welt zu schicken war für den unermüdlichen Antipapisten und Rabelaisisten wahrlich keine angenehme Aufgabe. Auch hat er u. a. das sechste Buch des „Amadis“ übersetzt.

Sollte F. auch kein geborener Straßburger gewesen sein, oder haben uns unbekannte Verhältnisse seine Familie, vielleicht ihn allein als verwaisten Knaben, in die Ferne geführt, so ist er doch ein guter, treuer Straßburger geworden. Die freie Stadt unter einem verständigen Regimente, gedeihend durch das sichere Zusammenwirken gemeinsinniger Bürger, hatte an ihm einen an Wohl und Wehe warm [34] theilnehmenden Genossen. Nicht als officieller Stadtpoet oder gewöhnlicher Pritschmeister, wie der Schwabe Leonhard Flexel, sondern als ein Mann voll „Landskraft, der wol selbst mit seiner Büchse auf dem Platz gewesen“, dichtete F. nach dem Freischießen vom 21. Juni 1576 sein „Glückhafft Schiff“. Auf das Fest selbst und das an und für sich geringfügige Parforcestück der Ueberbringung des warmen Hirsenbreis kam es ihm nicht an und deshalb gelang es, den Vorwurf, der rein äußerlich betrachtet, nur zur humoristischen Epopöe geeignet scheint, ernst anzufassen. Aus dem abenteuerlichen Spiele ergaben sich für F. würdige Gedanken und Ausführungen: das Lob der uralten nachbarlichen für die Sache der politischen und religiösen Freiheit so überaus bedeutsamen Freundschaft zwischen dem „loblichen lieblichen“ Zürich und Straßburg, der „Zird“ am Rhein, „wie ein Gstein inn Ring versetzt“, die Verherrlichung der unverdrossenen Anstrengung und Energie, welche selbst Rhein und Sonne freudig begrüßen. Und nicht der bestellte Reimist, sondern der berufene Vertreter der „freien Gmain“ des gastlichen Straßburg schickte den ungewaschenen Verfasser eines „Schmachspruchs“ mit seinem Kükat-Prei in einem „Nothwendigen Kehrab“ derb heim. 1588 wurde das Bündniß der Städte neu befestigt und wieder war F. der Herold.

Was sich im geistigen Leben Straßburgs vollzog – und welche hochwichtige Rolle fiel nicht dem Straßburg des 15. und 16. Jahrhunderts zu! – hat auch F. angeregt. An den pädagogischen Bestrebungen Sturms z. B. nimmt er alsbald thätigen Antheil. Wir brauchen für F. den großen Hintergrund der calvinistischen Bewegung.

F. ist Publicist, Diener einer Partei. Nicht im Sinne Luthers, auch nicht in der Weise Huttens. Ihm fehlte die verzehrende innere Betheiligung Luther’s, in dem der mittelalterliche und der moderne Mensch in hartem Kampfe mit einander ringen. F. streitet nicht für eine Sache, die erst fest gegründet werden muß, denn er braucht nie an dem Bestande des Protestantismus zu zweifeln. Wir wissen nicht, wie tief ihm der neue Glaube als wahrer Glaube in cordibus ein Bedürfniß war. Wol hatten Luther’s Bibel etc., das große Kriegslied Ein feste Burg in ihm eine Stätte gefunden – sein sonst namentlich von B. Waldis angeregtes „Gesangbüchlein“ beweist es – wol versucht auch er mit „Psalmen, so heut sind im Gang“ – und einem „Catechismus“ 1578 als Lehrer und Berather der „gemainen Pfarrherrn, Schulmeister, Hausvetter, Jugent und Lerkinder zu Strasburg vnd auch anderswo“ aufzutreten. Zwei der liebenswürdigsten Seiten von Luther’s Persönlichkeit zeigt auch F.: „Die friedlich Musickfreud“ in seinen an zarten Vergleichen, Contrasten, Preisreden auf die milde, labende, sittigende, göttliche Tonkunst überreichen Jugendgedicht „Ein Artliches Lob der Lauten“, und den gemüthlichen poesievollen Sinn für das deutsche Haus „wo ein liebes Weib waltet und holde wolerzogene Kinder die Eltern erfreuen, in seinem auf Plutarch fußenden, im Ganzen breit moralisirenden und vergleichenden „Philosophisch Ehzuchtbüchlein“, 1578. Wir werden an Luther’s Tischreden erinnert. Alles das finden wir auch im „Gargantua“, herzliche Verse über die Heiligkeit der Ehe schon im „Nachtrab“. Aber die Bedingungen der Popularität lagen nicht in ihm. Er war kein Volksmann wie Luther und was er schrieb, außer kleineren trockenen, seinem eigenen Wesen fremden Sachen, wie den „biblischen Historien“, nicht jedem faßlich.

Fischart’s Stellung zum Protestantismus hat Wandlungen durchgemacht. Gleich sein erstes schriftstellerisches Auftreten war ein Streifzug gegen einen frechen Mönch. In Straßburg sehen wir ihn anfänglich mit dem finsteren Zeloten Marbach verbunden. Doch sein freier, dem Fortschritt zugewandter Sinn konnte da nicht bleiben, wo starre Unduldsamkeit nach der Tyrannis strebte, denn F. war ein liberaler Aufklärer. In der von dem geistigen und politischen [35] Leben zweier grosser Nationen bewegten Stadt stritten zwei Parteien, die reactionäre Orthodoxie und der zum Calvinismus neigende Fortschritt. Als Sturm gegen Marbach und Pappus zu kämpfen hatte, fiel F. die Entscheidung nicht schwer. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bis über die Schwelle der achtziger hinaus hatte der Calvinismus in Deutschland keinen eifrigeren Publicisten als ihn. Eigenes und angeeignetes warf er in rascher Folge unter die Leute. Er führte 1579, wenn auch nicht als erster, den ungemein scharfen Byencorf der H. Roomsche Kerke des Holländers Ph. Marnix mit großem Erfolg in einer Uebertragung ein, die schon das nächste Jahr bedeutende Zusätze und Verbesserungen erfuhr, desgleichen Eysenberg’s „Brotkorb“ (Calvins Traité des Reliques) und erneute im Kampfe für die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowol die verworrene Contamination zweier älteren Reimwerke „Die Gelehrten die Verkehrten“, als denselben Zielen nachstrebend, für Toleranz gegen die rohe Gewalt streitend, des Minus Celsus Schrift „In haereticis coercendis quatenus progredi liceat“, die er mit einer bezeichnenden Vorrede in die Welt schickte. Freilich stand derselbe Liberale, was Geisterwahn, Hexenverfolgung und Judenhaß angeht, völlig unter dem Bann der Zeit. Er glaubte willig, daß eine Jüdin Ferkel gebären könne! – Wie seine offene Natur gegen religiöse und politische Praktiker zu Felde zog, so reichten sich die fortgesetzten Ausfälle gegen die Jesuiten und ein Protest gegen den Absolutismus, sein „Antimachiavellus“ die Hand.

Es zeugt für Fischart’s klaren Blick, wenn auch nicht für die gemüthliche Tiefe seines Protestantismus, daß er bei den confessionellen Fehden die höheren politischen Gesichtspunkte nicht außer Acht ließ. F. war ein wackerer Patriot, der sein Land und seine Muttersprache lieb hatte. Er pries „als eyn Teutscher aus teutschem Gblüt treuhertziglich“ das „anererbte teutsch Adlersgmüt“, predigte Freiheitssinn, Muth, Redlichkeit, Einigkeit, auch er schwärmte wol einmal von der üblichen Heldenabkunft und Heldensprache, ohne sich je den Ausblick auf die politische Constellation trüben zu lassen. Die Ereignisse in Frankreich nahmen diesen großen Journalisten lebhafter als die meisten Zeitgenossen in Anspruch. Weil für ihn das Regiment der neuen Jesabel Katharina von Medicis ein auch den andern Staaten Gefahr drohendes Bündniß der „Tyrannisch Rut“ mit der „Bäpstlerei“ bedeutete, lieferte er Uebertragungen französischer Schriften, der Reveille Matin, „des Offenlichen Ausschreibens“ etc. und tröstete als steter Parteigänger des Calvinismus „die lieben Patrioten, die arm verfolgten Hugonoten.“

Nach 1581 verstummte der sonst so redegewandte, unermüdliche Mann, der bald in Amt und Ehe ein stilleres Glück fand, als ihm das unsichere polemisch-publicistische Handwerk gewähren konnte, bis zu dem, wieder sehr productiven, Jahre 1588. Es bedurfte eines mächtigen politischen Anstoßes, um ihn der im vorigen angedeuteten Schriftstellerei von neuem in die Arme zu führen. Diesen Anstoß gab der Fall der spanischen Weltmacht.

F. sah durch den spanischen Welt- und Geldgeiz, die Vermischung von anmaßender Eroberungslust mit der Jesuiterei, alle der freiheitlichen Bewegung ergebenen Staaten, obenan England, ernstlich gefährdet. Bei der Katastrophe mußte er freudigst aufathmen. Sein „Verzeichnuß wie die spanisch Armada zu Grund gerichtet worden“ schildert in drastischen Zügen wie Habgier, Stolz und Ehrgeiz die Flotte ausrüsten und Rom zu allem seinen weihenden Segen spricht, um dann in einer packenden Strafrede das furchtbare Gericht darzustellen. Hier war der von Fischart gern citirte Uebermuth und Untergang des Xerxes wiedergekehrt. Als ein Gegner das „Calvinistisch Badstüblein“ den Deutschen zum Hohn herausgab, bot dieselbe unüberwindliche Armada unserem Satiriker erst [36] Anlaß zu der schlagenden Antithese in dem derben „Uncalvinisch Gegenbadstüblein“. Ob denn die bei jener „Badenfart“ Ertrunkenen, deren Vernichtung er in grausamen Versen parodirt, auch Ketzer gewesen seien? Und nochmals nahm er die Partei der Hugenotten gegen die Helden des Messers und der vergifteten Hostie, in der „Beschreibung des Meuchelmord“.

Im Gegensatz zu diesen Gefahren, namentlich einer spanisch-schweizerischen Verbindung 1587 (vgl. „Ein auß Meyland überschriebener Bericht“) durfte als eine schöne Gewähr der Freiheit das erneute feste Bündniß der lang verbrüderten Städte Zürich, Bern und Straßburg gelten, deren jeder F. mit Hülfe verwegener Etymologien und in breiter Ausführung zwar, aber warm begeistert in der „Ordentlichen Beschreibung der Bündnuß“ einen kräftigen Lobspruch widmete, seinem lieben Straßburg den kräftigsten. „Freiheitblum ist die schönste Blüh!“

Ende 1581 war Sturm gegen Pappus unterlegen. Fischart’s seitheriges Schweigen und sein Abwenden von Straßburg steht mit diesem traurigen Vorfall gewiß in nahem Zusammenhang. 1581 ward er Advocat am Reichskammergericht zu Speier, jedoch ohne feste Bestallung, um 1583 Amtmann in Forbach. Der Verfasser des Ehzuchtbüchlein, der über das freundliche Stillleben der Familie und den Segen aufblühender Kinder, diesen Wintermaien der Eltern, manch sinniges herzliches Wort gesagt, trat, seßhaft geworden, selbst in den Ehestand. Martini 1583 wurden in Wördt (Wörth) „Johann F., genannt Mentzer, der Rechten Doctor“ und die 22jährige Tochter des bekannten elsässischen Chronisten Bernhard Herzog, Anna Elisabeth, getraut, die er vielleicht in Speier, dem Wohnsitze Herzog’scher Verwandten, kennen gelernt hatte. Dieser Ehe entsproß am 29. August 1584 ein Sohn, Johann Bernhard, am 14. August 1588 eine nach der Mutter getaufte Tochter.

Leider liegen Fischart’s letzte Jahre wieder ganz im Dunkeln. Wir wissen nicht, wie lange er in Forbach verblieb, wo er 1586 noch sicher zu suchen ist, ob er 1588 vielleicht als ein in Straßburg Anwesender das Bündniß der Städte feierte. Im März 1589 ist die Vorrede zum „Catalogus Catalogorum“ geschrieben. Wie sein Geburtstag, ist auch sein Sterbetag nicht bekannt, aber fester zu datiren, da die alte, zuerst von Meusebach hervorgezogene Notiz mortuus a°. 1589 in hieme neben andern Erwägungen ergibt, daß Johann F. im Winter 1589 auf 90 in der Blüthe der Jahre aus dem rastlosen Leben schied. Seine junge Wittwe hat sich am 24. April 1593 wieder verheirathet mit dem Oberbrunner Amtmannssohn J. L. Weidman.

Das Bild, das wir von F. besitzen, zeigt ein scharf geschnittenes Gesicht mit spitz zulaufendem Vollbart, hoher Stirn und großen, klar und durchdringend schauenden Augen. Aus den Zügen spricht Schneidigkeit. Die Lippen kann man sich, ohne künstlich erst hineinzulegen, leicht zu einem spöttischen oder fröhlichen Lächeln verzogen denken.

In F. verbanden sich die volksmäßige Ueberlieferung mit der humanistischen Bildung. Hans Sachs steht mit beiden Füßen in der ersten, aus der zweiten ist ihm nur einiges so zugeflogen; die schriftstellerisch thätigen Gelehrten aber waren über das Volksthümliche hinausgewachsen. F., der weder ein Volksschriftsteller noch ein gelehrter Vertreter wissenschaftlicher Interessen geworden, hat gerade in der eigenthümlichen Zusammensetzung der verschiedenen Elemente sein Originelles. Wahrhaft schöpferisch ist er nirgends aufgetreten, ein erfinderisches Genie war er durchaus nicht, aber er hat viele Richtungen und Motive weiter geführt, ausgebildet und zusammenlaufen lassen.

Seine ersten Schriften waren confessionelle Pamphlete, doch auch in diesen drei ersten Satiren erklangen bald laut bald leise die Schellen des heitern Humors. Die vierte, das ist die Anfang 1572 erschienene 1571 verfaßte Bearbeitung [37] „Eulenspiegel reimensweiß“ bezeugt aufs deutlichste die Schule Caspar Scheidt’s, der Dedekind’s lateinischen Grobianus 1551, also zwei Jahre nach dem Erscheinen des Originals, verdeutscht hatte. Eulenspiegel, der derbe unfläthige Gesell, ist eine Hauptfigur der Tafelrunde jenes aristophanischen Jahrhunderts, an deren Spitze St. Grobianus als Patron saß. F. hat den Plan zu dieser Arbeit direct von Caspar Scheidt übernommen. Scheidt’s humoristische Schriftstellerei, seine Gemälpoesie, seine sehr vielseitige Bildung wirkten auf den geistig und leiblich verwandten Schüler bestimmend. Schon damals wies F. in dem vortrefflich geschriebenen Vorwort die einreißende Lascivität energisch ab. Sein bei allem Cynismus reiner Geist kehrte nicht nur dem Amadisroman u. dgl., sondern auch der lediglich auf die Unterhaltung der Bierbank und des Rollwagens zielenden Litteratur den Rücken zu. Weder der burschikose lüderliche Lindener u. s. w., noch Wickram waren gut bei ihm angeschrieben, doch auf sein unselbständiges, ungelenkes Jugendwerk verwies der „Eulnreimer“ gern. Einfache Anlehnung an die Volkslitteratur, vielleicht auf Grundlage der Straßburger Handschrift, zeigt aus seinen letzten Jahren der „Peter von Staufenberg“, ein Zeugniß zugleich für Fischart’s Geisterglauben und Neigung zum Spukhaften, wie für seine Beschäftigung mit den Volkssagen, besonders durch die Einleitung über „Meerfeien und Familiengeister“. An den albernen Lügenmärlein des „Finkenritters“, Münchhausens Urahn, hat F. keinen Antheil. Ein Trewer Eckart ist uns gleich vielem andern von seinem „Winholdisch und Elloposkleronisch saurwerck“ nicht erhalten. Wir können überhaupt gar nicht beurtheilen, wie ungemein fruchtbar seine Productionskraft war. Der Scheidt’schen Richtung muß aus der ersten Periode vor allem der vortreffliche, ebenfalls nachweislich von Scheidt angeregte und durch so manche Anekdoten und kleinere Dichtungen vorbereitete „Flohhatz“ 1573 zugezählt werden, der eine große Reihe von Auflagen und zahlreiche Nachahmungen erlebte. F. rühmt sich in der zweiten völlig umgebeiteten Auflage von 1577, daß das „edel Büchlein“ gleich beim Catechismo stehe. Diese Serie von Gedichten zeigt eine intime Kenntniß von Inhalt und Ton der Hans Sachs’schen Schwank-Dichtung (vgl. Vorrede zum Eulenspiegel), namentlich stehen die dialogisch-dramatischen Partieen durch bestimmte Formen der Anrede, Antwort, des Zuredens, Tröstens, Fragens, Ankündigens einer neu auftretenden Person der treuherzigen Nürnberger Dramatik nahe. Sie verräth in manchen Episoden die Vertrautheit mit der volksthümlichen Thierpoesie – auch ist das eigentliche „Flöhlied“ nur eingelegt – und überall die genaue Belesenheit in den Alten: der Batrachomyomachie, dem Ovid und der pseudoovidischen Flohelegie, Horaz, dem er die von Muck vorgetragene Geschichte der Stadt- und Feldmaus entlehnte, und allen den antiken wie neulateinischen Schriftstellern, welche ironische paradoxe Lobpreisungen verfaßt hatten. Das dem Flohhatz „zum Vortrab verordnete“ „Lob der Mucken“ beruht speciell auf Lucian. Den Vorzug verdient entschieden die eigentliche „Flohklag wider der Weiber Plag“, welcher besonders die gedehnte Gegenklage der Weiber weichen muß, während dort das Gespräch der beiden Sommergesellen Muck und Floh, die komisch-ernsten Gebete zum Jupiter und die lange epische Schilderung der Erlebnisse des Flohs, des tragischen Untergangs seiner Freunde und Verwandten, die Beschreibung von Pulicana, die dem Froschmeuseler weit überlegenen Namenbildungen sehr ergötzen. F. folgt überall, auch wo sein Witz am ausgelassensten zu tollen scheint, einer gesunden, didaktischen Tendenz, wie sie schon das Vorwort zum „Eulenspiegel“ stark betont. Die Regeln der Vorsicht, des einfachen stillen Lebens, die scherzhafte Art, wie die Competenz der Flöhe geregelt wird und wie der Stolz der Laus im Wettstreit gegen den Floh hervortritt, sind von kräftigem didaktischen Gehalt. „Ist [38] es nicht angenemer, ermant werden mit Schertzen, dann mit Schmertzen? Vnd schimpfflich, dann unglimpfflich und stümpfflich?“

Aehnlich verbinden sich Ironie und gesunde Lehre im „Podagrammisch Trostbüchlin“ von 1577, das ein „philosophisch Trostbüchlin“ sein soll für alle die maulhengkolischen Pfotengrammischen. Gering ist hier die Berührung mit der volksthümlichen Richtung. Aber was bis dahin lateinisch, wie zum Lob der Kahlheit, des Fiebers etc., so zu Ehren der Gicht gesagt war, sagt F. in vaterländischer Sprache. Er ergriff ein beliebtes, oft bearbeitetes Thema, denn besonders seit Petrarca, ist die Podagralitteratur sehr reich. Später kommt Ayrer gar mit einem langen Drama, Logau mit zahlreichen Sinngedichten. Vor F. war auch ein Straßburger, der Dr. Dominicus Burgauer, als Lobredner dieses in jenen genußsüchtigen Zeiten ungleich verbreiteteren Uebels aufgetreten. F. fußt auf zwei humanistischen Vorgängern: Johannes Carrarius hat die Vorlage für den ersten Theil, die Lebensgeschichte der Fräulein Podagra mit historischen Belegen, Wilibald Pirckheimer für den matteren zweiten, die große Apologie der unschuldig geschmähten, so nützlichen und segensreichen Krankheit gegeben, so daß F. selbst nur die Einleitung und die sprachgewaltige, „fantastengreuliche“ Ausführung im Einzelnen angehört.

Was F. schon vor Scheidt’s Lehre eingeprägt worden, ist der Geist der protestantischen Familie. Die protestantische satirische Polemik blieb und erfuhr nur in Straßburg, wol aus geschäftlichen Rücksichten, eine Unterbrechung. Er betritt den Plan mit scharfen Angriffen wider die Mönche „gestellt aus Liebe der Wahrheit“, die er vertheidigen will „bis in todt“: „Nachtrab“, 1570, „Secten- und Kuttenstreit“, „St. Dominicus“, gegen zwei bestimmte Gegner gerichtet, den „grawen Bettelmönch F. J. Nasen zu Ingelstat“ und den eifrigen Renegaten Rab.

Aber nicht dieser allein ist der Nachtrab, sondern der gesammten „Jesuwider nachtrabisches wesen“ wird befehdet, denn indem F. Rab’s „Tractetlein der Ablehnung“ (oder „Vom Bischoffsstand“), sein Leben, seine römische Erziehung, seine faulen Streiche in der Heimath und Fremde, sein undeutsches, lügenhaftes Wesen durchhechelt, fehlt es nie an unpersönlichen, allgemeinen Ausführungen; theologischen Excursen über Priesterehe, Bischofsgewalt, Weihen, gute Werke, an der lebhaftesten Abwehr der Angriffe auf die Augsburger Confession, der überlegenen kühlen Verhöhnung des frommen Wunderschwindels, welche in der langen Erzählung von Loyola’s Sinneswandlung, Großthaten und Ordensgründung gipfelt. Zu breit und uneinheitlich, auch im Ton, um mehr als in Einzelheiten wirksam zu sein, wird der „Nachtrab“ von „Der Barfüßer Secten- und Kuttenstreit“ weit übertroffen, der freilich erst 1577 in der glücklichen Kürzung die knappe, launige, schlagende Fassung erhielt. 1542 hatte Erasmus Alberus die Barfüßer angegriffen. F. schildert eine Reise nach Assisi und benutzt dann das beliebte Motiv des Traumes: vom Lettner herab beschaut er mit Bruder Leo die auf dem Titelholzschnitt abgebildete figurenreiche Scene, wie der stigmatisirte Franciscus hin- und hergezerrt und verschimpfirt wird. Besonders gern betont er die Uneinigkeit der Orden. Alle Secten oder einzelne Vertreter läßt er vorbeiziehen, nie ohne besondere Spitzen gegen Nas, dem er im „St. Dominicus“ mit den gröbsten Scheltworten auf den Leib rückt. Aber auch hier ist das Persönliche nur Nebensache: die Dominicaner und Franciscaner insgesammt sollen blosgestellt werden, sei es durch ergötzliche, derbe Schwänke, wie Franciscus den Dominicus ins Wasser wirft, von Dominicus im Himmel, Dominicus und dem Teufel, oder die drastische gewiß auf Autopsie beruhende Schilderung einer Disputation in der Sorbonne, vorzüglich aber, wie vorher bei Loyola, mit Benutzung des Surius u. a. durch die Geschichte des Ordens und seines Stifters, wobei F. im Sinne [39] der alten Facetien ohne Scheu die Himmelsbewohner, nicht zuletzt die Jungfrau Maria, in die bedenklichsten Situationen verwickelt. Der Angriff wird oft zu einer großen Satire auf die Kuttenbuben, die voll Laster stecken wie das trojanische Pferd und in geldschindender Erbschleicherei einander selbst vor dem Sterbebett schamlos zu überbieten suchen. Lächelnd aber auch ernst strafend steht F. über dem gemeinen Mönchsgezänk. Er weiß die Pritsche wie die Keule zu rühren.

Triebkräftig genug erwies sich seine Polemik 1573 in den „Thierbildern“: schon vor dreihundert Jahren durchschaute der Bildhauer im Münster die römische Mißwirthschaft, denn sein Fuchs ist der römische, seine Sau die Pfründsau, der Bock die „hoch Gaistlichkeit mit der stinckenden Fleischlichkeit“ etc. Die Anklagen sausen wuchtig nieder auf die Rücken der Choresel, Klosterkatzen und keuschen Märzenkater. Deshalb werde die falsche Kirche durch Thierbilder versinnlicht, weil schon St. Johannes ihr höchstes Haupt eine Bestie nenne. Und dies Haupt verglich F. 1577 auf zwei Holzschnittbogen, dem heftigen „Gorgoneum caput“ und dem diese Heftigkeit durch maßlose Leidenschaftlichkeit des Tones überbietenden „Der Gorgonisch Meduse Kopf, ein fremd Römisch Mörwunder“, mit dem gräßlich tödtenden Medusenhaupte. Hier ist er in seinem Elemente, kann steigern, häufen, immer drastischer und grotesker alle möglichen Ungeheuer neben den „beschreiten Schalck von Rom“ stellen, den er eben damals im „Malchopapo“, einer glücklichen, oft in Halbzeilen contrastirenden Antithese zwischen Petrus und seinem Statthalter, voll von Wortspielen und epigrammatischen Pointen, als einen Abkömmling des Papenknechtes Malchus entlarvt, dessen Schlüssel nicht Gnadenlehre und Predigt des Evangeliums, sondern ein Dietrich zum Geldkasten sei: „Derwegen sei nur kainer faul, Schlag tapfer auf dis Lugenmaul!“ Nach seinem Tode noch erscheint eine antipapistische Schrift aus seiner Feder: „Newer Creutzgang“.

Es ist, als ob F. gegen den Troß der Mönche nur nebenher einen Waffengang versuche, um am nachhaltigsten bei der im „Nachtrab“ eingeleiteten Bekämpfung der Jesuiten zu verharren. Die Höhe dieser Polemik gibt 1580 sein „Jesuitenhütlein“. Zu Grunde liegt die in Alexandrinern und jambischen Dimetern abgefaßte „Legende et description du bonnet carré“, wo zwei Reden Lucifers: der Vorschlag eine neue viereckjge Mütze zu verfertigen um alle erdenklichen Laster hineinzunähen, und sein langer Weihespruch den meisten Raum einnehmen, während die erzählenden Partien: die höllische Arbeit selbst und wie schließlich monsieur le bonnet unter dem fürchterlichsten finstersten Unwetter, das alles ins Chaos zurückzuwerfen droht, unter die Menschen fährt, kurz abgethan werden. Dazu eine matte Elegie sur bonnet carré und das Schlußgebet.

Unser „Jesuwalt Pickhart“, der sich den „Knecht der Bruderschafft Christi, des waren Ecksteyns“ nennt, hat sich dieser nur in den Motiven glücklichen, sonst schwächlichen Vorlage mit genialem Griffe bemächtigt und ihr erst die wahre Ausführung gegeben. Die Legende hat den directen Hinweis auf den Papst und die Jesuiten vorsichtig vermieden – bei F. liegt der Angriff nicht hinter den Zeilen versteckt, sondern stürmt drein wie in Naogeorgs Pammachius. Alles wimmelt von Invectiven und brandmarkenden Spottnamen. Dazu die kunstvolle Steigerung: von der zweihörnigen Kappe und Ausfällen gegen den Prälatenprunk zur dreihörnigen, päpstlichen Tiara, die den Judasseckel, die Simonie, den Pfründenraub etc. in sich faßt; dann erst nach heißem, angestrengtestem Kopfzerbrechen fällt Lucifer auf die vierhörnige, entsprechend dem vierfachen Gift der römischen Bösewichte. Mit diesem Abzeichen des Neuen Ordens, dessen Entwicklung unter dem „luguollischen“ Ignaz Satan im voraus enthüllt, bricht das Laster in seiner ganzen unermeßlichen Abscheulichkeit in die Welt. Aus dem schwärzesten Tuch mit Futter, roth wie höllisch [40] Feuer, näht die teuflische Rotte die Mütze mit babylonischen Nadeln, deren Fäden mit Pech von Sodom gewichst sind. Les filles d’Erèbe et la Nuict helfen bei dem Franzosen – des Teufels Großmutter und ihre greulichen Töchter in Fischart’s höllenbreughel’scher Schilderung. Was es nur von Lastern und Scheußlichkeiten gibt, muß in die vier Ecken hinein; von der Heuchelei, „Römisch Lieferei“, Papsts Fantasie, Tyrannnei, Aberglaub, Gottsehr Raub an wird das lange Verzeichniß immer fürchterlicher und gräßlicher, dröhnend folgt Schlag auf Schlag, und immer erstaunlicher, ohne entfernt zu ermüden, schwellen die Häufungen an. So treten des Papstes Leibeigene, des Teufels letzter Furz, die Jesuiten ins Leben. Mit verwegenem, diabolischem Humor ist das alles geschildert. Die Weihe des Hütleins, im Französischen nichts als eine unablässige Anrede Bonnet mit zahllosen Epitheten, trägt bei F. denselben grandios kecken Stil.

Liegt, wenn F. am Schluß sagt, er wolle, was hier „legentenweyß“ erzählt, „aufs nechst Comedyweiß auch führen ein“, und der alte Lügenflicker Meister Nas sammt ein paar Dutzend Schneiderknechten sollten Kappen dazu schneiden, darin wirklich der flüchtige Gedanke an einen aristophanischen Schwank?

Fischart’s Bedeutendstes ist in allen Grundlagen entlehnt. Nur im Umkleiden eines gelieferten Gebälks war er unübertrefflich. Man hebt gewöhnlich allein diesen Reichthum, nicht die eben so auffällige Armuth des Gestaltens hervor. Behält man die letztere im Auge, so darf man mit Uhland sagen: „seine üppige Kraft ergreift das fremde Gerüst, wie die traubenschwere Rebe sich Stab und Geländer sucht“ und fortfahren „vom kühnsten der französischen Humoristen angeregt, ringt er mit diesem, nicht sieglos, um den Preis der Kühnheit“.

Neben den Gestalten aus Caspar Scheidt’s Schule und dem Heldenbuche ragten für F. frühzeitig die Groteskfiguren des Meister Rabelais in die Höhe. In Rabelais, dessen großen Roman er 1572 kennen lernte, fand F. erst den rechten Mann. An Rabelais entwickelte sich sein Humor und sein Stil in der Art, welche ihm die naturgemäßeste war. Fortan hatte er neben seiner Publicistik und Polemik ein schriftstellerisches Ideal: der „teutsch Rabelais“ zu werden.

Keineswegs nur in den directen Nachahmungen und Uebertragungen bewegt er sich in den Spuren des französischen Satirikers. Was bis zur Berührung mit ihm an Vermögen in F. latent war, gelangte zu einer Entfaltung, welche über den grotesken Reichthum desselben in hundertmal groteskerem Ueberfluß hinausschießt. Seither die buntscheckigen, monströsen, haririschen Titel und die gaukelnde Handhabung der Sprache wie eines Stücks Kautschuk, dem ein leichter Druck jeden Augenblick eine neue, am liebsten eine recht wunderliche, ungeheure, phantastische Form gibt. Seine frühere Reimprosa ist viel harmloser.

Mehrfach, z. B. auch im Podagrammisch Trostbüchlein hat F. seiner Bewunderung Rabelais lauten Ausdruck verliehen, der ihn der Mitte der siebziger Jahre zu immer stärker anzog. Der Flöhhatz von 1573 weiß noch nichts von „Pantagruels Lant“, das erst in der Erweiterung von 1577 v. 1110 erscheint.

Schon 1572 schrieb F. eines seiner gelungensten Werke „Aller Practick Großmutter“, kurz gesagt, denn der Titel ist in Rabelais’scher Weise verschnörkelt. F. persifflirt darin auf das launigste und übermüthigste die Kalendermacher und Propheten durch die selbstverständlichsten Verkündigungen. In satirischen endlosen Gruppen werden die Menschen nach Gemüthsart und Thätigkeit auf die einzelnen Planeten vertheilt. Nie erlahmender Witz und ein unerschöpflicher Sprachquell sprudeln in vollen Strahlen von Anfang bis zu Ende. Nur darin ist das Schriftchen originell; den Anstoß gab die Pantagrueline Prognostication [41] am Schlusse des Gargantua, Motive die komische „Laßtafel und Practick des weytberümpten Doctor Grillen von dem Narrensteyn auß Schlampampen“ (1540), den eigentlichen Kern die ihrerseits wiederum von einer deutschen Vorlage abhängige, 1558 neu verdeutschte Prognostica Jac. Henrichmann’s (1508). Für den sehr erweiterten Druck von 1574 benutzte F. eine dritte oder vierte Quelle, die wir gemäß wörtlicher Uebereinstimmungen in der Practica practicarum seines Todfeindes Nas (1572) selbst (vgl. dessen Ἀνταστρολογοπραξία 1567), oder in einer von beiden ausgeschriebenen uns unbekannten Schrift zu suchen haben.

F. blieb blieb bis zu seinem Tode Rabelaisist: 1575 der Gargantua, 1582 derselbe „wider auff den Ampoß gebracht, vnd dermassen Pantagruelisch verposselt, verschmidt und verdängelt, daß nichts ohn ein Eisen Nisi dran mangelt“, 1590 die nunmehr minder veränderte Ausgabe letzter Hand, in demselben Jahre der auf Rabelais 2, 7 beruhende „Catalogus Catalogorum“, eine in Form eines Bücherverzeichnisses gehaltene Satire auf die „wundergirige“ Lesewuth, abstruse Gelehrsamkeit, und, theilweise im bestimmten Hinblick auf neuere Erscheinungen der Messen, auf die geschmacklose Büchermacherei seiner Zeit.

Fischart’s Hauptwerk, der „Gargantua“ (die „Geschichtklitterung“, erst „Geschichtschrift“ genannt) ist eine freie Bearbeitung des ersten Buchs der Vie faicts et dicts heroiques de Gargantua et de son filz Pantagruel, „etwan von M. Frantz Rabelais frantzösisch entworfen: nun aber vberschrecklich lustig in einen Teutschen Model vergossen, vnd ungefärlich obenhin, wie man den Grindigen laußt, inn vnser Mutter Lallen vber oder drunder gesetzt“. F. hatte unstreitig die Absicht, das ganze Werk zu „vertiren“. Nicht Erschöpfung oder Unfähigkeit hielt ihn ab fortzufahren, sondern die Anlage und Ausführung der Satire in den drei folgenden Theilen von den Abenteuern und Thaten Pantagruel’s und Panurg’s konnten gerade F. nicht in gleicher Weise locken, wie die Geschichte des Gargantua, die eine viel reichere Gelegenheit zur Neuschöpfung und Verdeutschung nach innen und außen bot und durch ihren über lange Partien ausgebreiteten riesenhaften Grobianismus verwandte Seiten in ihm anklingen ließ. F., dessen Wesen die hyperbolische Häufung ist, fand in den colossal hincroquirten Figuren des Grandgoschier, der Gargalmelle, des Gargantua alles schon so reich ausstaffirt und in den culturhistorischen Schilderungen eine solche Fülle von Anregungen, daß es ein eigener Reiz für seinen Wetteifer war, das große Festland des Originals durch Oeffnung aller seiner Schleusen zu überfluthen. Auf Treue kommt es ihm deshalb gar nirgends an, er dient dem Vorbilde nicht, sondern spielt, ungleich maßloser in der gegebenen Manier, seine Trümpfe aus und läßt mit heiterem Behagen allen Künsten und Unarten seines Humors und Stils die Zügel schießen. Zahm und abgezirkelt muß Rabelais’ Weise, die doch alle Elemente der Fischart’schen enthält, gegen diesen Hexensabbath erscheinen, der neckend, verwirrend und betäubend um uns losbricht.

Bei dem künstlerischeren Rabelais verliert der Leser über den Seitenpfaden nie die stet fortlaufenden Linien der viel geschlosseneren Handlung außer Augen. F. hat die Fabel um kein einziges neues Factum bereichert, aber nicht nur jeden Rabelais’schen Schnörkel ins Unendliche weiter verschnörkelt, sondern, wo nur irgend der kleinste Anlaß sich bietet, die verschlungensten neuen Arabesken angebracht, so daß die Rabelais’schen Grundfesten nur noch durchschimmern, wie ein Gemäuer unter üppig wucherndem Rankenwerk. Alles Französische wird durch Deutsches ersetzt. Alles wimmelt von offenen und versteckten, spaßigen und ernsten Anspielungen auf deutsche Zustände und Gebräuche. Wir blättern in einem unerschöpflichen Repertorium der Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts. Was er in seiner Zeit findet, alles muß wie in ein umfassendes [42] Sammelwerk hinein. Er überträgt frei schaltend und congenial erweiternd, was ihm Rabelais bietet; für die Gedichte aus dem Grabe der Riesenkönige bedient er sich kühn einer dem 1571 erschienenen Otfrid des Flacius Illyricus nachgebildeten alterthümelnden Sprache; vieles wird selbständig eingewebt. Die Beschreibung der grobianischen Jugend ungemein bereichert, ebenso das Fressen und Saufen des Helden ausgeführt, sowie dem ersten Rufe des jungen Weltbürgers „zu trinken!“ bei F. ein halb Dutzend synonymer beigefügt sind. Gelegenheit zu Schilderungen vorsündfluthlicher Gelage fand er gleich im Anfange. Bald sprengt er den Rahmen, indem die paar Anfangssätze des 3. Rabelais’schen Kapitels sich bei ihm zu zwei langen Abschnitten auswachsen. Die gegensätzliche Beschreibung des verbuhlten Treibens und eines idealen sinnigen Hauswesens mit Weib und Kind, und die folgende der Gargalmella ist ganz sein Eigenthum. Wol verhöhnt Rabelais die so träg und erfolglos dahinschleichende scholastische Lehrmethode, aber F., der schon in seinem ersten Gedicht, über „Glossen“ und „Schulerbossen“ spöttelt, ergeht sich in selbständigen Ausfällen auf das barbarische Küchenlatein, den trostlosen Unterricht, die abgeschmackten Lehrbücher, und, so vollständig im übrigen die Darstellung des Pariser Aufenthalts dem Rabelais entlehnt ist, ist doch die parodistische Rede des sophistischen Meister Janotus nicht minder frei erweitert, als die Verhandlung im 23. Capitel. Ebenso läßt er es sich nicht entgehen, Jan Onkapaunt’s lateinisches Wissen in das bedenklichste Licht zu setzen. Kein Leser Rabelais’, bei dem diese Parodie fehlt, wird dem neuen Münch Ilsan, in dem sich der unmäßige Kuttenträger und der roh dreinschlagende Landsknecht vereinigen, etwa ein Erasmisches Latein zutrauen, die Satire ist nicht von Nöthen – F. jedoch, der die Epistolae obscurorum virorum liebte und schon z. B. Rabs mönchische Unwissenheit gegeißelt hatte, kann sich eine solche Abschweifung nicht entgehen lassen. Die Angriffe auf den Clerus werden immer stark vermehrt; alle Reden des ungeschlachten Mönches weiter ausgesponnen, Reden überhaupt gern angebracht, so eine anfeuernde Ansprache König Pikrochols. Der Eroberungsplan der Bittergallier wird natürlich für Deutschland näher erörtert. Cap. 29 läßt F. ein Bangartfräulein unter den siegreichen Hirten ein schön Meistersangerisch Liedlin im Lilgenthon vortragen.

Vor allem liebt er es, aller Orten lange, fast endlose Verzeichnisse einzuführen, wie sie auch Rabelais, aber viel seltener, hat. Gleich am Prolog erkennt man, daß bei ihm alles in die Breite geht. Die ersten Capitel sind fast unabhängig. Rabelais’ Anecdoten werden ins Ungeheuere vermehrt. Excurs folgt auf Excurs, hier über Ausschweifungen, da in patriotischem Unmuth gegen die vornehmen Latinisten über lateinische und deutsche Namen, dort über deutsche Versmaße, über Stammbäume und Bankerte, über Eierkriege und den Ursprung der Kriege etc. etc. Das neue Kloster muß bei F. auch eine Bibliothek haben (vgl. Rabelais II, 7); er fügt dann ein langes poetisches Register ein, das eben so wenig als die ganze Bücherei zu einem Kloster paßt, wo Jan Onkapaunt die Inful trägt. Ohne jeden Sinn für Oekonomie und Disposition hat sich F. nie die Frage vorgelegt, ob und wie weit sein Variieren und Abschweifen gerade am Platze und durch die Situation erlaubt ist.

Wo Rabelais drei komische Namen gibt, hat F. gewiß die doppelte Summe; Rabelais nennt ein paar Handwerke, F. eine Legion; Rabelais begnügt sich mit vier Heiligen, von denen Krankheiten kommen, F. kaum mit mehreren Dutzenden. Immer wird multiplicirt, auch da, wo Rabelais schon mit Absicht häuft, so bei Gargantuas gymnastischen Uebungen, bei den Wortspielen (XII – 9). Wer Rabelais’ 22. Cap., die lange Aufzählung der Spiele [43] liest, erstaunt dieses artige Register gegen den Fischart’schen Catalog (26. Cap.) fast verschwinden zu sehen.

Winzig ist Rabelais’ Gelage verglichen mit Fischart’s Trunkenlitanei. Das berühmte 8. Capitel führt uns lebendig in eine weindunstige Zechstube unter die unmäßigen Cumpane des 16. Jahrhunderts, wo das Naß in Strömen fließt und Schlemperliedel auf Schlemperliedel erschallt, wie er schon im 1. Capitel eine Menge Gäuchlieder citirt. Achim von Arnim hat diese Trunkenlitanei in den „Kronenwächtern“ sehr glücklich nachgeahmt. Die Geschichte des Volksliedes hat diesem immer neu anhebenden Rundgesang viel zu verdanken, aber die künstlerische Wirkung geht bei solcher Maßlosigkeit verloren. Um so mehr, wenn ähnliche Häufungen öfters vorkommen; aber die Zeit verlangte vom Dichter noch nicht so viel Wechsel der Mittel, ließ sich auch dieselben Holzschnitte immer wieder gefallen.

Keinen leisen Wink Rabelais’ läßt er unausgebeutet. Kurpfuscher, Rechtsverdreher, Schwindler aller Art stellt er am Pranger blos, während Rabelais sie mit einem raschen Hieb vorbeitreibt.

Er gibt gern lange, allgemeiner gehaltene Einleitungen. Bei jedem Anlaß und auch ohne solchen schüttet er einen vollen Sack von Anecdoten und historischen Belegen aus: über wunderliche Geburten, hohe Personen, die aus Liebhaberei ein Handwerk getrieben, bei der Sturmbeschreibung, aus der römischen Geschichte etc. Rabelais erwähnt nur den zerbrochenen Milchtopf – F. erzählt ausführlich die Geschichte vom Honigtopf des Klausners und sucht eine ganze Reihe ähnlicher Beispiele hinzu.

Die tieferen politischen und religiösen Anspielungen treten bei ihm zurück. Auch dieser Umstand hat ihn von den folgenden Büchern abgezogen. Den Schluß zieht er zusammen, einmal drei Capitel in eines. Sonst hat er nur ganz ausnahmsweise gekürzt, etwa im 48. Capitel, wie Jan zwei Wächter erschlägt, die anatomisch-medicinische Beschreibung des Arztes Rabelais.

Alle Seiten seines Stils finden an den „gemsenkletterigen vnd tritthimmelverzuckten Materien“ des Gargantua ihre eigenste bezeichnendste Ausprägung.

Die überaus rasche Entwicklung der Manier Fischart’s in den ersten Schriften bezeugt, daß er jung begann. Sein vorzüglichstes Mittel, die Häufung, ist ihm von Haus eigen und wird dann durch Rabelais’ Einfluß weiter ausgebildet, oft zum Extrem forcirt.

Die ersten Schriften, am auffallendsten der Nachtrab, leiden an einer lästigen Breite, der ewigen Wiederholung der Motive, langathmigen Einschaltungen, dem Mangel an Zusammenhang und Einheit, demzufolge auch an häufigen Recapitulationen. Furchtbar weitschweifig sind die naturgeschichtlichen Vergleiche im Ehzuchtbüchlein. Immer vermißt man die feste Concentration, den sicheren Plan, denn jeden Augenblick springt Fischart’s unruhiger, quecksilberner Geist ab und überläßt sich neuen Schnurren und Einfällen. Man denkt oft, er wolle abschließen, aber gleich folgt ein frischer Anlauf. Er arbeitete offenbar sehr schnell, so daß manches „noch nit ausgführt“ ist; die Fortsetzung „mag noch inn kurzem nachher gon“. Vieles trägt Spuren der Flüchtigkeit, besonders, was ohne die rechte innere Betheiligung für den Erwerb geschrieben ist. Stücke, wie sein In Dulci Jubilo sind mißlungen, die biblischen Historien u. dgl. meist recht nüchtern, das „Uhrwerk“ ein Stück Bädeker in Versen, dürftig u. A. das athanasianische Glaubensbekenntniß „inn Reimengsang gefasset“. Dennoch läßt sich manchen dieser Straßburger Werke ein eindringlicher, knapper, stellenweise kräftig lutherischer Ton nicht absprechen.

F. kann rein schwankmäßig erzählen, wie die Anecdoten im Dominicus und von der Laus beweisen.

[44] Es fehlt ihm durchaus nicht an lyrischer Begabung. Zart, innig, mild, dabei unerschöpflich ist sein „Lob der Lauten“, die er gewiß selbst „artlich zu rühren verstand, ganz reizend in der „Anmanung zur Kinderzucht“, um nur ein Beispiel in dieser Richtung zu geben, wie er das erste Lallen und Regen der kleinen Himmelspflänzlein, Hausschößlein und Ehrenkränzlein malt. Seine Bearbeitung des Horazischen Beatus ille in den 15 Büchern „vom Feldbaw“: „Fürtreflich artliches Lob der Landlustes, Mayersmutes vnd lustigen Feldbawmanns Leben“ ist zwar eine weitläufige Verbreiterung, aber, abgesehen von der glücklichen Modernisirung des Ganzen, gefällig durch die lyrische Empfindung des stillen, idyllischen, kindlichen Friedens, die hübschen Motive aus dem Hirtenleben, den Jahreszeiten, zu denen realistische Genrebilder aus dem Treiben des Meiers treten.

Auch ernst und gemessen als ein würdiger Chronist und Herold weiß er aufzutreten: im „Glückhafft Schiff“.

Er ist stürmisch, leidenschaftlich, maßlos, eminent persönlich in seiner Satire, die häufig zur Strafpredigt, dem Gegner ins Gesicht, wird, und die directe Anrede, Frage, Ausruf gern verwendet. Er kann höchst wirksam contrastiren und Halbzeile gegen Halbzeile einsetzen. Seine Knittelverse sowol als seine Prosa haben oft den Charakter des Spruchmäßigen, Sententiösen. Es mag damit im Einklang stehen, wenn er neben Plutarch, von dem er noch mehr „nuzliche Opuscula“ „inn vnserer vnvermengten, reynen vnd für sich selbs beständigen Mutersprach auspringen“ wollte, den Euripides besonders liebte, ob er gleich ein „Weiberschender“ war.

F. hat „der Alten herrlich Schrifften“ nicht nur gern citirt, sondern namentlich den epischen Stil zu ernsten wie komischen Zwecken nachgeahmt. Zu den ersteren gehören die Vergleiche im „Glückhafft Schiff“, humoristisch erscheint der epische Stil im „Flohhatz“, der großen Flohnänie, im Flohgebet, oder wenn der alte Floh sich im Vließ eines Hundes, wie Ulyß aus Polyphems Höhle, heraustragen läßt, wenn im St. Dominicus die hl. Katharina ironisch angerufen wird, wie Virgil und Ovid ihre großen Gedichte beginnen.

Alle in Schwänken, Satiren, komischen Predigten, Priameln, Liedern, Pamphleten vorhandenen Elemente, Reimprosa, Sprüchlein, macaronisches Gemisch, „sackum super nackum“ hat er sich zu nutze gemacht. Wo er grob wird, wie im „Kehrab“, spricht er am volksthümlichsten.

Nie seit Aristophanes ist ein so kühner, verwegener Sprachbildner aufgetreten, wie F. Vor der Versandung der Opitz’schen Zeit sollte noch einmal aller Reichthum der deutschen Sprache, alle Fähigkeit, mit dem Vorhandenen zu wuchern, in Einem Manne potenzirt zusammengefaßt werden. Diese Herrschaft hat ihn freilich zur Unart und Laune verführt, denn wer möchte in Sprache und Stil des Gargantua ein Ideal finden?

F. beginnt in der alten Form der Reimpaare, die sich sowol für lange, reiche Perioden und Häufungen, als für kurze, schlagende Spruchdichtung und gnomische Antithesen vortrefflich eignen. Er unterbricht seine Prosa gern durch Verse. Dank der Unterweisung des „besten Reimisten“ haben seine Knittelverse schon im „Nachtrab“ nicht das monoton Klappernde, wie bei vielen Vorgängern und Zeitgenossen, ohne daß F., der es auf metrische Feinheiten nicht absah, in der damals den Opitz’schen Gesetzen zustrebenden Reform eine irgend hervorragende Rolle spielte. Auch bei ihm zahlreiche schwebende und versetzte Betonungen, sehr häufig, besonders bei klingendem Ausgang, unreiner Reim. Allerdings hat F. sich nie thörichte Beschränkungen auferlegt, etwa gleich Alberus nur stumpf zu reimen, sein Vers schreitet ohne die üblichen Flickworte rasch fort, er vermeidet durch häufige Synkope die Accentuirung tonloser Silben, aber in [45] den zahllosen Reimen wie „der Aquinas“: „seinem Faß“, „wieder Jesum“, „Eigenthums“ eine bewußte und geschickte Benutzung des Tieftons zur Variation des Tonfalles zu suchen, heißt doch künstelnd aus der Noth eine Tugend machen. Verlegenheit und Mangel kennt sein Reimschatz allerdings nicht. F. hat den eigentlichen inneren Reim in mehreren Formen glücklich ausgebildet. Seine „biblischen Historien“, fünf- bis achtzeilig, bringen es ohne Mühe von drei bis zu sechs gleichen Reimen, noch dazu gern mit einem innern in der letzten Zeile, die dadurch zu einem sich ablösenden gnomischen versus memorialis wird, z. B. „Aufrur zerspalt bald vnd zerfallt“. Er liebt es, den Schluß des längern Gedichtes durch drei, vier, auch sieben Reime zu markiren. Das Gedicht endigt auch wol auf gut Hans Sachsisch: „Das euch sein Wahrheit werd erkant, Wünscht euch J. F. Mentzer gnant“. In dialogischen Partien wird das Reimpaar gern durch Vertheilung auf Schluß und Eingang zertrennt. Man darf es wohl wiederum dem Wormser Aufenthalt anrechnen, wenn F. von der französischen Verskunst, die namentlich am Heidelberger Hof ihren Einzug hielt und hier auf Weckherlin und alle folgenden Bewunderer und Nachahmer der Plejade, nicht zuletzt Opitz, übertragen wurde, zu Neuerungen und Experimenten angeregt wird. Die Reveille matin, das „lustig im gemäse Epitaphi“ (nach Rabelais Ronsard) zeigen den Wechsel von vier und drei Hebungen klingend oder stumpf mit gekreuzten Reimen, sein Hochzeitslied geht im zierlichen Tanzschritt des Allemand d’amour, F. hat sich in Sonetten versucht, ja, als einer der ersten, in der „sechshupfigen Reimen Wörterdäntzelung, vnd Silbensteltzung“ deutscher Hexameter zu Ehren der „Künstlichkeyt der Teutschen in allerhand Karmina“ (Garg. II). Er kennt Marot’s Psalmen und den „heut berümtest Frantzösisch Poet Ronsart“, spricht von Wettreimen, Liedern „auf allerlei melodei“, „Rondeo vnd Ballade gestalt“, „neuen Wissartischen (Fischart’schen) Reimen von gemengten trei hüpffen vnd zween schritten“.

Aber die volle Freiheit konnte er nur in der Prosa finden. Die staunenswerthen Häufungen und Steigerungen des „Jesuitenhütleins“ z. B. decken sich nicht mit denen der Practick oder des Gargantua. Dort die Absicht, Nachdruck zu erreichen und den Feind unter der Fluth von Anklagen zu begraben, hier rein komischer Zweck und die behagliche Lust am Ueberflusse, in dem sich der Leser nicht gleich zurecht findet. Die Ueberfülle von Calembourgs, kecken Wortverdrehungen, Sprüchen, überraschenden Priameln, die massenhaften anklingenden oder reimenden Substantiva in den langen komischen Listen der Practick sind nur die Vorbereitung zum Gargantua, wo die Worte nur in Schwärmen ziehen und jedem ein Dutzend Synonyma auf dem Fuße folgt. Von allen Seiten strömt es auf uns ein, ein wahrer Wirbelwind von Worten ist entfesselt, wir kommen nicht mehr zu Athem und der Autor, der in der Maßlosigkeit kein Genügen findet, muß auch in seinem ungeheuerlichen wasserfallartigen Wortgesprudel inne halten und einmal „verschnaufen“, um dann mit frischen Kräften weiter zu hasten. Unzählige Male hat F. dieselbe Situation, Empfindung, Stimmung ausgedrückt, aber immer mit einer neuen tropischen Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit der Wendungen. Auch wo er lateinisch schreibt, dieselbe Menge von Appositionen, Nominibus und Verben, kurzen Sentenzen, dieselben Wortspiele, wie tubas turbarum, famosos inquisitores fumosos.

F. spielt mit dem Wort, wie mit dem Satz. Er ist groß als Wortschöpfer; man denke nur an die Legion von unübertrefflichen Namen im Flohhatz. Durch Synkopen, Apokopen, Zusetzung von Buchstaben und Silben läßt er seine Worte proteische Wandlungen durchmachen. Schon die Titel sind ein verwirrendes Gemisch der wunderlichsten Tautologien und Wortspiele. Welche Fülle von Wortwitz beschwört nicht allein der Ausdruck „Practik“ herauf? Welche, zum Theil [46] etwas unsauberen, Anspielungen der Name Nas? Und weiter sein Schneiderhandwerk? Die erste Verdrehung führt gleich eine ganze Schaar von Verdrehungen herbei: Jesuiten, Jesuwider, Jesu zuwider; Suiter, Sauiter; Jebusiter, Jesebelliter von der Königin Katharina, der Kattarein, die weder von Katern rein, noch Katzenrain, Sataniten und Schadaniten; Quadricorniten, Cornutiten etc. Loyola wird zu Lugevoll, loyolisch zu luguollisch, Ignatz etymologisirend zu Feurart, dies führte weiter zum Höllenfeuer, daher Vulcaniter etc. Der etymologische Witz begegnet auch sonst: würdig im Glückhafft Schiff und der Beschreibung der Bündniß, satirisch: Amadei vom „Buler Amadys“, Portiuncula „von guten Portzen“. Die Namen im Gargantua müssen sich die tollsten Verrenkungen gefallen lassen. Er spottet: Artsus, Daemoniacus, Arsbasia, Schamiramis, Landagrewel, Gurgellantua. Die Franzosen, die Galli, werden zu Kapaunen.

Sein Wortwitz vertauscht oder verbindet deutsche Worte mit ähnlich klingenden deutschen: großmägig, affentheurlich, schanddächtig; Kuttensack Kotsack, erenvest, orenfest, orenveist mit einer Mittelstufe; besonders in der ihm schon 1571 geläufigen Reimprosa „seind Meelsorger, kein Seelsorger“, oder in der Antithese des Verses „nach Got dich dürst, nach Golt in dürst“. Wir können bestimmte Figuren hervorheben; „Scheinheylig Teuffelthum vnd verteuffelt Scheinheyligthum“, „Judenfärlin und Säujüdlin“, „verkehrtgelehrten“ – „gelehrtverkehrten“, ähnliches gern auf zwei Zeilen vertheilt.

Die hervorragendste Rolle aber fällt in seinen Wortspielen den Fremdwörtern zu. Seltener deutsche mit ihnen verbunden oder wie in den komischen Titeln ihnen angeglichen: Nasitet (Suitet, Satanitet, Cornutitet, Quadricornitet), Preimaulitet, Orithet (vgl. auch grobitätisch anklingend an gravitätisch), oder Fremdwort mit Fremdwort: Bepstia, Bestia, Synodus Cynodus (κύων), Centurien (Schrift von Nas) Menturien Centones (Flicken, denn Nas ist die „Schneidergeis“), Lateran, Latron, unzählige Male Fremdwörter, „inn deutschen Model vergossen“: dieselben Centuriae Schenturien Schändhury, Antiquitât Altiquitet Altdickwitet, Tractat Trecktetlein mit dem Zusatz kotecht, Theologie Thollosey Thollegant, Fraterey Verheterey, Catholisch katzenwollisch, Legende Lugend, Lastrolugium mit doppeltem Scherz, Naschspeckt desgleichen, Maulhengkolie, Lapis Spitallausikus, Cyclops Säuclops, Provision Brotfission, Republik Reichpöblicheyt, Podagra Pfotengram Pudendagra, Woluflus, Lusthuria etc. etc.

Wie hat F. vor allem mit seinen Namen gespielt. Anagramme lateinisch und deutsch, wie Im Fischen Gilts Mischen oder Jove Fovente Gignitur Minerva, niederländisch: Fischaert, Gräcisirt: Huldrich Elloposkleros, Verdrehungen Reznem oder gar Artwisus von Fischmenzweiler, Winhold Wustblut etc., Jesuwalt Pickhart mit Anspielung auf die Picarden, Baptista Guisart nach den Guisen, etymologisirend im Hinblick auf Straßburg; J. Noha Trauschiff von Trübuchen, Ulrich Mannsehr von Treubach.

Im 17. Jahrhundert, wie zahlreiche neue Auflagen beweisen, noch viel gelesen, vom Heidelberger Kreis mehrfach genannt, wird sein Name und allmählich auch seine ganze Schriftstellerei ganz vergessen, bis im 18. Jahrhundert einzelne Schriften, in vielen Fällen nur die Titel wieder auftauchen, (Gottsched, Bodmer, Blankenburg, L. Meister, Flögel, Ring u. s. w.). Die jüngere Romantik.

Johann Fischarts, genannt Mentzer, Glückhafftes Schiff von Zürich. In einem treuen Abdruck herausgegeben und erläutert durch Karl Halling und mit einem einleitenden Beitrage zur Geschichte der Freischießen begleitet von Dr. Ludwig Uhland, Tübingen 1828 (Schriften II). – Darauf die berühmte grundlegende Recension von K. H. G. v. Meusebach, dessen große Sammlung jetzt in der kgl. Bibliothek zu Berlin, Allg. Litteraturztg. 1829, Nr. 557. Vilmar, Zur Litteratur Johann Fischarts, Marburg 1846, umgestaltet [47] und stark vermehrt, Frankfurt a. M. 1865. Vilmar, Johann Fischart in der Encyclopädie von Ersch und Gruber, I. 51, 169 ff. – Below und Zacher, Geistliche Lieder etc., Berlin 1849. Philipp Wackernagel, Geschichte des deutschen Kirchenlieds 4, 810 ff. Weller, Neue Originalpoesien Johann Fischart’s, Halle 1854. Scheibles Kloster (VIII, X.). Heinrich Kurz, Johann Fischart’s sämmtliche Dichtungen (Deutsche Bibliothek Bd. 8 ff.) Leipzig 3. Leipzig 1866 f. Ders. (und Paldamus), Deutsche Dichter und Prosaisten Leipzig 1867, 1, 318 ff. Goedeke, Grundriß 2, 386 ff. Eilf Bücher deutscher Dichtung 1, 156 ff. Weller, Annalen 2. 380 ff., 465. Gervinus 3, 165 ff. Wilhelm Wackernagel, Deutsches Lesebuch II. Johann Fischart von Straßburg und Basels Antheil an ihm, Basel 1870, 2. 1874; L. Spach, Oeuvres choisies, Strasbourg 1866, 1, 129 ff. Scherer, Ztschr. f. österr. Gymn. 1867. S. 474 ff. Geschichte des Elsasses, 2. Aufl. S. 269 ff. Höpfner, Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Dichtung des 16. und 17. Jahrhundertes, Berlin, Wilhelmgymnasium 1866. Dederding, Zur Charakteristik Fischart’s, Berlin, Luisenstädt. Gewerbeschule 1876. Kessemeier, Der Bienenkorb, Catalogus Catalogorum und kleinere Zugaben, Progr. Bremen 1877. Crecelius in Birlinger’s Alemannia I. Müntz, Revue d’Alsace, 1873. S. 378. Wendeler, Archiv für Litteraturgesch. 1877. S. 487 ff. Neudrucke deutscher Litteraturwerke, Halle 1876 ff.: II. Braune, Aller Praktik Großmutter; V. Wendeler, Der Flohhatz. Wagners Archiv.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 32. Z. 14 v. u.: Das Einladungsprogramm zu Fischart’s Promotion und die Matrikel theilt C. Wendler mit in der Zeitschr. für deutsch. Alterth. N. F. Bd. X. (1878), S. 253. [Bd. 7, S. 796]