ADB:Meusebach, Karl Hartwig Gregor Freiherr von

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Artikel „Meusebach, Karl Hartwig Gregor von“ von –r. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 539–541, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meusebach,_Karl_Hartwig_Gregor_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 04:22 Uhr UTC)
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Meusebach: Karl Hartwig Gregor v. M., deutscher Philolog, Sammler und Kenner der älteren neuhochdeutschen Litteratur. Er war am 6. Juni 1781 zu Neu-Brandenburg geboren, verlebte seine Jugend auf dem Familiengut Bockstädt in der goldenen Aue, besuchte die Gymnasien zu Roßleben und Magdeburg, studierte zu Göttingen und Leipzig Jurisprudenz und erhielt 1803 zu Dillenburg eine Anstellung als Canzleiassessor. Am 9. März 1804 vermählte er sich mit Ernestine v. Witzleben. Nach Errichtung des Großherzogthums Berg ward er Procureur am Tribunal erster Instanz zu Dillenburg. Im J. 1814, nach der Besetzung des Landes durch die Verbündeten, betraute ihn Justus von Gruner mit der Leitung des Tribunals zu Trier und übertrug ihm nach einem [540] Jahre den Vorsitz bei dem provisorischen Cassationshof zu Coblenz. Bei der definitiven Regelung des rheinischen Gerichtswesens kam er 1819 als Geh. Oberrevisionsrath nach Berlin zugleich mit dem rheinischen Cassations- und Revisionshof, dessen Präsident er später wurde. Nachdem er sich 1842 aus dem Staatsdienste zurückgezogen hatte, lebte er auf seinem Gute Baumgartenbrück bei Potsdam, wo er am 22. August 1847 starb. – Um der Gedichte seiner „Kornblumen von Alban“ (Marburg 1804) willen würde ihn die deutsche Litteraturgeschichte nicht zu nennen haben. Auch der „Geist aus meinen Schriften, durch mich selbst herausgezogen und an das Licht gestellt von Markus Hupfinsholz“ (Frankfurt 1809) würde nur als ein Ableger Jean-Paulschen Humors vielleicht eine vorübergehende Erwähnung verdienen. Aber M. gehörte zu den vornehmen Dilettanten, welche den wissenschaftlichen Begründern der altdeutschen Philologie begünstigend, theilnehmend, helfend zur Seite standen; und er beherrschte sein eigenes Gebiet unumschränkt als ein großer Kenner und wahrer Gelehrter: die deutsche Litteratur des 16. und 17. Jahrhunderts und der benachbarten Zeiten. Die Liebe, die er zu Jean Paul gefaßt hatte, übertrug er auf Johann Fischart; dieser stand im Mittelpunkt aller seiner Studien und litterarischen Pläne, die freilich Pläne blieben und über das Stadium höchst gründlicher umfassender Vorarbeiten nie hinauskamen. Er wollte die Werke Fischarts, die ältesten deutschen Volkslieder, ein Wörterbuch zu Luther, eine vollständige Sammlung der Dichter des 17. Jahrhunderts herausgeben. Von alledem erschien dann nichts als Beobachtungen über ein paar Specialitäten der neuhochdeutschen Wortbildung, die Jacob Grimm drucken ließ („Zur Recension der deutschen Grammatik, unwiderlegt herausgegeben von Jacob Grimm“, Kassel 1826); ein Verzeichniß Fischartscher Schriften in der Recension von Hallings Ausgabe des Glückhaften Schiffs (H. A. L. Z. 1829 Nr. 55. 56) und – aus einem viel moderneren Gebiete – eine Recension von Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde (H. A. L. Z. 1835 Nr. 115–120). Meusebachs Hauptwerk ist seine Bibliothek, welche, der Kgl. Bibliothek zu Berlin einverleibt, tausenden zu gute kommt und für jede Forschung über die deutsche Litteratur des 16. und 17. Jahrhunderts die unentbehrliche Grundlage darbietet. Und sie enthält nicht blos das todte Material. Man begegnet, wie oft, in den zierlichen Bänden auch Meusebach’s handschriftlichen Bemerkungen, einem Hinweis, einer Vergleichung, einer bibliographischen Notiz, welche die Forschung anregt und erleichtert. Dazu kommt, was aus seinem Nachlaß allmählich ans Licht tritt, namentlich: „Die Fischartstudien des Freiherrn v. M.“ (Halle 1879) und der „Briefwechsel des Freiherrn v. M. mit Jacob und Wilhelm Grimm“ (Heilbronn 1880), beide herausgegeben durch Dr. Camillus Wendeler. In beiden eine erstaunliche Fülle der Gelehrsamkeit, ausgebreitet freilich mit der zwecklosen Willkür, dem absichtlichen Haften am Kleinen, dem Schwelgen in der unendlichen Häufung des Analogen, welche den Verehrer Fischarts charakterisirt und ihn zu Fischarts Nachahmer macht. Er unterscheidet sich aber von Fischart dadurch, daß er in der That sehr komisch wirkt, während ein heutiger Leser über Fischart selten lachen kann und in der Regel nur ermüdet wird. Er war außerdem ein Erfinder auf dem Gebiete der komischen Litteratur. Er hat die epistolarische ‚Dichtungsart‘, wie er sagt, durch den Begriff des ‚Klebebriefs‘ erweitert; und dies ist etwas so verrücktes, daß keine gedruckte Publication davon auch nur ein annäherndes Bild gewähren kann. M. besaß eine reiche Sammlung von komischen und seltsamen Ausschnitten aus Zeitungen und untergeordneten Druckwerken. Er hatte sie theils selbst gesammelt, theils von andern sammeln lassen; alle jungen Herren seiner Bekanntschaft achteten für ihn auf seltsame Worte, wunderliche Wendungen, ungeschickt ausgedrückte Gedanken, sonderbare Annoncen, und [541] trugen ihm dieselben zu, sei es daß sie an sich lächerlich waren oder durch Verstümmelung lächerlich gemacht werden konnten. Und diese schätzbaren Materialien verwendete er für seine Briefe, indem er jene Ausschnitte entweder seinen eigenen Sätzen einfügte oder ganze Seiten lediglich daraus componirte. Der Eindruck der verschiedenen Zettel mit ihrem bunten Druck und Papier und der Gedankenzerrbilder, welche mit solchen Mitteln hergestellt werden, die Anschauung eines so gänzlich unzweckmäßigen, mühsamen, zeitverschwendenden, aber durch und durch lustigen Treibens, verbunden mit dem scurrilen, anspielungsreichen, auf unaufhörliche Ueberraschung berechneten Stil ist über alle Beschreibung spaßhaft. Voll wunderlicher und origineller Späße war M. auch im Leben. Es circuliren darüber in Berlin noch viele Geschichten; aber sie haben zum Theil schon nachweislich ihre Träger gewechselt, so daß die authentischen schwer auszusondern sein möchten. Eine Schilderung von Meusebachs häuslichem Leben findet man bei Hoffmann von Fallersleben, „Mein Leben“ Bd. 1 S. 299–335.

Vgl. Wendeler a. a. O. und im Centralblatt für Bibliothekswesen von Hartwig und Schulz Bd. 1 S. 213–231; Steinmeyer in der Beilage zur Wiener Abendpost 1880 Nr. 92. 93; Belger, Moriz Haupt S. 14 ff. 339 f.[1]
–r.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 541. Z. 18 v. o. hinzuzufügen: Schwartz’ Biographie von M. herausgeg. von Otto in den Annalen des Vereins für Nassauische Gesch. XXI, 43 ff.; XXII, 1 ff. [Bd. 33, S. 797]