Zum Inhalt springen

ADB:Parrisius, Eduard

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Parrisius, Eduard“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 756–758, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Parrisius,_Eduard&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 16:20 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Parmentier, Maria von
Nächster>>>
Pasqué, Ernst
Band 52 (1906), S. 756–758 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Eduard Parrisius in Wikidata
GND-Nummer 142743380
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|756|758|Parrisius, Eduard|Ludwig Julius Fränkel|ADB:Parrisius, Eduard}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=142743380}}    

Parrisius: Eduard P. (nicht Parisius), Aesthetiker und Dichter, wurde am 24. März 1857 zu Berlin geboren. Er genoß in seiner Heimathsstadt eine gediegene Ausbildung, die früh das empfängliche Gemüth des Knaben auf Hohes und Schönes lenkte. Nachdem er sich philosophischen und verwandten Studien mit größter, innerer Hingabe gewidmet, promovirte er Anfang November 1881 an der Tübinger Universität mit der Dissertation „Das Ethische in der Kunst“ zum Dr. phil. So hatte er bewiesen, daß er, der immer nach dem Idealen Strebende, dabei etwas tüchtiges gelernt. Aber damit war auch der Versuch einer sog. socialen Carrière abgeschnitten. Denn ernste Krankheit nagte am Lebensmarke des lebensfreudigen und schönheitsdurstigen Jünglings. Der ungenannte Freund, der ihm dann vor den hinterlassenen Schriften den knappen Nachruf schrieb, bemerkt: „Mag auch der Keim des Todes in seiner Brust gelegen haben, mag auch nur eine kurze Erdenlaufbahn ihm die Vorsehung beschieden haben, er beschleunigte wohl die Katastrophe seines Endes durch seinen Drang, das Schöne in der Fremde kennen zu lernen“. Am 3. Januar 1882 verließ P. Berlin um sich, in München, [757] Verona, Mailand, Genua Station machend, nach Nizza zu begeben. Aber schon Anfang März finden wir ihn in Paris, das ihn ungemein fesselte. Den Hochsommer brachte er am Genfersee, meist in Vevey, zu, wo der Sohn eines aristokratischen Hauses (Paul v. H.) sein Zögling war, durchstreifte die Schweiz und kehrte für den Schluß des Jahres, von ungewisser Sehnsucht, wol auch Todesahnung getrieben, nach Berlin zurück, wo er seine Studien neu aufgriff und vertiefte. Gerade ein Jahr nach der ersten Ausfahrt von Berlin traf er dann wieder in Paris ein, von dem er in vierteljährigem Aufenthalte diesmal recht enttäuscht ward. Beim Abschiede trug er ins Tagebuch im Anschluß an seinen regen Theaterbesuch ein: „Alle Stücke, welche ich gesehen habe, hatten in Paris den größten Anklang gefunden. Somit kann ich behaupten, ungefähr einen Einblick in das gethan zu haben, was dem geistreichen Paris gefällt: es ist meist fades, frivoles Zeug. Wie leicht kann man hier blasirt werden! Nichts, nichts in dem weiten, großen Paris, das zum Herzen spricht. Nehme ich die wilden Zeiten meines Studentenlebens aus, so kann ich behaupten, nie so seelenlos, so ohne tieferen Gehalt hingelebt zu haben. Man ist dabei weder glücklich noch unglücklich, man ist eben nichts. Mir ist wohl, daß ich bald abreise“. Seine jugendlichen Schüler ließen ihn am 21. April ungern von Paris fort. Turin und Pisa durchfliegend, eilte er nach Rom. Rom nebst Umgebung, Neapel mit Pompeji und Capri, Florenz, Venedig besichtigte er genau nach Vergangenheit und Gegenwart. Dann landete er, voll der erhabensten Eindrücke, auf Schloß Hauteville bei Vevey am 11. Juni und dort am Genfer See (oder in Berlin?) ist P., nach einer anstrengenden Tour durch Savoyen aufs letzte Lager gesunken, am 19. October 1883 gestorben, die edle Seele durchtränkt mit Schönheit, mit Staunen vor dem Gehalte all der gewaltigen Kunst, die er gesehen, und seit kurzem dabei, „über die Aufgabe meines Lebens ernster nachzudenken“.

Nämlich – so schließt sein Tagebuch – „immer lebhafter tritt die Wahrheit des Gedankens auf, daß die Chorpoesie allein den ethischen Empfindungen zu entsprechen vermag, die mich bewegen. Es handelt sich darum, die Form dieser Chorpoesien festzustellen. Und hierauf will ich jetzt ausgehen“. Dieser autobiographische Schlußsatz umfaßt sein vom Tod durchschnittenes Programm. Unter Parrisius’ hinterlassenen Papieren fand sich der eigenthümliche Versuch eines Dramas mit Chören, das in engstem Rahmen und knappster Handlung eine ergreifende tragische Verwicklung, freilich ohne jeglichen zeitlichen, örtlichen, volklichen Hintergrund, vorführt, in Vielem an „Die Braut von Messina“ erinnernd. Im übrigen mag seine eifrige Beschäftigung mit Richard Wagner, besonders dessen Schrift „Oper und Drama“, niedergelegt in einem an den Tod des Meisters 1882 angeknüpften Essay, ihn bei bezüglichen Ideen beeinflußt haben. Das außerdem erhaltene einactige Schauspiel „Der Graf von Einsiedel“ schwebt ebenfalls betreffs der landschaftlichen Sphäre u. s. w. ziemlich in der Luft, im ganzen ein gedrängtes Jambendrama, Goethe’sche Art nachahmend. Die kleine Reihe sinniger, tief empfundener und formell mannichfaltig und gewandt gestalteter lyrischer Gedichte aus dem Nachlasse spiegeln all die Regungen des Herzens und des Kunststrebens wieder, welche in Eduard P. wogten, woben und zu fester Fassung drängten. Sie gipfeln in den abschließenden Versen seiner gedruckten Poesien (Gedicht „Der Künstler starb“): „Und nehmet dies als meine letzten Worte: Wer glühend Schönheit fühlt, dem ist beschieden Im Leben Kampf, im Sterben Gottesfrieden“. Darin ist gedanklich vereinigt, was ein Brief wenige Wochen vor dem Tode geäußert: „Was kann ich dafür, daß ich die Welt so schön finde?“, mit einer wenig späteren Tagebuch-Notiz: „Alles kommt darauf an, die Sache des Göttlichen [758] zu führen, und nie vom Wege des Edlen abzuweichen, mag es kosten, was es wolle“.

Einen anmuthigen, wahrhaft erfreulichen Einblick in das Innenleben dieser feinen und zartbesaiteten Natur erlaubt uns sein ziemlich regelmäßiges „Tagebuch nebst Kunstnotizen“, ohne die Absicht nachheriger Veröffentlichung während der ganzen letzten, der Reiseperiode seines abgerissenen Daseins geführt, jedoch mit Bewußtsein als „ein Stück Selbstbiographie“. Seine Kunsturtheile inner- wie außerhalb der Museenbesuche sprechen durch Vermeiden theoretisirender Glossen warm an. Dazu kommen die nach dem Tode als „Fragmentarische Schriften der Aesthetik“ gebrachten kleinen Abhandlungen, an deren Spitze der Torso seiner, in seinen letzten Monaten angelegten großzügigen „Prolegomena zur Aesthetik“ steht, endlich vermischte Skizzen, auf Auffassung des Dramas und vergleichende Kunstgeschichte bezüglich. Und keinswegs ohne Zusammenhang mit diesen seinen Skizzen und Ansätzen, die, auch stilistisch, so gar nicht nach Studirstube schmecken, schließe hier den Reigen, wie in der Sammlung der Schriften, die überaus charakteristische Arbeit des noch nicht 21jährigen: „Die Idee eines intellektuellen Kosmos“. Deren offenherziges Vorwort lautet: „Indem meine Freunde mich auffordern, ihnen darzulegen, wohin ich zu streben gedächte, da die zerstreute Art meines Studiums und das Umherschweifen auf so verschiedenen Gebieten sie verwirre, fühle ich selbst das Gewicht einer solchen Forderung lebendig und begreife die Nothwendigkeit, die allgemeine Idee auszusprechen, welche meine Handlungen, mein Streben, Wünschen und Wollen erklärt, kurz, welche ich für die leitende meines Lebens halte“ und zum Motto wählt ein Wort Herder’s, das so endet: „Im wirkenden Leben nur ist Menschenfreude, in Licht und Liebe nur des Schöpfers Seligkeit“. Die Studie selbst dagegen mündet in einen ebenso human-kosmopolitischen wie nationalen Ausklang: „Voll Ehrfurcht treten wir in die geheiligten Hallen, wo der Mensch sich von seiner edlen Seite allein zeigt; und uns über Epoche, Nationalität und Confession erhebend, begegnen wir hier allen als Brüder, um mit ihnen in der stillen Ahnung des Göttlichen gemeinsamer Andacht zu pflegen“, andererseits auf Grund des Hinweises, daß die Pfleger des Glaubens an Menschenwürde und deren Erforschung fast nur Deutsche seien: „Erhöht durch diese Wahrnehmung schmiege ich mich der freundlichen Hoffnung an, daß es den Deutschen vom Schicksal vorbehalten zu sein scheint, das entscheidende Volk der Weltgeschichte zu werden und eine neue Epoche in der Entwicklung der Menschheit zu begründen“.

Man sehe E. Parrisius’ „Zerstreute Schriften. Nach seinem Tode gesammelt und herausgegeben“ (II. Theil als solcher 1885; I. [Bildniß dabei] mit Sondertitel „Gedenkblätter. Gewidmet den Freunden des verewigten Dr. Eduard Parrisius 1884; I, S. I–V knapp biographisches Vorwort).

Brümmer, Lex. d. dtsch. Dichter etc.5 III, 192.