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ADB:Philipp (Graf zur Lippe)

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Artikel „Philipp, Graf zur Lippe“ von Rudolf Falkmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 8–10, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Philipp_(Graf_zur_Lippe)&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:51 Uhr UTC)
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Philipp, Graf zur Lippe, der jüngste Sohn Simons VI. und der Elisabeth von Schaumburg, geb. am 18. Juli 1601, erhielt als lippisches Paragium die Aemter Alverdissen und Lipperode, das Schloß Ulenburg im Stift Minden und eine Geldapanage, hielt sich sodann zum Theil in Begleitung seines älteren Bruders Otto acht Jahre lang in Frankreich, Italien und Spanien auf und nahm seit 1626 seine Residenz im Schlosse Alverdissen, wo er ein eheloses Leben führte. Er war bereits 40 Jahre alt, als durch einen Todesfall sein Leben eine unerwartete Wendung erhielt.

Am 15. Novbr. 1640 starb zu Bückeburg Otto VI. Graf von Holstein-Schaumburg, 26 Jahre alt, in Folge des berüchtigten Hildesheimer Banketts. Mit ihm erlosch sein altes Geschlecht, und sein Gebiet fiel nach allen Seiten auseinander. Der ungewöhnlich verwickelte Erbfall rief eine Masse von Prätendenten in die Schranken, welche sich beeilten, durch reelle oder symbolische Besitzacte Stücke des vacanten Gebietes in Besitz zu nehmen oder gegen Störungen Verwahrung einzulegen. Der Reichshofrath machte Miene, den ganzen Nachlaß zu sequestriren und erließ (24. Decbr.) eine Edictalladung an Prätendenten und Gläubiger, es entstanden Processe an beiden Reichsgerichten und den Lehnhöfen, die Schweden, welche damals das Stift Minden besetzt hatten, sowie andere kriegführende Parteien und besonders weibliche Hände mischten sich ein. Der König von Dänemark bemächtigte sich ohne Recht der alodialen Besitzungen in Holstein und Hamburg, Pinneberg, Altona, Ottensen etc. Als Lehnsherren nahmen die Herzöge von Braunschweig die Aemter Lauenau, Bockeloh und Meßmerode in Besitz, Minden als angebliche Lehn die Aemter Schaumburg, Bückeburg, Stadthagen und Sachsenhagen, Hessen die Aemter Rodenburg, Hagenburg und Arnsburg. Die Herrschaft Gehmen, ein clevisches Lehen im Münsterschen, war schon kurz vor Otto’s Tode für die Aebtissin von Elten von dem holländischen General Grafen Limburg gewaltsam occupirt worden und blieb noch lange streitig. Auch der Bischof von Paderborn machte lehnsrechtliche Ansprüche an Bestandtheile des schaumburgischen Nachlasses, welche seit 200 Jahren als Pfandschaft im Besitze der Grafen zur Lippe waren, insbesondere die Herrschaft Sternberg. – Die Mutter des Verstorbenen, Gräfin Elisabeth zur Lippe, damals 48 Jahre alt, blieb unter dem Schutze einer schwedischen Besatzung im Schlosse zu Bückeburg. Sie war unbestrittene Erbin des ganzen alodialen Hausvermögens, zu welchem auch die Herrschaft Bergen in Nordholland gehörte. Sie verkaufte letztere an einen Holländer und trat gleichzeitig die holsteinischen Besitzungen gegen eine Abfindung von 145 000 Thlrn. an Dänemark und den Herzog von Holstein-Gottorp ab (Flensb. Vergleich vom 10. März 1641). Gegen Minden, welches viele alodiale Besitzungen mit occupirt hatte, erhob sie Klage bei dem [9] Reichskammergericht und beanspruchte als nächste Blutsverwandte auf Grund der Lehnsauftragung von 1518 auch die hessischen Lehen. Die ausgedehntesten Erbansprüche machte ihr Bruder Otto zu Brake als ältester lippischer Agnat und vertheidigte dieselben nach allen Seiten hin gerichtlich und außergerichtlich mit bewunderungswürdiger Thätigkeit und Ausdauer bis an sein Lebensende, wiewol ohne Erfolg. Ebenso erhob das regierende Haus zu Detmold, damals unter Vormundschaft der Gräfin Katharina von Waldeck, unter Berufung auf eine Erbverbrüderung zwischen Schaumburg und Lippe vom J. 1510 Anspruch auf die ganze Grafschaft Schaumburg. Allein Lippe besaß diese wichtige Urkunde nicht, sondern nur eine lehnsherrliche Bestätigung derselben von Paderborn. Die Gräfin Elisabeth verweigerte die Herausgabe und erst weit später, als alles unwiderruflich getheilt war, wurde die Urkunde an Lippe mitgetheilt. Auch die Bemühungen der Vormünderin um die hessischen Lehen bei der Landgräfin Amalia, mit welcher sie sich durch Begünstigung der Kaiserlichen und feindliche confessionelle Bestrebungen völlig überworfen hatte, führten nicht zum Ziel.

P. hatte sich nach dem Tode seines Neffen zum Beistande seiner Schwester nach Bückeburg begeben. Für sich selbst machte er anfangs keine Ansprüche, wenigstens nicht auf Land und Leute, betrachtete vielmehr seinen Bruder Otto als künftigen Regenten. Er würde holländische Kriegsdienste vorgezogen haben und verweilte deswegen lange Zeit im Haag. Als aber Elisabeth nicht Otto sondern ihm Alles was sie vom schaumburgischen Gebiete besaß und noch ferner zu erwerben hoffte, testamentarisch zuwandte (3. Juli 1643), begab sich P. selbst mit einem Rechtsgelehrten der Universität Rinteln nach Stockholm an den Hof der Königin Christine. Er scheint deren Gunst gewonnen zu haben, denn er erwirkte einen Befehl an die schwedische Regierung zu Minden (7. October), die Gräfin Elisabeth im Besitze der mindenschen Lehngüter zu belassen. Wie Elisabeth wünschten auch die schaumburgischen Landstände den Grafen P. zum Regenten und huldigten ihm. Jetzt war der Moment günstig, auch die hessischen Lehen, über welche man schon lange mit der Landgräfin in Verhandlungen stand, zu erwerben, denn Hessen wollte die drei Aemter nur demjenigen lippischen Blutsverwandten überlassen, welcher auch das übrige Gebiet innehatte und dasselbe dem hessischen Lehensverbande unterwarf. Bei einem Besuche des Grafen am Hofe zu Kassel fand er die Landgräfin willig, mußte sich aber verpflichten, eine hessische Prinzessin, die Tochter des verstorbenen Landgrafen Moritz, Sophie (29 Jahre alt) zu heirathen und erhielt gleich darauf die hessische Belehnung (25. Octbr. 1644).

Allein es traten neue Schwierigkeiten ein. Der Reichshofrath, an welchen der Streit der schaumburgischen Wittwe gegen das Domcapitcl zu Minden übergegangen war, entschied zu Gunsten des letzteren (18. Decbr. 1645), und als das Urtheil eben vollzogen werden sollte starb Elisabeth am 19. Juni 1646. Die schwedische Regierung glaubte sich nun berechtigt, die mindenschen Lehensämter, um welche sich Torstensohn und der Pfalzgraf Karl Gustav eifrig bewarben, einzuziehen, und infolge davon wurde zugleich die hessische Belehnung wieder gefährdet. Auch andere Prätendenten, wie Graf Otto zur Lippe und die Regierung zu Detmold, machten Ansprüche an den Nachlaß der Verstorbenen und suchten sich desselben zu bemächtigen. In dieser Lage schien die Sache für den Grafen P. verloren. Es trat indeß wiederum eine günstige Wendung ein, sofern die Königin Christine ihn vorläufig im Besitze beließ, und die Landgräfin beschloß, den schaumburger Erbfall an den Friedenscongreß in Münster und Osnabrück zu bringen. Sie verlangte die streitigen Gebietstheile als Entschädigung für die von Hessen im Bunde mit Schweden aufgewandten Kriegskosten und setzte diesen Anspruch unter Berufung auf eine Zusage Gustav Adolfs mit Hülfe von Schweden und Frankreich gegen den Einspruch des kaiserlichen Gesandten durch. [10] Unter Vermittelung Oxenstierna’s kam nun zu Münster (19. Juli 1647) ein weitläuftiger Vertrag mit dem Grafen P. zu Stande, nach welchem die ganze Grafschaft Schaumburg zwischen ihm und Hessen getheilt, und sein Antheil dem hessischen Lehensverbande unterworfen wurde. Durch weitere Verträge zu Kassel wurde der Plan dahin ausgeführt, daß P. die Aemter zu Bückeburg, Stadthagen, Hagenburg, Arnsburg und einen Theil von Sachsenhagen bekam, und schließlich die ganze Vertheilung der schaumburger Stammlande zwischen dem lippischen Grafen, Hessen und Braunschweig durch den westfälischen Frieden besiegelt. Seitdem nannte P. seinen Antheil an dem Gebiete „Schaumburg-Lippe“, zum Unterschiede gegen das hessische Schaumburg.

Eine Versöhnung mit seinem Bruder Otto, der am Ende seines Lebens (1657) mit allen seinen großen Erbschaftshoffnungen gescheitert war, brachte er nicht fertig, stand aber mit dem durch inneren Zwist tief gespaltenen regierenden Hause Lippe stets auf gutem Fuße. Er bemühte sich mit bestem Erfolg, die Wunden zu heilen, welche der große Krieg seinem Lande geschlagen hatte, und machte sich durch humanes Regiment bei seinen Unterthanen sehr beliebt. Durch sein Testament (1668) führte er die Primogeniturerbfolge ein, während sein zweiter Sohn die lippischen Paragien erhielt. Nach dem Tode seiner Gemahlin Sophie (1670), war er willens, sich mit der Wittwe Marie v. Mai geb. v. Fronhorst wieder zu verheirathen, nahm aber auf Einspruch seiner Söhne davon Abstand. Er starb in hohem Alter am 18. April 1681, als Stifter des noch blühenden Hauses Schaumburg-Lippe.

Acten des Landesarchivs zu Detmold. – Dolle, Gesch. von Schaumburg. – Ledderhose, Kleine Schriften. Bd. 2.