ADB:Simon VI.

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Artikel „Simon VI., Graf zur Lippe“ von Rudolf Falkmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 362–367, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Simon_VI.&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 14:00 Uhr UTC)
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Simon VI., Graf zur Lippe, der bedeutendste unter den lippischen Regenten und unter seinen Zeitgenossen eine hervorragende Erscheinung, wurde zu Detmold am 15. April 1554 als einziger Sohn Bernard’s VIII. und der Katharina von Waldeck geboren. Er folgte seinem Vater seit 1563 unter Vormundschaft, besuchte mit seinem Hofmeister und dem Mag. Thodenus, einem der Philippistischen Richtung angehörigen Wittenberger Theologen, die derzeit berühmte Schule zu Straßburg und zu seiner weiteren Ausbildung die Höfe des Herzogs Julius zu Wolfenbüttel und des Landgrafen Wilhelm zu Kassel, an deren Vorbilde er herangereift ist. Während seines Aufenthalts in Kassel vermählte sich dort seine Schwester Magdalene mit Wilhelm’s jüngstem Bruder Georg zu Darmstadt und wurde dadurch die Stammmutter des jetzigen großherzoglichen Hauses. Schon früh suchte er eifrig anregenden Verkehr in großen Kreisen und Bekanntschaften, welche für sein späteres Leben wichtig wurden. Am jülichschen Hofe nahm er nicht nur viermal an Hochzeiten der herzoglichen Kinder theil, sondern geleitete auch die älteste mit dem Herzog von Preußen vermählte Tochter Eleonore als Vertreter des Herzogs Julius von Braunschweig bei der Heimfahrt nach Königsberg, wie seine Schwester bei der Heimfahrt nach Darmstadt, vertrat den Landgrafen Wilhelm bei der Hochzeit eines Herzogs von Württemberg in Stuttgart und besuchte die Höfe in der Nähe und Ferne. Kaum zwanzigjährig trat er mit drei jungen Pfalzgrafen und dem Grafen Ludwig von Nassau in Verbindung, um sich an einem Feldzuge für die abgefallenen Provinzen gegen die Spanier in Brüssel zu betheiligen, als aber der Plan in Detmold und Kassel entdeckt wurde, bot man alles auf, den einzigen Stammerben des Hauses vor einem so gefährlichen Unternehmen zu bewahren und ließ ihn wenige Tage vor der blutigen Schlacht auf der Mookerheide zurückholen. – Nachdem er sich im Jahre 1578 mit Irmgard, einer der rietbergischen Erbtöchter, vermählt und dadurch die Reichsgrafschaft Rietberg erworben hatte – während die andere Schwester Walburg, Erbin des Harlinger Landes, sich mit dem Grafen Enno von Ostfriesland verheirathete – trat er im folgenden [363] Jahre, nunmehr volljährig, die Regierung seiner beiden Grafschaften an. Da aber die kurze unerfreuliche Ehe kinderlos blieb, so fiel Rietberg nach Irmgard’s Tode ebenfalls an Enno. In der Aussicht auf das Erlöschen seines Hauses wurde S., erst 29 Jahre alt, mehrere Jahre lang von einer krankhaften Melancholie befallen, er gedachte der Regierung zu entsagen, sich in die Waldeseinsamkeit zurückzuziehen und wollte sich auf den Trümmern der Falkenburg eine Wohnung erbauen. Zu diesem Zweck errichtete er sein erstes Testament, worin er über seine Nachfolge disponirte. Von verschiedenen Heirathsplänen verfolgt, entschloß er sich indes 1586 zu einer Verbindung mit Elisabeth, der Tochter Otto’s von Schaumburg und beseitigte damit den streitigen Anspruch der Schaumburger auf Einlösung versetzter Gebietstheile seines Landes. Dieser überaus glücklichen Ehe entsprangen 5 Söhne und 5 Töchter. Bei der Geburt des ältesten Sohnes Bernhard drückte der Vater seine Freude über den langersehnten Erben durch eine bleibende Stiftung zu Gunsten aller Pfarrer des Landes aus.

Während seiner ganzen Regierung bewährte S. sich als Selbstherrscher; die unverhältnißmäßig zahlreichen Beamten und Agenten, welche er in und außer Landes hielt, waren nur Rathgeber und Werkzeuge in seiner Hand. Dabei zeichnete er sich durch eine unerschöpfliche, ja unbegreifliche Vielthätigkeit aus, ebenso in den kleinsten Angelegenheiten des Landes und Hofes, selbst bei häufiger und langer Abwesenheit, wie in den weitreichenden Kreisen seiner Politik, deren Fäden er in Händen hielt. Gleichzeitig hatte er den niederländischen Krieg wie die gefahrvolle Lage in Westfalen, wie den Türkenkrieg in Ungarn, wie die Vorgänge am Kaiserhofe im Auge. Mit reicher Sachkenntniß und Erfahrung im praktischen Leben verband er Liebe für Wissenschaft und Kunst und correspondirte mit Gelehrten. Bald arbeitete er mit Alchemisten im Laboratorium, bald saß er an der Orgel seiner Schloßcapelle, bald malend an der Staffelei, und interessirte sich nicht minder für Astrologie, Architektur und Ingenieurkunst. Die lateinische Sprache war ihm so geläufig wie die deutsche, er verstand auch französisch, italienisch, holländisch. – Als Regent trat er auf allen Gebieten, dem kirchlichen, polizeilichen, gerichtlichen, wirthschaftlichen und finanziellen, als Reformator auf und suchte die bis dahin stabilen Zustände seines Landes im modernen Geiste zu entwickeln. So ging unter seiner Regierung das Land aus dem mittelalterlichen Feudalstaate in den fürstlichen Polizeistaat über. Am meisten lag ihm die Pflege der Justiz am Herzen, welche bis dahin nur von seiner Kanzlei als Audienzgericht geübt wurde. Er errichtete nach dem Vorbilde des Reichskammergerichts ein Hofgericht zu Lemgo mit ausführlicher Gerichtsordnung, dessen Unterhaltung er zur Hälfte auf eigene Kosten übernahm, und schuf damit ein Institut, welches sich fast drei Jahrhunderte lang zum Nutzen des Landes bewährt hat. Es folgten weitere Gesetze für die Strafjustiz, eine Consistorialordnung für die geistliche Gerichtsbarkeit sowie eine mehrmals revidirte Polizeiordnung nach dem Muster der R. Pol. O. Die damals so allgemein verbreiteten, bei dem Volke beliebten und von den Geistlichen unterstützten Hexenverfolgungen suchte er in seinem Lande, soviel er vermochte, zu beschränken und protegirte die gleichfalls verhaßten Juden, deren Vertreibung aus dem Lande von den Ständen gefordert, aber erst nach seinem Tode durchgesetzt wurde. Während seiner Minderjährigkeit war eine Kirchenordnung mit streng lutherischen Dogmen und kirchlichem Ritual erlassen. Allein S. neigte sich schon früh einer freieren Glaubensansicht zu und begünstigte die Theologen dieser Richtung, wie den von Wittenberg vertriebenen Thodenus, Meno Alting zu Emden, Chr. Pezel zu Bremen, Urban Pierius, ebenso wie die von der katholischen Reaction verfolgten Exulanten der Nachbarschaft. Erst allmählich reifte bei ihm der Entschluß, auch in seinem Lande eine gereinigte Lehre, wie er es nannte, ohne von der Basis der durch den Religionsfrieden geschützten [364] Augsburger Confession zu weichen und möglichst auf friedlichem Wege einzuführen. Es gelang ihm, fast sämmtliche Gemeinden des Landes zu reformiren. Er gerieth aber dadurch mit der mächtigen Stadt Lemgo, welche an ihrem Lutherthum und ihrer privilegirten communalen Selbständigkeit festhielt, in einen durch Ausbruch einer förmlichen Revolution (1609) geschärften zehnjährigen Streit. Dieser Kampf um kirchliche und dynastische Interessen wurde bald mit Waffen, bald mit der Feder und an beiden Reichsgerichten geführt, nicht ohne Einmischung benachbarter Fürsten und Städte, selbst der Hansa und Holländer, und endigte erst 1617 mit einem Friedensschluß, durch welchen die Stadt zwei lutherische Kirchen behielt. Bei Einziehung von katholischem Kirchengut hielt der Graf streng darauf, daß dasselbe nicht dem Domanium[WS 1] einverleibt, sondern nur für Kirchen, Schulen und milde Zwecke verwandt werde, insbesondere die Einkünfte des im Jahre 1596 mit Paderborn getheilten Klosters Falkenhagen. Zwei andere Klöster gingen in evangelische Damenstifter über, ein drittes zu Detmold wurde in ein aus dem Falkenhagener Fonds dotirtes reformirtes Gymnasium verwandelt. – Auf militärischem Gebiete wurde zwar sein Wunsch, Soldaten zu halten, von den Landständen nicht unterstützt, sie bewilligten ihm nur einen Soldatenschatz für eine Garnison im Schlosse Detmold, dagegen suchte er die Landmiliz allmählich auszubilden und zu bewaffnen und begünstigte besonders die städtischen Schützen und deren Schießspiele oder Schützenfeste als eine Schule wahrhafter Männer. Er füllte seine Rüstkammer mit Waffen aller Art, legte eine Geschützgießerei an und ließ durch holländische Ingenieure eine allen modernen Ansprüchen entsprechende Festung zu Lipperode erbauen. Zu Brake bei Lemgo baute er nach dem Plane eines italienischen Architekten ein großes und glänzend ausgestattetes Schloß, welches ihm seit 1586 bis zu seinem Tode als Residenz diente, sowie ein anderes zu Varenholz, ein drittes zu Oesterholz. – Nicht minder thätig war er auf wirthschaftlichem Gebiete, wenigstens im Interesse seines Hausvermögens. Durch Ablösung von Pfandschaften, Ankauf oder Zusammenlegung zerstreuter Meiergüter mit ihren Abgaben und Diensten bildete er neue Meiereien, suchte die Bewirthschaftung seiner großen Forsten einträglicher zu machen und war leidenschaftlich bemüht, Antheil an den Salinen zu Uflen und Westerkotten zu erwerben, um deren Betrieb durch neue Methoden zu verbessern und den Salzhandel zu erweitern. Dagegen machte er schlechte Erfahrungen mit dem Bergbau, welchen er Anfangs außer Landes, dann auch im eigenen Lande betrieb, vollends mit der Goldmacherei, zu welcher er, wie so viele Fürsten seiner Zeit sich durch Schwindler verleiten ließ. Seine Hoffnungen auf Silbergewinn veranlaßten ihn zur Anlage und zum Betrieb einer Münzstätte, nachdem er dazu vom Kaiser und Kreise Privilegien erwirkt hatte. Auf Vermehrung seines Domanialbesitzes war er auch außer Landes bedacht. Als ihm das Lehngut Ulenburg im Stifte Minden heimfiel, setzte er sein Recht gegen den Widerspruch von Bischof und Domcapitel im schwierigen Proceßwege energisch durch und wußte das Besitzthum auch weiterhin gegen alle Eingriffe zu vertheidigen. Längere Zeit besaß er die Beienburg bei Elberfeld als Pfandschaft von Cleve, ebenso von Schaumburg die Krudenburg und Schlangenhol an der Lippe unweit Wesel. Bei diesen Erwerbungen im Auslande hatte S. die Dotirung seiner nachgeborenen Söhne im Auge, um sie möglichst mit Land und Leuten auszustatten. In einer Zeit, wo Landestheilungen fast bei allen Reichsständen üblich und vom Reichshofrathe begünstigt waren, wollte er die in seinem Hause hergebrachte Untheilbarkeit des Landes aufrecht halten. Er erwirkte deshalb (1593) eine Bestätigung des pactum unionis von 1368 und Befestigung des Primogeniturrechts durch den Kaiser und setzte in seinem dritten Testamente (1597) für drei nachgeborene Söhne nur Paragialbesitzungen aus. Dieses Testament, [365] wiewohl viel bestritten, ist zu einem wichtigen Fundamentalgesetze des Hauses geworden. – Mit den Landständen lebte er im allgemeinen in friedlichen Verhältnissen, obwohl er deren finanzielle Hülfe in ungewöhnlichem Maaße in Anspruch nahm. Unter seiner Regierung wurden neben den hergebrachten Reichs- und Kreissteuern zuerst dauernde Steuern zu Landeszwecken eingeführt, wie Hofgerichtssteuer und Soldatenschatz, oder für Schuldentilgung wie die Tranksteuer vom Bier u. s. w. In der Zeit seiner höchsten Finanznoth kamen zahlreiche Steuerprojecte (darunter schon 1609 eine Erbschaftssteuer) zur Sprache und theilweise zur Ausführung. Dennoch hinterließ der Graf bei seinem Tode eine Schuldenlast von 800 000 Th., an welcher seine Nachfolger noch lange zu tragen hatten.

Diese Finanznoth rührte fast allein von den auswärtigen Beziehungen des Grafen her, welche seinen Thatendrang und Ehrgeiz weit mehr befriedigten, als die Regierung seines kleinen Landes. Er entwickelte eine gewaltige Thätigkeit nicht nur zu Gunsten einzelner reichsständischer Häuser, wie Oldenburg, Ostfriesland, Schwarzburg, Stift Korvei, wo er als kaiserlicher Commissar fungirte, oder Waldeck, wo er als Mitvormund fast allein regierte, oder als Vermittler, wo es sonst Streit zu schlichten gab, wie Minden, Schaumburg, Hoya, Bentheim, Herford, Paderborn, Nassau, Eberstein, Mansfeld, sondern auch für den ganzen westfälischen Kreis, dem er seine beste Lebenszeit widmete. Er unterhielt Beziehungen zu den niederländischen Provinzen, nach Ungarn, am meisten aber mit dem Kaiser Rudolf in Prag. – Voll Bewunderung für den Aufschwung der jungen Republik stand er mit zahlreichen Kriegs- und Staatsmännern der Niederlande in schriftlichem und persönlichem Verkehr, so mit dem Prinzen Moritz, welchen er persönlich zuerst im Feldlager vor Lingen kennen lernte und beim Einzug in die eroberte Festung begleitete, sowie mit andern Nassauern, mit Philipp von Hohenlohe, Eberhard von Solms, Olivier von Tempel. Schon im Jahre 1591 übernahm er im Auftrage des Kaisers mit dem Grafen Salentin von Isenburg und einigen kaiserlichen Räthen eine Gesandtschaft nach Brüssel, um mit Parma und P. E. von Mansfeld Friedensverhandlungen zwischen Spanien und den Niederlanden anzuknüpfen. Wiewohl erfolglos war diese Reise für die Entwickelung des Grafen als Staatsmann und Diplomat von großem Einfluß. Seitdem gingen öfter schriftliche Verhandlungen aus den Niederlanden mit dem Kaiser durch seine Hand. Als er später (1602) in einer geheimen Sendung des Kaisers nach dem Haag reiste, um durch Besprechung mit dem Prinzen Moritz, mit Oldenbarneveldt und den Generalstaaten die Republik zum Anschluß an das deutsche Reich zu gewinnen, erreichte er zwar seinen Zweck, aber der Kaiser zögerte unschlüssig, und so wurde der günstige Moment verpaßt. Ebenso erging es, als der Graf während der Friedensverhandlung von 1607–9 zu einer gleichen Commission vom Kaiser berufen war.

Für Westfalen war der Kampf um die kölnische Kurwürde, und mehr noch der vierzigjährige Krieg in den Niederlanden eine verhängnißvolle Zeit. Der Kreis wurde dauernd zum Kriegsschauplatze. Große Heere beutegieriger und zuchtloser Söldner oder kleinere Freibeuterbanden plünderten, brandschatzten und verübten Greuel aller Art. Von ihren Einfällen blieb fast kein Gebiet des Kreises von Lüttich bis über die Weser hinaus verschont. In dieser allerschwierigsten Zeit wurde S. einstimmig zum Kreisobersten gewählt und übernahm das Amt mit den besten Vorsätzen, aber alle Hoffnungen auf kräftige Unterstützung seiner Defensionspläne wurden durch die politisch und confessionell gespaltenen und zerfahrenen Stände getäuscht. Vergeblich trieb er zu gemeinschaftlicher Vertheidigung, vergeblich suchte er Hülfe von Kaiser und Reich. Die Noth stieg aufs höchste, als (1598) der Admirant Mendoza den verarmten und [366] wehrlosen Kreis mit einem wilden Söldnerheere von 30000 Mann besetzte und die Winterquartiere erzwang. S. suchte, was er nicht mit Waffengewalt durchsetzen konnte, auf diplomatischem Wege zu erreichen, aber der Verkehr mit den Spaniern und die Verschonung seines Landes zogen ihm Neid und Mißtrauen der benachbarten Kreise zu. Endlich kam nach langwierigen Conferenzen zu Köln, Coblenz, Münster, Göttingen, Höxter gegen den Willen des Kaisers eine Vereinigung von fünf Reichskreisen zustande, um Spanier und Niederländer vom Reichsboden zu vertreiben. Ein Heer von 16000 Mann unter dem Oberbefehl des lippischen Grafen marschierte an den Rhein. Aber schon im Beginn des Feldzuges wurde der kurrheinische Kreis abtrünnig, und die meisten westfälischen Stände, voll Argwohn gegen die den Holländern mehr als den Spaniern geneigten Bundesgenossen erwiesen sich nicht minder treulos und renitent gegen den Feldherrn. Dadurch sowie durch Mangel an Geld und Proviant, durch Hader und Unbotmäßigkeit der Officiere, Meuterei und Beutegier der Söldner wurde der Zweck des Feldzugs großentheils vereitelt. Bei der Belagerung von Rees am Niederrhein lief das meuterische Gesindel, wie es damals oft vorkam, massenhaft auseinander, und man sah sich zum Rückzuge genöthigt. – Der verunglückte Feldzug von 1599 war für den Grafen S. um so schmerzlicher, da er, obwohl seine besten Officiere treu zu ihm hielten und ihm das Zeugniß gaben, daß er redlich seine Pflicht gethan, grundlosen Verdächtigungen nicht entging. Seine Versuche, die Schuldigen kriegsrechtlich zu bestrafen, wurden ebenso vereitelt wie seine Bemühungen durch eine kaiserliche Untersuchungscommission die Ursachen des Mißerfolgs ans volle Licht zu ziehen. In Prag scheute man den zu erwartenden Skandal. Von einzelnen Ständen wurde er sogar für die Kriegsschäden verantwortlich gemacht, und seine Ansprüche auf Ersatz der zum Theil aus eigener Tasche bestrittenen Kriegskosten sowie auf Gehalt als Feldherr und Kreisoberst wurden verzögert, verkürzt oder ganz verweigert. Daher die drückende Finanznoth seiner letzten Jahre. Nach solchen Erfahrungen suchte er sich wiederholt von seinem dornenvollen Amte als Kreisoberst zu befreien, wurde aber nicht blos von den Kreisständen, sondern auch von andern protestantischen Fürsten, und besonders durch den Wunsch des Kaisers, gegen den er jederzeit eine fast excessive Ergebenheit bewies, davon abgehalten. Nach seinem Tode fand man lange Zeit keinen Nachfolger.

Mit dem Kaiser Rudolf stand er zeitlebens in Correspondenz und gesandtschaftlichem Verkehr, genoß in ungewöhnlichem Maaße dessen Gunst und Vertrauen sowie die Freundschaft der höchsten Reichs- und Hofbeamten. Nachdem er 1582 einen Reichstag zu Augsburg, 1594 zu Regensburg besucht, wurde er vom Kaiser aus eigenem Antrieb zum Reichshofrath, später zum Kammerherrn ernannt und führte öfter kaiserliche Commissionen in Streitigkeiten verschiedener Reichsstände oder bei dem westfälischen Kreise aus. Vielleicht würde man ihm auch die projectirte Regentschaft über die jülichschen Lande während der Geisteskrankheit des Herzogs übertragen haben, wenigstens wurde er dreimal dazu in Vorschlag gebracht, wiewohl er als Protestant zu diesem Posten durchaus ungeeignet war. Er erhielt nur den Auftrag, die Samtstadt Lippstadt zu sequestriren, und geriet dadurch bei dem jülichschen Erbfalle (1608) in Conflict mit dem Erbfürsten. – Seit 1596 nahm besonders der Türkenkrieg sein Interesse und seine Thätigkeit in Anspruch, mehrmals schickte er Hülfstruppen des westfälischen Kreises nach Ungarn und würde selbst ein Regiment dahin geführt haben, wenn er in Westfalen hätte abkommen können. Oftmals benutzte auch der Kaiser sein Ansehen und seine Kenntniß westfälischer Zustände, um die in dem ausgesogenen und entvölkerten Kreise schwer aufzubringenden Reichssteuern einzuziehen, und fand ihn jederzeit willig zu schwierigen Missionen. Durch seine Verbindungen [367] mit Holland war er in der Lage, dem Kaiser Rudolf viele Gemälde für seine Bildergalerie zu verschaffen, sowie dessen Liebhaberei für Antiquitäten, starke Magnete u. dgl. zu befriedigen. Seine zahlreichen kostspieligen Dienste wurden zwar vom Kaiser dankend angenommen, blieben aber meistens unbelohnt. Die ihm ertheilte Exspectanz auf die Grafschaft Diepholz ist niemals realisirt worden.

Schon seit dem Rheinfeldzuge trug S. sich mit dem Entschluß, sich in Prag niederzulassen und erwarb dort ein eigenes Haus auf dem Hradschin. Obwohl evangelischer Confession, obwohl hinlänglich bekannt mit den Gefahren an dem intriguenreichen Hofe des launenhaften, an Verfolgungswahn leidenden Kaisers und gewarnt von seinen Prager Freunden hatte er es auf ein kaiserliches Hofamt abgesehen. Er kam aber nur zeitweilig auf einige Monate nach Prag, betheiligte sich hier eifrig an den Sitzungen des Reichshofraths als Vicepräsident und lebte im Verkehr mit Reichsbeamten, böhmischen Magnaten und Künstlern, darunter dem Hofmaler Hans von Aachen, welchem er selbstverfertigte Oelgemälde schickte. Im Umgange mit Katholiken hielt er zwar streng an seiner Confession und wollte auch nicht, daß eine seiner Töchter um einer Stiftspräbende willen katholisch werde, aber Conflicten mit der katholischen Kirche, die ihm nicht ganz erspart blieben, suchte er möglichst auszuweichen. An der protestantischen Union, welche er als eine dem Kaiser feindliche Verbindung ansah, hat er niemals theilgenommen, obwohl er schon zu dem ersten Projecte derselben (1587) berufen war.

Der neue Kaiser Mathias setzte das bisherige Verhältniß zu Simon fort, bestätigte ihn in seinen Würden, lud ihn zu einer persönlichen Besprechung auf dem Reichstag zu Regensburg von 1613 ein und suchte auch schriftlich seinen Rath über die Lage Ungarns und die Plane Bethlen Gabor’s. Der Graf, dessen Gesundheit schon lange durch einen Schlaganfall erschüttert und jetzt ernstlich bedroht war, folgte dennoch gegen den Wunsch seiner Familie, seiner Landstände und Aerzte dem Rufe des Kaisers, mußte aber vor Schluß des Reichstags, auf welchem die kirchlichen Parteien scharf aneinanderstießen, nach Brake zurückkehren. Nach einigen leidensvollen Monaten schloß der Tod am 7. December 1613 seine schon fast erblindeten Augen, und damit ein viel bewegtes Leben voll aufopfernder Thätigkeit für den westfälischen Kreis, den Kaiser und sein Land, reich an Kämpfen und Aufregungen, an unerfüllten Hoffnungen und Plänen. Sein Nachfolger Simon VII., verlegte die Residenz wieder nach Detmold. Von einem zweiten Sohne, Otto, stammt die ausgestorbene Linie zu Brake, von einem dritten, Philipp, die zu Alverdissen, welche einen Theil von Schaumburg erwarb und seitdem zu Bückeburg residiert, von einem Enkel Jobst Hermann die Linie Biesterfeld-Weißenfeld.

Die Acten des Landes-Archivs zu Detmold und nach diesen: Falkmann, Graf Simon VI. zur Lippe und seine Zeit, 1. bis 4. Band.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Damanium