ADB:Moritz (Landgraf von Hessen-Kassel)
Wilhelm der Weise, verwandte alle Sorgfalt auf die Erziehung seines Erstgeborenen, der nach dem frühen Tode eines zweiten Sohnes (Christian, geb. 1575, † 1578), sein Einziger blieb. Als humanistischen Lehrer wählte er den Magister Tobias von Homberg, der Vaterstadt Mutian’s; den französischen Unterricht vertraute er zwei von Beza und Hotomann empfohlenen Lothringern an, den religiösen einem melanchthonischen Theologen aus Wittenberg, Kaspar Cruciger dem Jüngeren. Sie pflanzten die Richtung, in der er selbst als Schüler Martin Bucer’s und Johann Sturm’s erwachsen war, auch in die Seele des Sohnes: bei diesem schlug sie noch tiefere Wurzeln; für seine Gesinnung und seine Schicksale ist sie bestimmend geworden. Unter der gewissenhaften Leitung des Vaters entwickelten sich die Kenntnisse und Talente des Prinzen in überraschender Weise. Als Elfjähriger begann er eine rhythmische lateinische Uebersetzung der Psalmen Davids, die er noch vor dem Tode Wilhelms vollendete und herausgab. 1584 erstaunten die Marburger Professoren, vor denen er eine Prüfung in den alten Sprachen, in der Poesie, Logik, Ethik, Historie und Theologie ablegen mußte, über sein Wissen und Urtheil; die Theologen fühlten sich aber schon damals berufen, den Landgrafen auf die unlutherische Auffassung des Knaben vom Abendmahl aufmerksam zu machen. In demselben Jahre schreibt M. dem Vater, er studire jetzt mit großer Lust die Logik des Petrus Ramus, der als Hugenott den Lutheranern verhaßt war. Landgraf Wilhelm, selbst ein hervorragender Astronom, der Freund Tycho’s de Brahe, versäumte nicht den Sohn in die mathematischen Wissenschaften einzuführen; an Tobias Homberg fand derselbe auch in der Jurisprudenz einen hervorragenden Lehrer. Frühzeitig entwickelte sich das bewunderungswürdige musikalische Talent des Prinzen. Und über der litterarischen, ethischen und ästhetischen Schulung wurde die Stählung des Körpers auf dem Fechtboden, im Reiten und Jagen nicht vergessen; der weltmännische Gesichtskreis aber ward auf Reisen zu den benachbarten Höfen, z. B. nach Dresden, erweitert. Wenn wir uns erinnern, wie wüst das Treiben an den meisten deutschen Höfen jener Zeit, z. B. in Dresden, war, so müssen wir die ernste und geistvolle Lebensführung, zu der M. unter dem Einfluß seines frommen und wahrhaften Vaters heranwuchs, bewundern. Er blieb ihr auch treu, als er nach dem Tode Wilhelms 1592 selbst die Regierung übernahm. Doch hat an seinem Hoflager niemals puritanische Strenge und Nüchternheit geherrscht, und gerade in den ersten Jahren, wo noch nicht die politischen und finanziellen Sorgen der späteren Jahre drückten, wandte sich die Lebenslust des jungen Fürsten von der ängstlichen Sparsamkeit des Vaters ab. Damals machte die Freigebigkeit des Landgrafen den Kasseler Hof zu einem der glänzendsten in Deutschland. Täglich ward für den gesammten Hofstaat vom Kanzler und Marschall bis zu den Handwerkern und Stalljungen herab offene Tafel gehalten. Künstler und Gelehrte fanden Aufnahme und Förderung. Von den benachbarten Höfen empfing und erwiderte man häufig Besuche, meist zu Familienfesten, wobei dann die politischen Fragen zur Sprache kamen. So hat M. nicht weniger als achtzehn Tauffeste ausrüsten müssen, denn nachdem seine erste Gemahlin, Agnes von Solms, nach neunjähriger Ehe mit Hinterlassung von vier Kindern gestorben war (23. November 1602), schenkte ihm seine zweite Frau, Gräfin Juliane von Nassau, die er schon am 22. Mai 1603 heimführte, bis [269] 1628 noch sieben Söhne und sieben Töchter. Aber auch seine Festlichkeiten wußte der Landgraf originell und sinnreich zu gestalten. Statt der Trinktreffen und Schauessen, wie sie an den schwelgerischen Nachbarhöfen üblich waren, liebte er Ringelrennen und Turniere zu Roß wie zu Fuß; zu den allegorischen Schaustellungen und Aufzügen erfand er selbst geistreiche Ideen und Ausführungen. Seine besondere Liebhaberei war das Schauspiel. Einer englischen Truppe, die er Jahre lang unterhielt, gab er für Lust- und Trauerspiele die Stoffe an, die er wol auch selbst dramatisirte; sie waren verpflichtet dieselben in deutscher Sprache aufzuführen. Die Zöglinge der von ihm gestifteten Hofschule mußten die lateinischen Dramen darstellen, Tragödien und Komödien. welche der Fürst den classischen Vorbildern wie Terenz und Seneca nachdichtete. Auch Ballett und Singspiel fanden auf der Kasseler Bühne Pflege. Die ausgezeichnete Hofkapelle und ein gut geschulter Sängerchor wirkten bei den Hoffesten und dem Gottesdienst mit. Gerade hierbei konnte der Landgraf, der selbst ein guter Sänger war und mehrere Instrumente, darunter Zither, Harfe und Orgel meisterhaft spielte, persönlich einwirken. Seine calvinische Ueberzeugung hinderte ihn nicht die Kirchenmusik nach Kräften zu fördern, nicht blos durch Aufstellung von Orgeln in den Hauptkirchen des Landes, sondern mehr noch durch eigene Compositionen. Die beiden vierstimmigen Choralbücher, in denen er die Lobwasser’schen Psalmen und die deutschen Kirchenlieder Luther’s wie seiner Nachfolger bearbeitete (1607 und 1612), wurden in allen Kirchen und Schulen des Fürstenthums eingeführt. In vier Bänden gab er die von seinem Kapellmeister Valentin Geuck begonnenen, durch ihn vollendeten Melodien zu den lateinischen Texten sämmtlicher Evangelien des Kirchenjahres heraus. Mit Palestrina’s Compositionen an Kraft und Anmuth soll das Magnificat wetteifern (componirt 1600), das uns handschriftlich erhalten ist. Vieles andere (z. B. Madrigale, Concerte und 8–10 Bände Motetten) kennen wir nur aus den bewundernden Zeugnissen der Zeitgenossen. Der landgräfliche Musikmeister Heinrich Schütz, der später in Dresden wirkte, gilt als der größte Meister der deutschen Kirchenmusik vor Johann Sebastian Bach. Auch bei den Bauten, mit denen er die Städte und Schlösser Hessens allenthalben schmückte, griff der geniale Fürst mit eigener Erfindung ein; wie er schon seinem Vater von den auf Reisen gesehenen Bauwerken Zeichnungen hatte einschicken müssen, so haben wir noch aus seinen letzten Jahren eine Reihe selbständig gearbeiteter Baurisse. Ebenso kamen bei der inneren Ausstattung der Schlösser seine Ideen zur Geltung. In Allem, was er angreift, bewundern wir den Ernst, die Planmäßigkeit und Hingebung, seinem Wahlspruche gemäß: consilio et virtute. Immer ist der Sinn des Fürsten auf das Hohe, das Göttliche gerichtet, so wie er seine Unterschrift „M. L. z. H.“ sinnvoll deutet: „Meine Lust zum Höchsten!“ Alles aber hat doch auch wiederum Bezug auf seine Aufgaben und Arbeiten als Regent des Landes, dem er von Gott und Rechtswegen vorgesetzt ist. Vor Allem seine wissenschaftlichen Bestrebungen, welche ihn in dem ganzen Umkreis damaliger Gelehrsamkeit heimisch machten. Seine Sprachkenntnisse verschafften ihm den Beinamen des modernen Mithridates. Für seine Meisterschaft im Lateinischen zeugen alle seine Arbeiten in Prosa und Poesie, seine Grammatik, seine Metrik und Poetik, sein Thesaurus linguae latinae. In theologischen Schriften, Predigten, Exegesen u. A. bewies er seine Kenntnisse der Grundsprachen der heiligen Schrift. Von den modernen Sprachen beherrschte er das Französische, in dem er Jahre lang mit Heinrich IV. correspondirte, das Englische, Spanische, Italienische; selbst magyarisch verstand er. Doch wollte er darum die Muttersprache nicht vernachlässigen; vielmehr nahm er als Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ (seit 1623) unter dem Zunamen „der Wohlgenannte“ an deren Sprachreinigungsbestrebungen Theil und [270] begann eine deutsche Grammatik. Minder selbständig, obschon nicht weniger eifrig war er in der Mathematik, der Botanik und besonders der Alchymie, in deren Irrgängen er sich gern verlor. Endlich interessirten ihn auch die philosophischen Disciplinen, vor Allem die Logik; in seinen letzten Jahren suchte er in metaphysischen Speculationen Ruhe vor den quälenden Sorgen des Tages.
Moritz der Gelehrte, Landgraf von Hessen, geb. am 25. Mai 1572, † am 15. März 1632. Der Vater, LandgrafDen vollen Strom dieser Gelehrsamkeit wollte M. nun in sein Hessenland einleiten. Er schrieb nicht blos Schulbücher, sondern war auch Schulmann. Im Mittelpunkt des Landes, in Kassel selbst errichtete er eine Hofschule, meist für Söhne des Adels bestimmt, dessen bäurische und widerspenstige Sinnesart er dadurch zu bannen meinte, das Collegium Mauritianum (1599). Nach einer vorübergehenden Vereinigung mit der Landesuniversität erhob er die Anstalt unter dem Namen des Collegium Adelphicum Mauritianum zu einem umfassenden ritterlichen Erziehungsinstitut, in dem sich unter adlichen Lehrern die Söhne des Landgrafen mit den Edelknaben des Landes für die Universität vorbereiteten. M. selbst leitete die Disputationen, prüfte die Aufsätze und bestimmte die Prämien. Nicht weniger sorgte er für die anderen Schulen des Landes, zumal für die Universität zu Marburg, deren Blüthe er, besonders seitdem sie nach dem Tode seines Oheims Ludwig (1604) von ihm allein verwaltet wurde, durch Berufungen, Zuschüsse und Reformen zu erhöhen strebte. Betrachten wir ferner, was M. für das wirthschaftliche Gedeihen seines Landes gethan hat, seine Sorge für die Sicherheit der Straßen und des Verkehrs, für die Rechtsprechung und Gesundheitspflege, die Administration der Kammergüter, Forsten und Bergwerke, seine reformatorischen Absichten in Bezug auf die den Bauernstand belastenden Frohn- und Spanndienste, seinen Kampf gegen den kurzsichtigen Egoismus der Zünfte durch Münzedicte, Maximalpreise und die Concurrenz neuer Industrien, für welche er holländische und englische Glaubensgenossen ins Land zog, seine Unternehmungen zur Hebung des Verkehrs, wie die Canalisation der Fulda (1601), so gewahren wir auch hier eine Fülle der Arbeit, Originalität, Thatenlust und selbstlose Hingebung. Es waren die Werke des Friedens, zu denen der Friedensfürst Landgraf Wilhelm seinen Nachfolger hatte erziehen wollen, in denen auch dieser die Summe seiner Lebensaufgaben erblickte. Wenn aber Wilhelm seinem landesväterlichen Wirken bis ans Ende hatte treu bleiben können, so war es das Geschick des Sohnes, im Kampf mit unüberwindlichen Mächten darin zu scheitern. Die ersten 30 Jahre seiner Regierung brachte M. damit zu, lockere Deiche um sein Land gegen die klar erkannte Gefahr zu errichten. Danach aber stürzten die Fluthen von allen Seiten herein: der Krieg, den er hatte abwenden wollen, kam in einer so grauenhaften Gestalt, daß sie die Friedenspolitik seines Vaters und sein eigenes Schwanken genug entschuldigen konnte. Es ist für uns wahrhaft tragisch zu sehen, wie dieser geistvolle, klar blickende, willensstarke Mann der Gewalt eines übermächtigen Schicksals vergebens sich entgegenstemmt, wie er mit seinem Lande, seiner Familie, seiner Politik und sich selbst in Hader und Widerspruch geräth und endlich völlig zusammenbricht.
Auf dem Grunde des allgemeinsten, weltdurchdringenden Princips hatte der Ahnherr den hessischen Staat gegründet; im Weltkampf sollte ihn der Enkel behaupten. Wenn Philipp der Großmüthige der hierarchischen Macht als Haupt seiner Partei eine Zeit lang die Wage halten konnte, so lag das, von der Gunst der allgemeinen Lage abgesehen, vor Allem an der Einheit seines Besitzes, mit dem er nördlich und südlich vom Main in drei Reichskreisen wurzelte. Er selbst aber hatte am Ende durch die Zertheilung seines Landes diese Wurzeln durchschnitten. M. gebot anfangs über 110, nach dem Anfall des Marburger Erbtheils über 236 Quadratmeilen mit 160 000 bzw. 200 000 Seelen. Auf diesem Territorium breitete sich noch die volle Buntheit mittelalterlicher Lebensordnungen [271] aus, in den Städten wie besonders unter dem Adel, der den Gesammtstaat sowol auf allen Lebensgebieten constituirte als in allen Lebensregungen hemmte. Die Zerstörung der alten Kirche hatte die Ritterschaft und den Fürstenstaat gleichmäßig gefördert und auf eine Seite getrieben; doch hatte schon Landgraf Philipp in der großen Krisis seines Lebens erfahren müssen, wie wenig er für sich auf die machtvollste Stütze Hessens bauen durfte. Indem nun M., wie seine Genossen am Fürstenamt überall, dahin arbeitete, die Machtelemente seines Landes zu strafferer Einheit zusammenzufassen, stieß er allerorten auf den bornirten Eigenwillen seiner Edelleute, welche sich in ihrer ständischen Organisation nur durch Compromisse besiegen ließen und aus jedem Conflict mit dem Anspruch auf maßgebenderen Einfluß in den Gesammtinteressen des Fürstenthums hervorgingen. Man kann nicht sagen, daß M. in diesen Reibungen besonders herrisch und gewaltsam aufgetreten sei, mochte ihn auch wol hier und da sein heißes Blut und besonders in den späteren Jahren die Bitterkeit getäuschter Hoffnung übermannen. Wenn er einmal gegen den Hofjunker Rudolf v. Eckardsberg, der den Hofmarschall Friedrich Balthasar v. Hertingshausen aus Rache meuchlerisch erschossen hatte, die fürchterliche Härte des peinlichen Rechtes im Uebermaß walten ließ (1615), so geschah das neben dem Gefühl persönlicher gerechter Kränkung in dem Willen, die Strenge der Justiz unnachsichtig anzuwenden. Seine eigenen Irrungen mit dem Landesadel über Besitz und Hoheitsrechte pflegte er gütlich zu schlichten. Bei seinen großen Reformplänen, in der inneren wie in der äußeren Politik war immer sein nächstes Absehen darauf gerichtet, die ständische Vertretung in gemeinsamer Berathung auf seine Zwecke zu verpflichten. Wie hätte er auch anders handeln können, wo sein Fürstenthum in seinem Geheimen Rath, im Hof- und Kriegsstaat, in Statthalterschaften und Amtsbezirken ebenso wie in den Ständen von denselben Geschlechtern erfüllt war! M. war in allen seinen Handlungen von einem lebendigen hessischen Gesammtbewußtsein getragen. Gewohnt, allen Erlebnissen und Empfindungen in lateinischen Versen Ausdruck zu geben, wandte er sich in „Davidischen Gesängen“ am Schlusse jedes Jahres oder in Augenblicken besonderer Gefahr mit Worten ernster Warnung vor Gottlosigkeit, Zwist und Engherzigkeit an seine „fidi Hessi“; 24 solcher Elegien hat er 1516 veröffentlicht. Denn zu allen Zeiten war er von dem Gefühl der Verantwortlichkeit vor Gott und den Gesetzen erfüllt. Diese Beiden, schreibt er 1611 seinem Erstgeborenen, seien die treuesten Rathgeber der Fürsten. Denn er dürfe nicht glauben, daß die Fürsten frei von den Gesetzen und nur die Unterthanen daran gebunden seien: „Quae vox tot tantosque tot seculis perdidit principes ac reges, tot evertit respublicas, tot ecclesiae Dei et reipublicae tum universae tum inprimis christianae attulit damna“.
Aber das Schicksal wollte, daß Landgraf M. auch mit der Größe seiner politischen Gesinnung allezeit hoch über seinem Volke stand. Er hätte nur dann hoffen können die Hindernisse zu beseitigen, wenn er die Regierung so friedlich wie sein Vater hätte führen können. Schon in den nachbarlichen Irrungen reichte seine Macht nicht überall aus. Es waren meist altererbte Streitigkeiten, mit geistlichen und weltlichen, katholischen und evangelischen Nachbarn, rings an den Grenzen und oft innerhalb des hessischen Territoriums selbst; unter der wachsenden Spannung der großen religiösen Gegensätze wurden sie von Jahr zu Jahr feindseliger und gefährlicher. Manche wußte der Landgraf in gütlicher Uebereinkunft zu erledigen, so den Zank mit Mainz wegen des erzbischöflichen Patronats über drei Gemeinden in der Herrschaft Eppstein, welche M. gegen drei Dörfer im Bezirk von Amoeneburg eintauschte (1608); während der Streit über die Kirchen von Amoeneburg, Neustadt, Momberg und besonders Fritzlar ungeschlichtet blieb, bis er in dem großen Kriege mit den Waffen ausgetragen ward. Besser stellte [272] sich M. zu den beiden großen Reichsabteien Hersfeld und Fulda. Jene ward erst unter Abt Joachim, dem guten Freunde des Landgrafen (1592–1606), durchweg evangelisch. Indem der älteste Sohn Moritz’, Otto, 1604 zum Administrator gewählt wurde, gelang es trotz kaiserlicher und päpstlicher Intriguen die Zugehörigkeit des Stiftes zu Hessen, dem ein landgräflicher Beamter, Heinrich Lersener, als Kanzler vorstand, über den Tod Joachims hinaus zu erhalten, und als man nach Otto’s frühem Tode durch die rasche Huldigung des Prinzen Wilhelm, der seit 1612 Coadjutor seines Bruders gewesen war, den Gegenzügen der katholischen Partei abermals zuvorkam, mochte M. glauben, sein Ziel, die dauernde Verbindung der Abtei mit seinem Hause trotz Allem behaupten zu können. Der Einbruch Tilly’s vernichtete diese Hoffnung. Schwieriger war das Verhältniß zu Fulda, wo die Gegenreformation unter dem Schutz des Abts Balthasar durch die Jesuiten sehr viel tiefer eindrang. Trotzdem wußte sich M. mit Balthasars Nachfolger, dem Hessen Johann Friedrich von Schwalbach (1606–1622), so wohl zu stellen, daß dieser ihm die seit zwei Jahrhunderten an Hessen übertragene Pfandschaft an Burg, Stadt und Amt Bach erblich überließ (1611). Tilly’s Einlagerung vernichtete aber auch diesen Vertrag, und mit Johann Bernhard Schenk von Schweinsberg erhielt das alte Stift einen Abt, der die Politik der Liga mit dem Krummstab und dem Schlachtschwert verfocht. Am feindseligsten gestaltete sich von Anfang an die Nachbarschaft mit Paderborn: mit verwirrten Grenzstreitigkeiten verbanden sich hier die haßerfüllten Kämpfe zwischen der evangelischen und katholischen Faction im Hochstifte selbst: für M. war der Preis noch höher als in den Abteien, da ihm das alte Ziel hessischen Ehrgeizes, die Schutzherrschaft über das reiche Bisthum, entgegengetragen wurde; aber auch die Verantwortlichkeit und Gefahr bei dem offenen Eintreten der Spanier für die Katholiken um so größer. Als sich die evangelische Bürgerschaft Paderborns gegen Bischof Bernhard[WS 1] auflehnte, ließ M. es trotz seiner Kriegswerbung geschehen, daß die Spanier in die Stadt kamen und die protestantische Faction in fürchterlichen Blutthaten ausrotteten (April 1604). Danach nützte es ihm doch nichts, daß die Stände des Stiftes einen Schutzbrief von ihm erbaten und erhielten; durch Bischof, Kaiser und Kammergericht bedrängt, mußten sie sich 1608 unterwerfen. Als M. gelegentlich des Jülicher Erbfolgestreites die Postulation seines Sohnes Philipp zum Coadjutor zu erlangen hoffte, durchschnitten die Katholischen seine unkräftigen Versuche, indem sie die Erhebung Ferdinands von Baiern fast mit Gewalt durchsetzten. Auch 1614, nach dem Tode Bernhards, mußte der Landgraf erneute Anträge, Ferdinand das Stift zu entreißen, zurückweisen, und als dann der große Krieg durch den Einbruch Christians von Braunschweig diese Landschaft erreichte, war für ihn das Spiel vollends verloren. Mit der Schirmvogtei über Corvey und Höxter ferner verletzte M. nicht nur die katholischen Interessen des Abts Dietrich von Beringhausen, sondern auch die Eifersucht eines protestantischen Nachbars, Heinrich Julius von Braunschweig, ein Hader, der auf die evangelische Sache sehr störend einwirkte. Besser gestaltete sich das Verhältniß zu diesem Nachbarlande zur Zeit Friedrich Ulrichs; und als der Nachfolger Dietrichs vor den Nachstellungen dieses Fürsten nach Köln entwichen war, bot sich M. 1620 wieder einmal die Aussicht, Philipp hier die Administration zu verschaffen. Aber auch diesmal scheiterte er an der Energie Erzbischof Ferdinands und dem Mißtrauen der Braunschweiger, so daß Tilly leichtes Spiel hatte, als er im Mai 1623 den wichtigen Weserpaß Hessen und dem Protestantismus entriß. Der böseste Nachbar an der so arg gefährdeten Nordgrenze Hessens war jedoch Graf Johann von Rittberg, der als Gemahl der Erbtochter des Grafen Enno (obschon er ihr leiblicher Oheim war), mit päpstlichem Dispens und kaiserlichem Consens ausgerüstet, 20 Jahre hindurch als Vorkämpfer [273] des westfälischen katholischen Adels gegen seinen hessischen Lehnsherrn auftrat. Vergebens forderte der Landgraf die Gräfin Sabina vor das Manngericht in Kassel (1602): die Rittberger bestritten dessen Competenz und brachten den Proceß vor das Reichskammergericht, welches ihn dann verschleppte, bis der große Krieg alles Rechtsprechen unnütz machte. Johann war es, der jene Spanier gegen Paderborn führte; in allen Unternehmungen der Katholischen gegen Hessen hatte er seine Hand. Er verjagte die hessischen Prediger, brachte die Jesuiten in die Grafschaft und führte die Gegenreformation völlig durch. Philipp der Großmüthige hatte seinen Rittberger Vasallen nach der Niederwerfung Heinrichs von Braunschweig 1545 in raschem Kriegszuge bezwungen; M. mißglückten mehrere Anschläge auf die stark befestigte Burg durch die Wachsamkeit des Grafen und die eigene Ohnmacht. Als er 1612 niederländische Hülfe herbeiziehen wollte, widerstrebten ihm sowol die eigenen Bundesgenossen, Kurpfalz und Kursachsen, als Erzbischof Schweikard von Mainz mit warnenden Botschaften. Vor Rittberg lagerte 1622 auch Christian von Braunschweig, auf dessen Waffen M. rechnete, vergebens. Zu Landgraf Philipps Zeit waren ferner die Waldecker Grafen mit Hessen in gutem Einvernehmen gewesen: unter M. ward auch dies ins Gegentheil verkehrt. Vom kaiserlichen Hof- und Kammergericht begünstigt, mit anderen Nachbarn Hessens im Bunde, konnten dieselben dahin arbeiten, ihre Landschaft von dem althergebrachten Lehensverbande loszulösen. Eine Grenzverletzung, die M. durch feindlichen Ueberzug rächte (1615), endigte mit einem parteiischen Restitutionsedict des Kammergerichts zu Gunsten der Waldecker (1618). Diesmal hielt sich die hessische Landschaft auf Seiten ihres Fürsten, und auf sie gestützt bemächtigte sich der Landgraf im November 1621 der ganzen Grafschaft. Die kaiserlichen Waffen setzten ihn dann aber auch hier in Nachtheil und Unrecht.
Schon die vergeblichen Anläufe dieser wirrenreichen Territorialpolitik lassen es erklärlich erscheinen, daß M. auch in den großen Fragen, die ihm die allgemeine Lage der Religion und des Reiches aufdrängte, lange Jahre eine vorsichtige, oft schwankende Haltung beobachtete, mag nun hierbei die kluge Unterdrückung der Leidenschaften oder der Zwang der Verhältnisse vorgeherrscht haben. An persönlichem Eifer und politischer Einsicht hat es M., soviel wir urtheilen können, auch in den Fragen der großen Politik nie gefehlt. Aber wenn er schon bei den kleinen Gelegenheiten auf Schritt und Tritt im Lande und von auswärts Hemmungen erfuhr, wie mußten da erst diese Verlegenheiten wachsen, sobald er die großen Entschlüsse fassen sollte, von welchen die kleinen Streitfragen mit fortgerissen werden mußten, sobald er neben einer Heerschaar von Gegnern mit den gleich ihm gehemmten, schwankenden, von Sonderinteressen bestimmten Bundesgenossen zu rechnen hatte! Die Basis der Politik Philipps des Großmüthigen war immer der Bund mit Kursachsen gewesen. Diese Verbindung unter Anschluß Kurbrandenburgs, so daß die alte Erbverbrüderung der drei Häuser auf dem Grunde des Protestantismus ruhte, war die Tradition, von der M. so wenig wie sein Vater weichen wollte, in der er sich mit den hessischen Gesammtinteressen einig wußte und an welche ihn, wo er einmal ins Schwanken gerieth, die eigenen Stände mit stets gleichem Nachdruck zu erinnern pflegten. Nun war aber Kursachsen nicht mehr der Staat Luthers und Johann Friedrichs, sondern, vor Allem seit der Katastrophe der kryptocalvinistischen Politik im J. 1592, dem Anfangsjahre von Moritz’ Regierung, der im engsten kirchlich-politischen Particularismus befangene Staat Kurfürst Augusts und seiner im Trunk verkommenden Nachfolger. So hatte M. in allen Lebenslagen die Aufgabe, welcher auch der Ahnherr immer nachgestrebt hatte, seine vorwärts drängende Politik mit der zaghaften oder gar reactionären Kursachsens in Einklang zu erhalten. Hierin [274] zeigte er sich in den ersten Jahren, wo er dem Landgrafen Ludwig von Marburg, Philipps letztem Sohn, eng verbunden war, am conservativsten. Der Oheim, ein bequemer, friedfertiger Herr von lutherischen Neigungen, suchte Hessen von den weitaussehenden Tendenzen der Pfälzer Politik zurückzuhalten; über die Verweigerung der Türkenhülfe ging sein antikaiserlicher Eifer nicht; wenn er sich doch dem Unionsgedanken anschloß, so war er nicht zu bewegen, eine andere Form als die der strengsten Defensive für die geplante Vereinigung zu wählen. Und da hierin die hessen-darmstädtischen Stände, welche die Politik ihres Territoriums bei der Unmündigkeit ihres Landgrafen Ludwig lenkten, ebenso dachten, so hätte dem feurigen Landgrafen von Kassel auch der bereiteste Eifer wenig nützen können.
Einen Wendepunkt brachte jedoch der Einbruch der spanischen Armada in das Reich, welchen der Admirante von Aragon Franz Mendoza auf Befehl des Brüsseler Hofes unternahm, um die Generalstaaten vom Niederrhein her anzugreifen oder wenigstens seine unbesoldeten Truppen durch die Einlagerung in den neutralen Gebieten des Reichs zu entschädigen. So griff ohne jede Erklärung des Krieges der große Kampf der westlichen Großmächte auf den deutschen Boden hinüber. Es erhob sich also die Frage, ob der Reichsgedanke stark genug sein würde, die widereinander strebenden religiösen Parteien Deutschlands gegen die Usurpatoren des Reichsgebietes zu vereinigen – sowie sich die Vorfahren einst vor Neuß gegen Karl von Burgund verbündet hatten –, oder ob die große Weltfeindschaft auch die deutschen Parteien in ihre Wirbel reißen sollte. Die grauenhaften Excesse der spanischen Soldatesca, welche völlig zügellos, raubend und mordend über die Landschaften des Niederrheins von der Ruhr bis zur Yssel herfielen und dann zum Winter im Stift Münster einlagerten, führten wirklich zu gemeinsamen Berathungen der betheiligten Kreise. Aber da nun einmal der Erfolg der patriotischen Politik eine Schädigung der allgemeinen katholischen Interessen bedeutete, so war es erklärlich. daß die altgläubigen Stände die Bemühungen der protestantischen paralysirten, zumal die correspondirenden Stände von der protestantischen Partei unter Vorantritt von Kurpfalz die Gelegenheit zu benutzen gedachten, um ihre Unionsprojecte endlich durchzusetzen. Die hessischen Regierungen hatten selbst Angst vor den spanischen Gästen; sie aber aus den Nachbarstaaten hinauszutreiben, lag wenigstens nicht in den Neigungen der Marburger und Darmstädter, die immer noch weiter vom Schuß als die Kasseler waren. Andere Unionisten dachten über den Fall anders, jeder aber nach Maßgabe seines Interesses, und so kam es auch bei ihnen anfangs zu keinem Beschluß. Indem sich nun die Spanier zwischen Rhein und Ems immer weiter ausdehnten, raffte sich endlich Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Calenberg zur selbständigen That empor. Ihm, der eine stattliche Werbung auf eigene Hand unternahm, folgte sofort M., der damit in jugendlichem Eifer den Einfluß des alternden Oheims abschüttelte. Leider aber waren diese beiden geistvollsten und thatkräftigsten Fürsten der evangelischen Partei durch ihre nachbarlichen Irrungen (damals über Plesse und Radolfshausen) gegeneinander im Harnisch; und da sie von dem wetteifernden Ehrgeiz nach dem Oberbefehl gequält wurden, endeten die langwierigen Berathungen aufs neue resultatlos. Dennoch ist M. damals ins Feld gezogen. Vom Oheim gewarnt, von den Correspondirenden, selbst von Kurpfalz allein gelassen, führte er seine Truppen dem westfälischen Kreise zu, den die furchtbare Plage endlich in die Waffen brachte. Im Juni brach die Executionsarmee unter dem Grafen Simon von Lippe auf. Bevor sie jedoch den Schauplatz ihrer Thätigkeit erreicht hatte, war Mendoza mit den Seinen schon zum Reich hinausgezogen, nachdem er eine Reihe fester Plätze mit seinen Garnisonen besetzt hatte. Indem nun die Deutschen deren Belagerung unternahmen, [275] ward M. Zeuge des kläglichen Schauspiels, welches die Führung damaliger Soldheere im Namen des Deutschen Reiches darbot. Anfangs irrte die Armee, der das Belagerungsgeschütz fehlte, ziellos zwischen den Festungen umher. Als sie sich endlich vor Rees lagerte, kam unter die unbezahlten, hungernden Truppen alsbald der Geist der Plünderung und des Aufruhrs, der sich in Excessen entlud, wie sie wilder auch die Spanier nicht begangen hatten. So genügte ein kräftiger Ausfall der Belagerten, um die Deutschen in einen fluchtähnlichen Rückzug zu treiben.
Dieser schmähliche Lohn kostbarer Anstrengungen hat auf Moritz’ Leben einen bestimmenden Einfluß geübt. Vor Allem, indem dadurch, wie er selbst bezeugt hat, in ihm die merkwürdigen militärischen Reformideen erweckt wurden, um deren Verwirklichung er sich Jahrzehnte hindurch bemüht hat. Diese Bestrebungen, welche nach Moritz’ Sinn nichts weniger als die völlige Beseitigung des vaterlandslosen Söldnerthums und Schaffung einer nationalen Armee bezweckten, sind, wie man weiß, in der Epoche vor dem 30jährigen Kriege von mehreren deutschen Fürsten, z. B. Johann von Nassau-Siegen und Maximilian von Baiern, gehegt worden. Das Verdienst jedoch, den Gedanken theoretisch wie praktisch zuerst durchgeführt zu haben, gebührt, soviel wir urtheilen können, dem erfinderischen Genie des Landgrafen. M. nahm seinen Ausgang von der alten verfallenen Landwehrordnung, die er eben reformiren wollte. Ferner schwebten ihm verwandte Einrichtungen und Versuche in benachbarten Staaten, wie Holland, vor; mehr noch historische Vorgänge aus der jüdischen und der griechisch-römischen, ja selbst der neuesten Geschichte; und vor Allem seine großen Lehrmeister, die antiken Autoren, mit denen er wieder neuere Kriegstheoretiker, Macchiavell, Schwendi, de la Noue u. A. verband. Seine Absicht war, die Schulung der geworbenen Truppen mit den sittlichen Kräften, welche aus der Vertheidigung des vaterländischen Bodens entspringen, zu verschmelzen. Denn nur zum Schutz seines Staates wollte er das Schwert ziehen, die geliebte Friedensarbeit durch die Sammlung und Organisirung der kriegerischen Kraft des Landes sichern. Nur die Form des Krieges hatte er im Sinn, welchen Martin Luther als den allein von Gott erlaubten aus seinem Staatsbegriffe herleitete, den Gedanken, dürfen wir sagen, der in der Kriegsverfassung unseres heutigen Staates vollendet ist. M. hoffte seine Armeeorganisation auf Gesammt-Hessen auszudehnen und auf das einträchtige Wirken der Gewalten, weiche das hessische Territorium bildeten, zu gründen. Statt der Tyrannei, Uneinigkeit und Indolenz mit ihren staatszerrüttenden Folgen, welche die bisherige Kriegführung für Regierung und Bevölkerung bringe, werde der Einklang der Besten und Ehrliebendsten, Freundschaft und Treue zwischen Herrn und Unterthanen erzielt, ehrgeizige Bestrebungen und die Einmischung der Fremden verhindert werden; denn Keiner binde gern mit einem Ochsen an, so lange derselbe noch seine Hörner habe. Herkunft und Amt stellen den Fürst an die Spitze; er müsse allezeit das Beste thun; doch sollen ihm die Stände, Prälaten, Adel, Städte und die Landschaft rathend und thatend, dienend, controllirend, verwaltend zur Seite stehen. Unmittelbar auf die bürgerlichen Institutionen des Landes wollte der Landgraf die Kriegsverfassung stellen; so daß die Obersten aus den vornehmsten Beamten, die Capitäne aus den Amtleuten gewählt würden, die Lieutenants, welche allein fixen Kriegssold zu erhalten brauchten, zugleich Landsknechts- und Burggrafenstellen bekleideten. Ueberhaupt wollte er die Offiziere aus dem Adel und den Wohlhabenden nehmen, die Mannschaft meist aus der Bürgerschaft, ohne doch die Bauern auszuschließen. Durch die Benutzung der Freistunden an den Sonntagen meinte er jede Collision der Waffenübungen mit den bürgerlichen wie religiösen Diensten und Pflichten vermeiden zu können; die Ausbildung des Körpers, im Turnen wie in der [276] Führung der Waffen, müsse in den Schulen und Schützenvereinen des Landes von früh auf geübt werden. Für ganz Hessen plante er ein Corps von 10000 Mann, das er in acht Regimenter und 72 Compagnien eintheilte, so daß in jedem Regiment die drei Waffengattungen, Infanterie, Reiterei und Artillerie vertreten seien; er säumte nicht, für seinen niederhessischen Landestheil wenigstens die Infanterie, den „fußgehenden Ausschuß“, vier Regimenter, die er nach den Flüssen Diemel, Werra, Fulda und Schwalm nannte, aufzustellen. Ganz richtig und durch die Erfahrungen des großen Krieges nur zu sehr bestätigt war die Annahme, daß diese nationale Kriegführung dem Staate weit billiger kommen würde als die mit Söldnern; M. hoffte sogar mit 21–22 000 Gulden die Truppenaufstellung bewirken zu können: das Utile, sagt er, spreche ebenso wie das Honestum für seinen Plan. Vor Allem hatte er jedoch die sittliche Kräftigung vor Augen, die dem Lande daraus erwachsen werde: mit der Zeit werde ein ganz anderes Volk entstehen, ganz gesinnt in der Vorfahren Fußstapfen zu treten und die alte deutsche Mannheit nicht versinken zu lassen; die bisherige Armuth werde sich in eine honesta potestas verwandeln. Die Größe und Einheit der Conception offenbart sich vorzüglich in der Vielseitigkeit und Schärfe der Durchführung. M. läßt keinen Zweig des militärischen Wissens und Handelns unberührt. Marsch- und Schlachtordnung, Gefecht, Waffen, Bekleidung, Munition, Verpflegung und Lagerwesen, Kriegsrecht, Strafen und Belohnungen, alles zieht er in seinen Gesichtskreis; überall zeigt er Kunde und – was bei einem Doctrinär, der, selbst ohne rechte Kriegserfahrung, in dem, was er gesehen, nur abschreckende Beispiele erlebt hatte und aus der Doctrin heraus ganz neue Wege bahnte, doppelt auffallen muß – praktische Einsicht. Seine tactischen Vorschläge vermeiden alles Ueberflüssige, Verwickelte und Schwerfällige und fordern Straffheit, Einheit und Beweglichkeit. Was er z. B. über die Combinirung der Waffen sagt, über die Maskirung der Batterien durch vorgezogene Cavallerie, die Unterstützung des Infanteriegefechtes durch die anderen Waffen, über den Kampf des Fußvolkes selbst, z. B. das Verhältniß der Pikeniere zu den Musketieren, die Stellung der Offiziere und der Fahne, der Piken und der kurzen Gewehre, oder über die Cavallerie, bei der er für die Lanze eintritt und auf den Angriff mit der blanken Waffe und thunliche Vermeidung des Feuergewehrs dringt, das alles athmet den Geist kriegerischer Energie und Planmäßigkeit. Es entspricht dem Grundgedanken seines Systems, wenn er ganz besondere Aufmerksamkeit der militärischen Friedensarbeit, dem ordo progymnasticus, wie er sich ausdrückt, zuwendet. Auch hier verbreitet er sich über alle Zweige des großen und kleinen Dienstes, in allen Waffen und nach den vielfachsten Combinationen bis in das Detail der Marschübungen, Wendungens und Griffe, immer auf den letzten Zweck, die Kriegstüchtigkeit gerichtet. Fassen wir unser Urtheil über diese Entwürfe zusammen, so werden wir nicht zuviel sagen, wenn wir M. um ihretwillen den größten Kriegstheoretikern aller Zeiten beizählen. Ueber dem Ganzen schwebt die Furcht vor der spanischen Gefahr, deren Nähe und Unabwendbarkeit durch die Brutalitäten der Mendoza’schen Söldner und ihre klägliche Abwehr so schrecklich offenbart worden war.
Trotzdem versagte sich M. in den nächsten Jahren den Unionsbestrebungen fast ganz. Mit Braunschweig zerfallen, an seine hessischen Mitfürsten und Stände wie an die kursächsische Politik gebunden, von der Union für die Ausgaben des Reeser Zuges im Stich gelassen, hatte er Gründe genug gegen eine Betheiligung an den fruchtlosen Verhandlungen. Dazu kam, daß nicht nur die Gefahren, welche für die protestantischen Territorien damals aus den Klosterprocessen drohten, sein Land ziemlich unberührt ließen, sondern daß seine Interessen in Folge des Zwistes mit Braunschweig der kurpfälzischen Agitation wider die [277] Reichsgerichte geradezu entgegenstanden. Als dann das Straßburger Stift 1602 nahe daran war, an die Lothringer und Oesterreicher zu fallen und die Wahl des Statthalters der spanischen Niederlande, Erzherzog Albert, zum romischen König zu drohen schien, erhob sich M. zu größerer Energie. Im Herbst 1602 besuchte er in plötzlichem und persönlichem Entschluß Heinrich IV. von Frankreich und kam mit ihm alsbald in der Wahlfrage, für die sie an Maximilian von Baiern dachten, wie in der Straßburger Angelegenheit, die Heinrich mit Geld fördern wollte, zu festen Abmachungen. Aber schon in Heidelberg, wohin M. von Paris eilte, trat der Widerspruch der französischen Politik zu der deutsch-protestantischen, welchen persönliche Sympathien nicht ausgleichen konnten, hervor, und nun fiel M. bald wieder in seine zaghafte und zuwartende Haltung zurück. Jahre lang ruhten darauf die Unionsverhandlungen. Als sie wieder aufgenommen wurden, hatten sich die allgemeine Lage und Moritz’ persönliche Verhältnisse durchaus verändert. 1604 war Landgraf Ludwig der Aeltere gestorben. Der kinderlose Fürst hatte seinen Bruder Georg von Darmstadt und M. zu gleichen Theilen als Erben eingesetzt, mit der Bestimmung, daß im Falle einer von ihnen stürbe, seine Manneserben in seine Rechte eintreten sollten; die Einzelvertheilung hatte er den Erben überlassen, aber das Testament nach dem Tode Georgs bestätigt. Jetzt bestritten die drei Söhne des Letzteren unter Berufung auf die älteren Erbbestimmungen, welche auch der Erblasser selbst für sich angezogen hatte, die Gültigkeit des Testaments: nicht nach den Linien der Söhne Philipps des Großmüthigen, welche dieser in sein Erbe eingesetzt habe, sondern nach den Köpfen sämmtlicher augenblicklich lebender Glieder seines Mannesstammes müsse der Nachlaß seines letzten Sohnes getheilt weiden: sie forderten also drei Viertel des Marburger Landes und fügten sich nur unter Protest dem Schiedsgericht, welches den Besitzstand vorläufig nach dem letzten Willen Ludwigs regelte. Dieser Erbfolgestreit, der für die ganze hessische Geschichte verhängnißvoll geworden ist, hätte auf Moritz’ evangelische Politik hemmend einwirken können, wenn er nämlich den Darmstädtern, die alsbald die Entscheidung des Kaisers anriefen, hier den Rang abgewinnen wollte. Aber bei der allgemeinen Constellation durfte er so wie so nicht darauf rechnen, die streng lutherisch und kaiserlich gesinnten Verwandten in Wien auszustechen, und dann mußte gerade dieser Zwist, je fester die Darmstädter der kaiserlichen Autorität anhingen und je bessere Aussicht sie hier für ihre Ansprüche gewannen, den Landgrafen um so mehr auf diejenige Seite treiben, nach der er in Politik und Religion von jeher neigte.
Unter diesem Gesichtspunkt haben wir daher vor Allem die religiöse Umformung zu verstehen, die er in dem ihm zugefallenen Theil der oberhessischen Herrschaft, besonders an Stadt und Universität Marburg vollzog. M. wollte mit dieser Neuerung nicht etwa geradeswegs die lutherische Kirche in die reformirte verkehren, sondern ging vielmehr von dem Gedanken der Union beider aus, gemäß der Gesammtrichtung seiner Politik und im Hinblick auf die gemeinsame Gefahr, die ihnen von den katholischen Mächten drohte; wie er es einmal in dem Verse ausdrückt:
Estote uniti, moneo, Calvine, Luthere,
Ne praesul ligno vos ambos urat eodem.
Vor der nüchternen Einseitigkeit des Puritanerthums bewahrte ihn schon seine künstlerische Richtung, der er auch im Gottesdienst Ausdruck zu geben strebte. Forderten seine Reformvorschläge auch die Ausmerzung der wirklich noch arg papistischen Gebräuche in der oberhessischen Kirche, eine straffere Verfassung und selbst einige dogmatische Aenderungen, so wollten sie doch den Boden der Augsburgischen Confession behaupten. Sie trugen immer noch das Gepräge, welches Bucer der hessischen Kirche aufgedrückt hatte. Aber die allgemeinen Gegensätze [278] waren nun einmal andere geworden; die reformirte Richtung haftete nicht mehr an einigen Schweizer Gemeinden, sondern war zu einer Weltmacht emporgewachsen, welche die lutherischen Kirchen weit überflügelte. Und die Attraction hierhin mußte für M. um so stärker werden, je schroffer und je politischer gefärbt der Widerstand war, den er fand. Nirgends war derselbe heftiger als in Marburg, wo sich Professoren und Prediger, Beamte und Zünfte gegen die Neuerung verbanden. Vergebens trat M. selbst vor Universität und Bürgerschaft für seine Absichten ein; in der Kirche kam es zu wildem Tumult, den der Landgraf durch bewaffnetes Aufgebot stillen mußte. Auch auf dem Lande und in den kleinen Städten fand er Widerstreben, besonders in Schmalkalden und beim Adel an der Werra, dem seine Patronatsrechte durch die centralisirende Kirchenpolitik bedroht schienen. So erlebte der Fürst statt der Union die unseligste Spaltung. Die Darmstädter eröffneten in der Gießener Universität den ausgewiesenen Professoren einen neuen Hort der reinen Lehre; alle Liberalität Moritz’ vermochte nicht die alte Blüthe der Marburger Hochschule herzustellen. Er selbst ging gegen die wachsende Opposition hitziger, ja gewaltthätig vor: wer von den Geistlichen seine Verbesserungspunkte nicht unterschrieb, mußte auswandern; die Reform wurde auf Niederhessen ausgedehnt; ein geistliches Consistorium, Anfangs in Marburg, seit dessen Occupation durch die Darmstädter in Kassel, vollendete die Organisation. Unter mannigfacher Schonung lutherischer Meinungen wurde das Band mit der reformirten Kirche doch enger geknüpft, so daß die hessischen Delegirten auf der Dordrechter Synode 1619 sogar die fünf Sätze, wenn auch nicht das Dekret gegen Arminius, den alten Zögling der Marburger Hochschule, unterschrieben.
Auf die Stellung Moritz’ zur Union wirkten auch diese Reformen weniger ein als man glauben sollte. Der oberste Gesichtspunkt blieb ihm allezeit die Rücksicht auf Sachsen, das er vergebens von dem reactionären Wege abzulenken suchte. Weder der Einbruch Spinola’s 1605 noch die gleichzeitige weitgreifende Agitation Christians von Anhalt brachten ihn davon ab. Unterdeß reiften die Dinge mit dem Emporkommen Ferdinands, Maximilians und des durch Klesl geleiteten Matthias immer mehr der Krisis entgegen, welche in der Execution gegen Donauwörth zum Ausbruch kam. Dann folgte die Sprengung des Regensburger Reichstages 1608 durch die Protestanten und die Gründung der Union. Wie hierbei sogar der lutherische Friedrich von Württemberg sich betheiligte, so fehlte natürlich auch M. nicht; eine hervorragende Stellung nahm er aber nicht ein, blieb vielmehr als Mitglied der Union seiner Aufgabe treu, vermittelnd aufzutreten, alle protestantischen Interessen zu gemeinsamer Action zu verschmelzen. Dies war für ihn auch in dem Jülicher Erbstreit die leitende Rücksicht. Er wollte ihn benutzen, um einen Damm gegen die habsburgischen Ansprüche aufzuwerfen, mithin die protestantischen Prätendenten auszugleichen. So brachte er zunächst den Dortmunder Vergleich zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg zu Stande (1. Mai 1609). Danach versuchte er auch die sächsischen Höfe mit jenen Beiden in Einklang zu bringen, wodurch er ja das Rückgrat seiner Politik, die Erbeinigung mit Sachsen und Brandenburg aufrecht erhalten konnte. An Johann Casimir von Coburg hatte er einen Helfer im sächsischen Lager selbst; beide Fürsten kamen deshalb in Ichtershausen zusammen. Aber die Dresdener ließen sich von dem Wiener Hof nicht losreißen. Und als nun dieser mit Gewalt vorging, so war auch eine persönliche Unterredung Moritz’ mit Kurfürst Christian II. (zu Annaberg, Ende September 1609) vergeblich. Die große Combination, welche sich an das Eintreten Heinrichs IV. von Frankreich in diese Bewegung knüpfte, zerging mit dessen Ermordung. Die Kraft der Unirten erschöpfte sich in der Vertreibung der kaiserlichen Truppen aus Jülich und in der wüsten Straßburger Stiftsfehde. Auch im kaiserlichen Lager aber herrschte damals wilde [279] Verwirrung, und als Matthias der Nachfolger des verfeindeten Bruders geworden war, sah er sich unter dem Druck der äußeren und inneren Lage genöthigt, die schroff katholische Politik der früheren Jahre zu verleugnen und seine Stellung auf die „Composition“, den Ausgleich der religiösen Parteien im Reich zu gründen. Damit beschritt die kaiserliche Politik, die auch jetzt von Bischof Klesl inspirirt war, einen Weg, der den Wünschen Moritz’ halb entgegenkam. Doch auch in dieser Form hielt sie sich mehr auf der Linie der lutherischen Stände, wie Kursachsen und Hessen-Darmstadt, die somit in ihren Ansprüchen auf Jülich und Marburg gefördert und von M. weiter abgezogen wurden. Und dann zeigte es sich doch, daß diese reservirte und hinterhaltige Ausgleichspolitik die Schroffheit der Gegensätze nicht überwinden konnte. Gleich der erste Reichstag des Kaisers, zu Regensburg 1613, endigte so resultatlos wie der von 1608. Die streng katholische Partei, um die Erzherzöge Ferdinand und Maximilian und um Max I. von Baiern geschaart, gestützt auf Rom und Spanien, erfüllte sich mit bitterstem Haß gegen Klesl, bahnte Ferdinand den Weg zur böhmischen und ungarischen Krone, verfeindete die Regierung mit den evangelischen wie den reactionären Kreisen ihrer Länder, stürzte, als sie so die böhmische Rebellion emporgerufen hatte, den Cardinal selbst und erstrebte nach Matthias’ Tode mit der Candidatur seines Erben Ferdinand zum Kaiser die Summe der Gewalt im Reiche.
So stellte sich die ungeheure Gefahr, vor der M. seit 20 Jahren gezittert hatte, ihm und seiner Partei unmittelbar vor Augen. An dem Bewußtsein von ihrer Nähe und Größe und an persönlichem Eifer, ihr zu begegnen, fehlte es ihm jetzt so wenig wie vordem. Waren ihr doch gerade seine zerstückelten und umstrittenen Gebiete am Rhein und an der westfälischen Grenze so ausgesetzt wie kaum andere. Aber freilich die Lauen im Lande konnten eben die Gefahr als den triftigsten Grund zur Erhaltung des Friedens anführen, und ebenso schwierig machte sich jedesmal die von oberdeutschen Interessen beherrschte Union, so oft der Landgraf ihre Hülfe für seine ihnen entlegenen Besitzungen anrief. So ergab sich für M. aus dem Widereinanderstreben dieser Wünsche und Verlegenheiten immer wieder der Gedanke, mit Zurückdrängung aller Sonderungen den gesammten protestantischen Namen zu verbünden. Dem entsprach es, wenn er als der erste unter den deutschen Fürsten mit dem jungen Gustav Adolf anknüpfte (1612), wenn er die Freundschaft mit Moritz von Oranien, den Staaten und der Hansa pflegte, und wenn er Frankreich in der Richtung gegen Spanien zu erhalten suchte, nicht weniger aber auch sein vorsichtiges Eingehen auf die Wege der Union, welche ihm zur Spaltung der allgemein-evangelischen Interessen zu führen drohten. Unermüdlich spann er an seinen Vermittelungsplänen weiter. So gelang es ihm doch 1615 den alten Streit zwischen Stadt und Herzogthum Braunschweig zu schlichten, indem er selbst mit Herzog Friedrich Ulrich unter Beilegung der alten Grenzzwiste in gute Nachbarschaft trat. Und wie er nun in allen diesen Verhandlungen stets den eigenen Ehrgeiz unterdrückt hatte, so hoffte er die große Krisis in Böhmen und im Reich benutzen zu können, um aus einem evangelischen Generalconvent die protestantischen Stände sämmtlich gegen die habsburgische Reaction zu verpflichten. Es war, wie wir sehen, wieder der Grundgedanke seiner Politik, Kursachsen und Pfalz aneinander zu ketten: beiden als den Trägern des Reichsvicariats hatte er die Vertretung des Planes zugedacht. Die Wahl Ferdinands war die Antwort auf diese in der Theorie unanfechtbaren, in der rauhen Wirklichkeit phantastischen Gedanken. Dennoch dürfen wir den Landgrafen um ihretwillen noch nicht einen unfruchtbaren Doctrinär schelten. Die Möglichkeiten, mit denen er rechnen mußte, ließen ihm, wenn er nun einmal evangelische Politik treiben wollte, kaum einen anderen Ausweg. Wir werden seiner Haltung [280] niemals gerecht werden, wenn wir nicht fortwährend den Blick auf den Widerstand richten, der ihm auf Schritt und Tritt, vor Allem von inneren Widersachern begegnete.
Seit 1609 hatte er auf einer Reihe von Landtagen versucht, die Stände für seine Pläne, besonders seine militärischen Reformen zu gewinnen. Aber seinen Klagen über die spanische und papistische Gefahr setzten dieselben nur die Mahnung entgegen, „sich in keine auswärtige, weitläufige, gefährliche, die übermächtige Partei des Kaisers und das erbverbrüderte Kurhaus von Sachsen beleidigende Händel zu verwickeln.“ Von der Landesbewaffnung wollte die Ritterschaft, die auf den Landtagen maßgebend war, nichts wissen; der „fußgehende Ausschuß“, für den M. seine persönlichen Mittel erschöpfte, verfiel; der Einrichtung des reitenden Corps widersetzten sich die Edelleute, welche an dem herkömmlichen Soldreiten ein persönliches Interesse hatten, aus allen Kräften. Wenn die Stände einmal Geld bewilligten, behielten sie sich doch immer die Verwendung vor und benutzten, wie die verwandten Corporationen in England, jede Concession an die fürstliche Gewalt, um die eigene zu stärken. Gerade die ungewöhnlich große Bewilligung, welche sie 1619 unter dem Druck der furchtbaren Gefahr machten, von 300 000 Gulden, beschränkten sie durch die schroffsten Proteste gegen die Militärreorganisation und jede über die strengste Defensive hinausgreifende Politik. Und so mußten Fürst und Stände um so weiter aus einander getrieben werden, je stärker die eherne Gewalt des Krieges auf das Land eindrang. Als der Landgraf 1620 neue Subsidien und Rüstungen forderte, erhielt er nichts als den schuldigen Rest des Beitrages vom vergangenen Jahr mit der trostlosen Erklärung, die Gefahr sei zu groß, um ihr mit innerlicher Macht hinreichend begegnen zu können. Das war das Jahr, in dem die Unionsarmee, bei der M. durch seinen jetzt ältesten Sohn Wilhelm vertreten war, mit Max von Baiern den Vertrag von Ulm schloß, der diesem den Rücken zum böhmischen Feldzuge sicherte, das Jahr, in dem die Schlacht am Weißen Berge das böhmische Königthum Friedrichs V. zerschmetterte. Am Rhein bedrängte Spinola Rheinfels und St. Goar und überfiel Eppstein; auf Mainz gestützt, mit Landgraf Ludwig im Einverständniß, schob er die kraftlosen Unionstruppen vor sich her und beherrschte bald alles Land bis Worms und Frankfurt. Für die hessischen Stände aber war jeder Fortschritt des Feindes ein Grund mehr zum Stillsitzen und zum Anschluß an die kursächsisch-darmstädtische Politik. Sie benutzten die Verhandlungen, welche Spinola seit Januar 1621 mit landgräflichen Gesandten zu Bingen über die Freilassung des Rheinpasses führte, um, wenn nicht im Einverständniß, so doch in Uebereinstimmung mit dem spanischen General, den Landgrafen von der Union vollends abzudrängen. Vergebens sträubte sich M., der in dieser Zeit in tiefster Heimlichkeit nach Wolfenbüttel reiste und den geächteten Pfalzgrafen auf seiner Flucht zu besuchen wagte, gegen solche Zumuthungen. Seine Räthe, selbst seine Gemahlin und sein Sohn ließen ihn im Stich. Gegen seinen Befehl schlossen die Gesandten, welche zu Bingen verhandelten, einen Vertrag, der für den Abfall von der Union lose und zweideutige Zusicherungen des Schutzes gewährte (5. April 1621); wenige Tage, bevor die Union in dem Mainzer Accord die Waffen niederlegte. Es war ein Schlag in die Luft, wenn M. auch dann noch dem Vorgehen seiner Bevollmächtigten die Bestätigung versagte. Gerade der Scheinfriede aber zog das Kriegsgewölk von allen Seiten um das hessische Land zusammen. Von Niederdeutschland her durchzog Bischof Christian von Braunschweig, der sich jetzt in die Waffen geworfen hatte, von M. begünstigt, Hessen, lagerte in den Mainzer Dörfern um Amöneburg und begegnete im Buseckerthal dem ligistischen Oberst Anholt, der vom Odenwald her durch die Wetterau heranzog; bei Kirchdorf [281] kam es zu den ersten Scharmützeln. Kurz vorher waren die Spanier am Rhein, welche jetzt Cordova kommandirte, mit den Hessen in Rheinfels an einandergerathen. Christian ging darauf zum Winterlager nach Westfalen und Paderborn zurück; sein Marsch dahin führte durch Hessen. Dafür forderte Anholt im Namen von Kaiser und Reich Durchzug und Abwehr der Rebellen, und zog im Februar 1622 aus dem Ebsdorfer Grund hart an der Westgrenze Niederhessens her dem Braunschweiger nach. Damals war M. entschlossener als je, offen für die evangelischen Freunde einzutreten. Alle seine festen Städte und Häuser und die Grenzen hielt er verwahrt, Waldeck und die Mainzer Aemter besetzt; mit seinen durch den Landesausschuß auf 20 000 Mann gebrachten Truppen hätte er die Macht des Braunschweigers verdoppelt, welche zusammen mit den Heerhaufen Mansfelds und des Markgrafen von Baden schon dem spanisch-ligistischen Heer weit überlegen war. Aber bei jedem Schritt fühlte er sich an Händen und Füßen in den Schlingen, welche die Stände um ihn warfen. Und als dann die Schlagfertigkeit Tilly’s und die Ungeschicklichkeit seiner uneinigen Feinde demselben die großen Siege von Wimpfen und Höchst ermöglichte, so fielen alle vergeblichen Anläufe Moritz’ mit doppelter Schwere auf ihn zurück. Im December legte sich Tilly, nachdem er die Pfalz unterworfen, zum Winterlager in die Wetterau. Vom Rhein her zog Cordova, nachdem er sich Mansfeld und Christian bei Fleurus vergebens entgegengeworfen hatte, nach Westfalen, in dessen Plätzen noch ligistische Besatzungen lagen. Weiter abwärts kam Christian wieder über den Rhein ins Reich, ertrotzte sich den Eintritt in den niedersächsischen Kreis und stellte sich an der Weser auf. So war Hessen wieder von drei Seiten umklammert. Von Christian umworben, von Tilly bedroht, ermahnte M. von neuem die Stände zum Widerstande gegen die spanisch-ligistische Macht: „Sei getrost, mein Bruder“, rief er ihnen mit den Worten Joabs zu, „laß uns stark sein für unser Volk und für die Stätte Gottes, der Herr aber thut, was ihm gefällt.“ Sie wußten ihm nichts Besseres zu rathen als stricte Neutralität, die aber dem General der Liga schon nicht mehr genügte. In Regensburg wurde damals der marburgische Erbstreit zu Gunsten Darmstadts entschieden. Während M. hülfesuchend bei den norddeutschen Höfen umherreiste, ließen die Stände Tilly ins Land. Im Mai besetzte derselbe Hersfeld; im Juni nahm er Eschwege und die anderen Plätze an der Werra und Fulda, von wo er gegen die Stellung Christians im Leinethal vorging. Die Ausschreitungen der ligistischen Soldatesca hatten dem Lande die Folgen der Neutralität fühlbar gemacht, und so fanden die neuen Anmahnungen Moritz’ nach seiner Heimkehr wenigstens bei den Städten besseren Boden; aber die Ritterschaft, jetzt mit dem kaiserlichen Hof unmittelbar in Verbindung, war nicht fortzubringen und die Niederlage Christians bei Stadtlohn (6. August 1623) vernichtete jede Möglichkeit des Widerstandes.
Die dritte Einlagerung Tilly’s, welche vom Herbst 1623 bis zum Sommer 1625 währte, zerstörte vollends die Autorität des Fürsten. Verzweiflungsvoll wandte er seinem Lande den Rücken; er lebte in dieser Zeit meist bei den norddeutschen Verwandten oder auf seiner Herrschaft Plesse. Waldeck ging indessen verloren: um und in Marburg hausten die fremden Völker; Tilly, der in Hersfeld residirte und unverhohlen die Restauration des Stifts vorbereitete, schaltete mit den Edelleuten, die ihre Güter durch kaiserliche Schutzbriefe von der Einquartierung befreiten, über die Geschicke des Landes; er durfte es wagen, sie zu einem Landtage in sein Hauptquartier zu rufen; Abdankung der Soldtruppen, und womöglich Einräumung der Festungen waren seine Hauptforderungen, daneben Contributionen in unerhörten Mengen. Von Wien her unterstützten den General gnädigste Erklärungen an die gutgesinnte Ritterschaft und drohende Mandate [282] gegen den Fürsten. Mühselig hielt sich Landgraf Wilhelm als Generalstatthalter zwischen dem passiven Widerstande des Vaters, der verrätherischen Feigheit des Adels und dem brutalen Uebermuthe der Sieger aufrecht. Der Anmarsch Christian’s IV. von Dänemark im Sommer 1625 zog Tilly hinweg und ließ das Land aufathmen. Bürgerschaften und Beamte, empört über den fürchterlichen Lohn der Friedfertigkeit, rafften sich zu energischen Erklärungen für ihren Fürsten auf, trotzdem jetzt die Wallenstein’schen Regimenter die Werra abwärts zogen und dann Merode mit seinen zuchtlosen Rotten sich ins Land legte. M. organisirte die aufgelöste Landmiliz von neuem; er wollte den Aufstand der zur Wuth gebrachten Bauern entfesseln. Wirklich gelang es, eine Anzahl Plätze von den kaiserlichen Garnisonen zu befreien, andere aber, wie Allendorf und Melsungen, erlagen der Uebermacht der Feinde, die mit Mord und Brand Vergeltung übten. Trotzdem schöpfte M. 1626 im Vertrauen auf König Christian neuen Muth. Seit zwei Jahren stand ihm als vornehmster Rath Dr. Wolfgang Günther zur Seite, einst Syndikus in Paderborn, ein Todfeind der jesuitischen Politik von den dortigen Kämpfen her, in die er tief verwickelt war und deren Historiker er geworden ist, ein unerschütterlicher, leidenschaftlicher Vertheidiger der fürstlichen Autorität gegen die vaterlandslose Ritterschaft, der Vertreter des entschlossensten Widerstandes. Von ihm berathen, knüpfte M. aufs neue mit den großen Mächten, Frankreich, England, den Generalstaaten und Dänemark an. Aber statt des Dänenkönigs kam der bairische General. Die greuelvolle Erstürmung Mündens, sein Vormarsch gegen Cassel, seine Drohbotschaften und neuen Conspirationen mit dem Adel genügten, um den Landgrafen wieder völlig bloszustellen. Diesmal forderte Tilly nichts geringeres als Einräumung der Hauptstadt, Auslieferung der trotzigen Räthe, vor allen Günthers, ja die Abdankung des Fürsten selbst. Die Annäherung Christian’s brachte eine kurze Pause in die widerwärtige Unterhandlung: seine Niederlage lieferte M. endlich seinen Gegnern völlig aus. Und jetzt brach Alles um ihn zusammen. Die Darmstädter waren mit ihrem Marburger Raube noch nicht zufrieden; sie forderten unerschwingliche Zahlungen für 18jährige Einkünfte und die Executionzkosten; und occupirten wirklich eine Anzahl der besten Aemter Namens des kaiserlichen Rechtes und mit Hilfe der katholischen Waffen wie der lutherischen Vasallen. Diese, mit Tilly, der in Hessen wieder überwinterte, immer im Bunde, tasteten Dr. Günther, der ihnen einen nur allzuwahren Vorwurf des Landgrafen über ihre Verbindung mit dem ligistischen Heerführer ins Gesicht wiederholt hatte, um dieses Wortes willen mit blutdürstiger Anklage an. In den fürstlichen Rath selbst drang der Zwiespalt. Dazu nun die traurigsten Erlebnisse im eigenen Hause. Seine beiden ältesten Söhne hatte M. verloren; den Erbprinzen Otto schon vor Jahren auf eine überaus klägliche Weise: in dem Delirium eines Fiebers hatte sich der junge Fürst eine Kugel durch die Brust gejagt. Juliane’s ältester Sohn Philipp, der in den Niederlanden unter den beiden Oraniern seine Sporen verdient hatte, war als Oberster dreier Reiterregimenter an König Christian’s Seite in die Schlacht bei Lutter am Barenberge geritten: aus vier Wunden blutend, mußte er sich zwei feindlichen Reitern ergeben; indem die Beiden sich über den kostbaren Fang stritten, kam ein Dritter hinzu und durchschoß den Fürsten. Wilhelm, der seit Otto’s Tode der älteste war, glaubte sich sein Erbe durch Nachgiebigkeit gegen die Stände besser zu sichern, und haderte, wie seine Stiefmutter Juliane, die auf ihre rechten Kinder eifersüchtig bedacht war, mit dem Vater. Schließlich erschien es M. als die letzte Zuflucht seiner selbst und das Beste des Landes, wirklich der Regierung zu entsagen (17. März 1627). Doch erkaufte er sich auch damit keine Ruhe. Die Zusagen, die ihm Wilhelm zum Schutz Dr. Günther’s gegeben hatte, halfen diesem nichts gegen den Haß [283] der Edelleute. Sie zwangen den Wehrlosen vor ihr Gericht. Am 12. Decbr. 1628 büßte der tapfere Mann, ein hessischer Strafford, nachdem er, wie dieser, seinen Richtern mit stolzem Trotz gegenüber getreten, für seine Vertheidigung der monarchischen Gewalt auf dem Schaffot. Mit Gemahlin und Sohn blieb Landgraf Moritz noch längere Zeit in Unfrieden; die Ausscheidung der Rotenburger Quart war endlich das Ergebniß der streiterfüllten Verhandlungen. Das sind die Jahre, in denen M. in alchymistischen und metaphysischen Difteleien und in der weltabgewandten Poesie Dante’s Befriedigung suchte. Seine einst hohe und breite Gestalt war durch die Gicht gebrochen, das kastanienbraune Haar grau geworden; sein von jeher heißes Blut wallte oft in jäher Heftigkeit auf; bitterer Unmuth erfüllte ihn in seiner armen und einsamen Hofhaltung, wenn er die Fülle von Unglück und Undank übersah, welche er für ein Leben voll uneigenütziger Arbeit geerntet hatte. „Mauriti memento mori“, in diesem Wort faßte er damals seine Stimmung zusammen. Seine Wünsche und Gedanken eilten dem Grabe zu. Aber immer waren sie voll Geist und Ernst, und in der Tiefe der Seele blieb ihm das starke Gottvertrauen lebendig. Da war es die letzte große Freude des Fürsten, als er dem großen König, den er vor langen Jahren herbeigerufen hatte und der ihn nun an dem gehaßten Bedränger seines Landes rächte, seinen Sohn zum Gruß und Kampf ins Lager senden konnte, und eine letzte Gnadenfügung des Geschickes, daß er selbst noch zu der Zeit, da Gustav Adolf im Glanz der Siege stand, sein vielbewegtes Leben schloß.
- Chr. v. Rommel, Geschichte von Hessen, VI. und VII. Bd. F. W. Strieder, Grundlage zu einer hess. Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte, IX. Bd. Ritter, Geschichte der Deutschen Union. Ders., Sachsen und der Jülicher Erbfolgestreit[WS 2] (Abh. der k. b. Ak. d. W. 1873). Monumentum sepulchrale ad Ill. Cels. Pr. D. Mauritii II. L. … erectum. Cassellis 1638, (2 Bde. fol.). Weitere Quellen und Litteratur s. bei Rommel und Strieder. – Breites unerforschtes Material im Marburger Staatsarchiv.