ADB:Wilhelm V. (Landgraf von Hessen-Kassel)
Moritz aus seiner Ehe mit Agnes, Gräfin v. Solms-Münzenberg geboren; seine Mutter starb im November desselben Jahres und L. Moritz führte bereits am 22. Mai 1603 Juliane, Gräfin von Nassau heim, die ihrem Gatten in 29jähriger Ehe noch 14 Kinder gebar. Als Sohn des L. Moritz, wol des gelehrtesten Fürsten seiner Zeit, erhielt W. natürlich die ausgezeichnetste Erziehung: er wurde mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Moritz (geboren 1600, † 1612) dem Hofmeister Georg Schwerzel v. Willingshausen übergeben, während der Unterricht, den der Vater selbst leitete, von dem Züricher Joh. Georg Grob ertheilt wurde. Mit den classischen und modernen Sprachen und allen schönen Künsten wurden sie vertraut gemacht, die Hauptsache und Grundlage blieb aber die Ausbildung des religiösen Lebens, wie es die Zeit verlangte. Die Knaben wurden streng in den Lehren Calvin’s erzogen. Von den schönen Künsten übte vor allem die Musik auf W. einen großen Einfluß aus.
Wilhelm V., Landgraf von Hessen, wurde am 14. Februar 1602 als dritter Sohn des L.Im Jahre 1610 wurde W. (1609 sein Bruder Moritz) zum Rector der Marburger Universität erwählt: ein Beweis des engen Verhältnisses des Fürstenhauses mit der Akademie und ein Zeichen der Dankbarkeit letzterer gegen ihren Förderer und Schützer. Nach dem Tode seines Bruders Moritz († 1612) besuchte er die Universitäten von Straßburg, Basel (1615) und Genf, und nach seiner Rückkehr die Ritterschule in Kassel.
Moritz war aber auch bemüht, seine Söhne so früh wie möglich mit den Regierungsgeschäften vertraut zu machen. Seinem ältesten Sohne Otto (geb. 1594, 1604 Coadjutor und 1606 Administrator von Hersfeld) übertrug er mit 16 Jahren bereits die Statthalterschaft im Oberfürstenthum und gab ihm treffliche Räthe zur Seite; befahl ihm aber an, in den zwei ersten Jahren nur nach ihrem Urtheile zu verfahren. Als auch L. Otto plötzlich kinderlos starb (7. August 1617) eröffnete sich unerwartet für W. das Recht der Erbfolge. 1612 zum Coadjutor und 1617 zum Administrator des Stiftes Hersfeld gewählt, hatte er nach der Rückkehr von seinen Reisen hier zuerst Gelegenheit, im Verkehr mit den ihm beigegebenen Räthen sich mit Regierungsgeschäften zu [40] befassen. Am 21. November 1619 vermählte er sich mit Amalie Elisabeth, der Tochter des Grafen Philipp Ludwig’s II. von Hanau und der Katharina Belgica (einer Tochter des großen Oraniers Wilhelm’s I.), die glücklichste Wahl, die sein Vater für ihn treffen konnte. Der große Krieg, dessen Stürme bald auch das Hessenland umtoben und durchtoben sollten, führten den jugendlichen Prinzen mitten in das Getriebe der öffentlichen Angelegenheiten hinein. 1620 finden wir ihn an der Spitze des hessischen Landsturmes, und im October wurde er zu den oberrheinischen Kreisständen wegen der Aufstellung eines Kreisheeres geschickt. Viel wichtiger aber waren die Verhandlungen mit den eigenen Landständen, die er von nun an fast regelmäßig im Namen seines Vaters führte, und aus denen er böse Erfahrungen, aber auch heilsame Lehren für die Zukunft schöpfen sollte.
L. Moritz war als Mitglied der protestantischen Union zur Vertheidigung seines Landes entschlossen, fand aber hierzu die Zustimmung seiner Stände nicht; diese – besonders die Ritterschaft – verlangten vielmehr die Annäherung an den Kaiser. Als Spinola zu Lingen (1621) den Rücktritt Hessens von der Union verlangte, unterstützten die Landstände diese Forderung und versuchten durch Verweigerung der militärischen Hülfsmittel ihren Willen durchzusetzen. W. erhielt die undankbare Aufgabe, von nun an diese aussichtslosen Verhandlungen zu führen, die ihm um so schwerer fallen mußten, da auch er die Ansicht der Stände theilweise billigen mußte: denn von den evangelischen Ständen war keine Hülfe zu erwarten, und ein Widerstand gegen den durch die Siege Tilly’s immer mächtiger gewordenen Kaiser schien vergeblich, zumal derselbe durch die Klagen Darmstadts gegen Kassel wegen der Marburger Erbschaft den erwünschten Vorwand erhielt, gegen das durch seinen Uebertritt zum Calvinismus verhaßte Hessen-Kassel einzuschreiten.
In dieser Erbschaftsfrage, um die bereits fast seit 20 Jahren gestritten wurde, erfolgte am 1. April 1623 ein Reichshofrathsurtheil, das ganz zu Gunsten des zum Kaiser haltenden L. Ludwig von Darmstadt ausfiel. Es wurde dem L. Moritz nicht nur sein Theil der Erbschaft abgesprochen, sondern ihm sogar die Rückzahlung aller Einkünfte auferlegt: W. bemühte sich persönlich bei Kursachsen, um wenigstens einer übereilten Execution vorzubeugen: das von Tilly erzwungene Einlager in Hersfeld zeigte, wessen man sich zu versehen hatte (Mai).
Als im Herbste (1623) eine neue Einlagerung Tilly’s drohte und der Landtag statt der verlangten Abwehrmaßregeln die Abdankung der hessischen Truppen forderte, verließ L. Moritz sein Land, um im Norden persönlich an den Höfen nach Hülfe gegen die Ligisten auszuschauen, und bestellte seinen 21jährigen Sohn zum Statthalter. W. versuchte durch persönliche Rücksprache mit Tilly in Hersfeld Aufschub der Execution zu erlangen, doch dieser hatte bereits ein anderes Mittel gefunden, den Landgrafen in Schach zu halten: er hatte mit der mißvergnügten Ritterschaft Verhandlungen angeknüpft und sie veranlaßt, dem Kaiser ihre Devotion zu bezeugen. So vermochte W. den Gang der Dinge nicht aufzuhalten, und selbst L. Moritz mußte im Februar 1624 das Urtheil des Reichshofraths anerkennen; die Ausführung aber übertrug er der L. Juliane und W. Im Februar 1625 kam es sogar so weit, daß Tilly die hessischen Stände nach Hersfeld berief und von ihnen die Landesfesten und freien Durchzug forderte, und daß die Stände die Annahme dieser Forderung verlangten. Doch dessen weigerte sich W., und auch L. Moritz verwarf den Abschied nach seiner Rückkehr (10. Juni 1625). Zur Execution kam es aber diesmal noch nicht: mit dem Anzuge des Dänenkönigs, auf den L. Moritz alle seine Hoffnungen setzte und dessen Erhebung er mit allen [41] Mitteln unterstützt hatte, mußte auch Tilly glimpflicher mit Hessen verfahren; nach der Niederlage Christian’s aber bei Lutter am Barenberge (August 1626) war auch die Stellung des L. Moritz unhaltbar geworden, und W. fiel die verzweifelte Aufgabe zu, sein Land vor der Auflösung zu bewahren; erschwert wurde sie ihm dadurch, daß sich mit dieser Frage die unerquicklichsten Auseinandersetzungen in der Familie verbanden.
Die L. Juliane hatte es sehr bald verstanden, sich großen Einfluß auf ihren Gatten zu verschaffen, den sie aber mehr zu ihrem persönlichen Vortheile, als zum allgemeinen Wohle des Landes ausnutzte. Zu ihrem Wittthum hatte sie sich – meist bei Kindtaufen – eine große Anzahl von Gütern und Renten schenken lassen und strebte danach, ihren Söhnen vor denen der ersten Ehe die Thronfolge zu verschaffen, so daß sich bereits L. Otto über sie beklagen mußte. Da sie dies nicht erreichen konnte, verlangte sie wenigstens eine Theilung des Fürstenthums und Selbständigkeit ihrer Söhne. Während das Testament des L. Moritz von 1620 seinem ältesten Sohne das Fürstenthum mit allen Hoheitsrechten noch ungetheilt zusprach und die Söhne zweiter Ehe mit den Einkünften bestimmter Aemter abfand, ebneten die allmählich immer schärfer werdenden Differenzen zwischen dem Vater und W. auf politischem Gebiete den Einflüsterungen der L. Juliane mehr und mehr den Boden. Während L. Moritz an dem Gedanken der Union festhielt, rieth W. immer dringender zu einer Annäherung an den siegreichen Kaiser und zur Nachgiebigkeit gegen Darmstadt, da von protestantischen Ständen und vom Ausland keine Hülfe mehr zu erwarten war. Die persönliche Zusammenkunft Wilhelm’s mit Tilly empfand der L. Moritz als eine Demüthigung, ebenso wollte er nichts von Verhandlungen mit Darmstadt wissen. Gegen die Ansprüche seiner Stiefmutter verfocht W. mit aller Energie die Untheilbarkeit der hessischen Länder und das Recht der Primogenitur: die L. Juliane dagegen forderte Theilung oder Regierungsgemeinschaft. Obwohl L. Moritz mit seiner Gemahlin selbst in Fragen der äußeren Politik (die Landgräfin stimmte hier mit ihrem Stiefsohne überein) wie in Familienangelegenheiten in Zwist gerieth, gab er doch schließlich in den Verhandlungen zwischen ihr und W. (December 1626 bis Januar 1627) den Ausschlag zu ihren Gunsten. W. mußte wider seinen Willen in den Familienvertrag vom 12. Februar 1627 willigen, der die hessische sogenannte Quart gründete (s. u.).
In diese unerquicklichen Familienverhandlungen verflochten sich die anderen über die von Tilly geforderte Abdankung des L. Moritz. Bereits 1621 hatte der L. Moritz selbst den Gedanken der Abdankung erwogen, als er sich von seinen Landständen in so schnöder Weise verlassen fand. Seitdem hatte das landesverrätherische Treiben seiner Ritterschaft und das schroffe Auftreten Tilly’s seine Mißstimmung nur vermehrt, und schließlich gab das völlige Scheitern seiner Politik, welche sein Land dem Feinde schutzlos preisgab, den Ausschlag. Als im Frühjahr 1626 L. Moritz offen die Partei des Dänenkönigs ergriff, Gesandte nach London und Paris schickte und den Haager Congreß besuchen ließ, berief Tilly im Juli die hessischen Landstände nach Gudensburg und verlangte hier offen die Abdankung des Landgrafen. L. Moritz wie W. lehnten diese Forderung ab. Als aber L. Georg von Darmstadt nach seines Vaters Tode († am 26. Juli 1626) die Execution wegen der rückständigen Einkünfte von neuem energisch forderte und selbst die Niedergrafschaft Katzenelnbogen (Rheinfels) und die Herrschaft Schmalkalden besetzte, ja die Grafschaft und Festung Ziegenhain als Pfand begehrte, und als die Ritterschaft erklärte, sich nicht länger der von Darmstadt geforderten Huldigung entziehen zu können, machte der Sieg Tilly’s über König Christian von Dänemark allem Zweifel ein Ende. Jetzt wurden [42] die Verhandlungen, die für L. Moritz von seinem Rathe Wolfg. Günther geführt wurden, ernstlich in die Hand genommen. Günther, der der Ritterschaft ein Dorn im Auge war, weil er gegen sie die Rechte seines Herrn ohne Schonung ihrer Prätensionen vertheidigte, trat auch den Forderungen der L. Juliane energisch gegenüber. W. versuchte zwar durch persönliche Intervention an den Höfen von Koburg, Weimar, Eisenach, Dresden und Berlin (Nov. 1626), die er in Begleitung seiner Gemahlin besuchte, Abhülfe zu schaffen; als aber Tilly abermals die Winterquartiere in Hessen bezog – und zwar so, daß dem Landgrafen in der That nur noch die zwei Festungen Kassel und Ziegenhain blieben – zerrannen alle Hoffnungen. Der Abschluß der Verhandlungen wurde nur durch die Weigerung Wilhelm’s aufgehalten, dem erwähnten Familienvertrage zuzustimmen. Nachdem endlich W. den Widerspruch gegen die Landestheilung fallen gelassen hatte, übergab L. Moritz seinem Sohne am 17. März 1627 im Schlosse zu Kassel die Regierung. Was war aber von dem einst so mächtigen Staate Philipp’s übrig geblieben und wie jammervoll war das Erbe, das der 25jährige Fürst antrat.
Abgesehen davon, daß das Land fast gänzlich in den Händen Tilly’s war, stand der Darmstadter Vetter als drohendster Gläubiger vor den Thoren: 1625 hatte er die rückständigen Einkünfte auf 17 Millionen Gulden berechnet, eine Summe, die sogar der kaiserliche Reichshofrath auf 11/3 Million ermäßigte; dafür verlangte aber L. Ludwig den Pfandbesitz von 25 Aemtern, so daß L. Moritz fast nur auf den nördlichsten Theil des Niederfürstenthums beschränkt worden wäre. Wie rücksichtslos der Darmstädter die Zwistigkeiten in der Familie und die politische und militärische Ohnmacht seines Vetters ausnutzte, ist schon bemerkt.
Dieses Gegners sich zunächst zu entledigen, war des jungen Landgrafen erstes Bemühen, ungeachtet aller Proteste seines Vaters. Die Landstände (Ritterschaft) – denen er trotz seines Versprechens sogar den Rath seines Vaters, Günther, preisgab – verlangten die Fortführung dieser Verhandlungen, und ebenso die erdrückende Schuldenlast und die Unmöglichkeit, mit den geringen Landeseinnahmen etwas erhebliches ausrichten zu können (im Januar 1628 berechnet W. die Gesammteinnahmen auf 200 000 fl., von denen ihm nach Abzug der Schuldenzinsen (100 000), Quart (50 000) und der Deputate für L. Moritz und seine Geschwister (32 000) nur noch 18 000 fl. blieben!). Am 24. September 1627 kam der Hauptaccord mit Darmstadt zu Stande, in dem u. a. W. auf Oberhessen und die ganze Grafschaft Katzenelnbogen für immer verzichtete und die Herrschaft Schmalkalden gegen 100 000 fl. verpfändete; L. Georg dagegen die sequestrirten Aemter wieder einräumte. Die L. Juliane – welche noch einmal die Intervention der Kurfürsten auf dem Tage zu Mühlhausen (5. October) angerufen hatte, aber ohne Erfolg – ratificirte diesen Vertrag ebenso wie ihr ältester Sohn Hermann; einen Eid lehnten sie aber ab. Auch der hessische Landtag genehmigte ihn und ebenso der Kaiser; nur L. Moritz, der von diesen Verhandlungen von Anfang an nichts hatte wissen wollen, protestirte wiederholt feierlich dagegen. Zunächst hatte W. sich dadurch, wenn schon mit sehr großen und schmerzlichen Opfern, Ruhe vor diesem Gegner verschafft; schlimmer war es aber noch im Innern bestellt.
Der Familienvertrag vom 12. Februar 1627 ließ zwar die Landeshoheit sammt allen Lasten und Schulden des ganzen Landes – auch der sog. Quart – bei W. und seinen Nachkommen, bestimmte aber, daß den Söhnen der L. Juliane der vierte Theil des bisherigen Länderbesitzes (mit den Civilgerichten, Collaturen, Jagd und Zoll u. s. w.) überlassen werden solle; auch wurde ihnen die Erbhuldigung der Unterthanen und das Erbrecht untereinander zugestanden. L. Moritz [43] hatte sogleich nach seiner Abdication seinen jüngeren Söhnen diese „Quart“ eingeräumt, nachdem er am 1. März seiner Gemahlin nochmals eine Generalbestätigung aller bisherigen Donationen ausgestellt hatte. Ueber die einzelnen Rechte der Quart kam es nun zu den ärgerlichsten Auseinandersetzungen, da die L. Juliane ihren Vortheil ohne Rücksicht auf die bedrängte Lage ihres Stiefsohnes und des Landes wahrnahm. Während sich die Gesammteinnahmen des von Darmstadt noch nicht besetzten Landes damals auf noch nicht 60 000 fl. beliefen – von denen W. ein Viertel seinen Geschwistern und 32 000 fl. als Deputat an seinen Vater etc. abgeben mußte –, und das Land von der ungeheuren Schuldenlast erdrückt wurde, befand sich L. Juliane in den besten pecuniären Verhältnissen; sie gehörte zu den Gläubigern ihres eigenen Mannes und der Landstände, ja sie erbot sich sogar Ende 1627, den Pfandschilling für die Herrschaft Schmalkalden zu erlegen (100 000 fl.), wenn diese Herrschaft erblich der Quart zufallen würde. Als W. ihr das Deputat nicht zu zahlen vermochte, beschwerte sie sich beim Kaiser darüber (1. Februar 1628) – der natürlich mit Freuden die Gelegenheit ergriff, dem Gegner Schwierigkeiten zu bereiten. Ebenso rücksichtslos trat sie auch ihrem Gemahle gegenüber auf: sie verweigerte ihm einen Antheil an der Güterverwaltung der Quart, die sie doch nur seiner Nachgiebigkeit verdankte, und erkannte die obervormundschaftliche Gewalt desselben nicht an; sie betrieb beim Kaiser die Ernennung ihres Sohnes L. Hermann zum Verwalter der Quart (3. Juni 1628), um jede Einmischung des L. Moritz auszuschließen.
Auch W. war nicht im Stande, Zwistigkeiten mit seinem Vater zu vermeiden: in der Abdankungsurkunde hatte sich L. Moritz „freie, als Familienoberhaupt ihm zustehende väterliche Disposition“ vorbehalten; natürlich eine unerschöpfliche Quelle für Mißverständnisse. Den ersten Conflict brachten die Verhandlungen mit Darmstadt, deren Ratification L. Moritz ja auch consequent verweigerte. Bittere Klagen führte er ferner darüber, daß ihm sein Sohn die ausbedungenen 20 000 fl. jährlichen Unterhaltes vorenthielt: W. war in Wirklichkeit nicht im Stande, diese Summe zu erlegen. Es ist charakteristisch, daß er auch die Ansprüche auf diese Schuld, die bei seinem Tode auf 43 000 fl. angewachsen war, den Kindern zweiter Ehe vermachte. Auch das Oberaufsichtsrecht, das sein Vater über die Quart beanspruchte, konnte W. nicht anerkennen; deshalb unterstützte er die von der L. Juliane beim Kaiser betriebene Ernennung seines Stiefbruders L. Hermann zum Verwalter der Quart, dem er bereits am 12. Februar 1627 das Stift Hersfeld abgetreten hatte.
Um diesen unaufhörlichen Streitigkeiten ein Ende zu machen entschloß sich W. zu einer Reise an den kaiserlichen Hof (April 1628) und bemühte sich zugleich, eine Erleichterung der kaiserlichen und ligistischen Einquartierung zu erwirken: letztere wurde ihm zwar gewährt und am 8. Juni erhielt er auch die Bestätigung der Primogenitur sammt der Einsetzung einer kaiserlichen Commission zur Beilegung der Streitigkeiten mit den jüngeren Geschwistern; aber gleichzeitig erhielt er auch in Prag (Mai) die Nachricht, daß Kurmainz seine Abwesenheit benutzt habe, um das Stift Hersfeld im Auftrage des Kaisers für dessen 15jährigen Sohn Leop. Wilhelm einzuziehen. Das war der Dank für die seinen Feinden erwiesene Nachgiebigkeit. Auch in den Familienstreitigkeiten fand er den Kaiser auf der Seite seiner Gegner, so daß er sich am 1. September 1628 zu dem neuen Familienvertrage entschließen mußte, der die Quart definitiv begründete. Die Bedingungen waren fast die nämlichen, wie im ersten Vertrag, nur wurden diesmal die Gebietstheile endgültig bestimmt; die Streitigkeiten setzten sich infolge dessen unaufhörlich weiter fort, bis endlich 1654 Ernst für die Anerkennung [44] der Primogenitur der älteren Linie der Quart fast alle Hoheitsrechte erwarb. Es war ein böses Geschenk, das L. Moritz seinem Lande gemacht hatte!
Das Jahr 1629 brachte das Restitutionsedict, unter dessen Vorwand man das Stift Hersfeld ganz von Hessen trennte und dem Abte von Fulda zur vorläuflgen Verwaltung übergab. W. wußte sich kaum zu helfen, die Schuldenlast wurde immer unerträglicher, und seine Feindschaft gegen die Katholiken erhielt durch den Uebermuth, mit der dieselben das Restitutionsedict in den überwundenen evangelischen Ländern ausführten, immer neue Nahrung. Auch er erwog ernstlich den Gedanken, abzudanken. Bald kam aber die Zeit, wo er diese erdrückenden Fesseln von sich werfen konnte.
Im September 1629 war W. wieder einmal im Haag: ob er hier bereits mit dem schwedischen Obersten Falkenberg zusammentraf, der im Auftrage Gustav Adolf’s über einen Offensivbund mit den Niederlanden verhandelte, wissen wir nicht, jedenfalls sandte die L. Juliane am 3. November ihren Rath Dr. Herm. Wolf nach dem Haag, um die Schweden wie die Holländer um Abstellung ihrer Beschwerden zu bitten und sich zu eventueller Hülfeleistung zu erbieten. Wieweit W. darum gewußt, ist nicht ersichtlich, aber es ist doch anzunehmen, daß es im Einverständniß mit ihm geschehen ist. Uebrigens war diese Sendung Wolf’s noch ohne Erfolg, da Falkenberg sein Ziel nicht erreicht hat: aber er empfahl dem hessischen Gesandten dringend, den Anschluß an seinen König durch eine Gesandtschaft zu suchen. W. konnte zunächst noch nicht daran denken; erst als Gustav Adolf im Juli 1630 in Deutschland gelandet war, sandten er und Juliane den Dr. Wolf wieder zu ihm und erbaten heimliche Unterstützung und Subsidien. Gustav Adolf lehnte das aber ab und forderte vor allem den Bruch mit dem Kaiser: ein Bündnißentwurf, den er vorschlug, stellte Hessen gänzlich unter sein Commando. Darauf ging W. seinerseits nicht ein, sondern beschloß auf Anrathen des Herzogs Wilhelm von Weimar, erst den von Kursachsen ausgeschriebenen Leipziger Convent abzuwarten. In der Stille aber bereitete er die militärische Erhebung vor. Auf diesem Convente trat W. sehr energisch für den Anschluß an Gustav Adolf ein und stimmte für den von Brandenburg vorgeschlagenen Bund der evangelischen Stände. Kursachsen lehnte aber solche „hitzige Consilia“ ab, da es keineswegs die Absicht hatte, die evangelischen Stände unter seiner Führung zu vereinigen, sondern des Convents nur als Demonstration gegen den Kaiser wegen des Restitutionsedictes bedurfte. Kursachsen wußte denn auch einen Abschied von Bedeutung zu verhindern, aber hindern konnte es nicht, daß der Abgesandte Gustav Adolf’s, Graf Philipp Reinhard v. Solms immer größeren Einfluß auf einzelne Fürsten, besonders auf Wilhelm von Weimar und W., erlangte. Am 22. April 1631 einigten sich beide Fürsten in Kassel über gewisse Bedingungen, unter denen sie sich mit dem Schweden in einen Bund einlassen wollten und welche das absolute Directorium Gustav Adolf’s sehr wesentlich einschränkten. Gustav Adolf war mit diesen Bedingungen zufrieden und beide Fürsten begannen ihre Rüstungen. Da erscholl unerwartet die Nachricht von dem Falle Magdeburgs (10./20. Mai) und dem bevorstehenden Zuge Tilly’s durch Thüringen nach Westen. Aber während Wilhelm von Weimar den Kopf verlor, das Bündniß mit Gustav Adolf abschrieb und sich Hals über Kopf Kursachsen in die Arme warf, war W. entschlossen, nicht mehr nachzugeben. Da aber soeben die oberrheinischen Kreisstände (Mai 1631) in Frankfurt seinen Vorschlag, Truppen zu werben und unter sein Commando zu stellen, abgelehnt hatten, mußte auch er zunächst den drohenden Forderungen Tilly’s, so gut er konnte, ausweichen, um Zeit zu gewinnen. Erst als Gustav Adolf siegreich über die Elbe vordrang, konnte er seine Fesseln abschütteln und die Feinde aus seinem Lande vertreiben; [45] und als er jetzt erst erfuhr, daß Wilhelm von Weimar dem Bunde mit Gustav Adolf entsagt habe, beeilte er sich um so mehr, das Bündniß abzuschließen: wie weit er sich dabei auf seine Landstände verlassen konnte, hatte er noch kurz vorher auf dem Landtage (Juni) erfahren, der bei der Annäherung Tilly’s auseinanderging; die Ritterschaft versammelte sich in Rotenburg und nahm, wie in früheren Jahren unter L. Moritz, von Tilly Schutzbriefe. W. reiste persönlich zu dem Schwedenkönige, versuchte noch einmal in Leipzig, den Kurfürst von Sachsen mit sich fortzureißen, und schloß am 12./22. August in Werben mit Gustav Adolf ein Schutz- und Trutzbündniß. Er öffnete dem Könige sein Land und seine Hülfsquellen und stellte seine Truppen (10 000 Mann, auf hessische Kosten) unter des Königs absolutes Kriegsdirectorium; doch ernannte der König den Landgrafen zu seinem Stellvertreter bei diesem hessischen Corps und gab ihm einen schwedischen Kriegsrath (Dr. Wolf, der in schwedische Dienste trat) zur Seite. Ein Friede sollte nicht eher geschlossen werden, ehe nicht Hessen-Kassel auf das Gebiet von 1618 zurück gebracht wäre. W. hatte sich damit die günstigste Stellung als freier Bundesgenosse des Königs erworben, der den Auftrag vom König erhielt, mit seinen eigenen Truppen das auszuführen, was an sich die natürliche Aufgabe für Hessen-Kassel war. Am 17. August ernannte Gustav Adolf W. zum schwedischen General und wies ihm seine Quartiere für seine Armee – die auf 15 000 Mann erhöht wurde – zwischen Rhein und Weser an (definitiv am 10. October bestimmt): Hessen (mit den von L. Georg occupirten Theilen und den mainzischen Enclaven), Waldeck, Hersfeld, Fulda, Wetterau, Paderborn, Corvey, Münster, Herzogthum Westfalen, Osnabrück und „soweit L. W. sich in Westfalen extendiren kann“. Das waren verlockende Aussichten: denn es war vorauszusehen, daß ihm schließlich ein Theil der westfälischen Quartiere verbleiben mußte. Doch weniger von diesem Gesichtspunkte aus war dieser Quartiervertrag von Bedeutung für W. – das waren doch noch ungewisse Aussichten, die von dem Glücke der Waffen und von der hohen Politik abhingen –, noch wichtiger waren diese Quartiere für ihn deshalb, weil sie ihn unabhängig von seinen Landständen machten und ihn überhaupt erst in Stand setzten, eine Armee zu unterhalten. Die Erfahrungen, die er als Prinz gemacht hatte, waren eindringlich genug gewesen: im November versammelte er noch einmal die Ritterschaft um sich und forderte Unterhalt für ein Regiment von ihr; sie erboten sich unter dem Drucke der Verhältnisse zur einmaligen Zahlung von 6000 Thlrn.! W. hat die Landstände bis zum Jahre 1634 nicht wieder berufen.
Noch immer spielte W. ein gewagtes Spiel, erst der Sieg des Schwedenkönigs bei Breitenfeld (10./20. September 1631) brachte den allgemeinen Umschwung. Im October mußte Hessen zwar nochmals den Rückzug Tilly’s erdulden, dann aber machte sich W. sogleich ans Werk, besetzte Paderborn, Münden, Höxter, Lippstadt etc. und nahm seine Winterquartiere im kölnischen Herzogthume Westfalen; mit einem Theile seiner Truppen eilte er nach dem Main, um Gustav Adolf Mainz erobern zu helfen. Am 28. Februar 1632 ertheilte ihm dann Gustav Adolf in aller Form als Belohnung einen Donationsbrief über Fulda, Paderborn und Corvey, und versprach ihm Münster, wenn er ihn der Verpflichtungen entbinden würde, ihm auch die von Darmstadt besetzten hessischen Landestheile zu restituiren: so schwer es ihm wurde, Gustav Adolf mußte mit dem L. Georg um seines Schwiegervaters (Kursachsen) willen glimpflich verfahren. Am 17. Mai 1633 bestätigte Oxenstierna diese Schenkung, doch trat an Stelle von Münster das kölnische Herzogthum Westfalen. So schien W. alles das erreicht zu haben, was seit langem das Ziel der hessischen Politik gewesen war.
[46] Für W. begann jetzt die glücklichste Zeit seines Lebens; mit Eifer konnte er sich der ihm gestellten dankbaren Aufgabe widmen und sah auch sein Bemühen trotz aller Anfeindungen und aller Eifersüchteleien von Erfolg gekrönt, einzelne kleine Mißgeschicke änderten im wesentlichen nichts daran. Solange Gustav Adolf lebte, konnte er freilich auf dem westfälischen Kriegsschauplatze noch keine dauernden Erfolge erzielen, da er seine selbständigen Operationen fortwährend unterbrechen mußte, um seine Truppen dem Könige für die Durchführung des allgemeinen großen Zieles zur Verfügung zu stellen. Auch sah er sich in Pappenheim einem Gegner gegenübergestellt – er brachte den Hessen im Juni bei Volkmarsen eine tüchtige Schlappe bei –, dem er allein nicht gewachsen war; erst nach dessen Abzuge in die Niederlande wurde Westfalen vom Feinde gesäubert.
Im Juli rief ihn Gustav Adolf mit seinen Truppen nach Nürnberg, wo die Hessen den Hauptsturm auf Wallenstein’s festes Lager (Burgstall) auszuführen hatten; dann reiste W. wieder heim und unterstützte Baudissin gegen das Erzstift Köln, während ein Theil der hessischen Truppen bei Gustav Adolf blieb und an der Schlacht bei Lützen theilnahm: am 13./23. November erhielt W. in Hersfeld die erschütternde Kunde von dem Tode des Königs. Sogleich (14./24. November) sandte er den schwedischen Gesandten Dr. Wolf an Axel Oxenstierna nach Würzburg mit der Versicherung, daß er dem Bunde mit Schweden treu bleiben werde. Oxenstierna nahm das sehr dankbar auf, um so mehr, als es für den Augenblick zu verhindern galt, daß die schwankenden evangelischen Stände sich an Kursachsen anschlössen. Er selbst eilte nach Dresden, um den Rivalitäten des Kurfürsten gegen das schwedische Directorium von vornherein die Spitze abzubrechen: leider ohne Erfolg, so daß er sich entschließen mußte, ohne Kursachsen, nöthigenfalls auch im Gegensatze zu ihm das Werk seines verstorbenen Königs zu vollenden. Ihm war freilich der undankbarere Theil davon zugefallen: hatte man den nordischen König als Befreier und Retter von der drohenden katholischen Reaction mit Jubel empfangen und war man ihm persönlich zu Danke verpflichtet, so sollte sein Kanzler jetzt die Belohnung für sein Vaterland fordern und schließlich um sie allein noch kämpfen müssen. Zunächst führte er nach einem Kriegsrath in Altenburg die schon von Gustav Adolf beschlossene Zertheilung des großen Kriegstheaters durch, wobei W. dieselbe Aufgabe wie zuvor zufiel: Westfalen zu erobern und sich so weit wie möglich gegen den Rhein auszudehnen; dabei sollte er möglichst enge Fühlung mit dem niedersächsischen Heere unter Knyphausen und dem Herzoge Georg von Lüneburg behalten, beide Theile sollten eventuell gemeinschaftlich operiren. Dann eilte Oxenstierna nach Oberdeutschland, um auf dem ebenfalls bereits von Gustav Adolf angeordneten Convente zu (Ulm) Heilbronn auch die politische Führung zunächst der vier oberdeutschen Reichskreise sich übertragen zu lassen.
W. war jetzt ungebundener und selbständiger als vorher – aber auch mehr als bisher durch die Eifersüchteleien seines Nachbarn, des Herzogs Georg, gelähmt, dem die umfangreichen hessischen Quartiere zwischen Rhein und Weser ein Dorn im Auge waren, und der auch mehr die Privatinteressen seines Hauses im Auge hatte, als die allgemeinen: ihm kam es vor allem darauf an, die noch von den Kaiserlichen besetzten Festungen (Wolfenbüttel, Hildesheim, Minden, Hameln etc.) zu nehmen, um sich in den Besitz der reichen Bisthümer Hildesheim und Minden setzen zu können; während W. bemüht war, die Unterstützung des niedersächsischen Heeres für die Eroberungen in Westfalen zu erhalten. Wenn dadurch auch die Sonderinteressen des Landgrafen gefördert wurden, so hatte er doch den Vortheil, dabei zugleich die allgemeinen Interessen zu vertreten, denen [47] mehr an dem Zurückdrängen des allgemeinen Gegners nach dem Westen gelegen war, als an der Eroberung der einzelnen noch besetzten festen Punkte, welche sich in ihrer Isolirtheit dann von selbst ergeben mußten. Und daß W. seine Sonderinteressen zurückstehen ließ, wenn es nöthig war, bewies er bald.
Zunächst aber ging W., der damals eben Peter Holzapfel gen. Melander (s. d.) als Generallieutenant in seine Dienste genommen hatte, frisch ans Werk, besetzte in raschem Zuge über Dortmund, Dorsten bis an die holländische Grenze die wichtigen Plätze Coesfeld, Borken und Dorsten und schlug die feindlichen Werbungen in Münster nieder: dann aber verzichtete er auf weitere Eroberungen, vor allem auf die für ihn höchst bedeutungsvolle von Münster, da er für sie die nothwendige Unterstützung der niedersächsischen Generäle nicht erlangen konnte, und fügte sich vielmehr ihrem Wunsche, ihnen bei der Belagerung von Hameln beizustehen.
Den Heilbronner Convent hatte er nicht beschickt, da sein Verhältniß zu Schweden durch den Vertrag mit Gustav Adolf in einer für ihn äußerst günstigen Weise geregelt war; erklärte sich aber sogleich bereit, die von dem Bunde geforderten Opfer zu bringen: er leistete an sich schon mehr. Größere Schwierigkeiten bereiteten die Quartierfragen, da Oxenstierna den dringenden Forderungen der Niedersachsen Rechnung tragen mußte: bei dem persönlichen Zusammentreffen Wilhelm’s mit Oxenstierna in Frankfurt kam es am 17. Mai zu einer Neuregelung dieser Frage, wonach W. alle Quartiere zwischen Ems und Weser den Niedersachsen überließ, für sich dagegen alle Gebiete westlich der Ems vorbehielt. Zugleich ließ er sich von Oxenstierna die Donation Gustav Adolf’s erneuern und übernahm dafür die Verpflichtung dahin zu wirken, daß Schweden für das ihm abzutretende deutsche Gebiet unter die Stände des Reichs aufgenommen werde.
Die Belagerung Hamelns legte zunächst alle übrigen Operationen in Westfalen und Niedersachsen für längere Zeit lahm; erst als die vereinigte hessische und niedersächsische Armee das feindliche Entsatzheer am 28. Juni 1633 bei hess. Oldendorf vollständig besiegt hatte, mußte sich die Stadt ergeben. Bei Gelegenheit eines glänzenden Tauffestes in Kassel (19. Juli), das Oxenstierna, Herzog Georg, Knyphausen u. a. persönlich besuchten, wurde der weitere Kriegsplan festgesetzt, und es gelang W., das weitere Vordringen nach Westen und den den Holländern versprochenen Hülfszug (unter Melander, August bis December) durchzusetzen. Knyphausen unternahm infolgedessen die Belagerung von Osnabrück, das am 2. September (die Petersburg am 25. Sept.) fiel, vereinigte sich dann mit W. und drängte Bönninghaus bis an den Rhein zurück (Oct.). Von einem Angriff auf die bergischen Lande stand W. vorläufig noch ab, zumal auch Knyphausen zurückgerufen wurde, um die Belagerung von Hildesheim von der Stelle zu bringen. Mit dem Ende dieser glücklichen Vereinigung hörten auch die Erfolge in Westfalen auf. W. allein war nicht imstande, in diesem Kleinkriege die Oberhand zu behalten, und alle seine Bemühungen, die Niedersachsen wieder zur Mitwirkung in Westfalen zu veranlassen, waren ohne Erfolg, besonders nachdem Knyphausen sein Generalat niedergelegt hatte. Dem Einfalle der Spanier unter Celeda (1634 Febr., März) wäre er gern durch einen Marsch gegen den Rhein zuvor gekommen, mußte aber aus demselben Grunde davon abstehen.
Die glücklichen Erfolge des letzten Jahres befestigten W. in der Ansicht, daß eine gemeinsame Operation mit den Niedersachsen zur dauernden Besetzung Westfalens wie Niedersachsens nöthig sei; sein Wunsch war deshalb, mit ihnen eine „nähere Conjunction“ zur gegenseitigen Unterstützung zu schließen und dafür, wenn möglich, auch den Anschluß der Generalstaaten zu gewinnen. [48] Oxenstierna stimmte mit W. auch hierin überein und unterstützte ihn, soweit es die Rücksicht auf Herzog Georg zuließ: nachdem er den niedersächsischen Kreis auf dem Halberstadter Tage (Febr. 1634) im Princip für den Anschluß an den Heilbronner Bund gewonnen hatte und Herzog Georg zum General des Kreises ernannt worden war, gab er ihm den Auftrag, mit den Hessen gemeinsam in Westfalen zu operiren. Trotzdem W. es vermied, sich persönlich zum Heere zu begeben, um des Herzogs Empfindlichkeit zu schonen, konnte dieser doch nur durch wiederholte scharfe Befehle Oxenstierna’s bewogen werden, nach Westfalen zu marschiren. Seine Truppen aber hausten hier so barbarisch, daß man selbst den schwedischen Kanzler ersuchen mußte, Einhalt zu thun. Da aber immerhin die Säuberung Westfalens wieder erreicht worden war und die Generalstaaten einen Succurs von 4500 M. schickten, konnte W. endlich daran denken, das Werk mit der Eroberung Münsters zu krönen, ohne dessen Besitz alle Eroberungen in Westfalen fortdauernd unsicher bleiben mußten. Die unerwartete Weigerung Georg’s und dessen Rückzug nach der Weser vereitelten alles: W. eilte rasch selbst zur Armee und sandte seinen Rath Vultejus zu Oxenstierna. Er war aufs höchste erzürnt auf die Niedersachsen und drohte die ihm von Kurköln angebotene Neutralität anzunehmen. Doch der Kanzler war gezwungen, gegen den Herzog Georg gerade jetzt Nachsicht zu üben, da er der Hülfe der Niedersachsen nach dem Falle Regensburgs (22. Juli) mehr denn je bedurfte. W. begab sich nach Wesel, um mit dem Prinzen von Oranien persönlich sich zu bereden, wie der von Pfalz-Neuburg drohenden Gefahr zu begegnen sei, als er von Oxenstierna die Nachricht von der alles vernichtenden Niederlage bei Nördlingen erhielt. Sogleich verzichtete er auf alle weiteren Pläne und sandte Melander nach Frankfurt, um mit Oxenstierna den weiteren Kriegsplan zu verabreden.
Die Niederlage von Nördlingen war aber leider nur eine Folge der heillosen Zustände, welche in Oberdeutschland und im Heilbronner Bunde herrschten, mit dem sich Oxenstierna vergeblich bemühte, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Der Bund krankte an innerer Schwäche infolge der Mangelhaftigkeit seiner Mittel und des Fehlens einer kraftvollen Leitung. Die Eifersucht der Stände untereinander legte die Kräfte des Bundes lahm und es fehlte an militärischen Erfolgen, die über diese Schwierigkeiten weggeholfen hätten; dazu war Oxenstierna nicht im Stande wie sein König, die divergirenden Elemente so zusammenzuhalten, wie es nöthig war, selbst die militärische Leitung entbehrte dieser Einheitlichkeit. Oxenstierna konnte deshalb auch nicht die auswärtigen Einflüsse – besonders französische – zurückweisen, wie er es wol gewollt hätte, da er auf ihre Unterstützung angewiesen war. W. war sehr leicht französischen Einflüssen zugänglich: einmal war die Verbindung seines Hauses mit Frankreich traditionell und hatte zwischen seinem Vater und Heinrich IV. einen hohen Grad von Intimität angenommen; dann wurde er in dieser Hinneigung noch durch seine Gemahlin bestärkt, deren Familie ebenfalls stets in Frankreich einen natürlichen Verbündeten gesehen hatte. So kam es, daß W. Anfang 1634 die Bestallung als französischer General mit einem Gehalte von 36 000 Pfund annahm – die schon sein Vater inne gehabt hatte – und auch sonst der Verbindung mit Frankreich das Wort redete: er und Oxenstierna mußten das also für vereinbar halten mit den Pflichten, die ihm seine frühere Bestallung als schwedischer General auferlegte. Es war das eben nur eine Form von Subsidienzahlungen. La Boderie wurde französischer Resident in Kassel.
Da die Kräfte der vier oberen Kreise allein nicht ausreichten, versuchte Oxenstierna auch die zwei sächsischen Kreise zum Eintritt in den Heilbronner Bund zu bewegen. Auf dem großen Convente zu Frankfurt 1634 sollte das [49] Werk vollbracht werden. W. bemühte sich nach Kräften, diesen Zusammenschluß der Stände zu fördern und besuchte den Convent mehrmals persönlich. Daneben her führte er hier die Verhandlungen mit den Niedersachsen über die event. militärische „engere Conjunction“, die aber schließlich an dem Widerstande Georg’s von Lüneburg scheiterte. Zugleich mußte er die ihm von Schweden zugestandenen Quartiere nach verschiedenen Seiten hin vertheidigen: gegen die Niedersachsen, gegen Kurbrandenburg, das gegen die Besetzung der märkischen Städte an der Lippe protestirte, gegen Frankreich, das die Neutralität von Kurköln verlangte, und selbst gegen die Generalstaaten, welche für die ihnen äußerst werthvolle Neutralität des pfalz-neuburgischen Nachbars (Jülich, Berg) eintraten.
W. befand sich damals auf dem Höhepunkte seines Lebens. Als Ziel seiner Wünsche schwebte ihm ein protestantisches Kaiserreich im Norden vor (der brandenburgische Kurprinz, vermählt mit Christine von Schweden, im Besitze von Böhmen), das im Bunde mit Hessen und den schwedischen Besitzungen (Mainz und Deutsch. Orden) alle auswärtigen Einmischungen zurückzuweisen im Stande war. (Mem. v. 13. April.)
Diese Pläne zerrannen freilich sehr rasch in der Wirklichkeit. Die große Conföderation der nord- und süddeutschen Kreise scheiterte an den Particularinteressen der einzelnen Stände und an den Einwirkungen Kursachsens, das alles aufbot, um eine Vereinigung aller evangelischen Stände unter der verhaßten schwedischen Führung zu verhindern, und die mörderische Niederlage von Nördlingen warf dann vollends mit einem Schlage den ganzen Heilbronner Bund und die schwedische Herrschaft über den Haufen. Die Convente zu Worms (1634 und 1635) offenbarten nur den vollen Zusammenbruch des Bundes, dessen Mitglieder sich entweder Kursachsen oder Frankreich in die Arme warfen, letzteres schien allein denen noch Hülfe gewähren zu können, die zum weiteren Widerstande entschlossen waren; auch W. stimmte für die Annahme der von Frankreich dictirten Bedingungen, mußte sich aber bald auf die Vertheidigung seiner Länder und Quartiere beschränken.
Die einzige schwedische Armee, welche noch intact war, war die Baner’s, der geschickt seinen Rückzug aus Böhmen nach Thüringen bewerkstelligt hatte. L. Wilhelm’s Absicht ging nun dahin, vereint mit diesen Truppen und denen Georg’s und Wilhelm’s von Weimar von neuem ein ansehnliches Corps zu formiren, das auch dem arg bedrängten Bernhard von Weimar im Elsaß Luft machen konnte. Im October berieth er sich hierüber mit Wilhelm von Weimar, aber auch hier hinderte das gegenseitige Mißtrauen alles: Georg und Wilhelm von Weimar strebten beide nach selbständigen Corps; auch verlangte letzterer den Oberbefehl über Baner; Baner wieder mußte sein Corps schonen und durfte sich nicht rühren, damit nicht seine Quartiere von Anderen (Kursachsen) besetzt wurden; Herzog Georg war mit Wilhelm von Weimar wegen des Eichsfelds im Streite und dem Baner – der ja auch Feldmarschall des niedersächsischen Kreises war – wollte er sich erst recht nicht fügen. Dazu kam eine neue Schwierigkeit: die kursächsischen Verhandlungen mit dem Kaiser hatten endlich zu dem Präliminarfrieden von Pirna geführt, den Kursachsen im December 1634 den evangelischen Ständen mittheilte: allgemein war die Ueberzeugung, daß dieser Friede unannehmbar sei – am wenigsten für Schweden – und daß er nur zu neuen Kämpfen führen müsse. Auch W. konnte ihm nicht zustimmen, da er nicht einmal wußte, ob er in die Amnestie eingeschlossen sei oder nicht; für das letztere sprach, daß Kursachsen in seinem Waffenstillstand mit dem Kaiser (28. Febr. 1635) zwar Wilhelm von Weimar und Georg, ohne sie zu fragen, einschloß, nicht aber auch W.
[50] Am 5. April 1635 suchte W. den Herzog Georg persönlich in Hildesheim auf und vermochte ihn, wenn auch mit Mühe, an einer Zusammenkunft mit Wilhelm von Weimar in Nordhausen theilzunehmen (Mai 1635[WS 1]); hier vereinigte man sich dahin, bei Kursachsen wegen des Pirnaer Friedens Vorstellungen zu erheben und allgemeine Amnestie zu fordern, man stellte sich aber dem Kurfürsten zur Verfügung, um ihn so vom Feinde wieder abzuziehen, und verpflichtete sich zur Rüstung eines Corps. Aber die Beschlüsse waren durch die Ereignisse bereits überholt; als die Gesandten in Dresden anlangten, wurde ihnen der zu Prag am 20./30. Mai vollzogene Friede überreicht. Daraufhin empfahl W. erst recht festes Zusammenhalten und einen Ausgleich mit Baner; am 5. Juli aber nahm Wilhelm von Weimar bereits den Frieden an; bald darauf auch Herzog Georg, nachdem der Lüneburger Kreistag beschlossen hatte, dem Frieden pure et simpliciter zuzustimmen.
So blieb W. ganz allein übrig und seine einzigen Hoffnungen waren auf Oxenstierna gerichtet, der von seiner Reise nach Frankreich in Norddeutschland wieder angelangt war. Der Prager Friede forderte die Unterwerfung Wilhelm’s, behielt aber in einem geheimen Artikel dem Kaiser die Entscheidung über die Aufnahme des Landgrafen in die Amnestie vor. Dazu war nicht mehr wie im Pirnaer Frieden von „Protestirenden“, sondern nur von „Augsburger Confessionsverwandten“ die Rede, die Reformirten also eigentlich gar nicht mit einbegriffen; auch forderte man, daß Hessen seine Truppen dem kursächsischen Befehle „zur Execution dieses Friedens“, d. h. auch gegen Schweden unterstelle, und alle Eroberungen seit 1630 wieder herausgebe; Kurpfalz blieb auf die Gnade des Kaisers angewiesen. Das alles machte den Frieden für W. unannehmbar, aber wie sollte er allein und von allen Bundesgenossen im Stich gelassen Widerstand leisten. Anfang Juli verabredete er zwar in Magdeburg mit Oxenstierna die Aufstellung eines Corps in Westfalen und Hessen und einen Zug zum Entsatze von Frankfurt: aber der Kanzler und Baner waren ihrer aufsässigen Truppen selbst kaum mehr mächtig; der von Oxenstierna zum Succurs beorderte Sperreuter führte diesen Befehl nicht aus, bis es schließlich zu spät war. Auch von Frankreich war nichts zu erwarten. So blieb W. vorläufig nichts anderes übrig, als zu suchen durch Verhandlungen Zeit zu gewinnen.
Am 17. Juli 1635 erhielt er den Prager Friedensschluß officiell mitgetheilt: er verweigerte seine Erklärung, solange man ihm den ihn selbst betreffenden geheimen Nebenreceß vorenthalte. Bei den darauf in Kassel mit dem Abgesandten König Ferdinands III., v. Griesheim, geführten Verhandlungen forderte W. Aufnahme in die Amnestie, Sicherheit der freien Religionsübung, Beibehaltung seines Corps und des Stiftes Hersfeld, das der Kaiser abermals für seinen Sohn Leopold Wilhelm forderte. Daß der fast auf der ganzen Linie siegreiche Kaiser sich überhaupt in Verhandlungen mit W. einließ, zeigt am besten, wie ansehnlich noch immer seine Stellung war: aber als auch Baner’s Armee immer mehr von Kursachsen zurückgedrängt wurde und sich selbst durch Meutereien schwächte, rieth selbst Oxenstierna W., dem Frieden beizutreten, wenn er die Amnestie erhalten könne (Aug.). Am 19. October legte W. das schwedische Generalat nieder und am 28. October brachte Griesheim die Annahme der Bedingungen des Landgrafen durch König Ferdinand III. Daraufhin nahm W. am 2. November auch den Frieden an, forderte aber die kaiserliche Ratification seiner Klauseln. Inzwischen begannen die Verhandlungen mit Kurköln über die Räumung Westfalens, die zu dem Vertrage von Sababurg (10./20. Dec.) führten; für den Fall der kaiserlichen Ratification versprach W., einen Theil des platten Landes zu räumen, wofür er andere [51] Quartiere (Kurköln schlug Ostfriesland vor, Melander Berg) erhalten sollte; die festen Plätze behielt der Landgraf noch in den Händen. Wie weit W. diese Verhandlungen mit der wirklichen Absicht, Frieden zu schließen, führte, ist schwer zu sagen; die Noth war fast aufs höchste gestiegen und selbst die Schweden – die doch nur Interesse an der Fortsetzung des Kampfes hatten – hatten ihm den Rath geben müssen, den Frieden zu suchen. Ebenso sicher ist es aber auch, daß sich W. damit die größte Selbstüberwindung auferlegte und daß er selbst (noch im December) kaum an die Zustimmung des Kaisers zu Bedingungen glaubte, die er sonst keinem der Stände zugestanden hatte.
Und es fehlte nicht an Einflüssen, die W. von diesem Vorhaben abzubringen sich bemühten: Schweden, das nach dem Abschlusse des Stillstandes mit Polen seine Truppen aus Preußen heranziehen konnte und infolge dessen im November die ersten Erfolge aufzuweisen hatte, ermunterte jetzt W. von neuem zum Widerstande. La Boderie versprach 200 000 Rth. Subsidien und Graf Jakob von Hanau bat flehentlich um Entsatz der arg bedrängten Festung Hanau; an seiner Gemahlin Amalie Elisabeth fanden sie alle lebhafte Unterstützung. Obwol der Kaiser die Ratification der Griesheimschen Klauseln verweigerte und Würzburg mit neuen Verhandlungen beauftragte, konnte sich W. doch nicht zum Bruche entschließen. Die Verhandlungen begannen vielmehr im Februar 1636 in Neustadt a. d. Saale. Als aber im April 1636 die Schweden unter Leslie im Osnabrückschen weitere Fortschritte machten und ihre Verhandlungen mit Frankreich zum Vertrage von Wismar (20. März) geführt hatten, reiste W. auf Drängen seiner Gemahlin selbst nach Minden um mit St. Chaumond ebenfalls zu verhandeln; aber erst am 2./12. Juni kam es zu einem vorläufigen Abschlusse, wonach sich W. verpflichtete Hanau zu Hülfe zu eilen. W. brach sogleich auf und am 13./14. Juni erfolgte der Entsatz dieser arg bedrängten Stadt. Die Folge dieser kühnen That war der Vormarsch Götz’ gegen Hessen (Juli), am 9./19. August wurde W. auf dem Kurfürstentage zu Regensburg zum Reichsfeinde und seiner Länder für verlustig erklärt und am 21. November L. Georg von Darmstadt zum Administrator von Niederhessen ernannt.
Vor Götz’ Armee konnte W. nicht Stand halten, zumal da Leslie, der ihn nach Hanau begleitet hatte, sich von ihm trennte: Hessen wurde vom Feinde überschwemmt und fast das ganze Westfalen ging verloren; es blieben ihm nur noch Dorsten, Lippstadt und Coesfeld. W. begab sich selbst nach dem Haag (Sept.), konnte hier aber nichts als einen Vorschuß von 80 000 Thlrn. von den Generalstaaten erhalten; der Prinz von Oranien empfahl ihm abermals sich nach dem bisher vom Kriege ziemlich verschont gebliebenen Ostfriesland zurückzuziehen. So blieb denn W. – der nach dem Siege Baner’s bei Wittstock (24. Septbr.) mehr denn je zum Widerstande entschlossen war – keine andere Hülfe übrig als die von Frankreich, mit dem er zu Wesel am 11./21. October abschloß: Frankreich versprach ihm hier 200 000 Thlr. jährliche Subsidien und ev. Aufnahme in Frankreich, wenn er seine Länder verlieren sollte; der Friede sollte nur gemeinsam geschlossen werden und zwar auf Grundlage der Zustände von 1618; bis dahin sollte W. im Genusse der seit 1618 eroberten Länder (Westfalen) bleiben. Seine Bemühungen aber, auch durch einen neuen Vertrag mit Schweden seine Stellung zu verstärken (er reiste selbst nach Hamburg [Nov.] und sandte dann Günterode nach Stockholm), waren ohne Erfolg, da der Wismarer Vertrag noch immer nicht ratificirt und Schweden infolge dessen nicht in der Lage war, den Landgrafen zu unterstützen. Auf Anrathen Schwedens versuchte W. noch einmal Englands Hülfe für die Evangelischen flott zu machen; er sandte im Winter 1636 Stengel nach London und [52] forderte Geld und Truppen zur Wiedereroberung der Pfalz unter seinem Oberbefehle – freilich auch das ohne Erfolg. Der Zug Baner’s nach Thüringen und Kassel brachte wenigstens vorübergehend Befreiung des Landes; dann aber mußte auch Baner zurück und erwartete in Torgau eine von Bernhard von Weimar geplante Diversion, für die derselbe in Paris verhandelte. Als auch diese ausblieb mußte er sich noch weiter nach Schlesien zurückziehen.
Am 5./15. Februar 1637 war Ferdinand II. gestorben, sein Sohn Ferdinand III. erneuerte am 24. April die Acht über W. und bestätigte den L. Georg als Administrator. Die Execution war bereits im vollen Gange: am Gründonnerstage 1637 begann jene berüchtigte Schreckenszeit für das arme Hessenland. Die Kroaten des Forgacz und Isolani kamen als Vorboten, ihnen folgte Geleen von Osten her, Lamboi und Wahl kamen von Westfalen. Im Juli traf noch Jean de Werth über Fritzlar ein. W. mußte vor der Uebermacht weichen und mit seiner Familie Kassel verlassen; bis zum October dauerte das unerhörte Morden und Plündern, dem ein Drittel der Einwohner des bejammernswerthen Landes zum Opfer fiel; 18 Städte (unter ihnen Eschwege und Allendorf a. d. W. mit seinem kostbaren Salzwerke), 47 adlige Häuser und über 100 Dörfer wurden zerstört.
W. vermochte auch trotz der französischen Hülfe unter General Rantzau die westfälischen Quartiere nicht mehr zu halten; bald mußte er sich in das Niederstift Münster (Meppen und Haselünne) zurückziehen und schließlich sich doch dazu verstehen, seine Quartiere in Ostfriesland mit Gewalt zu nehmen. Am 12. August meldete er den dortigen Ständen seine Absicht, langsam ging der Zug die Ems abwärts, der Widerstand der Friesen war bald gebrochen und am 13./23. September kam es in Leer unter Vermittlung der Generalstaaten zum Vertrage mit dem Grafen Ulrich, einem Schwager des L. Georg von Darmstadt; demzufolge erhielt W. auf sechs Monate Quartier und 12 000 (dann 14 000) Thaler monatliche Contribution.
Kurz darauf erkrankte er in Leer, seinem Hauptquartiere, wohin seine Gemahlin und Kinder aus Bremen eilten, und entschlief am 21. September 1637, aufgerieben von den beständigen Sorgen und Strapazen, welchen sein schwacher Körper nicht gewachsen war, im 35. Jahre seines Lebens. In einem letzten Tagesbefehle (17. Sept.) verpflichtete er sein Heer zur Treue gegen seinen achtjährigen Sohn, gegen den Generallieutenant Melander und die Räthe in Kassel. Die Regentschaftsfrage hatte er bereits in seinen Testamenten von 1631 und 1633 – ohne auf Darmstadt Rücksicht zu nehmen – in der Weise geordnet, daß seiner Gemahlin Amalie Elisabeth als „Vormünderin“ 5 „Regenten“ und 16 Landräthe zur Seite stehen sollten. Zu Testamentsvollstreckern erbat er sich vor allem den Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien. Es war ein trauriges Erbe, das er den Seinen hinterließ und seine Wittwe nöthigt uns die höchste Bewunderung ab, wenn wir bedenken, mit welchem Erfolge sie das Ende des Krieges ruhmreich für die Geschicke des hessischen Landes zu gestalten wußte. Jetzt ergriff sie mit großer Energie die Zügel der Regierung und ernannte Melander zum Oberbefehlshaber der Armee; ihre Räthe in Kassel ließen sofort dem jungen Landesfürsten huldigen und kamen dem Darmstädter und dem Kaiser zuvor.
Mit W. schied einer der Fürsten aus dem Leben, dem es nicht nur Ernst war mit seiner religiösen Ueberzeugung, sondern der auch bereit war, für sie Leib und Gut zum Opfer zu bringen. Als aufrichtiger Calvinist war er auch in der Politik ein Anhänger dieser thatkräftigeren Richtung im protestantischen Lager. Von seinen Gegnern wurde er dafür auch redlich gehaßt. Obwol er gelegentlich sich nicht scheute den orthodoxen Lutheranern scharf entgegenzutreten, [53] war er doch unermüdlich bemüht, die unselige Spaltung der beiden protestantischen Bekenntnisse zu beseitigen und sie gegen den gemeinsamen Feind zu vereinigen: auf dem Leipziger Convente 1631 führten seine Theologen mit den sächsischen und brandenburgischen lange Verhandlungen über eine „Union“ und in Frankfurt 1634 unterstützte er die gleichen Bemühungen des Schotten Duruy nach Kräften; vor allem bemühte er sich aber hier wenigstens die schlimmen gegenseitigen Schmähungen zu verhindern. Daß er wie alle Fürsten seiner Zeit, Katholiken wie Protestanten, seine Eroberungen mit Versuchen verband, seinem Bekenntnisse Geltung zu verschaffen, darf nicht Wunder nehmen: Religion und Politik waren damals noch ebenso mit einander verquickt wie vor 100 Jahren und der Grundsatz cujus regio ejus religio gab dem seine Berechtigung.
Von Natur aus friedfertig, und selbst von keiner allzu festen Gesundheit, drängten ihm die kriegerischen Verhältnisse eine Rolle auf, die seiner Natur durchaus entgegengesetzt war; er gehört sicher nicht zu den hervorragendsten Fürsten seiner Zeit, weder als Feldherr noch als Diplomat, dazu fehlte ihm das schöpferische Genie; aber ein klarer Verstand ließ ihm doch zwischen dem Wahren und Falschen bald scheiden und Mittel und Wege erkennen, seiner Ueberzeugung gerecht zu werden. Daß es ihm an persönlichem Muthe nicht fehlte, hat er oft auf Jagden bewiesen; er bewahrte ihn auch in der Politik: sein zähes Festhalten an seiner Ueberzeugung und schließlich das muthige Einsetzen seiner gesammten Existenz gegenüber allen Verlockungen des falschen Friedens zu Prag sichern ihm unter den protestantischen Fürsten seiner Zeit und im Gegensatz zu vielen von ihnen einen Ehrenplatz in der Geschichte. Er selbst unterlag zwar, aber seiner Wittwe sollte es doch gelingen sein Werk in Ehren zu vollenden. Wie groß ihr Einfluß auf ihn in politischen Dingen war, läßt sich actenmäßig selten feststellen: trotzdem werden wir, wenn wir beide Charaktere vergleichen, wol einen sehr großen Einfluß von ihr annehmen dürfen.
Seinem Festhalten an seiner Ueberzeugung entsprach auch seine Treue gegen seine Bundesgenossen, besonders gegen Schweden; daß er damit eine Vereinigung mit Frankreich – das ja selbst durch Verträge mit Schweden verbunden war – für vereinbar hielt, haben wir oben gesehen. „National“ in unserm politischen Sinn hat W. ebensowenig, wie irgend einer seiner zeitgenössischen deutschen Fürsten empfunden; wie sie führte er eine Hauspolitik und war auf Stärkung der Reichsfürstengewalt bedacht. Ebenso wie die Katholiken sich um Unterstützungen und Pensionen bei Spanien bemühten und damit doch eine Opposition gegen den Kaiser vereinigen konnten, suchten die Protestanten Anlehnung bei Schweden und Frankreich.
Daß in W. trotzdem Sinn und Gemüth für das Vaterländische lebendig war, bewies er als Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft durch seine Bemühungen um die deutsche Sprache; er fand Muße Uebersetzungen verschiedener französischer Werke anzufertigen, deren strenge Moral seinen Anschauungen entprach.
Trost und Erholung in allem Ungemach fand er in seinem Familienleben; 18 Jahre lebte er in glücklicher Ehe mit seiner Gemahlin, deren fester Charakter und starker Wille ihm auch in den Tagen der Noth Beistand gewährte. Durch sie hatte er auch einen starken Rückhalt an dem Prinzen von Oranien, der ihm freilich mehr mit Rath allein beistehen konnte, da die Generalstaaten es an der That fehlen ließen. 12 Kinder entsprossen seiner Ehe, von denen sechs dem Vater im Tode vorangingen.
Von Natur leutselig und bescheiden, verachtete er jeden falschen Prunk und wurde von den protestantischen Fürsten hochgeachtet. Obwol kein Gelehrter, wie sein Vater, liebte und pflegte er die Wissenschaften nach Kräften. Als der [54] Hauptvergleich mit Darmstadt 1627 ihm die Universität Marburg genommen hatte, war es eine seiner ersten Sorgen in Kassel eine neue Akademie zu gründen, deren Einweihung jenes glänzende Tauffest im Juli 1633 verherrlichen half. Daß sie freilich nicht recht in Flor kam, lag an den schlimmen Zeiten.
Nur zwei Vergnügungen gab er sich mit Leidenschaft hin: der Jagd und der Musik; als er 1628 am kaiserlichen Hofe nothgedrungen verweilen mußte, boten ihm diese Unterhaltungen die einzige Erholung, und sein angenehmster Umgang dort war der mit den trefflichen kaiserlichen Musikern. An seinem Hofe freilich mußte er bescheidener sein: er forderte von allen seinen Kammerdienern musikalische Fertigkeiten. Die Abende der Sonntage widmete er stets der edlen Musica.
- Acten des Staatsarchivs Marburg. – Rommel. – Oxenstierna’s skrifter bes. II, 6 u. 7. (Briefe Baner’s, Bernhard’s v. Weimar u. des L. Wilhelm.) – Struck, Wilhelm von Weimar und Gustav Adolf. 1895. – Sattler, Dodo von Knyphausen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: 1655