ADB:Puchta, Heinrich

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Artikel „Puchta, Heinrich“ von Karl Buchrucker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 687–689, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Puchta,_Heinrich&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 00:32 Uhr UTC)
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Puchta: Dr. phil. Christian Heinrich Rudolf P., Stadtpfarrer zu Augsburg und geistlicher Liederdichter, stammt aus einer böhmischen Emigrantenfamilie. Sein Vater, Wolfgang Heinrich (s. u.), welcher in Erlangen 1845 starb, war Landrichter zu Kadolzburg im bairischen Mittelfranken, als er dortselbst am 19. August 1808 geboren wurde. Er stand somit seinem berühmten Bruder, dem Geheimen Obertribunalsrath Dr. Georg Friedrich Puchta (s. o.) im Lebensalter um zehn Jahre nach, keineswegs aber an Begabung und Reichthum des Geistes, überragte ihn vielmehr an Genialität und Tiefe der Conception, wenn auch seine Wege sich mehr in den Niederungen des Lebens hielten. Nachdem er im elterlichen Hause christlich erzogen und durch den Besuch des Gymnasiums gründlich vorbereitet war, bezog er 1826 die Universität Erlangen, um sich der Philologie und Theologie zu widmen, und fand dortselbst an Professor Döderlein einen hervorragenden Führer auf dem Gebiete der classischen Litteratur alter und neuer Zeit, in dem reformirten Pfarrer und Professor Krafft aber mit so vielen bedeutenden Geistern jener Tage den geistlichen Vater. In Berlin saß er zu den Füßen Neander’s und Schleiermacher’s, wurde aber mit nachhaltigster Wirkung von Schelling’s Philosophie angezogen, in dessen großartige Weltanschauung er sich mit wahrer Begeisterung versenkte. Neben seinen theologischen und metaphysischen Studien gab er sich, dem Drange seiner reichen Phantasie und seines tiefen Gemüthes folgend, der Poesie hin, in welcher er schon während der Gymnasialzeit Proben einer überraschenden Begabung geliefert hatte. Bei aller Ursprünglichkeit der Empfindung war er zugleich ein solcher Meister der metrischen Form, daß seine Erzeugnisse in der Reinheit der Sprache und des Versmaßes denen seines Freundes und Vorbildes Platen gleichkamen. Obgleich [688] sein Forschen und Denken so mannichfach sich gestaltete, verlor er doch niemals den specifisch-christlichen Mittelpunkt: seine Philosophie entfremdete ihn nicht der Theologie, seine Poesie verflachte und versüßelte sie nicht; wir begegnen allezeit in dem strengen Denker und zarten Dichter dem Manne kindlichen Glaubens.

Nach seinem Aufnahmeexamen sehen wir ihn zuerst im Predigerseminar, dann als Stadtvicar in München, zugleich mit dem ausgezeichneten Emil Wagner, welcher nur zu frühe als Pfarrer in Bayreuth verstarb. Fand er hier einerseits für seine gediegenen, geisterfüllten Predigten dankbaren Boden in der Gemeinde, so boten ihm andererseits die Kreise hervorragender Persönlichkeiten, die sich ihm erschlossen, mächtige Förderung und Läuterung. Es sind nur die Namen v. Schubert, v. Roth, v. Niethammer, v. Thiersch, Cornelius, Schnorr v. Carolsfeld zu nennen, um zu erinnern, welche Welt von Bedeutung hier sich ihm aufthat. Hier war es auch, wo der Dichter Albert Knapp (1835) ihn kennen und lieben lernte. Er schreibt in der Vorrede zu Puchta’s Gedichten, welche er 1860 herausgab, von dieser ihm unvergeßlichen Begegnung: „Damals sah ich den schönen 27jährigen Mann zum ersten Male – eine hochstämmige, ritterlich anmuthige Gestalt, mit weichem, dunklem, auf seine gewölbten Schultern niederwallendem Gelock, kräftig markirten, harmonischen Gesichtszügen, großen, braunen, biederherzig glänzenden Augen, einer wohlklingenden, metallenen Baßstimme, gerade ausschreitendem, die innere Lebenskraft bekundenden Gang – einen blühenden, von Einfalt und heiterer Gottesfurcht getragenen Normalmenschen, voll ernster, freundlicher Wirksamkeit, – einen genialen, aber selbstlosen, bescheidenen Mann, der seine geistige Fülle nirgends zur Schau trug, und mit welchem sich mein Herz gleich in den ersten Stunden unserer Bekanntschaft aufs Innigste verband.“ Am mächtigsten aber wurde er von Schelling angezogen, welcher von 1827–1841 die Zierde der neuerrichteten Universität München war. Hingerissen von dessen Naturphilosophie nährte er in sich die Gluth eines poetischen Gährens und Schaffens, welches in seiner anonymen Schrift „Zeiten und Dinge“ (Erlangen 1835) zum Ausdruck kam. Sie enthält eine großartige Kosmogonie auf Grund des biblischen Schöpfungsberichtes und ist von einer huldigenden Zueignung an Schelling eingeleitet, welche den Ton eines schwungvollen Dithyrambus anschlägt. Ihr reihte sich in späteren Jahren ein zweiter Theil: „die Riesenschlacht“ an, welche Lucifer’s Fall zum Inhalt hat, aber Manuscript geblieben ist. Schon diese tiefe, den ganzen inneren Menschen in Anspruch nehmende Geistesarbeit mußte an der Nervenkraft des Jünglings zehren; dazu kam aber noch die aufregende, erschütternde Aufgabe, mit seinem Collegen Wagner eine zum Tode verurtheilte Mörderin auf ihr Ende vorzubereiten und bei der Hinrichtung mit dem letzten seelsorgetlichen Dienste zu versehen. Schlaflose Nächte legten den Grund zu einer bedenklichen nervösen Reizbarkeit; doch behielt die Jugendkraft noch die Oberhand.

Als er 1837 als Repetent nach Erlangen berufen wurde, schien ihm eine glänzende Laufbahn eröffnet zu sein. Schon nach zwei Jahren erhielt er einen Ruf als Professor der Philosophie an das Lyceum zu Speyer, nachdem er sich kurz vorher als Privatdocent an der theologischen Facultät zu Erlangen habilitirt hatte. Aber in Speyer brach seine Gesundheit zusammen. Ein ihm nahestehender Freund hatte sich in den Fluthen des Rheins das Leben genommen, und als Puchta vom Gerichte herbeigezogen wurde, die Identität des endlich Gefundenen und Halbverwesten festzustellen, da erschütterte der gräßliche Vorgang sein Nervensystem in einem Grade, daß die gebrochene und umflorte Seele in der psychiatrischen Anstalt zu Winnenthal am 16. März 1841 Heilung suchen mußte. Ein Jahr vorher, am 21. April 1840, hatte er sich mit seiner vielbesungenen Jugendliebe, der Tochter des Oberconsistorial- und Ministerialraths Dr. v. Faber, Eugenie, vermählt, welche nun frühe den bittern Kelch häuslicher [689] Trübsal zu kosten bekam. Am Tage seines Eintritts in die Heilanstalt gebar sie ihm in Speyer sein Erstlingskind, Anna. Doch nach kaum einem Jahre konnte der Arme als völlig hergestellt und gekräftigt entlassen werden. Nachdem er sich noch drei Monate mit Frau und Kind bei seinem Schwager, dem damaligen Decan Deininger in Burghaslach, nachmaligen Oberconsistorialrath, zur Nachkur aufgehalten, trat eine ruhige und erquickende Zeit für ihn ein. Er erhielt die kleine Landpfarrei Eyb in der unmittelbaren Nähe von Ansbach, auf welcher er zehn Jahre verblieb. Hier gab er noch im Jahre 1842, um dem weitverbreiteten, geist- und poesieleeren Witschel’schen Andachtsbuch, einer Frucht des Rationalismus, im Sinne des kirchlichen Bekenntnisses eine erwünschte Concurrenz zu bieten, seine poetischen „Morgen- und Abendandachten“ heraus, welche 1857 von Karlsbad aus in vermehrter und verbesserter Auflage unter dem Titel „Christlicher Hausaltar“ erschienen. So positiv und sinnig diese Gesänge an Gehalt und so vollendet sie in der Form sind, so fanden sie doch nicht die gewünschte Aufnahme, weil sie, wie Albert Knapp richtig urtheilt, zu geistreich waren, und zwar nicht bloß für die flachen Kinder der Zeit, sondern auch für solche, die in der Andacht mehr das Schlichte und Nahrhafte lieben. Ein ähnliches Schicksal hatte auch der 1851 erschienene Entwurf der Commission, welche behufs Herstellung eines neuen Gesangbuchs für die evangelisch-lutherische Kirche in Baiern berufen worden war und deren hervorragendes Mitglied P. gewesen. Die populäre Ader ging ihm ab. Gleichwol lag ihm nichts ferner, als Ueberschätzung der künstlerischen Form. Albert Knapp sagt, P. habe ihm bekannt, „daß er die Kunst in ihrem weitesten Umfange nicht allzu hoch anschlage, weil sie gewöhnlich zu den Zeiten des religiösen Verfalls als ein Surrogat der echten Religion am meisten geblüht, Gott aber sein auserwähltes Volk am meisten ohne durchgebildete künstlerische Formen herangebildet und auch hierdurch von dem Wesen dieser schau- und hörlustigen Welt zum jenseitigen Leben der Herrlichkeit erzogen habe“. In Anerkennung seiner theologischen Tüchtigkeit wurde er auch zum Prüfungscommissär bei der jährlichen Aufnahmeprüfung der Candidaten ernannt.

Allein in dem Maße, als er innerlich und äußerlich erstarkte, begehrte er eines größeren Arbeitsfeldes, und freute sich, als er 1852 zweiter Pfarrer an St. Jacob in Augsburg und damit College des in hohem Ansehen stehenden Kirchenraths Dr. Bomhard wurde. Mit musterhafter Treue und Hingebung diente er seiner Gemeinde, und schon war 1854 ein neues litterarisches Product, „Handbuch der praktischen Katechese“, von ihm erschienen, als durch das Auftreten der Cholera in Augsburg an seine seelsorgerliche Thätigkeit wie an die Kräfte seines Leibes Ansprüche gestellt wurden, welche den Keim zu einer Magenkrankheit legten, die auch durch mehrmaligen Gebrauch der Kur in Karlsbad nicht gehoben werden konnte. Als er auf die erste Pfarrstelle an der Barfüßerkirche befördert wurde und damit in eine sorgenfreiere Zeit des Daseins eintrat, war er schon ein kranker Mann. Bald stellte sich ein Siechthum ein, welches keine Hoffnung der Genesung mehr zuließ. Aber je mehr der äußere Mensch dahinwelkte, desto herrlicher erneuerte sich der inwendige. Am 12. Sept. 1858 erlöste ihn der Tod, nachdem er drei Tage zuvor aus den Händen des ehrwürdigen Bomhard das heil. Abendmahl empfangen hatte; am 15. wurde er unter allgemeiner Theilnahme zur Ruhe bestattet. Er hinterließ eine Wittwe mit 8 Kindern: 3 Söhnen und 5 Töchtern. Nach seinem Tode sichtete Albert Knapp den überaus reichen schriftlichen Nachlaß und gab, wie oben erwähnt, eine gediegene Auswahl unter dem Titel „Gedichte von Heinrich Puchta“ (Stuttgart 1860) heraus. Einen eingehenden Nekrolog enthielt 1858 die „Augsb. Allg. Zeitung“.