Zum Inhalt springen

ADB:Schnorr von Carolsfeld, Julius

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schnorr von Carolsfeld, Julius“ von Franz Schnorr von Carolsfeld in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 182–189, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schnorr_von_Carolsfeld,_Julius&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 16:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schnorr, Salomon
Band 32 (1891), S. 182–189 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Julius Schnorr von Carolsfeld in der Wikipedia
Julius Schnorr von Carolsfeld in Wikidata
GND-Nummer 118609815
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|32|182|189|Schnorr von Carolsfeld, Julius|Franz Schnorr von Carolsfeld|ADB:Schnorr von Carolsfeld, Julius}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118609815}}    

Schnorr v. Carolsfeld: Julius Veit Hans S. v. C., Maler, geboren in Leipzig am 26. März 1794, † in Dresden am 24. Mai 1872, wuchs im Hause seins Vaters, des Malers Veit Hans S. v. C. (s. u.), unter Verhältnissen auf, welche einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung seiner künstlerischen Begabung schon in seinen Knabenjahren ausübten. Wie seine beiden älteren Brüder sich dem Künstlerberufe widmeten, so war es auch für ihn, ohne daß die liebevolle Erziehung des Vaters dabei irgend welchen Zwang angewandt hätte, schon in frühester Kindheit eine ausgemachte Sache, daß er Maler werden wollte. Bereits vom Jahre 1806 an brachten die Dresdener Kunstausstellungen kleine Arbeiten von des zwölfjährigen Knaben Hand, schon im Jahre zuvor durfte er bei Herstellung einer Verkleinerung der Flaxman’schen Umrisse zu Homer, welche sein Vater für eine Homer-Ausgabe des Buchhändlers Göschen zu besorgen hatte, mitwirken. „Mein Vater“, so erzählt er selbst in einem handschriftlichen „Kurzen Bericht über sein Leben“, „gebrauchte mich schon als Knaben zum Gehülfen. Galt es für große Festlichkeiten eiligst ein umfangreiches Transparent zu malen, so war ich helfend mit dem Pinsel ihm zur Seite und schlief in der Nacht auf dem Malerboden, den Kopf auf einen Farbentopf gestützt. Galt es auf hohem Gerüste ein Basrelief im Giebelfelde eines Gebäudes zu befestigen, wie dieses an dem Paulinum in Leipzig geschah, so erstieg ich mit dem Vater ohne Zagen die höchsten Leitern und sah und merkte mir, wie die einzelnen Stücke aus gebrannter Erde mittelst Schrauben in dem Mauergrunde befestigt und zu einem großen Basrelief vereinigt wurden.“ Bei der Leichtigkeit aber, mit welcher er die ersten Schritte in Ausübung der Kunst that, sich in Kunstarbeiten der mannigfachsten Art, angeregt durch sein Lieblingsbuch, den Benvenuto Cellini, versuchte oder sich in Componirübungen frei erging, besaß er doch zugleich Beharrlichkeit genug, um Anatomien nachzuzeichnen und sich unter Anleitung älterer Kameraden mit den Lehren dieses Fachs sowie der Perspective bekannt zu machen. Bis in seine Jugendspiele erstreckte sich ein frühzeitig an ihm hervortretender Ernst, wovon ein Beispiel ein sinnreich von ihm und seinem nächstälteren Bruder ausgedachtes Kriegsspiel ist, welches im J. 1809 den in Leipzig weilenden sächsischen Prinzen würdig befunden ward vorgeführt zu werden. Nur der Schulunterricht, den er auf der Thomasschule genoß, schlug wenig bei ihm an, obschon er in seinem späteren Leben die Mängel seiner Schulbildung durch Fleiß, natürliche Begabung und den fördernden Umgang mit ausgezeichneten Künstlern und Gelehrten auszugleichen vermochte.

Im J. 1811 verließ S. das Vaterhaus, um sich nach Wien zu begeben und dort mit seinen Brüdern Ludwig und Eduard, die ihm, der eine 1804, der andere 1810, dahin vorausgegangen waren, zusammenzutreffen. Er besuchte daselbst die Akademie, entzog sich ihrer Leitung jedoch schon nach wenigen Jahren. Während er unter ihren Lehrern keinen gefunden hatte, der ihn zu befriedigen und an sich zu fesseln vermocht hätte, lernte er in dem außerhalb der Kreise der Akademie stehenden Maler Ferdinand Olivier einen hochbegabten Künstler kennen, dessen Vorbild und Lehre auf seine Richtung bestimmenden Einfluß ausübten. Aehnlich wirkten um dieselbe Zeit auch Josef Koch’s Arbeiten und Persönlichkeit auf ihn ein. Der Krieg des J. 1813 drohte in den Gang seines Lebens einen gewaltsamen Eingriff. Wie mehrere norddeutsche Landsleute, so wollte auch er sich von Wien aus zum preußischen Heere begeben, um an dem Befreiungskampfe als freiwilliger Streiter theilzunehmen; doch stellten sich unüberwindliche Hindernisse der Verwirklichung seiner Absicht entgegen: der Mangel der erforderlichen Geldmittel, das listige Dazwischentreten einer Schülerin, die ihm durch Verkauf von Zeichnungen zu Geld zu verhelfen versprach, in Wirklichkeit aber sein Vertrauen benutzte, um seinen Plan zu durchkreuzen, zuletzt die Folgen eines unglücklichen [183] Sprunges, der ihn marschunfähig machte. Seine künstlerische Entwicklung vollzog sich in der nächstfolgenden Zeit nicht ohne tiefgehende Veränderungen und innere Kämpfe. Bereits in der ersten Zeit seines Wiener Aufenthaltes hatte er, wie er immer auf umfassende Darstellungen ausgegangen war, die Ausführung einer großen Composition in Oel unternommen, deren Gegenstand, die Sündfluth, er schon früher wiederholt in Zeichnungen behandelt hatte. Aber noch ehe dieser erste Versuch, ein Bild zu malen, vollendet war, trat in seinen Kunstanschauungen ein Umschwung ein, der bewirkte, daß er sein Werk den Flammen übergab. Er hatte bisher die Richtung nach der Antike und den großen Italienern eingehalten und besonders zu Michel Angelo als seinem Leitstern emporgeblickt. Jetzt lernte er die Kunst der älteren Deutschen und Niederländer kennen und ward von ihrer Schlichtheit und Innigkeit auf das stärkste berührt, erblickte in dem bis dahin verfolgten Wege einen zur Manier führenden Abweg und fühlte sich der Geschmacksrichtung seiner frühesten Jugendarbeiten, die ihm nun als hochtrabend und schwülstig erschienen, entfremdet. So sehr steigerte sich in ihm allmählich der Begriff von der Würde der Kunst, daß er zu zweifeln begann, ob er je ihren unerläßlichen Forderungen würde genügen können. Aber wenn er infolge solcher Zweifel nahe daran war, den Künstlerberuf aufzugeben und lieber ein Handwerk zu ergreifen, so hielt er doch daran fest, daß er nur für eine große und erhabene Aufgabe, wenn schon in untergeordneter Stellung, seiner Hände Arbeit hergeben wolle, und fand schließlich in dem Gedanken eine Beruhigung, daß er auch in der Kunst in Demuth wie ein Steinmetz mitwirken könne, der an einem großen Dombau einen einzelnen Knauf oder eine Blumenkrone auszuarbeiten hat. Bald darauf zeigten glückliche Versuche ein erfolgreiches Fortschreiten auf der betretenen neuen Bahn. Drei Bilder: „Der Kampf der drei christlichen und drei heidnischen Ritter auf der Insel Lipadusa“ nach Ariost, „Der Besuch des Zacharias und der Elisabeth bei der heiligen Familie“, „Die Almosenvertheilung des heiligen Rochus“, entstanden, fanden den Beifall berufener Beurtheiler und lieferten die Mittel, eine Reise nach Italien zu unternehmen.

Diese Reise trat S. nach einem sechsjährigen Aufenthalt in Wien am 6. November 1817 an, nachdem er im Sommer zuvor seine Vaterstadt und auf dem Rückweg Salzburg und Berchtesgaden besucht hatte. In Rom, wo er nach einem mehrwöchentlichen Verweilen in Florenz am 23. Januar 1818 anlangte, empfing ihn eine dort vereinigte Schar ausgezeichneter deutscher Künstler, in deren Namen er schon im voraus durch eine nach Wien an ihn und gleichzeitig an Ferdinand Olivier ergangene Einladung feierlich aufgefordert worden war, sich dem unter ihnen bestehenden Bunde anzuschließen. An den geweihten Stätten des römischen Alterthums, umgeben von den Meisterwerken alter italienischer Kunst, inmitten der Herrlichkeit südlicher Natur war dort durch das Zusammenströmen zahlreicher gleichgesinnter Kunstjünger eine hohe Schule der Kunst entstanden, deren Angehörige schon durch ihre Anwesenheit in der fremden und fernen Stadt zeigten, daß es ihr ernster Wille sei, mit Einsetzung ihrer besten Kräfte den höchsten Zielen in der Kunst nachzutrachten. Aus voller Ueberzeugung und mit reinster Begeisterung stellte S. sein Talent in den Dienst der von diesen seinen neuen Genossen und Führern vertretenen, auf eine innerliche Erneuerung der deutschen Kunst gerichteten Bestrebungen. Denn der Ausgangspunkt dieser Bestrebungen lag auf derselben Bahn, auf die ihn seine in Wien begonnene Entwicklung geführt hatte, und nicht einen Abfall vom Deutschthum, sondern einen auf Eroberungen ausgehenden, frisch aufstrebenden Geist nationalen Aufschwungs bedeutete es, wenn zu einer Zeit, wo es im Vaterlande noch an einem jeden Mittelpunkte künstlerischen Lebens fehlte, das Auffallende geschah, daß sich eine [184] Periode deutscher Kunstgeschichte auf fremdländischem Boden abspielte. S. insbesondere, der einige Monate nach seiner Ankunft in Rom von dort schrieb: „Der Deutsche ist nie deutscher gewesen, als er es jetzt hier ist“ und zwei Jahre später aus Florenz: „ich habe in Italien viel gelernt, aber ich will am Ende doch in und für Deutschland malen; eine Wonne wird es für mich sein, wenn die erste Schneeflocke auf meiner Backe zerschmilzt“, hörte nicht auf, obschon er mit vollen Zügen in sich aufnahm, was Italien dem Künstler darbot, und seinen Aufenthalt dort, veranlaßt durch einen großen, ihm ertheilten künstlerischen Auftrag, bis zur Dauer von zehn Jahren verlängerte, in dem südlichen Lande sich als einen Gast zu fühlen. Das bewährte er auch darin, daß er mit Standhaftigkeit ungeachtet aller Bekehrungsversuche an seinem protestantischen Glauben festhielt, während bekanntlich mehrere seiner Landsleute der übermächtigen Einwirkung, welche die damaligen Zeitverhältnisse und der Aufenthalt im Mittelpunkt der katholischen Welt auf sie ausübten, wichen und von der protestantischen zur katholischen Kirche übertraten.

Die erste größere künstlerische Arbeit, welche S. in Italien ausführte, war ein Gemälde „Die Hochzeit zu Cana“, mit dem er den Erfolg hatte, daß ihn Cornelius und Overbeck als Mitarbeiter ausersahen und ihm bei dem Marchese Carlo Massimi den Auftrag erwirkten, den mittleren Theil seiner bei dem Lateran gelegenen Villa mit Darstellungen aus Ariosts Rasendem Roland auszuschmücken. Mit Eifer ergriff S. diese sich ungeahnt ihm darbietende Aufgabe, die ihn zur Mitwirkung an einem großen künstlerischen Unternehmen monumentalen Charakters, ähnlich demjenigen, das Cornelius und seine Genossen in der Casa Bartholdy ausgeführt hatten, berief. Schon hatte er im Mai 1819 seinem Auftraggeber einen schriftlichen Plan über die ganze Arbeit überreicht, schon waren mehrere Entwürfe, darunter die Composition des Hauptbildes der Decke, des Hochzeitsfestes des Rüdiger und der Bradamante, vollendet, da schien ihn Krankheit, die ihn zwang Rom zu verlassen, zu nöthigen, das begonnene Werk ganz aufzugeben. Von Florenz aus, wo er seine Gesundheit wiederherzustellen dachte, aber von einem erneuten heftigen Ausbruch des römischen Fiebers befallen worden war, zeigte er seinen Entschluß, dem Auftrage zu entsagen, dem Marchese an, und dieser übertrug in dessen Folge die Arbeit einem italienischen Maler Namens Del Fratte. Erst als zu Ende des Jahres 1821 der genannte italienische Künstler plötzlich gestorben war, fügte es sich, daß S., nachdem er seinen Krankheitszustand inzwischen überwunden hatte, den von ihm zurückgegebenen Auftrag zum zweiten Male erhielt, worauf dann bis zur Vollendung des Werkes eine Zeit von beinahe sechs Jahren unter Verhältnissen verging, welche sein Leben in Rom nach den verschiedensten Seiten glücklich beeinflußten. Aber auch die Zeit bis zur Wiederaufnahme der großen Arbeit war für ihn nicht unfruchtbar dahin gegangen. Seinem Leipziger Landsmann Quandt, der im October 1819 nach Rom gekommen war, verdankte er außer anziehenden künstlerischen Aufträgen auch dies, daß er mit ihm im Frühjahr 1820 eine Reise nach Neapel unternehmen konnte; und während Rücksichten auf die Gesundheit häufigeren Ortswechsel und längeres Verweilen im Lateiner- und Sabinergebirge veranlaßten, entstanden die ersten Blätter einer an Umfang und Werth bedeutenden Sammlung von Landschaftszeichnungen, eine Art von künstlerischem Tagebuche, das S. seiner Zeit aus Italien in die Heimath mitbrachte.

Indem S. mit Friedrich Olivier und Rehbeniz gemeinschaftlich im November 1819 eine Wohnung auf dem Capitol, in dem Palazzo Caffarelli, bezog, wurde er für die ganze noch übrige Zeit seines römischen Aufenthaltes ein Hausgenosse Bunsen’s. Dieser selbst, sein Freundeskreis und die ausgezeichneten Männer, welche den Kern der damaligen, zuerst von Schmieder, dann von Richard Rothe [185] geleiteten evangelischen Gemeinde Roms ausmachten, boten ihm einen Umgang, aus dem ihm eine reiche Fülle der wirksamsten Anregung und Förderung erwuchs. Wie er in den erwähnten Landschaftszeichnungen die Erinnerungen an empfangene Natureindrücke sammelte, so bewahrte er das Andenken an merkwürdige Männer, mit denen er zusammengeführt wurde, in einer Sammlung nach dem Leben gezeichneter Porträts, und in einer so sich bildenden Porträtsammlung war ihm vergönnt, Persönlichkeiten wie den Freiherrn vom Stein, Niebuhr, Rückert, Overbeck, Thorwaldsen, zu vereinigen. Zwei sächsische Landsleute, welche Rom besuchten: außer dem bereits erwähnten Quandt der Domherr von Ampach, bedachten ihn mit Aufträgen zu Oelgemälden und veranlaßten, daß er eine „Madonna mit dem Jesuskinde“, eine „Verkündigung“ und ein Bild „Laßt die Kindlein zu mir kommen“ malte.

Die Ausführung der Frescogemälde in der Villa Massimi, im November 1822 begonnen, nahm raschen Fortgang, ohne daß es der Zuziehung fremder Hülfe bedurfte. Im Mai 1827 war die Arbeit vollendet. Schon vor Eintritt dieses Zeitpunktes, der die Verpflichtungen löste, welche S. bis dahin in Rom festhielten, war die Entscheidung erfolgt, wie sich sein ferneres Leben gestalten sollte. Bereits im December 1825, kurz nach seinem Regierungsantritt, hatte ihm König Ludwig von Baiern die Berufung zu einer Professur an der Münchener Akademie mit der Eröffnung zugehen lassen, daß er bei Ausführung großartiger künstlerischer Unternehmungen, welche der König in seiner Hauptstadt plante, mitwirken solle. Noch bevor S. Italien verließ, schickte er sich an, sich für die neue künstlerische Aufgabe, welche ihn erwartete und nach dem ursprünglich für die Ausschmückung des Münchener Königsbaues festgesetzten Plane in der Darstellung von Gegenständen aus der Odyssee bestehen sollte, durch eine im Herbst 1826 von Rom aus unternommene Reise nach Sicilien vorzubereiten. Aber noch ehe er von dieser Reise zurückgekehrt war, erreichte ihn die Nachricht, daß die für die Odyssee bestimmt gewesenen Räume des Königsbaues in Wegfall gekommen und ein völlig anderes, einen schroffen Gegensatz gegen die ursprüngliche Aufgabe bildendes Arbeitsfeld für ihn erwählt sei.

Das erste wichtige Ereigniß in seinem Leben nach seiner Rückkehr in das Vaterland erfolgte wenige Tage nach seiner Ankunft in Wien: er verlobte sich hier mit Marie Heller, einer Stieftochter Ferdinand Olivier’s, die er als ein siebenjähriges Kind in dem Hause dieses seines Freundes zuerst gesehen hatte und nun als eine herangewachsene Jungfrau wiederfand. Doppelt glücklich vollendete er die Reise nach dem Orte seiner neuen Wirksamkeit. Als er sich an einem Sonntagsmorgen in einem Einspänner München näherte, hatte er eine Begegnung, die ihn an Solon’s Erzählung von Kleobis und Biton erinnerte: auf dem Wege zur Kirche traf er zwei prächtige frische Mädchen, die einen kleinen Handwagen zogen, auf welchem eine würdige alte blinde Frau, offenbar die Großmutter, saß, in aufrechter Haltung, den Rosenkranz in den Händen. „Der Anblick war für mich ergreifend“, berichtet er selbst noch in seinem späteren Alter, „und es erfüllte mich eine starke Empfindung davon, daß ich ein gutes Land beträte in diesem mir bis jetzt unbekannt gebliebenen Theil meines herrlichen Gesammtvaterlandes.“ Noch nach Jahrzehnten erinnerte er sich des empfangenen Eindruckes, als er eine bildliche Darstellung seines Erlebnisses auf einem Blatte seiner „Bibel in Bildern“ anzubringen Gelegenheit nahm.

Vor Ablauf des Jahres 1827 führte S. seine junge Frau heim. Das große Werk, das seine Münchener Thätigkeit beginnen sollte, waren Frescogemälde aus dem Nibelungenliede, mit denen fünf Räume im Erdgeschoß des neuen Königsbaues ausgeschmückt werden sollten. Aber Jahre vergingen, ehe der Bau der Räume vollendet war und die Ausführung der Gemälde angefangen werden [186] konnte. Erst im Juni 1831 war dieser Zeitpunkt gekommen, nachdem bereits im November 1828 ein Vertrag zum Abschluß gelangt war, der für die Vollendung eine Frist von zwölf Jahren festsetzte. Später bewirkten dann Unterbrechungen der mannigfachsten Art, daß die Arbeit ihr Ende erst zur Zeit der Regierung König Ludwig’s II. erreichte. Als eine solche Unterbrechung ist nicht anzusehen, daß S. im J. 1832 der Auftrag zu theil wurde, eine Reihe von Compositionen zu den Homerischen Hymnen für einen Fries zu entwerfen, der für Ausschmückung eines der Gemächer im ersten Stockwerk des Königsbaues, des sogenannten Salon de service, bestimmt war. Dieser neue Auftrag beschränkte sich darauf, daß ihm die Verpflichtung auferlegt wurde, die Compositionen in ausgeführten Zeichnungen zu liefern, während anderen Händen nicht nur die Uebertragung in die Farbe, sondern auch die Ausführung der Cartons überlassen blieb. Dagegen wurde eine völlige Unterbrechung seiner Thätigkeit in den Nibelungensälen dadurch herbeigeführt, daß ihn der König zu Anfang des Jahres 1835 mit der Aufgabe betraute, drei große Säle im Festsaalbau der Residenz mit Darstellungen aus der Geschichte Karl’s des Großen, Friedrich Barbarossa’s und Rudolf’s von Habsburg auszumalen. Die durch Uebertragung dieser Aufgabe veranlaßte mehrjährige Unterbrechung war auch insofern von eingreifender Wirkung, als sie in einem Zeitpunkte eintrat, wo S. im zweiten Nibelungensaale mit einem ihm selbst fühlbar gewordenen Mißerfolge gearbeitet hatte. Eigenhändige Aufzeichnungen aus dem Jahre 1839 geben hierüber Aufschluß. Veranlaßt durch den Tadel einiger Kunstgenossen, die seinen Darstellungen eine weichliche und sentimentale Richtung vorwarfen, hatte er sich verleiten lassen, im zweiten Saale bei Ausführung der Bilder von einigen der früher ausgearbeiteten Cartons abzugehen und nach bloßen, flüchtig verbesserten Umrissen zu malen. Hatte er dabei schon über dem Streben, die Auffassung und Composition zu heben, die Lust am Malen und das Auge für die Farbe verloren, so kam noch dies hinzu, daß er zur selben Zeit eine in ihren nachtheiligen Eigenschaften noch unbekannte weiße Farbe zum ersten Male angewendet hatte und, um zu einem vorläufigen Abschluß zu gelangen, seine Arbeit bis tief in die für das Frescomalen ungünstige winterliche Jahreszeit hatte fortsetzen müssen. Statt nun die mißlungenen Bilder aus der Wand sofort herausschlagen und erneuern zu können, mußte er sie verlassen, wie sie waren, und zu anderer, seine ganze Kraft in Anspruch nehmender Arbeit übergehen.

Bald waren die ersten Cartons zu den Kaisersälen aufgezeichnet: „Der Einzug Friedrich Barbarossa’s in Mailand“ und „Die Schlacht Rudolf’s von Habsburg gegen Ottokar von Böhmen“. Durchschnittlich genügte eine Zeit von zwei Monaten, obschon S. keine Figur ohne Actstudium ausführte, zur Vollendung eines jeden der sechzehn großen Cartons, aus denen der gesammte Cyklus sich zusammensetzte. Die Ausführung der Wandgemälde geschah nicht in Fresco, sondern mit enkaustischen Farben nach dem neu erfundenen Fernbachschen Verfahren und begann im Juli 1837 mit einem Kinderfriese im Saale Rudolf’s von Habsburg, zu dem erst kurz vorher Schwind nach Angaben Schnorr’s die Compositionen entworfen und die Cartons gezeichnet hatte, weil der Raum dieses Frieses in einem als Grundlage für den Arbeitsplan benutzten, von dem Architekten Klenze aufgestellten Verzeichnisse sämmtlicher zur Bemalung bestimmter Wandflächen gefehlt hatte und daher anfänglich S. ganz unbekannt geblieben war. Die Dauer der gesammten Arbeit war in einem im März 1835 abgeschlossenen Vertrage auf sechs Jahre berechnet worden. Mehrere tüchtige Künstler, von denen Gustav Jäger wohl der tüchtigste war, nächst ihm Friedrich Gießmann und August Palme namhaft gemacht zu werden verdienen, wirkten bei der Ausführung in Farbe als Gehülfen mit. Als zu Anfang des Jahres 1842 das [187] Ziel der Vollendung immerhin noch weit entfernt lag, wurde vom Könige als Termin für die Beendigung der Herbst desselben Jahres festgesetzt, weil er die Hochzeit des Kronprinzen in den neuen Festräumen feiern und bei dieser Gelegenheit dieselben einweihen wollte. Nach gewaltigen Anstrengungen gelang es, der gestellten Forderung zu genügen.

Im April des nächstfolgenden Jahres konnte S. zu seiner Arbeit in den Nibelungensälen zurückkehren, mit der er inzwischen nur durch seine Mitwirkung bei Herstellung einer 1843 erschienenen illustrirten Ausgabe des Nibelungenliedes in Zusammenhang geblieben war. Schon nach wenigen Jahren hemmten Hindernisse neuer Art den Fortgang des Werkes. Bereits im Mai 1845 war an S. eine Berufung an die Dresdner Akademie ergangen. Er hatte den Ruf abgelehnt, jedoch bei Gelegenheit einer an den König Ludwig erstatteten schriftlichen Meldung über diese seine Ablehnung den Eindruck erhalten, daß der König nichts zu thun gesonnen sei, um ihn durch Entgegenkommen von seiner Seite seinem Münchener Wirkungskreise zu erhalten. Wirklich blieben bestimmte Wünsche, denen S. Ausdruck gab, als ihm im März 1846 nochmals eine Professur an der Dresdener Akademie und diesmal zugleich die Stelle des Directors der dortigen Gemäldegallerie angetragen wurde, unerfüllt. Er nahm daher nunmehr den Dresdener Ruf an und siedelte im Herbst 1846 mit seiner Familie nach Dresden über, um hier sein Leben zu beschließen. Die Fortführung der Malereien in den Nibelungensälen war in der Weise geplant, daß er zu diesem Zwecke bis zur Vollendung alljährlich für die Dauer einiger Monate nach München zurückkehren sollte. Aber dies geschah nur zweimal. Während er im Herbste des Jahres 1848 in dem letzten der großen Nibelungensäle an dem Gemälde „Kampf an der Treppe“ beschäftigt war, unterbrach eine plötzlich eintretende Erblindung eines Auges für geraume Zeit jede weitere Thätigkeit. Fremde Hände (außer Gustav Jäger, der ein Gemälde übernahm, Xaver Barth) mußten die noch fehlenden Darstellungen hinzufügen, ohne daß es ihm in der langen Zeit, die darüber verging, nochmöglich geworden wäre, bei der Ausführung seiner Entwürfe selbst mitzuwirken.

Eine Reise nach London, welche er im J. 1851 infolge einer Einladung Bunsen’s unternahm, brachte im Verkehr mit diesem seinem römischen Freunde den Entschluß zur Reife, dasjenige künstlerische Unternehmen zu beginnen, welches ihn bis zum Jahre 1862 beschäftigte und vielleicht das wichtigste Stück seiner Lebensarbeit geworden ist. Die ersten Entwürfe dieses Werkes: der „Bibel in Bildern“ reichen bis in seine Jugendjahre zurück. Schon 1819 hatte er mit Passavant, Amsler, Karl Barth und Joh. Friedrich Böhmer den Plan einer als deutsches Nationalwerk gedachten Bilderbibel erwogen; gemeinsame Componirübungen, zu denen er sich mit einigen befreundeten Künstlern verband, hatten schon in der römischen Zeit die Entstehung einer Reihe von Compositionen biblischer Gegenstände veranlaßt; in den Jahren 1843 bis 1846 hatte er sich alsdann bei einer im Cotta’schen Verlag erscheinenden Bilderbibel als Mitarbeiter betheiligt. Jetzt war in seinen Lebensverhältnissen eine Wendung eingetreten, die ihm gestattete, die Jahre gereifter Künstlerschaft ganz der Verwirklichung eines lang gehegten Lieblingsplanes, einem aus eigener Wahl unternommenen, seinem innersten Wesen zusagenden, der höchsten Anstrengung würdigen, aber ohne technische Schwierigkeiten ausführbaren Werke zu widmen. Unter der Mitwirkung ausgezeichneter Vertreter der Holzschneidekunst kamen die 240 Blätter, aus denen das Bibelwerk bestehen sollte, zu Stande, und in glücklichster Weise erfüllten sich die Hoffnungen, denen ein demselben beigefügtes Begleitwort des Künstlers, das er überschrieb: „Betrachtungen über den Beruf und die Mittel der bildenden Künste, Antheil zu nehmen an der Erziehung und Bildung des Menschen“, Ausdruck gab: Die Bibel in Bildern fand in vielen Tausenden von Exemplaren Eigang [188] in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes, und wie sie bis heute in Schule und Haus die Stellung einnimmt, für die ihr Meister sie bestimmt hat, so kann als die übereinstimmende Meinung berufener Beurtheiler angesehen werden, daß namentlich einzelne Blätter des Werkes, besonders seines alttestamentlichen Theiles, zum Besten gehören, was die moderne Kunst hervorgebracht hat.

Eine Folge weniger, aber um so umfangreichem Arbeiten bezeichnet die Abschnitte in Schnorr’s Künstlerlaufbahn. Von kleineren Arbeiten, die zwischeninne zur Ausführung kamen, sind einige bereits erwähnt worden, andere hier kurz anzuführen: aus der Münchener Zeit die Oelbilder „Der Dichter des Nibelungenliedes“, „Barbarossa’s Tod“, „Der barmherzige Samariter“, „Christus erscheint dem Petrus“; aus der Dresdener Zeit ein Entwurf zu einem Altarbilde für die katholische Capelle in Dresden-Neustadt und Zeichnungen zum malerischen Schmuck einiger von der k. Porzellanmanufactur in Meißen hergestellter Majolikavasen. Die beiden Aemter, welche S. übernahm, als er nach Dresden übersiedelte, und unverändert (wie zur Berichtigung der häufig begegnenden irrigen Angabe bemerkt sein möge, daß er an der Dresdener Akademie außer einer Professur auch das Amt eines Directors, ein Amt, das es in Wahrheit zu seiner Zeit gar nicht gegeben hat, versehen habe) beibehielt, bis er im J. 1871 in den Ruhestand trat, nahmen seine Thätigkeit zeitweilig auf das stärkste in Anspruch und brachten für ihn unter anderem eine so weitaussehende Aufgabe wie die 1855 erfolgte Ueberführung der Gemäldegallerie in das neuerbaute Semper’sche Museum mit sich. Trotzdem setzte sich die Reihe seiner künstlerischen Schöpfungen auch noch nach der 1862 vollendeten Bilderbibel fort. Für das Maximilianeum in München (noch einmal war ihm aus der bairischen Hauptstadt ein fürstlicher Auftrag zu theil geworden) malte er das Oelbild „Luther auf dem Reichstage in Worms“; für die Paulskirche in London entwarf er die Compositionen zu sechs Glasfenstern, und in der Zeit zwischen 1864 und 1867 beschäftigte ihn eine neue Bearbeitung der oben erwähnten illustrirten Ausgabe des Nibelungenliedes, eine Bearbeitung, aus welcher die Neureuther’schen Blätter wegblieben und für die ein Namensvetter, der Stuttgarter Zeichner Julius Schnorr, Ornamente und Initialen lieferte. Endlich erlahmte die rastlos thätige, fleißige Hand. Die letzte Arbeit: ein Oelbild, worin S. eine schon vor Jahren entstandene Composition zu dem Liede „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“ im Großen ausführte, kam nur noch insoweit zur Vollendung, als es die vom Alter gebrochene Kraft seines Körpers gestattete.

Als der Tod dem langen und arbeitsreichen Leben, über dessen Geschichte hier zu berichten einem Sohne des Künstlers als Aufgabe zugefallen ist, ein Ziel setzte, rief er ihn von einem abgeschlossenen, die Ausführung aller seiner Entwürfe, die volle Entwicklung seiner künstlerischen Gaben in sich begreifenden Tagewerke ab. Wollte der Unterzeichnete den Versuch machen, die Grenzen und Eigenthümlichkeiten dieser Gaben, das Charakteristische in Schnorr’s Kunstleistungen kritisch zu bestimmen, wäre es auch nur um dabei solche ihm bekannt gewordene Urtheile zu berichtigen, welche auf nachweisbar falschen thatsächlichen Voraussetzungen beruhen, so wäre aus naheliegenden Gründen ein solcher Versuch für ihn unstatthaft und für den Leser ohne rechten Werth, davon ganz abgesehen, daß die Bestrebungen, welche S. und seine Gesinnungsgenossen verfolgten, allzusehr in die Gegenwart hineinragen, um ein abschließendes geschichtliches Urtheil über ihr Verhältniß zu vorausgegangenen und nachfolgenden Richtungen in der deutschen Kunst zu ermöglichen. Der Unterzeichnete glaubt seiner Aufgabe genügt zu haben, wenn er künftige Beurtheiler der künstlerischen Thätigkeit Schnorr’s schließlich nur noch auf dessen zahlreiche, in dem Besitz der Kunstsammlungen zu Dresden, Leipzig, Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe und Basel vorhandene [189] Arbeiten, sowie darauf hinweist, daß der Künstler wiederholt auch mit den Mitteln des Wortes die Grundsätze erläutert und vertheidigt hat, die für seine Auffassung der Kunst die Richtschnur waren. Aus seiner Jugendzeit liegen Aeußerungen über Angelegenheiten der Kunst in einer gedruckten Sammlung seiner Briefe aus Italien vor; aus seinen späteren Lebensjahren sind außer dem Vorwort zur „Bibel in Bildern“ ein Gutachten über die im Herbst 1843 zu München ausgestellten Gemälde von Gallait und Biefve (abgedruckt in den Grenzboten 1885 III, 352 ff.), einige Festreden (H. Riegel, Vorträge und Aufsätze, S. 284 ff., Grenzboten 1882 I, 655 ff.), ein Aufsatz über Kaulbach’s Darstellungen der neueren Kunstgeschichte (Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nr. 298 vom 24. October 1852) und Bemerkungen über die Verbindung für historische Kunst in Deutschland (Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nr. 55 vom 24. Februar 1863) zu nennen.

Conversations-Lexikon, Neue Folge II, Abth. 2, Leipzig 1826, S. 61 (hier sind Angaben von Schnorr’s Vater benutzt). – Nagler, Künstler-Lexikon XV, 404 ff. – „Bemerkungen zu der in Nr. 171 der Illustrirten Zeitung gegebenen Beschreibung meines Lebens“ und „Kurzer Bericht über mein Leben“ (eigenhändige Aufzeichnungen Schnorr’s aus dem Juli 1847 und October 1855). – G. W. Geyser, Leipziger Künstler-Album Heft 1, Leipzig 1858, S. 10 bis 12. – Max Jordan, Aus Julius Schnorr’s Lehr- und Wanderjahren, in der Zeitschrift für bildende Kunst II, 1–12 und 285–298. – Hermann Riegel, Kunstgeschichtliche Vorträge und Aufsätze, Braunschweig 1877, S. 210 ff. – Vierte Ausstellung in der k. Nationalgallerie zu Berlin. Werke von Julius Schnorr von Carolsfeld. Berlin 1878. – Katalog zur Kunstausstellung enthaltend Werke von Julius Schnorr von Carolsfeld veranstaltet durch Ernst Arnold. Dresden 1878. – Veit Valentin, Cornelius, Overbeck, Schnorr u. s. w., in Dohme’s Kunst und Künstlern, Lieferung 21–23. – Eine Lebensskizze des Malers Julius Veit Hans Schnorr von Carolsfeld. Vortrag gehalten zu München am 10. November 1885 von Carl Veit Hans Schnorr v. Carolsfeld (als Handschrift gedruckt). – Briefe aus Italien von Julius Schnorr von Carolsfeld, geschrieben in den Jahren 1817–1827. Gotha 1886.