Zum Inhalt springen

ADB:Schmieder, Heinrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schmieder, Heinrich“ von August Wächtler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 115–124, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmieder,_Heinrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 12:28 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schmieden, Elise
Nächster>>>
Schmitson, Teutwart
Band 54 (1908), S. 115–124 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Heinrich Eduard Schmieder in der Wikipedia
Heinrich Eduard Schmieder in Wikidata
GND-Nummer 116794992
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|54|115|124|Schmieder, Heinrich|August Wächtler|ADB:Schmieder, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116794992}}    

Schmieder: Heinrich Eduard Sch., geboren zu Pforta bei Naumburg a. Saale am 17. Februar 1794, † am 11. August 1893 als Director des Predigerseminars, D. theol., Oberconsistorialrath zu Wittenberg. In Pforta war sein Vater Johann Christoph Cölestin Schmieder, Sohn des Predigers zu Zadel bei Meißen, der von 1772–1778 als Zögling in Schulpforta gewesen, seit 1789 zuerst Diakonus und Classenordinarius, seit 1792 Pastor und geistlicher Inspektor. Der Vater starb schon am 21. December 1799, ehe Heinrich 6 Jahre alt war. Die Mutter, Ernestine geborene Langenberg, war die Tochter des Accisinspectors zu Oppurg, Chrn. Heinr. Langenberg, der bald nach ihrer Vermählung (20. April 1790) in ihr Haus gezogen war und hier fast an demselben Tage wie ihr Gatte, 22. December 1799, starb. Außer ihrem Sohn Heinrich hatte die Mutter zwei Töchter, Emilie (1796) die spätere [116] Gattin von K. I. Nitzsch (1818) und Marianne (1799) nach dem Tode des Vaters zu versorgen. Während sie selbst nach dem nahen Naumburg zog, fand Heinrich schon bald in Pforta, in der Familie des Rentmeisters Herbst, Aufnahme bis er zu Ostern 1805 Alumnus der Schulanstalt wurde. Durch die Erziehung im Elternhause war in dem Knaben schon früh reges inneres Leben mit einem feinen Sinn für Wahrheit und Wahrnehmung geweckt worden, das er trotz allerlei Anfechtungen und Schwankungen zu pflegen suchte und behauptete. Wenn er am Abend bisweilen träumerisch im Winkel saß, und man seiner Schläfrigkeit spottete, sagte die verständnißvolle Frau Rentmeister: „Laßt nur, Heinrich schläft nicht, er denkt!“ Innerlicher und gesammelter als andere seines Alters war er Manchem im Lernen voraus, und wurde durch sein zartes Gewissen vor jugendlichen Verirrungen bewahrt, während er sich selbst um der Zwiespältigkeit in seiner sittlichen Natur willen, anklagt. Er erkannte schon früh, daß „die Fülle und Ganzheit der Hingebung“, die im Bekenntniß der Kirche gebilligt wurde, nirgends zu sehen war, und daß es als Schwärmerei angesehen würde, solche zu fordern. In den letzten Schuljahren glaubte er, für das Studium der Poesie, der Geschichte und Philosophie bestimmt zu sein, weil er „den strengen Forderungen der Gottseligkeit“ sich zu entziehen geneigt war, und weil es ihm an der Gabe der Darstellung wie an schaffender Kraft fehlte. Die politischen Vorgänge des Jahres 1806, die er in nächster Nähe mit erlebte, bestärkten ihn in vaterländischer Gesinnung. Die in Pforta geübte Verehrung Klopstock’s, die namentlich der von ihm hochgeschätzte Professor Lange begünstigte, die freudige Huldigung vor Schiller, dem „König der Jünglingsherzen“, und eine frühzeitige Bekanntschaft mit Goethe’s Werken förderten die geistige Bildung auch neben den altclassischen Studien und der Einführung in die Philosophie, die in Pforta von jeher heimisch waren. Zu jung, um schon zur Universität entlassen werden zu können, blieb er nach dem Abgang der Classengenossen im J. 1810 noch ein Jahr auf der Schule als Primus Portensis und hatte als solcher bei manchen Gelegenheiten die Honneurs zu machen. Das Urtheil, das er fünfzig Jahre später in seinen „Erinnerungen“ über die Schule, die damals gewiß in bemerkenswerther Blüthe stand, aussprach, ist zugleich ein Urtheil über das Zeitalter, das sich in Pforta spiegelte: „Es fehlte der Schule die Weihe der christlichen Erkenntniß, die Pietät aber, welche in mehreren Lehrern und auch in vielen Schülern lebte, war eine Pietät dunkler Gefühle, die sich weniger auf Gott und Christum, als auf die Mutter Pforta, auf große Genien, auf das menschlich Edle bezogen.“

Die Ahnung, daß er zum Theologen geboren, war ihm durch den Rector Ilgen zum Bewußtsein gebracht, der ihm einmal das Neue Testament von Griesbach zur Prämie bestimmte. Als Universität hatte er sich Leipzig ausgesucht und dies vor Wittenberg bevorzugt, wo er vorher die in Pforta gewonnenen Beziehungen zu Heubner und zur Familie Nitzsch befestigt hatte, weil er nicht durch irgendwelche Verhältnisse gebunden sein wollte und in einer größeren Stadt einen weiteren Ausblick in die Welt zu bekommen hoffte. Hier ließ er sich als Theologen immatriculiren, hörte Philosophie bei Krug und Amadeus Wendt, Exegese bei Beck, Kirchengeschichte bei Tzschirner, Dogmatik bei Keil und Tittmann, ohne Befriedigung zu finden. „Ich suchte den lebendigen Gott, und die Philosophie und Theologie meiner Professoren hatte mir ihn nicht gegeben, vielmehr erst recht fern gerückt.“ So ging er seinen eigenen Weg; philosophirte und theologisirte mit einem älteren Schulfreunde, Heinrich Kind, der Jurist war und Rechtsanwalt wurde, und fand durch ihn den Mann, der sein eigentlicher akademischer Lehrer wurde, ohne Professor zu [117] sein, den Privatgelehrten Adolf Wagner. Durch diesen wurde er nicht nur in die speculativen Probleme hineingeführt, sondern bekam auch Gelegenheit, die Quintessenz der Leipziger akademischen, theatralischen und musikalischen Bildung zu genießen, wurde dabei aber zu planloser Wißbegier gereizt. Durch denselben Freund wurde er auch mit Johannes Falk bekannt und mit E. T. A. Hoffmann, der damals als Orchesterdirigent sich in Leipzig aufhielt, aber auch mit Arnold Kanne, für dessen indische Mythologie Wagner die Correctur besorgte. Die Einführung in die speculative Mystik der Philosophie half ihm zur Freiheit von dem poetisch-sentimentalen Humanismus, und als er zum Besuch nach Pforta kam, fühlte man dort, wie er selbst, daß er ein anderer geworden. Unterdessen gingen die Weltbegebenheiten ihren Gang. Als das Wintersemester 1813 endigte, begann Preußens Erhebung, und die kriegerischen Vorgänge in Sachsen erlebte er auf dem Schlosse Hubertusburg, wo die Mutter nun ihren Wohnsitz genommen hatte. Acht Tage nach der Schlacht bei Leipzig kehrte er dorthin zurück und weil er dem Vaterlande mit Blut und Leben zu dienen wünschte, hätte er sich für das Corps „freiwilliger Sachsen“ angemeldet, wenn nicht Ad. Wagner ihm abgerathen, während H. Kind sich schon bereit erklärt hatte, eine Summe zur Equipirung zu vermitteln. So blieb er in Leipzig und benutzte das letzte Studienjahr zur Vorbereitung auf das Examen, das er im Herbst 1814 vor Ammon in Dresden bestand: „ich erhielt die gewöhnliche, die dritte Censur mit dem Bewußtsein nichts Besseres verdient zu haben.“ Zu Neujahr 1815 ging er als Hauslehrer zu Herrn v. Miltitz auf Siebeneichen. Hier wurde er in eine neue Welt eingeführt und mit manchen interessanten Persönlichkeiten bekannt gemacht. Er sehnte sich aber nach einem Ort, wo er einen „wahren entschiedenen Christen“ finden könnte, und wandte sich an Heubner und K. I. Nitzsch, ob diese nicht eine Hauslehrerstelle in Wittenberg für ihn wüßten. Eine solche wurde ihm für den 1. Januar 1817 zugesagt, und nach einigen Wochen fleißigen Studiums im Hause der Mutter, machte er sich nach Wittenberg auf und wurde hier sogleich als Erstling des künftigen Predigerseminars in Aussicht genommen, das zum Jubelfest der Reformation feierlich eingeweiht werden sollte. Von dem nahen Umgang mit Heubner und K. I. Nitzsch weiß er viel zu rühmen, und es ist ein diese wie ihn selbst treffend charakterisirendes Urtheil, wenn er schreibt: „Bei Nitzsch fand ich das, was ich selbst hatte, nur in höherem Grade und mit mehr Einsicht verbunden; bei Heubner suchte ich das, was mir mangelte.“ Auch in der Gemeinschaft mit den übrigen 24 Candidaten, die ihn in weitere Studien hineinführte, ging der Strom seines inneren Leben in eigenster Weise fort, auf eine neue Zeit gerichtet, die eine Wiedergeburt der Menschheit bringen würde. Während er dabei seinen eigenen Wirkungskreis sich in einer Landpfarre und später als den eines Missionars unter den Indianern vorstellte, wurde er durch die Berufung zum ersten evangelischen Gesandtschaftsprediger in Rom vor eine willkommene praktische Aufgabe gestellt. Er war sofort entschlossen, aber die Verhandlungen zogen sich noch lange hin; seine schon lange bestandene Verlobung mit Auguste Meurer, einer Tochter des Justizamtmannes in Hubertusburg, die nun veröffentlicht wurde, ließ ihn dringend wünschen, sich verheirathen zu dürfen, während man in Berlin einen unverheiratheten Gesandtschaftsprediger, wenigstens für die ersten 4 bis 5 Jahre wünschte. Endlich wurde die Sache so geordnet, daß Sch. sich vor seiner Abreise nach Rom sollte verheirathen dürfen, aber seine Frau in Deutschland zurücklassen, und der Minister v. Altenstein bewilligte für diese ein besonderes Gehalt von 200 Thalern jährlich, während das Gehalt des Gesandtschaftspredigers 800 Thaler betrug. Nach drei Jahren sollte er dann auf eine Anstellung [118] in Deutschland rechnen dürfen. Am 28. März 1819[WS 1] fand die Ordination in der Schloßkirche in Wittenberg statt, am 13. April folgte die Trauung in der Kirche zu Oelsnitz, dem Pfarrorte von Voigtsberg, wohin der Schwiegervater versetzt worden war, und am 19. Mai brach er nach Rom auf. Die Reise ging erst im Postwagen, dann von München aus mit einem italienischen Vetturin durch Thüringen, Franken, Baiern und Tyrol über den Brenner und bot mancherlei Gelegenheit zu interessanten Bekanntschaften, wie G. H. v. Schubert und Prediger Kraft in Erlangen, Joh. Tob. Kießling in Nürnberg, Ministerialrath v. Roth und J. B. Goßner in München, brachte ihm aber auch die erste Anschauung katholischen Kirchen- und Volkslebens. In Florenz fing er an die Kunstschätze Italiens unter sachkundiger Führung kennen zu lernen, von denen er noch blutwenig oder nichts wußte. Am. 22. Juni langte der junge Gesandtschaftsprediger mit klopfendem Herzen in Rom an.

Die denkwürdigen Anfänge der evangelischen Gemeinde in Rom lassen sich leider hier nicht schildern. In seiner Antritts- und in seiner Abschiedspredigt (16. November 1823) konnte schon Sch. der kleinen Gemeinde bezeugen, daß sie der Augapfel der evangelischen Kirche sei. Es ist wahrhaft erbaulich, wie diese Anfänge so geräuschlos und doch aus dem tiefsten Bewußtsein um ihre Bedeutung vollzogen wurden. Am Sonntag nach seiner Ankunft, 27. Juni, hielt er bereits den ersten Gottesdienst; über 60 Personen aus allen Ständen waren zusammengekommen, zum Gesang hatten sich einige von den Künstlern vereinigt, darunter Jul. Schnorr, Olivier u. A.; der damalige Gesandte, B. G. Niebuhr, der eigentliche Stifter der Gemeinde, überließ vier Jahre lang ein geräumiges Zimmer seines Gesandtschaftshotels, Palast Orsini, für den Gottesdienst, der erst kurz vor seinem Abgang in die Capelle des Palastes Cafarelli verlegt wurde. Er hatte schon bei einer Anwesenheit des damaligen Kronprinzen in Rom die Sache mit dem frommen Adjutanten v. Roeder besprochen und namentlich aus Anlaß des Uebertritts evangelischer Künstler und des Grafen v. Jugenheim darauf hingewiesen, wie nothwendig die Bildung eines evangelischen Gemeindeverbandes in Rom sei, der den zerstreuten Gliedern der vaterländischen Kirche einen Sammelpunkt gewährte, auch auf die leichte Ausführbarkeit durch den Anschluß an die Gesandtschaft. Der Gesandte hat ja die Freiheit, in seinem Hause alles, auch seine Religionsübung so einzurichten, als ob er in seiner Heimath lebte, und es war auch im damaligen Rom nicht einmal nöthig, dem päpstlichen Hofe davon Anzeige zu machen. Der nunmehrige Anfang und die Persönlichkeit des Predigers gereichten ihm zu höchster Befriedigung. In einem Privatbrief an den Geh. Rath Nikolovius in Berlin, der diese Angelegenheit bearbeitete, spricht er sich (am 3. Juli 1819) darüber in bemerkenswerther Weise aus: „Unser evangelischer Gottessdienst hat seinen Anfang glücklich und recht in Gottes Namen genommen. Der 27. Juni ist nun ein merkwürdiger Tag in der Kirchengeschichte. Denn was bisher hier in Rom von protestantischem Gottesdienst gewesen, war nichts Kräftiges. Der unsrige wird gedeihen; das ist unter einem so vortrefflichen Geistlichen ganz gewiß. Ich habe wohl immer gewußt, wie der erste sein müsse, der in unseren Tagen einer Kirche aufhelfen und ihr neues Leben geben sollte, aber ich hatte keinen solchen gesehen, ehe wir Schmieder kennen lernten. Ich kann Ihnen nicht aussprechen, wie wir ihn alle lieben und verehren. Verdruß wird es nicht setzen; ich habe den Papst (Pius VII.) gesprochen nach dem ersten Sonntag, wo er gewiß von allem unterrichtet war, und er war freundlich wie immer.“ An seine Schwägerin und Freundin Hensler spricht er sich ebenso warm darüber aus: „In der vorletzten [119] Woche ist unser Prediger gekommen. Eine nicht geringe Erwartung wird selten so übertroffen. Er hat Geist, tüchtige Kenntnisse; seine Physiognomie ist höchst glücklich, sein Ausdruck im Gespräch und Betragen äußerst liebenswürdig. Einfachheit und Anspruchslosigkeit erhöhen das Anziehende seiner Eigenschaften. Ich bin gewiß, daß er von allem tief und ganz überzeugt ist, was er als Geistlicher bekennt: er ist rechtgläubig, ohne Polemik zu zeigen, eben weil er darin die einfach sichere Wahrheit sieht und auf ihre Kraft baut.“ (Lebensnachrichten über Barth. Georg Niebuhr, Hamburg 1839, II. Bd., S. 406 ff.) Ein anderer nicht minder beachtenswerther Zeuge ist Ch. K. Jos. v. Bunsen, der damals auf dem Wege nach Indien in Rom geblieben und Legationsrath geworden war, auch kurz vor Schmieder’s Ankunft sich verheirathet hatte. Er schreibt an seine Schwester (am 24. Juli 1819): „Der evangelische Caplan ist ein wahrer Engel des Friedens (Schmieder heißt er) und ist wirklich einer der ausgezeichnetsten Menschen; er ist so alt wie ich, und obgleich unter Unglauben und Freigeisterei aufgewachsen, ein so rechter evangelisch gläubiger Christ, als wenn er von St. Augustinus und Luther erzogen wäre. Manche sind verwundert, hier in Rom einen wahrhaft christlichen Glauben predigen zu hören, den sie zu Haus nie oder selten gehört haben. Daher kommt es auch, daß ihn manche nicht aufgeklärt genug finden. Andere halten ihn wohl im Herzen für einen Schwärmer geradezu, denn anstatt moralischer Betrachtungen und sentimentaler Ausrufungen über die Schönheit der Tugend und die Güte des menschlichen Herzens predigt er vielmehr immer von Buße und Bekehrung, Sünde und Schuld, Unfähigkeit des eigenen menschlichen Willens zur Wiedergeburt zu gelangen, und also Nothwendigkeit des Glaubens an Christus. – Es hat etwas Anziehendes, hier in Rom, mitten unter prunkhaften Ceremonien und todten Gebräuchen und von Gold und edlen Steinen prangenden Kirchen, sich eine kleine Zahl von Christen um das reine ungemischte Evangelium in der Stille eines einzelnen Hauses im einfach eingerichteten Betsaale versammeln und mit dem Gebete des Herrn und frommen Liedern und Psalmen den Herrn loben und an der Hörung seines göttlichen Wortes sich erbauen zu sehen. Noch ganz besonders lieb ist es mir, daß meine Frau (diese war Engländerin) auf diese Weise mit der deutschen Theologie und Kirche bekannt wird, denn wie die Sachen im allgemeinen stehen, fürchtete ich mich vor dieser Bekanntschaft. Wären aber alle Prediger wie Sch. und alle kirchlichen Einrichtungen so lebendig und wahrhaftig christlich, so würde die deutsche evangelische Kirche die erste in der Welt sein.“ Im October desselben Jahres äußert er sich in einem weiteren Briefe an die Schwester: „Die Bußpredigten wollen den Leuten durchaus nicht behagen. Wir leben in einer sehr schlaffen Zeit, und doch werden so große Dinge von ihr gefordert.“ (Bunsen geschildert von seiner Wittwe. Deutsche Ausgabe etc. von Fr. Nippo1d, Leipzig 1868, I. Bd., S. 167 ff.)

Die herzliche Theilnahme Niebuhr’s für den jungen Prediger zeigte sich auch in der freundlichen Fürsorge, die er dessen persönlichen Angelegenheiten widmete; er nahm ihn für die ersten Monate in sein Haus und an seinen Tisch, aber setzte es auch durch, daß Schmieder’s Frau nachkommen durfte, indem er Nikolovius zu bestimmen wußte, daß die 200 Thaler, die man für sie besonders ausgesetzt hatte, nun zum Einkommen des Gatten geschlagen wurden. Denn die Befürchtung, daß ein verheiratheter Prediger mit dem Gehalte von 800 Thalern in Rom nicht würde auskommen können, war der einzige Grund, warum man einen unverheiratheten gewünscht hatte. Schon am 19. October traf Frau Schmieder in Rom ein und fand die Familienwohnung, die sie bis zum Fortgang von Rom bewohnten, völlig ausgestattet. [120] Niebuhr hatte dies heimlich zu seinem Vergnügen, wie er sagte, auf eigene Kosten besorgt. Während der ganzen Zeit von Niebuhr’s Aufenthalt in Rom (bis Ende März 1823) ist das nahe Verhältniß zwischen ihm und Sch. dasselbe geblieben, auch als dessen Frau später einige Wochen auf dem Lande zubringen mußte, führte ihn dies wieder als Tischgenossen in die Familie des Gesandten. Ebenso hat das Verhältniß zu Bunsen an Tiefe und Innigkeit nur gewonnen, und mit ihm ist Sch. auch später noch in naher Verbindung geblieben. Außer diesen Beiden haben sich auch Andere enger an den Prediger und die Gemeinde angeschlossen, so daß sich aus dem Kreise der Diplomaten und der Künstler ein fester Stamm bildete. Die Italiener oder Römer wußten nicht recht, was sie aus diesem sonderbaren Gesandtschaftsattaché machen sollten, aber bei seiner Vorsicht und Zurückhaltung blieb er vor Nachstellungen und Verfolgungen bewahrt. Auch außer den Gottesdiensten ließ er sich die Pflege der Gemeinde angelegen sein; wöchentliche Bibelstunden für alle, die theilnehmen wollten, Besprechung der Bibel und der ersten 21 Artikel der augsburgischen Confession in kleineren Kreisen, daneben regelmäßige Hausbesuche bei gesunden und kranken Gliedern der durch die Stadt zerstreuten Gemeinde nahmen Zeit und Kraft vollauf in Anspruch. Diese Besuche pflegte er in den Stunden von 11–2 Uhr zu machen, in denen er bei der Sommerhitze ohnehin nicht zu anderer Arbeit aufgelegt war. Die Freunde weissagten ihm für diese Unvorsichtigkeit gefährliche Fieberanfälle, aber er fand es auch hier bewährt, daß der Widerstand, den der Körper durch Anstrengung leistet, die beste Abhärtung gegen derartige böse Einflüße ist. Auch Bunsen muß seine vielbewunderte Gesundheit „nächst Gott der ihm durch Sch. erhaltenen Belehrung“ zuschreiben. Sodann machte er auf Anregung Niebuhr’s und mit Hilfe des Freiherrn vom Stein, der mit seinen Töchtern in Rom zum Besuch war, den Anfang zu dem deutschen Hospital, das später durch Bunsen weiter ausgestattet wurde. Auch eine Gemeindeverfassung begann schon er auszuarbeiten, ohne Ahnung davon, was für Kämpfe einst um die Verfassung der evangelischen Gemeinde in Rom würden geführt werden.

Im November 1823 kehrte er nach Deutschland zurück und trat im Februar 1824 das Amt eines Professors und Predigers an der heimathlichen Schulpforta an. Seine theologische Stellung hatte ihm Angriffe von Gegnern zugezogen, „die ihm das Vertrauen des Publicums und der Behörden zu entziehen suchten, um ihn aus dem von Gott ihm angewiesenen Amte zu entfernen“. Erst zu Michaelis 1828 wurde er zum Pastor und geistlichen Inspector ernannt. Jene Angriffe veranlaßten ihn, einen Band von Predigten herauszugeben unter dem Titel: Zeugniß von Christo (Hamburg 1829). Er wollte damit namentlich den Eltern, die ihre Söhne der Landesschule anvertrauten oder anvertrauen wollten, ein Mittel in die Hand geben, um selbst zu sehen, was für ein Unterricht diesen in Pforta bevorstehe, und sich ein eigenes von fremden Elementen unabhängiges Urtheil zu bilden. Diese Predigten sind dem Minister v. Altenstein und dem Geh. Rath Niebuhr gewidmet und enthalten auch etliche von den in Rom gehaltenen Predigten. Während der Arbeit in Pforta, wo er von seinen ehemaligen Lehrern auch den von ihm so hochverehrten Professor Lange und viele Freunde wiederfand, hat er auch eine weitere schriftstellerische Thätigkeit entfaltet. Schon im J. 1826 gab er eine gelehrte exegetische Abhandlung heraus: Nova interpretatio Loci Paulini, Gal. 3. 19, 20, die vielbehandelte crux interpretum, nachher aber eine Reihe von Schriften, die theils von dem Religionsunterricht handelten, theils als Lehrbücher für diesen bestimmt waren und zum Theil längere Zeit als solche gedient haben: 1833 die christliche Religionslehre, ein Versuch, 2. Aufl. 1838, [121] 1835: Einleitung in die kirchliche Symbolik, 2. Aufl. 1845, 1836: Einleitung in die h. Schrift, 3. Aufl. 1858, 1837: Präliminarien zu einer gründlichen Rechtfertigung der biblischen Geschichte. Aber seines Bleibens in diesem Doppelamte sollte nicht für immer sein, sondern wie er in Pforta an die Stätte seiner eigenen Erziehung als Lehrer zurückgekehrt war, so wurde er auch an die andere ihm so werthe Stätte seiner weiteren Ausbildung berufen.

Das Predigerseminar in Wittenberg hatte die erste Generation seiner Lehrer bis auf Heubner, der seit 1832 Superintendent war, verloren. K. L. Nitzsch und J. Fr. Schleusner waren schon 1831 gestorben, und an die Stelle von Karl Imm. Nitzsch, der nach kurzer Amtsthätigkeit als Propst in Kemberg schon seit 1822 in Bonn wirkte, war erst K. Schöne und dann 1828 Rich. Rothe als Professor getreten, der vorher Schmieder’s Nachfolger in Rom, ungefähr ebenso lange wie dieser gewesen und nun im J. 1837 dem ersten Rufe nach Heidelberg gefolgt war. An seine Stelle wurde Sch. ein Jahr später berufen und übernahm das neue Amt mit Beginn des Jahres 1839. Noch von Pforta aus, gab er seiner Freude über diese Berufung in einem Briefe an sämmtliche Mitglieder des Predigerseminars Ausdruck: „Liebe führt mich zu Euch, und ich komme in dem Vertrauen, Liebe bei Euch zu finden“, so schrieb er und fügte hinzu: „Die Wahrheit fordert, daß frei die Mittheilung sei, frei auch die Gegensätze sich aussprechen, damit nicht der Sauerteig der Unlauterkeit, dieses schlimmste Gift der Seelen, irgend eine Stätte bei uns finde. Aber die Liebe kann Alles, was aus der Wahrheit kommt, ertragen, auch die Wahrhaftigkeit des Irrenden, der seine Meinung offen bekennt und ehrlich vertritt. Die Liebe urtheilt, aber sie richtet nicht; sie will bessern und sie bessert; sie gewinnt durch Ueberzeugung den irrenden Bruder. In diesem Sinne denke ich habt ihr bisher untereinander gelebt: in diesem Sinne will ich unter Gottes Beistand mit euch leben.“ Im Namen der Seminargemeinschaft antwortete der damalige 1. Ordinat, F. L. Steinmeyer, dankte für den Gruß der Liebe, der allen so wohl gethan, und versicherte: „Ein Herz wollen wir ihnen entgegenbringen, empfänglich für Ihre Unterweisung und für Ihre Ermahnungen; ein Herz voll inniger Liebe zu Ihnen, ein Herz voll unbedingten Vertrauens gegen Sie; ja das Versprechen legen wir vor Ihnen ab: was an uns ist, das soll geschehen, daß Sie Ihr Amt mit Freuden treiben und nicht mit Seufzen.“

Am 10. Januar 1839 zog er in die Wohnung des Directors im Vorderhause des Luthergebäudes ein, umgeben von einer Schar von Kindern und in dem Alter, in dem ein Mann wohl denken kann beim Antritt eines neuen Amtes, daß er die letzte Station seines Lebensweges erreicht habe. Ein anderes Amt hat er auch nicht erhalten, wenn auch das Diakonat an der Stadtkirche, das damals ihm noch übertragen war, später fortfiel, und er nach Heubner’s Tode im J. 1853 erster Director wurde, 1844 zum D. theol. ernannt, später den Titel Consistorialrath und bei seinem 60jährigen Dienstjubiläum den Titel eines Oberconsistorialraths erhielt. Aber wer hätte geahnt, daß der Mann, der nach 20jähriger Dienstzeit in das Amt eintrat, dieses nun noch 45 Jahre, bis zum Anfang des Jahres 1884 verwalten würde. Einen der Mitarbeiter am Seminar nach dem andern hat er hingehen sehen. Außer Heubner, dem ersten Director († 1853) fand er K. H. E. Lommatzsch als dritten vor (in den Ruhestand getreten 1867, † 1882). Nach Heubner’s Tod wurde er selbst erster Director, während F. I. Sander von Elberfeld zum zweiten Director und Superintendenten berufen wurde; diesem folgte 1860 K. A. Schapper, der 1867 eine andere Superintendentur übernahm, während K. O. B. Romberg, Superintendent in Wolgast, an seine Stelle berufen wurde († 1877), ihm [122] folgte G. Chr. Rietschel im J. 1878, (1885 Professor in Leipzig) und in die Stelle des dritten Directors, die mehrere Jahre lang unbesetzt blieb, wurde 1876 Aug. Dorner berufen. Aber auch eine Generation von Candidaten nach der anderen hat er kommen und gehen sehen, und Väter und Söhne haben seine Unterweisung genossen.

Hier hatte er den Platz gefunden, an dem er seine natürlichen Gaben, wie seine theologische Bildung und seine ganze Persönlichkeit, wie sie sich durch Lebensführung und Erfahrung gestaltet hatte, aufs Beste verwerthen konnte. Jene Worte, mit denen er schon von Pforta aus die Mitglieder des Seminars begrüßt hatte, sind die Grundsätze seiner Wirksamkeit geblieben, wie ihm alle bezeugen werden, die den Vorzug gehabt haben, unter seiner Leitung zu stehen. Seine amtlichen Aufgaben waren die regelmäßigen Vorlesungen über die Geschichte des kirchlichen Lebens und der Predigt, die Leitung der Pastoralstunde und der theologischen Besprechung und die Hausandachten, die er wöchentlich dreimal am Morgen und zweimal am Abend zu halten hatte. Daneben hatte er abwechselnd mit dem zweiten Director die Predigten und die Predigtentwürfe der Candidaten zu beurtheilen und zu besprechen, und ebenso die katechetischen Uebungen zu leiten. In Vacanzzeiten hat er auch noch andere Aufgaben, namentlich die gelehrte Exegese und die Leitung der Disputationen übernommen. Jene Vorlesungen über die Geschichte des kirchlichen Lebens und der Predigt brachten eine Stofffülle seltenster Art, und es ist zu bedauern, daß diese mit feinstem Verständniß und außerordentlicher Sachkunde in jahrzehntelanger Bemühung gesammelten Materialien nicht veröffentlicht worden sind. In den Besprechungen und Disputationen erwies er sich trotz seines streng kirchlichen Standpunkts ebenso weitherzig wie milde in der Beurtheilung ihm entgegengesetzter Ausführungen, und es war nicht nach seinem Wunsche, wenn die Aufsichtsbehörde diese oder jene in den Berichten erwähnte These, die von einem Candidaten zur Besprechung gestellt war, als ungeeignet bemängelte. Es war hierbei wie bei der Beurtheilung der Entwürfe und der Predigten auch nicht seine Weise, einen unmittelbaren Angriff zu machen, sondern er wußte durch freundlich veranlaßte weitere Aussprache und ausführlichere Begründung seitens des behauptenden Candidaten diesen zu überführen und zur Einschränkung oder Zurücknahme zu bewegen. So leicht es ihm seine Beherrschung aller homiletischen Technik gemacht haben würde, auch den gewagtesten Entwurf in eine normale Verfassung zu bringen, zog er es doch vor durch leichte aber treffende Anmerkungen die selbständige Arbeit anzuregen und den Verfasser anzuleiten, die Fehler in Uebertreibungen oder Außerachtlassungen selber zu finden und zu verbessern. Ein Feind alles schematischen Systematisirens wußte er doch die grundlegenden Forderungen der Homiletik so geltend zu machen, daß Einheit, wie Mannichfaltigkeit zu ihrem Rechte kamen, und daß Jeder das zu leisten befähigt wurde, was er vermochte. Die Milde seiner Beurtheilung ermuthigte auch die Schwachen und brachte die Selbstbewußten zur Erkenntniß, während angenommene Art und Nachahmung ihr gegenüber ebenso schnell verschwanden, wie Redensarten und hohles Pathos. Sein feiner Takt aber wies alles Ungehörige und Werthlose unnachsichtig ab, so daß Gedanken und Ausdruck in die Zucht genommen wurden, die jedem Prediger des Evangeliums geziemt. Unter den Hunderten von Predigern, die unter Schmieder’s Leitung gestanden, wird Keiner gewesen sein, der ihm in dieser Beziehung nicht viel zu danken gehabt hätte. Wenn auch in späteren Jahren sein ehrwürdiges Alter die jungen Prediger noch mehr empfänglich für seine erzieherische Thätigkeit gemacht haben mag, so ist seine geweihte und durchgeistigte Persönlichkeit in ihrer ebenso tiefen wie gehobenen Art stets von segensreichem Einfluß gewesen. [123] Dabei hatte er bis ins hohe Alter dieselbe eindringliche Beobachtung der Einzelnen, das liebevolle Verständniß für ihre Schwächen wie für ihre Vorzüge geübt, die das Vertrauen auch der verschlossenen Gemüther weckte und kaum je auf Widerstand stieß, vielmehr allen die Beachtung seiner Winke zur Gewissenssache machte. Am meisten aber bot er in den Andachten, in denen er Alle in die Tiefen des gemeinsamen Glaubens zu führen wußte, und die Reden an den Sonntagabenden pflegten Weihestunden zu bieten, denen sich niemand entziehen mochte. (Vergl. Abendandachten des evangelischen Predigerseminars in Wittenberg. Zehn geistliche Reden. Berlin 1860.)

So ist es ein reiches Arbeitsgebiet gewesen, das ihm zugewiesen war, wenn er auch in jener kleinen Schrift über das Greisenalter, die er seinem Freunde Tholuck zum goldenen Docentenjubiläum überreichte, wie scherzend darüber redet, daß ihm ein anderes Loos als diesem beschieden sei: „Auf den mit Epheu umrankten Trümmern der alten Herrlichkeit breche ich nur wenigen jüngeren Brüdern mein Brot.“ Daneben hat er fleißig mit der Feder gearbeitet. In dem bekannten Bibelwerk von O. v. Gerlach, das noch bis in die neuere Zeit vielfach benutzt wurde (6. Aufl. 1883), hat er die Propheten und die Apokryphen des A. Testaments ausgelegt (1851-1853). Eine Reihe von Vorträgen, die er im evangelischen Verein in Berlin gehalten, ist ebenfalls im Druck erschienen, und von den zahlreichen Mitarbeitern an Ferdin. Piper’s Kalender (1850-1870) ist er der regelmäßigste gewesen mit 25 Aufsätzen. In die Tagesfragen hat er selten eingegriffen, aber wenn es galt, seine Stimme mahnend und warnend kräftig erhoben; vor der außerordentlichen Generalsynode in der Schrift: „Der Geist der unirten evangelischen Kirche“, Leipzig 1845/46, gegen den Methodismus in einem auf der Berliner Pastoralconferenz gehaltenen Vortrag (Berlin 1861) und noch zuletzt, nachdem er längst aus dem Amte geschieden, im J. 1891 gegen Herrn v. Egidy (Evang. Kirchenzeitung, herausgegeben von Zöckler). In dem letztgenannten Blatte ist er zu Hengstenberg’s Zeiten ebenfalls regelmäßiger Mitarbeiter gewesen; zahlreicher kleinerer Schriften zu Luthertagen und zum Gedächtniß einzelner Persönlichkeiten nicht zu gedenken.

Schmieder’s theologische Stellung, im Vorhergehenden schon nach der einen und anderen Seite gekennzeichnet, war die des confessionellen Lutherthums. In diesem fand er die vollkommenste Ausprägung der evangelischen Wahrheit, und mit ernstem Eifer suchte er die darin beschlossenen Schätze zu erhalten und für die Kirche der Gegenwart fruchtbar zu machen. Jeder rationalisirenden Auflösung[WS 2] des Glaubensgeheimnisses ebenso abhold wie allen ästhetisirenden Verflüchtigungen hat er im Unterschiede von vielen seiner Zeitgenossen den innersten religiösen Gehalt der evangelischen Glaubenslehre, als eine wirkliche Lebensmacht mit Innigkeit ergriffen und als Mitstreiter in dem brennenden Kampf zwischen Licht und Finsterniß freudig zu behaupten gesucht. Das Studium der Mystik, das er schon in der Jugend aufgenommen, hat er sein Leben lang fortgesetzt. Obwohl er die Meinungen alter und neuer Mystiker mit voller Klarheit erkannte, glaubte er doch, durch theosophische Speculationen tiefer in die Geheimnisse des Glaubens eindringen zu können. In der schon erwähnten kleinen Schrift über das Greisenalter (1870) sagt er: „– – und suche in der Gotteserkenntniß heimisch zu werden, die vielleicht erst nach dreißig und mehr Jahren, und nicht durch mich, das Gemeingut künftiger Geschlechter werden wird.“ Spuren dieser Studien finden sich in einer Auslegung von Johannis 17 („Das hohepriesterliche Gebet unseres Herrn Jesu Christi“, Hamburg 1848) die er in begeisterter Freundschaft für J. H. Wichern der Agentur des Rauhen Hauses in Verlag gab. In seinem Nachlasse hat [124] sich nichts Zusammenhängendes hierüber gefunden, und wenn er auch die Irrwege von Jakob Böhme, der lediglich „seine lebhafte Empfindung, die von der geschaffenen Natur ausgeht, auf die Natur der Gottheit überträgt, vermieden und die Selbstbethätigung Gottes als des Geistes zu ergründen versucht hat, so scheint er damit doch nicht zu solcher Befriedigung gelangt zu sein, daß er mit eigenen Darlegungen hätte hervortreten mögen. Von seiner kirchlichen Stellung sagt er gelegentlich der Bekanntschaft mit dem Baron v. Kottwitz in Berlin: „So wurde denn auch meine Farbe und Partei im öffentlichen Leben die der Pietisten, aber freilich nur im allgemeinen Sinn, in dem mein ganzes Sein in dieser Zeitgestalt nicht aufging.“ Hierbei ist er sein Leben lang geblieben, und wenn darum das Predigerseminar unter seiner Leitung als Pietistenschule gelegentlich verschrieen wurde, so könnte das auch für dieses nur in jener Beschränkung oder Erweiterung gelten. Die Predigten von 1829 und sonstige Aeußerungen über die Aufgabe der Predigt lassen deutlich erkennen, wie er bemüht war, immer vom Mittelpunkt des christlichen Glaubens aus den Reichthum des Evangeliums nicht im Interesse correcter Kirchenlehre sondern nach dem religiösen Gehalt und Wirklichkeitswerth zu bezeugen. Und seine eigenen Predigten bieten dem Leser in überraschender Weise noch heute den Beweis, daß solches Zeugnis nicht veraltet und unabhängig bleibt von wechselnden Zeitströmungen.

Nachdem er im Alter von 90 Jahren seine Amtswohnung verlassen, hat er noch fast ein Jahrzehnt in Wittenberg im Ruhestande gelebt, bis zuletzt in bewundernswürdiger und beneidenswerther Frische. Mit dem Predigerseminar blieb er in steter Verbindung durch regen persönlichen Verkehr mit den Candidaten, die abwechselnd dem „Papa Schmieder“ gern vorlasen oder mit ihm Schach spielten. Aeltere „Brüder“, die ihn aufsuchten, fanden bei ihm lebendige Erinnerung an frühere Zeiten und lebhafte Theilnahme für ihr Ergehen nach der Seminarzeit; auch die schwachgewordenen Augen des Greises suchten noch in ihr Inneres zu dringen, und sein erhebendes und ermunterndes Wort wußte sie ins Herz zu treffen. Am 11. August 1893 hat er sein reichgesegnetes Leben beschlossen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Druckfehler in der Vorlage: 1879
  2. Druckfehler in der Vorlage: Anflösung