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ADB:Roëll, Hermann Alexander

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Artikel „Roëll, Hermann Alexander“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 41–42, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ro%C3%ABll,_Hermann_Alexander&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 17:25 Uhr UTC)
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Roëll: Hermann Alexander R., reformirter Theolog und Philosoph des 17./18. Jahrhunderts, einer der scharfsinnigsten, gelehrtesten und freiesten Denker seiner Zeit, ist geboren im J. 1653 (der Geburtstag ist unbekannt) auf dem Gute seines Vaters Dölberg in der Grafschaft Mark, unweit der Stadt Unna in Westfalen, † am 12. Juli 1718 zu Utrecht. – Er war der Sohn eines aus dem Elsaß abstammenden kurfürstlich brandenburgischen Reiterobersten und seiner Gattin Elisabeth geb. Brüggemann. Früh verwaist (sein Vater starb 1656, seine Mutter 1655), aber auch frühe schon für eine gelehrte Laufbahn entschieden, empfing er seinen ersten Unterricht auf den Schulen zu Hamm und Unna, und bezog dann, aus eignem Antrieb zum Studium der Theologie entschlossen, 1670 die Universität Utrecht, wo besonders Franz Burmann –, und Gröningen, wo besonders Jacob Alting ihn anzog. Durch die Kriegsunruhen aus den Niederlanden vertrieben, ging er zur Fortsetzung seiner Studien nach Bremen, Marburg, Heidelberg und Zürich, wo er besonders bei J. H. Heidegger und Suicer freundliche Aufnahme und Förderung fand. Nachdem er endlich zu Hamm bei dem Coccejaner W. Momma (s. A. D. B. XXII, 150) und in Leyden sein theologisches Studium abgeschlossen, wurde er 1677 zu einer Predigerstelle in Köln berufen, die er aber wegen einer 1½jährigen Krankheit nicht antreten konnte. Nach seiner Wiedergenesung wurde er Hofprediger bei der Pfalzgräfin Elisabeth, der Aebtissin von Herford, der Freundin von Cartesius und Coccejus (s. A. D. B. VI, 22 ff.). Nach ihrem schon 1680 erfolgten Tode privatisirte R. eine Zeit lang in Bremen, wo er an Theodor Undereyk und Cornelius Hase (s. A. D. B. X, 723) sich anschloß. Aber schon 1681 wurde er zum Hofprediger bei der Prinzessin Albertine von Oranien, Wittwe des Prinzen Wilhelm von Nassau-Oranien, 1682 zum Prediger in Deventer berufen, wo er zugleich als Lehrer der Theologie am Gymnasium die Schrift des Coccejus „De foedere et testamentis Dei“ zu behandeln hatte. 1685 folgte er, nachdem er früher einen Ruf an die Universität Gröningen abgelehnt, einem Rufe als ordentlicher Professor der Philosophie und Theologie nach Franeker, wo er dann auch gleichzeitig zum Dr. phil. und theol. promovirt wurde und mit Cornelia Bailli aus Amsterdam sich verheirathete. Aber gleich seine 1685 in Franeker gehaltene, 1686 und in wiederholten Auflagen lateinisch und holländisch veröffentlichte Inauguralrede „De religione rationali“, die in schwungvoller Rhetorik seine philosophischen und theologischen Anschauungen entwickelte, erregte großes Aufsehen und vielfachen Anstoß. Ebenso sehr Philosoph und Theolog, in der Philosophie Cartesianer, in der Theologie Coccejaner, findet er seine Lebensaufgabe darin, die Vereinbarkeit der Philosophie und Theologie nachzuweisen oder zu zeigen, quam bene conveniant et eadem sede morentur ph. et th. Eine Philosophie will er lehren, die nach der causa causarum forscht, und eine Theologie, die durch die Waffen der Vernunft gezwungen, in den Gehorsam des Glaubens sich begibt. Die Vernunft, die ja eine dem Menschen von Gott verliehene Gabe ist, hat das Recht und die Pflicht, die Göttlichkeit der Offenbarung zu prüfen; die Offenbarung aber kann nichts schlechthin Neues, nichts der Vernunft Widersprechendes bringen. Geradezu eine Gotteslästerung ist es aber, das Vernunftlicht, das doch von Gott selbst angezündet ist, der Lüge zu beschuldigen, und eine Injurie gegen das Christenthum ist es, zu behaupten, wer ein Christ werden wolle, müsse den Menschen ablegen und die Vernunft abschwören (hominem deponere et rationem ejurare debere). Diese Sätze über das Recht der Vernunft in Religionsangelegenheiten, wie sie R. selbst in seiner Inauguralrede und wie sie ein Schüler und Vetter von ihm, Gisbert Wessel, in einer 1686 erschienenen Schrift „De recta ratiocinatione“ aussprach, erregten vielfachen Anstoß und veranlaßten zahlreiche Gegenschriften gegen R. und die Roëllianer. [42] Noch mehr aber waren es zwei seiner dogmatischen Sondermeinungen, welche den Gegnern als ketzerisch erschienen und Gegenstand eines langandauernden Streites wurden: fürs Erste seine christologische Lehre von der Gottessohnschaft und Wesensgleichheit Christi mit dem Vater, in der die Einen die Ketzerei des Tritheismus, die Andern die des Sabellianismus sahen, und fürs Andere seine Behauptung, daß der zeitliche Tod auch für die gläubigen Christen als göttliche Strafe anzusehen sei, – ein Satz, in welchem die Gegner eine Beeinträchtigung des Erlösungswerkes Christi sahen. Zuerst war es in Franeker selbst sein theologischer College Campegius Vitringa, der mit ihm deshalb Streitschriften wechselte; dann betheiligten sich auch Auswärtige, besonders David Hugvenius, Professor in Duisburg, an den Verhandlungen. In Franeker wurde der Streit dadurch beendigt, daß beide Theile sich zum Stillschweigen verstanden, indem R. versprach, seine besonderen Lehren hinfort weder schriftlich noch mündlich weiter vorzutragen, wogegen auch den Gegnern auferlegt wurde, die Sache nicht weiter zu treiben. Auswärts aber ging jetzt der Lärm nur um so heftiger an, auch nachdem R. 1704 einem Ruf an die Universität Utrecht gefolgt war, wo er sein Amt antrat mit einer Rede de theologiae supranaturalis prae naturali praestantia. Es verging fast kein Jahr, wo nicht die eine oder andere Synode mit den Lehrmeinungen Roëll’s sich beschäftigte: von mehr als 20 Synoden wurden dieselben als irrig und höchst gefährlich verdammt und auch nach seinem Tode ruhte der Streit nicht, weshalb noch im J. 1724 die um ein Gutachten angegangene theologische Facultät in Leyden die gegen R. ergangenen kirchlichen Verdammungsurtheile in einer ausführlichen Schrift zusammenstellte unter dem Titel „Judicium ecclesiasticum, quo opiniones quaedam Roellii synodice damnatae sunt“, Ludg. Bat. 1724. Gegen diese Angriffe und Verdammungen suchte ihn sein Sohn Dionysius Alexander R. (Dr. theol. et phil., Professor der Philosophie, zuletzt Bürgermeister in Deventer) zu vertheidigen durch Herausgabe seiner bisher ungedruckten Erklärung des Heidelberger Catechismus (Utrecht 1728, 4°). Er selbst tröstete sich mit dem Bewußtsein, daß es ihm nicht um den Ruhm eines Neuerers zu thun gewesen, sondern einzig um die Wahrheit – laut seines Wahlspruchs: „Non ego sum veterum, non assecla. amice, novorum: Seu vetus est, verum diligo, sive novum.“

Näheres über sein Leben, seine Schriften und die dadurch veranlaßten Streitigkeiten geben Bibliotheca Bremensis Cl. II. fasc. 4 pag. 707 ff. – Vriemoet, Athenae Frisicae. pag. 656 ff. – Burmann, Trajectum eruditum, pag. 306 ff. – van Hoorn, Roellii lis de aeterna generatione filii Dei. Utrecht 1856. – Scholten, De leer de hervormde kerk 1851. I. 267 ff.; II, 454. – Bentham, Holländischer Kirchen- und Schulstaat II, 102. – J. G. Walch, Religionsstreitigkeiten außer der luth. Kirche III, 866 ff. – Schröckh, Kirchengesch. s. d. Ref. VIII, 708 ff. – Gaß, Gesch. der prot. Dogmatik II, 248. – G. Frank, Gesch. der prot. Theol. II, 260 ff. – Jöcher, Gel.-Lex. III, 2168 fg.