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ADB:Sander, Autor

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Artikel „Sander, Autor“ von Ferdinand Rahlwes in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 702–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sander,_Autor&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 09:48 Uhr UTC)
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Sander, Friedrich
Band 53 (1907), S. 702–704 (Quelle).
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Sander: Autor S., Rechtsgelehrter, Förderer der Reformation in Braunschweig und Hannover, geboren um 1500, † um 1540.

Die Quellen über sein Leben sind dürftig. Er ist in Braunschweig geboren, hat in Leipzig studirt, alten Nachrichten zufolge auch in Wittenberg. Wenigstens ist er den Wittenberger Führern persönlich bekannt und befreundet gewesen. Seine Grabschrift in der Nikolaikirche zu Hannover sagt uns, daß er 40 Jahre alt geworden ist.

1524 lernen wir ihn als Anhänger Luther’s kennen. In diesem Jahre fand in Braunschweig ein Minoritenconvent statt, der Heiligenanrufung und Messe vertheidigen sollte. S. gehörte zu denen, die hier in öffentlicher Disputation die Mönche in die Enge trieben. Die nächsten Jahre seines Lebens gehören völlig der Arbeit um Einführung des evangelischen Bekenntnisses.

Eine erste evangelische Bewegung in den Jahren 1521/22 war unterdrückt worden. In den norddeutschen Städten, die mehr als die süddeutschen ein aristokratisches Stadtregiment sich bewahrt hatten, haben die reformatorischen Regungen leicht einen demokratischen Zug bekommen. Manche Vorgänge im benachbarten Magdeburg mochten den Braunschweiger Rath warnen. In Braunschweig selbst hatten furchtbar blutige Scenen im Kampf der Bürgerschaft gegen die Geschlechter sich abgespielt. Zwei Mal haben während der Kämpfe um die kirchliche Neuerung zahlreiche Rathsglieder die Stadt verlassen, zweifellos in der Erinnerung an manche Vorgänger, die in Kämpfen mit der Bürgerschaft unter Henkershand geendet hatten. An unruhigen Elementen mag es unter der der kirchlichen Neuerung anhängenden Stadtbevölkerung nicht gefehlt haben. Es ist wesentlich das Verdienst des jugendlichen Autor S., wenn die kirchliche Umwälzung,wie ein Nachruf sagt, „sine caede et sanguine“ erfolgte.

S. hatte ermuthigend und fördernd hinter Heinrich Lampe, dem ersten und bedeutendsten der evangelisch gesinnten Prädicanten Braunschweigs gestanden. Er unterstützt ihn mit Büchern, fördert ihn in seinen Studien (Lampe besaß wie so manche evangelische Prädicanten dieser Zeit keine theologische Bildung), macht ihn vor allem näher mit Luther’s Schriften bekannt, die S. trotz des Verbotes des Raths in Braunschweig verbreitet. Anfang 1527 steht S. an der Spitze der Bürgerschaft in der Altewiekgemeinde, die von dem Rath dieses Weichbildes ein Einschreiten gegen „die Fabeln und Legenden“ in den Predigten, eine Verkündigung des „einfachen, reinen Wortes Gottes“ fordert. Von jetzt ist S. der erklärte „Worthalter“ der Bürgerschaft, er steht an der Spitze der „Verordneten“, die aus allen Weichbi1dern gewählt sind, mit dem Rath der Stadt der kirchlichen Frage wegen zu verhandeln. S. faßt die Forderungen der evangelisch Gesinnten in bestimmte Artikel zusammen. Ebenso ist er es, [703] der dem Rath die Bitte um Berufung einer bedeutenden Persönlichkeit ausspricht zur Ordnung der kirchlichen Verhältnisse. S. wird mit dem Stadtsecretär von dem Rath abgeordnet, um Magister Winkel für Braunschweig zu gewinnen. Der Rath läßt nun der Bewegung, die er nicht mehr dämmen kann, freien Lauf.

Wie schwer diese Jahre für S. waren, zeigt eine Unterredung zwischen ihm und Anton Corvinus, die dieser in seiner Erstlingsschrift wiedergibt. (Warhafftig bericht das das wort Gotts ohn tumult ohn schwermerey zu Gosler und Braunschweigk gepredigt wird.) Corvinus ist erstaunt, S. so stark verändert wiederzufinden. Vor 7 Jahren, als Corvinus sein Kloster verlassen mußte, sei S. „ein hübscher junger Knab“ gewesen, sehe jetzt aber aus, als käme er „aus dem Fegefeuer gekrochen“. S. gibt zur Antwort: „viele und große Sorgen machen graue Köpfe“. Der so Gealterte kann damals höchstens etwa 30 Jahre gewesen sein.

Dem Jahre 1528 entstammt die Schrift Sander’s „Underrichtung ym Rechten Christliken geloven unde levende an de Christen tho hildesem“. Nur wenige Exemplare der Schrift haben sich, wie es scheint, erhalten: in Göttingen und in der Kirchenbibliothek zu Calbe a. d. M.

Die Veranlassung der Schrift war ein Schreiben der Hildesheimer evangelisch Gesinnten an S. Sie haben seine Hülfe erbeten gegen die Streitschrift eines Hildesheimer Priesters namens Oldekop. Man darf ohne Zweifel annehmen, daß es sich hier um Joh. Oldekop, den Verfasser der berühmten Chronik, handelt, der im Jahre 1528 als Prediger in Hildesheim thätig war. Leider ist diese Streitschrift von Luther’s ehemaligem Beichtkinde, die nach den Proben bei S. zu urtheilen in Versen geschrieben war, wohl als verloren zu betrachten.

Sander’s Antwort stellt in schlichter, ungemein anziehender Weise die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben dar. Bemerkenswerth ist die Bibelkenntniß des Juristen. Geradezu mustergültig ist die Darlegung, was Glaube im evangelischen Sinne sei. Charakteristisch für S. ist am Schluß die energische Mahnung zum Gehorsam gegen die Obrigkeit, sie sei gut oder böse, und die Warnung, sich nicht auf die Zustimmung des „gemeinen Haufens“ zu verlassen, da sonst ein schlimmer Brand in Hildesheim entzündet werden möchte.

Für die nächsten Jahre entschwindet S. unserem Gesichtskreis, doch wird er auch diese Zeit in seiner Vaterstadt zugebracht haben. Erst 1533 hören wir wieder von ihm, als der Ruf der Stadt Hannover an ihn ergeht.

Bis zum Jahre 1532 hatte der Rath der Stadt Hannover alle reformatorischen Regungen mit Härte unterdrückt. Das neue Aufflammen der Bewegung seit diesem Jahre veranlaßt zugleich die Bürgerschaft größere politische Rechte vom Rathe zu fordern. Der Sieg der Reformation bedeutet dann den Zusammenbruch des patricischen Stadtregimentes. Der immer wachsenden Bewegung gegenüber hatte der Rath allmählich die Zügel aus der Hand verloren. Radicale Stimmen werden laut. „Herr Omnes“ fordert, der Rath solle bestimmte Artikel bewilligen oder diesen Tag sterben. „Junker Neidhardt“ läßt sich hören. Aus Gottes Wort wird gefolgert, daß keine Obrigkeit sein soll, man wollte alles Dinges Freiheit und alle Güter gemein haben. Niemand soll Schoß und Zins geben. Damals hing Hannover an einem seidenen Faden. So lesen wir in einem handschriftlichen Bericht des Mannes, der der erste evangelische Bürgermeister Hannovers wurde, des Anton Barkhausen. Den Mitgliedern des Rathes gelang es unter Vorwänden aus der Stadt zu fliehen und so ihr Leben in Sicherheit zu bringen. In dieser Noth wird Autor S. [704] als Syndikus der Stadt nach Hannover berufen. Ende 1533 traf er dort ein. Seine Thätigkeit vor allem hat geholfen Hannover das Schicksal Münsters zu ersparen, wo eben jetzt die Tage der Wiedertäufer begannen. Hannover verdankt S., so berichten einstimmig die Nachrufe, et pacem et ius.

Gern möchten wir Näheres von seiner Thätigkeit dort hören, allein die Quellen, die zahlreichen handschriftlichen Reformationsberichte auf dem Stadtarchiv zu Hannover, versagen völlig. Sie erzählen ausführlich bis zu diesem Zeitpunkt, allenfalls noch von der Aussöhnung mit dem entwichenen Rath und dem zürnenden Herzog, von Sander’s Thätigkeit nichts. Kein Wunder, der dramatisch bewegte Theil der Reformationsgeschichte Hannovers war mit dem Eintreffen Sander’s ja zu Ende.

Wie sehr S. persönlich und seine Thätigkeit in Hannover geschätzt wurde, zeigt ein herzlicher Brief Melanchthon’s an „seinen Freund Autor“, zeigen auch Briefe des ihm eng befreundeten Urbanus Rhegius. Als dieser den Entwurf einer Kirchenordnung für die Stadt Hannover einsendet, trägt er S. die nöthigen Aenderungen und Ergänzungen auf (1536). Im Frühjahr 1538 hat S. an dem Fürstentag zu Braunschweig theilgenommen. Hier war es wohl, wo der König von Dänemark ihn sah und ihn durch ein ehrenvolles Angebot für sich zu gewinnen suchte. Ende 1538 begegnet uns S. zum letzten Mal als Abgesandter auf dem Convent der sächsischen Städte zu Halberstadt. Nicht viel später muß er gestorben sein.

S. wird von Ranke, der ihn in der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation erwähnt, der „älteren litterarischen Richtung der Neuerung“ zugerechnet. Mit vollem Recht. S. ist durch und durch humanistisch gebildet, ein Freund der Bücher und der Gelehrsamkeit, die an ihm immer wieder gerühmt, auch von Melanchthon in seinem Brief besonders hervorgehoben wird. Die Reformation ist ihm Rückkehr zu den Quellen, eine Verkündigung Christi „ohne Zusatz menschlicher Träume und Glossen“. (Corvinus, Warhafftig bericht.) Er ist eine tief religiöse Natur, die den Kerngedanken Luther’s mit Begeisterung erfaßt hat und von hier aus in vornehmer Besonnenheit eine Erneuerung des kirchlichen und religiösen Lebens erstrebt. Alles in Allem: eine der anziehendsten Gestalten der Reformationsgeschichte.

Neofanius, Catalogus et historia concionatorum Brunsvicentium 1538 (einige poetische Nachrufe an S. sind angehängt). – Hamelmann, Secunda pars historiae ecclesiasticae renati evangelii per inferiorem Saxoniam et Westphaliam 1587.– Rethmeyer, Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie 1707. – Hessenmüller, Heinrich Lampe, der erste evangelische Prediger in der Stadt Braunschweig, 1852. – Bahrdt, Geschichte der Reformation der Stadt Hannover, 1891.