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ADB:Schechner-Waagen, Nanette

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Artikel „Schechner-Waagen, Nanette“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 654–661, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schechner-Waagen,_Nanette&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 03:31 Uhr UTC)
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Schechner: Nanette S.-Waagen, geboren 1806, † 29. (30?) April 1860 in München. Unter den großen in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts lebenden, die musikalische Welt mit dem Rufe glänzender und enthusiasmirender Leistungen erfüllenden Sängerinnen nimmt N. S. eine erste Stelle ein. München, Stuttgart, Karlsruhe, Wien, Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden haben ihrem Organe und ihrer Kunst mit schwärmerischer Begeisterung gehuldigt und ihr Triumphe bereitet, wie sie nur den bewundertsten und seltensten Bühnenerscheinungen wurden. Liest man die anerkennenden Berichte musikalischer Blätter dieser Periode, in welchen ihr vielfach vor allen ihren Colleginnen der Vorrang eingeräumt wird, dann muß man es wirklich aufs tiefste bedauern, daß die Leistungen ausübender Künstler so flüchtig sind und mit den Ausübenden auch auf immer verstummen. Ein klares Bild von dem Gesange einer Schechner, Mara, Schröder u. s. w. wird der, der über ihn nur lesen konnte, was auch die sachkundigste gleichzeitige Kritik darüber äußerte, nie erlangen können. So unbestritten nun aber auch die der S. gezollte allgemeine Anerkennung war, widersprechende Urtheile finden sich insofern, als nach einigen ihr leichte Höhe und perlende Coloratur versagt gewesen sein soll, während andere gerade wieder ihren Vortrag italienischer Partien als vollendet rühmen und ihren großen Stimmumfang von c bis e’’ bewundern. Sie mag allerdings vorzugsweise eine deutsche Sängerin gewesen sein. Ihre große, ergiebige Stimme von seltenem Wohllaute, ein seelenvolles Auge und edles, maßvolles Spiel befähigten sie, Partien ernster Gattung wie „Iphigenia in Tauris“, „Julie“ in der Vestalin, „Fidelio“, „Agathe“ im Freischütz, „Lady Macbeth“, „Gräfin“ im Figaro, „Donna Anna“ und „Domia Elvira“ im Don Juan, „Servilia“ und „Sextus“ im Titus, „Emmeline“ in der Schweizerfamilie, „Rezia“ im Oberon u. a. mit höchstem Erfolge auszuführen und jeden Vergleich mit berühmten Zeitgenossen, der Catalani, Malibran, Pasta, Unger, Schröder-Devrient u. s. w. siegreich zu bestehen. Doch hat sie, wie schon gesagt, auch Rollen wie „Amenaide“ (Tancred), „Desdemona“, „Arsace“ (Semiramis), „Isabella“ (L’inganno felice), „Ninetta“ (Diebische Elster), „Sofia“ (Sargino), „Anna“ (Weiße Dame), „Röschen“ (Schöne Müllerin), „Aennchen“ (Freischütz), „Fatime“ (Oberon) u. a. unvergleichlich gesungen. – Die S. entstammte, wie so viele in der Tonkunst später zu großem Ansehen gelangte Personen, einer armen (Münchner) Familie. Ersten Unterricht im Clavierspiel und Gesang erhielt sie von einem Schauspieler Namens Weber; dann dürfte sie der gestrengen Theaterchorsingmeisterin Mad. Dorothea Güthe übergeben worden und hierauf in das Chorpersonal der italienischen Oper eingetreten sein. Ihre großen Anlagen und ihre bewundernswürdige Stimme machten sich bald bemerklich, so daß sie der damalige Intendant der k. italienischen Hofoper, Baron v. Priuli, dem während seiner Amtsführung gegründeten Singinstitut, dem der berühmte Ferd. Orlandi († 1840) als Lehrer vorstand, zu weiterer Ausbildung übergab. Aufs glänzendste machten sich ihre Fähigkeiten zuerst bei folgender Gelegenheit bemerklich. Die berühmte und hochgefeierte Altistin Giuseppa Grassini (geboren zu Varese 1775, † zu Mailand [655] 1850), einst von Napoleon so sehr geschätzt und begünstigt, durch eine Singweise ausgezeichnet, die durch Auffassung und Ausdruck von edelster Schönheit und tiefergreifender Wirkung war, kam zu Anfang der 20er Jahre nach München und gastirte da in einer ihrer Glanzrollen, in der Oper „Horatier und Curiatier“ von Cimarosa. Aber unterm Theaterpersonale war zur Zeit niemand, der ihr die Partie des „Curiatio“ zu Danke hätte singen können. Nur N. S., die sie in der Singschule entdeckt, schien ihr würdig, neben ihr aufzutreten. Mit großem Zagen wagte die Schülerin neben solcher Meisterin und zwar in einer Rolle zu singen, in der kurz vorher die gefeierte Marianne Sessi-Natorp (1776 in Rom geboren, 1847 in Wien gestorben) außerordentlichen Beifall gehabt hatte. Hämische Neider, an denen es jungen, vielversprechenden Talenten ja nie zu mangeln pflegt, versuchten bei dieser Veranlassung nicht ohne Erfolg, im Publicum eine der Sängerin ungünstige Stimmung zu erwecken und es als Anmaßung hinzustellen, daß sie nach solcher Vorgängerin sich unterstehen wolle, in deren Partie aufzutreten. Der Vater Nanettens war im Vorsaale selbst Ohrenzeuge, wie einige grüne Gesellen und vorlaute kunstkritische Jünglinge sich verabredeten, solche Verwegenheit durch Zischen und Pochen zu bestrafen. Doch kaum waren die ersten Töne des wunderbaren Organs Nanettens gehört worden, als sich der künstlich geschürte Unwille sofort in allgemeines Staunen verkehrte. Obgleich vorerst nur unvollkommen ausgebildet, überstrahlte doch Schönheit und Fülle ihrer Stimme, Mittel und Können der bereits alternden Grassini derart, daß diese in Verwirrung gerieth und minder gut wie gewöhnlich gesang. Das Juwel war nun entdeckt und sofort fanden sich auch die nöthigen Mittel, das seltene Metall dieser Stimme ans Licht zu fördern und für die italienische Oper, die damals in München wie anderwärts eine bevorzugte Stellung einnahm, zu erziehen. Orlandi wandte ihr fortan besondere Aufmerksamkeit zu und unterrichtete sie im Solfeggio, während der treffliche Tenor und vorzügliche Lehrer, der Singmeister der königl. Prinzessinnen in München, Domenico Ronconi († 1839) sie im Vortrage unterwies, oder, wie man heute sagt, ihr Rollen einstudirte. Von jetzt an lesen wir öfter über ihre Leistungen als Concert- und Opernsängerin. Stets fanden dieselben verdiente Anerkennung; mit Güte und Schonung immer aufgenommen, sang sie mit steigendem Erfolg, wußte sie in jeder neuen Rolle neue Beweise ihres Fleißes und eifrigen Studiums zu geben. Als sie, wie einst mit der Grassini, 1825 mit der berühmten Mad. Henriette Clem. Méric-Lalande zusammen sang, glänzte sie auch neben dieser durch Auffassung und kräftigen Willen und erreichte überall Hochgelungenes. Bereits 1821 war sie bei der italienischen Oper für dritte Partien engagirt worden; im folgenden Jahre, 12. Juli, trat sie erstmalig als Servilia im „Titus“ auf und sang, 28. Juli, das Aennchen im Freischütz. Am 1. October wurde sie dann für die deutsche Oper gewonnen, verblieb aber zugleich im Verbande der italienischen. Nun begegnen wir auffallendem Schwanken in ihrem Engagement; seit 1. Juli 1824 gehörte sie wieder ganz der italienischen, seit 1. Juli 1825 ganz der deutschen Oper an. Mit großem Erfolge sang sie in diesem Jahre bereits den „Fidelio“. Nun machte sie auch ihre ersten Kunstreisen (nach Stuttgart und Karlsruhe), stets schwierigste Aufgaben mit Beifall und Glück, mit klangreicher Stimme und richtigem Vortrage lösend. Im Frühjahr d. J. 1826 erlebten die sie vergötternden Münchener erstmalig den Schmerz, sie verlieren zu müssen. Nachdem sie noch, was man ihr übrigens vielfach sehr übel deutete, in der Posse „die 7 Mädchen in Uniform“ von Angely gesungen hatte (ihre weibliche Eitelkeit mochte sich in der knappen, sie gut kleidenden Unterofficiersuniform gefallen), ging sie, 1. Mai, nach Wien. Kommen, sehen und siegen war hier für sie Eines. Alle Journale [656] bewunderten die herrliche, jugendliche, am Kunsthorizonte auftauchende Erscheinung; ihre frische, reine, kräftige Stimme zog jedermann an; ihr Vortrag fand lebhafteste, ungetheilte Bewunderung. Sie debutirte da „con furore“ als „Emmeline“ im Kärnthnerthortheater. Vollendeter hatte man diese Rolle dort nie gehört. Durch keinen willkürlicher Vorschlag verunzierte sie ihren Gesangspart. Ihre starke, glockenhelle, unendlich wohllautende Bruststimme erinnerte an die Frühlingstage der Milder. In der „Ninetta“ (diebische Elster), die sie dann sang, gab sie einen Beweis für ihre auf italienische Schulung gründende, glänzende Kunstausbildung. Neben Lablache errang sie die größten Triumphe. Ihres Bleibens in Wien, wo man sie gerne festgehalten hätte, war jedoch nicht lange. Vielleicht war sie dadurch verletzt, daß man sie zu häufig in untergeordneter Sphäre beschäftigte. In Berlin, wohin sie jetzt ging, wo man sie doch bisher kaum dem Namen nach kannte, erregten ihr schöner, metallreicher, zum Herzen dringender Sopran, ihr inniger, tiefempfundener Vortrag, ihr natürliches Spiel ebenfalls größte Sensation. Kaum hatte man dort je mit solch wahrem Ausdruck, so richtiger Auffassung der Charaktere, solchem Talent zur Darstellung singen gehört. N. S. war im Stande, Gluck’sche und Mozart’sche Opern, sowie französische und neuere italienische mit gleich brillantem Erfolge zu geben. Mit richtigster Declamation, Accentuirung und Betonung, verband sich bei ihr Leichtigkeit, Biegsamkeit, sieghafte Stärke und ein rührendes mezza voce. Ihre (wenn auch nicht schöne?) Gestalt verfügte über edle Bewegungen und treffliche Haltung. Feuer der Empfindung beseelte alle ihre Darstellungen. Doch vermißte man einen schönen Triller, und Coloraturen führte sie, wenn auch rund und leicht, doch immer nur in mäßiger Bewegung aus. Auch in Berlin debutirte sie als „Emmeline“ und zwar mit gleichem, wenn nicht noch größerem Erfolge als in Wien. Für einen Moment können wir jetzt das Wort an den s. Z. gefürchteten, aber sachkundigen und gründlichen Berichterstatter der Berl. Vossischen Zeitung, L. Rellstab, abtreten, der sich über die Darstellung der „Emmeline“ und anderer Rollen der S. also ausspricht: „29. Mai 1827. Den vorgestrigen Tag dürfen wir für die Kunst einen denkwürdigen nennen. Mit dem schönen Sinne, der jeder bedeutenden Künstlerin hier freudig entgegenkommt, wurde Dem. S. gleich bei ihrem Auftreten mit lebhaftem Beifalle empfangen. Ihre Leistungen zeigten, daß sie ihn verdiente. Gleich die ersten Töne ihrer herrlichen Glockenstimme erregten allgemeine Sensation und nie wol hat schon durch die Anfangstacte eine junge Sängerin solche Anerkennung beim Publicum gefunden. Vom b–c’’’ bleibt ihre Stimme an Fülle und Wohllaut sich gleich und man wird zweifelhaft, ob man die voll austönende Tiefe oder die herrlich reine Höhe mehr bewundern soll; damit aber verbindet sie eine viel mehr zu schätzende Vollkommenheit: tiefes Gefühl für das, was sie singt. Schon ihre Rollenwahl zeigte, daß sie sich der edelsten Gattung der Gesangskunst widmete. Obwol man erkennen konnte, daß eine nicht ganz zurückzuweisende Coloraturfertigkeit ihr nicht fremd ist, erschien es um so ehrenwerther, daß sie es verschmähte, durch unzeitiges Glänzen das Ganze des dargestellten Charakterbildes zu stören. Sie erwies sich auch als gute Schauspielerin, indem sie den Charakter ihrer Rollen richtig auffaßte und demselben einen gewissen Grad von Leidenschaftlichkeit zusetzte, der den Uebergang einer Mädchenliebe in stillen Wahnsinn erklärlich machte. Ihr verhaltener Schmerz, die Ausbrüche der fast zur Angst gesteigerten Leidenschaft, die gewaltsamen Anstrengungen zur Freude, alles traf das innerste Herz. Nie hat eine in so hohem Grade treffliche Leistung so allgemeinen Eindruck gemacht. Tiefste Stille herrschte während sie sang, jeder fürchtete, den kleinsten Laut zu verlieren. Bei ihrer Arie: „Ich bin ja so selig“, tönte die volle klare [657] Stimme, das ganze Haus mit Wohllaut füllend, so rein und schön heraus, daß allgemeines Entzücken in stürmischem Beifall sich kundgab. N. S. wußte durch diese Laute mitten in die weithallenden, von frischer Bergluft durchwehten Thäler der Schweiz zu versetzen, wo die Schalmeien der Hirten, von felsigen Höhen herabtönend, ähnliche Wirkung thun. – 2. Juni. Wie viel Interesse N. S. in der Rolle der „Agathe“ wachrief, ist schon daraus zu entnehmen, daß, bei Sommerszeit, das ganze Haus dicht gefüllt war. – 25. Juni. Freitags erlebten wir eine unvergeßliche Opernvorstellung. Frl. S. als „Fidelio“ erfüllte den höchsten Wunsch aller Freunde ihres außerordentlichen Talents, das als eine Himmelsgabe erscheint, wie sie kaum zweimal in einem Jahrhundert ertheilt werden mag. Was die herrliche Fülle der schönsten Stimme, die tiefste Seele des Gesangs ausdrücken und ein edel gehaltenes Spiel vermögen, wurde geleistet. Im ersten Act sang sie wie immer außerordentlich schön; ihr Organ, auch in mehrstimmigen Sätzen zu schönster Gesammtwirkung den anderen Stimmen sich anschmiegend, klang herrlich in den vielstimmigen Stücken, doch schien es, als hätten wir sie schon besser gehört. Das Adagio der großen Arie gab sie mit unübertrefflicher Wahrheit und Tiefe des Ausdruckes, das Allegro sehr gut, doch jene früher geübte hinreißende Gewalt fanden wir hier noch nicht. Das a mo11–Duett im 2. Act gelang nicht ganz. Aber von nun an entwickelte sich vor uns das erstaunenswürdigste Wunder der Kunstleistung, das wir je erlebt. Im Terzett drang der tiefste Ausdruck der Wehmuth mitten durch die Kraft, mit der sich die Heldin beherrscht, erschütternd durch. Die Worte: „Es ist ja doch um ihn gethan“, trafen das innerste Herz. Jetzt erscheint der Mörder. Heldenmüthiger Entschlossenheit einte sich jetzt Kraft der Verzweiflung. Wir finden keinen Ausdruck für die Gewalt, mit der hier die Darstellerin ihre unbeschreiblichen Mittel geltend machte. Wie Blitze schlugen ihre Töne in das verworrene Chaos der Stimmen dieses zu höchster Leidenschaftlichkeit gesteigerten Stückes. Nie haben wir Aehnliches gehört, nie aber auch ähnlichen Eindruck erlebt. Auf jeder Miene las man höchste Spannung mit größtem Enthusiasmus vereint. Und als nun vollends das Duett: „O namenlose Freude“! begann, riß der thränenvolle Jubel der Freude desselben jedes Herz hin und es brach am Schluß ein Beifallssturm los, der nicht enden wollte. Dies ist die Grenze, wo die Kritik schweigt, wo uns die Macht des Schönen so besiegt, daß alles Urtheil in großem erhebenden Gefühl aufgeht.“ – Am 29. Juni sang sie neben der berühmten Milder die Julia in der „Vestalin“. Nachdem Rellstab in warmen Worten der Ersteren Leistungen gewürdigt, fährt er fort: „Was aber sollen wir von der ausgezeichneten Künstlerin sagen, die ihr zur Seite stand? Hier, wo Jugend und Adel der Gestalt, Fülle, Gewalt und Reiz der Stimme sich mit einer Seele und Wahrheit des Ausdruckes paarte, wie sie vielleicht noch nie bei einer deutschen Sängerin verbunden angetroffen wurde? Die S. wurde nach dem 2. und 3. Acte (damals etwas ganz Unerhörtes!) gerufen. Uebrigens sagte ich hier viel zu wenig. Bei dem Rufe: „Er ist frei!“ erschütterte die Macht ihrer Stimme das Opernhaus so, daß die Karyatiden, die Trägerinnen der Logen, zu erbeben schienen. Dann folgte die donnernde Explosion der Begeisterung und ein Beifall, der uns heute (1848) wie Raserei klingen würde. Von solcher Wundergewalt der menschlichen Stimme, von solcher Wirkung auf die Hörer, hat Niemand eine Vorstellung, der Nanette nicht bis zum Jahre 1827 gehört.“ – „Am 16. September schloß die S. mit Iphigenia, in „Iphigenia auf Tauris“ die Reihe ihrer Gastrollen, aber so, wie vielleicht noch nie eine Sängerin, die in Berlins Mauern gesungen. Wie der Enthusiasmus, so wuchsen auch Kraft, Tiefe, Innigkeit und Herrschaft der Künstlerin über ihre Mittel. [658] In einen Sturm des Entzückens brach das überfüllte Haus am Schluß der ersten Arie aus, der zweite Act aber wurde zum höchsten Kunsttriumph der Sängerin. Erschütternder Jubel erschallte, und so oft sie abging, regnete es Blumen und Kränze, flatterten in zahlloser Menge Gedichte aus allen Logen auf sie herab.“ Nach der Vorstellung brachte man ihr eine Nachtmusik. „Es war ein großartiges Ereigniß, eine Art Volksfest. Die Volksmasse drängte sich in der Straße, in der ihr Gasthaus lag, daß sie völlig abgesperrt war: kein Apfel zur Erde konnte. Die Künstlerin mußte, vom Jubelruf gefordert, am Fenster erscheinen, die Zurufe wollten nicht enden. Zwei Stunden währte das glanzvolle Getümmel. Sturm der Begeisterung wogte durch aller Herzen! Gegen dreißig Kunstfreunde blieben noch durch die Nacht beisammen, jedes Glas galt der Unvergleichlichen. Welche Erinnerung! (Ueber die Gastspiele der S. siehe die vielfachen Berichte in L. Rellstab’s gesammelten Schriften XX.) Ruhmgekrönt kehrte N. S. nach München zurück. Hier hatte die Oper durch den allzufrühen Tod der hochbedeutenden Clara Metzger-Vespermann (geboren in Mannheim 1800, † 6. März 1827) unersetzlichen Verlust erlitten. Man bot alles auf, die S. für die Hofbühne wieder zu gewinnen und es gelang. Sie ward an Stelle der Vespermann im Juli lebenslänglich engagirt und trat in ihre einstige Stellung als Hofsängerin, als welche sie nun bis 1834 fortgeführt wird, aufs neue ein. Aber die goldenen Hoffnungen, welche man auf diese unverhofft günstige Wendung der Angelegenheit gebaut und die Freude, der man sich darüber hingegeben, sie wieder zu besitzen, sollten sich als sehr trügerische erweisen. Nachdem sie den Münchenern Gelegenheit gegeben, sie in der Rolle der „Elvira“ zu hören, in der sie ganz den Stolz und das Feuer einer Spanierin zu entwickeln gewußt, kehrte sie zu weiteren Gastspielen anfangs September nach Berlin zurück, wo man untröstlich war, sie s. Z. nicht festgehalten zu haben. Ende September besuchte Spontini München. Man beeilte sich, ihn einzuladen, seine „Vestalin“ selbst zu dirigiren und die bairische Hauptstadt sah jetzt dies einst hochgehaltene Werk in einer Musteraufführung, welche den damaligen Bühnenleitern viel zu denken gab, denn eine solche Vollendung in Auffassung, Darstellung und Ausstattung, solche Präcision, solches Feuer der Ausführung hatte man bisher überhaupt nicht, am wenigsten im gemüthlichen München für möglich gehalten. Herr Vespermann hatte sich beeilt, sich alsbald nach einer neuen Lebensgefährtin umzuthun und schon nach wenigen Monaten die Sängerin Sigl, nun Sigl-Vespermann, geheirathet, der übrigens auch keine lange Künstlerlaufbahn beschieden war, denn sie mußte gleichzeitig mit der S., deren ganze Rollenlast sie oft auf lange übernehmen mußte, quiescirt werden. Sie war es auch, die bei dieser Aufführung die Julia sang. Man wähnte in dieser Vorstellung schon Höchstes erreicht zu haben. Da kam die S. aus Berlin zurück. In München hatte man von ihren dortigen Erfolgen, gerade in dieser Rolle. vieles gehört; darf es überraschen, daß man nun in den Maestro drang, seine Oper (11. October) nochmals zu dirigiren, aber die Partie der „Vestalin“ nun von der S. singen zu lassen. „Ein Strom hellklingender Töne, wie Glockentöne durchwogte, als sie ihren Gesang begann, das Haus. Eine ernste, hohe, die Römerin verkündende Gestalt trat vor das Publicum. Uebung, Gewandtheit, sorgfältig ihr angebildete Vertrautheit mit der Rolle belebten ihre Darstellung.“ Nun erst, nach dieser unvergeßlichen Vorstellung, glaubte man den Zenith der Herrlichkeit in Wahrheit erreicht zu haben. – Leider konnte dieser Vorstellung nur noch die des „Fidelio“ mit der S. in der Titelrolle folgen. Bald darauf befiel sie eine langwierige Krankheit, die sie für Monate der Bühne entzog und ihrem Organe theilweise die unbedingt siegende Kraft, durch die es sich bisher ausgezeichnet hatte, verkümmerte. Indeß war ihm der ganze rührende Reiz geblieben, ja hatte sich vielleicht noch [659] erhöht, der ihm von je eigen war. Im folgenden Frühjahre, gleichsam in neuer Lebenskraft und jugendlicher Leistungsfähigkeit nach langem Siechthum wieder erstanden, gab sie mit größtem Erfolge die „Agathe“, „Fatime“, „Emmeline“, den „Kreuzritter“ und „Lady Macbeth“ und zwar diese schwere, mit barockem Gesange ausgestattete Rolle, sieghaft und nie ermüdend. Als bald darauf „Don Juan“ gegeben wurde, zeigte sie sich ganz auf dem Gipfel ihrer Kunst, sich selbst übertreffend und nichts zu wünschen übrig lassend. Schon wähnte man, daß ihre Gesundheit ganz gefestigt sei und man nun oft an der Macht ihres Gesanges sich würde erfreuen können; aber ihr Leiden äußerte sich nun als ein periodisch wiederkehrendes und überfiel sie tückisch immer gerade in solchen Momenten, wo es für sie galt, glänzend hervorzutreten. 1829 sang sie wieder in Berlin. Fand sie auch die einstige enthusiastische Aufnahme, als sie, 14. Juli, als „Emmeline“ auftrat, empfing sie auch stürmischer, nicht enden wo1lender Beifall und ein Regen von Begrüßungsgedichten, und sagt auch Rellstab, daß die Sorge, die Macht des Zufalls und der Zeit könne auf ein so kostbares Kleinod, wie das der Menschenstimme es ist, ungünstig eingewirkt haben, eine vergebliche gewesen sei, so zeiht er sich doch später selbst einer Unwahrheit. Die Stimme Nanette’s, das unvergleichliche Organ, war nicht mehr dieselbe. Es hatte noch Fülle, Wohllaut, Reiz, wie kein anderes, doch seine sonstige gewaltige Macht war gebrochen. Sie war auf ewig dahin. Wer sie jetzt hörte, hatte keinen Begriff, keine Ahnung von der mit nichts zu vergleichenden Tonfülle dieses ehemals phänomenalen Organs. Dennoch war es noch immer überaus herrlich, alle Rivalinnen überstrahlend. Nanette trat noch als „Iphigenia“ und „Fidelio“ auf, stets begeisterte Schilderungen ihrer Darstellung hervorrufend. – Mag der Tadel begründet sein, daß die S. nach vorausgegangener langwieriger Halskrankheit zu früh ihre öffentliche Thätigkeit wieder aufgenommen hatte und dadurch ihre Stimme und den großen Eindruck ihrer Leistungen geschädigt habe, nun trat ein verhängnißvolles leider unabwendbares Ereigniß ein, das auch so oft den Siegeslauf anderer Künstlerinnen unterbrochen hat, vor dem man jede bewahren und warnen möchte, gewänne in unseligen Momenten nicht das Weib über die Künstlerin, das Herz über den Beruf die Oberhand. Man weiß übrigens, wie unglücklich meist die Künstlerinnen wählen und wie selten ein würdiger Gatte ihnen zur Seite steht. Wir wollen damit in keiner Weise über denjenigen, der das beneidenswerthe Glück hatte, Nanette als Gattin heimzuzuführen, auch nur den leisesten Tadel aussprechen, aber mit den einst imponirenden Leistungen der Sängerin ging es nun rapid bergab. N. S. heirathete, 17. Octbr. 1831, einen Lithographen und Maler, Namens Waagen, und nannte sich fortan nun Schechner-Waagen. Bald klagte man in München, daß sie sich den Folgen dieses Schrittes unterwerfen und monatelangen Urlaub nehmen müsse. Eine zu frühe Entbindung vermehrte ihre nervöse Reizbarkeit, eine hartnäckige Grippe zehrte ihre Kräfte auf. Dennoch unternahm sie eine dritte Reise nach Berlin. Am 21. Juni 1833 trat sie hier wieder als „Iphigenia“ auf. Lange hatte man diese Oper nicht mehr gehört. Mit ängstlicher Spannung harrte man der Erscheinung der großen Sängerin. „Vorangegangene, zum Glück ungegründete Gerüchte vom Verlust ihres schönen Organs, wie die berechtigt an den möglichen Verlust solchen Kleinods geknüpften Besorgnisse, hatten alle Zuhörer erfüllt. Doch im Augenblicke, da sie aus dem Tempel trat, wurde nur die Erinnerung an unvergeßliche Genüsse in allen Anwesenden lebendig und stürmischer Beifall begrüßte ihre Wiederkehr. Früher ganz unbefangen sich ihrer Natur überlassend, ging sie allerdings jetzt mit großer Vorsicht zu Werke. Ihre Stimmorgane hatten schon in der Heimath eine angreifende Krankheit überstanden. Kaum in Berlin angekommen, ward sie aufs neue von einer Halskrankheit [660] ergriffen, die sie zu mehrwöchentlicher Ruhe zwang. Unter solchen Umständen kann auch das mächtigste Organ nur die, wenn man so sagen darf, blaßrothe Farbe der Genesung, statt voller, frischblühender Röthe auf den Wangen tragen. Im ersten Act schien die Künstlerin sich ihrer erst gewiß werden zu wollen. Innigstes Gefühl belebte Spiel und Gesang, doch webte sie sanft dämpfende Schleierhülle über ihre Kraft. Im zweiten wuchs ihre Leistung mit dem Gefühl der Sicherheit und führte sie auf den höchsten Gipfel in der Arie: „O laß mich Tiefgebeugte weinen“, die sie mit hinreißendem Schmelz des Ausdruckes und einer Stimmklarheit vortrug, die uns ganz die schönen Zeiten ihres ersten Erscheinens zurückrief. So hob sich die Darstellung fort und fort, bis sie bei den Worten: „O mein theurer Bruder“, jenen vollsten Reiz der Stimme und unnachahmlichen, aus Entzücken und Rührung gemischten Ausdruck erreichte, der einst so unwiderstehlich bewegte.“ Die trüben Wolken gehegter Befürchtungen begannen zu schwinden; alles hoffte dies schöne Gestirn in klarstem, mildestem Glanze am heiteren Kunsthimmel noch lange strahlen zu sehen. Mit größtem Erfolge sang sie am 26. Juni den „Fidelio“, dann die „Emmeline“, am 18. Juli die „Gräfin“ im „Figaro“, am 20. die „Rezia“; doch schien noch alles nicht bei ihr völlig geordnet. Manches sonst vortrefflich Gelingende versagte, die Stimme, etwas spröde geworden, gehorsamte nicht immer. Hohe Töne erreichte sie nur mit Anstrengung. Doch waren die Mitteltöne rund und klangvoll; Spiel, Rede und Gesang in so harmonischem Verein und jeder Rolle angemessen und tief empfunden, daß der Totaleindruck stets wirksam und nachhaltig blieb. Da ward der 23. Juli ihr zum schwersten Tage ihrer Laufbahn. Sie sang, um die angesetzte Vorstellung nicht zu stören, wiederholt die „Gräfin“ im „Figaro“, obwol sie sich wieder unwohl und heiser fühlte. Ihre Stimme wurde immer schwächer, zuletzt war sie kaum noch vernehmbar. Angst und Thränen der gequälten Künstlerin erstickten ihren Gesang und machten auch ihre Darstellung befangen. Diese Scharte wetzte sie jedoch glänzend wieder aus, als sie auf höheren Befehl (1. September) zu ihrer Abschiedsrolle nochmals die „Iphigenia“ wählte. Nach dem „Fidelio“, in dem sie im entscheidenden Moment die ganze Uebermacht ihrer Kraft aufgeboten hatte, so daß deren Gewalt wie leuchtende Blitze zerschmetternd einschlugen, und es schien, als habe ein höherer Geist sie ergriffen, mahnte sie Rellstab, sich so angreifenden Rollen bis zum Vollgewinne ehemaliger Kraft nur mit größter Vorsicht zu unterziehen. Nach der „Iphigenia“ geht er mit einem Gemisch künstlerischer Trauer und Freude an die Berichterstattung. Er ahnte, daß die edle Sängerin nicht mehr wiederkehren würde. Die Wundergabe dieser Stimme verblühte rasch. Noch war sie im Besitz des Kleinods, aber im unsicheren, hie und da wie ein Diamant im alten Glanze aufleuchtend, dann plötzlich erlöschend. Sie strahlte kurze Zeit. Das blendendste Meteor versank. „Eine größere Sängerin habe ich nie gekannt! Sie bleibt die herrlichste Künstlerin meiner Erinnerung.“ R. – Nach ihrer Rückkehr nach München, wo sie leidend ankam, sang sie noch einige Male. Am 27. October erkrankte sie schwer und verlor ihre Stimme. Am 1. December 1834 war sie pensionirt. Die Königin des Gesanges, deren Namen einst bewundernd alle Lippen gerufen, deren Mitwirkung in einer Oper allein hinreichte, dieselbe zu heben, starb nach 26 in Zurückgezogenheit verbrachten Jahren fast vergessen. Der neuen Generation war sie mit ihrem Abschied von der Bühne schon entschwunden. – Eine Schwester Nanettens, Karoline, war am Königsstädter Theater engagirt; als sie zum ersten Male in München in einem Concerte sang, wurde sie mit ungeheurem Beifall aufgenommen, schien sie zu großen Erwartungen zu berechtigen und erregte bei enthusiastischen Gesangsverehrern die Sehnsucht, ihr bald auf der Bühne huldigen zu können. Kunst und Einsicht [661] reichten sich, wie man überichwenglich sagte, bei ihr die Hand. Als sie aber bald darauf (1830) mit ihrer Schwester zugleich im „Titus“ auftrat (Vitellia), rieth man ihr doch wolmeinend, noch zwei Jahre zu warten, dann möge sie vielleicht solcher Aufgabe gewachsen sein. Auch Nanette entging bei dieser Gelegenheit dem Tadel nicht, da sie in dieser Vorstellung von ihrer schönen, allgemein geschätzten Gesangsweise abgegangen und sich in Coloraturen und Verzierungen verirrt hatte, die nicht von Wirkung waren. Karoline wird nach obiger kurzen Berliner Mittheilung nicht mehr genannt. Sie hat also wol die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt und dürfte bald von der Bühne wieder zurückgetreten sein.