ADB:Mara, Elisabeth

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Artikel „Mara, Gertrud“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 286–289, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mara,_Elisabeth&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:49 Uhr UTC)
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Mara: Gertrud Elisabeth M., geb. Schmeling, eine der ausgezeichnetsten deutschen Sängerinnen, geb. zu Cassel am 23. Febr. 1749, † am 8. Jan. 1833 zu Reval. Lange Zeit ist das Bild dieser ausgezeichneten Künstlerin getrübt gewesen durch die vielfach irrigen Angaben, welche Rochlitz in seiner Schrift „Für Freunde der Tonkunst“ über sie in die Welt geschickt und die selbst das Mendel’sche Musiklexikon noch nicht vermieden hat, obgleich es die wesentlichste Quelle zur Richtigstellung der Rochlitz’schen Unrichtigkeiten, die von O. v. Riesemann 1875 in der „Allgem. Musikalischen Zeitung“ publicirte Selbstbiographie der M. anerkennend citirt. Neuerdings ist durch A. Niggli eine alles Wesentliche verarbeitende Biographie der Künstlerin, als 30. Heft der Sammlung Musikalischer Vorträge (dritte Reihe S. 165–208) erschienen, der auch wir zumeist folgen werden. – Gertrud ward als das achte Kind des Raths- und Stadtmusikers Johann Schmeling geboren. Ihre früheste Jugend war trübe genug. Früh verlor sie die Mutter und von der Rhachitis befallen, sah sie sich auf das Zimmer angewiesen. In einem hohen Lehnstuhl verbrachte sie ihre Tage; da geschah, daß sie einst aus Langerweile eine Violine zur Hand nahm und in Unordnung brachte. Als Strafe dafür mußte sie das Instrument spielen lernen und erwarb sich schon in wenigen Stunden erfreuliche Kenntnisse. In Kassel machte das Aufsehen und erwarb ihr gütige Gönner, die ihr im Herbst 1755 eine Reise nach Frankfurt in Gemeinschaft mit ihrem Vater ermöglichten, wo sie ungemein bewundert wurde und Gelegenheit fand, ihre musikalischen Kenntnisse zu erweitern. Nachdem ihr auch die Benutzung des Bades ermöglicht worden, das ihre Krankheit vertrieb, ging sie in Begleitung ihres Vaters den Rhein hinab, bis nach Brabant und Flandern, spielte in Antwerpen, wo sie auch einige Gesangsstunden erhielt, Rotterdam, Haag, Leyden, Utrecht, Amsterdam, Harlem und wandte sich 1759 nach England. Ein im Verein mit andern musikalisch hoch begabten Kindern im Haymarkettheater zu London am 23. April 1760 gegebenes Concert verschaffte ihr auch hier vielen Beifall. In diese Zeit fällt der Beginn ihrer Laufbahn als Sängerin; hohe Kreise hatten sich daran gestoßen, daß ein Mädchen Violine spiele und gerathen, es zur Sängerin auszubilden. Schmeling ließ daher seiner Tochter zunächst Unterricht im Guitarrespiel bei dem Portugiesen Rodrigo geben und führte sie dann dem italienischen Gesangslehrer Paradisi zu. [287] Die hohen Forderungen des Italieners führten indessen bald den Verzicht auf seine Lectionen herbei und M. bemerkt ausdrücklich in ihrer Selbstbiographie, daß sie außer den etwa auf vier Wochen sich vertheilenden italienischen Unterricht, keinen mehr gehabt habe. 1760 verließ Schmeling mit seiner Tochter London und ging in die Provinzen, 1761 kam er nach Irland, 1763 abermals nach England und auf die Nachricht von dem Tode seiner zweiten Frau im folgenden Jahre nach London, von wo er nach der Heimath zurückkehren wollte, aber kurz vor der Abreise, wie schon einmal in Irland, in Schuldarrest genommen wurde. Gertrud machte sich nun allein auf, bestimmte ihren Gönner, Herrn de Brun in Harlem, den Vater zu erlösen und zog nach der Wiedervereinigung mit ihm durch Holland, den Rhein hinauf über Frankfurt nach ihrer Vaterstadt, wo sie im Frühjahr 1765 eintraf. Die Hoffnung ihrer enthusiasmirten Landsleute, sie an der kurfürstlichen Oper angestellt zu sehen, scheiterte an dem Urtheil des ersten Sängers Morelli, der dem Kurfürsten von ihr berichtete: „Ella canta come una tedesca“. Nach fleißig fortgesetzten Studien ging M. mit ihrem Vater im Frühjahr 1766 über Göttingen – wo das Publikum ihr zujubelte, Gotter sie besang – Hannover und Braunschweig nach Leipzig, und wurde hier kurz nach ihrer Ankunft im Spätherbst dieses Jahres als erste Concertsängerin mit dem hohen Gehalt von 600 Thalern engagirt. Zugleich mit ihr wirkte in dem Kleinparis die unvergeßliche Corona Schröter, freilich von der M. übertroffen, der auch Goethe „als ein erregbares Studentchen wüthend applaudirte“ und bereits damals (1768) nach der Aufführung der Hasse’schen Santa Elena al Calvario die Verse widmete:

Klarster Stimme, froh an Sinn –
Reinste Jugendgabe –
Zogst Du mit der Kaiserin
Nach dem heil’gen Grabe.

Dort, wo Alles wohl gelang,
Unter die Beglückten
Riß Dein herrschender Gesang
Mich, den Hochentzückten.

M. studirte mit außergewöhnlichem Fleiße und genoß neben dem Gesangs- auch Sprach-, Clavier-, Schreib- und Tanzunterricht. Sie sang jener Zeit Arien Hasse’s, Schwanberger’s, Graun’s, Benda’s, Jomelli’s und Pergolese’s, die der beiden erstgenannten mit besonderer Vorliebe. Auch in Hasse’schen Opern, die Hiller ohne Action aufführte, trat sie auf. 1767 erhielt sie von der zur Michaelismesse nach Leipzig gekommenen verwittweten Kurfürstin Maria Antonia, die selbst Componistin war, die Aufforderung, die Hauptrolle einer von ihr gesetzten Oper zu übernehmen. Bis dahin dem Theater ganz fremd, sah sie nicht ohne Sorge der Vorstellung entgegen. Doch die Kurfürstin nahm sich ihrer an, unterwies sie namentlich im Recitativ und die Künstlerin gesteht in ihrer Selbstbiographie zu, „das Recitativ habe ich ganz ihr zu danken“. Mit einer goldenen emaillirten Dose und 100 Ducaten beschenkt kehrte M. nach Leipzig zurück. Nachdem M. 1768 auch in Mecklenburg gesungen hatte, beschloß sie 1771 zu ihrer besseren Ausbildung nach Italien zu gehen. Sie gab am 24. März 1771 ihr Abschiedsconcert und besuchte im Mai zunächst Potsdam, wo ihr Geschick die bemerkenswertheste Wendung erhielt. Benda, von ihrem Kommen unterrichtet, besuchte sie, lud sie für den folgenden Tag ein und dort hörte sie General Tauenzien, auf dessen Veranlassung sie noch am selbigen Abend auf das Schloß befohlen wurde. Furchtlos trat sie Friedrich dem Großen entgegen und sang mit beschleunigtem Tempo die von ihm gewünschte berühmte Bravourarie aus Graun’s Britannicus „Mi parenti, il figlio indegno“. Der König, der sonst von deutschen Sängerinnen nichts hielt, fand sich von ihren Leistungen gefesselt, ließ sie während der nächsten sechs Wochen allabendlich holen und als sie ihre Reise fortsetzen wollte, nach vielem Widerstreben ihrerseits endlich durch ihren Vater bestimmen, einen Contract auf zwei Jahre als Prima Donna der italienischen Oper mit [288] 3000 Thaler Gehalt zu unterzeichnen. Später verlängerte sich der Contract und M. trat in einer Reihe der bedeutendsten Opern, die zur Carnevalszeit gegeben wurden, auf und errang die Bewunderung der Kenner. Zelter schreibt: „Größeres als ihre Königin Rodelinde habe ich nicht vernommen“. Leider fällt in diese Zeit eines zum Höchsten emporsteigenden künstlerischen Ruhms der Beginn jenes schweren Geschicks, welches die Frau durch ihre glühende Leidenschaft zu dem außerordentlich schönen, aber charakterlosen und liederlichen Violincellisten des Prinzen Heinrich von Preußen, Johann Mara (geb. 1744), traf. Sie überwand alle Hindernisse, die auch vom König einer Verbindung mit dem Trunkenbold entgegengesetzt wurden, trennte sich von ihrem Vater, dem sie 600 Thaler Jahrgehalt aussetzte und heirathete 1772 den Geliebten. Der König, der schon vorher durch das Gerücht einer beabsichtigten Flucht seiner Sängerin nach Italien mißtrauisch geworden war, schlug ihr 1774 ein Gesuch um Urlaub zu sehr einträglichem Gastspiel in London ab, und als das Ehepaar trotzdem den Versuch machte, die Reise nach England auszuführen, erhielt der Gatte 10 Wochen Arrest. Andere Reiseprojecte müssen dem König ungefährlich erschienen sein, denn 1777 begegnen wir M. in Begleitung ihres Gatten in Leipzig, Frankfurt, Cassel – hier küßte sie der Landgraf in seiner Loge auf die Stirn und der Sänger Bartolotti fiel vor Entzücken über ihren Gesang in Ohnmacht! – und Spaa, 1778 in Straßburg und Weimar, 1779 in Mecklenburg-Schwerin und Hamburg. Um so hartnäckiger verweigerte Friedrich II. 1780 einen sechsmonatlichen Urlaub zum Gebrauch einer Kur in Teplitz, mit mehr Erfolg als 1774 setzte die energische Frau diesmal einen Fluchtversuch ins Werk. Ueber Teplitz reiste sie nach Prag, wo ihr der Abschied aus preußischen Diensten zugestellt wurde, von da nach Wien, dann nach Preßburg, abermals über Wien und Prag nach München, darauf nach Zürich, Bern, Genf und 1782 nach Paris. Alles jubelte in der französischen Hauptstadt ihr zu und mit dem Titel einer première chanteuse de la Reine geziert, trat sie ihre Reise durch Frankreich an, von der sie 1783 wieder nach Paris zurückkehrte. Wie sich einst in Leipzig Parteien zu Gunsten der Schröter einer-, zu Gunsten der M. andererseits gebildet hatten, so gab es in Paris bald Anhänger der damals gefeierten italienischen Sängerin Luize Todi (1758–1833 und nicht wie Niggli angibt 1793), die Todisten, welche mit den Maratisten in heftiger Fehde lagen, an der aber die Sängerinnen selbst glücklicherweise keinen Antheil nahmen. So glänzend aber auch die Pariser Erfolge der M. waren, sie sollten noch übertroffen werden durch den Beifall des englischen Publikums. Am 24. März 1784 trat sie zum ersten Mal seit ihrer Jugend wieder in London auf und die höchste Aristokratie, allen voran der Prinz von Wales, bezeugten ihr unbegrenzte Verehrung. Im Concertsaal, bei Oratorienaufführungen (Händel’sche) und in der Oper wurde ihr während der nächsten Jahre die äußerste Huldigung dargebracht, und wenn sie 1785 auch durch einen Verstoß gegen die nationale Sitte eine Unart gegen sich heraufbeschwor, so hatte das doch keinen tieferen Einfluß auf ihre künstlerische Stellung. 1788 betrat sie denn endlich auch das Land ihrer früheren Sehnsucht: Italien. In Turin, Mailand, Crema, Venedig sang sie und Hof und Publikum jubelten ihr zu. In letzterer Stadt bereitete man ihr außergewöhnliche Ovationen, gestand ihr den Sieg über italienische Sangeskünstler zu und die Damen schmückten sich mit Bändern, auf denen der Name der Sängerin zu lesen war. 1790 und 1791 entzückte sie wieder London, das sie nach dem Vortrag einer Händel’schen Arie mit dem schmeichelhaften Beinamen „Pfeiler des Gesangs“ auszeichnet. Ende des Jahres zog sie abermals nach Venedig, wo sie während des Carnevals wirkte und reiste dann über Mailand, Genua und Paris nach London zurück. Auf die nun folgenden Jahre wirft ihr eheliches Mißgeschick tiefe Schatten und [289] entfremdet sie zum Theil selbst ihren Verehrern. Die durch sie 1795 herbeigeführte Trennung von dem Unwürdigen, dem sie ein Jahresgehalt aussetzte und der ganz verkommen 1808 zu Schiedam bei Rotterdam starb, gab ihr endlich die Freiheit wieder und ließ ihre Beziehungen zum Publikum wieder die alten werden. Am 3. Juni 1802 schied sie von London, unternahm in selbem Jahre eine Concertreise durch Frankreich, sang auch in der großen Oper zu Paris, doch ohne den alten Erfolg und ließ sich dann in Frankfurt a. M. hören, 1803 in Gotha, Weimar, Leipzig, Dresden, Berlin, 1804 in Petersburg und 1805 in Moskau. War auch den Kennern eine Abnahme ihrer Stimme nicht entgangen, so erregte die Sängerin immer noch ungemeines Aufsehen, besonders in Rußland, was sie denn auch bestimmte, sich in Moskau anzukaufen. Die bekannte Katastrophe, welche 1812 über diese Stadt hereinbrach, vernichtete auch das Anwesen der M. und den größten Theil ihres Baarvermögens. Mit dem Uebriggebliebenen lebte sie nun theils in Reval, theils auf dem Landgute Mödders der ihr befreundeten Kaulbars’schen Familie, kehrte aber 1819 noch einmal nach England zurück, um einen Freund aufzusuchen und trat im folgenden Jahre dort nochmals öffentlich auf. Ueber Cassel und Berlin kehrte sie endlich 1822 nach Reval zurück, wo sie erst 1833 starb. Die Frische war ihr bis zuletzt geblieben, ja sie unterrichtete noch im Gesang, sang noch selbst und machte so das Zelter gegebene Wort wahr: „ich sterbe, wenn ich nicht mehr singe“. Wie ihr einst der jugendliche Goethe poetisch seine Huldigung dargebracht, so verklärte sein Genius auch noch ihr hohes Alter. Zum 23. Februar 1831, ihrem 83. Geburtstag, schrieb Goethe auf Zelters Veranlassung folgende Verse, die von Hummel componirt, von „lieben Schülerinnen würdig vorgetragen wurden“:

Sangreich war Dein Ehrentag,
Jede Brust erweiternd;
Sang auch ich auf Pfad und Steg,
Müh’ und Schritt erheiternd.

Nah dem Ziele, denk’ ich heut
Jener Zeit, der süßen;
Fühle mit, wie mich’s erfreut,
Segnend Dich zu grüßen.

Auf ihrem Grab auf dem evang.-lutherischen Friedhof in Reval steht ein Denkstein mit den Worten: „Hier ruhet die Sängerin Mara, sie, die einst Europa in Entzücken und Bewunderung setzte. Heilig sei diese Stätte jedem Freunde des Schönen und der Kunst.“ – Die Stimme der M. war von ungemein großem Umfang, sie reichte vom kleinen g bis zum dreigestrichenen c. Die tadellose Intonation, durch die sie sich auszeichnete, verdankte sie nach ihrem eigenen Geständniß der Violine. Sie war im Allegro und im getragenen Gesang gleich vollkommen; vermochte ihre starke, biegsame und ausgeglichene Stimme jedes Orchester zu übertönen, so stand ihr doch auch das zarteste Pianissimo zur Verfügung. Außerordentlich kam der Künstlerin ihr mit seltenstem Fleiße erworbenes theoretisches Wissen in der Musik zu Gute und das, verbunden mit richtigem Tactgefühl, ließ sie in ihren kühnen Improvisationen nie geschmacklos werden.

Vgl. außer Niggli und den bei diesem angeführten Quellen für die Berliner Epoche auch Schneider, Gesch. der Oper u. des Kgl. Opernhauses zu Berlin, welcher die Stellung des Königs zu Mara zum Theil unter Beibringung des actenmäßigen Materials noch klarer stellt, als dies Niggli thut.