Zum Inhalt springen

ADB:Schnell, Karl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schnell, Karl“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 160–163, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schnell,_Karl&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 12:24 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schnell, Johannes
Nächster>>>
Schnell, Samuel
Band 32 (1891), S. 160–163 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Karl Schnell (Bern) in der Wikipedia
Karl Schnell in Wikidata
GND-Nummer 116840064
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|32|160|163|Schnell, Karl|Emil Blösch|ADB:Schnell, Karl}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116840064}}    

Schnell: Karl S. (1786–1841[1]), schweizerischer Staatsmann, getauft am 14. Juni 1786, war der zweitälteste Sohn des Dr. juris Johannes S., des Stadtschreibers in Burgdorf im Kanton Bern. Er verlebte seine Jugend in dem kleinbürgerlichen aber behaglichen Wohlstande des väterlichen Hauses, unter den aufregenden Eindrücken der französischen Invasion in die Schweiz, 1798, bei welcher sein Vater mitbetheiligt war; erst 1806 verließ er Burgdorf, um noch in Iferten (Yverdun), wo damals H. Pestalozzi seine neuen pädagogischen Grundsätze zur Anwendung zu bringen suchte, sich in der französischen Umgangssprache zu üben und seine Vorbildung zu beendigen. Ein Jahr später bezog er die Universität Heidelberg. Mit großem Eifer lag er hier dem Studium der Rechtswissenschaft ob, gewann die besondere Achtung und dauernde Freundschaft seines Hauptlehrers Professor Martin, erwarb sich 1809 den Doctorgrad und kehrte dann mit vorzüglichen Zeugnissen nach Hause zurück. Seit 1811 auch öffentlicher Notar geworden, war er eine Zeit lang Gehülfe seines ältesten Bruders, der ein kleines Staatsamt bekleidete; aber durch Neigung und Anlage zu gelehrter Arbeit hingezogen, bewarb er sich bei erster Gelegenheit um eine Rechtsprofessur an der Berner Akademie. Die Zurücksetzung, die er hierbei zu gunsten eines Bürgers der Stadt Bern erfuhr, ließ einen Stachel in seinem Gemüthe zurück, der, vielleicht durch Enttäuschungen noch empfindlicherer Art verstärkt, sich zu einem bittern Haß gegen die bevorrechtete Hauptstadt und deren regierende Geschlechter steigerte. Er wurde, ohne es zu suchen, der Anwalt und Rathgeber aller Unzufriedenen, die sich nur ungern in die Wiederherstellung der alten patriarchalischen Regierungsform fügten. Ganz besonders machte er sich mißliebig [161] durch sein Auftreten für die Theilnehmer an einem 1814 im Bernischen Oberlande ausgebrochenen, übrigens ziemlich harmlosen Aufstandsversuch. Ohne Hoffnung, unter solchen Umständen eine seinen Wünschen entsprechende Stellung im eigenen Kanton finden zu können, machte er 1816 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder eine Reise nach Paris und zog dann nach Aarau, der Hauptstadt des durch die Revolution von Bern losgerissenen neuen Kantons Aargau. Er erhielt hier das Amt eines Regierungssecretärs, das ihn in täglichen Verkehr mit dem gegen Bern gehässigen, aber edeln und tüchtigen Albrecht Rengger brachte und ihn auch auf eine eidgenössische Tagsatzung nach Zürich führte. Doch kehrte er schon nach Ablauf eines Jahres wieder nach Burgdorf zurück und ergab sich theils litterarischen Beschäftigungen, theils gelegentlicher Ausübung des Anwaltsberufes, dessen höhere Stufe ihm indessen verschlossen blieb, weil er sich hartnäckig weigerte, sich der vorgeschriebenen Prüfung zu unterziehen. Bald gewöhnten sich die Landleute und die politisch fast rechtlosen Bürger der kleinen Städte des Kantons, bei dem „Doctor Karl“ (volksthümlich „Döcti“ genannt) Rath oder wenigstens Trost zu suchen, der es so trefflich verstand, mit ebenso derber als beißender Satire an den Schwächen der Regierung Kritik zu üben und so das Zutrauen aller Derjenigen zu gewinnen, die sich selbst als Unterdrückte ansahen. Ohne öffentlich hervorzutreten, war er der Mittelpunkt einer weitverbreiteten Mißstimmung, als der Ausbruch der Pariser Juli-Revolution von 1830 auch in der Schweiz das Zeichen zum Beginn einer neuen Periode des Staatslebens gab.

Den äußern Gang der unblutigen Umwälzung, welche jetzt im Kanton Bern erfolgte, haben wir bereits angedeutet (siehe den Artikel: Hans Schnell). Weniger offen, aber entschiedener noch als sein Bruder „Hans“ wirkte Karl S. auf die Ereignisse ein. Als die Regierung am 6. December die Bürger zur Einreichung politischer Wünsche einlud, glich seine Wohnung einige Wochen lang einem Wallfahrtsorte, und er war es, der in diese Kundgebungen die zum Erfolge nöthige Uebereinstimmung brachte, der dann aber auch am 13. Januar vor der Volksversammlung zu Münsingen durch die Forderung eines von der bisherigen Regierung unabhängigen „Verfassungsrathes“ einen revolutionären Ton anschlug. Eine Wahl in diese Behörde dagegen lehnte er ab, indem er es vorzog, seine Gedanken in dem von ihm begründeten „Berner Volksfreund“ wirken zu lassen, einem Blatte, das durch seine scharf polemische, aber wohl berechnete und volksthümliche Sprache bald großen Einfluß ausübte. Nach Inkrafttreten der neuen, alle politischen Vorrechte beseitigenden Staatsverfassung wurde Karl S. am 25. August 1831 in vier verschiedenen Kreisen zu einem Mitgliede des Großen Rathes erwählt. Den eigentlichen Regierungsgeschäften abgeneigt, entzog er sich zwar einer Ernennung in die leitende Behörde, nahm dann aber zuerst eine Stelle im obersten Gerichtshof und nachher das Amt eines Regierungsstatthalters in Burgdorf an. Zugleich wurde er für die Jahre 1832 und 1833 Gesandter des Kantons Bern zur eidgenössischen Tagsatzung. Hier besonders zeigte er sich als der eigentliche Führer der zur Herrschaft gelangten Partei und hier gelang es ihm auch, für die Zukunft zu schaffen. In richtiger Erkenntniß der Zeitbedürfnisse betrieb er die Ueberwindung der engen kantonalen Schranken, er suchte die engere Verbindung mit den Gleichgesinnten anderer Kantone und brachte in Gemeinschaft mit dem Landammann Baumgartner von St. Gallen und Dr. Kasimir Pfyffer von Luzern das sogenannte „Siebner-Concordat“ zu Stande zum gegenseitigen Schutze unter den nach den neuen politischen Grundsätzen umgestalteten Regierungen. Im April 1832 wurde er als eidgenössischer Commissär bezeichnet zur Vermittlung des Streits zwischen der Stadt Basel und der bis dahin zu [162] ihr gehörenden Landschaft. Seine leidenschaftliche Parteinahme für die letztere machte ihn indessen wenig zu dieser Aufgabe geschickt und hat mehr zur Verbitterung als zur Beilegung des Conflicts beigetragen, der dann auch mit der Trennung in zwei gesonderte Kantone endete. Im August 1833 verließ er sogar die Tagsatzung mit der Erklärung, daß es ihm unmöglich sei, neben den „Feinden der Freiheit“ im Rathe zu sitzen, ein Schritt, der zwar die formelle Billigung der von ihm beeinflußten Bernischen Behörde erhielt, aber allgemein als ein politischer Fehler angesehen wurde. Durch die Schwierigkeiten der Lage sah er sich im December 1833 doch genöthigt, eine Wahl in den Regierungsrath anzunehmen; er wurde Stellvertreter des Schultheißen, aber nach kaum einem Jahre zog er sich wieder in sein Landhaus in Burgdorf zurück, wo er allein sich wohl fühlte. Am liebsten gab er von hier aus, stets mit seinem Bruder Hans zusammenstehend, das Losungswort aus für seine Anhänger, die sogeheißene „Burgdorfer Partei“. Im J. 1835 begannen auch in der Schweiz die kirchenpolitischen Fragen dem modernen Staat Verlegenheiten zu bereiten. Es handelte sich um ein gemeinsames Programm für die Stellung des Staats zur katholischen Kirche, um die Ausführung der unter dem Namen der „Badener Conferenz-Artikel“ bekannt gewordenen Vereinbarungen. Karl S. führte die bezüglichen Verhandlungen für Bern, und als aus diesem Anlasse im katholischen Theile des Kantons, im Jura, Unruhen ausbrachen, erhielt er, im Februar 1836, den Auftrag, die Ordnung daselbst herzustellen. Am 6. März 1837 wurde er zum zweiten Male zum Mitgliede des Regierungsrathes erwählt, und mußte sich nochmals entschließen, nach Bern überzusiedeln. Das Auftreten und die Umtriebe einer extrem radicalen Partei, die mit polnischen, italienischen und deutschen Flüchtlingen Hand in Hand ging, führte zu Verwicklungen mit dem Auslande und erschwerte die dauernde Befestigung der Regierung, die von den Anhängern der alten Zustände noch immer heftig angefochten wurde, und so nach zwei Seiten den Kampf zu führen hatte. Karl S. war Director der Centralpolizei, sein Bruder Hans gleichzeitig Landammann, als der Gegensatz zwischen der etwas kleinbürgerlichen, aber nüchtern-verständigen Richtung ihrer Partei und dem idealern, aber die Bedingungen der Wirklichkeit verkennenden Wesen ihrer frühern Freunde offenbar wurde. Die Abstimmung vom 24. September 1838, durch welche der Bernische Große Rath um des Prinzen Napoleon willen der Kriegsdrohung Frankreichs Trotz bot, bewog beide Brüder zur sofortigen Niederlegung aller öffentlichen Stellen. Karl S. zog sich nun bleibend in das Privatleben zurück, indem er nur in seinem „Volksfreund“ die Polemik gegen seine Gegner fortsetzte, und während einiger Zeit seiner Heimathstadt als Gemeindepräsident Dienste leistete. Die Verbitterung des einsam gebliebenen Mannes nahm immer mehr zu. Körperlich und geistig krank wanderte er in stürmischer Winternacht zu Fuß nach Aarau, und in der Nähe dieser Stadt wurde am 10. Februar 1844 sein Leichnam in der Aare gefunden. – Ganz eigenartig ist die ungetrübte politische Einigkeit der beiden Brüder, die sie in der Geschichte immer verbunden, beinahe als eine einzige Person erscheinen läßt, denn größere Gegensätze in Charakter und Temperament lassen sich kaum denken. Neben dem pathetischen Idealisten Hans war Karl S. der klug berechnende, stets zu Spott und beißender Satyre geneigte Verstandesmensch. Beide hatten im Grunde weniger vom Staatsmann als vom Demagogen an sich; vom letztern unterschied sie aber auf’s schärfste der auch von ihren Feinden anerkannte Umstand, daß sie in ihrer öffentlichen Thätigkeit nie etwas für sich selbst gesucht haben, und sowohl eitle Herrschsucht als gemeine Aemtersucht ihren Beweggründen vollständig fremd waren. Ihr Verdienst ist es, daß der größte Kanton der Schweiz aus einer künstlich wiederhergestellten Aristokratie auf vollständig friedlichem Wege in eine modern-staatsbürgerliche Republik sich umgestaltet [163] hat. Auf die Bedeutung der Correspondenz zwischen den beiden Brüdern für die Geschichte des Tages haben wir schon oben hingewiesen.

Die oben für Hans Schnell genannten; dazu L. Lauterburg, Karl Schnell, im Berner Taschenbuch Jahrg. 1855, S. 248–271, wo auch die zahlreichen Nekrologe der Zeitschriften aufgeführt sind; unter diesen sind hervorzuheben zwei Artikel der „Allg. Zeitung“ von Augsburg, Beil. 47 u. 57 des Jahres 1844, ersterer von Dr. von Gonzenbach, eidg. Staatsschreiber, letzterer vom Bürgermeister J. Heß von Zürich.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Schnell, Karl XXXII 160 Z. 23 v. u. l.: 1786–1844 (statt 1841). [Bd. 56, S. 398]