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ADB:Schulhoff, Julius

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Artikel „Schulhoff, Julius“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 238–240, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schulhoff,_Julius&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 17:12 Uhr UTC)
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Schulhoff: Julius Sch., Pianist und Componist, ist am 2. August 1825 in Prag geboren, empfing seinen ersten Clavierunterricht von einem gewissen Kisch, der die großen Anlagen des Knaben schnell entwickelte, so daß er schon mit neun Jahren als Clavierspieler in die Oeffentlichkeit treten konnte. Nachdem er zwei Jahre später in einer großen „Akademie“ ein Concert von Moscheles mit Orchester und eine Thalberg’sche Phantasie mit Erfolg vorgetragen hatte, gab er sich während der nächsten Zeit bei Wenzel Tomascheck ernsthaften Studien hin. 1842 entließ ihn dieser vortreffliche Tonkünstler aus der Lehre und schrieb ihm ins Zeugniß, er sei „nicht nur ein ausgezeichneter Virtuos geworden, sondern habe auch durch seine mehr regelrecht ausgearbeiteten Tondichtungen für das Pianoforte, und seine mit seltenem Geschick und Geschmack durchgeführten vocalen und instrumentalen Fugen seinen Beruf zum Componiren hinlänglich begründet“. Nach verschiedenen Concerten in Deutschland begab sich der junge Künstler noch 1842 nach Paris, [239] lebte hier anfänglich sehr zurückgezogen, bestrebt, seinen Unterhalt durch Musikunterricht zu gewinnen, und trat erst mehr hervor, nachdem er im J. 1844 Chopin’s Bekanntschaft gemacht, der sich für das elegante, durchgeistigte Clavierspiel Schulhoff’s sehr interessirte und auch die Widmung seines op. 1, Allegro brillant en forme de Sonate, gern annahm. Am 2. November 1845 gab er in Paris sein erstes Concert. Der Ausfall war so günstig, daß Sch. hiermit sich sofort in die erste Reihe der jüngeren Clavierkünstler stellte und nun durch ausgedehnte Reisen seinen Namen in ganz Europa bekannt machte. Zuerst ging er nach England, dann nach Spanien, wo er vom Hofe in Madrid sehr ausgezeichnet wurde und kam nach wiederholtem Aufenthalt in London, im Winter 1849/50 nach Wien, zog auch hier die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich, und ließ sich, nachdem ihn seine Wanderfahrten auch tief nach Rußland hinein, dann wieder nach Paris zurückgeführt hatten, 1870 endlich in Dresden nieder. Er verzichtete von jetzt ab auf eine öffentliche Wirksamkeit, denn die vielen Reisen hatten seine an und für sich nicht sehr kräftige Gesundheit angegriffen; so war er gezwungen, sich große Schonung aufzuerlegen. Und er durfte mit Befriedigung auf die Früchte seiner Thätigkeit zurückblicken. Hatte er doch, so viel an ihm lag, das Niveau der Virtuosenconcerte zu heben gesucht und die Bestrebungen Clara Schumann’s weitergeführt. Er vermied die nur auf Brillanz hinzielenden Phantasien und Variationen, die, als er seine Laufbahn begann, noch die Pianistenconcerte beherrschten, und pflegte nicht nur in seinen eigenen Compositionen eine edlere Richtung, sondern spielte auch die Werke unserer Classiker, besonders Beethoven’s und Mozart’s, mit Liebe und Verständniß. In Dresden fand Sch. 1878 in einer liebenswürdigen und feinsinnigen Frau die Gattin, die ihm ein behagliches, von Kunst und vornehmer Geselligkeit verschönertes Heim bereitete. Zwang ihn auch seine Kränklichkeit, mehrere Winter im Süden, in Mentone, zuzubringen, so stellte sich danach wieder völliges Wohlbefinden ein, so daß er seine erfolgreiche Lehrthätigkeit wieder aufnehmen konnte. 1888 siedelte er nach Berlin über, und auch hier wurde sein Haus der Sammelpunkt eines künstlerisch und geistig angeregten Kreises. Wenn er als ausübender Künstler der Oeffentlichkeit entsagen mußte, so hatten die Intimen des Hauses doch noch öfter Gelegenheit, ihn am Clavier zu bewundern. Gern spielte er nicht allein, weil es ihn immer stark erregte, aber wenn er sich dazu bewegen ließ, war dies für die Zuhörer ein besonderer Genuß. Wilhelm Langhans schreibt 1889 über die Eindrücke, die ihm das Spiel Schulhoff’s gab, Folgendes (Neue Zeitschrift für Musik, 2. Jan. 1889): „Da empfand man wieder einmal nach so vielem Abgerichteten und Dressirten den ganzen Zauber einer wirklichen, in sich abgerundeten, fest auf den eigenen Füßen stehenden Künstlerpersönlichkeit; den ganzen Reiz einer Technik, welche sich nicht in verblüffenden Schwierigkeiten kund gibt, sondern gerade die einfachsten Tonbilder zu adeln und zu beleben vermag. Mehr als dreißig Jahre sind es her, daß ich den Meister in Paris gehört, wo er während einer Saison als wirklicher ‚Löwe‘ die Kunstfreunde derart entzückte, daß kein Clavierspieler neben ihm beachtet wurde; und merkwürdiger Weise ist er am Clavier genau derselbe, wie damals: die Unfehlbarkeit der Technik, die wunderbare Modulationsfähigkeit des Anschlags, die Kunst der Phrasirung – nichts davon ist ihm inzwischen verloren gegangen, und ich kann nur wiederholen: möchten unsere jüngeren Pianisten scharenweise des Vortheils theilhaftig werden, einen Meister wie Schulhoff zu hören, und sich die Vorzüge seines Spiels nach Möglichkeit aneignen.“ Lieber noch ließ Sch. sich als Spieler von Kammermusik hören, und Künstler wie Joachim, Ries und Andere fanden sich gern als Partner zu [240] ihm. Daß er seiner ganzen Erziehung nach die Werke der älteren Meister bevorzugte, ist erklärlich; nichtsdestoweniger hatte er offene Sinne für alles, was in seiner Kunst neu hervortrat und war, trotz mancher Bedenken gegen gewisse Erscheinungen der modernen Musik, immer geneigt, bedeutende Erscheinungen anzuerkennen, wie ja z. B. Hugo Wolf viel bei ihm verkehrt hat. Neben seiner musikalischen Bedeutung zeichnete sich Sch. durch eine umfassende allgemeine Bildung aus. Von seinem Aufenthalt in Frankreich hatte er eine Vorliebe für die Lebensphilosophen des 17. Jahrhunderts mitgebracht; er besaß eine erstaunliche Kenntnis ihrer Schriften, die er zum Theil wörtlich auswendig wußte. Bis zuletzt las er täglich einige Seiten aus La Rochefoucauld, La Bruyère oder Pascal. „L’artiste gentil’homme“ hatte man ihn in Paris genannt, und die chevalereske Liebenswürdigkeit seines Wesens, seine lebendige, geistreiche Art, eine Unterhaltung zu führen, sind ihm auch im späteren Leben erhalten geblieben und haben ihm viel Freundschaft und Verehrung erworben. 1897 wurde er zum königl. Professor ernannt, und am 13. März 1898 ist er gestorben.

Wenn auch Tomaschek seinem Schüler bezeugt hatte, daß er auf vocalem wie instrumentalem Gebiet als Componist Gutes leiste, so liegt die Bedeutung des Tonsetzers Sch. doch ausschließlich in der Instrumentalmusik, und noch enger begrenzt, in der Claviermusik. Seine Claviercompositionen fallen zum größten Theil unter den Begriff Salonmusik, freilich in der besten Bedeutung des Ausdrucks. Alles, was Sch. geschrieben hat, zeichnet sich durch große Rundung und Eleganz der Form aus; der Claviersatz ist glänzend, äußerlich wirksam, ohne daß dadurch dem musikalischen Werth Abbruch geschähe; diese kleinen Clavierstücke sind Charakteristiken und Stimmungsbilder von bedeutendem poetischem Gehalt. Neben Chopin’s und Schumann’s Clavierdichtungen wird man sie nicht nennen können, weil diese beiden weit ursprünglichere und genialere Persönlichkeiten waren, aber auf der anderen Seite stehen sie weit ab von der im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts landläufigen Claviermusik. Sie bilden in ihrer vornehmen Liebenswürdigkeit eine Gattung für sich. Besonders zu nennen sind neben dem schon erwähnten Allegro brillant die Sonate in F-moll, das Largo funèbre (eine Art Trauermarsch), seine Capricen über russische und böhmische Nationalmelodieen, seine 12 Etuden (op. 12), Galop di bravura, Valses brillantes, Mazurken, 2 Scherzi (op. 8), Six morceaux de musique intime, drei Hefte Idyllen und seine Transscriptionen classischer Instrumentalsätze.