ADB:Schumann, Clara

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Artikel „Schumann, Clara“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 262–268, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schumann,_Clara&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 21:55 Uhr UTC)
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Schumann: Clara Sch., hervorragende Pianistin, ist am 13. September 1819 in Leipzig als Tochter des Musikpädagogen und Clavierhändlers Frdr. Wieck geboren, der ihr erster und einziger Lehrer im Clavierspiel wurde und ihr ungewöhnliches Talent mit unermüdlicher Geduld und mit hohem musikalischen Verständniß entwickelte und zur Reife brachte. Am 20. October 1828 trat Clara zum ersten Mal in die Oeffentlichkeit, im Leipziger Gewandhaus, in einem Concert, das Ernestine Perthaler gab. (Fünfzig Jahre später feierte sie an demselben Ort das Jubiläum ihres ersten Auftretens, wobei ihr die Direction des Gewandhauses einen goldenen Lorbeerkranz überreichte. Vgl. Briefwechsel Brahms-v. Herzogenberg, Berlin 1907. I, 78.) Nachdem sie sich in Dresden in Privatkreisen hatte hören lassen, gab sie am 8. November 1830 im Gewandhaus in Leipzig ihr erstes selbständiges Concert mit Stücken von Herz, Kalkbrenner, Czerny und eigenen Variationen über ein Originalthema. „Die ausgezeichneten, sowohl in ihrem Spiele, als in ihren Compositionen bemerkbaren Leistungen der jungen Künstlerin rissen zu allgemeiner Bewunderung hin und errangen ihr den größten Beifall“, berichtet die Leipziger Zeitung darüber. Nach einem Concert in Dresden, das ebenso günstig verlief, faßte Wieck Muth zu einer größeren Kunstreise mit seiner Tochter, die über Weimar, wo Goethe die jugendliche Virtuosin sehr auszeichnete, Erfurt, Gotha, Arnstadt, Kassel, Frankfurt nach Paris führte. Ueberall gab es große Anstrengung und manche Verdrießlichkeit, aber allenthalben erregten [263] Clara’s Leistungen auch Enthusiasmus. Im Mai 1832 kehrten sie wieder nach Leipzig zurück.

1830 schon war Robert Schumann in den Gesichtskreis Clara’s getreten. Er wohnte anfangs bei Wieck; seine ersten Compositionen, wie die Papillons, fanden bei Clara verständnißvolle Bewunderung, während der geniale junge Componist in Herloßsohn’s „Kometen“ mit hohen Worten von Clara’s Spiel sprach; und als er die „Neue Zeitschrift für Musik“ herausgab, da folgten die „Schwärmbriefe an Chiara“, die mit phantastischem Ueberschwang die poetische Bedeutung der Clavierspielerin Clara Wieck feierten. Es ist bekannt, daß Robert Schumann ein stilles Verlöbniß mit Ernestine van Fricken eingegangen war, aber schon 1835 hatte er sich wieder von ihr gelöst, da sein Herz Clara Wieck gehörte, und im November erlangte er von ihr das Geständniß der Gegenliebe. Von nun an beginnt das vollständige, seelische In- und Miteinanderleben des Künstlerpaares, ein geistiges Einssein, wie es kaum noch zwischen zwei Menschen dagewesen ist, ein Herzensbund, der am 12. September 1840 zur harmonischsten Ehe führte.

Doch ehe es dahin kam, waren noch viele Schwierigkeiten zu überwinden, die hauptsächlich von Clara’s Vater ausgingen. Er war ein entschiedener Gegner des Verlöbnisses seiner Tochter mit Robert Schumann, und ließ kein Mittel unversucht, die Beiden von einander zu trennen. Nachdem er zuerst vorgeschützt hatte, das Einkommen Schumann’s reiche nicht aus, einen Hausstand sicher zu begründen, machte er später immer neue grundlose Einwände und verstieg sich zuletzt sogar zu der Behauptung: Schumann sei ein Gewohnheitstrinker! Man kann sich das Verhalten Wieck’s nur aus zwei Motiven erklären. Einmal sah er, daß Clara durch ihre Concerte viel Geld verdiente, und da er selbst in seiner Jugend mit harter Armut schwer gerungen hatte, so hoffte er, Clara werde sich ein Vermögen erwerben, um später von gesichertem Besitz aus ruhig in die Zukunft blicken zu können. Nun mochte er fürchten, daß dieser Erwerbsproceß durch die Ehe unterbunden würde und wollte das verhindern, hoffte vielleicht auch auf eine andere glänzende Verheirathung der berühmt gewordenen Tochter. Dann aber: er hatte zehn Jahre Lebensarbeit an die Tochter gewandt, und wenn nicht alles täuscht, unterschätzte er die ursprüngliche Naturanlage und hielt das, was Clara leistete, ausschließlich für das Resultat seiner Pädagogik. Er sah ihre Künstlerschaft sozusagen als sein Eigenthum an, die Clavierspielerin Clara als sein, nur sein Geschöpf, und es mag zuerst, da er bemerkte, daß dies Geschöpf nun auf einmal sein Schicksal selbst bestimmen, eigene Wege gehen und seiner Macht entlaufen wollte, eine Art fassungsloser Bestürzung sich seiner bemächtigt haben, die dann, als er sah, daß all sein Widerstreben vergeblich war, in eine unbeschreibliche Wuth umschlug. Väterliche Bedenklichkeit, verletzte Eigenliebe, wahrer Schmerz eines gekränkten Herzens, kleinlicher Aerger – alles dies hat sich vielleicht gemischt und in ihm gewirkt, da er sein Kind mit blindem Haß verfolgte. Er hat dadurch viel Leid und Schmerzen über Robert und Clara gebracht und ihnen Jahre – die Jahre reinsten Glückes hätten sein können – verbittert und verdorben. Schumann hat das auch nie verwunden, und selbst später, als Wieck dem Ehepaar wieder versöhnlich näher getreten war, blieb das Verhältniß zwischen beiden ein rein äußerlich conventionelles; auch waren ja die Charaktere und die künstlerischen Anschauungen Beider zu verschieden, als daß sich eine wirklich herzliche Zuneigung hätte herausbilden können.

Inzwischen hatte Clara auch ihr Compositionstalent gepflegt. Bereits 1831 war ihr erstes Werk, vier Polonaisen, veröffentlicht, dem bald andere [264] folgten, 1835 spielte sie sogar ein eigenes Clavierconcert mit Orchester im Gewandhaus. Der Thomascantor Weinlig und Heinrich Dorn, Richard Wagner’s und Schumann’s Compositionslehrer, wurden auch die ihrigen, und wenn sie später einmal von sich sagt (1839): „Ich glaubte einmal das Talent des Schaffens zu besitzen, doch von dieser Idee bin ich zurückgekommen, ein Frauenzimmer muß nicht componiren wollen, – es konnte es noch keine; sollte ich dazu bestimmt sein? Das wäre eine Arroganz, zu der mich bloß der Vater einmal in früherer Zeit verleitete“, so hat sie doch eine ganze Reihe von Werken geschaffen (auch nach ihrer Verheirathung), die sich zwar nicht durch eine tiefe Ursprünglichkeit, wohl aber, von den ersten, ganz unreifen, abgesehen, durch manchen anmuthigen Zug der Erfindung und durch Sinn für formale Feinheit auszeichnen. Das Thema ihrer Romanze op. 3 hat Schumann sogar gereizt, Variationen darüber zu schreiben (Impromptus op. 5), auch benutzte er Motive aus ihren Compositionen in seiner Fmoll-Sonate (Concert sans Orchestre), im Carneval, in den Davidsbündlern und in den Studien für den Pedalflügel.

Von den zahlreichen Concertreisen, die Clara bis zum Jahre 1840 unternahm, ist die wichtigste die, welche sie nach Wien führte, einmal wegen der außerordentlichen Erfolge in künstlerischer Beziehung, denn trotzdem sie dem wienerischen Geschmack, der bedenklich anfing, zu verseichten, nicht entgegenkam und in ihren Concerten den dort fast ganz unbekannten Mendelssohn, Henselt, Schumann’s neueste Werke und Beethoven spielte, wurde sie begeistert aufgenommen, und Grillparzer widmete ihr nach dem Vortrag der Beethoven’schen großen Fmoll-Sonate eins seiner schönsten Gedichte. Dann aber, weil sie bei dieser Gelegenheit zur k. k. Kammervirtuosin ernannt wurde (15. März 1838), eine äußere Ehrung, die ganz unerhört war für eine Ausländerin, Protestantin und so junge Künstlerin. Dann Paris (1839), wohin der erzürnte Vater sie allein hatte reisen lassen, um sie durch das Ungemach der Concertgeschäfte mürbe zu machen, was ihm auch fast gelungen wäre – doch brachte er es schließlich nur dahin, Robert und Clara fester aneinander zu binden; das that sich in dem Ultimatum kund, das beide Liebende an ihn richteten, um endlich seine Einwilligung zur Ehe zu erreichen, und als dies auch nichts fruchtete, drang Robert auf gerichtliche Entscheidung, die natürlich zu Gunsten des Paares ausfiel.

Nach der Rückkehr aus Frankreich concertirte Clara noch in Berlin, Hamburg, Bremen, und überall suchte ihr der Haß des erbitterten Vaters Steine in den Weg zu werfen, doch über alle Anfechtung siegte ihr tapferer, treuer Sinn. An dem Tage, wo sie mit Robert vor den Altar trat, schrieb sie ernst in ihr Tagebuch: „Eine Periode meines Lebens ist nun beschlossen: erfuhr ich gleich viel Trübes in meinen jungen Jahren schon, so doch auch manches Freudige, was ich nie vergessen will. Jetzt geht ein neues Leben an, ein schönes Leben, das Leben in dem, den man über alles und sich selbst liebt, aber schwere Pflichten ruhen auch auf mir, und der Himmel verleihe mir Kraft, sie getreulich, wie ein gutes Weib, zu erfüllen.“

Nach der Verheirathung hatten Beide anfangs „Glückes genug“. „Heute ist es ein Vierteljahr, daß wir verheirathet sind“, schreibt Clara, „wohl mein glücklichstes Vierteljahr, das ich noch erlebt habe. Ich stehe täglich in neuer Liebe zu meinem Robert auf, und scheine ich auch manchmal trübe, fast unfreundlich, so sind es nur Sorgen, deren Ursprung doch immer die Liebe zu ihm ist.“ Wurde Clara’s Künstlerschaft durch Robert’s Schaffenstrieb, der gerade in den ersten Jahren der Ehe besonders lebhaft war, und der Clavierübungen neben sich nicht ertrug, auch etwas in den Hintergrund gedrängt, [265] wenigstens was die äußere Bethätigung anbetrifft, so wuchs doch innerlich ihre Kunsterkenntniß und die Sicherheit ihres Kunstempfindens immer mehr, einestheils dadurch, daß sie sich in die Schöpfungen und die Anschauungen ihres Mannes immer tiefer einlebte, andererseits durch das intensive Studium Bach’s und Beethoven’s, das sie mit Robert gemeinsam betrieb, endlich durch sorgsam gewählte Lectüre, die ihren Gesichtskreis und ihre Gefühlswelt erweiterte und belebte. Schumann kränkte sich oft darüber, daß seine Frau seinetwegen ihre Uebungen aufhalten mußte, erkannte aber ebensowohl ihr inneres Wachsthum und faßt seine Beobachtungen 1842 in die Worte zusammen: „Sorge macht mir oft, daß ich Clara in ihren Studien oft hindere, da sie mich nicht im Componiren stören will … Was freilich die tiefere musikalische Bildung betrifft, so ist Clara gewiß nicht stehen geblieben, im Gegentheil vorgeschritten; sie lebt ja auch nur in guter Musik, und so ist ihr Spiel jetzt gewiß nur noch gesunder und zugleich geistiger und zarter als früher.“

Am 31. März 1841 bei Gelegenheit der Aufführung von Robert’s Bdur-Symphonie im Leipziger Gewandhaus war Clara zum ersten Mal seit ihrer Verheirathung als Clavierspielerin vor die Oeffentlichkeit getreten, und zwar mit glänzendem Erfolg. Nach dieser glücklichen Erprobung ihrer Kräfte kam ihr die Lust, sich nun öfter wieder im Concert zu versuchen, und sie unternahm Kunstreisen nach Weimar, dann nach Bremen, Oldenburg und Hamburg, bei denen Robert sie begleitete, und endlich ging Clara allein nach Kopenhagen, wo sie die angenehme Ueberraschung erlebte, daß die Werke ihres Mannes überall bekannt und geschätzt waren.

Nach der Aufführung von Schumann’s „Paradies und Peri“ (4. December 1844) führte das Ehepaar einen längst gehegten Plan aus und unternahm eine Reise nach Rußland (1844). Ueber Berlin und Königsberg ging die Fahrt nach Riga, Mitau, Dorpat, von dort nach Petersburg und Moskau, und nach vier Monaten waren sie wieder in der Heimath. Clara hatte der Ausflug große Erfolge gebracht, konnte doch Robert von Petersburg aus an Wieck schreiben, daß bei andern Künstlern, sogar bei Liszt, die Theilnahme immer abgenommen, bei ihr dagegen sich immer gesteigert hätte. Bald nach der Rückkehr erfolgte bei Schumann ein vollständiger Zusammenbruch, ein Versagen der Nerven, das ihm jede Arbeit unmöglich machte. Ein Aufenthalt in Dresden brachte Erholung, und aus dem kurzen Besuch wurde schließlich eine dauernde Niederlassung: am 13. December 1845 siedelten Robert und Clara Schumann nach der sächsischen Residenz über.

Trotzdem Robert nun hier in der Direction eines Männergesangvereins und eines gemischten Chors eine Beschäftigung fand, die ihn von Innen nach Außen lenkte und ihm mancherlei Anregungen gab, so behagte Beiden doch die Stadt, das Leben und das im Vergleich zu Leipzig ärmliche Musiktreiben dort gar nicht, sie sehnten sich nach einem größeren Wirkungskreis in verständnißvollerer Umgebung. 1846 versuchte Clara, in Wien festen Fuß zu fassen, aber man verhielt sich dort, wo man sie vor neun Jahren überschwänglich gefeiert hatte, ziemlich kühl gegen sie, und enttäuscht kehrten sie und Robert über Berlin, wo „Paradies und Peri“ recht schlecht aufgeführt wurde, nach Dresden zurück. Bis 1849 erlebte Clara vier Mal Mutterfreuden, und ziemlich gedrückt, weil die Kinder sie von der pianistischen Arbeit sehr viel abhielten, vertraut sie dem Tagebuch den Seufzer an: „Robert sagt, Kinder sind Segen, und er hat recht, denn ohne Kinder ist ja auch kein Glück, und so habe ich mir denn vorgenommen, mit möglichst heiterm Gemüth der nächsten schweren Zeit ins Auge zu sehen. Ob es immer gehen wird, das weiß ich [266] nicht.“ Das Jahr 1849 brachte mit dem Dresdener Maiaufstand viel Unruhe ins Haus, brachte aber auch das Angebot für Robert, an die Stelle des scheidenden Ferdinand Hiller als städtischer Musikdirector in Düsseldorf zu treten, was nach einigem Zögern angenommen wurde. Vor dem Umzug nach dem Rhein concertirte Clara noch in Hamburg, Bremen und Altona und spielte auch am 24. Juni 1850 in einem Concert zu Ehren Spohr’s im Gewandhaus, einen Tag vor der Aufführung der „Genoveva“ im Leipziger Stadttheater Robert’s A moll-Concert und am 2. September 1850 kamen sie in ihrem neuen Bestimmungsort an.

Die Stellung in Düsseldorf brachte ja für Schumann viel Kränkendes, er war ihren Aufgaben nicht gewachsen und wurde halb aus dem Amte gedrängt, aber auch viel Freudiges erlebte das Künstlerpaar in dieser Zeit. Dazu gehört die Reise nach Holland, die dem schöpferischen Genius wie seiner Interpretin Beweise verstehender Liebe und Ehrungen in Fülle eintrugen; dann fiel der junge Brahms wie ein Meteor in Schumann’s stilles Heim, und Josef Joachim vereinigte sich mit den Freunden zu herrlichem Musiciren. Aber schon bereitete sich unter düstern Anzeichen die Katastrophe vor: Robert’s umnachteter Geist trieb ihn in den Rhein, und über zwei Jahre später, am 29. Juli 1856 starb er in Endenich bei Bonn.

In der Art, wie Clara das Ungeheure ertrug, zeigt sich nun die ganze Seelengröße und Charakterstärke dieser zarten Frau, die keinen Augenblick zögerte, die Sorge für den kranken Mann und sechs Kinder auf die eigenen Schultern zu nehmen. In ihrem Tagebuch beklagt sie sich über ihre Freundinnen, die „fromm redeten“ und vom Herrn Jesu schrieben, und fährt fort: „Für mich kann die Frömmigkeit nicht in dieser Art zu denken und zu thun [den ganzen Tag heilige Bücher lesen] bestehen. Ich suche meine Pflichten zu erfüllen, suche mein Unglück zu tragen, so gut ich es kann, aber nicht durch Beten und Lesen heiliger Bücher, sondern durch Thätigkeit und das Wirken für andere! Darin finde ich die Kraft und den Muth, noch zu leben, überhaupt.“ Und wie eine Heldin kämpfte sie nun um ihre Existenz, wies Unterstützungen, die ihr von allen Seiten angeboten wurden, standhaft zurück, zog concertirend durch Nord- und Süddeutschland, ging auch nach England, und hatte nach dem Hinscheiden Robert’s wenigstens die Genugthuung, zu sehen, daß trotz aller Ausgaben, welche die beiden letzten Jahre gebracht hatten, ihr kleines Capital sich noch vermehrt hatte.

Ihren dauernden Aufenthalt nahm Frau Sch. nun zuerst in Berlin – einestheils, weil ihre Mutter, die von Friedrich Wieck geschieden und in zweiter Ehe mit dem Musiklehrer Bargiel verheirathet war, dort lebte; sie hatte der Tochter während ihrer Conflicte mit dem Vater liebevoll zur Seite gestanden und half ihr auch jetzt, so viel sie konnte. Dann aber mochte die Nähe des treuen Freundes Josef Joachim’s für die Wahl Berlins mitgesprochen haben, die Aussicht, mit diesem unvergleichlichen Meister der Geige oft zusammenwirken zu können. Von 1863 bis etwa 1874 wurde Baden-Baden ihr Hauptquartier und 1878 folgte sie einem Rufe nach Frankfurt als Hauptlehrerin für Clavierspiel am Hoch’schen Conservatorium, eine Stellung, die sie bis 1892 inne hatte. Als Lehrerin hat sie aber auch dann noch segensreich weiter gewirkt bis zu ihrem Tode am 19. Mai 1896.

Die Bedeutung Clara Schumann’s liegt nicht in ihren Compositionen, sondern in ihrem Clavierspiel. Als „Königin der Clavierspielerinnen“, wie sie Bülow einmal nennt, hat sie ein Vorbild geschaffen für die reproducirende Clavierkunst, wie es etwa Joachim für das Violinspiel aufgestellt hat, und ihre sehr zahlreichen Concertreisen nach dem Jahre 1856, die auch nur anzudeuten [267] unmöglich ist, haben außerordentlich viel dazu beigetragen, in weiten Kreisen den Sinn für Musik in ihrer edelsten Form zu wecken, zu festigen, zu erziehen. 1827 steht von des Vaters Hand in ihrem Tagebuch geschrieben: „Wie mein Vater versichert, so habe ich jetzt bereits vielen und guten Ton auf den Flügeln, woran meine kleine, dicke, volle Hand und die Beweglichkeit meiner Finger (ohne den Ellenbogen zu gebrauchen) nicht geringen Antheil haben soll.“ Diese Angaben mögen gewiß die Qualität ihres Tones, der als schlank zwar, aber ungemein intensiv, singend und von Gefühl erfüllt geschildert wird – ich führe hier aus, was ich von J. Joachim, E. Rudorff u. A. über Clara Schumann’s Spiel erfahren habe –, beeinflußt haben, was dem Spiel aber den eigentlichen Reiz gab, war, daß es immer etwas Seelisches wiederspiegelte, daß der Künstlerin das Werk, das sie interpretirte, zum eigenen Erlebniß wurde. Daraufhin war schon die musikalische Erziehung durch den Vater gerichtet gewesen. „Mein Vater läßt mich nicht musikalisch zu Tode üben, sondern bildet mit Vorsicht mich für ein seelenvolles Spiel aus“, heißt es im Tagebuch. So setzte sich die Wirkung, die Frau Sch. als Clavierspielerin ausübte, aus zwei Factoren zusammen. Auf der einen Seite sehen wir die unendliche Pietät, die sie dem Willen des Componisten gegenüber hatte: Buchstabentreue bis ins Kleinste hinein, peinlichste Befolgung jeder Vorschrift und Vortragsanweisung waren die Grundlagen ihrer Darstellung, und deshalb stand sie, bei aller Bewunderung für die hinreißende Genialität Liszt’s, seinem Clavierspiel, soweit es sich nicht um seine eigenen Schöpfungen handelte, mit Reserve gegenüber, denn seine Willkür, der eine Veränderung des Textes nichts Wesentliches bedeutete, war ihrer Ehrfurcht vor den Absichten genialer Tondichter im Innersten unsympathisch. Auf der anderen Seite aber vermochte sie nun dem treu erfaßten Texte ihre eigene Empfindung zu leihen und ihm erst dadurch volles Leben zu geben. Sie sah immer auf das Wesentliche, auf den Sinn und Geist des Stückes, das sie darstellte und verschmolz, ohne jemals sich selbst virtuosisch vorzudrängen, das Fremde so völlig mit ihrem eigenen Geist und Gefühl, daß ein neues künstlerisches Gebilde unter ihren Fingern zu entstehen schien. So gehörte ihr Clavierspiel zu den höchsten Erscheinungen, die in der reproducirenden Kunst jemals dagewesen sind.

Folgendes sind die Compositionen Clara Schumann’s (nach Dr. V. Joß, Der Musikpaedagoge Friedrich Wieck und seine Familie, Dresden 1902, S. 219 ff. und Grove, A Dictionary of Music and Musicians, London 1883, Bd. III, S. 424):

Op. 1: Quatre Polonaises (Hofmeister, Leipzig). Op. 2: Caprices, en forme de Valses (ebd.). Op. 3: Romance variée (ebd.). Op. 4: Valses Romantiques (ebd.). Op. 5 und 6: Soirées musicales (ebd.). 10 Pièces caractéristiques (ebd.). Op. 7: Premier Concert pour le Piano-Forte avec Accompagnement d’Orchestre ou de Quintuor (ebd.). Op. 8: Variations de Concert p. l. Piano-Forte sur la Cavatine du Pirate de Bellini (Vienne chez Tobie Haslinger). Op. 9: Souvenir de Vienne. Impromptu (Ant. Diabelli et Comp., Vienne). Op. 10: Scherzo (Leipsic chez Breitkopf & Härtel). Op. 11: Trois Romances (Vienne chez Pietro Mechetti). Op. 12: Zwölf Gedichte aus Rückert’s „Liebesfrühling“ für Gesang und Pianoforte von Robert und Clara Schumann. (Zwei Hefte.) Nr. 2, 4, 11 rühren von Clara her (Breitkopf & Härtel, Leipzig). Op. 13: 6 Lieder (ebd.). Op. 14: Deuxième Scherzo (ebd.). Op. 15: Quatre Pièces Fugitives (ebd.). Op. 16: Drei Praeludien und Fugen (ebd.). Op. 17: Trio für Pianforte, Violine und Violoncello (ebd.). Op. 18 und 19 sind nicht erschienen. Op. 20: [268] Variationen über ein Thema von Robert Schumann (Breitkopf & Härtel). Das Thema stammt aus den „Bunten Blättern“, op. 99 Nr. 4 und ist auch von Brahms in seinem op. 9 zu Variationen benutzt. Op. 21: Drei Romanzen (ebd.). Op. 22: Drei Romanzen für Pianoforte und Violine (ebd.). Op. 23: 6 Lieder für eine Singstimme. Aus Rollet’s „Jucunde“ (ebd.).

Ohne Opuszahl: Cadenzen zu Beethoven’s Clavier-Concerten in C moll und G dur von Clara Schumann (Leipzig und Winterthur, J. Rieter-Biedermann). 2 Cadenzen zu Mozart Clavier-Concert in D moll. 30 Melodies de Robert Schumann pour Piano (Paris, Maison Flaxland, Durand Schoenewerk & Co. Ferner hat Clara die Fingerübungen aus Czerny’s Clavierschule herausgegeben, die Gesammtausgabe von Robert Schumann’s Werken revidirt und die Jugendbriefe Robert Schumann’s veröffentlicht.

Vgl. Clara Schumann. Nach Tagebüchern und Briefen von Berthold Litzmann. Leipzig, Bd. I 1902 (1819–1840), Bd. II 1905 (1840–1856). – Ueber Clara Schumann’s Compositionen: Dr. R. Hohenemser in „Die Musik“, Berlin 1905/6, Heft 20 und 21.