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ADB:Kalkbrenner, Friedrich

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Artikel „Kalkbrenner, Friedrich Wilhelm“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 29–34, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kalkbrenner,_Friedrich&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:34 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 29–34 (Quelle).
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Kalkbrenner: Friedrich Wilhelm K., gewöhnlich Friedrich K. Trotzdem die Zeit dieses Claviervirtuosen und Componisten uns noch so nahe liegt, so ist es doch außerordentlich schwer sich heute zu vergegenwärtigen, worin die Verdienste[WS 1] dieses Mannes lagen, die ihn so hoch über seine Mitmenschen erhoben, daß er wie ein höheres Wesen verehrt wurde. Rellstab, der Berliner Kritiker und Zeitgenosse Kalkbrenner’s, beginnt seine Biographie in Schilling’s Encyklopädie: „Nicht leicht würde sich ein Name auffinden lassen, der so an die rapiden Entwickelungen und Fortschritte jeder Art der Leistungen erinnerte, welche unsere Zeit (1836) charakterisiren, als der dieses berühmten Pianofortespielers. Denn, hätten wir vor ein oder zwei Jahren den gegenwärtigen Aufsatz geschrieben, so würden wir ihn vielleicht folgendermaßen begonnen haben: K. ist derjenige unserer Vituosen, welcher an der Spitze der, bis auf einen kaum noch zu erhöhenden Grad ausgebildeten Mechanik des Pianofortespiels steht, und damit zugleich den feinsten, geistreichsten und elegantesten Vortrag verbindet. In diesem kurzen Zeitraum aber hat das Clavierspiel wiederum eine so völlig andere Richtung, einen so durchaus neuen Aufschwung genommen, daß wir jetzt diesen berühmten Virtuosen gewissermaßen schon als einer vergangenen Zeit angehörig betrachten müssen.“

Ueber Kalkbrenner’s Geburtsort ist vielfach gestritten worden, die Einen nennen Kassel, die Anderen Berlin; das Richtige liegt – wie so oft – in der Mitte und zwar hier wörtlich, denn K. wurde im Jahre 1788 auf der Reise von Kassel nach Berlin geboren, als sein Vater, Christian K. von der Königin von Preußen zum Kapellmeister ernannt, nachdem die Kasseler Kapelle aufgelöst war, dahin übersiedelte (Aug. Gathy, A. Allg. Z., Abdruck: Neue Berl. Musikztg., Bote und Bock, 1849, S. 208). Den ersten Musikunterricht erhielt K. von seinem Vater; als derselbe aber 1799 sich in Paris niederließ, besuchte er das dortige Conservatorium der Musik und genoß daselbst den Unterricht eines Nicodami, Adam und Catel. Bereits im J. 1801 (nicht wie gewöhnlich berichtet wird [Allgem. Leipz. Ztg. 4, 338] 1802) erhielt er bei einer öffentlichen Prüfung der Schüler des Conservatoriums den ersten Preis im Clavierspiel und in der Composition für sein Instrument. Bald darauf scheint er auch das Conservatorium verlassen zu haben, da er bereits 1803 als Compilator eines Oratoriums „Saul“ auftritt, [30] welches in Paris sehr gefiel. Die Musik bestand aus einer Blumenlese aus Werken von Händel, Haydn, Mozart, Naumann, Cimarosa bis Gossec herab und soll in sehr geschickter Weise zusammengestellt sein (Allgem. Leipz. Ztg. 5, 525 u. 553). Im folgenden Jahre wird von einer Oper „Sophie de Brabant“ berichtet, die in Braunschweig gegeben wurde und der Berichterstatter obiger Zeitung (6, 709) bezeichnet sie als „vorzüglich schön“. Da aber hierbei kein Vorname genannt ist, so möchte man eher annehmen, daß dieselbe, sowie obige Compilation vom Vater Kalkbrenner’s herrühren, der mehrere Opern geschrieben hat und erst 1806 starb.

Nach allgemeiner Annahme ging K. 1803 nach Wien, theils um als Virtuose aufzutreten, theils aber um bei den Wiener Meistern zu studiren und war es hier besonders Hummel und Clementi, durch deren Umgang er sich vervollkommnete, indem er sich bemühte, die kräftige breite Spielart des Clementi mit der leichten, anmuthigen und glänzenden Spielweise Hummel’s zu verschmelzen, wodurch er jenen eigenartigen Vortrag schuf und die glänzende Bravour erreichte, die ihn zum Heroen unter den Virtuosen seiner Zeit emporhob. 1804 berichtet obige alte Musikzeitung: „K. hat eine bewundernswerthe Technik in beiden Händen, nur fehlt es ihm noch merklich an Delicatesse und Ausdruck.“ 1805 begab er sich auf Reisen und spielte in München und Stuttgart, worüber uns Berichte vorliegen. So schreibt der Berichterstatter aus München: „K., der Clavierspieler aus Paris war hier. Da er nur bei Hofe spielte, konnte ich ihn nicht hören, doch rühmt man seine Fertigkeit, zieht aber Cramer aus London, der eben hier war, vor.“ Dagegen gelegentlich seines Auftretens in Stuttgart wird er als Virtuose erster Grüße bezeichnet: „Technik und Feuer im Vortrage wurden lebhaft beklatscht.“ So durchzog er ohne Ruhe und längeren Aufenthalt die Welt. 1814 ging er nach London, und was die Engländer in Musikenthusiasmus leisten können, das wissen wir aus Spohr’s und Mendelssohn’s Briefen. Von da ab stand er als erster und unerreichbarer Pianist da und die Mitwelt erzeigte ihm die höchsten Ehren. Obiger Biograph, Rellstab, faßt sein Urtheil über ihn in folgende Worte, nachdem er dessen Virtuosität mit Cicero’s Schreibart als höchste Leistung verglichen hat: Kalkbrenner’s große Kunst besteht darin, so zu spielen, daß es schwer wird, ihm das Leichteste nachzuspielen: ein Resultat, welches sich niemals eher erreicht, als bis man es dahin gebracht hat, daß einem das Schwerste leicht geworden ist. Mit unendlichster Geduld hat er die gleichmäßigste Stärke der Finger, und dadurch den vollendetsten, tonvollsten Anschlag erreicht. Namentlich weiß er alle gesangvollen Stellen ausgezeichnet schön vorzutragen. Der Charakter dieser ebenmäßig ausgebildeten, dabei aber doch alle Schattirungen des Vortrags von der zartesten Grazie bis zum energischsten Feuer entwickelten Spieles zeigt sich auch in seinen Compositionen für das Instrument. Alle Schwierigkeiten, die er setzt, liegen, so brillant sie sind, bequem in der Hand; er schreibt schwer, aber niemals unangenehm für den Spieler, sondern so, daß Jeder, der seine Vorstudien gehörig gemacht hat, Bescheid weiß, die Kalkbrenner’schen Compositionen fast sämmtlich vom Blatt spielen kann; und auf den Grad der Vollendung, mit dem es geschieht, kommt es alsdann dabei an, und da erst zeigt sich die Schwierigkeit der so leicht scheinenden Leistung.

Ein treffliches Bild giebt uns im J. 1823 die Schwester Felix Mendelssohn’s, Fanny (Hensel, Die Familie Mendelssohn, Berlin 1879, Bd. I, S. 136–37). Sie schreibt an ihren Bruder Felix: „Er (Kalkbrenner) hat viel von Deinen Sachen gehört, mit Geschmack gelobt und mit Freimüthigkeit und mit Liebenswürdigkeit getadelt. Wir hören ihn oft und suchen von ihm zu lernen. Er vereinigt die verschiedenartigsten Vorzüge in seinem Spiel: Präcision, [31] Klarheit, Ausdruck, die größte Fertigkeit, die unermüdlichste Kraft und Ausdauer. Er ist ein tüchtiger Musiker und besitzt einen erstaunlichen Ueberblick. Von seinem Talent abgesehen, ist er ein feiner, liebenswürdiger und sehr gebildeter Mann und man kann nicht angenehmer loben und tadeln.“

Im J. 1824 zog K. sich mit einem bedeutenden Vermögen ins Privatleben zurück und begründete in Gemeinschaft mit Pleyel die bekannte Pianofortefabrik in Paris, aus welcher so treffliche Flügel hervorgingen und die dem Instrumentenbau in Paris einen so großen Aufschwung gab. Er konnte sich nun nach Herzenslust seiner Liebhaberei für Gemälde hingeben, deren er eine werthvolle Sammlung besaß, und in den höheren Kreisen der Pariser Gesellschaft, vorzüglich im Hause der Fürstin von Vaudemont, des Fürsten Talleyrand, der Gräfin Appang, des Marquis von Radapont und des Grafen de la Bouillerie, mit denen er viel verkehrte, den anregendsten und angenehmsten Umgang genießen. Später, auf Anregung seiner Freunde, entschloß er sich zur Fortpflanzung seiner Schule durch dreijährigen kursorischen Unterricht für talentvolle Schüler. Dieser Entschluß mag wol noch durch finanzielle Mißerfolge befördert worden sein, denn Rellstab sagt in seiner Biographie S. 33: „Dieser Theil der industriellen Thätigkeit Kalkbrenner’s (nämlich die Gründung der Pianofortefabrik) scheint nicht ganz glückliche Resultate gehabt zu haben, wie es denn eine oft wiederholte Erfahrung ist, daß der Virtuose seinen Kreis streng festhalten soll.“ Er gab sogar im J. 1833 seine Zurückgezogenheit vom öffentlichen Leben auf und durchreiste wie früher Europa als Clavierheld. Wie viel er an seinem Vermögen eingebüßt haben mußte, erfahren wir aus Gathy’s Nekrolog. Er schreibt: „K. führte ein fürstliches Haus, dem er mit großer Eitelkeit zwar, aber mit noch größerer Liebenswürdigkeit vorstand, und besaß, bei angeborener edler Form und Haltung, im Umgange die Leichtigkeit und Gewandtheit, die sich nur im häufigen Verkehr mit der gebildeten höheren Welt erwerben lassen. Man bewegte sich bei ihm in interessanter Umgebung. Männer aller politischen Farben, alte berühmte Krieger aus der Kaiserzeit, Staatsmänner, ausgezeichnete Gelehrten, Künstler stellten sich in seinen glänzenden Soireen zu musikalischen Genüssen und anziehender Unterhaltung ein; so Graf Molé, General Atthalin, Salvandy, Graf Sparre und dessen geniale Gattin, mit denen er vorzüglich befreundet war; ein Kreis, der leider durch die Juli-Ereignisse (1830) auseinander gesprengt wurde.“

K. fand auf seinen erneuerten Kunstreisen dieselbe günstige Aufnahme, denselben Enthusiasmus wie in jüngeren Jahren bei Publikum und Kritikern. Herr von Miltitz in Dresden schreibt in der Leipziger Musikzeitung im Jahre 1833 (Sp. 414) über Kalkbrenner’s Auftreten daselbst: „Sein Anschlag ist herrlich, sein Vortrag höchst geschmackvoll, bis ins Feinste nuancirt; man kann ihn unter die ersten Meister setzen.“ G. W. Fink, der Redacteur obiger Musikzeitung, der auch als Musikhistoriker bekannt ist, scheint ein ganz besonderer Verehrer Kalkbrenner’s gewesen zu sein, denn seine zahlreichen Urtheile über ihn leisten an überschwenglichem Lob ganz Unglaubliches. So schreibt er im Jahre 1836 (Sp. 469): „K. kann der vollendete Meister seines Instrumentes genannt werden, der im Graziösen, Eleganten und präcis Bravourmächtigen so musterhaft dasteht, alles mechanische Kunstvolle seines stets vollkommen abgerundeten Vortrags mit einer so ruhevoll gemessenen, vom Kleinsten bis zum Größten sich erstreckenden Sicherheit glänzend beherrscht, daß Jeder, der den Gipfel der Kunst noch nicht in eigenthümlicher Weise als Heimatsort ansehen darf, von ihm lernen kann und wird.“

Es fehlte aber auch nicht an Stimmen, die Kalkbrenner’s Leistungen auf [32] das richtige Maß setzten und die durch Liszt’s, Chopin’s und Mendelssohn’s Auftreten, während der Ruhezeit Kalkbrenner’s zur Erkenntniß gelangt waren, daß das Virtuosenthum ohne geniale Grundlage ein leeres, nur ein sinnberauschendes Getöne sei. Mendelssohn selbst, der so gerne lobte und wo es nur halbwegs ging, durch sein liebenswürdiges Lob selbst den Kleinsten anzuspornen wußte, schreibt im J. 1836 an seine Schwester Fanny (Familie Mendelssohn, Ausg. in 2 Bdn., II, 37): „Die Technik allein macht es nicht, das geht vorüber und macht eben nicht mehr, wie K. zu seiner Zeit, und geht noch während ihres Lebens vorüber, wenn nicht etwas Besseres als Finger dabei ist.“ Auch Rellstab, welcher K. so hoch verehrte, sagt 1835, „die Schattenseite Kalkbrenner’s ist die, daß eine eigentliche Tiefe des Gefühls oder ein genialer großartiger Vortrag nicht an ihm bemerkt wird, so zart und graziös man auch seine melodische Auffassung, so rapid und energisch man seine Passagen nennen muß“. Dies führt uns zugleich auf Kalkbrenner’s Leistungen als Componist. Einschließlich seines theoretischen Werkes und der Clavierschule, hat er es bis opus 190 gebracht. Sie bestehen zum großen Theile aus Sonaten, Phantasieen und Variationen für sein Instrument, doch hat er auch eine Anzahl Duo’s für Pianoforte und Violine und andere Kammermusik nebst Clavierconcerten geschrieben. Ein sehr ausführliches Verzeichniß seiner gedruckten Compositionen findet man in v. Ledebur’s Tonkünstler-Lexikon Berlins (Berl. 1861). Die Verlagshandlung Probst in Leipzig veranstaltete sogar im J. 1829 eine Gesammtausgabe seiner Claviercompositionen und sind 10 stattliche Bände in Querfolio erschienen. Wir dürfen dieselben nicht nach unserem heutigen kritischen Maßstabe messen, der durch Gründung der musikalischen Erziehung auf die klassischen Meister eine ganz andere Unterlage erlangt hat. Wie wenig Beethoven in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts selbst bei Musikern bekannt war, ja gerade diese sich am schroffsten gegen ihn aussprachen, davon geben mannigfache Belege drastische Beispiele. So schreibt Mendelssohn am 22. Juni 1830 an Zelter (I, 13): „Hier, in München machen es die Musiker nun ganz wie der Organist (nämlich in Weimar, der zu Mendelssohn sagte: für die Leute müsse man nur schlechte, leichte Sachen componiren); sie meinen, gute Musik sei allerdings eine Gottesgabe, aber nur so in abstracto; denn sobald sie etwas spielen, so ist es das Dümmste, Abgeschmackteste was sie nur finden können, und wenn das den Leuten dann wie natürlich nicht gefällt, so meinen sie, läge nur daran, daß es noch zu ernsthaft wäre. Selbst die besten Clavierspieler wußten kaum, daß Mozart und Haydn auch für das Clavier geschrieben hätten; Beethoven kannten sie nur vom Hörensagen; Kalkbrenner, Field, Hummel nennen sie klassische oder gelehrte Musik.“ Spohr spricht sich in seiner Selbstbiographie (I, 228) im J. 1847 noch über die C-moll-Symphonie von Beethoven in wahrhaft wegwerfenden Ausdrücken aus. So meint er vom ersten Satze, daß er trotz einzelner Schönheiten doch kein klassisches Ganze bilde, namentlich fehle dem Hauptthema die Würde; der zweite Satz wirke ermüdend und der Schlußsatz beginne mit einem nichtssagenden Lärm und befriedige am wenigsten. Als 1842 Liszt seinen Triumphzug durch Deutschland als Pianist hielt, spielte er z. B. in Breslau die kleinen Beethoven’schen Sonaten op. 13 (pathétique), op. 26 (As-dur mit den Variationen), op. 27 in Cis-moll (alla fantasia) und die schönsten Franz Schubert’schen Lieder für Clavier transcribirt, und begeisterte das Publikum durch seinen Vortrag und seine hinreißende Ausdrucksweise dermaßen, daß die bisher wenig bekannten Componisten die populärsten wurden und jeder Stümper nun Beethoven spielen und Schubert singen wollte. Wenn man sich dies alles vergegenwärtigt, so wird uns erklärlich, daß einst Kalkbrenner’sche Compositionen, wie Mendelssohn sagt, für klassische [33] Werke gelten konnten; sie verschwanden aber auch fast spurlos, sobald die wahrhaften Klassiker zur Geltung gelangten. Um daher zu wissen, wie die Zeitgenossen einst K. beurtheilten und wie sie ihn fast ohne Ausnahme schätzten, greifen wir zu einer der unzähligen Recensionen, die sich in der Leipziger Allgemeinen Musikzeitung befinden. Der schon mehrfach citirte Fink schreibt 1836 (Sp. 469) über ein Rondo op. 130 und Variationen op. 131: … „In seinen späteren Compositionen hat sich das individuell Künstlerische seines Wesens noch mehr herausgestellt und mit der feinsten Gewandtheit nie sich vergessender Zierlichkeit einen würdig gehaltenen Anstand verbunden, der ohne Schwanken sich fest auf dem glattesten Boden der glänzendsten Gesellschaftlichkeit mit einem Geiste bewegt, der das rechte Maß eines solchen Tones, gemischt mit besonnener Freundlichkeit und verbindlichster Selbstachtung nie überschreitet.“ Verständiger und weniger schwülstig schreibt Rellstab (a. a. O. S. 34): „Als Componist ist K. nur für sein Instrument bedeutend geworden. Besonders ist es das berühmte Concert in D-moll, welches wie kein einziges sonst in neuerer Zeit nach dem A-moll-Concerte von Hummel ein Lieblingsstück der Virtuosen und des Concert-Publikums geworden ist. Es verdient den ihm gegebenen Vorzug mit vollem Rechte, sowohl durch die brillanten eigenthümlichen Passagen, als durch den schönen Gesang und die geschmackvolle Orchesterbehandlung. Die Compositionen für das Pianoforte allein, welche dieser Meister geliefert hat, sind äußerst zahlreich und muß man in Beziehung auf ihren Werth einen Hauptunterschied machen: sie zerfallen nämlich in solche, welche er blos der Mode und dem modernen Publikum zu gefallen schrieb (siehe Mendelssohn’s Organist in Weimar) und in solche, wobei ihn ein höherer Kunstberuf leitete, der, etwas Ausgezeichnetes und Eigenthümliches für sein Instrument zu liefern. Was die ersteren anlangt, so bestehen sie meistentheils in Rondo’s, Capriccio’s, sogen. Phantasien, Divertissements, Variationen u. dgl. galanten Formen mehr; sie sind eine artige Modewaare, werden aber auch mit der Mode verschwinden *). Höheren Werth haben einige Sonaten, unter welchen wir op. 4, 13, 35 und 42 namhaft machen. Besonders zeigt eine derselben, welche Cherubini gewidmet ist, daß K. auch im ernsteren und größeren Style Werthvolles zu schreiben im Stande ist, und daß ihn nur, wie so Viele, die Lockungen der Welt und ihre Vortheile so häufig auf andere Pfade führten, die weniger zum Tempel des Nachruhms als zu dem Ruhme der Gegenwart leiten.“ Darauf erwähnt Rellstab Kalkbrenner’s Clavierschule und stellt sie unter seine wichtigsten Werke, die er geschaffen hat.

Ueber Kalkbrenner’s Charakter und seine letzten Tage giebt uns Gathy (a. a. O.) ein pietätvolles Bild. Er schreibt: „K. hatte Feinde und Neider, zum Theil wol nicht ohne Verschulden. Man warf ihm Hochmuth und Anmaßung vor, und er war allgemein, namentlich unter seinen Kunstgenossen, wenig beliebt. So viel ist aber gewiß, und aus vollem dankbaren Herzen ist es geschrieben, worin auch Jeder, der Aehnliches von ihm erfuhr, gern einstimmen wird: mit oder ohne Empfehlung war, wer vertrauensvoll zu ihm ging, gütig aufgenommen, ein Fremder mit um so größerer Freundlichkeit, ein Deutscher vollends mit Freude und Liebe. Wer ihn länger kannte und mit ihm vertraulichen Umgang hatte, schätzte in ihm die ausgezeichnete Begabung und gewann ihn lieb. Schon seit einiger Zeit war er leidend gewesen und hatte sich endlich wieder erholt; von den Bädern von Ischia hoffte er gänzliche Wiederherstellung, und man glaubte ihn allgemein schon abgereist, als plötzlich die unerwartete Nachricht [34] seines in dem nahen Flecken Enghien bei Paris am 10. Juni 1849 erfolgten raschen Todes erscholl, den er sich durch unvorsichtige Selbstbehandlung zugezogen haben mag. Er starb im 63sten Jahre seines Alters, noch rüstig und bei großer Regsamkeit des Geistes. Seine Wittwe, Tochter des Generals d’Estaing und Großnichte des berühmten Admirals dieses Namens bleibt mit einem Sohne, Arthur, zurück, auf den das Talent des Vaters überging. Er ruht auf dem Kirchhofe Montmartre.“


[33] *) Heute, 1881, werden noch „La femme du marin“ und das Rondo op. 52 als Studienpiecen von Schülern exercirt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verdieste