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ADB:Schwarz, Sophie

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Artikel „Schwarz, Sophie“ von Heinrich Diederichs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 249–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwarz,_Sophie&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 13:39 Uhr UTC)
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Schwarz: Sophie S., geborene Becker, Schriftstellerin, war am 17. Juni n. St. 1754 zu Neu-Autz in Kurland geboren. Ihr Vater Ulrich Gottlieb Becker war dort Pastor und erfreute sich allgemeiner Achtung. Er verwendete die größte Sorgfalt auf Sophiens Erziehung, die der Liebling der Familie war. Im Becker’schen Hause herrschte reges geistiges Leben, wie denn auch Sophiens ältester Bruder Bernhard, später Pastor zu Candau, ein gewandter und beliebter Dichter war. Herangewachsen beschäftigte Sophie sich viel mit der englischen und französischen Litteratur und las eifrig die deutschen Dichter und Schriftsteller. Dadurch bildete sich ihr Geschmack und wurde sie zu eigenen poetischen Versuchen angeregt. Zur völligen Entwicklung gelangte ihr geistiges Leben aber durch den lebhaften Verkehr mit den Töchtern des Grafen Medem auf dem benachbarten Gute Alt-Autz, Elise v. d. Recke und Dorothea, der spätern Herzogin von Kurland. Namentlich mit der ersten schloß sie die innigste Freundschaft und theilte alle ihre geistigen und litterärischen Interessen, alle ihre Freuden und Leiden. [250] Durch den Verkehr im Medem’schen Hause lernte sie viele vornehme und angesehene Persönlichkeiten kennen und erlangte früh Weltkenntniß und Welterfahrung. Mannigfache Anregung erhielt sie ferner durch den Verkehr ihres Vaters mit dem allgemein verehrten, als Dichter geistlicher Lieder weitbekannten Propst Neander in Grenzhof. Die ihr eigene Bescheidenheit und Zurückhaltung ließ Fremden gegenüber ihre geistige Bedeutung nicht hervortreten, erst bei näherer Bekanntschaft zeigte sich ihr heller scharfer Verstand und ihre hohe Bildung; ihre große Herzensgüte und ihre Neigung von den Menschen stets das Beste voraus zu setzen offenbarten sich sogleich Jedem. Neben der Liebe zu Poesie hatte sie viel Sinn für Musik, sie spielte selbst eifrig Clavier. Wie ihre Herzensfreundin Elise wandte sie sich später von dem Glauben der Kindheit der herrschenden Verstandesaufklärung zu, ohne doch in dieser volle Befriedigung für ihre Seele zu finden; das zeigt deutlich ihr sehr charakteristischer Briefwechsel mit Moses Mendelssohn 1785 in der Deutschen Monatsschrift 1790, I, 80–86. 1784 unternahm Sophie mit Elise v. d. Recke eine Reise nach Deutschland, wohin sie sich lange schon gesehnt hatte. Ueber ihre Reise, sowie über ihren Aufenthalt in verschiedenen Gegenden Deutschlands hat sie ein genaues Tagebuch geführt, das sie selbst später in ein „Lesebuch zur Bildung des Herzens für junge Frauenzimmer“ umgearbeitet hat. Sie strich viele persönliche Bemerkungen, sowie ihre Urtheile über manche Personen, deren Bekanntschaft sie gemacht, und fügte mancherlei hinzu, so daß der individuelle Charakter des Ganzen einigermaßen verwischt wurde. Diese Umarbeitung wurde nach Sophiens Tode von ihrem Gatten J. L. Schwarz u. d. T.: „Briefe einer Kurländerin auf einer Reise durch Deutschland“, Berlin 1791 in 2 Theilen herausgegeben. Fast 100 Jahre nachher erst ist das Tagebuch in seiner ursprünglichen Gestalt von Dr. G. Karo und Dr. A. Geyer, Stuttgart, Spemann (1884) veröffentlicht worden. Leider fehlen in der Handschrift einige Blätter und zuletzt bricht sie unvermittelt ab, zur Ergänzung des Fehlenden dienen die Briefe, die denn auch von den Herausgebern herangezogen worden sind. Das Tagebuch ist nicht nur für die Kenntniß von Sophiens Persönlichkeit und Charakter sehr lehrreich, sondern auch wegen der vielen von ihr aufgezeichneten Bemerkungen über Dichter und Schriftsteller jener Jahre sowie der darin niedergelegten Beobachtungen über die Zustände und gesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Deutschland für die Cultur- und Litteraturgeschichte sehr wichtig. Die „Briefe“ haben seitdem natürlich ihre frühere Bedeutung verloren. Während ihres Aufenthaltes in Halberstadt lernte sie den Referendar Joh. Ludw. Schwarz kennen, der bald eine tiefe Zuneigung zu ihr faßte und zuletzt auch ihre Hand errang, obgleich Sophie längere Zeit sich abwehrend gegen seine Bewerbungen verhielt, da sie sich von ihren alten Eltern nicht trennen wollte. Der bald nach ihrer Rückkehr in die Heimath erfolgte Tod ihres Vaters und ihrer Mutter 1786 und die dadurch herbeigeführte Auflösung der Familie bestimmten sie endlich doch der Bewerbung des treuen Mannes Gehör zu schenken. Am 18. April 1787 fand die Trauung in Mitau im Hause Elises v. d. Recke statt. In Halberstadt hat Sophie dann 2½ Jahre an der Seite ihres sie aufs höchste liebenden und ehrenden Gatten verlebt. Sie verkehrte viel mit Gleim und dessen Freunden, fühlte sich aber doch, getrennt von allen Jugendfreundinnen, nicht selten recht einsam und oft ergriff sie innige Sehnsucht nach der fernen Heimath, der sie in dem Gedichte: „An mein Vaterland“ rührenden Ausdruck gibt. Der briefliche Verkehr mit Elise v. d. Recke und der Herzogin Dorothea war ihr ein Trost und sie nahm an allen Ereignissen im Leben der Freundinnen sowie an allem, was in Kurland vorging, den lebhaftesten Antheil. Gedichtet hat Sophie in Halberstadt nur wenig, die meisten ihrer Gedichte sind früher theils in Kurland theils während der Reise durch Deutschland entstanden. Ihre poetische Richtung ist [251] die Elises v. d. Recke, mehr Betrachtung und Reflexion als Schwung der Phantasie und Tiefe des Gefühls thut sich in ihren Gedichten kund; ein wirkliches Lied hat sie nicht hervorgebracht. Sie empfindet nicht selten dichterisch, aber es gelingt ihr nicht, den rechten Ausdruck dafür zu finden. Goeckingk, Gleim, zum Theil auch Klopstock sind ihre Vorbilder. J. L. Schwarz gab Sophiens Gedichte zusammen mit denen Elise’s Berlin 1790 heraus; während ihrer Lebenszeit scheint kein Gedicht von ihr veröffentlicht worden zu sein. Eine prosaische Erzählung: „Arindas, eine Geschichte unserer Zeit“, erschien ebenfalls nach ihrem Tode in der Deutschen Monatsschrift 1790, I, 87–96; Gegenstand derselben ist die Umwandlung eines leichtsinnigen ausschweifenden Jünglings durch die weisen Rathschläge eines alten Mönchs. Sophie hatte eben erst ihrem Gatten einen Sohn geschenkt, als sie rasch der Tod hinwegraffte am 26. October 1789, zum größten Schmerze des Gatten, vgl. dessen rührende Elegie an Sophiens Grabe, im Frühling nach ihrem Tode gesungen in Ruthenia, IV, August S. 241–245, Mitau 1808. Sophie S. bildet mit Elise v. d. Recke und der Herzogin Dorothea das kurländische Kleeblatt, welches zuerst die engen Schranken, in denen sich bis dahin in ihrer Heimath das Leben der Frauen bewegte, durchbrach und Sinn und Interesse für höhere geistige Bildung in weiteren Kreisen erweckte. Die Frauen Kurlands haben seitdem dem deutschen Geistesleben und den Schöpfungen der deutschen Litteratur allezeit das lebhafteste Interesse zugewendet und bewiesen.

Ungedruckte Briefe Sophiens an die Herzogin Dorothea und Elise v. d. Recke im Kurländischen Provinzialmuseum. – Goeckingk, Sophiens Charakter in der Deutschen Monatsschrift 1790, I, 71–79. – J. L. Schwarz, Denkwürdigkeiten aus dem Leben eines Geschäftsmannes, Dichters und Humoristen, Leipzig 1828. – Wolfrath, Charakteristik edler u. merkwürdiger Menschen, I, Halle 1791. – J. v. Großmann, Sophie Becker und ihr Verhältniß zu Elise v. d. Recke und mehreren ihrer Zeitgenossen in der Penelope für 1843 (war mir ebenso wie das vorhergehende Buch unzugänglich). – Recke und Napiersky, Schriftstellerlexikon, IV, 164, 165.