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ADB:Simon, Jordan (2. Artikel)

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Artikel „Simon, Jordan“ von Sigmund Ritter von Riezler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 619–621, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Simon,_Jordan_(2._Artikel)&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 12:26 Uhr UTC)
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Simon: Jordan S. (Ergänzung zu Bd. XXXIV, S. 377), geboren am 5. November 1710 zu Neustadt a. d. Saale im Würzburgischen, † am 2. August 1776. Nachdem er als Novize in das Kloster der Augustiner Chorherren in Münnerstadt eingetreten war, kam er 1737 in das Kloster derselben Genossenschaft zu Mainz, wo er sechs Jahre lang der Theologie und Philosophie oblag. Nach Empfang der Priesterweihe (1742) wirkte er als Lehrer der Philosophie im Augustinerkloster zu Constanz. Ohne Erlaubniß seiner Oberen und mittellos unternahm er dann abenteuerliche Wanderungen, die ihn drei Jahre lang durch Italien, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Norddeutschland, angeblich sogar durch einen Theil von Rußland führten. Hierauf wurde er Prediger in Erfurt, auch Doctor und Professor der Theologie und Philosophie an der Universität daselbst. Beim Kurfürsten von Mainz in Ungnade gefallen, mußte er nach Würzburg wandern, von wo er aber nach des Kurfürsten Tode als Professor des kanonischen Rechts nach Erfurt zurückberufen wurde. Verschiedene Betrügereien sollen ihm eine Criminaluntersuchung auf den Hals gezogen, der drohenden Untersuchung soll er sich durch die Flucht entzogen haben. Einige Zeit lebte er wieder in Münnerstadt, bis er auch diesen Zufluchtsort verlassen mußte. 1771 ging er nach Rom, wo man ihn jedoch nicht lange duldete, dann über Böhmen nach Wien. Dort, wohin der [620] schlimme Ruf seines Vorlebens nicht gedrungen zu sein scheint, verdankte er seinem Geist und Wissen einflußreiche Gönner und deren Fürsprache die Ernennung zum Professor der Polemik an der Universität Prag. Seine letzten Lebensjahre verliefen dort ungestört und brachten ihm neue Ehren und Würden – er wurde Assessor des erzbischöflichen Consistoriums, königlicher Rath, päpstlicher Protonotar und Haustheolog des Cardinals Valenti. Als er starb, waren wenigstens innerhalb seines Ordens seine früheren Verirrungen, wie es scheint, gänzlich vergessen; hier feierte man ihn ohne Rückhalt als Mann von seltener Gelehrsamkeit, als glücklichen Dichter, hervorragenden Historiker, beredten Prediger, feinsinnigen Philosophen und Theologen. Ob etwa die gegen ihn laut gewordenen Beschuldigungen nur von Gegnern rührten, die er sich durch gewisse freisinnige Anschauungen auf den Hals gezogen hatte, läßt sich nach dem jetzigen Stande unseres Wissens nicht entscheiden. Jedenfalls aber wird man in der Vertretung dieser aufgeklärten Ansichten, nämlich in seiner einsichtigen und freimüthigen Bekämpfung des Hexenwahns die verdienstlichste Seite seines Wirkens zu suchen haben.

Unter dem Pseudonym Ardoino Ubbidiente dell’ Osa hat S. des Veronesers Maffei Schriften gegen den Glauben an die Thatsächlichkeit der Zauberei und Hexerei in einem Buche, das 1761 unter dem Titel „Das große Welt betrügende Nichts“ und 1766 in zweiter Auflage als „Die Nichtigkeit der Hexerey und Zauberey“ in Frankfurt und Leipzig erschien, übersetzt und bearbeitet. Unsere aufgeklärten Zeiten, in welchen die Wissenschaften den höchsten Gipfel zu erreichen suchen, sagt er in der Vorrede, dulden keine Vorurtheile mehr. Alle Beweisgründe, die der unsterbliche Maffei in zwei Schriften über diese Gegenstände niedergelegt, habe er ausgezogen „und den seinigen beigefügt“, durch welches Bekenntniß er dem Brunnen, aus dem er getrunken, sein Recht und die schuldige Ehre gebe. Man darf wohl annehmen, daß sich S. wie einst Spee durch seine aufgeklärten Ansichten in Widerspruch mit dem in seinem Orden herrschenden Geiste setzte und aus diesem Grunde nicht mit offenem Visier zu kämpfen wagte. Simon’s Buch wurde eine der Hauptquellen für die Rede gegen den Hexenwahn, durch welche der Theatiner Sterzinger 1766 in der Münchener Akademie so großes Aufsehen erregte und an welche sich die Litteratur des sogenannten „bayerischen Hexenkriegs“ anknüpft. Unter deren zahlreichen Schriften ist eine der gehaltvollsten die „Anpreisung der allergnädigsten Landesverordnung I. K. u. K. Majestät, wie es mit dem Hexenproceß zu halten sei“ (Mandat der Kaiserin Maria Theresia), München 1767. Der ungenannte Verfasser gehört zu den ersten, die den Ursprung des Greuels erkannten oder doch aufzudecken den Muth hatten. „Man gab gewissen, hiezu bevollmächtigten Geistlichen die Gewalt, die vermeinten Hexenprocesse zu führen, weil die Hexerei als Ketzerei angesehen wurde. Und diese geistlichen Männer hatten die weltlichen Gerichte als untergeordnet in Händen. Das übrige wirkte die Grausamkeit der Folter.“ In einem Exemplar der gesammelten Schriften dieses bayerischen Hexenkriegs in der Münchener Staatsbibliothek hat ein Zeitgenosse, wohl Akademiker, auf den Titelblättern der meist anonymen Schriften die Verfasser bezeichnet und die „Anpreisung“ dem P. Jordan Simon zugewiesen. Damit stimmt die handschriftliche Bemerkung eines Exemplars in der Darmstädter Hofbibliothek überein. Simon’s Leben bleibt in manchen Punkten, sein Charakter durchaus unklar. Sicher aber war er ein begabter, vielseitiger Kopf und ein freimüthiger Kämpe für die Aufklärung.

Ossinger, Bibliotheca Augustiniana (1776), p. 856; hier auch Verzeichnisse von Simon’s theologischen und philosophischen Schriften, darunter deutsche [621] Briefe gegen den Indifferentismus und Materialismus der Zeit. – Clemens Alois v. Baader, Lexikon verstorbener bayerischer Schriftsteller I, 2, 241 flg. (auch hier Schriftenverzeichniß und ältere Litteratur über Simon). – Soldan-Heppe, Geschichte der Hexenprozesse II, 290. – Riezler, Geschichte der Hexenprozesse in Bayern (1896), S. 301 flg., 309 flg.