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ADB:Spieß, Johann Carl

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Artikel „Spieß, Johann Karl“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 180–182, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spie%C3%9F,_Johann_Carl&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 06:42 Uhr UTC)
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Spieß: Johann Karl S. (oder Spies, letztere die jetzt in der Fam. herrschende Gestalt des Namens), Physiker und Arzt. Einer seit den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrh. nach Wernigerode verpflanzten altbürgerlichen Familie entstammend – der Großvater Peter S. leistete am 11. Januar 1604 den wernigerödischen Bürgereid – wurde J. K. dem gräflichen Amtschösser Johann S. von seiner Frau Sabina geb. Ritter geboren. Nach Ausweis des Kirchenbuchs fand die Taufe am 10. November (a. St.) 1663 statt, in der akad. Gedächtnißrede wird der 24. November (a. St.?), auf einem Rosbach’schen[WS 1] Kupferstich der 6. December (a. St.) als Geburtstag angegeben. Während des Amtschössers Wittwe erst im Januar 1708 zu Wernigerode heimging, verlor J. K. seinen Vater schon im zehnten Lebensjahre (März 1673) und die Mutter übergab den zuerst im Hause unterrichteten Sohn der Lateinschule seiner Vaterstadt, die er bis 1680 besuchte. Wenn wir hören, daß er dann sich nach Halberstadt [181] begeben habe, so kann er hier nur vorübergehend gewesen sein, da er noch im letztgenannten Jahre die Wittenberger Hochschule besuchte. Er widmete sich hier besonders pflanzenkundlichen und anatomischen Studien bei Vater und Sperling.[WS 2] Danach war er etwa zwei Jahre in Jena vorzugsweise Hörer und Schüler des Physikers und Mediciners Georg Wolfgang Wedel. Der damalige Ruf der Niederlande wegen der natur- und heilkundlichen Studien bewog ihn, sich dahin zu wenden und zwar zunächst nach Leyden, wo er besonders in dem unter des Professor Lucas Schacht[WS 3] Leitung stehenden Krankenhause reiche Erfahrungen sammelte. Im J. 1683 endlich ging er nach Utrecht, um hier die Würde eines Doctors der Heilkunde zu erlangen, was denn auch mit allen damals üblichen Feierlichkeiten und mit einer Disputation de febre quotidiana intermittente geschah. Damit war im J. 1686 seine wissenschaftliche Vorbildung abgeschlossen und er begab sich zunächst in seine engere Geburtsheimath zurück und hielt sich kurze Zeit in Wernigerode und Ilsenburg auf. Schon ein Jahr darauf wurde er Arzt und Landphysikus des Holzkreises in Magdeburg und vermählte sich 1689 mit Anna Helena, der Tochter des Dr. jur. Otto Geerke in Hildesheim. Im nächsten Jahre zog er dann aber wieder als Stadtphysikus zu Wernigerode und als Leibarzt des Grafen Ernst zu Stolberg[WS 4] in die heimische Grafschaft ein. Das Amt eines Stadtarztes versah er nur fünf Jahre, bis es ihm zu einer Zeit großer Erregung in der wernigerödischen Bürgerschaft und einer infolgedessen vom Kurfürsten von Brandenburg vorgenommenen Rathsveränderung aus Anlaß ungerechter Beschuldigungen und Anfeindungen genommen wurde. Dagegen blieb ihm sowol seine Eigenschaft als gräflicher Leibarzt, als das Vertrauen des Grafen und des besonnenen Theils der Bürgerschaft. Auf den Rath vornehmer Freunde begab er sich im J. 1706 nach Wolfenbüttel, wurde Hofmedicus beim Herzoge Anton Ulrich und später Leibarzt von dessen Sohn und Erben August Wilhelm. Unter dem letzteren Herzoge erhielt er im J. 1718 die Professur der Anatomie und Physiologie an der Universität Helmstedt, welches Amt er am 21. Juni mit einer Rede de veris ad medicam praxin judiciose et feliciter administrandam requisitis antrat. Drei Jahre später wurde ihm an derselben Hochschule die Professur der Therapie oder praktischen Medicin übertragen. S. lag seinen Pflichten als Arzt und akademischer Lehrer mit großer Gewissenhaftigkeit ob und erfreute sich daher eines ebenso großen Vertrauens der seinen ärztlichen Rath Suchenden als einer zahlreichen Zuhörerschaft in seinen Vorlesungen. Dreimal wählte ihn seine Facultät zum Decan; am 17. Januar 1727 wurde er mit der Würde des Vicerectors der Julius-Universität bekleidet. Bei seinem Heilverfahren liebte er die größte Einfachheit. In seinem „Schatz der Gesundheit oder gründl. Anleitung zur Gesundheitspflege für alle Menschen“ (Wolfenb. 1709, Hannover 1711, 8°) sagt er, er wolle keine Geheimmittel darbieten, sondern verspricht, durch Eingehen auf eine sehr große Zahl von einzelnen Fällen, mit Hülfe einer vernünftigen vorsichtigen Lebensweise alles zur Gesundheitspflege diensame in Fragen und Antworten leicht faßlich zu behandeln. Schon zur Zeit seiner Wirksamkeit in Wernigerode bekundete er seine hier angedeuteten Grundsätze in der besonnenen und erfolgreichen Behandlung der „melancholisch-hypochondrischen“ Frau eines kurbrandenburgischen Beamten. Er selbst gab für seine Lehre durch ein sehr regelmäßiges einfaches Leben, besonders auch durch Mäßigkeit im Trinken, Anderen ein gutes Beispiel und bewahrte sich bis in sein 66. Lebensjahr eine große körperliche Rüstigkeit und geistige Frische. Infolge von Reisebeschwerden am 4. Juli 1729 erkrankt, segnete er bereits am 12. d. M. das Zeitliche. Von seiner Frömmigkeit und Treue, seiner Freundlichkeit und sonstigen geselligen Tugenden zeugen eine Reihe von Gedichten in verschiedenen Sprachen, durch welche Amts- und Tischgenossen, Freunde und Schüler ihn bei der Uebernahme des [182] Prorectorats feierten und nach seinem Heimgang betrauerten. Von seinen Schriften sind außer dem schon erwähnten „Schatz der Gesundheit“ (vgl. auch Remedia ad sanitatem tuendam et prolongandam Helmst. 1723) zu nennen: „Melancholia hypochondriaca salivatione mercuriali cito, tuto ac radicitus exstirpanda“. Werniger. s. a. 8°. „Der sichere und nützliche Gebrauch der Brechmittel im Anfange hitziger Krankheiten, absonderlich der Masern und Pocken.“ „Eröfnete Unschuld der Magnesia alba“. „Bericht von der zwar kostbaren doch sehr heilsamen Wurzel Nisi“, alle drei: Wolfenb. 1709. „Historia medica Rosmarini“. Helmst. 1718. 4°. v. d. Hardt, der neben einer Anzahl Dissertationen diese Schriften (außer der über den Gebrauch der Brechmittel und dem 1711er Drucke des „Schatzes der Gesundheit“) aufführt, gedenkt auch noch weiterer gediegener, nachgelassener Schriften des fleißigen Gelehrten, deren Veröffentlichung von den Söhnen zu hoffen sei; eine Erwartung, welche unerfüllt geblieben ist. Dieser Söhne waren sieben neben neun Töchtern. Diese 16 Kinder überlebten den Vater alle bis auf eins und pflanzten sein Geschlecht fort, das noch heute in und außerhalb des Braunschweigischen fortblüht. Die äußere Erscheinung von S. tritt uns in einem von Joh. Friedr. Rosbach[WS 1] in Leipzig gefertigten Kupferstich entgegen, der in mehrfacher Gestalt, doch ohne besonders wesentliche Abweichungen, verbreitet ist. Das Bild, welches an der Spitze vom 151. Theil der deutschen acta eruditorum, Leipzig 1730 steht, bezeichnet ihn bloß als herzogl. Leibarzt und Professor, wogegen die Unterschrift einer im fürstl. Besitz zu Wern. befindlichen Variante (abgekürzt) lautet: „J. C. Sp. Wernigerodensis, archiater D. Brunsv. Lun. M. D. et Therap. P. P. O., Academiæ Juliæ h. t. Vice Rector nat. d. 6. Decembr. 1663.“ Der Stich ist also im J. 1727 oder bald darnach gefertigt.

Vgl. außer dem Kirchenb. der O. Pfarre und archivalischen Nachrichten in Wern., besonders die memoria des J. K. S. von dem Helmstädter Prorector Hermann v. d. Hardt, vorgetr. 8. Aug. 1729. 16 Quartseiten, verschiedene gedruckte Gelegenheitsgedichte und einen handschr. Band: funeralia et biographiae profess. med. Helmstad. von Ch. Aug. Bode 1785 auf herzogl. Bibl. zu Wolfenbüttel.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b Johann Friedrich Rosbach, Kupferstecher, in Berlin Schüler von Georg Paul Busch († 1756) und Johann Georg Wolffgang (1664–1744), ab 1720 in Leipzig tätig.
  2. Für einen Studienbeginn im Jahr 1680 sind diese Angaben zu bezweifeln: Christian Vater erhielt erst 10 Jahre später eine Professur in Wittenberg, und Johann Sperling war bereits über 20 Jahre tot; allerdings war dessen Sohn Paul Gottfried Sperling ab 1681 zunächst als Privatdozent in Wittenberg tätig.
  3. Lucas Schacht (1634–1689), Arzt in Leiden.
  4. Ernst zu Stolberg (1650–1710), Graf von Wernigerode.