ADB:Spindler, Karl

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Artikel „Spindler, A. R. Karl“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 200–202, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spindler,_Karl&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:06 Uhr UTC)
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Spindler: A. R. Karl S., Romanschriftsteller, wurde am 16. Oct. 1796 zu Breslau als Sohn eines Musiklehrers geboren, der bald darauf eine Anstellung als Organist am Münster zu Straßburg i. E. erhielt. Hier wurde der Knabe ziemlich sorgfältig erzogen und begann nach dem Gymnasialbesuch ebenda auf der Akademie das Studium der Rechte. Um nicht gewaltsam zum französischen Soldaten gegen Deutschland gepreßt zu werden, flüchtete er über die Grenze auf reichsdeutschen Boden. Er hielt sich einige Zeit hindurch bei einem Oheim, einem Landgeistlichen unweit Augsburg auf, ging dann zum Theaterfach über, worauf er ein Jahrzehnt lang, doch nur in untergeordneten Rollen, als Mitglied wandernder Truppen thätig war. Aus diesen Kreuz- und Querfahrten in Süd- und Südwestdeutschland stammt sein Interesse für die mittelalterlichen Erinnerungen der Städte und sein Sinn für die um diese gewobene Romantik des altvolksthümlichen Lebens. Als er, durch Walter Scott angeregt, seine ganz hervorragende Gabe der erzählenden Darstellung erkannt hatte und deren Pflege um 1825 trotz geringer Aussichten auf eine sichere Existenz zum alleinigen Beruf erkor, verzichtete er gern auf die unbefriedigende Bühnenwirksamkeit und versuchte sich zuerst in der Schweiz als unabhängiger Litterat durchzuschlagen. Dies gelang ihm anfangs nur recht kümmerlich. Von Hanau, wo er sich wie es heißt niedergelassen hatte, zog er nach Stuttgart, siedelte 1827 nach München über, wo 1829–30 unter seiner Redaction die „Damenzeitung“ erschien, endlich 1832 nach Baden-Baden. Hier faßte er nunmehr festen Fuß, kaufte sich ein kleines Besitzthum und lebte in ununterbrochener Schaffenslust ziemlich sorgenfrei, bis ihn am 12. Juli 1855 im Bade Freiersbach in Baden der Tod ereilte. 1830–49 hatte er das belletristische Taschenbuch „Vergißmeinnicht“ geleitet. Es ist an diesem Orte nicht möglich, auch nur die bedeutenderen und für Spindler’s Eigenart wichtigeren Romane näher zu beleuchten. Als die hervorragendsten müssen gelten: „Der Bastard“ (1826), „Der Jude“ (1827), „Der Jesuit“ (1829), „Der Invalide“ (1831), „Die Nonne von Gnadenzell“ (1833), „Der König von Zion“ (1837), „Der Vogelhändler von Imst“ (1842), „Fridolin Schwerdtberger“ (1844); von Novellen besonders „der große Antlas“ (das Frohnleichnamsfest in München), daneben „Die Ulme des Vauru“. Auf der vollen Höhe zeigt S. bereits „Der Jude“, ein Sittenbild aus dem 15. Jahrhundert, wo auch die Charakteristik am weitesten in die Tiefe reicht. Am stärksten prägen sich die Glanzseiten von Spindler’s Talent in den vier erstgenannten aus, während „Der Vogelhändler von Imst“ bei der schönen Rücksicht auf die edelsten Triebe von Gemüth und Herz am meisten Spindler’s Hang zur romantischen Art enthüllt. „Der Jesuit“, in dem Ordensstaate Paraguay spielend, und „Der Invalide“, ein farbiges Gemälde der französischen Revolutionswirren, in das auch Napoleon’s mächtige [201] Gestalt fein eingezeichnet ist, bieten groß umrissene Zeitbilder mit rein politischem, durchaus modernem Hintergrunde.

S. ist einer der allerfruchtbarsten, aber auch der begabtesten deutschen Romanschriftsteller. Seine unbezwingliche Schreiblust, die doch nur in den ersten Jahren seiner litterarischen Thätigkeit vom Drange der Noth beflügelt wurde, verschuldete die verwässerte und abgeblaßte Art seiner gesammten späteren Production. Augenscheinlich gewohnt, unmittelbar für die Druckerpresse zu arbeiten und das Aufgesetzte nicht einmal zu überlesen, hat der federfixe Mann keinerlei beachtlicheres Manuscript im Pulte hinterlassen. Ohne nach Theorien und Stilvorschriften zu fragen, ohne sich sachliche Motive zurechtzulegen und Nebenzüge anzugliedern, ohne ein noch so rohes Schema der Spannungsscala, ohne einen Grundriß der Charakteristik warf er treue und packende Culturbilder mit interessantem Scenenwechsel aufs Papier, die in den Dreißigern und Vierzigern unseres Jahrhunderts in den breitesten Schichten der bürgerlichen Classen mit Begier verschlungen wurden. Seine genialen Anlagen richtig auszuwerthen und zu wahrhaft großer Dichterschaft fortzuschreiten, dazu fehlten ihm Ruhe und vor allem Selbstzucht. Vervollkommnen war bei ihm ausgeschlossen, da er wohl nie im höheren Sinne über seine Mittel nachdachte und sich Situationen nach mehr und mehr einwurzelnder Manier aufbaute und Figuren allgemach nach der Schablone schnitzte, wenn auch eben nach eigener Manier und Schablone. Am liebsten und glücklichsten erging er sich in der mittelalterlichen Geschichte, insbesondere in der deutschen Vergangenheit und er zauberte ohne die archäologischen Mittelchen des modernen „Professorenromans“ wirkliche Verhältnisse der Vorzeit so sprechend vors Auge, daß er zu den wenigen Erzählern gehört, die sich durch das stoffliche Element allein ein breites Publicum erwerben und sichern. Frisch und lebenswahr, beweglich, oft in keckem Wurfe stellt er dar. Die unteren Schichten der Gesellschaft, den einfältiger verbliebenen Menschenschlag in Dorf und Kleinstadt kannte S. aus seiner dramatischen Laufbahn am besten und sie schildert er darum mit unleugbarem Geschick. Die kleinen Züge im Weben und Treiben dieser kleinen Kreise reproducirt er wahrhaft verständnißinnig.

In der dramatischen Dichtkunst versuchte sich S. nur nebenbei und auch bloß im Anfange, vor seinem gänzlichen Entscheide für die Erzählung. Gedruckt wurden wohl nur das vieractige „vaterländische Lustspiel“, ‚Gott bescheert über Nacht‘ (Zürich 1825) und das historische Schauspiel in 5 Acten und einem Vorspiele „Hans Waldmann“ (Stuttgart 1837). Das erstere scheint in der Schweiz, das zweite vielleicht an einer badischen Bühne aufgeführt worden zu sein.

Diese Skizze darf sich kürzer halten, indem sie auf die vortreffliche Behandlung Spindler’s in Goedeke’s Grundriß zur Gesch. d. d. D. D. 1 III, § 332, 211, S. 734–740 hinweist. Goedeke bietet eine gute allgemeine Kritik, die S. den ersten deutschen Romandichtern einreiht und ihm auch künstlerisches Eingreifen beilegt, eine kurze Würdigung der Hauptromane und namentlich eine ganz genaue auf authentischer Einsicht beruhende Bibliographie sämmtlicher Nummern, wo alle Ausgaben bis zum Jahre 1858 und S. 740 auch die bibliographischen Fundstätten verzeichnet sind. Namentlich die letzten Bände von Wilhelm v. Chézy’s, Helmina’s Sohnes, der 1831–47 bei S. in Baden-Baden lebte, „Erinnerungen aus meinem Leben“ (1863–64) enthalten viel Material. Spindler’s „Städte und Menschen. Erinnerungen in bunter Reihe“ (1848) sind mit Vorsicht zu benutzen. Von neueren litterargeschichtlichen Werken hat H. Mielke, „Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts“, S. 74 S. knapp aber richtig vorgeführt. Wie sehr er auch heute noch auf willige Leser rechnen kann, beweisen z. B. die jüngste Neuausgabe des Hauptwerks „Der Jude“ (Teschen 1891) und die Aufnahme [202] einer kleineren Geschichte in „Der Humorist, 2. Bd.: Historietten und Schwänke“ (Berlin 1890). Zu Spindler’s Dramen vgl. man Goedeke a. a. O. S. 885. Auch der ganz kurze Artikel von M(arggraff ?) im „Allgem. Theaterlexikon“ VII, 24 gibt einige gute Notizen über den Romantiker und Dramatiker.