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ADB:Spitta, Karl Johann Philipp

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Artikel „Spitta, Karl Johann Philipp“ von l. u. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 204–208, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spitta,_Karl_Johann_Philipp&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Spitta: Karl Johann Philipp S., der bekannte Dichter geistlicher Lieder, ist am 1. August 1801 zu Hannover geboren. Väterlicherseits stammte er aus einer Hugenottenfamilie, die nach dem Falle von La Rochelle im J. 1628 (vielleicht auch schon früher) nach der Pfalz geflohen war, und deren ursprünglicher Name de l’Hôpital hieß. Sein Vater, Lebrecht Wilhelm Gottfried S., war im J. 1754 zu Braunschweig geboren, wo wir die Familie seit dem Jahre 1701 ansässig finden, und hatte sich als Kaufmann an verschiedenen Orten, auch einmal zu Naarden in Holland, niedergelassen, aber in seinen Geschäften kein Glück gehabt; zuletzt wandte er sich nach Hannover, wo er als Lehrer der französischen Sprache und als Buchhalter seinen Unterhalt fand. Hier verheirathete er sich zum zweiten Male am 13. Mai 1791 mit Henriette Charlotte Fromme (geboren 1758 in Goslar), einer Proselytin, die vor ihrer im J. 1780 in Hannover erfolgten Taufe als Jüdin Rebecka Lehser (? Löser) geheißen hatte. So hatte unser S., der ein Deutscher war, zu seinen Vorfahren Franzosen und Israeliten, und der Lutheraner stammte von Familien reformirten Bekenntnisses und jüdischer Religion ab, Umstände. die auf seine Persönlichkeit nicht ohne Einfluß geblieben sind. Schon im vierten Jahre verlor er seinen Vater und die Mutter hatte nun für eine Stieftochter und fünf eigne Kinder, unter welchen unser S. das vorjüngste war, zu sorgen, was ihr manchmal recht sauer wurde; auch daß sie im J. 1808 in eine zweite Ehe mit dem Wittwer Georg Knocke trat, verbesserte ihre äußere Lage nicht wesentlich. Doch merkte unser S. davon [205] zunächst nicht viel. Ostern 1808 ward er, weil er studiren sollte, in seinem siebenten Jahre, auf die Quinta des hannoverschen Lyceums gegeben und war hier nach seiner eignen Aussage „ein überglücklicher Knabe“. In seinem elften Jahre erkrankte er jedoch heftig an den Skropheln und mußte nun vier Jahre lang von allem Unterricht zurückgehalten werden. Damit begannen für ihn schwere Tage, die auch nicht aufhörten, als ein einfaches Hausmittel, das ein französischer Unterofficier, der in Hannover in Quartier lag, empfohlen hatte, vortreffliche Wirkung that und er sich nun, obschon die Spuren der Krankheit ihm lebenslang anzusehen blieben, allmählich vollständig erholte. – Denn da er jetzt im Lernen so sehr zurückgeblieben war, gab seine Mutter den Gedanken, ihn studiren zu lassen, auf und that ihn zu dem Uhrmacher Hespe in die Lehre. Der sehr begabte Knabe, der schon dichtete und dabei ein reiches inneres Gemüthsleben führte, fand sich in dem ihm aufgedrängten Berufe völlig unbefriedigt und suchte bald in den Freistunden seine Bücher wieder hervor und trieb Lateinisch, Geographie und Geschichte. Um so mehr aber fühlte er sich in seiner Berufsarbeit unglücklich und nicht selten überfiel ihn eine gewaltige Traurigkeit. Da brachte ein plötzlicher Schlag, der die Familie traf, ihm Befreiung aus der drückenden Lage. Sein jüngerer Bruder Ludwig, der Theologie studiren sollte, ertrank im Sommer 1818 bei dem Versuche, einen im Wasser in Gefahr gerathenen Freund zu retten; und als nun die Mutter von dem älteren Bruder Heinrich (s. o.), der damals schon in Göttingen Medicin studirte, erfuhr, was unser S. ihr selbst nie geklagt hatte, wie unglücklich er in seinem jetzigen Berufe sei, da bot sie ihm an, ob er nun noch an Stelle des verstorbenen Bruders Theologie studiren wolle; und freudestrahlend verließ er im Herbst 1818 die Uhrmacherwerkstätte und zog wieder zu seiner Mutter, um sich auf das Studium vorzubereiten. Nachdem er von Ostern 1819 an noch zwei Jahre das Gymnasium in Hannover besucht hatte, ging er Ostern 1821 als Student der Theologie nach Göttingen. Die theologischen Vorlesungen boten ihm nicht viel; der herrschende Rationalismus stieß ihn durch schnöde Verhöhnung des Heiligen oder durch eintönige Langweiligkeit ab; nur die Gelehrsamkeit einiger Docenten weiß er zu rühmen. Außer der Theologie trieb er besonders sprachliche Studien; das Mittelhochdeutsche, und dann neben dem Hebräischen das Arabische und Persische beschäftigten ihn eifrig; es scheint, daß der Wunsch, die Dichterwerke in diesen Sprachen kennen zu lernen, ihn dabei leitete. Für sein inneres Leben war von Bedeutung der Freundeskreis, den er durch seinen Eintritt in die Burschenschaft fand. Wilhelm Havemann (A. D. B. XI, 114), der ihn hier kennen lernte, sagt, es sei der fröhliche Jugendmuth, die streng sittliche Richtung und die brüderliche Einigkeit in der Burschenschaft gewesen, was S. ihr zugeführt habe; hingegen habe S. ihren politischen Bestrebungen ganz fern gestanden und sei wahrscheinlich nicht einmal in sie eingeweiht gewesen. S. fand in diesem Kreise Genossen, die mit ihm für das, was ihn bewegte, begeistert waren; man schwärmte für die Romantiker und lebte in Kunst und Poesie. Zu den Freunden gehörte damals auch Heinrich Heine, der sich mit seinen Gedichten aufdrängte, hernach aber ausgewiesen wurde. Auf die Entwicklung der dichterischen Begabung Spitta’s hatte aber außer seinem Bruder Heinrich, der selbst ein begabter Dichter war und schon seit dem Jahre 1818 Gedichte hatte drucken lassen, den bedeutendsten Einfluß Adolf Peters (siehe Allgemeine Deutsche Biogr. XXV, 481), später Professor an St. Afra in Meißen. Um den Dichter Heinrich S. kennen zu lernen, war er von Hameln aus, wo er damals lebte, im Sommer 1819 nach Hannover in das elterliche Haus der Brüder gekommen und von da an datirt seine Freundschaft mit unserem Philipp S. Die Liebe zur Kunst, insbesondere zur Poesie, führte sie zusammen. Beide [206] dichteten und theilten sich ihre Gedichte zur Beurtheilung mit; eine große Anzahl von Gedichten unseres S. aus seiner Gymnasialzeit, von denen jedoch nie etwas gedruckt ist, sogar ein Trauerspiel „Bruno oder Heldensinn“ in fünf Acten, wurden namentlich durch Peters in einer kleinen auserwählten Gesellschaft bekannt. Und auf der Universität, wohin Peters seinem Freunde im Herbst 1822 nachkam, bildeten sie bald den Mittelpunkt eines engeren Freundeskreises, der sich die Pflege der Dichtkunst und insbesondere des Volksgesanges ernstlich angelegen sein ließ. Man nannte sich „Tafelrunde“ und gab auch den einzelnen Sängern charakteristische Namen. Unser S. hieß „Adelreich“. Man fing nun auch an einzelnes im Druck ausgehen zu lassen; es geschah auf „fliegenden Blättern“, die der Buchhändler Feisel zu Eimbeck verlegte. Sodann gab die Tafelrunde im Anfange des Jahres 1824 ein von S. allein verfaßtes „Sangbüchlein der Liebe für Handwerksburschen“ heraus, das zunächst ohne Namen von Verfasser oder Drucker in Kleinoctav ausging und durch die Freunde verbreitet wurde; später kam es in Commission von Vandenhoeck und Ruprecht in Göttingen. Das Büchlein fand gute Aufnahme; ein Recensent in der Rheinischen Flora (1825, Nr. 42) steht nicht an zu sagen, die in diesem Büchlein veröffentlichten Volkslieder seien das Vortrefflichste, das wir in diesem Genre neben Goethe und Uhland besitzen. – Für Spitta’s theologische und religiöse Entwicklung wurden bedeutungsvoll einerseits das Studium der Werke von de Wette und Tholuck, andererseits, daß er einen Kreis von Katholiken kennen lernte, in welchem sich u. a. der spätere Fürstbischof von Diepenbrock befand. Als er Ostern 1824 die Universität verließ, war er innerlich noch gar sehr im Werden; fest stand ihm der Gegensatz gegen Rationalismus und gegen Katholicismus; er hing mit frommem Sinn an der heiligen Schrift, und das Christenthum seiner Jugend hielt er fest; aber es war ihm noch mehr Gegenstand der Erkenntniß und Begeisterung, als Gesinnung. In dieser Hinsicht wurden nun seine Candidatenjahre für ihn von größter Bedeutung. Nachdem er sein erstes theologisches Examen in Hannover bestanden, trat er im Mai 1824 als Hauslehrer bei dem Amtmann, späteren Oberamtmann Jochmus in Lüne bei Lüneburg eine Stellung an, in der er bis gegen Ende des Jahres 1828 verblieb. Seine Arbeit an den Kindern ließ ihm doch Zeit zum Studiren und zum Umgang mit Freunden, deren er einige in der nächsten Nähe, wie in Lüneburg den Pastor Deichmann, andere in der weitern Nachbarschaft fand; unter den letzten sind Catenhusen in Lauenburg, Rautenberg, John und Amalie Sieveking in Hamburg, August Freiherr von Arnswaldt in Hannover (A. D. B. I, 598) zu nennen, Namen, die in der Geschichte des wieder erwachenden kirchlichen Lebens einen guten Klang haben. Zudem lebte er in angenehmen und anregenden häuslichen Verhältnissen. Was er hier unter stetem Studium der heiligen Schrift und dann vor allem auch Luther’s in dem friedlichen Landleben und dem fördernden mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Gleichgesinnten für sein inneres Leben gewann, das pflegte er dann in einem Liede austönen zu lassen. Hier in Lüne ist ein großer Theil seiner geistlichen Lieder entstanden, und man darf wohl sagen, daß dieses gerade auch seine besten Lieder sind. Bald nachdem er im October 1825 sein zweites theologisches Examen bestanden, verband er sich mit seinem Freunde Deichmann zur Herausgabe der „Christlichen Monatsschrift zur Erbauung für alle Stände“; sie erschien nur vom Januar bis zum Juni 1826; in ihr wurden zum ersten Mal geistliche Lieder von S. mitgetheilt; unter den zehn aufgenommenen sind nur drei, die sich auch in den später gedruckten Sammlungen befinden. Im Herbste 1827 reiste er zu seinem dritten Examen nach Hannover; da er schon in den Geruch des Mysticismus – wie man damals ein entscheidenes Eintreten für die kirchliche Lehre und namentlich jeden Versuch, außerhalb [207] des herkömmlichen Gottesdienstes für die Erbauung der Gemeinde zu wirken, nannte – gekommen war und davon wußte, daß man in dieser Hinsicht über ihn Nachforschungen angestellt hatte, war er um so mehr verwundert, bei seinem Examinator Anerkennung für seine kirchliche Stellung zu finden; das beinahe gefürchtete Examen ward ihm zu einem erbaulichen Zwiegespräch über die wichtigsten Glaubenswahrheiten. Vom Ende des Jahres 1828 an stand S. dann bis zu seinem Tode an sechs verschiedenen Stellen im geistlichen Amte. Zuerst ward er Amtsgehülfe des Pastor Cleves zu Sudwalde in der Inspection Suhlingen; dann kam er im November 1830 als interimistischer Garnisons- und Gefängnißprediger nach Hameln. Hier hatte er allerlei Widerwärtigkeiten zu bestehen; manchen Officieren war sein ernstes Auftreten verhaßt; seine treue Arbeit an den Gefangenen lohnte man damit, daß man aussprengte, er mache sie verrückt; und als gar Landleute aus der Umgegend sich zu seinen Predigten drängten, galt er für gemeinschädlich. Obschon seine Wirksamkeit eine reich gesegnete war und alle Verdächtigungen derselben durch amtliche Untersuchungen hinfällig wurden, wurde ihm doch, als die Stellung im J. 1837 zu einer definitiven werden sollte, vom Consistorium gerathen, in einen anderen Wirkungskreis überzutreten. Das Consistorium, das ihm durchaus wohl wollte, übertrug ihm die Pfarre zu Wechold bei Hoya. Ehe er dorthin übersiedelte, feierte er am 4. October 1837 seine Hochzeit mit Johanna Maria Magdalena, Tochter des verstorbenen Oberförsters Hotzen in Grohnde, der S. besonders auch durch seine Theilnahme an einem von S. gegründeten Missionsverein nahe getreten war; die Mutter seiner Braut war eine Tochter des Aeltermannes Tidemann in Bremen. In Wechold hatte S. mit baptistischen Bewegungen in seiner Gemeinde zu kämpfen; dieses und der Einfluß seines schon genannten Freundes von Arnswaldt trieben ihn immer mehr in eine entschiedene kirchliche Stellung, wie er denn auch die lutherische Gottesdienstordnung in Wechold wieder herstellte. Im J. 1847 wurde er als Superintendent nach Wittingen versetzt. Von hier wurde er im J. 1853 als Superintendent und erster Pfarrer nach Peine in der Nähe von Hildesheim berufen, und schließlich ward er noch i. J. 1859 Superintendent in Burgdorf bei Celle. Eine Berufung, die im J. 1844 an ihn ergangen war, in Barmen-Wupperfeld an Feldhoff’s Stelle Pfarrer zu werden, lehnte er ab, weil er das Abendmahl nicht nach unirtem Ritus austheilen wollte: auch einem Ruf an die luth. Gemeinde in Elberfeld im J. 1846 folgte er nicht. Seitdem er im Amte war, hat S. nur noch wenige Lieder gedichtet; er hatte mit den amtlichen Arbeiten vollauf zu thun, vor allem, seitdem er auch Superintendent war; aber er fand auch in dieser Thätigkeit volle Befriedigung und auch immer größere Anerkennung. Im J. 1855 ernannte ihn die theologische Facultät zu Göttingen gelegentlich der Jubelfeier des Augsburger Religionsfriedens honoris causa zum Doctor der Theologie. – Eine besondere Sammlung geistlicher Lieder von S. erschien zuerst Pirna 1833 unter dem Titel „Psalter und Harfe“; sein Freund A. Peters hatte aus Spitta’s handschriftlich vorhandenen Liedern 61 für den Druck ausgesucht. Wegen ihrer großen Einfachheit, ihrer kindlichen Frömmigkeit und ihrer schönen Sprache fanden diese Lieder von vorn herein eine große Verbreitung; schon im folgenden Jahre erschien eine zweite Auflage mit 5 Liedern vermehrt; und dann brachte fast jedes Jahr neue Auflagen (Abdrucke der zweiten). Im J. 1843 gab S. eine zweite Sammlung unter demselben Titel heraus, welche fast dieselbe Aufnahme fand. Von der ersten Sammlung sind jetzt an 60, von der zweiten 45 Ausgaben erschienen. Eine weniger günstige Aufnahme fanden die aus Spitta’s Nachlaß von Peters herausgegebenen Lieder (Leipzig 1861); es waren eben solche, welche Peters und S. früher für den Druck weniger geeignet gefunden hatten. Ueber die zu Spitta’s Liedern erschienenen Melodien [208] vgl. Koch in dem unten zu nennenden Werke. Obschon seine Lieder von ihm für die häusliche Andacht bestimmt sind, sind doch eine Anzahl auch in gottesdienstlichen Gebrauch gekommen und in Gemeindegesangbücher aufgenommen; so z. B. die Lieder: „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“, „Bleibt bei dem, der euretwillen“, „Ich und mein Haus, wir sind bereit“, „Kehre wieder, kehre wieder“, „O selig Haus, wo man dich aufgenommen“ u. a. In Burgdorf, wohin er auf seinen eignen Wunsch versetzt war und wo er sein Amt im Juli 1859 antrat, sollte er nur kurze Zeit weilen; er erkrankte dort bald an einem gastrischen Fieber, von dem er anscheinend schon genesen war, als ihn am 28. September 1859 ein Herzkrampf erfaßte und in einer Viertelstunde seinem Leben ein Ende machte. Er war nur 58 Jahre alt geworden.

K. K. Münkel, Karl Johann Philipp Spitta, ein Lebensbild. Leipzig 1861. – Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. s. f., 3. Aufl., VII, 232 ff. – Otto Kraus, Geistliche Lieder im 19. Jahrhundert, 2. Aufl., Gütersloh 1879, S. 489 ff. – Herzog u. Plitt, Realencyklopädie, 2. Aufl., XIV, 539 f. – Wetzstein, Die religiöse Lyrik der Deutschen im 19. Jahrhundert, Neustrelitz 1891, S. 238 ff. – James Mearns in: John Julian, Dictionary of Hymnology, London 1892, S. 1075 ff. – Außerdem ist zu vergleichen die Einleitung zu der in der Perthes’schen Bibliothek theologischer Classiker erschienenen Ausgabe von Spitta’s Psalter und Harfe (Gotha 1890); hier hat Spitta’s Sohn Ludwig die bisher bekannten Nachrichten aus dem Leben seines Vaters ergänzt und namentlich über dessen dichterisches Wirken und Schaffen eingehende Mittheilungen gemacht.