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ADB:Spitzeder, Josef

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Artikel „Spitzeder, Joseph“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 217–220, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spitzeder,_Josef&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:15 Uhr UTC)
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Spitzeder: Joseph S., der berühmteste deutsche Baßbuffo der zwanziger Jahre, entstammt einer in Oesterreich und Bayern ansässigen, weit verzweigten Künstlerfamilie. Einen fürstlich salzburgischen Kammersänger Franz Anton S., geboren 1732 zu Traunstein, † 1796 zu Aigen bei Salzburg, erwähnt Wurzbach (XXXVI, 179) mit der anderwärts allerdings nicht beglaubigten Bemerkung, er habe zu den ersten Lehrern Mozart’s gezählt. Auch der Vater Joseph’s, Johann Baptist S., um 1769 in Wien (?) geboren, gehörte schon von Jugend her dem Berufskreise der Musik und des Theaters an. Im Jahre 1789 wird er als Mitglied des kurfürstlichen Nationaltheaters in Bonn erwähnt und später findet man ihn am Theater zu Kassel als Vertreter der ersten und ernsten Baßrollen. Am 27. März 1799 debütirte er als Osmin in Mozart’s „Entführung“ auf dem Weimarer Theater und fand daraufhin an der von Goethe geleiteten Bühne eine Anstellung. Von des Lebens Not bedrängt und der Aussicht auf eine bessere Zukunft verlockt, begehrte er 1804 in Weimar seine Entlassung, um in der österreichischen Kaiserstadt an dem von Schikaneder zur Blüthe gebrachten „Theater an der Wien“ sein Glück zu versuchen. Allein seine Kunst fand in der Heimath wenig Anerkennung, seine Art war zu ernst und schwer für die komische Bühne und so mußte der arme Komödiant mit seiner großen Familie bald wieder weiter ziehen. Nachdem der Versuch, in Weimar wieder anzukommen, gescheitert war, wandte er sich nach Bamberg und von da nach Nürnberg, wo neben ihm sein Sohn Joseph und seine Töchter Amalie und Adele (später verehelichte Fries) ihren ersten Wirkungskreis fanden.

Vgl. E. Pasqué, Goethe’s Theaterleitung in Weimar II, 135 ff. – Fr. Mayer, Chancen des Nürnberger Theaters (Nürnberg 1843), S. 78 f.

Joseph S. wurde, laut der noch zu seinen Lebzeiten von Biedenfeld in der Berliner allgemeinen musikalischen Zeitung veröffentlichten biographischen Skizze, im Jahre 1795 in Bonn geboren. Seine Kindheit und Jugend verliefen in der Armseligkeit und Phantastik des wandernden Komödiantenthums. Von früh auf mußte er mithelfen, das tägliche Brot der Familie zu verdienen und schon in Weimar soll er, im Kinderballet, seine ersten Schritte auf der Bühne gethan haben. Für die Schule blieb bei so bewegtem, arbeitsvollem Tagesleben natürlich wenig Zeit, doch wird erwähnt, daß er in Nürnberg anfänglich das Gymnasium besuchte und dabei den Unterricht des Philosophen Hegel genoß, der [218] in den Jahren 1808–16 dieser Anstalt als Rector vorstand. Viel wichtiger für S. war die Schule schauspielerischer Gewandtheit und musikalischer Fertigkeit, die er unter dem zwingenden Druck persönlicher und localer Verhältnisse am Nürnberger Theater durchzumachen hatte. Rollen aller Art, Helden in der Oper und in der Tragödie, Intriganten und zärtliche Väter, Naturburschen und Pierrots wurden dem armen Anfänger zuertheilt und er hatte sich sowohl mit Sarastro als mit Papageno, mit dem Pontifex Maximus als mit Rochus Pumpernikel, mit Lux und Adam (Dorfbarbier) und im Schauspiel gar mit Mortimer und Paulet, mit Dunois und Spiegelberg abzufinden. Wurde dabei auch nur flüchtig memorirt und viel aus dem Stegreif gespielt und gesprochen, so mußte doch solche Mannigfaltigkeit der Aufgaben die mimischen Fähigkeiten des Darstellers alle auslösen und namentlich den Trieb zur Charakteristik lebhaft anregen. Schlimmer stand es dagegen um die musikalische Schulung. Jedem wurde die Singstimme so lange vorgegeigt, bis er sie auswendig wußte – oder auch nicht, so daß die Violine auch in der Aufführung nachhelfen mußte, erzählt Biedenfeld, und in der That zeigt sich S. später auch noch bemüht, nach dieser Richtung seine künstlerische Bildung zu ergänzen. Jedenfalls aber nahm er im Rahmen des Nürnberger Theaters bald eine erste Stellung ein, denn schon im Jahre 1816 sehen wir ihn, den von Haus aus völlig Mittellosen so gestellt, daß er es wagen konnte, mit der Sängerin Henriette Schüler einen eigenen Hausstand zu gründen und im Jahre 1818 verzeichnet das Rechnungsbuch der Direction das junge Künstlerpaar mit dem größten Gehalt, einer Monatsgage von 133 Gulden 40 Kreuzern. Von der Höhe und Weite ihrer Leistungsfähigkeit gibt es schon ein Bild, wenn wir aus alten Theaterzetteln erfahren, daß sie den Nürnbergern damals nicht nur Figaro und Susanna, sondern auch Sextus und Publius vorzustellen hatten. Als im Frühjahr 1819 die Wittwe des Directors Reutter von der Leitung des Nürnberger Theaters zurücktrat und die Gesellschaft entließ, wandte sich S. mit seiner Frau nach Wien, wo sie nach einem nur für die Frau erfolgreichen Gastspiel am Hofoperntheater beim Theater an der Wien Anstellung fanden. Am 22. April 1819 stellten sie sich als Oberpriester und Donna Elvira in Winter’s „Opferfest“ – die Myrrha sang an jenem Abend Betty Vio, Spitzeder’s spätere zweite Frau! – dem neuen Publicum vor und wurden als „gute Acquisitionen“ freundlich aufgenommen. Geraume Zeit verging indessen nun bis sich das Paar in die neuen Verhältnisse gewöhnt und jedes das seiner Begabung entsprechende Rollenfach gefunden und erobert hatte. In mancherlei Versuchen wurden ihre Kräfte erprobt; Madame Spitzeder fand zuerst festen Boden, während er, bald zum Leporello, bald zum Comthur bestimmt, es anfänglich über den Ruf des braven und gewandten Lückenbüßers nicht hinausbrachte. Da fiel ihm gelegentlich eines Gastspiels der Demoiselle Metzger die Rolle des Amtmanns Knoll in Paisiello’s komischer Oper „Die schöne Müllerin“ zu und er erwies sich in der natürlichen Auffassung und Durchführung dieser Buffofigur so hervorragend und errang einen so außergewöhnlichen Erfolg, daß man den 25. November 1820 geradezu als den Geburtstag seines Ruhmes bezeichnen kann. Getragen von der wachsenden Gunst der Wiener gelangt seine Begabung nunmehr zu immer freierer Entfaltung und wie sich seine künstlerische Meisterschaft in einer lebensvollen, individuellen Wiedergabe der großen Bufforollen: Leporello, Figaro, Papageno, Stößel u. a., erprobt, so offenbart sich seine Beliebtheit in dem Vermögen, selbst minderwerthige Stücke durch seine Leistung über Wasser zu halten. Er wurde eine Zugkraft seines Theaters und behauptete diese Vorzugsstellung auch dann noch, als mit den Opern Rossini’s italienische Gesangs- und Darstellungskunst in Wien ihre Triumphe feierten; seine Kunst bestand auch neben der eines Lablache, Haizinger, Forti, einer Fodor und Sontag. Ja, es unterliegt keinem Zweifel, [219] daß die Berührung mit italienischer Kunst auf seine Entwicklung nur förderlich wirkte. Unter solchen Verhältnissen bildete sich, wie Biedenfeld bemerkt, aus seinem humorreichen Inneren jenes seltene Gemisch deutscher Charakteristik und Ruhe mit italienischer Lebendigkeit und Farbe, welches seine komischen Gebilde in Gesang und Spiel stets zu siegreichen Erscheinungen, zu glänzenden Originalitäten erhob. Seine Kunst war die gemüthvoll drollige Ruhe. Die Vorzüge seiner Stimme beruhten nicht sowohl auf dem Umfang als auf dem eigentlichen Baßklang der reichen Mittellage, auf der Kraft, dem Schmelz und der Biegsamkeit des Organs, verbunden mit natürlich schöner Coloratur und einem reinen Triller in allen Lagen. Dagegen war es um die Ausgeglichenheit der Register nicht zum besten bestellt, was bei den Uebergangstönen die Reinheit der Intonation hin und wieder beeinträchtigte.

Die Richtigkeit dieser von Biedenfeld gegebenen Charakteristik wird durch die Uebereinstimmung der Urtheile in den Wiener und Berliner Musikzeitungen bestätigt. Im Sommer 1824 hatte sich S. nämlich für das neu eröffnete königstädtische Theater in Berlin gewinnen lassen und eroberte sich hier im Sturme die Gunst des Publicums und die Hochachtung der Kritik. Schon nach seinen ersten Darbietungen, dem Istock im „Ochsenmenuett“, dem Roms in Cimarosa’s matrimonio, dem Apotheker Stößel und dem Schulmeister Rund, bezeichnet ihn A. B. Marx als den Stern seiner Bühne und die Berichte sind einstimmig in der Anerkennung seines bedeutenden Könnens und namentlich seiner frischen und lebensvollen, von aller verzerrenden Uebertreibung freien Komik. Und dieses Ansehen blieb ihm auch, als das königstädtische Theater sich von dem älteren Singspiel den Opern Rossini’s und Auber’s zuwandte; als Thaddäus in „Die Italienerin in Algier“, als Flambeau in „Graf Ory“, als Podesta in der „diebischen Elster“ war er nicht weniger beliebt wie als Baptiste im „Maurer“ oder als Kockburn in „Fra Diavolo“. Trotz dieser Erfolge und seiner Beförderung zum Regisseur (1829) verließ S. aber im Jahre 1832 das königstädtische Theater, mit dessen Leiter er zuguterletzt einen erbitterten Federkrieg geführt hatte, und trat als Mitglied in den Künstlerverband des Münchener Hof- und Nationaltheaters, wo er als Gast ein Jahr vorher Triumphe gefeiert hatte. Sein Wirken war kurz bemessen. Nachdem er nur einmal aufgetreten, starb er zu München am 13. December 1832.

Vgl. F. E. Hysel, Das Theater in Nürnberg von 1612–1863, S. 124 f. 227. – Allgemeine musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Wien 1817–23, passim. – Berliner allgemeine musikalische Zeitung 1824–30. – Ledebur, Tonkünstlerlexikon Berlins, S. 558 f.

Henriette S. geborene Schüler, des Künstlers erste Gattin, geboren den 18. März 1800 in Dessau, begann ihre Laufbahn 1814 in Nürnberg und folgte ihrem Gatten an die Theater in Wien und Berlin, wo sie als gründlich gebildete, zuverlässige Sängerin allzeit Anerkennung fand. In ihrer besten Zeit vertrat sie die Fächer der Heldin (Donna Anna) und der Coloratursängerin (Königin der Nacht). Im Frühjahr 1828 verließ sie die Bühne ganz und starb zu Berlin am 27. November 1828 im Wochenbette.

Betty S., geborene Vio, Joseph Spitzeder’s zweite Gattin kam 1818 vom Karlsruher Hoftheater nach Wien und debütirte als Myrrha in Winter’s Opferfest beim Theater an der Wien. Ein Jahr darauf trat die blutjunge, durch schöne Stimmmittel und den Reiz ihrer jungfräulichen Erscheinung entzückende Sängerin zur Hofoper über. Ihre Antrittsrolle war die Zerline in „Don Juan“ und mit dauerndem Erfolg bekleidete sie von nun ab das Soubrettenfach. Nach einer größeren Kunstreise durch Deutschland wurde sie 1829 am königstädtischen Theater zu Berlin verpflichtet und trat diese Stellung am 29. April 1830 als „Aschenbrödel“ [220] an. Die Süßigkeit und Beweglichkeit ihrer Stimme wie die Anmuth ihres Vortrages trugen ihr damals schmeichelhafte Vergleiche mit der gefeierten Henriette Sontag ein. 1831 verheirathete sie sich mit S. und wandte sich mit ihm nach München, wo sie nach seinem Tode ein hervorragendes und beliebtes Mitglied der Hofbühne wurde. Sie schuf für München die Rolle der Mathilde in Rossini’s „Tell“ (1833) und ebenso die Partie der Alice in Meyerbeer’s „Robert der Teufel“ (1834). Nach ihrem Austritt aus dem Münchener Künstlerverband am 1. Juli 1836 bereiste sie verschiedene Städte und fand auch in Wien in ihren Soubrettenrollen noch Beifall. Ende der dreißiger Jahre zog sie sich ins Privatleben zurück. Sie starb am 15. Decbr. 1872 in München.

Vgl. Grandaur, Chronik des Münchener Hof- und Nationaltheaters.