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ADB:Sontag, Henriette

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Artikel „Sontag, Henriette“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 642–657, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sontag,_Henriette&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:57 Uhr UTC)
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Band 34 (1892), S. 642–657 (Quelle).
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Sontag: Henriette Gertrude Walpurgis S., geboren nach directer Mittheilung ihres Bruders Karl am 3. Januar 1803 (also nicht 1804, 13. Mai 1805, 3. Januar 1806) zu Coblenz, heirathete 1827 den Grafen Carlo Rossi und starb am 17. Juni 1854 in Mexico. – In der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts besaß Deutschland drei Sängerinnen, die sich ebenbürtig neben den berühmtesten italienischen und französischen Gesangskünstlerinnen ihrer Zeit behaupteten, ja was Schönheit und Kraft der Stimme und Vielseitigkeit der Leistungen betraf, sie vielfach noch übertrafen: Wilh. Schröder(-Devrient-Döring-Bock), Nanette Schechner-(Waagen) und H. S.(-Rossi). In den 40er Jahren gesellte sich ihnen dann noch Jenny Lind-(Goldschmidt). Es war überhaupt die Zeit der großen Sängerinnen. Wem wären die Namen Marianne Sessi(-Natorp), und ihrer vier Schwestern, Angelica Catalani(-Valabrèque), Jos. Fodor-(Mainville), Giuditta Negri(-Pasta), Giuditta und Giulia Grisi (an die Grafen Barni und Melcy verheirathet), Maria und Paulina Garcia (Malibran-de Beriot, und Viardot), Fanny Tacchinardi(-Persiani), Julie Aimée Dorus(-Gras), Clara Novello(-Gigliucci) und viele andere unbekannt geblieben? Denen sich als Sterne [643] zweiter Größe, doch nur von sehr wenigen ersten unsrer Zeit erreicht, noch P. A. Milder(-Hauptmann), Jos. Kilitschki(-Schulze), C. Wranitzki(-Seidler)[WS 1], K. Wranitzki(-Kraus), die drei Schwestern Heinefetter, A. Schebest(-Strauß), J. Lutzer(-Dingelstedt), A. Bochkolz(-Falkoni), L. Tuczek(-Herrenburger) u. s. w. anschlossen. Der Schechner und Schröder wurde in diesem Werke schon gedacht; es erübrigt noch, der Sontag den verdienten Denkstein zu setzen. Alle Concert- und Theaterberichte aus jenen Tagen bezeichnen sie als die schönste, liebenswürdigste und begabteste Sängerin, geben begeisterte Schilderungen ihrer wunderbaren Gesangs- und dramatischen Leistungen, ihrer reizvollen Erscheinung, ihres bezaubernden Wesens. Als sie am Königsstädter Theater in Berlin engagirt war, dort fast nur Partien in Opern von Rossini und Auber singend, wurden ihr schon beispiellose Huldigungen, gleicherweise ihrer Persönlichkeit, wie ihrer Kunst geltend, dargebracht. Das Interesse strengerer Kunstkenner, welche die Werke dieser außerdeutschen Meister nicht für vollbürtig anerkannten, erregte sie durch ihre Concertvorträge, doch machten sich bezüglich der Reinheit der Intonation und Vollkommenheit[WS 2] der Solfeggien noch Bedenken geltend. Aber der Zierlichkeit, Leichtigkeit und Anmuth ihres Gesanges vermochte sich auf die Dauer niemand zu verschließen. Bevor sie nach Paris ging, trat sie in einer Reihe von Rollen (Donna Anna, Agathe, Euryanthe, Susanna, Tancred, Desdemona), im Hofopernhause auf, die den bisher von ihr gesungenen diametral entgegengesetzt waren und erregte auch auf diesem, ihr anscheinend fremden Gebiete, in steigendem Grade die Befriedigung der Musiker, die Anerkennung der Kritik, die Bewunderung aller. Kurz vor ihr hatte, obwohl nach anderer Seite, d. h. durch ihr phänomenales Organ wirkend, die Schechner gastirt, aber Henriette wußte sich stets jeder Rivalität gegenüber glänzend zu behaupten. Man rühmte namentlich auch ihre große, echte und edle Kraft der Darstellung als unübertrefflich und eine vollendete Meisterschaft des Vortrages und der Ausführung. Ihr Auftreten war plastisch und musikalisch von größter Wirkung. Sie besaß keine grandiose Stimme und Figur, vermochte aber doch, wenn es galt, Kraft und edles Feuer zu entwickeln und auch undramatische Partien durch den Reiz ihrer Erscheinung, den unwiderstehlichen Zauber ihres Gesanges und Spieles und ihrer hinreißenden Darstellung in höhere Regionen zu erheben. Als sie aus Paris zurückkam, wollte man bemerken, daß ihr Organ in der Tiefe etwas gewonnen, das leichte Ansprechen in der Höhe aber, ihre einst überaus deutliche Aussprache etwas verloren habe. Dagegen hatten sich die Kunst des Portamento, die Oekonomie und Geschicklichkeit des Athmens vervollkommnet. Haltung und Anmuth behielten selbst in den leidenschaftlichsten Momenten noch Würde und Grazie. Wie keine andere Sängerin wußte sie die musikalischen Perioden zu schattiren und abzurunden und oft mit wunderbarer Kraft allmählich zu höchster Höhe des Effects zu steigern. Die größten Triumphe brachte ihr vor ihrer Abreise nach Petersburg ihre letzte Rolle: „Semiramis“, mit der sie vorläufig ihre dramatische Laufbahn beschloß. Es war wahrhaft rührend und ergreifend, welch herzliches Lebewohl die Berliner ihrem Lieblinge weihten. Aus den vielen glänzenden Beurtheilungen ihres Gesangs und Spiels sei es gestattet, nur einiges hervorzuheben. „Sie war das holdeste, liebenswürdigste, einfachste deutsche Mädchen, von mittlerer Größe, dem zierlichsten Wuchse, mit einem runden lachenden Gesichtchen, blauen, sanften, lebhaften Augen, blondem Haar und gewinnendstem Wesen, stets heiter, voll Laune und Muthwillen, aber von den Grazien umweht in jeder Bewegung; dabei mit dem besten Herzen begabt, stets zu helfen bereit, immer wohlthätig, freundlich, zuvorkommend und liebreich. Alle Directoren gaben ihr das Zeugniß, daß sie nie eine gutwilligere, unverdrossenere Sängerin hatten. Mit dieser bezaubernden Persönlichkeit einte sich eine glockenhelle, klare, liebliche, weiche und umfangreiche Stimme [644] und eine sehr gründliche musikalische Bildung, unermüdlicher Fleiß und energisches Streben; ihr Vortrag war zugleich im höchsten Grade correct, kunstgerecht und anmuthig vollendet, seelenvoll und ergreifend; die größte Gewandtheit und Kehlfertigkeit für verzierten Gesang, wie ungewöhnliche Ausdauer waren ihr eigen. Ihre natürliche Beanlagung ließ sie weniger als große Darstellerin erscheinen und für den Ausdruck tieferschütternder Leidenschaft waren ihre Mittel, wenn sie auch auf diesem Gebiete ausgezeichnetes zu leisten vermochte, kaum ganz zureichend. In launigen, schalkhaften und gemüthlichen Rollen blieb sie dagegen unerreichbar. Die zarteste, duftendste, süßeste Blume deutscher Gesangskunst schwand mit ihr von der Bühne. Sie erlebte aber auch Ehren, wie sie vor und nach ihr keiner andern Künstlerin zu theil wurden.“

Die Eltern Henriettens, selbst Schauspieler, bestimmten sie frühzeitig zur Bühne und versäumten trotz ihrer geringen Einkünfte nichts, ihre körperliche und geistige Ausbildung zu fördern. Namentlich erhielt „Jetterl“, des Vaters Liebling, ein bis zur Wildheit munteres und muthwilliges, echtes Theaterkind, mit allerliebstem Silberstimmchen, das frühe schon seltene und Aufsehen erregende Festigkeit gewann, eine sorgfältige Erziehung. Ihr kindliches Gebahren, ihre ergötzliche Naivität und ihr natürlich reizender Gesang gewannen ihr alle Herzen. Der Vater, Franz S., in Mainz geboren, galt in den Rheinlanden und Süddeutschland als ein genialer, denkender Darsteller hochkomischer Charaktere, als ein im Buffofache bedeutender Künstler. Er hatte das Unglück, in Mannheim bei einer Vorstellung von Cherubini’s „Lodoiska“ von einem Gerüste herabzustürzen und dabei das Bein zu brechen, das leider so unglücklich geheilt wurde, daß er fernerer theatralischer Laufbahn in der Blüthe seiner Jahre entsagen mußte. Die Mutter, Franziska S. geb. von Markloff, geboren am 12. Jan. 1789 († am 10. April 1865 in Dresden), Tochter eines am Rhein begüterten Mannes und angesehenen Beamten in Heddernheim, heirathete ihren Gatten, als sie eben das 14. Jahr zurückgelegt hatte. Sie spielte im Schauspiel Liebhaberinnen, in der Oper Soubretten mit großem Beifall. Sie war von junonischer Gestalt und grazienhafter Schönheit. Theaterluft athmeten ihre Töchter, die begnadeten Erbinnen des fast unvergänglichen Reizes und Talentes ihrer Mutter. Sie bezauberten, wohin sie kamen und entzückten stets, sobald sie ihre jugendhellen Stimmen hören ließen. Frau S. ging in der Folge ganz zum Schauspiel über und errang sich, als das Prager k. k. ständige Theater unter Liebich’s Direction zu den besten deutschen Bühnen zählte, als Nachfolgerin der Sophie Schröder die ehrenvolle Stelle einer ersten Heldin und Liebhaberin, eines gefeierten Lieblings des Prager Publicums. Zeitgenossen rühmen sie als eine der hervorragendsten Künstlerinnen, mit Sternen erster Größe wetteifernd; sie preisen ihre schöne, majestätische Erscheinung, ihre ausdrucksvolle Mimik, ihr weiches, klangvolles Organ, die Natürlichkeit und Lebensfrische ihrer Darstellung und ihr echt künstlerisches Streben. „Dazu kam, was nur das Talent zu geben vermag – die süße Regung der Seele – das Gefühl.“ In Rollen, die dieses vorwiegend voraussetzten, soll sie unnachahmlich gewesen sein. Wenn sie jungen Damen, für deren Talent sie sich interessirte, Rollen vorlas, hatte sie eine Innigkeit der Empfindung im Ton, wie keine ihrer Colleginnen. Ihrer hochbegabten Tochter war sie bis in späte Jahre eine sorgsame, einsichtsvolle Lehrerin. Henriette trat nie in einer Partie auf, die sie nicht genau mit ihr studirt hatte. Sie ging, als dieselbe sich anscheinend glänzend verheirathet hatte, vom Theater auf deren Wunsch ab; es schien beiden nicht ziemlich, eine Gesandtin im ersten Rang, eine Mutter, vielleicht in undankbarer Rolle, auf der Bühne und dazu möglicher Weise ein lieblos urtheilendes Publicum. (Von ihrer zweiten Tochter Nina später.) Zwei ihrer Söhne wurden Officiere, der dritte ist der bekannte, treffliche Schauspieler Karl [645] S., anfangs den Namen „Holm“ führend. – Henriette kam in frühester Kindheit mit ihren Eltern nach Darmstadt. Vier Jahre alt, betrat sie hier in Gotter’s „Medea“ erstmalig die weltbedeutenden Bretter; kaum sechsjährig sang sie schon unter größtem Beifall die Lilli in Kauer’s Zauberoper: „Das Donauweibchen“. Noch größeren Erfolg errang sie durch die Lieblichkeit ihrer Erscheinung und den Wohlklang ihrer Stimme bei einem Gastspiel ihrer Eltern in Mannheim in derselben Rolle. Schon auf der Probe setzte sie durch ihren Gesang das Orchester und den Capellmeister Ritter in solches Erstaunen, daß dieser, als sie glockenrein das hohe C ansetzte, ihr sagte, sie möge da eine Fermate anbringen, damit die Zuhörer den Genuß, dies zu hören, länger hätten. Der Beifall, den sie fand, steigerte sich, als sie in der zweiten Aufführung nach Anleitung ihres Vaters, der den Caspar Larifari spielte, verschiedene Verzierungen anbrachte. Nach des Vaters Tode (1814) siedelte die Mutter mit den Ihren von Darmstadt nach Prag über; Henriette wurde für Kinderrollen mitengagirt. Achtjährig trat sie hier zum ersten Male in der „Teufelsmühle“ von W. Müller auf. Kurz vorher hatte sie vor Zuhörern die Arie der Königin der Nacht gesungen, jetzt legte sie aus dem Wranitzki’schen „Oberon“ eine Arie ein, durch deren für ihr Alter an’s Wunderbare grenzenden Vortrag zur Bewunderung hinreißend. Im neunten Jahre wurde sie für die Darstellung kleiner Kinder zu groß, sie spielte nun Knabenrollen, im zehnten sang sie in der Oper bereits den Pagen (Jean de Paris), Benjamin u. s. w.

Alle Rollen gab sie bisher nur nach dem Gehör, von musikalischer Vorbildung hatte sie noch keinen Begriff. Nun rieth man der Mutter dringend, ihr im Conservatorium eine gründliche Schulung angedeihen zu lassen. Dies Institut nimmt aber statutenmäßig nur Schüler auf, die das zwölfte Jahr zurückgelegt haben und sich zu sechsjährigem Besuche verpflichten. Gönner der Familie ermöglichten es aber durch ihre Verwendung, daß man bei Henriette, die schon so viele Proben glänzenden Talentes gegeben, eine Ausnahme machte und ihr schon mit elf Jahren Zutritt gewährte und daß man im Hinblick auf ihren Fleiß und die glänzenden Proben ihrer Leistungsfähigkeit, ihr schon nach zwei Jahren gestattete, die Anstalt wieder zu verlassen. Da der Vorstand der Schule ihr das beste Zeugniß gab, so sind Berichte, die sagen, daß man sie ihrer Talentlosigkeit wegen gerne weggehen ließ und daß das Conservatorium ihr stets abgeneigt blieb, jedenfalls unrichtig.

Ihre Lehrer wurden nun der alte bärbeißige Capellmeister Triebensee (Theorie), der bedeutende Pianist Pixis (Clavier), der Flötist und Componist Bayer und Frau Czepka (Gesang). Um jene Zeit reiste der berühmte Tenorist Gerstäcker durch Prag und ward durch die Theaterdirection veranlaßt, einige Gastrollen zu geben. Da pötzlich erkrankte die erste Sängerin, Mad. Becker, welche mit ihm in „Jean de Paris“ singen sollte. Man hatte keinen Ersatz und bat nun in höchster Not die Mutter Henriettens, derselben zu gestatten, die Prinzessin singen zu dürfen. Nach anfänglicher Weigerung gab sie den Bitten nach, wenn ihr, falls ein Mißlingen vorauszusehen sei, nach der zweiten Probe gestattet würde, ihre Zusage zurückzunehmen. Unter Angst und Thränen übernahm Jetterl ihre Aufgabe, aber die Hauptprobe fiel schon so glänzend aus, daß sie auf einen Triumph am Aufführungsabend hoffen durfte, der dann auch über ihre Zukunft entschied. Auch das Conservatorium hatte zu diesem Auftreten seine Einwilligung gegeben und das Kind, das in so jugendlichem Alter als erste Sängerin bereits mit Beifall überschüttet wurde, sah sich nun plötzlich in einen höchst achtungswerthen Künstlerkreis versetzt. Trotzdem verlor die tüchtige und strenge Mama die Zügel ihrer Erziehung keinen Moment aus den Händen. Sie hielt sie zu größtem Fleiße an und tadelte die leiseste Nachlässigkeit. [646] Unter ihrer Leitung brachte sie es bald dahin, daß sie auch Spielpartien Vollendetes leistete und selbst in Scenen, wo sie nur zu sprechen hatte, oft mit Beifall überschüttet wurde. Gerade bei ihr nahm es auch Triebensee sehr genau. Er verfuhr dabei nicht immer fein (was nicht eben seine Art war) und sein rauhes Wesen preßte der sonst allgemein bewunderten jungen Sängerin manche Thräne aus. Als sie z. B. einst auf einer Probe sich schonen wollte und nur mit halber Stimme sang, klopfte er ab, rufend: „Was heißt denn das? Dumme Gans, sperr’ Sie’s Maul auf, daß man hören kann, ob der Gsang was werth ist!“ Die verständige Mutter tröstete die Weinende nicht, indem sie ihr recht gab, sondern ernst darauf hinwies, daß sie immer, wenn sie die Erste sein wolle, auch das Höchste leisten müßte. Die Lehren, die Grundsätze der abgöttisch verehrten Mama beherrschten sie durch ihr ganzes Leben. Wie gesagt hatte ihr Auftreten in genannter Oper durchschlagenden, kühnste Erwartungen übertreffenden Erfolg. „Die Präcision, Reinheit und Zartheit ihrer Ausführung lohnte rauschender Beifall; man ließ sie kaum zu Ende singen. Aber selbst den Enthusiasmus abgerechnet, zu dem ihre ‚im fürstlichen Prunke blendende Jugendblüthe und Lieblichkeit‘ sehr viel beigetragen haben mochte, mußte jeder zugestehen, daß sie mehr als billige Forderungen befriedigt (auch ihr Spiel war anständig und ausdrucksvoll, obgleich anfangs befangen, was ihm aber nur erhöhten Reiz verlieh), ja in Anbetracht ihrer Jugend übertroffen hatte.“ Wie diesmal, wußte sie sich auch in anderen Partien stets mit viel Gewandtheit aus der Sache zu ziehen und wo das harmlose Mädchen „mit dem Amorkopfe“ nicht mit siegreicher Kraft imponiren konnte, schmeichelte sie sich durch die Reinheit und Anmuth ihres Gesanges und wahre und richtige Auffassung der darzustellenden Charaktere ein“. Wir können andere Opern, sin denen sie im Lauf der nächsten Jahre zu singen hatte – „Nachtigall und Rabe“, „Vornehme Wirthe“, „Dorfsängerinnen“, „Barbier“, „Pachter Robert“, „Richard Löwenherz“, „Unterbrochenes Opferfest“, „Freischütz“, „Don Juan“ (Zerline und Donna Anna), „Tancred“, „Figaro“ u. s. w. – hier nicht eingehend besprechen, wollen aber doch aus der großen Zahl bewundernder Recensionen über ihre Leistungen nur die hochweise Prophezeihung eines weitblickenden Kritikers hervorheben, der da schrieb: „sie sei zwar ein recht liebliches Mädchen mit einem Engelsköpfchen und einer artigen kleinen Stimme, würde es jedoch schwerlich zu einer großen Sängerin bringen!“ – Henriettens Gage in Prag mag nicht groß gewesen sein. Wenn man auch die der Mutter dazu rechnete, war die Familie doch zu empfindlichen Einschränkungen genöthigt. Auch eine Henrietten abholde Partei in der Presse machte sich stets bemerklich. Jetterl strebte also von Prag wegzukommen. Sie wandte sich zunächst nach Wien, wo sie nun die nächsten drei Jahre verbrachte, anfangs mehr lernend und beobachtend, dann als sie durch Barbaja und den Grafen Palffy für das Kärnthnerthor-Theater und das Theater an der Wien (April 1823) engagirt war, in deutschen und italienischen Opern mit gewohntem, ihr stets getreu bleibendem Beifall singend. Als Pamina z. B. wurde sie, damals ein äußerst seltener Fall, einst neun mal gerufen. Sie trat dann ferner noch als Rosina, Agathe, Myrrha auf. Ein von ihr und ihrer Mutter in Baden b. W. veranstaltetes Concert erwies sich als sehr lohnend. Sie sang nun noch im „Joh. v. Paris“, „Don Juan“, „Ferd. Cortez“, in „Donna del lago“ und „Gazza ladra“. Sie hatte stets das Glück, begeisterte Gönner unter den tonangebenden Referenten zu finden (in Wien z. B. Kanne u. a.). Kaum hat eine andere Sängerin je solche überschwängliche, verhimmelnde, um nicht zu sagen verzückt-verrückte, in Enthusiasmus sich auflösende Lobeserhebungen gefunden. Im Ganzen trat sie nicht häufig auf, benutzte dafür aber um so mehr eine ersehnte Gelegenheit, um an einem tüchtigen Vorbild sich ein Muster zu nehmen und ihm [647] nachzueifern. Momentan gastirte eine berühmte Sängerin, Josephine Fodor-Mainville (geboren 1793 in Paris), Tochter des großen Geigers Jos. Fodor in Wien, die zu hören sie nie versäumte. Man rühmte an derselben eine wunderschöne Stimme, gediegene Schule und einzig vorzügliche Vortragsart. Wie alle gottbegnadeten Künstlernaturen und echten Talente war auch Henriette von rastlosem Fleiße und Streben erfüllt. Sie wußte der großen Künstlerin Gesangsweise bald so abzulauschen und sie sich so glücklich anzueignen, daß man oft die Behauptung aufstellen hörte, sie wäre eine Schülerin derselben, was in Wirklichkeit nicht der Fall war. Sie war schon eine geachtete Sängerin, als Weber nach Wien kam, um dort seine im Auftrage des Directors Barbaja componirte Oper „Euryanthe“ aufzuführen. Ob er die Titelrolle für Henriette, die er von Prag her kannte, geschrieben, mag dahin gestellt sein, denn das Werk entstand bekanntlich in Klein-Hosterwitz bei Dresden; aber auf die Ausgestaltung dieser Partie hat sie jedenfalls großen Einfluß geübt; sie war die erste, welche sie am 25. October 1823 sang; der Meister hatte sie selbst sorgfältig mit ihr geübt. In dieser unübertroffenen Leistung einigten sich alle Meinungen. Kaum je dürfte „Euryanthe“ mit solcher Vollkommenheit in Spiel und Gesang zugleich wieder zu Ohr und Anschauung gekommen sein, wie von unserer Künstlerin, selbst die Schröder-Devrient, welche sie ebenfalls bewunderungswürdig, aber im Gegensatze zur S. als Heroine sang, nicht ausgenommen. Henriette war, als sie Wien verließ, schon eine Berühmtheit und im Reiche draußen war nur Vortheilhaftes über sie bekannt geworden. Aber erst in Leipzig, wohin sie 1824 kam, nachdem sie mit großem Erfolge zuvor noch auf verschiedenen österreichischen Bühnen gastirt hatte, begann ihre eigentliche Glanzperiode. Besonders in den Weber’schen Opern kam der Reiz ihrer Stimme und persönlichen Erscheinung, ihr hervorragendes Talent zur Darstellung, ihre seltene Gesangskunst derart zur Geltung, daß sich ihr Ruf wie im Fluge durch ganz Deutschland verbreitete. Auf die Nachricht hin, daß sie ihr Engagement in Wien gelöst habe und nach Leipzig zu einem Gastspiele kommen würde, ordnete der Intendant der Berliner Hofoper, Graf Brühl, sofort eine Stafette an sie mit einem glänzenden Contract ab; aber der Bevollmächtigte des Königsstädter Theaters, Holtei, war ihm doch zuvorgekommen, wie ihm wieder andere Bühnen. Nur mit List gelang es der diplomatischen Schlauheit Holtei’s, die Wiener Nachtigall für Berlin (5600 Thl. Gage) zu fangen. Diese Engagementsgeschichte ist sehr amüsant in dessen Autobiographie zu lesen (40 Jahre. Bd. III. S. 257 u. s. f.). Interessant ist übrigens doch eine Bemerkung der Allg. Leipz. mus. Zeitung über ihr dortiges Auftreten, die, wie es scheint, eine sehr treffende Ausstellung macht. Auch hier wird anmuthige Erscheinung und feines, zierliches Spiel der Sängerin, besonders im anständig Naiven, ihre stets gemessene und wohlthuende Haltung gerühmt, aber tiefere Wärme vermißt und noch Neigung zum Detoniren gerügt. Sonst ist ihr Gesang vortrefflich; unnachahmlich und von ganz besonderer Zartheit ihr mezza voce; ihre Töne wurden da wahre Schmeichellaute. Die in Berlin ungeduldig erwartete Künstlerin traf endlich, nachdem sie vorher noch in Prag gastirt, daselbst ein und bezog zunächst Holtei’s Wohnung in der Kaiserstraße; diese Straße, bisher öde und einsam, war nun alsbald von Equipagen aller Art und säbelrasselnden Reitern belebt. Am 3. August 1825 betrat sie an des Königs Geburtstag – aus welcher Veranlassung Mama S. auch einen von Holtei gedichteten Prolog sprach – in Rossini’s „L’Italiana in Algeri“ als Isabella mit durchschlagendem Erfolge die Bühne. Sie versetzte Berlin in einen Taumel des Entzückens. Es galt als höchstes Glück, ein Billet zu einer Vorstellung erhalten zu können, in der sie auftrat. Schon Tage lang vorher mußte man eine Karte belegen, an [648] Spielabenden drängten sich die Menschen schon von früh an zur Theaterkasse, es ging da lebensgefährlich zu; kurz, ein beispielloser Enthusiasmus, um nicht zu sagen, eine unbegreifliche Narrheit, erreichte ihren Siedepunkt. Eine satyrisch-witzige Schrift: „Henriette, die schöne Sängerin“ (Leipzig 1826), die ihrem Verfasser, L. Rellstab, eine Eincarcerirung zugezogen haben soll, geiselte diesen in’s Lächerliche gehenden Taumel aufs schärfste. Holtei, der sich zu guterletzt, wie alle, die der Himmlischen nahten, selbst bis über die Ohren in sie verliebt hatte, aber gerade, wie alle anderen Unvorsichtigen, von der jeder Courmacherei Abgeneigten ernst und unerbittlich abgewiesen wurde, urtheilt also über sie:

„Ich habe schönere Frauen gesehen, größere Schauspielerinnen, habe gewaltigere Stimmen gehört, vielleicht auch höhere Virtuosität des Gesanges, aber einen so innigen Verein von Anmuth, Reiz, Wohllaut des Organs, Ausbildung aller künstlerischen Fähigkeiten, Darstellungsgabe, besonnener Anwendung gegebener Mittel, bescheidener Coketterie wüßte ich nie und nirgends bewundert zu haben. Ja, wir waren berauscht! Was diesem Wundermädchen in meinen Augen schönste künstlerische Weihe gab, war die Klarheit, ich möchte es am liebsten Weisheit nennen, mit der sie zu bestimmen vermochte, wo es am Orte war, ihrer Kehlfertigkeit freien Lauf zu lassen und ihren Vortrag mit Coloraturen, wie mit bunten Blumen zu zieren; oder wenn die Würde einfacher Melodien, der Moment der Situation, der Fortschritt der Handlung dies unpassend machten, sich und ihre Geschicklichkeit zu beherrschen und nur der dramatischen Wahrheit zu huldigen. Sogar auf die nur zu oft charakterlosen Tändeleien in der melodiereichen, aber oberflächlichen italienischen Musik wußte sie diesen Sinn für dramatischen Gesang zu übertragen und mit genialer Kühnheit ihren Arien den Ausdruck reiner Schelmerei zu geben, ohne je Gemüth und Seele vermissen zu lassen“.

Die zweite Oper, in der Henriette sang und in der sie womöglich noch größere Triumphe feierte, war Auber’s „Schnee“. Auch darüber berichtet Holtei am angeführten Orte. Es war vorauszusehen, daß ein solches Kleinod im Verband des Königsstädter Theaters nicht lange bleiben würde. Die Künstlerin wollte, um weitere Studien zu machen und ihren Ruhm nun auch in fremde Lande zu tragen, zunächst in Paris einen Versuch machen. In Berlin hatte sie von 1825–27 in der „Italienerin“ 40 mal, im „Schnee“ 30 mal, in „Aschenbrödel“ 23 mal, in der „Weißen Dame“ 22 mal und sonst noch in zwölf andern Opern wiederholt gesungen. Nach einem Gastspielcyklus, den sie noch im Hoftheater absolvirte, und einem Concerte, das sie auf der Durchreise im Theatersaale in Potsdam gab, gelegentlich dessen alle Berliner Verehrer der Gefeierten noch einen herzlichen Abschiedsgruß darbrachten, reiste sie, wie man sagt, einer Einladung Rossini’s folgend, im Mai 1827 auf ein paar Monate nach Paris. Vorher noch war sie, um ihr Talent der Residenz nicht ganz zu entfremden, zur Kgl. Hof- und Kammersängerin ernannt worden. Selbstverständlich war, als sie am 19. Mai vor ihrer Abreise nochmals die „Aschenbrödel“ sang, das Haus, in dem ihr Ehren aller Art dargebracht wurden, überfüllt und ihr Blumen, Kränze und Gedichte in reichstem Maaße gespendet.

Mit den Kunsterfahrungen der letzten Zeit hatte auch eine neue Aera ihres künstlerischen Lebens begonnen, indem sich von nun an zu dem größten Verdienste auch noch das höchste Glück gesellte. Sie war überhaupt ein Kind des Glückes. Ihre Stimme war nun so vollendet und unfehlbar ausgebildet, daß sich in ihrer ganzen Laufbahn kein Fall angeben läßt, wo ihr etwas mißglückt wäre. Unerschütterliche Zuversicht auf das, was sie zu leisten vermochte, erfüllte sie, und oft gestand sie ihrer sie stets begleitenden älteren Freundin, der Frau von Montengleau, einer Dame von Stand und Bildung, daß ihr ein neues inneres Leben aufgegangen sei, und merkwürdig war dann die plötzliche Rosengluth, die ihre gewöhnlich [649] so ruhigen, ja fast leidend scheinenden Gesichtszüge übergoß, die Begeisterung, die mächtig aus ihren sanften blauen Augen strahlte, und der fast zu poetischen Ueberschwenglichkeit gesteigerte geistige Gehalt ihrer schnell hinströmenden Rede, sobald die eben noch so stille, zurückhaltend-schüchterne Jungfrau auf diese idealen Kunsttendenzen, die sich ihr mit einem Male erschlossen hatten, zu sprechen kam. – In Paris begegnete ihr schon deswegen entschiedenes Vorurtheil, weil sie, die deutsche Sängerin, es vermessen wagte, mit den dort bevorrechteten Italienerinnen in die Schranken treten zu wollen. In Salons und Tagesblättern ward die Kühnheit der „petite allemande“ bespöttelt. Am dritten Abend nach ihrer Ankunft trat sie bereits im „Barbier“ auf; ein Phänomen für die Pariser, die auf Ermüdung, Heiserkeit und andere Minauderien, die einen Aufschub zur Folge haben konnten, gerechnet hatten. Neugierde, die „robuste“, unbefangene Deutsche, die sie sich als eine dreiste, kugelrunde Provinzlerin gedacht, der es nicht in den Sinn gekommen war, sich interessant zu machen, zu sehen, hatte das Theatre Favart überfüllt. Sie wurde bei ihrem ersten Auftreten schlimmer als kalt empfangen; diejenigen, welche sie mit Applaus zu begrüßen suchten, wurden sogar niedergezischt. Aber als dann aller Augen sich auf Henriette richteten, die in schüchterner Lieblichkeit auf der Bühne stand, deren Befangenheit momentan ihre Stimme leise vibriren machte: als sie die erste Phrase ihrer Arie gesungen, gab sich die Bewegung einer angenehmen Ueberraschung kund. Beim Anblick der Holdseligkeit dieser Grazienerscheinung, beim Hören dieser süßen Töne schwand jede Voreingenommenheit. Allgemeiner Beifall, lautester Bravoruf äußerten sich unwiderstehlich. In der Gesangsunterrichtsscene trug sie die Variationen von Rode vor und entwickelte dabei eine so glänzende Coloratur, so feinen Geschmack, daß sie alle Vorgängerinnen weit hinter sich zurückließ. Ihr Sieg war entschieden.

Die glänzenden Triumphe, die sie in Paris gefeiert, bewogen die Direction der großen Oper, ihr unter vortheilhaftesten Bedingungen ein zweijähriges Engagement anzubieten, das sie wol annahm, aber erst nach Ablauf ihres Berliner Contractes antreten wollte. Nachdem sie in den Seebädern von Boulogne sich von den Anstrengungen ihres Berufes, wie von heftigen Herzensstürmen, die über sie hereingebrochen waren, wieder gekräftigt und erholt hatte, trat sie die Rückreise nach Berlin über Mainz, Frankfurt und Weimar an. Ihrem Herzen unendlich wohlthuend war der Aufenthalt in Mainz, wo sie ihre Großmutter wiedersehen, am Grabe ihres Vaters nochmals beten, unbemittelten Verwandten reiche Beweise ihrer Großmuth geben konnte. Sie sang im Theater für die Armen, ward von dem greisen Matthisson, der ihr segnend die Hand auf’s Haupt legte, aufgesucht, und verließ ihrer Eltern Heimath verehrt wie ein beglückender Schutzgeist. In Frankfurt a. M. ging der von ihr erregte Enthusiasmus so weit, daß sogar der Gastwirth bei ihrer Abreise jede Bezahlung ausschlug. L. Börne gab in dem von ihm geschriebenen Aufsatz: H. S. in Fr. (Gesammelte Schriften V. Nr. LX.) eine seiner lesenswerthesten, witzigsten und geistreichsten Arbeiten. Ihre Reise glich einem Triumphzuge. In Weimar trat sie am 3. und 4. September als Rosine auf. Die „flatternde Nachtigall“ gewann auch Goethe’s besondere Bewunderung und vollstes Wohlwollen. Sie war sein Tischgast und wurde von ihm durch einige Verse gefeiert. Als sie Göttingen in einem kgl. Extrapostwagen passirte, warf man, nachdem sie ausgestiegen, denselben in den Fluß, weil nach der Gefeierten kein Sterblicher mehr würdig erschien, ihn wieder zu benutzen.

Als man in Berlin erfuhr, daß sie Engagement in Paris angenommen, machte man ihr vergeblich unerhörte Offerten (12 000 Thl.), um sie zu bewegen, dasselbe wieder zu lösen. Aber Henriette hat nie ihr Wort gebrochen. Man war außer sich über ihren bevorstehenden Verlust, an den man gar nicht glauben [650] wollte. Am Abend ihres ersten Auftretens (11. Sept. „Italiana“) begann eine Wallfahrt nach der Königsstadt. Das Publicum war in sehr unwilliger und gereizter Stimmung. Als sie am Theater vorfuhr, wurde sie schon mit Zischen und Pfeifen empfangen. In der Vorstellung ward ihr jedes Zeichen von Mißfallen. Endlich ließ man ihren Gesang beginnen und alsbald schwieg das Toben und Brüllen. Die Vorstellung endete unter jubelndem Beifall. Gleicher Gunst erfreute sie sich, so oft sie sang. Am 17. Mai 1828 trat sie als „Mathilde von Chabran“ auf. Diese Rolle war ihr höchster Kunsttriumph. Henriette hätte eine glänzendere Partie sich nicht wählen können. (Natürlich fanden Stellen wie: Math. zum Arzt: „Meine Stimme?“ – „Zauberflöte.“ – „Und das Ganze? – „Ein Engel“ – stets enthusiastischen Applaus.) Aber recht froh konnten die Berliner ihrer gefeierten und geliebten Primadonna doch nicht mehr werden. Der Moment des Abschieds rückte immer näher. Sie gab zuletzt noch „Mathilde“, dann bei doppelt erhöhten Preisen „Anna“ (weiße Dame), und bei dreifach gesteigerten „Sofie“ (Sargino). Mit Gedichten, Blumen und Kränzen bei dieser ihrer Abschiedsvorstellung überschüttet, hielt sie noch eine dankende Abschiedsrede, in der sie zugleich versprach, bald wiederzukehren. Ehe nun aber die „Beifallbelastete“ Deutschland verließ und vor ihrem Gastspiele in der Hofoper, trat sie noch fünf Mal in Breslau auf. Die Kritik verhielt sich da ziemlich reservirt. „Man fand ihre Mimik äußerst einnehmend und bezaubernd; ihre ungewöhnlich hohe Kopfstimme aber in der Nähe schneidend, nur in der Ferne angenehm, im Ganzen mehr schwach als stark; ihrer Kehle, in französischer und italienischer Schule sehr gebildet, fehlte in der deutschen Ruhe und Charakter, ihr Mezzavoce war unübertrefflich. Manieren fehlen ihr ganz.“ Natürlich war ihr Benefiz, als sie in der Hofoper letztmalig sang, überfüllt. Ein königliches Geschenk und die Ernennung zur königlichen Kammersängerin bethätigten ihr die Gunst des Hofes und am Vorabend ihrer Abreise (7. November) ward ihr von allen Gardemusikchören noch eine glänzende Serenade gebracht.

Daß sie in Paris bei ihrer Wiederkehr aufs ehrenvollste empfangen wurde, daß ihre Erfolge die glänzendsten und lohnendsten waren, braucht wol nicht erst gesagt zu werden. Unmöglich ist es, allen ihren Triumphen zu folgen. Die Pariser Vornehmen, gewohnt, jede Talentproduction in ihren Gesellschaften mit großen Summen zu honoriren, bekamen Respect, als Henriette erklärte, immer als Gast behandelt werden und nie für ein Honorar singen zu wollen. Sie ward namentlich durch Humboldt in die höchsten Kreise eingeführt, die stolzesten und sittenstrengsten Damen überhäuften sie mit Achtungsbeweisen und es begab sich das Unerhörte, daß Personen ersten Ranges bei ihr zu Gegenbesuchen vorfuhren. Alle Pariser Blätter dieser Zeit überbieten sich im Lobe ihrer künstlerischen Leistungen, gewinnenden Liebenswürdigkeit und reizvollen Erscheinung. Ihr Benefiz (Don Juan) ertrug 12 000 Francs. Nach einer für die Armen im Theater de l’ambigu comique gegebenen Abschiedsvorstellung (20. Jan. 1830), die ebenfalls sehr viel einbrachte, kehrte Henriette, alle ihre Verehrer, d. h. das ganze Paris, in Trauer zurücklassend, wieder nach Berlin zurück. Schon jetzt schließt ein Theaterbericht mit den bemerkenswerthen Worten: „ob sie dort bleiben und ihre theatralische Laufbahn fortsetzen wird, ist ungewiß“. Die allverehrte und angebetete Künstlerin hatte sich bisher allen Huldigungen gegenüber stets kalt und ablehnend verhalten; die stolze, tugendsame Schöne wußte sich einen tadellosen Ruf zu bewahren. Doch war sie deshalb nichts weniger als gefühllos und unempfindlich. Ein berühmter Tonkünstler und ein unabhängiger junger Mann von hohem Range warben in Paris zugleich um ihre Hand. Ohne Rückhalt, aber in zartester Weise schlug sie beide Anträge aus, wenn auch ihr Herz für letztern sprach und nur einer Idee von Pflicht das große Opfer brachte, welches [651] sie an das Festhalten eines fast in den Kinderjahren schon gegebenen Wortes knüpfte. Ob dieser Glückliche, dem sie so seltene Treue bewahrte, ihr nachmaliger Gatte oder ein anderer war, vermögen wir nicht zu sagen. Aber schon ehe sie nach Paris reiste, hatte sie in Berlin die Bekanntschaft des sardinischen Gesandtschaftsattachés, des Grafen Carlo Rossi gemacht, der ein schöner stattlicher Mann – namentlich in Generalsuniform – obwohl mit völligem Kahlkopf, war (geboren 1802 in Wien, † am 10. Februar 1864). Kurz, die vielumworbene Maid fand in ihm ihren Meister; vielleicht mag auch die Aussicht auf den Grafentitel bei ihr etwas in die Waage gefallen sein. Der Plan einer Heirath, der sich die adelsstolze Familie des Bräutigams, der zuletzt doch nur der unbedeutende Gatte einer hochberühmten Frau, neben der er völlig verschwand, wurde, ward nun reiflich überlegt. Graf Rossi war ein Jugendgespiele des Königs Carlo Alberto und stand bei ihm in hoher Gunst, was aber nicht ausschloß, daß er sich für ihn finanziell ruiniren durfte. Entgegen dem Willen der Seinen, vermählten sich beide 1828 heimlich. Aber ganz verborgen konnte die Sache doch nicht bleiben, namentlich seit die Geburt eines aus dieser Ehe entsprungenen Kindes durch einen unglücklichen Fall der Mutter eine vorzeitige wurde. Monate lang lag Henriette krank darnieder. Indessen waren Neid und Gehässigkeit um so thätiger. Die schlimmsten Anekdoten wurden in Umlauf gesetzt, der Verläumdung schien keine Waffe zu schlecht. Nun gab man endlich die Vermählung bekannt. Aber erst im Frühjahr 1830, nachdem König Friedrich Wilhelm III., um die junge Frau hoffähig zu machen, sie als Sontag von Lauenstein in den Adelstand erhoben hatte, war die Heirath öffentlich declarirt. Henriette war übrigens sonst auch eine selbst für einen italienischen Grafen nicht zu verachtende Partie. Schon nach Berlin hatte die noch Minderjährige ein ganz hübsches Vermögen mitgebracht, das durch ihren Vormund dort, den Justizrath Bode, der für sie väterlich besorgt war, vortrefflich verwaltet wurde. Noch ehe sie 24 Jahre erreicht hatte, war dasselbe auf mehr als 200 000 Thaler angewachsen. Dazu besaß sie Schmuck und Andenken in schwerer Menge. Nach ihrer zweiten Rückkehr aus Paris hoffte man nun bestimmt, sie an Berlin fesseln zu können. Praktisch in allen Lebensfragen, wie die Vielerfahrene war, zeigte sie sich auch jetzt. Nach getroffener Absprache mit ihr abgefaßt, wurde ihr ein Contract vorgelegt, der bewies, daß sie ihre Pariser Erfahrungen wohl auszunutzen wußte. Aehnliche Bedingungen wurden nie einer andern Sängerin unterbreitet. Sie sollte 6000 Thaler Gehalt und 2500 Thaler Pension bei gänzlicher Untauglichkeit, sowie sechs Monate Urlaub und ein jährliches Benefiz ohne Kostenabzug erhalten und dabei doch nur zu zweimaligem Auftreten in der Woche verpflichtet sein. Ferner wurden ihr bei Vorstellungen in Potsdam zu alleiniger Benutzung ein vierspänniger Wagen und Zimmer im ersten Hotel und in jedem königlichen Theater täglich zwei erste Rangplätze und dann noch die besondere Vergünstigung zugesagt, von jeder Verpflichtung in einer Spontini’schen Oper zu singen, enthoben zu sein. Ueber letztere Clausel war Spontini natürlich wüthend. Ihre Mutter sollte auf fünf Jahre mit 1900 Thalern und dann mit lebenslänglicher Pension von 600 Thalern engagirt werden. Ungeachtet dieses brillanten Contractes löste sie denselben mit königlicher Zustimmung, bevor sie ihn noch angetreten hatte, wieder, um zum dritten Mal nach Paris, wohin sie sich eigentlich vorher schon mehr oder minder gebunden hatte, zu gehen, hoffend, daß ihr Streben nach höherer Vervollkommnung dort doch noch besser gefördert werden könnte. Sie schloß mit der Direction der großen Oper für längere Zeit ein Engagement und wandte sich nun vorzugsweise den tragischen Rollen (Donna Anna, Desdemona, Semiramis) zu. Es war ihr, die bisher meist nur in Opern leichterer Gattung geglänzt, anfangs nicht [652] leicht, dieser neuen Aufgabe gerecht zu werden. Aber Fleiß und Talent ließen sie alle Schwierigkeiten siegreich überwinden. Im April ging sie, nachdem sie durch drei Monate in Paris gesungen, nach London, wo sie als Sängerin und Darstellerin, wie durch ihre Schönheit und die Vornehmheit ihrer Erscheinung nicht minder begeisterte Aufnahme fand, als anderwärts. Hier ertrug ihr Benefiz 2000 Pfd. Sterling (über 40 000 Mk.). Nach Paris zurückgekehrt, fand sie dort in der berühmten Malibran eine nicht zu unterschätzende Rivalin. Es bildeten sich Parteien und die gegenseitigen Eifersüchteleien drohten einen kunstfeindlichen Charakter anzunehmen, als es in letzter Stunde gelang, beide Sängerinnen, die im nächsten Jahre auch zugleich für London engagirt waren, sich persönlich näher zu bringen, ein Zusammenwirken ihrer Talente in letzterer Stadt zuerst in einem Concerte des Orchestermitgliedes Ella, in einem Duette und dann auch in den Opern „Semiramis“ und „Tancred“ zu veranlassen. Die von beiden hervorgebrachte Wirkung war unbeschreiblich und dem Publicum durch solches Ensemble ein Genuß von einer Vollkommenheit geboten, wie er kaum je wieder zu erreichen sein dürfte. In Paris waren ihre Erfolge schon sieghaft gewesen; sie erhob sich, wenn auch nicht ohne Kampf, über alle andern Sängerinnen, selbst über die Pasta, die bisher ihre Partien unbestritten gesungen hatte. Es war unglaublich, wie sie Rollen, wie Desdemona und Semiramis zu verklären wußte. Es machte das selbst Rossini staunen und er gestand laut zu, daß sie seine Intentionen weit übertroffen habe. In London war der Andrang zu ihren Vorstellungen so groß, daß dem Publicum erlaubt wurde, auf Stühlen, deren jeder mit einem Pfund Sterling bezahlt wurde, selbst wenn man nicht sehen, sondern nur hören konnte, hinter den Coulissen zu stehen, weil nicht Raum genug im Hause war. Dies Gastspiel brachte ihr trotz des kostspieligen Aufenthaltes und einer großen Summe, die sie an die Ueberschwemmten nach Schlesien gesendet, einen Reinertrag von 20 000 Thalern. Infolge ihrer Verehelichung aber entschloß sich Henriette jetzt, der Bühne ganz zu entsagen. Am 18. Januar 1830 sang sie in Paris letztmalig (Tancred). Die Zuhörer bereiteten ihr die größten Triumphe. Obwohl sie fortan nur noch in Concerten öffentlich singen wollte, trat sie in Berlin, das sie als die Wiege ihres Ruhmes betrachtete, (April und Mai) doch nochmals in einer Reihe von Opern auf.

Die Berliner, tief verstimmt darüber, daß sie nun ihren Liebling ganz verlieren sollten und daß dieser zu guterletzt ihnen auch nur Concertvorträge bieten wollte, empfingen sie anfangs mit merklicher Kühlheit. Keine Kränze, keine Gedichte flogen der Gefeierten entgegen. Nur mäßiger Applaus empfing sie. Das verstimmte natürlich auch die Verwöhnte. Die Kritik bemerkte nun auch, daß jedes Ding zwei Seiten hat und auch die vollkommenste Sängerin ihre Mängel. Die Stimme hatte wol an Klang, Intensität, an Umfang nach der Tiefe, der Vortrag an Ausdruck und künstlerischer Vollendung gewonnen, das Schmelzende ihres mezza voce nichts vom gewohnten Reize verloren, die Volubilität, Sicherheit der Rouladen, chromatischen Tonleitern, das präcise Abstoßen und Nüanciren, Leichtigkeit und Grazie der Ausführung verbunden mit feinstem Geschmack in der Wahl der Fiorituren waren immer noch vorhanden, jedoch der frische Schmelz der Jugendblüthe schien entschwunden, die Intonation war nicht immer ganz rein, einzelne Töne klangen scharf und belegt. Aber der gewohnte Enthusiasmus kehrte bald zurück. Nach ihrem Gastspiele (Othello, Barbier, Joconde, Don Juan, Weiße Dame, Belagerung von Corinth, Semiramis) und nachdem sie auch mit größtem Erfolg in zwei zu wohlthätigen Zwecken veranstalteten Oratorien-Aufführungen (Tod Jesu, Schöpfung) gesungen, mußte nun doch das Unvermeidliche geschehen. Man bereitete ihr bei ihrem Scheiden (Semiramis) eine Abschiedsfeier, wie sie ehrenvoller und glänzender, aber auch herzlicher und rührender nicht gedacht werden konnte.

[653] Die Gräfin Rossi sang nun, wie sie sich vorgenommen, nur noch in Concerten und trat zunächst mit unglaublichem Erfolge in Petersburg und Moskau auf. Sie reiste mit wahrhaft fürstlichem Glanze. In Hamburg trat sie, wie sie damals wähnte, zum letzten Mal vor die Oeffentlichkeit. Dann reiste sie nach dem Haag, wo ihr Gatte sardinischer „außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister, wirklicher Geheimer Rath, Excellenz“ geworden war. Der sardinische Adel, in lächerlicher Beschränktheit immer noch erbost darüber, daß ein nichtsbedeutender Graf seinen Stammbaum durch die Mesalliance mit einer hochgefeierten Künstlerin befleckt hatte, veranlaßte dessen Versetzung, die einer Verbannung glich, nach Rio Janeiro. Schon war die Einschiffung der gräflichen Familie 1834 von Neapel aus beschlossen, als der König Gegenbefehl gab. Von 1835–38 war Graf Rossi dann Gesandter am Bundestage in Frankfurt, kehrte nachher wieder kurz auf seinen früheren Posten nach dem Haag zurück und kam zuletzt nach Petersburg (bis 1843). Das Verhältniß der beiden Gatten war stets das beste und innigste. Rossi hat seine Frau im wahrsten Sinne des Wortes glücklich gemacht; beide liebten sich bis zu ihrem Tode wie am ersten Tage. Als er sardinischer Gesandter in Frankfurt war, kam einer meiner verehrten Freunde mit seiner schönen Gemahlin mehrfach in Berührung. Er theilt mir darüber mit: „Als ganz junger, angehender und blöder Clavierspieler habe ich sie oft gesehen. Durch und durch vornehme Dame; nichts Künstlerisches; feine, stets liebenswürdige Manieren; sie hatte mich zu ihrem Accompagnateur auserkoren; Musikenthusiasmus besaß sie nicht, für Musik auch wenig Interesse. Wie Ludwig XIV. sagte: „L’état, c’est moi“, hätte sie füglich sagen können: „Mein Gesang, das ist die Musik!“ Ihre Stimme war reizend, lieblich und geschmackvoll ihr Vortrag – von Leidenschaft keine Spur, eine ewige Nachtigall – die aber nie von Liebe sang. Ihr habe ich wohl zu danken, daß ich das Nachgeben den Damen gegenüber so gut gelernt habe. Zweimal wöchentlich accompagnirte ich sie regelmäßig und regelmäßig gab ich ihr nach.“ Während ihrer Anwesenheit in Frankfurt wurde einmal ein großes Wohlthätigkeitsconcert (Schöpfung) gegeben. Man bestürmte sie lange vergebens, darin die Sopransoli zu singen. Endlich gab sie unter der Bedingung nach, daß eine Dame der höchsten Aristokratie die zweite Partie sang. Die Aufnahme an den Höfen, an denen ihr Gatte accreditirt war, namentlich am russischen, war glänzend und ging sogar so weit, daß die Kaiserin aller Reußen ihr beim Abschiede ein fast unschätzbares Halsband, das sie lange getragen, umhing, mit der Bitte ihrer zu gedenken. Die Aufnahme, die sie in Berlin fand, war ebenfalls ehrenvoll und würdig. „In den königlichen Soireen glänzte sie mit einem Diadem geschmückt, das einst auf ihrem Haupte befestigt, einen noch viel höhern Rang bezeichnete, als welchen sie heute einnimmt und mit so viel Würde bekleidet. Wir reden von dem reizend-zauberhaften Wesen, das so frühe der musikalischen Welt entrückt wurde, dessen biegsame, glänzende Kehle jetzt nur in ihr zu engen Sälen ihre unendlichen Fähigkeiten entwickelt. Himmel! welch Glück genießen die, denen es vergönnt ist, sich in den engen Räumen zu drängen, wenn die capriciöse Göttin des Ortes sich herabläßt, in all ihrem Glanze zu erscheinen; wenn die Hochgestellte sich je den Gipfel erhöht, den zu besteigen ihr allein gestattet ist. Der Botschafter ist angenehm und liebenswürdig. Doch welcher Mann könnte neben solcher Frau glänzen?“ Die Gräfin konnte das Klima in Petersburg nicht vertragen. Ihr Gatte bat lange flehentlich vergebens um seine Versetzung. Der Aufenthalt in der nordischen Residenz hatte aber auch noch andere Folgen. Von den sieben Kindern, die seine Frau geboren, lebten noch vier. Für diese zu sorgen, ihre Zukunft zu sichern, war der Mutter stete Sorge. Nun hatte aber der Aufenthalt im kostspieligen Petersburg das Vermögen sehr [654] geschmälert; dazu kam 1848 noch großer Verlust an Papieren. Der ursprüngliche Besitz war fast auf die Hälfte reducirt. Beim Ableben der Eltern blieb den Kindern also keine sorgenfreie Existenz gesichert. Daß der Graf durch leidenschaftliches Spielen Ursache dieser Lage gewesen, ist durchaus Verleumdung. In Berlin wohnten sie nun von 1848–49[WS 3]. Während dieser Zeit wiederholte der Theaterunternehmer Lumley von London schon früher gemachte Anträge, die die Gräfin, die sich fast jugendliche Schönheit erhalten und ihre Stimme vortrefflich conservirt hatte, zur früheren Carriere wieder zurückführen sollten. Er war früher damit immer ausgelacht und zurückgewiesen worden. Jetzt hatte das Revolutionsjahr viele Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Man fragte nun wenigstens nach seinen Bedingungen. Sie waren freie Wohnung, freie Equipage und 56 000 Thaler für die Saison. Das war der Erwägung werth. Der Gedanke, in wenigen Jahren jedem Kinde ein Vermögen hinterlassen und dadurch volle Unabhängigkeit fürs Leben verschaffen zu können, war zu verlockend. Den Zweifel, ob die Künstlerin nicht zu alt sei, hob Lumley’s Versicherung, daß er ihr in diesem Falle gewiß kein Anerbieten gemacht hätte. Als Henriette entschlossen war, auf seine Vorschläge einzugehen, galt es noch, des Grafen Entlassung aus königlichem Dienst zu erwirken. Darauf wollte aber Se. Majestät von Sardinien durchaus nicht eingehen; er machte vielmehr den gnädigen Vorschlag, Rossi solle Gesandter bleiben, sich scheinbar von seiner Frau trennen, sie wieder zum Theater gehen lassen und nach Abschluß ihrer Carriere wieder mit ihr versöhnen. Dieser pecuniär nicht ungünstige Vorschlag ward aber mit den Worten zurückgewiesen: „Ich trenne mich von meiner Frau, mit der ich zwanzig Jahre in glücklichster Ehe lebte, nie!“ Nun wurde der Abschied, und zwar mit großer Pension, bewilligt; der König fügte nur den Wunsch bei, er möge später wieder eintreten, jedenfalls aber den Sohn als Attaché belassen. – Die nunmehr 46 jährige Sängerin, an der die Jahre spurlos hingegangen schienen, betrat nun als „Linda von Chamounix“ die Londoner Bühne, wiederum alles durch ihre Leistung in Gesang und Spiel zur Bewunderung fortreißend. Nach dem ersten Act kamen der Herzog von Cambridge, der alte Wellington, die halbe Aristokratie aufs Theater, sie zu begrüßen. Auf Veranlassung der Großherzogin von Strelitz, geb. Prinzessin von Cambridge fanden sich alle die vornehmen Besucher schon zur Ouvertüre ein, um Henriette, die Mutter, die um ihrer Kinder willen mit 46 Jahren nochmals ihren früheren Beruf ergriff, durch Erheben von den Sitzen bei ihrem Erscheinen achtungsvoll zu begrüßen. Andern Tages war sie in der Gesellschaft wieder heimisch und die Königin behandelte sie, als wäre sie noch Gesandtin. So ergings ihr in allen Städten, an allen Höfen, mit Ausnahme von Dresden, wo es ihr der König nicht verzeihen konnte, daß sie wieder eine „herumziehende Sängerin geworden“ war. Die Gesellschaft in der sächsischen Residenz dagegen überhäufte sie mit Achtungsbeweisen. In München gab sie ein Concert, das mit einem Schlußchor endete. Man bat die Sängerin, nach ihrem letzten Vortrag noch etwas zu bleiben. Es wurde ein Chor gesungen, den Lachner componirt, dessen Text Kronprinz Max auf sie gedichtet hatte. Von London aus ging sie (1851) nach Paris. Dort hörte sie G. v. Putlitz als Susanne und berichtet darüber in seinen Theatererinnerungen (I. S. 93 u. f.) mit großer Begeisterung. Außer München und Dresden trat sie noch in Hamburg, Frankfurt (Lucrezia Borgia), Hannover, Braunschweig u. a. O. auf. Wien und Berlin blieben ihr der Höfe wegen verschlossen. Ueberall übte ihr Gesang die bewundernswerthe Wirkung wie ehedem. Im einfachen (sie änderte in classischen Opern nie eine Note) rührte sie aller Herzen (man sah zahlreiche Hörer Thränen vergießen), im verzierten schmeichelte sie den Ohren. „Die Begeisterung, die sie entzündete, glich griechischem, nicht zu löschendem Feuer.“ [655] Nachdem sie überall in Europa alle nur denkbaren Ehren eingeheimst, beschloß sie nun, in andern Welttheilen Lorbeern und Gold zu sammeln. Anfangs August 1852 reiste sie mit dem Capellmeister Karl Eckert, der sie accompagniren sollte, von Frankfurt nach Paris. Am 25. August erfolgte die verhängnißvolle Einschiffung nach Amerika in Liverpool. Ihre Kinder blieben zurück, um ihre wissenschaftliche Ausbildung nicht zu unterbrechen. Sie hatte zum letzten Male ihre ganze Familie in Ems um sich versammelt, in welcher Stadt sie sich dadurch ein bleibendes Denkmal setzte, daß sie für die dasige arme katholische Gemeinde einen Platz zu einem Friedhofe erwarb. – Die Aufnahme in New-York übertraf alle Erwartungen. Bei der Landung empfingen sie musikalische Gesellschaften; ein prachtvoller Wagen mit ihrem Wappen, eigens für sie gebaut, brachte sie nach ihrem Hotel, keine Huldigung ward unterlassen. Im Triumphzuge reiste sie nach Philadelphia, Boston u. s. w. Im April langte sie in Mexico an, wo sie ihre theatralische Laufbahn zu enden gedachte, von wo aus sie wieder zu den Ihren heimkehren wollte. Das Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Cholera war in Mexico seit 1850 nie völlig erloschen, im Mai dieses Jahres hatte sie sich zur Epidemie ausgebildet, der viele Personen unterlagen. Am Pfingstfest mehrten sich die Krankheitsfälle, namentlich im nahen Dorfe San Augustin, wo viele reiche Familien Landhäuser besaßen. Die Gräfin nahm für den 6. Juni eine Einladung von der Familie Escaudon in einem solchen an und verbrachte den Tag sehr angenehm. Aber schon am 7. Juni hörte man, daß infolge der veranstalteten Festlichkeiten Todesfälle vorgekommen seien, die sich am folgenden Tage mehrten. Am 10. sang sie anscheinend noch ganz wohl in der Probe zur „Lucrezia Borgia“; am nächsten Tage klagte sie über Symptome, die als Vorläufer der Cholera galten; schon am 12. erkannten die Aerzte, daß die Krankheit wol schwerlich der Kunst weichen werde; am 13. mußten zu den bereits anwesenden noch zwei als sehr geschickt bekannte Doctoren beigezogen werden. In der folgenden Nacht machte der Graf die Kranke auf das Gefährliche ihres Zustandes, welche wähnte, sie habe ein Nervenfieber, aufmerksam. Trotzdem noch ohne Ahnung einer Lebensgefahr, begehrte sie nun doch kirchlichen Zuspruch; am 15. trat eine alle mit freudiger Hoffnung erfüllende Reaction ein; aber am Abend verschlimmerte sich ihr Zustand wieder, der Choleratyphus brach aus; sie verbrachte zwei schlechte Nächte, verlor, nachdem sie vorher noch die Tröstungen der Religion empfangen, das Bewußtsein und hauchte Sonntag den 17. Juni, nachmittags drei Uhr in den Armen ihres trostlosen Gatten ihren letzten Athemzug aus. Zu ihrem Begräbniß erschien eine unabsehbare Menschenmenge, nie hat Mexico ein zahlreicheres Trauergefolge gesehen. Im Leichenzuge bemerkte man die Mitglieder der deutschen Liedertafel, welche die Anordnung des Begräbnisses übernommen hatte, den französischen Musikverein, die philharmonische Gesellschaft, auch mehrere Gesandte. Hunderte von Equipagen folgten dem vierspännigen Trauerwagen. Die Geistlichkeit und Opernmitglieder und Orchester empfingen den Zug am Kirchenportal. Deutsche Gesänge und ein deutsches Vaterunser gaben der Heimgegangenen die letzten Grüße. Alle Blätter waren mit Trauerrand erschienen. Die irdischen Ueberreste Henriettens, welche nach dem Willen des Grafen später in deutscher Erde ruhen sollten, wurden in einem bleiernen Sarg, den ein hölzerner einschloß, geborgen, einstweilen in der Kirche San Fernando beigesetzt, bis sie am 3. Mai 1855 in der Kreuzcapelle des Klosters St. Marienthal, wo ihre Schwester Nina, jetzt Schwester Juliana, Conventualin war, in deutscher Erde ihre letzte Ruhestätte fanden. Eine trauernde Mutter, ein gebeugter Gatte, Bruder und Kinder, schmerzhaftes Schluchzen nicht unterdrückend, gaben dem mit Blumen und Lorbeern überreich geschmückten Sarge das Geleit nach einer an die Kirche angebauten, kleinen Capelle, in deren Gruft er geborgen wurde. Hier fand [656] neben der Gattin später auch Graf Rossi sein Grab (15. März 1864). – Das reiche Kloster St. Marienthal liegt in herrlicher, fruchtbarer Gegend, von Gärten umgeben, im Neißethal bei Görlitz. Als ich im vorigen Jahre die Grabstätte der Sontag aufsuchen wollte, ward mir gesagt, daß dieselbe nicht zugänglich, sondern infolge einer Ueberschwemmung der Neisse völlig unter Wasser gesetzt sei. Ein armseliger Bretterdeckel schloß sich über der Gruft, der, wie es scheint, von den Erben und Nachkommen nicht die nöthige Aufmerksamkeit gewidmet wird. – Neben dem prächtigen Zinnsarg Henriettens (das Geburtsdatum 1806 tragend), der, um nicht so häufig unter Wasser gesetzt zu sein, in erhöhter Stellung, nur mittelst eines über einen Block gelegten Brettes erreichbar ist, steht der lange, schmale, schlichte Holzsarg ihres Gatten. Ihre Schwester ruht auf dem unter Clausur stehenden Kirchhof des Klosters. Das Leben der Sängerin gleicht einem Bilde ohne Schatten. Es ist wirklich ermüdend, sich während vieler Jahre durch die fast immer gleichlautenden überschwänglichen Lobeserhebungen durchzulesen. Uebertrafen die Schechner und Pasta sie an Kraft und Fülle des Tones und des Ausdruckes, in neuerer Zeit die Malibran an Universalität des Talentes, früher die Catalani (von der der Ausspruch herrührt: „Elle est unique dans son genre, mais son genre est petit“) an Fertigkeit und Großartigkeit, so stand sie selben doch voran in entzückender Zartheit der Ausführung und gründlicher Ausbildung. Sie erschütterte nicht durch überwältigende Stimmkraft, aber bezauberte durch ihre meist im mezza voce gesungenen flötenartigen Passagen. Die Genannten ausgenommen, die mit ihr rivalisiren durften, gab es nie eine Sängerin und wird sich sobald auch keine finden, welche selbst über höchste Vollkommenheit hinaus ihr an Geschmack und Erfindung je nahe gekommen wäre. Rechnet man dazu höchsten Reiz jugendlicher Erscheinung und seltenste Grazie, so wird man gerne zugeben, daß sie eine Blume süßesten Duftes und unendlich anziehend im üppigen Sängerstrauße ihrer Zeit war. Sie ist auch als Componistin einer Cantate: „Il naufragio fortunato“ bekannt geworden. Ihre Jugendgeschichte behandelt der Roman von J. Gundling[WS 4]: H. Sontag, Künstlerlebens Anfänge. II. Leipzig 1861. Die wenigsten ihrer zahlreichen Bildnisse sind gelungen. Alle mit dicken Lockenwülsten an den Schläfen, läßt keines derselben auch nur eine Ahnung des unendlichen Liebreizes und der hinreißenden Schönheit aufkommen, die über sie ausgegossen gewesen sein müssen.

Ihre jüngere Schwester Anna, gen. Nina S., geb. am 26. Jan. 1811, † am 22. Sept. 1879 im Kloster St. Marienthal in der Lausitz, war wie Henriette von Jugend an zum Theater bestimmt. Sie besaß eine schöne Stimme, jedoch nicht kräftig und ausgiebig genug, um neben der der berühmten Schwester glänzen zu können. Zwar war sie schön wie diese, aber tiefer, „bildsäulenhafter“ Ernst thronte auf ihrem marmorbleichen Antlitz, das nie ein holdes, freundliches Lächeln verklärte; zwei mächtige Augensterne blickten daraus, eine Welt von Wehmuth bergend, düster ins Leben; nicht erfrischend tönte ihr Gesang, wie der lerchenfrohe Henriettens, sondern rührend und schmerzbewegt, nicht wie Lust, eher wie Klage. Wunderbarer Gegensatz in schwesterlichen Gemüthern; die eine voll heiteren, frohen Lebens, eine Königin im Reiche der Töne und glücklich in einer Welt des Scheins und der Sünde, die andere aller Eitelkeit des Lebens abgekehrt, in finstern, ascetischen Gedanken versunken und als strenge Büßerin und in religiöser Ueberspannung ihr Sein vertrauernd. Eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn war bei solcher Denkweise für Nina etwas Unmögliches, der Gedanke ans Theater ihr entsetzlich. Je höher die von ihr innig geliebte Schwester in der Bewunderung der Welt stieg, desto mehr Abneigung vor dem Flitter, in den sich zuletzt doch alles hüllte, was jener begehrenswerth erschien, erfüllte sie. Nina war 1825 gleichzeitig mit ihr für kleine Partien am Königsstädter Theater in Berlin beschäftigt, [657] begleitete sie auch 1829 nach London, blieb aber dann, als die Heirath der Gräfin Rossi publicirt war, in Berlin zurück, wo sie nun am königlichen Theater zweite Partien sang. Noch 1831 soll sie in Magdeburg, Aachen, Cassel u. a. O. engagirt gewesen sein. Aber immer blieb sie dem Leben und Treiben der Welt abgekehrt und suchte am liebsten das Betpult ihres stillen Zimmers oder die entlegenen Capellen dunkler Dome auf. Endlich setzte sie sich über alle Rücksichten hinweg und trat in Prag als Novize, unter dem Namen Schwester Juliana, in das nahe dem Hradschin gelegene Kloster des Barfüßer-Ordens der Karmeliter, St. Benedict, ein, unter die Frömmsten, Stummsten und Strengsten der gottgeweihten Frauen der katholischen Ordenswelt. Ihrem zarten Leib waren jedoch die ihr zugemutheten Büßungen und Entbehrungen zu groß; ihr Geist dennoch nicht stark genug, die beständigen Verzückungen und phantastischen Ueberspanntheiten, die ihn erfüllten, zu ertragen. Körperlich ganz entkräftet, vermochte sie, und das erkannte man leider erst am Tage vor dem Profeß, das doch nicht zu leisten, was die harte Ordensregel von ihr heischte. Unter heißen Thränen mußte sie das Asyl, in dem sie Frieden zu finden wähnte. wieder verlassen; schluchzend kehrte sie in den Kreis der Ihren wieder zurück. Aber kein Beweis von Liebe und Nachsicht, von Güte und Zärtlichkeit der Mutter und Schwester waren im Stande, dies für die Welt erkaltete Herz neu zu erwärmen, den göttlichen Funken des Talentes neu zu beleben. Und nochmals enteilte sie, eine andere klösterliche Heimath zu suchen. Am 4. Juni 1846 trat sie in das Cistercienserkloster zu St. Marienthal in Sachsen, 1234 von der Königin Kunigunde von Böhmen, zur Sühne Otto’s von Wittelsbach für die Ermordung Kaiser Philipp IV., ihres Vaters, erbaut. Die Pforten des vornehmen Frauenstifts, in dem heilige Musik und Kunst von jeher Pflege fanden, und das nicht nur der Buße und Andacht, auch dem Unterricht und geistiger Anregung gewidmet ist, das von seinen Bewohnerinnen nicht völlige Abtödtung des Leibes verlangt, erschlossen sich ihr; andächtig empfing sie am 5. Sept. 1847 das neue schneeweiße Ordenskleid, und milde mütterliche Worte begrüßten die Gebeugte, als sie die Aebtissin in die Arme schloß. Hier war der schöne, tiefempfundene Gesang der neuen Schwester nicht etwas sündhaftes, weltliches, verpöntes. Im Gegentheil, man lauschte ihren wie Seraphsgesang erklingenden Tönen mit frommer Erbauung. Herrlich entfaltete sich hier auch sonst ihr reicher Geist. Sie machte sich die lateinische Sprache zu eigen, vertiefte sich in theologische Studien und ward eine Meisterin des Orgelspiels. Im stillen, aber in wunderschöner Natur liegenden Vallis Mariae besuchte sie auch manchmal Schwester Jetterl, dann einigten sich wohl beider Stimmen wieder in Duetten, die einst alle Welt entzückt hatten. Auch bevor Henriette die letzte verhängnißvolle Fahrt über das große Meer nach Amerika antrat, sprach sie nochmals vor; es war nicht das letzte Mal; aber als sie wiederkehrte, verhüllten ihre schönen Glieder sechs enge Bretter. Nun sind auch die letzten Erinnerungen jenes Gesangs verstummt, der immer die Anwesenheit der berühmten Primadonna kennzeichnete, für deren Seelenruhe nun die bleiche Soror Juliana täglich die heißesten Gebete zum Himmel sendete. Erst 25 Jahre später bettete man das müde Haupt der greisen Beterin, die so viel bereut und gesühnt, so wenig gesündigt hatte, die Schwester, Schwager und Mutter noch vor sich hinscheiden sah, auch zur ewigen Ruhe.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: L. Wranitzki(-Sailer)
  2. Vorlage: Vollkomment heit
  3. Vorlage: 1843-49
  4. Julius Anton Gundling (* 7. März 1828 in Prag; † 4. Mai 1890 ebenda).