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ADB:Schebest, Agnese

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Artikel „Schebest, Agnese“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 651–653, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schebest,_Agnese&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 04:00 Uhr UTC)
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Schebest: Agnese S., neben W. Schröder-Devrient die berühmteste deutsche Bühnensängerin der dreißiger Jahre, wurde am 15. Februar 1813 zu Wien geboren. Ihr Vater, ein Böhme, den eine k. k. Ordre als Oberminenführer nach Alessandria verschlug, wurde ihr schon 1816 durch die tödtlichen Folgen einer Explosion entrissen und so wuchs sie unter traurigen und ärmlichen Verhältnissen auf. Auf der kleinen Festung Theresienstadt hatte man der Wittwe S. und ihren beiden Kindern freie Wohnung gewährt und eine magere Pension mußte ausreichen, sie nebst der hochbetagten Großmutter zu erhalten. Die Bescheidenheit und der fromme Sinn der Mutter wußten auch dieses Schicksal zum Besten zu wenden. Agnese wurde eine unterste Schulbildung zu Theil und ihre Stimme und musikalische Begabung fanden den ersten Pfleger in Schulmeister Langer, der sie schon früh zur Mitwirkung bei festtäglichem Gottesdienst heranzog. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit des in der Festung internirten griechischen Fürsten Ypsilanti und seiner Umgebung auf die kleine Agnese gelenkt und seiner Anregung war es zu danken, daß man ernstlicher darauf bedacht wurde, das junge Talent auszubilden. Durch Vermittelung des Schulmeisters wurde sie Schülerin des Dresdener Chordirectors und berühmten Gesanglehrers Johann Miksch (1765–1845) und somit in denselben strengen Ueberlieferungen italienischer Gesangskunst auferzogen, in denen ein Jahrzehnt früher das große Genie einer Wilhelmine Schröder zur Reife gediehen war. Miksch unterrichtete gründlich und sorgfältig und bereitete den wichtigen Schritt seiner Schülerin vor die Oeffentlichkeit langsam und weise vor, indem er sie erst der Schaar seiner Chorknaben und später dem Theaterchor einreihte. Erst nach mehrjähriger Unterweisung, und nachdem sie von Madame Werdy (die als Madame Voß unter Goethe’s Weimarer Theaterleitung sich rühmlich hervorgethan) sich die Grundlehren der Schauspielkunst angeeignet hatte, durfte Agnese auf der Dresdener Hofbühne ihren ersten theatralischen Versuch wagen. Es war „Benjamin“ in Méhul’s „Joseph und seine Brüder“. Der Erfolg sicherte ihr eine bescheidene Anstellung, die den nicht genug zu schätzenden Vortheil hatte, der Anfängerin eine Fortsetzung ihrer Studien bei ihren erprobten Lehrern zu ermöglichen. Nach dem Bedürfniß der Spielordnung und unter der Anleitung Miksch’s studirte Agnese nunmehr in bunter Reihe: Irma (Auber’s Maurer), Agathe (Freischütz), Emmeline (Weigl’s Schweizerfamilie), Oberpriesterin (Spontini’s Vestalin), Myrtha (Winter’s Opferfest). An der Verschiedenartigkeit dieser Aufgaben bildete sich namentlich die Darstellungskunst Agnese’s bald zu beträchtlicher Höhe aus, so daß die Intendanz es wagen durfte, ihr auch im Schauspiel größere Rollen zu übertragen. So spielte sie denn vom Jahre 1831 ab neben ihren Gesangspartien auch die Rollen der Dorothea (Töpfer’s Hermann und Dorothea), Natalie (Kleist’s Prinz von Homburg), Thekla (Wallenstein) u. a., fand aber bald in dieser Zersplittetung ihrer Kraft schwere Nachtheile [652] für die Fortentwicklung ihrer Künstlerschaft und namentlich für die weitere Ausbildung ihrer Stimme, so daß sie beschloß, ihren Vertrag mit der Dresdener Bühne, wo sie es allmählich bis zu einem Jahresgehalte von 1000 Thalem gebracht hatte, nicht zu erneuern. Nach einigen erfolgreichen Gastspielen in Berlin und Leipzig verließ sie Frühjahr 1832 Dresden und wandte sich nach Pest. Hier debutirte die Neunzehnjährige als „Emmeline“ und als „Rezia“ (Oberon) mit solchem Erfolge, daß der Director Grimm ihr eine feste Anstellung mit einem Gehalt von 2000 fl. Conv.-Münze und der Einnahme von zwei Benefizvorstellungen anbot. Von 1832–1836 war Agnese S. nun ständiges Mitglied der Pester Oper. In diese Zeit fällt ihre eindringliche Beschäftigung mit der Kunstart der Neu-Italiener, Bellini und Rossini und damit die Vorbereitung zu ihren späteren und größten Triumphen. Vor ihrer Wiedergabe des Romeo (Bellini’s Romeo und Julia), den sie allein in Pest über dreißig Mal sang, traten alle ihre übrigen Darbietungen, auch wo sie höheren Kunstaufgaben galten, wie Eglantine (Euryanthe), Doña Elvira (Don Juan), Fidelio, Rosina (Barbier von Sevilla), in den Hintergrund. Mit der Zeit machte sich Agnese wie es scheint, eine Art „Specialität“ aus der Darstellung solcher Liebhaber und Helden im Sopranistenton; wenigstens erscheinen Rollen wie Romeo, Arface (Rossini’s Semiramis), Tancred (Rossini), Armando (Meyerbeer’s Crociato), Sextus (Mozart’s Titus) sehr häufig auf dem Plan ihrer zahlreichen Gastspiele, ja sie schreckte sogar, wie aus dem „Morgenblatt“ (Januar 1837) zu ersehen ist, vor dem bedenklichen Wagestück nicht zurück, in Stuttgart den „Othello“ in Rossini’s gleichnamiger Oper zu singen, wie sie anderswo, ihrer eigenen Aussage nach, den Tambour in „Rataplan“ (Oper von Pillwitz) übernommen hatte. Diese Thatsachen sowie die eigene Angabe Agnese’s, daß ihr unter ihren übrigen Rollen die Cherubinische „Medea“ besonders werth gewesen sei, lassen die Eigenart der Künstlerin mit Bestimmtheit als eine „heroische“ bezeichnen, was der Ausspruch eines Breslauer Referenten, die Schröder-Devrient singe eine glühende, die S. aber eine flammenwirbelnde Leidenschaft, ergänzt und bestätigt. Ihre Stimme reichte vom g bis zum c’’’, trug aber, da sie auch Altpartien sang, wol den Charakter des Mezzosoprans; in der That werden auch ihre seelenvollen Mitteltöne und der tiefe Glockenklang ihrer Stimme besonders gerühmt. Schon während ihres Aufenthaltes in Pest hatte Agnese verschiedene Gastspielreisen, nach Wien (1834), Dresden und Graz (1835) unternommen und war dabei so gut gefahren, daß sie nach Ablauf ihres Vertrages keine feste Stellung mehr anzunehmen beschloß. Der Ruf ihrer Künstlerschaft sicherte ihr zahlreiche Einladungen und so zog sie von Stadt zu Stadt, allerorts große Triumphe feiernd. Als die wichtigsten Ereignisse dieser über volle fünf Jahre sich erstreckenden Kunstfahrten nennt sie selbst ihre Gastspiele in Karlsruhe, Stuttgart (1837, 1838, 1842), Mainz; Wiesbaden, Kassel, Breslau, München, Straßburg, denen nach einem längeren, durch Krankheit getrübten Aufenthalt in Paris (1838), wo Meyerbeer sie für die „Valentine“ in den Hugenotten gewinnen wollte, und einer Erholungsreise nach Italien (1839) weitere Gastspiele in Zürich, Weimar, Göttingen, Schwerin, Hannover, Bremen, Berlin (1840), Königsberg (wo sie in einer zur Krönungsfeier Friedrich Wilhelm IV. stattfindenden Aufführung von Händel’s Messias mitwirkte), Danzig, Riga, Warschau, Lemberg, Posen folgten. 1842 nahm sie in Karlsruhe von der Bühne Abschied, nachdem sie sich mit dem berühmten freigeistigen Theologen D. Fr. Strauß verehlicht hatte. Doch das Glück dieser Ehe, der zwei Kinder entsproßten, war nicht von langer Dauer; gegenseitiges Mißverstehen führte zur Scheidung. Agnese S. starb am 22. December 1869 zu Stuttgart. Ihre letzten Lebensjahre widmete sie der Heranbildung junger Sängerinnen und schriftstellerischen [653] Arbeiten, namentlich der Ausarbeitung ihrer Studien über mündlichen Vortrag und plastischen Ausdruck, die, unter dem Titel „Rede und Geberde“ (Leipzig, Amb. Abel) erschienen, leider mehr Früchte ihrer späteren autodidaktischen Vertiefung in die Kunstlehre als Ergebnisse ihrer früheren Bühnenthätigkeit enthalten. Schon früher hatte sie ihr Leben in anziehender Weise beschrieben in dem Buche: „Aus dem Leben einer Künstlerin“. Von Agnese Schebest. Mit dem Bildniß der Verfasserin. Stuttgart 1857.

Zu vergleichen: Morgenblatt 1837, 1838, 1857. – Wurzbach, Artikel Schebest.