Zum Inhalt springen

ADB:Lachner, Franz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lachner, Franz“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 525–530, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lachner,_Franz&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 10:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Lachmann, Wilhelm
Nächster>>>
Lachner, Ignaz
Band 51 (1906), S. 525–530 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Lachner in der Wikipedia
Franz Lachner in Wikidata
GND-Nummer 118725815
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|525|530|Lachner, Franz|Carl Krebs|ADB:Lachner, Franz}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118725815}}    

Lachner: Franz L., bedeutender Dirigent und Componist, wurde geboren am 2. April 1803 in Rain in Baiern, wo sein Vater Anton das Amt eines Organisten an der Pfarrkirche versah und daneben behufs Vermehrung seiner schmalen Einkünfte sich mit dem Ausbessern von Uhren befaßte. Anton Lachner hatte aus erster Ehe sieben Kinder; die zweite mit Anna Kunz aus Reimlingen brachte ihm noch sieben dazu, und das vierte Kind dieser zweiten Reihe war Franz. Der tüchtige und energische Vater unterwies Söhne und Töchter gleichmäßig in den Schulfächern, wie in der Musik, und brachte die Sprößlinge so weit, daß er mit ihnen ein ganzes Orchester bilden und Concerte geben oder kleine Singspiele aufführen konnte. Franz spielte hierbei Clavier oder Geige oder Violoncello, blies das Horn oder ließ auch seinen hübschen Sopran hören. Mit 13 Jahren trat er nach dem Wunsch des Vaters, der ihn gerne [526] zum Geistlichen gemacht hätte, in das Studienseminar zu Neuburg a. D. ein. Auch hier that er sich bei Schulaufführungen musikalisch hervor, und sein Talent fand besonders in dem Gymnasialprofessor Franz Xaver Eisenhofer einen wohlwollenden Förderer, der Sorge trug, daß die ersten Compositionen des jungen L. (Cantaten, Lieder, Offertorien etc.) in der Kirche und bei festlichen Anlässen im Seminar zur Vorführung kamen.

1820 starb der Vater im Alter von 64 Jahren. Franz kehrte wol in das Gymnasium zurück, blieb aber nur noch bis zum Mai 1822 dort, denn inzwischen war der Drang, sich ganz der Musik zu widmen, in ihm so stark geworden, daß er das Interesse für alle anderen Studien zurückdrängte. Und so zog er denn nach München, wo seiner alle die Enttäuschungen warteten, die dem Jünger der Tonkunst auf seinem Lebenswege zuzustoßen pflegen: von seinen Compositionen mochten die Verleger nichts wissen, Unterrichtsstunden wollten sich nicht einstellen, und als es ihm endlich gelang, Schüler zu finden, wurde ihm die Unterweisung so kümmerlich bezahlt, daß er sich gezwungen sah, des Abends in Vorstadttheatern bei irgend einem Instrument, Horn, Violoncello, Geige, mitzuwirken, um nur überhaupt leben zu können. Der wackere Joh. Kaspar Ett, Hoforganist und Kirchencomponist, nahm sich in dieser Zeit des eifrig vorwärtsstrebenden Jünglings an, gab ihm unentgeltlich Unterricht und half ihm auch sonst, wo er konnte.

L. mußte bald einsehen, daß er in München nur sehr langsam vorwärts kommen würde, deshalb schnürte er schon nach einem Jahr sein leichtes Bündel und wandte sich nach Wien. Ungewöhnlich kurz war ihm die Zeit bemessen, wo er gegen widriges Geschick zu kämpfen hatte, denn in Wien empfing ihn das Glück mit offenen Armen. Gleich nach seiner Ankunft hatte er Gelegenheit, sich durch Probespiel an der Bewerbung um eine Organistenstelle zu betheiligen, die ihm auch zugesprochen wurde; so war er auf einmal im Besitz eines Jahreseinkommens von 400 Gulden. Und von nun an läuft sein Lebensweg auf ganz ebener Bahn dahin. Der berühmte Theoretiker Simon Sechter wird sein Lehrer; Joseph Weigl, der bei jenem Probespiel als Preisrichter anwesend war, wendet ihm sein Interesse zu; der Clavierfabrikant Streicher zieht ihn in sein Haus, in dem er mit allen Wiener Kunstgrößen in Verkehr kommt. Beethoven tritt ihm freundlich gegenüber, Grillparzer, Feuchtersleben, Michael Vogl, Baron Schönstein, Franz v. Schober werden ihm bekannt, mit Franz Schubert, Bauernfeld, Moritz v. Schwind verbindet ihn bald innige Freundschaft, die der Maler in eigenthümlichster Weise verewigt: auf einem Papierstreifen von 34 cm Höhe und 9,50 m Länge (der „Lachnerrolle“) stellt Schwind die Hauptmomente von Lachner’s Leben dar, öfter anachronistisch, immer jedoch humoristisch. (Reproducirt bei Kronseder, Fr. Lachner.) Endlich fand L. hier in einer Tochter des begüterten Kaufmanns Royko eine treue Lebensgefährtin.

In Wien entfaltete sich Lachner’s Compositionsthätigkeit bereits sehr vielseitig. Eine Cantate „Die vier Menschenalter“ (Text von G. Seidl), ein Oratorium „Moses“ (Text von Grillparzer), die drei ersten Symphonien in Es-dur, F-dur, D-moll entstehen, sowie ein Sextett, ein Quintett für Bläser, viele Gesangsstücke und Clavierwerke. Auch für die Ausbildung seiner Dirigentenfähigkeiten fand er günstige Gelegenheit: er wurde Vicecapellmeister am Kärnthnerthortheater, wo Jos. Weigl ihn anfangs leitete und wo er schon nach zwei Jahren neben Konr. Kreutzer zum ersten Capellmeister aufrückte.

Bis 1834 blieb L. in der österreichischen Kaiserstadt, dann folgte er einem Ruf nach Mannheim als Dirigent der Hofoper. Auf der Reise dorthin berührte [527] er München, wohin inzwischen sein Freund Schwind übergesiedelt war, und wurde dort von der Hoftheaterintendanz aufgefordert, ein Akademieconcert zu dirigiren, was mit solchem Erfolg geschah, daß L. bei seiner Abreise einen Contract als erster Hofcapellmeister für München mitnahm, den er freilich erst nach Erledigung seiner Mannheimer Verpflichtungen antreten konnte. Es ist ein glänzendes Zeugniß für den künstlerischen Ernst, mit dem L. jede Aufgabe anfaßte, daß er, trotz des Bewußtseins, seine Thätigkeit werde nur von kurzer Dauer sein (11/2 Jahr), mit voller Energie daran ging, die Musikzustände dort zu bessern, daß er in Oper und Concert einen neuen, frischen Zug brachte, das Orchester hob, das Publicum „zu freudiger Antheilnahme“ an jeglicher Art Musik erzog.

Er war eben ein geborener Organisator, und dies Talent zur Geltung zu bringen, fand er in München noch viel mehr Gelegenheit als in Mannheim. Denn es scheint, daß die Verhältnisse, in die er jetzt eintrat, künstlerisch ziemlich trostlose waren. Interesse für ernste Concerte, für Symphonieaufführungen und Verwandtes war fast nicht vorhanden; von Kammermusik fanden eine Reihe Concerte statt, die sich etwa auf dem Niveau gesellschaftlicher Unterhaltungen bewegten; die Oper lag ganz darnieder, das Personal war schlecht, das Repertoire dürftig. In der Allg. Musikzeitung von 1835 wird folgendes Bild der Münchener Opernzustände entworfen: „Trotz äußeren Aufwandes geringes Interesse des Publicums, geringer Besuch und noch geringere Einnahmen. Selbst Beethovens Fidelio vermag man nicht zu geben ohne Beiziehung von Gästen, die dann mit mäßigem Erfolg singen.“ (Vgl. die sehr sorgfältige Darstellung von Dr. O. Kronseder: Franz Lachner etc. Leipzig 1903.)

Hier nun griff L. mit vollen Kräften ein. Er ersetzte alt und stumpf gewordene Orchestermitglieder durch jüngere, engagirte nach und nach eine Reihe hervorragender Solisten und suchte nun nicht allein die Qualität der einzelnen Vorstellungen zu heben, sondern erweiterte auch den Spielplan in ganz bedeutender Weise. Mit einer ausgezeichneten Aufführung von Auber’s Stummen von Portici hatte er seine Thätigkeit an der Oper eröffnet, und im Lauf der Zeit zog er alle guten älteren und die bedeutendsten neuen Werke in den Darstellungskreis: neben Gluck, Mozart, Beethoven treten Spohr, Marschner, Nicolai, Meyerbeer, Auber, Boieldieu, Adam, Rossini und viele andere, auch R. Wagner, dessen Tannhäuser am 12. August 1855 zuerst gegeben, bis zum Jahresschluß noch 9 Wiederholungen erfuhr, Lohengrin 1858 und Fliegender Holländer, der von L. noch einstudirt, aber 1864 von Wagner selbst geleitet wurde. Nicht minder ersprießlich war Lachner’s Wirksamkeit auf dem Gebiet des Concertes. Die Schulung der Münchener Hofcapelle bis zu einer Höhe, wo sie befähigt wurde, selbst ein Werk wie Wagner’s Tristan und Isolde, das in Wien nach über 70 Proben zurückgestellt wurde, vollendet wiederzugeben, ist einzig sein Werk. Im Durchschnitt führte er jährlich drei bis fünf neue Opern auf und studirte fünf bis acht ältere neu ein. Seine Hand soll mitunter schwer auf dem Orchester gelegen haben, und wer auch nur im Bilde seinen Imperatorenkopf mit dem energischem Munde sieht, der wird es glaublich finden, daß er ein bequemer Vorgesetzter nicht war, daß er seine Absichten um jeden Preis durchsetzte und daß die Klagen der Capellmitglieder über Härte des Dirigenten und übergroße Anstrengung bei den Proben nicht ganz ungerecht gewesen sein mögen. Aber um einen verrotteten Organismus neu zu beleben, reicht nachgebende Güte nicht immer aus, und die Erfolge, die L. hatte, geben seinem Vorgehen recht. Denn das Interesse des Publicums für ernste Concerte wuchs mächtig an. Man muß Musiker, [528] die L. noch haben dirigiren sehen, über seine Art reden hören, über sein hinreißendes Feuer, besonders bei der Aufführung Beethoven’scher Symphonien, über die zwingende Gewalt, die er über das Orchester ausübte, um zu begreifen, daß auch ein wenig williges Publicum innerlich aufgeweckt wurde und ihm folgte, wohin er es nur führen wollte. Kronseder (a. a. O.) stellt anschaulich gegenüber, was in den Münchener Odeonsconcerten vor L. und nach einer zehnjährigen Thätigkeit von ihm geleistet wurde: 1835 in drei Concerten eine Beethoven’sche und eine Lachner’sche Symphonie, sonst nur Arien, Concerte für Flöte, Clavier, Clarinette und Violoncello, sowie Variationen und Arien; 1845 in neun Concerten neun Symphonien, fünf von Beethoven, zwei von Mozart, je eine von Mendelssohn und L., und dazu elf Ouverturen von Beethoven, Cherubini, Gade, Spohr u. a., endlich in einem Sonderconcert noch Haydn’s „Jahreszeiten“. Auch mit Bach’s „Matthaeuspassion“ und mit Beethoven’s „Missa solemnis“ hat L. die Münchener zuerst bekannt gemacht. So ist L. der Schöpfer eines wirklichen Concertlebens in München geworden und derjenige, der die Münchener Oper erst zu einem Kunstinstitut erhoben hat. Es gehört die ganze Verblendung eines jugendlich-hitzigen Wagnerischen Parteigängers dazu, um, wie Hans v. Bülow es gethan, diese Verdienste zu verschweigen und nur die Schwächen Lachner’s mit grellem Hohn zu beleuchten. (Hans v. Bülow, Briefe und Schriften III, 71 ff.) Denn es ist selbstverständlich, daß ein so scharf geprägter, autokratischer Charakter auch seine Schwächen haben mußte, und daß ein Mann, der im Kreise Schubert’s gelebt und an der Hand Simon Sechter’s zum Componisten gereift war, der seine künstlerischen Ideale bei Haydn, Mozart und Beethoven verwirklicht fand, nicht mit fliegenden Fahnen in das Lager Wagner’s oder Liszt’s übergehen konnte. Dies war eine Kunst, die Lachner’s Herzen nicht mehr nahe trat. Und als nun Richard Wagner selbst unter hohen Ehren nach München berufen wurde und öfter an seiner Stelle den Taktstock führte, als mit Wagner ein neues Leben in den Bau einziehen wollte, den im wesentlichen L. errichtet hatte, da mag er sich innerlich grollend abgewendet haben. 1865 forderte er seine Pensionirung, erhielt vom König, der ihn zu schätzen wußte und ihm wohlwollte, anfangs aber nur einen von Jahr zu Jahr verlängerten Urlaub, bis ihm endlich 1868 sein Pensiongesuch bewilligt wurde. Mit der Stummen von Portici, die er als Antrittsvorstellung dirigirt hatte, verabschiedete er sich auch vom Münchener Publicum. Nun lebte er von allen Aemtern zurückgezogen, aber immer noch rüstig weiter schaffend, noch 22 Jahre als Privatmann und starb am 20. Januar 1890.

Die Zahl von Franz Lachner’s Compositionen ist sehr beträchtlich: 325 Opera, davon etwa 200 gedruckt, und viele, die als Collectivnummern wieder in zahlreiche Einzelwerke zerfallen. Die hauptsächlichsten[WS 1] sind: vier Opern, „Die Bürgschaft“ (1827), „Alidia“ (1838), „Catharina Cornaro“ (1841) und „Benvenuto Cellini“ (1848), die Cantaten „Die vier Menschenalter“ (1829), „Gelegenheitscantate“ (1831), mit Text von Grillparzer, und die „Cantate zur Eröffnung des Musikvereins in Wien“ (1832), Text ebenfalls von Grillparzer; das Oratorium „Moses“, op. 45 (Grillparzer 1833), sowie die Musik zum „König Oedipus“ (1852) von Sophokles und eine Anzahl von Festchören und Festspielen für verschiedene Gelegenheiten. An Orchesterwerken: acht Symphonien, op. 32, Es-dur (1828), op. 44, F-dur (1833), op. 41, D-moll (1834), op. 54, E-dur (1835), op. 52 (appassionata), C-moll (1836), op. 56, D-dur (1837), D-moll-Elegie (1839), op. 100, G-moll (1850); sieben Suiten für großes Orchester, die erste (in D-moll, op. 113) 1861, die letzte, „Ball-Suite“ (op. 170), 1874; zwei Märsche, vier Ouvertüren. Dann [529] Kammermusik, Quartette, Quintette etc. für Streicher und Bläser, oder für beide combinirt, Trios für Clavier und Streicher, eine Serenade für vier und eine Elegie gar für fünf Violoncelli, zwei Andantes für vier Hörner und zwei Clarinetten. Neben seiner Thätigkeit in Oper und Concert hatte L. auch den Chordienst in der Allerheiligen-Hofkirche zu versehen, was die nächste Veranlassung für ihn wurde, zahlreiche geistliche Compositionen zu verfassen, Motetten, Gradualien, ein Tedeum, acht Messen und, besonders hervorzuheben, sein Requiem op. 146 (1856, mit neuem Schluß 1871). Daß er Orgelmusik schrieb, Sonaten, Fugen, Präludien, ist für einen Organisten eigentlich selbstverständlich, aber auch für Clavier hat er ziemlich viel veröffentlicht. Ferner sind zu erwähnen seine Lieder für eine Singstimme mit Clavier, Duette und Terzette sowie etwa 70 vier- und mehrstimmige Chöre für Frauen- und Männerstimmen und gegen 50 Compositionen für gemischten Chor.

Lachner’s technisches Können, seine Beherrschung des Contrapunkts und aller Mittel des Satzes ist sehr bedeutend; trotzdem erhebt sich sein Schaffen nicht über eine mittlere Höhenlinie. Schubert und Beethoven haben die Ziele gesteckt, nach denen er strebt, aber auf der einen Seite fehlt ihm die üppige, reich quellende und so charakteristische Melodik Schubert’s , und andererseits erreicht er nicht die Concentration und Ausdruckskraft Beethoven’s . Nicht auf die höchsten Gipfel und nicht in die tiefsten Gründe führt er seine Hörer, sondern in freundlich ebenes Land, das andere urbar gemacht haben. Hier baut er sich bürgerlich zufrieden an.

Von Lachner’s Opern hat nur „Catharina Cornaro“ einen größeren Erfolg gehabt, denn sie wurde nicht allein in München verhältnißmäßig oft aufgeführt, sondern eroberte sich auch die Bühnen von Mannheim, Frankfurt, Dresden, Berlin, Hamburg, Lübeck, Wien, Brüssel u. s. w. Der Erfolg mag zum Theil im Text liegen, der von St. Georges nach dem Muster der Scribe’schen „großen Oper“ verfertigt, eine Anzahl effectvoller Scenen bringt, Gelegenheit zur Entfaltung von Bühnenpomp bietet, und auch der für die Wirkung auf ein großes Publicum sehr nützlichen Rührseligkeit gebührlichen Raum gönnt. Die Musik nimmt bisweilen einen gewissen Schwung, ist für die Singstimmen höchst dankbar und verhältnißmäßig bequem geschrieben, dabei ehrlich und aufrichtig bemüht, der Sache zu dienen, wenn auch aus Meyerbeer und Italien gelegentlich Einflüsse hereinsickern, aber vergeblich wird man nach einem Moment suchen, wo die Inspiration im Componisten mächtig geworden wäre. Es ist eine tüchtige, solide Arbeit, im Ganzen genommen jedoch kaum mehr als die höchste Stufe eines verfeinerten Handwerks.

Die acht Symphonien Lachner’s haben in den Concertsälen festen Fuß nicht fassen können, so lebhaft manche bei ihrem ersten Erscheinen auch begrüßt worden sind. Die fünfte (apassionata) wurde in Wien bei einer Ausschreibung mit dem Preise gekrönt. Gerade mit ihr geht Rob. Schumann, der doch alles Deutsche so gern förderte, sehr hart ins Gericht (Ges. Schr., 3. Aufl., I, 135 f.). Er nennt sie stillos, aus Deutsch, Italienisch und Französisch zusammengesetzt, und wirft ihr die nothwendig Langeweile erzeugende, unnöthige Länge vor: die neunte Symphonie Beethoven’s habe 226 Seiten, die fünfte Lachner’s aber 304. Die dritte in D-moll findet er weit besser (a. a. O. S. 264 f.): „Lachner’s eigenthümliche Mischung zeigt sich zwar auch in ihr mit all ihren Schwächen und Vorzügen, was sichere Anlage, große Breite, die Ausführung in deutscher, Cantilene in italienischer Weise, die glänzende Instrumentation, die gewöhnlichen Rhythmen, den korrekten Stil, die vielen Quintenzirkelgänge etc. anlangt, – indessen ist alles in eine glückliche Uebereinstimmung [530] gebracht, daß man immer in ruhiger Spannung gehalten wird, und das Ganze in einer höher potencirten Stimmung niedergeschrieben, so daß sie uns, was Schwung und Leben betrifft, das Beste däucht, was wir von L. kennen.“ Und noch höher wird von Schumann die sechste (in D-dur) geschätzt, die ihm „seine Preissymphonie doppelt aufwiegt“. „Es herrscht“, sagt er, „in dieser Symphonie eine Meisterordnung und Klarheit, eine Leichtigkeit, ein Wohllaut, sie ist mit einem Wort so reif und ausgetragen, daß wir darum dem Componisten getrost einen Platz in der Nähe seines Lieblingsvorbildeos, Franz Schubert, anweisen können, dem er, wenn an Vielseitigkeit der Erfindung nachstehend, an Talent zur Instrumentation zum wenigsten gleichkommt.“

Weit mehr als die Symphonien haben die Orchestersuiten zur Popularisirung von Lachner’s Namen beigetragen. In dem kleinen Rahmen dieser Variationen, Märsche, Scherzi, bewegt er sich mit wahrhafter Meisterschaft, ihnen weiß er ein Gesicht und Charakter zu geben, während ihm zur Belebung der weiten Umrisse der Symphonie die äquivalente Größe der Gedanken fehlt. Die Suiten Lachner’s bedeuten eine Erneuerung der alten Parthie für Kammermusik oder kleines Orchester (Rosenmüller, Muffat) auf moderner Grundlage und haben eine ganze Litteratur ähnlicher Werke nach sich gezogen.

Sehr verdienstlich ist auch Lachner’s Wirken auf dem Gebiet der Vocalmusik gewesen. Von seinen in kräftigen Linien gehaltenen Männerchören hat die „Sturmesmythe“ (mit Orchester) weiteste Verbreitung gefunden, und viele der Quartette bilden einen festen Stamm im Liedervorrath unserer Vereine. Von besonderem Reiz sind seine dreistimmigen Frauenchöre: feinster Formensinn und Anmuth der Erfindung halten sich in ihnen die Waage. Gerade die zuletzt erwähnten kleineren und zierlichen Werke werden voraussichtlich den Componisten Lachner am längsten im Andenken der Nachwelt lebendig erhalten.

W. Neumann, Die Componisten der neueren Zeit. 39. Theil. Cassel 1856. – Franz Grandauer, Chronik des k. Hof- u. Nationaltheaters, München 1878. – Dr. Max Zenger, Franz Lachner. (Die Musik. Berlin 1903, Heft 13.) – Dr. Otto Kronseder, Franz Lachner. Eine biographische Skizze zur Erinnerung an seinen 100. Geburtstag[WS 2]. Sonderabdruck aus Altbaier. Monatsschrift etc. Leipzig 1903. – Ein vollständiges Verzeichniß der Werke Fr. Lachner’s von Franz Stetter in M. Charles’ „Zeitgenössische Tondichter“, neue Folge, Leipzig 1890, S. 73–78. Hiernach bei Kronseder a. a. O.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: haupsächlichsten
  2. Vorlage: Geburstag